Gesellschaft & Moral: Das richtige Mass von Autonomie und Autorität in der Erziehung


Hausarbeit, 2004

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

II. Was sind moralische Regeln und wie lernt man sie?
II. 1. Definition moralischer Regeln
II. 2. Bedeutung moralischer Regeln für die Gesellschaft
II. 3. Entstehung von Moral
II. 4. Das Problem der Normsetzung in der Pädagogik

III. Sanktionen
III. 1. Ziel und Funktion von Sanktionen
III. 2. Die Todesstrafe
III. 3. Potentielle Effekte harter bzw. unzureichend differenzierter Sanktionen

IV. Ursachenbekämpfung
IV. 1. Motivationen und Gegenmaßnahmen
IV. 2. Prävention

V. Modell einer Ideal-Gesellschaft
V. 1. Moralidee, Sanktionsmodell oder Ursachenbekämpfung ?
V. 2. Sind Gesetze überflüssig?

VI. Fazit

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Für den Menschen als soziales Wesen, als „zoon politicon“ wie es Aristoteles formulierte, spielen Verhaltensmaßregeln eine zentrale Rolle. Eine Gemeinschaft kann nicht existieren, wenn von zu vielen ihrer Mitglieder widerstreitende Interessen verfolgt werden, ein Zusammenleben mehrerer ist nur möglich, wenn das Verhalten des Einzelnen dem Wohl aller nicht entgegenwirkt. Doch gerade ein solches Phänomen ist die steigende Gewaltbereitschaft Jugendlicher in Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts – Gewalt vor allem gegenüber Minderheiten wie Asylanten, gepaart mit einer Gewissenlosigkeit, die jeglichem Unrechtsempfinden entbehrt. Dieses Phänomen inklusive der Wirkungslosigkeit angedrohter Sanktionen dient Detlef Horster als Aufhänger für seinen Artikel „Was sind moralische Regeln und wie lernt man sie?“[1], auf dem die vorliegende Hausarbeit aufbaut.

Im Folgenden werde ich zunächst Horsters grundlegende Gedanken aufgreifen, dabei aber auch eigene Überlegungen miteinbeziehen, wobei ich unter anderem das Problem der Normsetzung in der Pädagogik streifen werde. Desweitern möchte ich Alternativen zu Horsters Ansatz vorstellen und auf die damit verbundene Problematik eingehen, bevor ich letztendlich die jeweiligen Modelle gegeneinander abwägen werde.

II. Was sind moralische Regeln und wie lernt man sie?

II. 1. Definition moralischer Regeln

Was verstehen wir überhaupt unter dem Begriff „Moral“? Welcher Zusammenhang existiert zwischen moralischen Regeln und Konventionen, Sitten und Bräuchen? Und in welchem Verhältnis stehen rechtliche Regeln zu moralischen?

Betrachten wir zunächst einmal die Schlagwörter Konventionen, Sitten und Bräuche. Zweifellos weist der Moralbegriff einen gewissen Absolutheitscharakter auf, den zumindest die letzten beiden Begriffe nicht enthalten: Sitten und Bräuche können keine interkulturelle Vergleichspunkte sein, da von Kultur zu Kultur unterschiedliche Sitten und Bräuche vorherrschen. Diese Tatsache bedarf meiner Meinung nach an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung, zumal schon im Volksmund von „andere Länder, andere Sitten“ die Rede ist.

Etwas problematischer scheint der Begriff einer Konvention zu sein – doch auch hier stellt sich bei einem Blick ins Lexikon heraus, dass Konventionen „Übereinkünfte bestimmter Bevölkerungsgruppen hinsichtlich des angemessenen Verhaltens in gewissen Situationen“[2] sind; anhand eines simplen Beispiels wird sofort klar, dass auch dieser Begriff nicht mit Moral gleichgesetzt werden kann: Die Kleiderordnung bei einem Opernbesuch beispielsweise ist ein typisches Beispiel einer (im Übrigen ebenfalls kulturrelativen) Konvention. Es wäre völlig unangebracht, wenn nicht sogar inakzeptabel, in diesem Rahmen Joggingkleidung o.ä. zu tragen – doch moralisch verwerflich ist es keinesfalls.

Zu klären bleibt also noch der Unterschied zwischen moralischen Regeln und rechtlichen Regeln. Hierbei möchte ich mich auf Horster beziehen, der moralische Regeln durch Abgrenzung von rechtlichen Regeln definiert.

Der offensichtlichste Unterschied betrifft die Form derselben: Rechtliche Regeln werden vom Gesetzgeber klar formuliert und niedergeschrieben, sie sind jederzeit nachlesbar. Moralische Regeln hingegen sind nicht greifbar, niemand legt sie fest, die individuelle Entscheidung für ein bestimmtes moralisches Verhalten wird meist unbewusst getroffen.

Desweiteren ist die Terminierbarkeit ein entscheidender Faktor, um Moral und Gesetz voneinander zu unterscheiden: Während Gesetze ab einem bestimmten Zeitpunkt für gültig erklärt bzw. außer Kraft gesetzt werden, ist es nicht möglich, eine Geltungsdauer für moralische Regeln festzulegen. Ein Ablaufdatum für Moralnormen, die anders als Rechtsnormen „aus Prinzip“ gelten, widerspräche ihrer grundsätzlichen Natur; somit müssen Moralnormen als zeitlos eingestuft werden.

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dieser beiden Begriffen findet sich in der hierarchischen Ordnung innerhalb der einzelnen Kategorien: Gesetze unterliegen dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip, d.h. Entscheidungen höherer Instanzen heben Entscheidungen niedrigerer Instanzen auf (vgl. Bundesgesetze vs. Landesgesetze oder Berufungsverhandlungen vor diversen Gerichten). Im Gegensatz dazu weisen moralische Regeln keine starre Rangordnung auf, in bestimmten Situationen müssen konkurrierende Werte vom Betroffenen selbst geordnet werden; dem Einzelnen steht ein gewisser Handlungsspielraum offen und von Situation zu Situation muss neu entschieden werden, was vom moralischen Standpunkt gesehen in diesem Kontext richtig ist.

Der Hauptunterschied zwischen moralischen und rechtlichen Regeln liegt letztendlich darin, dass Moral eine innere Haltung verkörpert, also die Gesinnung einer Person widerspiegelt, die nicht von Dritten erzwungen werden kann. Verhaltensmaßregeln sind nur dann moralisch, wenn sie zum „Bestandteil des eigenen Selbst“[3] geworden sind, wenn sie die eigene Identität bestimmen. Moralische Regeln zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch in unbeaufsichtigten Situationen eingehalten werden, wenn deren Missachtung keinerlei Konsequenzen nach sich ziehen würde. Ganz anders verhält es sich hinsichtlich dieses Aspektes mit rechtlichen Regeln: diese basieren nicht auf inneren Beweggründen, sondern stellen einen äusseren Zwang dar. Ohne Aufsicht/Kontrolle und drohende Sanktionen gäbe es daher keinen Grund, sich an Gesetze zu halten, die man nicht für sinnvoll erachtet. Beim Befolgen rechtlicher Regeln ist es völlig irrelevant, ob widerwillig gehandelt wird oder nicht, was zählt ist lediglich, dass das (fremdbestimmte!) Gesetz nicht gebrochen wird.

II. 2. Bedeutung moralischer Regeln für die Gesellschaft

Wie schon in der Einleitung angedeutet, spielen moralische Regeln eine essentielle Rolle im gesellschaftlichen Zusammenleben. Horster hebt diesen Umstand als zentrale These seines Textes besonders deutlich heraus, indem er einzig und allein der „moralische[n] Haltung des Einzelnen“ das Vermögen zuerkennt, „einer Gemeinschaftsgefährdung durch Gewalt und Menschenverachtung entgegen-[zu]wirk[en]“[4].

Diese These basiert auf den Ergebnissen einer Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung[5], die ergeben hat, dass Rechtsempfinden und Moral eng miteinander verwoben sind - in dem Sinne, dass ohne moralische Haltung auch kein Unrechtsgefühl ausgebildet werden kann. Laut Horster zeigen daher rechtliche Druckmittel, wie etwa die Androhung härterer Sanktionen, keinerlei Wirkung, solange keine moralische Basis dafür entwickelt wurde. In Anbetracht dieser Umstände drängt sich natürlich die Frage auf, wie man sich eine moralische Haltung aneignet bzw. wie Moral entsteht, was im folgenden Abschnitt dargelegt wird.

II. 3. Entstehung von Moral

In Abschnitt II. 1. haben wir gesehen, dass eine moralische Haltung durch Verinnerlichung diverser Regeln entsteht. Somit ist auch sofort klar, dass Moral nicht kognitiv vermittelt werden kann; die bloße Kenntnis moralischer Regeln reicht keineswegs für eine moralische Haltung aus.

Donald W. Winnicott beschreibt die Entstehung von Moral als langwierigen Interaktionsprozess, der schon im frühen Kindesalter beginnt: Zunächst „orientiert sich der Säugling an seinen Bezugspersonen“[6], d.h. Kinder machen die Qualität ihrer Handlungen von den Vorgaben und Reaktionen ihres Umfeldes abhängig; sie passen sich an ihre Umwelt an, indem sie die Moralauffassung ihrer Eltern etc. übernehmen. Obwohl sie schon bald über ein recht umfassendes Regelwerk verfügen und wissen, was erlaubt ist und was nicht, handeln Kindern im Vorschulalter aber oft - in vollem Bewusstsein des Regelverstoßes - unmoralisch. In diesem Stadium haben sie die aufgenommenen Vorgaben noch nicht verinnerlicht, ihre Handlungsweise entspricht der des Priesters bzw. des Leviten im biblischen Gleichnis des barmherzigen Samariters[7]. Erst später, im Alter von etwa 6 Jahren, haben Kinder bestimmte Werte verinnerlicht und handeln nun auch regelkonform.

Selbstverständlich sind aber die Faktoren, die unsere moralische Entwicklung beeinflussen, nicht ausschließlich auf das Elternhaus beschränkt; die Moralauffassung der Eltern ist zwar von großer Bedeutung für die moralische Entwicklung des Kindes, da in den ersten Jahren nur wenig Kontakt zur Außenwelt herrscht, aber auch Kindergarten, Schule und Freundeskreis leisten ihren Beitrag zur moralischen Entwicklung und damit zur Herausbildung der individuellen Persönlichkeit.

II. 4. Das Problem der Normsetzung in der Pädagogik

Im Zusammenhang mit der Entstehung einer moralischen Haltung, die sich im Erfüllen verinnerlichter Handlungsvorschriften konstatiert, stößt man unweigerlich auch auf die Frage, wie man Menschen zur Moral „erziehen“ kann. Um diese Frage zu klären, bedarf es erst einmal einer Überlegung, welche Normen als moralisch gut anzusehen sind, also welche Erziehungsziele festgelegt werden sollen. Dieser Abschnitt stellt keinen utopischen Versuch dar, dieses Problem der Normsetzung universell zu beantworten, sondern soll dazu dienen, sich mit der Problematik dieses Gebietes auseinanderzusetzen und die Komplexität dieser Fragestellung offenzulegen.

In Anbetracht der Beschaffenheit hochdifferenzierter Gesellschaften, wie die der Bundesrepublik Deutschland im angehenden 21. Jahrhundert, verwundert es kaum, dass Uneinigkeit in der pädagogischen Debatte über Erziehungsziele herrscht. Unterschiedliche Kulturen wie sie in pluralistischen Gesellschaften anzutreffen sind, aber auch schon unterschiedliche Gesellschaftsschichten, die derselben Kultur angehören, verfolgen unterschiedliche Ideale; Eltern haben unterschiedliche Perspektiven, solche, „die ihre Kinder in einer potentiell hohen Berufsposition sehen, werden eher auf Selbstbestimmung und Kritikfähigkeit Wert legen als Eltern, die für ihre Kinder nur begrenzte Berufsmöglichkeiten zu erkennen meinen“[8]. Beutler sieht die Nichtexistenz universeller Erziehungsziele als natürliches Resultat dieser Heterogenität hochdifferenzierter Gesellschaften; gleichartige Erziehungsziele für alle Mitglieder einer Gesellschaft sind zwar möglich, treten aber nur bei kleinen Populationen auf, die zudem „in ihren okönomoschen Möglichkeiten [...] so begrenzt [sind], das sich kaum unterschiedliche Interessen herausbilden können“[9].

[...]


[1] Detlef Horster, „Was sind moralische Regeln und wie lernt man sie?“. Kurt Beutler und Detlef Horster, Pädagogik & Ethik, Reclam, Stuttgart, 1996.

[2] Dieter Christoph et al., Großes Modernes Lexikon, Bertelsmann, Gütersloh, 1985.

[3], 4 Detlef Horster, „Was sind moralische Regeln und wie lernt man sie?“. Kurt Beutler und Detlef Horster, Pädagogik & Ethik, Reclam, Stuttgart, 1996.

[5] vgl. Hans Göppinger, Der Täter in seinen sozialen Bezügen. Ergebnisse aus der Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung, Berlin, 1983.

[6] Donald W. Winnicott, „Moral und Erziehung“, Reifungsprozess und fördernde Umwelt, München, 1974.

[7] vgl. Lukas 10, 30 ff.

[8], 9, 10 Kurt Beutler, „Das Problem der Normsetzung in der Pädagogik“. Kurt Beutler und Detlef Horster, Pädagogik & Ethik, Reclam, Stuttgart, 1996.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Gesellschaft & Moral: Das richtige Mass von Autonomie und Autorität in der Erziehung
Hochschule
Universität Stuttgart  (Philosophie)
Veranstaltung
EPG 2
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
15
Katalognummer
V27640
ISBN (eBook)
9783638296373
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesellschaft, Moral, Mass, Autonomie, Autorität, Erziehung
Arbeit zitieren
Michaela Abele (Autor:in), 2004, Gesellschaft & Moral: Das richtige Mass von Autonomie und Autorität in der Erziehung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27640

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