Umbruch durch Gewalt? Die Ideologie der ersten RAF-Generation aus der Sicht von Kants Kategorischem Imperativ


Term Paper, 2011

25 Pages, Grade: 3,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Revolution im Gegensatz zur Reform: Eine definitorische Annäherung

3 Die Studentenbewegung der 1960er-Jahre
3.1 Hauptziele der Studentenbewegung
3.2 Die aus der Studentenbewegung hervorgegangene erste Generation der RAF

4 Die Vorstellungen der RAF von einer idealen Gesellschaft und wie diese zu erreichen sei
4.1 Selbstverständnis
4.2 Motive, Ziele und mögliche Mittel zur Zielerreichung am Beispiel der Brandanschläge auf zwei Kaufhäuser

5 Kants Vorstellungen von einer idealen Gesellschaft und wie diese zu erreichen sei
5.1 Aufklärung und Personalität
5.2 Kategorischer Imperativ

6 Kann ein gesellschaftlicher Umbruch gelingen, wenn er gewaltsam herbeigeführt wird?: Eine Stellungnahme

Literatur und Quellen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

„The times they are a-changin”[1], der Titel des 1963 entstandenen Songs des Sängers Bob Dylan, spiegelt die Entwicklungen der 1960er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland wider (Vgl. Schildt 2000: S. 21). Unter dieser Überschrift fand auch ein Seminar im Modul Erziehung, Bildung und Sozialisation aus historischer Perspektive, statt. In diesem stand das Thema ‚Bildung und Gesellschaft in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland‘ im Zentrum der Betrachtung. Denn:

„1968 war nicht das Jahr, das alles verändert hat, dazu war bereits zu viel im Gang. Aber nach '68' war fast nichts mehr wie vorher.“

(Frei 2008: S. 228)

Im Mittelpunkt dieser Hausarbeit, steht die Frage, ob ein gesellschaftlicher Umbruch gelingen kann, wenn er gewaltsam herbeigeführt wird. Da diese Fragestellung sehr universell ist, wird der Versuch gewagt, diese durch die Bewertung des Vorgehens der ersten Generation der RAF nach moralischen Gesichtspunkten zu beantworten. Als Maßstab dessen, wie sich eine Gesellschaft friedlich und moralisch vertretbar verändern kann, dient Kants kategorischer Imperativ.

Die Arbeit wird im Kapitel 2 eingeleitet durch eine definitorische Annäherung an den Begriff der ‚Revolution‘, der in der 68er-Bewegung vor allem durch die RAF genutzt wurde, weil er das ist, wonach implizit im Titel der Arbeit gefragt wird. Um den Begriff deutlicher herauszustellen, erfolgt eine Definition zur Reform, die eine friedliche Möglichkeit der Gesellschaftsveränderung offeriert.

Im 3. Kapitel werden kurz die Hintergründe zur Formierung der 68er-Studentenbewegung und deren Hauptziele dargelegt, um ein Verständnis dafür zu schaffen, auf welcher Grundlage die RAF entstanden ist. Anschließend gibt es in Kapitel 4 eine kleine Darstellung zur ersten Generation der RAF und ihrem Tun. Es folgen Erläuterungen zum Selbstverständnis dieser Gruppierung, zu deren Motiven, Zielen und möglichen Mitteln. Da die drei letztgenannten sehr vielfältig ausfielen, werden diese anhand der Brandanschläge auf zwei Frankfurter Kaufhäuser dargelegt.

Im 5. Kapitel wird der Ideologie der RAF das kantsche Ideal vom moralisch Vernunftwesen gegenübergestellt, da dieses Ansatzpunkte dafür bietet, wie ein gesellschaftlicher Wandel friedlich geschehen kann. Hierzu werden einige Gedanken Kants zur Aufklärung und zur Personalität und sein kategorischer Imperativ wiedergegeben.

Die Hausarbeit schließt ab mit einer Stellungnahme zu der Frage, ob ein gesellschaftlicher Umbruch gelingen kann, wenn er gewaltsam herbeigeführt wurde. Hierzu werden die beiden genannten Positionen gegenüberstellt.

2 Revolution im Gegensatz zur Reform: Eine definitorische Annäherung

Das Wort ‚Revolution‘ entstammt der lateinischen Sprache und „bezeichnet eine schnelle, radikale (i. d. R. gewaltsame) Veränderung der gegebenen (politischen, sozialen, ökonomischen) Bedingungen.“ (Bundeszentrale für politische Bildung a: o. J.) Diese Umwälzung zielt auch auf das Ersetzen der bisherigen politischen Führung und die Einrichtung neuer Institutionen, die den Machtwechsel unterstützen sollen ab (Vgl. ebd.). Durch „neue Machtstrukturen, neue Eliten, neue Eigentumsverhältnisse, eine neue [Verfassungs-]Ordnung etc.)“ (ebd.) sollen bisher aufgetretene Probleme, deren Ursachen in den Machtstrukturen vermutet werden, überwunden werden (Vgl. ebd.).

„Jede Revolution zielt nicht nur auf politische Veränderungen, sondern greift tief in die Rituale des Alltags ein und verändert die alltäglichen Verkehrsformen. Sie wendet sich nicht nur gegen die herrschende Klasse selbst, sondern auch gegen deren symbolische Praktiken. (…) Statt aber gewaltsam gegen einzelne Machthaber und Institutionen vorzugehen attackierten die Aktivisten [Anmerkung: der 68er-Bewegung] jene Rituale, in denen ihrer Meinung nach gesellschaftliche Machtverhältnisse gespiegelt und zugleich reproduziert wurden“ (Scharloth 2008: S. 1).

Der Unmut und die Attacken der 68er-Bewegung richteten sich unter anderm gegen:

- Alle Bildungsveranstaltungen an den Hochschulen, da in diesen die Inhalte nicht diskursiv angeeignet wurden (Vgl. Scharloth 2008: S. 1).
- Das beschnittene Rederecht von Studenten zum Beispiel bei Immatrikulationsfeiern (Vgl. ebd.).
- Parlamentssitzungen, auf denen nicht mit gesellschaftlichen Interessengruppen debattiert werden durfte (Vgl. ebd.).
- Untersuchungsausschüsse, die nicht an einer Behebung der Ursachen des Protests, sondern an einer Vorverurteilung der Protestierenden orientiert waren (Vgl. ebd.).
- Gottesdienste, die stattgefundene Gewaltakte ausblendeten (Vgl. ebd.).
- Gerichtsurteile, die die Angeklagten für schuldig bekannten und sie damit den in den Gerichten geltenden Verhaltensregeln unterwarfen (Vgl. ebd.).

Im Gegensatz zur Revolution bedeutet Reform eine Neuordnung größeren Umfangs (Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung b: o. J.), die dennoch nicht radikal ist, sondern von den Gegebenheiten ausgeht und „auf schrittweise Veränderung und Verbesserung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen setzt“ (Bundeszentrale für politische Bildung c: o. J.).

3 Die Studentenbewegung der 1960er Jahre

Seit den 1950er Jahren partizipierten immer mehr Bundesbürger am enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser „ermöglichte nicht nur die Bildungsreform, die einer wachsenden Zahl von Jugendlichen erweiterte Freiräume zur Erprobung von Lebensstilen bot, sondern auch“ (Siegfried 2006: S. 48) mehr Freizeit und die Teilnahme am Konsum, an der Medialisierung und der zunehmenden Mobilität.

Aufgrund des gewachsenen Wohlstandes immer breiterer Bevölkerungsschichten, der guten Aussichten für Akademiker auf dem Arbeitsmarkt und der Einführung der finanziellen Studienförderung, stiegen auch die Studentenzahlen. Allerdings blieb der Zugang zu Hochschulen weiterhin stark sozial restriktiv (Vgl. Keller 2000: S. 85).

Der Sputnik-Schock und die ökonomische Rezession in den 1960er Jahren führte dann unter anderem in Deutschland dazu, dass der Ruf nach einer Bildungsexpansion lauter wurde. In den genannten Jahren stieg das Interesse am Besuch weiterführender Schulen in erheblichem Maße. Auch die Zunahme der Bevölkerungszahl führte dazu, dass sich wesentlich mehr Schüler im allgemein bildenden Schulwesen befanden, als vor dieser Zeit (Vgl. Gudjons 2008: S. 275).

Insgesamt können die 1960er mit den Stichwörtern ‚gestiegene Bildungsbeteiligung‘, ‚veränderte Schülerströme‘, ‚Demokratisierungsdebatte (Studentenbewegung)‘ und ‚Dringlichkeit umfassender Reformen in der Bildungslandschaft‘ charakterisiert werden. Eine Reform (der Bildungslandschaft) wie sie in Kapitel 2 beschrieben wird, hat es allerdings nie gegeben, da eine Gesamtstrukturreform, die den heutigen schulpolitischen Problemen (starke Selektion des deutschen Bildungs- und Ausbildungswesens, fehlende Chancengleichheit und –gerechtigkeit aufgrund der Stigmatisierung als Angehörige zu einer ‚Problemgruppe‘, zu niedriger Anteil an potenziell künftigen Fach- und Führungskräften usw.) hätte vorbeugen können, ausblieb (Vgl. ders.: S. 275 f). Dennoch ist für die 1960er und 1970er Jahre ein ‚Modernisierungsschub‘ zu konstatieren (Vgl. ders.: S. 106).

3.1 Hauptziele der Studentenbewegung

- Die Studentenbewegung war zunächst eine „studentisch-akademische Universitätsreformbewegung“ (Baader et al. 2011: S. 9), die sich für eine Entnazifizierung in den Hochschulämtern, für eine Hochschulreform und eine Demokratisierung, die mit einer erhöhten Partizipation der Studentenschaft einhergehen sollte, aussprach. Zudem sollten Missstände behoben werden, indem die Studien- und Lebensbedingungen der Studenten verbessert würden (Vgl. ebd.).
- Vor 1967 richtete sich die Studentenbewegung vor allem gegen die Notstandsgesetzgebung. Sie strebte nach einer Demokratisierung und nach Beteiligung an der politischen Meinungs- und Willensbildung (Vgl. ders.: S. 10).
- Nach verbreiteter Meinung von Vertretern der Studentenbewegung verhindere das Herrschaftssystem der westlichen Industriestaaten (…) die freie Selbstentfaltung des Menschen durch Manipulation, Repression und Konsumterror. Deshalb seien die Intellektuellen noch am ehesten in der Lage, die totale Manipulation zu durchschauen und die unmündigen Massen (…) zu mobilisieren“ (Langguth 2001: S. 44 f).
- Die Studentenbewegung solidarisierte sich mit den Unterdrückten der Zweiten und Dritten Welt und lehnte deren Ausbeutung ab. Zentrale Themen waren unter anderem das Elend der eben Genannten, der Kapitalismus und der Vietnam-Krieg, über die allerdings noch nicht kritisch in der akademischen Öffentlichkeit diskutiert werden konnte (Vgl. Baader et al. 2011: S. 10).
- Die Umwälzung der Bildungsinstitutionen (in diesem Fall der Hochschulen) wurde zu einem „Bestandteil einer Revolutionierung der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse“ (ebd.) erhoben. Die autoritären Verhältnisse in diesen sollten keinen Bestand mehr haben (Vgl. ebd.).
- Es ging in der Studentenbewegung ausdrücklich um „Fragen der Erziehung und Bildung, der Bildungsbeteiligung, der Bildungsbenachteiligung und der Chancengerechtigkeit“ (ders.: S. 12).
- Die Frauenbewegung setzte sich ein für ein neues Rollenverständnis und die Gleichberechtigung der Frau im privaten und öffentlichen Raum (Vgl. Baader et al. 2011: S. 10).
- Die Elternbewegung propagierte einen anti-autoritären Umgang mit Kindern und setzte diesen Ansatz in ihren Kinderläden um (Vgl. ebd.).

3.2 Die aus der Studentenbewegung hervorgegangene erste Generation der RAF

Die Studentenbewegung der 1960er Jahre und die Debatten innerhalb des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) bildeten, wegen der als ungenügend empfundenen Maßnahmen (Worten statt Taten), die Grundlage für die Bildung der Roten Armee Fraktion (RAF). Der SDS war bis zur Abspaltung von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) 1961, die Jugendorganisation dieser Partei (Vgl. Daase 2011: S. 2). Aufgrund einer politischen Neuausrichtung und der erklärten Unvereinbarkeit der Mitgliedschaften in SDS und SPD wurde der SDS zum „Sammelbecken der Außerparlamentarischen Opposition (APO)“ (ebd.). Dennoch avancierte er bis Ende der 60er Jahre zum einflussreichsten und mitgliederstärksten Studentenverband der Bundesrepublik (Keller 2000: S. 87).

Vor allem die Brutalität des Vietnamkrieges führte zur Radikalisierung der Studentenbewegung, die bei Demonstrationen zunehmend gewalttätig wurde (Vgl. Langguth 2001: S.85). Die ursprüngliche Formel der Protestbewegung lautete: „Gewalt gegen Sachen, nicht gegen Menschen“ (ebd.), galt unter anderem für einen Teil der SDS und die RAF Ende der 60er Anfang der 70er Jahre nicht mehr als Maxime (Vgl. ebd.).

Mit dem Stadtguerilla-Konzept, welches in Kapitel 4 näher erläutert wird, zog die RAF ihre Konsequenzen aus der nach ihrer Einschätzung gescheiterten Studentenbewegung. Der Zerfall dieser, der durch die sich als ungeeignet herausstellenden „antiautoritären Lager“ hervorgerufen wurde, machte die Entwicklung einer „ihren Zielen angemessenen Praxis“ notwendig (Daase 2011: S. 2). Es gebe sogar ein „Naturrecht auf Widerstand“, welches durch das „revolutionäre Subjekt“ wahrgenommen werden müsse (Kailitz 2007: S. 219 ff).

[...]


[1] in etwa die Zeiten des Wandels / der Änderungen

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Details

Title
Umbruch durch Gewalt? Die Ideologie der ersten RAF-Generation aus der Sicht von Kants Kategorischem Imperativ
College
Helmut Schmidt University - University of the Federal Armed Forces Hamburg
Grade
3,0
Author
Year
2011
Pages
25
Catalog Number
V276277
ISBN (eBook)
9783656692430
ISBN (Book)
9783656692423
File size
442 KB
Language
German
Keywords
umbruch, gewalt, ideologie, raf-generation, sicht, kants, kategorischem, imperativ
Quote paper
Sebastian Nothing (Author), 2011, Umbruch durch Gewalt? Die Ideologie der ersten RAF-Generation aus der Sicht von Kants Kategorischem Imperativ, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276277

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