Klassifizierung eines polyfunktionalen Wortes: "es"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Typen von es
2.1 Pronomen- es
2.2 Proform- es
2.2.1 Nicht-Kopulakonstruktion
2.2.2 Kopulakonstruktionen
2.3 Korrelat- es
2.4 Quasi-Argument- es
2.5 Positionales- es

3 Fazit

4 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Das polyfunktionale es ist eines der größten Sprachgeheimnisse der deutschen Grammatik. Schon früh gab es Linguisten, wie Brugmann (1917) und Paul (1917), die sich mit diesem Wort auseinandersetzten. Weitere Linguisten, wie Pütz (1975), der eine ganze Monographie dem Wort es widmet, Köhler (1976), Müller (1991), Zifonun (1995) und Eisenberg (1999), Suchsland (2000) und Sudhoff (2003), die spezielle Untersuchungen zu diesem Wort vornahmen, folgten. Da die Verwendungsweise von es so polyfunktional ist, sprich, es kommt als Pronomen, als Proform, als Korrelat, als formales Argument und als Positionales- es vor, werde ich mich mit der folgenden Frage beschäftigen: „Wie sind die einzelnen es -Typen systematisch voneinander abgegrenzt?“

2 Typen von es

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, gibt es mehrere es -Typen, die sich strikt voneinander unterscheiden. Die Beispiele in (1) geben einen kurzen Überblick über die verschiedenen Funktionsweisen von es. Ich werde deshalb im einzelne die es -Typen nenne und bestimmen, sprich welche es -Typen gibt es und wie werden sie systematisch kategorisiert.

(1) a. Es (das Kind) spielt
b. Das Kind lernt laufen. Der Opa hat es an der Hand
c. Der Trainer und sein Co-Trainer beobachten das eigene Team. Sie müssen
ständig über es lachen
d. (am Ende eines Prosatextes/ Zeitungsberichts) So geschah es/das
e. Diouf ist schnell. Andreasen ist es auch
f. Ist Andreasen der Torschütze? - Er ist es
g. Das Stadion jubelte. Es waren die Zuschauer
h. Es stimmt wahrscheinlich, dass Bremen noch immer nicht abgestiegen ist
i. Es ist unbekannt, wer das Tor geschossen hat
j. Es donnert
k. Es auf Streit anlegen
l. Es wurden viele Gesänge angestimmt.

2.1 Pronomen- es

Die bekannteste Verwendungsweise von es dürfte wohl die des Pronomen- es sein. Es ist hier, wie Pittner/Berman sinnvoll formulieren, „stets einer thematischen Rolle zugeordnet“ (2010, S. 126), so dass es in (2a) die thematische Rolle des Agens und in (2b) des Patiens annimmt.

(2) a. Es (das Kind) spielt
b. Sie spielen es (das Team) aus.

Oder wie es Sudhoff genauer formuliert: „Die es […] haben die Funktion nominativischer bzw. akkusativischer Pronomen und sind auf DPn [Determinansphrasen] im Neutrum Singular bezogen.“ (2003, S. 22, H. i. O.)

Das heißt, dass das Pronomen- es[1] sowohl über Kasus- als auch über Phi-Merkmale[2] verfügt und ferner einen referentiellen Charakter aufweist. Beifolgend konstatiert Sudhoff zutreffend folgendes: „Das Vorhandensein von φ-Merkmalen erklärt auch die Tatsache, dass das pronominale es […] im Nominativ stets bei einem finiten Verb der 3. Person Singular steht, mit dem es in Person und Numerus kongruiert.“ (2003, S. 23) Außerdem kann das Pronomen- es im Nominativ auch an nicht erster Stelle stehen, sprich es ist zwar obligatorisch, jedoch nicht topologisch fest im Satz eingebaut, da es im Vorfeld (3a, c) als auch im Mittelfeld (3b, d) stehen kann:

(3) a. Das Braunschweig-Team war schüchtern. Es schoss deshalb kein Tor
b. Das Braunschweig-Team war schüchtern. Deshalb schoss es kein Tor
c. Das Braunschweig-Team war schlecht. Es blieb deswegen zu Hause
d. Das Braunschweig-Team war schlecht. Deswegen blieb es zu Hause.

(4) a. Das Kind lernt laufen. *Es hat der Opa an der Hand
b. Das Kind lernt laufen. Der Opa hat es an der Hand. (Sudhoff 2003, S. 23)

Interessant sieht es beim akkusativischen Pronomen- es aus, denn neben dem Merkmal, dass es nur im Mittelfeld ((4b)), und niemals im Vorfeld ((4a)) stehen kann, hat es die Besonderheit, nicht von einer Präposition abhängig sein zu können, wenn es eine unbelebte DP[3] vertritt ((5a, c)) (vgl. ebd.). Um dennoch einen grammatikalisch korrekten Satz bilden zu können, wird, statt der Kombination „Präposition + es“, eine Kombination aus da(r)- und der jeweiligen Präposition gebildet, wie (5b, d) zeigen:

(5) a. Der Junge betrachtet sein neues Trikot. *Er freut sich sehr über es
b. Der Junge betrachtet sein neues Trikot. Er freut sich sehr darüber
c. Das ist mein Trikot. *Ich bin stolz auf es
b. Das ist mein 96-Trikot. Ich bin stolz darauf.

Dagegen ist es bei einem belebten Referenten als Komplement einer Präposition möglich und sogar die einzige realisierbare Variante:

(6) a. Der Trainer und sein Assistent beobachten das eigene Team. Sie müssen
ständig über es lachen
b. Der Trainer und sein Assistent beobachten das eigene Team. *Sie müssen

ständig darüber lachen.[4]

Somit kann zunächst konstatiert werden, dass das Pronomen- es im Nominativ im Vorfeld und im Mittelfeld stehen kann und immer bei einer finiten Verbform in der 3. Person Singular steht, dagegen kann das akkusativische Pronomen- es nur im Mittelfeld stehen, steht jedoch bei transitiven Verben, bei finiten Verben in allen Personen im Singular und im Plural. Des Weiteren ist das Pronomen- es, egal ob es als Subjekt oder Objekt realisiert wird, obligatorisch und der Genus/Numeruskongruenz unterworfen.

2.2 Proform- es

Das Proform- es ist ebenfalls obligatorisch[5], doch im Gegensatz zum Pronomen- es kann es durch das ersetzt werden ((7) und (8)). Zudem weist das Proform- es keine Genus- und Numeruskongruenz mit den vertretenen Ausdrücken auf (vgl. Sudhoff 2003, S. 24). Sudhoff argumentiert das wie folgt: „Das ist zum Teil der Fall, weil diese hinsichtlich Genus und Numerus nicht spezifiziert sind […] [siehe (7)] [und] zum Teil aber auch trotz einer von […] verschiedenen Spezifikation der Ausdrücke […] [siehe (8)].“ (ebd.)

(7) a. Der Trainer trainierte das Team. Es/Das dauerte 60 Minuten
b. Der Vorsänger sang vor und die Fans sangen nach. Es/Das freute das Team
c. (am Ende eines Prosatextes/ Zeitungsberichts) So geschah es/das.

(8) a. Ein kleiner Mann besuchte das Stadion. Es/Das war Hannovers ehemaliger Trainer
b. Der Trainer fand zwei alte Bälle. Es/Das waren zwei große Fußbälle.

Die Sätze in (7) stellen keine Kopulakonstruktion dar, während die Sätze in (8) Kopulakonstruktionen sind. Und genau deshalb erscheint eine Differenzierung zwischen Sätzen, die eine Kopulakonstruktion sind und Sätzen, die keine sind, als überaus sinnvoll (vgl. ebd.).

2.2.1 Nicht-Kopulakonstruktion

Um den Überblick nicht zu verlieren, liste ich wiederholt die Sätze aus (7) hier unter (9a-c) auf und ergänze zudem mit (9d, e).

(9) a. Der Trainer trainierte das Team. Es/Das dauerte 60 Minuten
b. Der Vorsänger sang vor und die Fans sangen nach. Es/Das freute das Team
c. (am Ende eines Prosatextes/ Zeitungsberichts) So geschah es/das
d. Peter hilft nur ungern im Haushalt. Diesmal konnte er es nicht vermeiden
e. Wenn Peter nicht half, musste er es vor seinem Vater rechtfertigen.

Diejenigen es, die vorfeld- und mittelfeldfähig sind, fungieren als Subjekt (9a-c) und die es, die ausschließlich mittelfeldfähig sind, fungieren als Objekt (9d, e).

Somit kann zunächst festgehalten werden, das Proform- es in Nicht-Kopulakonstruktionen steht anstelle solcher Ausdrücke, die nicht hinsichtlich Numerus und Genus spezifiziert sind, steht. Sudhoff (2003, S. 24) betont jedoch, es sei schwierig den syntaktischen Status dieser Ausdrücke zu bestimmen, denn zum einen kann es auf den vorstehenden Satz (hier 9a), auf zwei koordinierte Sätze (hier 9b) und sogar auf den gesamten vorangegangen Text verweisen (hier 9c). Für Eisenberg (1991) stellt der Satz die kleinste durch diesen Typ von es repräsentierbare Einheit dar, doch das ist nicht zutreffend, wie Sudhoff (2003) anhand des zugrunde liegenden Beispiels deutlich macht:

[...]


[1] In Anlehnung an die Klassifizierung von Sudhoff (2003) werden nur diejenigen es, die allen diesen Kriterien entsprechen, als Pronomen im eigentlichen Sinne des Wortes bezeichnet, um eine eindeutige terminologisch Abgrenzung von den es, die später unter Proform- es verstanden werden, (z.B. Wir haben Hannover wieder gewinnen sehen. Es war wundervoll.) zu gewährleisten.

[2] Gemeint sind die morpho-syntaktischen Phi-Merkmale, auch φ-Merkmale geschrieben. Dazu gehören Numerus-, Genus-, und Personmerkmale.

[3] Wie auch Sudhoff (2003) vertrete ich die Hypothese der Determinansphrasen. In den neuen Versionen der Generativen Grammatik ist eine Determinansphrase (DP) eine syntaktische Kategorie, also eine Phrase, deren Kopf ein Determinierer (DET) ist (vgl. Lexikon der Sprachwissenschaft 2008, S. 125f.). Demnach ist eine Phrase wie die bergige Schweiz als Ganzes keine Nominalphrase (NP), bestehend aus einem Artikel (die), einem Adjektiv (bergige) und einem Substantiv (Schweiz), sondern stellt eine DP dar, die in ein DET als Kopf und eine NP zu zergliedern ist: [DP [DET die] [NP bergige Schweiz]] (vgl. Fries 2006 ff.). Ein Pronomen wie ich würde dann wie folgt analysiert werden: [DP [DET ich]] (vgl. Lexikon der Sprachwissenschaft 2008, S. 126).

[4] Der Satz ist an sich nicht grammatikalisch falsch, nur durch den Kontext wird er ungrammatisch.

[5] Es gibt jedoch einen Sonderfall, in den es fakultativ stehen kann. Dazu siehe die Beispiele, die Pütz auflistet:

(i) Dieser Kaufmann unterhält höhere Warenvorräte, als es wirtschaftlich notwendig ist.

(ii) Dieser Kaufmann unterhält höhere als wirtschaftlich notwendig ist.

(iii) Franz Josef ist nicht so dumm, wie er es in Zeitungen vorgibt.

(iv) Franz Josef ist nicht so dumm, wie er in Zeitungen vorgibt. (1975, S. 28f.)

Wie zu sehen ist, beziehen sich beide Sätze auf einen Vergleich (mit als oder wie). Pütz vermutet daher, dass „das fakultative Auftreten von es mit strukturellen Sonderheiten in solchen Vergleichsätzen in Zusammenhang steht.“ (ebd., H. i. O.) Ich gehe jedoch nicht näher darauf ein, da es den Rahmen dieser Arbeit übersprengen würde.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Klassifizierung eines polyfunktionalen Wortes: "es"
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Veranstaltung
Syntax
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
22
Katalognummer
V275649
ISBN (eBook)
9783656685043
ISBN (Buch)
9783656685036
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Polyfunktionalität, Linguistik, Germanistik, Grammatik, Syntax, es, Deutsch, Sprachwissenschaft, Systematik
Arbeit zitieren
Marc-André Seemann (Autor:in), 2013, Klassifizierung eines polyfunktionalen Wortes: "es", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275649

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