Architektur der Wallfahrtskirche „Zum Gegeißelten Heiland“ von Dominikus Zimmermann


Seminararbeit, 2010

58 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Baumeister

3. Zur Wallfahrts- und Baugeschichte

4. Zur architektonischen Gestaltung
4.1 Zum Außenbau
4.2 Zum Grundriss und seiner Entwicklung
4.3 Zum Innenraum
4.3.1 Der Gemeinderaum
4.3.2 Das Altarhaus
4.3.2.1 Der Hochaltar
4.3.2.2 Zusammenführung und Interpretation
4.4 Zur Orgelempore

5. Zusammenfassung

6. Fazit

7. Quellenverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Im Rahmen des Seminars „Barocke Visualisierungen“ möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit der Architektur der Wallfahrtskirche „Zum Gegeißelten Heiland auf der Wies“ bei Steingaden von Dominikus Zimmermann widmen. Der wessobrunner Stuckateur und Baumeister brachte in diesem Alterswerk seine regional geprägten und aus dem Barock hervorgegangenen, individuellen Gestaltungsprinzipien zu solch einer Blüte, dass der Sakralbau gemeinhin als das Werk des süddeutschen Rokokos gilt und so 1983 in den Rang des UNESCO- Weltkulturerbes aufgenommenen wurde.

Als ursprünglich reine Ausstattungskunst mit kleinteiligen, asymmetrischen und schwingenden Ausdrucksformen, die sich in Frankreich in der Spätphase des Barocks entwickelt, wird das Rokoko[1] einerseits als keine selbstständige Stilepoche angesehen und so entsprechend auf die Bezeichnung als „Spätbarock“ beharrt[2]. Anderseits jedoch ist die Eigenständigkeit des Rokokos innerhalb der Kunstgeschichte betont worden, die den barocken Prinzipien nicht nur in Details widerstrebt, vielmehr diese gar punktuell in ihren Grundfesten anfechtet [3]. So kann das Rokoko sowohl als Entelechie des Barocks[4] verstanden werden, die die Steigerung barocker Ideen und Gestaltungsprinzipien bis an ihre äußerste Grenze verbildlicht, als auch als dezenterer Nachkomme des monumental-prunkvollen Stils, der mit dem Willen zur Reduktion bestimmter barocker Charakteristika letztlich eine eigene Formensprache entwickelt und - kunstgeschichtlich betrachtet - in den schmucklos-symmetrischen, der Antike verpflichteten Klassizismus überleitet.

Trotz aller definitorischen Schwierigkeit zur klaren Abgrenzung des Rokokos geht ihre Kunst doch mit einer geistesgeschichtlichen Wende innerhalb der Barockepoche einher, die, vom französischen Hof ausgehend, sich in dem Rückzug ins Private, einer „kultivierte(n) Lebensführung und ein(em) leichtfüßige(m), feinsinnige(n) Lebensgefühl“[5] manifestiert. So findet die von der „Rocaille“ bestimmte Dekorationskunst zunächst an Profanbauten Anwendung. Schnell in Form von Stichvorlagen in das Deutsche Reich diffundiert, werden diese insbesondere von handwerklich traditionsreichen, ländlichen Gegenden rezipiert[6] und das neue Formenrepertoire in das künstlerische Schaffen integriert. Eine ausgeprägte rokokohafte Gestaltung von Sakralbauten bleibt dagegen Süddeutschland vorbehalten, dessen führender Baumeister in dieser Domäne Dominikus Zimmermann [7] ist.[8] Wie dieser die neuen stilistischen Mittel in seinem Wirken zum Einsatz brachte, gilt es nun anhand der Architekturbetrachtung der Wieskirche, die den Höhepunkt im bauplastischen Werk Zimmermanns markiert, zu analysieren.

So möchte ich im Folgenden nach einer kurzen Einführung in das künstlerische Wirken Zimmermanns, sowie die Wallfahrts- und Entstehungsgeschichte der Kirche, die fundamental für ihre Formgebung und Semantik ist, die architektonische Struktur und Gestaltung analysieren[9], unter Einbeziehung der zimmermannschen Vorgängerbauten, sowie werkexterner möglicher Einflüsse und Vorbilder. Die spezifischen Ausprägungen des Baus sollen letztlich zur Beantwortung der Frage verhelfen, inwieweit die Begrifflichkeit des Rokokos als angenommene eigenständige Stilrichtung auf die Wieskirche angewendet werden kann und somit ihre kunsthistorische Stellung und Bedeutung offenlegen.

2. Zum Baumeister

Dominkus Zimmermann (1685-1766) wuchs aus dem traditionsreichen bäuerlichen Künstlermilieu Wessobrunns in Oberbayern. Sein Handwerk bei bedeutenden Wessobrunner Stuckateuren und später Maurern erlernt, entwickelte Zimmermann seine heimatliche Tradition unter dem Einfluss der neuen Ästhetik weiter und avancierte so zum bedeutendsten Künstler der Wessobrunner Schule und des süddeutschen Rokokos.

Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, wie den Brüdern Asam oder Balthasar Neumann, unternimmt Zimmermann keine Studienreisen und interessierte sich nur bedingt für die Anschauungen, die von den Kunstzentren Rom, Wien oder Paris ausgingen. Im wessobrunner Milieu tätig, das im 17. Und 18 Jahrhundert für seine Stuckateure und Maurer, die das deutsche Handwerk über die Landesgrenzen hinweg verbreiten halfen, bekannt und angesichts importierter Kupferstiche stets über die neuste Mode informiert war, blieben Zimmermann die neusten Strömung allerdings nicht vorenthalten und wurden letztlich in das eigene Formenrepertoire eingebunden. So inspirierte sich seine Kunst in erster Linie an der Landschaft und künstlerisch äußerst tätigen Umgebung, in der er aufwuchs. Stilistische Merkmale lassen laut vieler Autoren den Rückzug zu, dass Zimmermann das Stuckateur- und Maurerhandwerk bei Johann Schmutzer, dem führenden Wessobrunner Meister, gelernt hat. Nach dessen Tod wurde vermutlich Johann Jakob Herkomer aus Augsburg, der in Italien studiert hatte, sein neuer Lehrmeister. Unter dessen Einfluss arbeitet er gemeinsam mit seinem Bruder Johann Baptist Zimmermann - Stuckateur und Maler - an seinem ersten bedeutenden Auftrag, der Barockisierung der Kirche und Bibliothek des Kartäuserklosters in Buxheim (1710-1727). Seine Hauptbeschäftigung liegt allerdings zu diesem Zeitpunkt noch in dem Erstellen von Altären, die er mit bunten Scagliola-Arbeiten schmückt. In jener Zeit bekommt er Kontakt zu den Vorarlberger Meistern, die die Wessobrunner besonders für ihre Fertigkeiten im Stuckieren schätzten und engagierten. So waren Zimmermann deren Bauten und damit die vom Barock aufgeworfenen Probleme der Raumkonzeption geläufig. Mit seinem ersten Auftrag als Baumeister, so der Klosterkirche in Dillingen (1716-1725), mehren sich die Bauaufträge. Es folgt die Pfarrkirche in Buxheim (1725-1727) und die Dominikanerkirche in Sießen (1725-1733). Zimmermanns Frühwerke zeigen im Vergleich zu wessobrunner Bauten des 17. Jahrhunderts, wie z. B. der Wallfahrtskirche in Ilgen bei Steingaden, hochproportionierte Räume. Diese Werke kündigen bereits Zimmermanns charakteristische Gestaltungsprinzipien an, doch tragen diese noch nicht die individualisierte Form seiner späteren Bauten, die erstmalig in der Wallfahrtskirche in Steinhausen in Erscheinung tritt. Hier wird auch der Einfluss beider Schulen offenbar, die in ihren Bauten eine zunehmende Zentralisierung anstrebten.

Seine vielseitige Ausbildung und Tätigkeit als Stuckateur, Marmorierer, und Altarbauer lassen eine individuelle Handschrift des Baumeisters bereits erahnen und erklären seine stets präsente Ambition, Raum und Ausstattung als eine aufeinander bezogene Einheit zu konzipieren, ganz im Sinne eines im Barock angestrebten Gesamtkunstwerks.[10]

3. Zur Wallfahrts- und Baugeschichte

Die Baugeschichte der bei Steingaden im sogenannten Pfaffenwinkel in Oberbayern bei Steingaden gelegenen Kirche geht mit einer sich kristallisierenden Wallfahrt einher und verdankt folglich ihr Entstehen „der Verbindung einer volkstümlich mystischen Gläubigkeit mit der (letzten Endes) verschwenderischen Generosität einer klösterlichen Gebietsherrschaft“[11]. Wie Hirmer u. Lill (1952) an dieser Stelle bereits implizieren, muss die Entstehungsgeschichte und das letztliche Bauprogramm der Wies im Zusammenhang mit der Einstellung des örtlichen Klosters zu der aufkommenden Wallfahrt betrachtet werden. Aufklärerisch geprägt, war jenes dem Wallfahrtsmotiv - dem vermeintlichen Tränenwunder - gegenüber zunächst skeptisch. Dies lässt bereits erahnen, dass der Bau der Wies nur zögerlich und in einzelnen Etappen von statten ging, was sich letztlich auch in der Formgebung spiegelt. Nachdem 1738 eine ursprünglich für die Karfreitagsprozession der Klosterkirche Steingaden angefertigte Figur des gemarterten Christus an der Geißelsäule wegen ihres letztlich geringen Ansehens in den Besitz der Bäuerin Maria Lory gelangt war, ereignete sich das Tränenwunder von der Wies. Zahlreiche Wallfahrer strömten in den Loryhof südöstlich vom Pfarrhof Steingaden zur vermeintlich wundersamen Statue. Daraufhin gab der Abt des Prämonstratenserklosters, Hyazinth Gassner, die Erlaubnis zum Bau einer kleinen Kapelle gegenüber dem Loryhof, in die die Christus-Skulptur überführt werden konnte. Schon bald vermochte die kleine steinerne Kapelle den raschen Zustrom der Wallfahrer nicht mehr aufzunehmen. So entschied sich der Abt 1743 für die Errichtung eines größeren Neubaus, mit dem er den ursprünglich für die Barockisierung der Klosterkirche engagierten Dominikus Zimmermann betraute. Dieser war bereits bei der Errichtung der Wallfahrtskirche zu Steinhausen für den Prämonstratenserorden tätig gewesen und muss so mit seinen kreativen Architekturlösungen der klösterlichen Geisteshaltung entsprochen haben.

Gemäß der aufklärerischen Skepsis gegenüber der Wallfahrt und ihrer Motivation, galt es - so der Auftrag Gassners -, zunächst ein eigenständiges Altarhaus zu errichten, an das nur im Falle weiter ansteigender Wallfahrt ein Langhaus angebaut werden konnte. 1745 wurde sodann mit dem Bau des Chors begonnen, ohne die bischöfliche Genehmigung eingeholt zu haben [12]. Erst unter dem Nachfolger Gassners, Abt Marianus II Mayr, erfolgte 1746 die offizielle Grundsteinlegung im Auftrag des Kurfürsten Max Josef III.. 1749 konnte das Altarhaus schließlich durch den Fürstbischof geweiht und die Christus-Figur in jenes überführt werden .[13]

Bereits ein Jahr später wurde aufgrund der stetig wachsenden Besucherzahlen mit dem Bau des Langhauses begonnen und 1752 samt Ausmalung und Verzierung zum Abschluss gebracht. 1754 fand die Weihe der Wallfahrtskirche statt, deren Ausstattungs- und Fassungsarbeiten mit dem Einbau der Orgel 1757 und der Anbringung einer Baldachin-Konstruktion 1758 beendet waren. Unter den härenden Kosten, angesichts der größtenteils von Meisterhand selbst ausgestalteten Baus, hatte das Steingadener Kloster noch jahrelang zu leiden und der Bauherr, Abt Maruanus II Mayr, abzudanken.[14] Dies bezeugt das barocktypische verschwenderische Moment der Bauherren, die mit der Wahl des Baumeisters eine repräsentativ reiche Ausgestaltung der Wallfahrtskirche zum Ziel hatten.

4. Zur architektonischen Gestaltung

4.1 Zum Außenbau

Der Sakralbau, auf der Anhöhe einer Wiesenfläche gelegen, erscheint als harmonisch in die umgebende Landschaft hinein komponiert, tritt doch eine Wechselbeziehung zwischen dieser und dem Bau zu Tage. So antwortet die Kirche mit ihrem Volumen und der Verbindung aus Satteldach des Altarhauses und Nartex mit dem Mansardendach des Langhauses auf die südlich aufsteigenden Trauchgauberge[15]. In ihrer schlichten Gestaltung scheint der Sakralbau nicht über die umgebende Natur zu dominieren, vielmehr sich in diese zu fügen.

Die Fassade der Kirche ist dezent, dennoch aufwendig gestaltet. Ihre Wände erscheinen als lichte Membran, derer Vielzahl an freigeformten Fensteröffnungen bereits auf das große innere Volumen vorausweisen. Neben den Fenstern wird die Fassade durch Pilaster, Säulen und Scheinarchitektur gegliedert.[16]

Hierbei wird die flachabschließende Querachse des konvexen Mittelbaus von je zwei Wandpilastern flankiert, weshalb dieser so in drei Kompartimente geteilt wird. Die beiden äußeren Kompartimente sind jeweils von zwei hohen, schmalen Fenstern mit dreipassförmigem Abschluss und den sich darüber befindlichen vierpassförmigen Oculi durchbrochen. Die Oculi des mittleren, leicht vorspringenden Kompartiments sind zu einer Dreiergruppe gefasst. Der Mittelbau wird von einem hohen, mansardenartig gebrochenen Kuppeldach geschlossen. Der von einem Satteldach gekleidete Ostbau des Chores wird von vier Fenstergruppen, zu je einem kleinen, runden Oculus in der Sockelzone, einem schmalen langen Fenster mit Dreipassabschluß in der Hauptzone und einem vierpassförmigen Oculus in der oberen Zone, rhythmisiert. Der Chorabschluss mündet in den dreigliedrigen, schlichten Glockenturm, der mit geschwungener Haube schließt [17]. Dieser fungiert konstruktiv als Bindeglied zwischen Altarhaus und den angrenzenden Prioratsgebäuden. Im Vergleich zu Steinhausen[18] in die Ostpartie des Sakralbaus gewichen, weise der Turm, so Norbert-Schulz (1975), erst das Altarhaus als eigentlichen End- und Zielpunkt der Wallfahrt aus[19]. Seine Situierung erklärt sich jedoch auch aus der vormals geplanten Eigenständigkeit des Altarhauses. Angesichts der östlichen, und so sekundären Position des Turms, scheint die Vorhallenfassade im Westen bewusst umso reicher gestaltet worden zu sein[20]. So wird die konvex gewölbte Vorhalle von je zwei Säulen auf doppelten Postamenten von dem ebenfalls konvex ausschwingenden Mittelbau begrenzt. Diese frei vorgesetzten Säulen kaschieren so als Paar seitlich den Ansatz der Fassadenbiegung. Das Hauptportal wird von zwei weiteren Säulen flankiert, wodurch auch die Vorhallenfassade in drei Achsen gegliedert wird. Diese werden jeweils von Portalen und den darüber befindlichen Fenstern markiert. Über dem Hauptportal wird die Fassade im Gegensatz zu den seitlichen Kompartimenten von einem Oculus in der obersten Zone durchbrochen. Das verkröpfte Gebälk der Fassade trägt einen volutenartig geformten Schweifgiebel. An dessen Enden mündet dieser nicht - wie zu erwarten wäre - in barocktypischen Voluten, sondern in zwei äußere, mit einer Stuckvase bestückten Giebelchen, die von den vorgelagerten Säulenpaaren getragen werden und dem Schildgiebel so räumlich vorgesetzt sind [21]. Trotz fehlender, flankierender Türme, die durch die stuckierten Vasen ersetzt worden zu sein scheinen, stehe laut Bauer (1985) die Vorhallenfassade in der Tradition konvexer Schildwände [22], wie sie auch, in säulenbestückter Variante, von Zimmermanns Zeitgenossen vielfach verwendet wurde .[23] Dieses Schema einer säulenbesetzen Schildwand beraubt die architektonischen Glieder ihrer tragenden Funktion und weist ihr, neben ihrer Funktion als Orientierungshilfe für den Wallfahrer im Falle der Wies , dekorativ-rhythmisierende zu, womit letztlich die kurvierte Fassade optisch in Bewegung gesetzt wird.[24] So ergibt sich ein Vor- und Zurückspringen der Bauelemente und die Kurvierung scheint nivelliert. Die ideelle Entsprechung zu dieser funktionslos gewordenen Konstruktion findet sich in der gemalten Scheinarchitektur des Außenbaus, die formal mit der tatsächlichen Architektur korrespondiert [25]. An dieser Stelle lässt sich somit eine Umkehrung traditioneller Gestaltungsprinzipien und Gattungsfunktionen beobachten: Ursprünglich tektonische Glieder werden einem Dekorationswillen unterworfen, wohingegen sich die Malerei der Illusion tragender Architekturglieder dienlich macht. In beiden Fällen werden die architektonischen Glieder, wie Hegemann (1958) dies formulierte, „bloßgestellt“[26] und die Disziplinen implizit als austauschbar ausgewiesen.

4.2 Zum Grundriss und seiner Entwicklung

Den Grundriss der Kirche bestimmt ein ovalförmiges Langhaus, dessen Form von zwei Kreissegmenten bestimmt wird, zwischen denen querhausartig ein Rechteck eingefügt wurde[27]. So findet sich hier die Verbindung aus geraden und gekurvten Teilstücken. Der Gemeinderaum wird konzentrisch von acht gedoppelten Freipfeilern von einem so geschaffenen Umgang begrenzt. Die Doppelpfeiler flankieren jeweils in breiteren Abständen die Längs- und Querachse des Gemeinderaums und gliedern den Umgang in je drei Joche, von denen die in den nördlichen und südlichen Seitenflanken breiter und tiefer sind. Die Freifeiler finden ihr Pendant an der Außenwand, an die Wandpfeiler angebracht sind, die die Querachse als Paar, die Längsachse als Einzelwandpfeiler markieren. Nach Osten hin schließt der tiefe, rechteckige Chor an, der von einer Stützenreihe, Pfeiler im Erdgeschoss, Säulen im zweiten Stock, in drei Achsen gegliedert wird. Im Westen ist an das Langhaus eine querovale Vorhalle gefügt, die vom Oval des Zentralraums angeschnitten wird.

Die erste Vorstufe zu dieser Grundrissgestaltung findet sich in Zimmermanns eigenem Werk, der bereits erwähnten Wallfahrtskirche in Steinhausen (1727-33), deren originelle Lösung ihn vermutlich an das Kloster Steingaden empfehlen ließ. Auch hier wird der zweischalige Gemeinderaum von einer Ellipse bestimmt, in das ein Rechteck eingefügt wurde [28]. Im Gegensatz zum Grundriss der Wieskirche, ist die Vorhalle rechteckig und der kleine, ovale Chor in ein Rechteck der Außenmauer gefasst. Chor und Vorhalle halten sich in ihrer Größe die Waage, weshalb hier eine Zentralisierung angestrebt scheint. Wie u. a. von Bauer (1985) betont wird, gehe dieses Raumkonzept wiederrum auf die Vorarlberger Barockmeister zurück[29]. In einem Musterbuch jener Meister[30] finden sich Grundrisse, in denen der Chor von mächtigen dreischiffigen Wandpfeilerkirchen als zentralisierter Ovalraum mit Freipfeilern gestaltet wurde, der im Norden und Süden in quadratischen Kapellennischen mündet.[31] Damit wurde das traditionelle Querhaus zumindest formal und situativ in die Konzeptualisierung miteinbezogen. Zimmermann verwendet diese architektonische Form eines Chors für die Gestaltung seines Gemeinderaums. Seine Realisierung des Konzepts eines elliptischen Raums mit einem bezeichnenderweise in die Raumschale integrierten Umgang scheint der Bauaufgaben - die der Wallfahrtskirchen - besonders angemessen, ist doch so ein Bewegungsfluss einer hohen Zahl an Wallfahrern zum Gnadenaltar gewährleistet [32]. Die geraden Seitenflanken der Außenmauern erscheinen als Relikt der quadratischen Kapellennischen des Vorarlberger Risses.

[...]


[1] Begriff leitet sich von der französischen Bezeichnung eines sich unter Louis XV. in Frankreich entwickelten neuen Ornamenttyps - der „rocaille“ - ab, der der Muschelform nachempfunden ist. Vgl. Lexikon der Kunst (1977), S. 153.

[2] Vgl. u. a. Dehio, In: Adler (1932), S. 189.

[3] So widerstrebt das Rokoko den streng symmetrischen architektonischen Anlegung und Ausgestaltung der Bauten, der Monumentalität der Fassaden in erstrebter Machtrepräsentation, der Hinwendung zum Jenseits in illusionistischen Himmelsdarstellungen, sowie der damit verbundenen Ernsthaftigkeit, die sich in schwerfälligen Themen und Farben der Bildprogramme - so beispielsweise des „ memento mori“- Motivs - manifestiert. Vgl. u. a. Gympel (1995), S. 52-61.

[4] Vgl. Hegemann (1958), S. 6.

[5] und „Prunksucht“ des Barocks gesehen. Vgl. hierzu Gympel (1995), S. 52-60.

[6] Die zumeist frankophil regiert wurden. Vgl. zum deutschen Rokoko Hegemann (1958), S. 5-20.

[7] Neben Cosmas Damian Asam, Balthasar Neumann und Johann Michael Fischer, derer rokokohafte Ausgestaltung von Sakralbauten allerdings zu den zimmermannschen Gestaltungsprinzipien divergent ist, wie weiter unten angeführt werden soll.

[8] Vgl. Hegemann (1958), S. 5-20.

[9] Das ikonografische Programm der Wies kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur in Kürze skizziert werden, insoweit, als dass es semantisch mit der Architektur verwoben ist.

[10] Vgl. hierzu Lamb (1937), S. 5-9; Norbert-Schulz (1975), S. 397; Hirmer u. Lill (1952), S. 6-7; Schnell (1956), S. 6-9.

[11] Hirmer u. Lill (1952), S. 6.

[12] Warum der Kirchenbau als Schwarzbau begonnen wurde geht laut Finkensteadt (1992: S. 48) aus den vorhandenen Quellen nicht hervor. Jedoch könnte diese Tatsache die typisch barocke Geisteshaltung klerikaler Mächte wiederspiegeln, ihre Position ein monumentales Werk repräsentieren zu lassen. So entstehen barocke Monumentalbauten in kürzester Zeit, befürchteten doch die Auftraggeber, ihr Nachfolger könne das jeweilige Bauvorhaben nicht weiterverfolgen. Vgl. hierzu http://www.kunstwissen.de/fach/f-kuns/a neu/02.htm#0.

[13] Zunächst wurde das Priesterhaus fertiggestellt, in dem die Wallfahrer beherbergt werden konnten. Daraufhin erfolgte die Errichtung des Altarhauses samt Sakristei und Turm. Vgl. Lampl (1987), S. 396.

[14] Vgl Schnell (1956), S. 3-5; Hirmer u. Lill (1952), S. 6; Bayrisches Landesamt für Denkmalpflege (1992), S. 2; http://deu.archinform.net/proiekte/4583.htm.

[15] Siehe Abb. 1.

[16] Siehe Abb. 2.

[17] Siehe Abb. 3.

[18] Hier ist der Turm in die Vorhallenfassade integriert. Siehe Abb. 4.

[19] Beherbergt dieser doch die Christus Skulptur. Vgl. Norbert-Schulz (1975), S. 143.

[20] Siehe Abb. 3 u. 5.

[21] Siehe Abb. 6.

[22] Vgl. Bauer (1985), S. 232-234.

[23] Vgl. hierzu die Bauten von Johann Michael Fischer und Johann Balthasar Neumann, Abb. 7 u. 8.

[24] Angesichts des Zurückweichens des Turms, entfiel dieser als Markierer des Eingangsbereichs. Mit der reichen Säulenbestückung der Vorhalle suchte Zimmermann vermutlich dieses zu kompensieren, heben sich die Säulen doch mit ihren farbigen Kapitellen von der restlichen, schlichten Fassadengestaltung ab.

[25] Vgl. Abb. 2.

[26] Vgl. Hegemann (1958), S. 10.

[27] Siehe Abb. 9.

[28] Siehe Abb. 11.

[29] Vgl. u. a. Bauer (1985), S. 178.

[30] Sog. Schussenrieder Planalbum. Vgl. ebd..

[31] Siehe Abb. 12.

[32] Die barocke Erfindung des elliptischen Grundrisses, folglich der Verschmelzung von Zentral- und Langbau, wurde insbesondere bei Wallfahrtskirchen zu realisieren gesucht. Ist der Zentralbau nur für kleinere Wallfahrtskirchen geeignet, behindert ein Langbau wiederum den Bewegungsfluss der Wallfahrer zum Gnadenaltar. Vgl. Koch (1988), S. 256.

Ende der Leseprobe aus 58 Seiten

Details

Titel
Architektur der Wallfahrtskirche „Zum Gegeißelten Heiland“ von Dominikus Zimmermann
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Kunstgeschichtliches Seminar)
Veranstaltung
Barocke Visualisierungen
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
58
Katalognummer
V275641
ISBN (eBook)
9783656680420
ISBN (Buch)
9783656680413
Dateigröße
6105 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
architektur, wallfahrtskirche, gegeißelten, heiland, dominikus, zimmermann
Arbeit zitieren
Eliza Grabarek (Autor:in), 2010, Architektur der Wallfahrtskirche „Zum Gegeißelten Heiland“ von Dominikus Zimmermann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275641

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