Sinn und Handlung. Religiosität und Inhalt


Hausarbeit, 2014

11 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Sinn und Handlung- Religiosität und Inhalt, Titelblatt

Inhaltsverzeichnis

Einführung in die Fragestellung

Gemeinsamkeiten von Anthropologie und Physiologie

These

Erfahrungen des Individuums in Bindungsbeziehungen

Auf die Vision kommt`s an

„Am Du entwickelt sich das Ich“
Die spirituelle Dimension in der Erhaltung der sozialen Gemeinschaft

Zusammenfassung

Schlusswort

Quellenangaben

Nicht das Navigationsgerät hat uns gestern nach Stonehenge geführt. Es waren einige freundliche Passanten, die sich auf meine Frage aus dem geöffneten Autofenster Zeit nahmen, sich konzentrierten und mir als erkennbaren ausländischen Touristen die nötigen Informationen gut verständlich zukommen liessen.

Staunend gehen wir um die steinernen, stummen Zeitzeugen, aber hörbar begleitet von Audioguides in vielen Sprachen und ebenso vielsprachiges Reden der vielen Besucher. Die Sonne setzt wider Erwarten die Szene in wechselndes, beeindruckendes Licht- und weckt, begleitet von den unterschiedlichen Eindrücken der Perspektiven auf das Objekt- die Fragen nach dem Grund, dem technischen Hergang der Entstehung, dem Sinn und dem Inhalt der Anlage, den diese als Botschaft ihrer Auftraggeber zu vermitteln hatte oder eventuell noch hat. Da uns aus der Zeit vor etwa 5000 Jahren offenbar keine eindeutig verlässliche Informationen übermittelt werden konnten, sind wir auf Vermutungen der Forschung angewiesen, um Antworten zu finden.

Auf der Rückreise in unser Hotel in Begleitung unserer Kinder relativieren sich die ungeklärten und hochgesteckten Ermittlungen unseres Geistes.

Eine kleine und willkürliche Auswahl an Fragen:

Welche Macht war aus welcher Motivation heraus mit welchen menschlichen Kräften und technischen Hilfsmitteln in der Lage, ein solches Monument zu errichten- und welcher Inhaltsvermittlung? Was hat uns selbst befähigt und geleitet, auf der Grundlage einer abgeschlossenen Bildung, einer zu einem ausreichenden Verdienst führenden Berufsausbildung, eine Familie zu gründen und unser als hilfreich und wesentlich erachtetes Geistesgut an unsere Kinder weiterzugeben? Welche Fähigkeiten unserer neurologischen Verarbeitungsmöglichkeiten sind besonders sensibel, um durch lebenserhaltende und lebensspendende Verhaltensweisen, Widerstandsfähigkeiten auf unsere Umwelt zu reagieren und in unserem direkten Umfeld weiter zu vermitteln?

Welche Quellen kulturübergreifender Forschungsarbeiten über konvergente Entwicklungen unserer Verhaltensweisen unterstützen die Annahme, dass in uns ein genetisch vorbereitetes, neurobiologisch erschliessbares Speicherreservoir vorhanden ist, um implizit oder explizit spirituell erfassbare Qualitäten aufzunehmen und in der weiteren Vermittlung und ständigen Bearbeitung in Kommunikation und Beziehung eine für unser Leben essentielle Kraftquelle und Steuermechanismus zu werden?

Sind es diese in unserem Erbgut überlieferten Erfahrungen transzendentaler Abhängigkeit, welche uns zu grossen Leistungen in der Vermittlung von spirituellen Inhalten, sozial als essentiell erlebten Ritualen und schliesslich zum Erstellen von Monumenten für die Erhaltung unserer Überlieferung inspirieren und motivieren?

Einigen von diesen Fragen möchte ich in meinen Überlegungen nachgehen. Als Grundlage möchte ich mich auf die Ergebnisse von wissenschaftlichen Arbeiten beziehen, die anhand der Beobachtung des Verhaltens höherer Lebewesen, welches zu gelingendem sozialen Zusammenleben dient, auf die Notwendigkeit einer spirituellen Beziehung hinweisen können.

2. Gemeinsamkeiten von Anthropologie und Physiologie

Bereits Malinowski (1944) weist darauf hin, das Kulturwissenschaften auf ihre überwiegend physiologische Basis grossen Wert legen sollte. Antworten auf Probleme der Zivilisation wie beispielsweise Entvölkerung oder Überalterung können nur im gemeinsamen Blick mit den Naturwissenschaften und derer Kenntnis der Vitalabläufe gefunden werden, welche in allen Kultureneinfach oder komplex- in unveränderlicher Abfolge im menschlichen Verhalten sichtbar sind (A.a.O.,112 ff). Umgekehrt genügt es nicht, lediglich aufgrund der physiologischen Vorrausetzungen ein Verhalten zu erklären, ohne die Kulturbedingungen zu kennen, in denen Menschen sozialisiert wurden und spezifische Kulturreaktionen entstanden sind (A.a.O. ,122 ff ). Er verweist auf den notwendigen Transfer zwischen Natur- und Kulturwissenschaft.

Er führt den von der Psychologie auf die Kultur übertragbare Beobachtung an, dass- wenn eine Gewohnheit oder Verhalten nicht ständig neu gebahnt, ausgeführt wird, diese verlernt wird; In einer Kultur besteht so kein System von Handlungen, wenn diese nicht unmittelbar mit menschlichen Vitalabläufen in Zusammenhang stehen und ausgeübt werden (A.a.O., 167 ff).

Viele lebensnotwendige Fähigkeiten erhalten wir Menschen - und Lebewesen allgemein- bereits durch genetisch vermittelte Informationen zu Beginn der Keimentwicklung zur Verfügung gestellt, ohne die ein Wachstum und später der lebenserhaltende Dialog mit dem Gegenüber, der wesenseigenen Bezugsperson, nicht möglich wäre. Es gehören hierzu die sich entwickelnden Sinnesorgane und deren Fähigkeit, sich in der Wahrnehmung von sich selbst und mit dem Gegenüber Informationen adäquat zu verarbeiten und miteinander zu verknüpfen, um mit wachsender Kompetenz in die lebensnotwendige Kommunikation mit dem jeweils wesensspezifisch gegebenen Partner sein Selbst entwickeln zu können.

Religion ist laut Malinowski das Kernstück jeder Kultur und ist mit allen Formen der Organisation von Gemeinschaft und des individuellen Lebens verbunden͘ Er zitiert Fraser: „Leben und Leben erzeugen, zu essen und Kinder zu zeugen, das sind die primären Wünsche des Menschen in aller Vergangenheit, und das werden seine primären Wünsche bleiben, solange die Welt steht͘“ ( ͘a͘O., 192).

Auf der Basis dieser primären biologischen Bedürfnisse entwickeln sich- motiviert durch die Aussicht auf Erfolg- neues Verhalten mit dem Ziel, die neu entstandenen Bedürfnisse zu organisieren.

Die Magie übernimmt in Verbindung von Ritual und Mystik die Befriedigung nach Optimismus, ein Bedürfnis von Wissen und Vorhersage. Darauf gründet mit der Frage nach dem Ursprung und Ziel des Menschengeschlechtes das Bedürfnis nach Religion und ihrer Organisation des Lebens in seiner Spanne zwischen Geburt und Tod, Neubeginn und Abschied (A.a.O.,193) .

Auf drei Wirkfaktoren in der Kommunikation möchte ich mich unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung des zur eigenen Entwicklung notwendigen Dialoges beziehen:

2.1. Die eigene Wahrnehmung und gesicherte Entwicklung dieser in den aufeinander aufbauenden und untereinander bezogenen Stufen (Daniel Stern 2007),

2.2. Das Vorhandensein der jeweils artspezifischen Bezugspersonen, welche durch zugewandten Dialog und der zur Verfügung gestellten wachstumsfördernden Qualitäten der Kommunikation ins Leben führen (Grossmann 2004)

2.3. Die zum Teil stammesgeschichtlich vermittelte und auch erworbene Fähigkeit, sich als Wesen in Bezug in der Zeit, von Vergangenheit und deren Erfahrung über das Jetzt zur Zukunft vorzustellen und somit Handlung, deren Sinn und Konsequenzen zu erleben, einzuordnen und sich aufgrund dieser Erfahrung zu organisieren und zu kommunizieren.(Bischof-Köhler 2000)

In allen drei Bereichen lassen sich die lebensschaffenden Einwirkungen durch eine Interaktion in einer Beziehung feststellen. Sie dienen sowohl dem Schutz des Individuums, der Erhaltung und Förderung der Kommunikation und Organisation im eigenen sozialen Verbund und der Vernetzung mit der erlebten Umwelt, mit dem Zweck zur Entwicklung, Erhaltung und Tradierung der überlieferten und erworbenen Intelligenz. Ein transzendental erlebter Einfluss ist als erschaffende und erhaltende Grundlage richtungsweisend erkennen. Aus diesen Überlegungen heraus stelle ich folgende These auf:

3.These: Der Bedarf nach praktisch erlebter Ausübung einer Religion liegt im Grundbedürfnis des Menschen kulturübergreifend zugrunde, er manifestiert sich in Beziehungen untereinander. Glaube wird durch Erziehung und in Beziehungen vermittelt und in gemeinschaftlichen Ritualen gestärkt. Bereitschaft zur Religionsausübung trifft auf ein neurobiologisch vorbereitetes Reservoir. Der lebensnotwendige Sinn erschliesst sich somit nicht allein in Arbeit und deren Ertrag, sondern entscheidend in der individuellen Fähigkeit, mit dem menschlichen Gegenüber in Beziehung und Kommunikation zu treten und Zugang zur spirituellen Dimension eines persönlichen Glaubens zu finden.

Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nicht in meiner Absicht liegt, mich mit diesen Betrachtungen zwischen evolutionärer und kreationistischer Sichtweise auf eine bestimmte Position zu beziehen. Ich möchte auf beobachtbare Zusammenhänge hinweisen und einladen, gemeinsame Erkenntnisse aus beiden wissenschaftlichen Richtungen zum Schutz des Individuums und der Gesellschaft im Dialog zu nutzen.

In den folgenden Ausführungen möchte ich mich auf die drei oben genannten Eigenschaften beziehen und die unterschiedlichen Forschungsgebiete gegenüberstellen.

Zu 2.1.: Das Selbstentwicklungskonzept nach Daniel Stern (Stern, D., 2000/dt.2007) beschreibt, wie sich beim menschlichen Säugling das Empfinden des Selbst als zunehmend eigenständig und abgegrenzt, in Abhängigkeit mit seiner Umgebung unter Nutzung sich stetig erweiternder Kommunikationsmöglichkeiten bereits vor der eigentlichen Entbindung entwickelt. Der Beginn dieses Prozesses verschiebt sich mit je nach Fortschritt der neurobiologischen Forschung und deren Möglichkeiten der Messung und Interpretation von relevanten Parametern immer weiter vor den Geburtstermin. Stern erläutert ein stufenartig überlagertes Modell, das nach Wahrnehmungs- und Kommunikationskompetenzen zunächst drei präverbale Stufen und darauf aufbauend diverse verbale Stufen darstellt.

Bereits im vor der Geburt beschriebenen ersten Stufe, dem auftauchenden Selbst, auf amodale und physiognomische Wahrnehmung als Antwort Vitalitätseffekte zu beobachten(A.a.O.,30).

Ab einem Alter von etwa drei Monaten erlebt sich der Säugling in den drei Wahrnehmungsqualitäten Selbstwirksamkeit, Selbstkohärenz und Selbstkontinuität in der Gemeinschaft mit anderen „Selbst“͘

Eine Aufmerksamkeit dem anderen Gegenüber zugewandt, die deren Handlungen und deren Sinn wahrnimmt, darauf mit eigenen beabsichtigten Äusserungen in zunächst averbaler Art oder einer beabsichtigten emotionalen oder aktiven Reaktion antwortet, wird als dritte präverbale Stufe, die Entwicklung des intersubjektiven Selbst, unterschieden.

Die gegenseitige Kommunikation ist somit Grundlage jeder gelingender biologischen und sozialen Entwicklung (A.a.O.,187, 239).

Zu 2.2.: Erfahrungen der Individuen in Bindungsbeziehungen

Erfahrungen der Individuen in Bindungsbeziehungen werden als zentrale, das Selbst organisierende Mechanismen bezeichnet, hier begegnen sich die unterschiedlichen Prozesse der internalen und sozialen Entwicklung(Grossmann,2004,63). Bereits Piaget (eA.a.O, 62) beschreibt die Zusammenhänge der Intelligenzentwicklung eines Kindes in der Interaktion auf Wahrnehmung der Aussenwelt und die eigene, aktive Entwicklung passender Reaktionen auf diese Reize. Der Entwicklungsprozess verläuft individuell, er ist - im Gegensatz zum Tier- offen, auf Mitgestaltung der Umwelt ausgerichtet und der Dialog, sowohl unter der eigenen sozialen Beziehung als auch der transzendental ausgerichtete- endet nicht mit Erreichen einer Stufe, welche beispielsweise die Erhaltung der eigenen Art ermöglicht (Bischof- Köhler, 2011): „Der Mensch ist als einziges Lebewesen in der Lage, vergangene und zukünftige „Bedürfnislagen“ so zu vergegenwärtigen, dass diese mit aktuellen Bedürfnissen in Wettstreit treten können͘“ Eine Vorstellung über den Verlauf von Ereignissen ist die Grundlage, sich künftige Bedürfnisse vorstellen zu können. Wir sind in der Lage, die Welt als einen von uns selbst unabhängigen Prozess zu verstehen, dessen Verlauf in uns Bedürfnisse hervorrufen kann und wir zur aktiven Entscheidung und erfinderischen Reaktion auf Anforderungen aufgefordert sind (A.a.O. 4 u. 10).

Vor allem für die in der Zukunft vorgestellten Bedürfnisse entwickelt sich so die Kompetenz, vorauszuplanen und zum Beispiel Vorräte anzulegen, obwohl noch keine Not aktuell gespürt wird. In Beziehungen kann so im Vordergrund überlegt werden, unter welcher Konstellation eine Mannschaft in einem Wettbewerb erfolgreich sein kann.

Nach dem aktuellen Stand der Forschung (A.a.O. 41) sind Kinder ab dem vierten Lebensjahr in der Lage, auf eine geistige Zeitreise zugehen, also ihr „Ich“ auf einer Zeitachse als verschiebbar vorzustellen, und - wohl aus dem funktionellen Zusammenhang der Entwicklung- sich im Konzept „Theory of Mind“ aktuell nicht gegenwärtige Motivationszustände anzunehmen. Der junge Mensch ist nun als einziges Lebewesen in der Lage, sich separat unterschiedliche Bezugssysteme vorzustellen. Dem Kind wird bewusst, dass es neben seiner eigenen Wahrnehmung, einer eigenen Repräsentation seines Erlebens, noch andere - die seines Gegenübers, seiner Eltern etc. gibt und ist zunehmend in der Lage, diese unterschiedlichen Perspektiven in seinem Handeln und Planen zu berücksichtigen (A.a.O. 242).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Affekte und Motive in der Vergangenheit sind umgekehrt die Grundlage für Rache, Bedürfnis nach Vergeltung und Umkehrung der Erfahrung.

Zu 2.3.: „ m Du entwickelt sich das Ich“

Dieses Zitat von Martin Buber möchte ich über die folgenden Ausführungen zu unserer sozialen Entwicklung stellen( Buber 1995). Sowohl theologisch, philosophisch, ethnologisch als auch neurobiologisch entfaltet sich diese Erfahrung im Individuum und in seinen Beziehungen. Laut der „Theory of Mind“ kann Empathie auch als Mechanismus gelten, im Gegenüber emotionelle Zustände zu erkennen und entsprechend eigenes Handeln, helfendes Eingreifen oder Diskriminieren eigener Bedürfnisse darauf einzustellen (Bischof-Köhler, 2011,10)

Bereits im Tierreich gibt es fundierte Beobachtungen über sowohl dem einzelnen Individuum und den sozialen Verband schützende Verhaltensweisen in deren Verhaltensinventar. Diese orientieren sich an der aktuellen Befindlichkeit der Tiere im Verband und haben die Stabilisierung des Gefüges zum Ziel, das nur mit möglichst ökonomischen Verhalten erreicht werden kann. Der Ausschluss von Einzelnen muss verhindert werden, um beispielsweise eine erfolgreiche Jagd mit der Gruppe abzuschliessen. So werden von einzelnen Tieren bewusst die Verlierer von Rangkämpfen aufgesucht, wieder im Verband integriert und auch mit Futter versorgt (Demutsverhalten, Eibl-Eibesfeldt 1999, 543, 579 „Regel des

Erstbesitzers“)). Obwohl in Tierversuchen erwiesen ist (Bischof-Köhler 2011), das Tiere nicht über die Fähigkeit der zeitlichen mentalen Reise verfügen und ihre Handlungen rein aus stammesgeschichtlicher Überlieferung- aus Instinkt - ausführen, dienen die meisten Handlungen doch der Absicherung einer eventuell zukünftig stattfindenden gemeinsamen Aktivität, in diesem Fall eine Jagd.

In den menschlichen Kulturen haben sich viele auf Dialog und gemeinsame Kommunikation basierte Verhaltensweisen entwickelt. Begonnen bei der gemeinsamen Versorgung einer Sippe, der Werbung um einen Partner, von den intuitiv beschriebenen Kontakthandlungen zwischen Mutter und Kind bis zur Begleitung in Krankheit und Abschied durch Tod begegnen uns in allen Kulturen soziale, der Gemeinschaft im Zeitverlauf dienliche Verhaltensweisen (Papousek 2011))

Bekannt ist, dass Geninformationen und deren Aufbau in Abhängigkeit zu erlebten Erfahrungen reagieren(Laktation & Stillen, 2012). Traumatisierte Kinder beispielsweise zeigen in den Geninformationen verkürzte Telomere- zunächst ohne das bislang erforscht ist, welche Folgen dies neurobiologisch hat. Bekannt ist aber auch, dass unser Gehirn eine Plastizität im Verarbeiten von Erfahrungen und Wahrnehmungen besitzt. So sind wir in der Lage, durch lernen in Verbindung mit motivierenden guten Emotionen in zugewandten Bindungssystemen die „schlechten“ Erfahrungen auszugleichen (Annunciato 2000).

Auffallend ist die starke Abhängigkeit unserer menschlichen Entwicklung in allen Bereichen von den ersten Bezugspersonen bis zum Gelingen von eigenverantwortlichem Handeln, der Entdeckung der Selbstwirksamkeit, dem kontinuierlichen Aufbau der Kommunikation- und der Notwendigkeit, sich selbst und sein Verhalten, seine Motivationszustände, im Gegenüber zu erleben. Um dieses Erleben und dessen Möglichkeit flexibel auf interne und externe Einwirkungen zu reagieren darzustellen, hat Bowlby sein Konzept der inneren Arbeitsmodelle entwickelt.

Bowlbys internale Arbeitsmodelle möchten entwicklungsbezogen sowohl nonverbales und sprachliches Bewältigen von Herausforderungen aufeinander aufbauend beschreiben (Grossmann, 2004, 422 ff.). Sie sollen in der Lage sein, Ereignisse in besonders zwischenmenschlichen Beziehungen und ihr Einwirken auf die inneren Motivationszustände zu beschreiben. Diese unterliegen Änderungen, ausgelöst durch intensiv erlebte Ereignisse wie Geburt, Krankheit, Trennung oder Tod in einer Familie. Bei den Betroffenen ändern sich daraufhin deren internale Arbeitsmodelle.

Durch oben erwähnte Plastizität unserer Interaktionsmuster ist es möglich, beispielsweise in einem therapeutischen Rahmen bewusst die sichere Seite eines inneren Arbeitsmodells zu stärken durch einen Prozess der Neubewertung und Rekonstruktion eines Weltbildes. Die vorher in einem unangepassten Interaktionsmuster agierenden Menschen kommen so in die Lage, den jeweiligen Anforderungen nun angemessen gegenüber handeln zu können.

Nicht nur in belastenden Situationen, sondern gerade in Bindung in Familie, am Arbeitsplatz und in der Teilhabe mit anderen in der Freizeit sind wir in unseren Entscheidungen und unserer Planung auf Halt und Sicherheit in unserem Weltbild angewiesen. Teilhabe an einer religiösen Gemeinschaft und deren Rituale können entscheidend zur Stabilisierung beitragen.

3.1 Die spirituelle Dimension in der Erhaltung sozialer Gemeinschaft

Uns Menschen ist es durch seine Sonderstellung unter den Lebewesen - der Teilhabe an „Theory of Mind“, als kognitive Kompetenz, sich selbst, auch das „Selbst“ seiner Bezugspersonen, seiner Familie und der sozialen Gemeinschaft auf einer mentalen Reise zu repräsentieren- möglich, antizipierte emotionale Zustände wie beispielsweise nach einer erlebten Kränkung oder einem schweren Verlust durch unsere Möglichkeiten der Kommunikation mitzuteilen und in Ritualen zu verarbeiten. Wir teilen Freude und Leid in einer kulturell tradierten, gemeinsamen Handlung. Die im Ritual erreichte synchronisierte Gemeinschaft vermittelt den Teilnehmern Stabilität, vermittelt Geborgenheit, hilft zu Delegation seines Anliegens an ein so gemeinsam verehrtes Höheres Wesen - Gott.

Um Überleben und Lebensqualität zu sichern, sind auch Glaubensqualitäten entscheidend. Die Fähigkeit, mein Gegenüber wahrzunehmen, mich in es hineinzuversetzen, Umgang mit Emotionen, die Fähigkeit auf Aggression zu reagieren in Kommunikation, unsere Beziehungsfähigkeit, die Fähigkeit zur Vergebung als lebenserhaltende Fähigkeit individuell und im sozialen Netz (Grabe 2012, Rösing 1987), befähigt uns dauerhaft in zukunftsgerichtet lebender Gemeinschaft zu leben. (Sippe / Gemeinschaft, Malinowski, 1975,32 ff., Eibl-Eibesfeldt 1999, 461)

Erlebte Konflikte können innere Repräsentationen aus der Balance bringen. Es gelingt dem Betroffenen nicht ausreichend, seine internen Motivationszustände wieder ins Gleichgewicht zu bringen und mit der als Aggressor wahrgenommenen Person auf Augenhöhe in einen klärenden Dialog zu treten (Grabe 2007). Die Beziehung bleibt ohne gültige Auflösung des Konfliktes gestört, die Gemeinschaft untereinander nimmt zunehmend Schaden und ist nicht wie vorher in der Lage, ein für alle Beteiligten ausreichendes Funktionsniveau an Schutz und Integration zu bieten. In der Religion und ihren Ritualen liegt ein entscheidendes Potential, das spätere innere Arbeitsmodell (Bowlby in Grossmann 2004 ) zu reorganisieren, damit die Betroffenen mit belastenden Herausforderungen besonders in ihrem sozialen Umfeld adaptiv umgehen können und zukünftig lernen, wie angemesseneres Verhalten und innere Motivationen zu erreichen sind.

Die Dimension, die der Glaube an einen handelnden Gott eröffnet, der durch tradiertes Wissen, geschriebene Worte, die Codices vermitteln und Menschen im Ritual zum Dialog aufgefordert oder eingeladen werden, bietet neben der Hilfe des Verstehens, einer Relativierung von geschehenem Unrecht insbesondere den Weg der Delegation. (Grabe 2007, 112 ff.)

Während der Erforschung von Trauer und damit verbundenen Ritualen im religiösen Kontext in fremden Kulturen im Vergleich zur europäischen Kultur fällt das Tabu auf, von zu vermittelnden Werten wie Inhalt, Sinn und Glaube zu sprechen (Rösing 1987). Lediglich durch aus der Theologie kommenden Trauerforscher werden vorgegebene Inhalte vermittelt, welche- so die weitere Kritik Rösings (A.a.O. 451ff) an Mitgliedschaft und Pflichterfüllung innerhalb einer Glaubensgemeinschaft gebunden sind und somit nicht ausreichend Trost und Sinn geben können. Um kognitive Neuorientierung in gerade einer Lebenskrise geben zu können, müssen in der Begleitung der Betroffenen grundsätzlich sinntragende Handlungen, die Vergangenheit und Zukunft verbinden, angewendet werden (A.a.O.,460, Schnell 2009, 292 ff).

Hier wird in persönlicher Betroffenheit gelebter Glaube hilfreich zu gemeinsamen richtungsweisenden Handlungen einladen können.

4. Zusammenfassung :

Um erfolgreich im zur individuellen Entwicklung vorausgesetzten Beziehungsnetz emotionale Kompetenzen zur Erlangung ausreichender Planungs- und Handlungskompetenzen zu erreichen, bedarf es somit erhaltender spiritueller Beziehung mit dessen angelegtem Entwicklungspotenzial im Individuum. Selbstentwicklung und Erhaltung einer Kultur unterliegen den gleichen fördernden Mechanismen. Eine spirituelle Dimension ermöglicht dem Menschen Sinnfindung und zukunftsgerichtetes Handeln.

5. Schlusswort

„Je stärker sich die Menschen in die Lebensweise hineinbegeben, die von Konsum, Leistungsfähigkeit und Erfolg geprägt ist, umso schwieriger wird es, in sich den Raum für das Göttliche zu halten und sich in ihm mit Gott, der Natur und den Menschen zu verbinden. Das macht einsam und es erschwert den Zugang zu rituellem Tun. Wer Rituale auf der gleichen Ebene ansiedelt wie den Besuch im Sportstudio, das eine ist gegen die Rückenschmerzen, das andere gegen die Trauer, wird nie erspüren können, wie aus dem Dunkeln, aus dem Geheimnis aus der Bezogenheit auf etwas nicht Fassbares Hilfe und Sinn erscheinen͘“ (Zitat aus:“ Dialog mit Sterbenden, zuhören reden sich verstehen „Ina Rösing ; 250 , Werner Burgheim Hrsg. ,(2005)

Quellenangaben:

Annunciato, N.F. (2000) Neurophysiologische Grundlagen der Hirnleistungsstörungen. Freiburg: Karger Bischof-Köhler,D., (2000).Kinder auf Zeitreise. Bern: Huber

Buber, M., (1995).Ich und Du. Stuttgart: Reclam

Burgheim, W.(2005) Forum Gesundheitsmedien, Merching

Eibl-Eibesfeldt, I., (1999). Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung. München: Piper

Grossmann, K. und K. E. (2004). Bindungen, das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta Grabe, M., (2007), Lebenskunst Vergebung. Marburg: Francke

Malinowski, B., (1975). Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur. Berlin: Suhrkamp Papousek, M. (2011). Festvortrag zur 16. GAIMH, Universität Wien Rösing, I.(1987). Die Verbannung der Trauer. Nördlingen: GRENO Schnell, T. (2009) Implizite Religiosität. Lengerich: Pabst Stern, D. (2007) Die Lebenserfahrung des Säuglings. Stuttgart: Klett- Cotta

Bildquellen :

Deckblatt : Stonehenge, Bild von Autor 2013 S.7 Tiki Küstenmacher, Quelle: Google Bilder

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Sinn und Handlung. Religiosität und Inhalt
Hochschule
Evangelische Hochschule TABOR, Marburg
Veranstaltung
Religion und Psychotherapie
Autor
Jahr
2014
Seiten
11
Katalognummer
V275582
ISBN (eBook)
9783656682660
ISBN (Buch)
9783656682608
Dateigröße
911 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sinn, Handlung, Bindung, Religiosität, Anthropologie, Spiritualität
Arbeit zitieren
Gert Klettke-Stehmeier (Autor:in), 2014, Sinn und Handlung. Religiosität und Inhalt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275582

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