Klinisches Risikomanagement auf der Basis des Critical Incident Reporting Systems


Masterarbeit, 2013

100 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anlagenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
1.2 Zielsetzung der Arbeit

2 Begriffserklärungen
2.1 Risikobegriff
2.2 Risikomanagement
2.2.1 Ziele des Risikomanagements
2.2.2 Risiko- und Qualitätsmanagement
2.3 Fehler
2.4 Critical Incident Ansatz
2.5 Abgrenzung Beinahezwischenfall und Zwischenfall

3 Rahmenbedingungen für das Risikomanagement in Krankenhäusern
3.1 Klinisches Risikomanagement
3.1.1 Risikomanagementprozess
3.1.2 Ziele des klinischen Risikomanagements
3.2 Risikomanagement als Führungsaufgabe
3.3 Fehler- und Sicherheitskultur
3.3.1 Fehlerkultur
3.3.2 Haftungsrechtliche Fehler im Krankenhaus
3.3.3 Betriebswirtschaftliche Bedeutung von Fehlern
3.4 Rechtliche Rahmenbedingungen
3.4.1 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)
3.4.2 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten
3.5 Kommunikation

4 Critical Incident Reporting System als Instrument des Risikomanagements
4.1 Historische Entwicklung
4.2 Grundsätze des CIRS
4.3 Rechtliche Bedeutung
4.4 Methodik des CIRS
4.4.1 Ereignismeldung
4.4.2 Anonymisierung
4.4.3 Analyse
4.4.4 Risikobewertung
4.4.5 Vermeidungsstrategien
4.4.6 Feedback und Evaluation
4.5. Bedeutung des CIRS für das klinische Risikomanagement

5 Empirische Untersuchung
5.1 Ziel und Fragestellung
5.2 Methodik
5.2.1 Erhebungsdesign
5.2.2 Technikeinsatz
5.2.3 Auswahl der Stichprobe
5.2.4 Aufbau des Fragebogens
5.3 Ergebnisse
5.4 Diskussion der Ergebnisse

6 Empfehlung für das Risikomanagement

7 Zusammenfassende Schlussbemerkung

8 Literaturverzeichnis

Anlagen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Verteilungen nach Trägerschaften und Umsetzungsstand. Quelle: Eigene Darstellung

Tabelle 2:Verteilungen nach Bettenanzahl und Umsetzungsstand. Quelle: Eigene Darstellung

Tabelle 3: Kategorien zur CIRS-Definition. Quelle: Eigene Darstellung

Tabelle 4: Entscheidungsträger über die abzuleitenden Maßnahmen. Quelle: Eigene Darstellung

Tabelle 5: Kategorisierung der offenen Antworten zu möglichen Problemen/Schwierigkeiten bei der Umsetzung des CIRS. Quelle: Eigene Darstellung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Der Risikomanagementprozess als Regelkreis Quelle: (Middendorf 2006, S.27)

Abbildung 2: Risikobewertungsstufen (Quelle: Pietrowki/Ennker/Kleine 2007, S. 114)

Abbildung 3: Bereitschaft des Personals zur Nutzung des CIRS. Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 4: Art der Meldungen im CIRS. Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 5: Informationsgrad der CIRS-Meldungen. Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 6: Häufigkeiten der Maßnahmen. Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 7: Einstellung zum CIRS als Instrument der Risikoidentifikation. Quelle: Eigene Darstellung

Anlagenverzeichnis

Anlage I: Fall des Monats August 2012. Quelle: König 2013

Anlage II: Online-Fragebogen

Anlage III: Einladungsnachricht

Anlage IV: Erinnerungsnachricht

Anlage V: Ergebnisse der Befragung

Anlage VI: Kommentare zur Variable 5 bezüglich der CIRS-Nutzungsbereitschaft

Anlage VII: Kommentare zur Variable 6 zur Definition des CIRS

Anlage VIII: Sonstige Angaben zur Variable 7 andere Meldungen

Anlage IX: Kommentare zur Variable 12 Entscheidung über Maßnahmen

Anlage X: Kommentare zur Variable 16 über Probleme/Schwierigkeiten bei der Umsetzung des CIRS

Anhang XI: Sonstige Angaben bezüglich Personalinformation über das CIRS

1 Einleitung

1.1 Ausgangssituation und Problemstellung

Der Grundsatz des hippokratischen Berufsethos „Primum non nocere" verlangt eine möglichst schadensfreie Versorgung der Patienten durch das gesamte medizinische und pflegerische Personal. Die Versorgung von Patienten war jedoch, wie jede andere Disziplin, nie frei von Fehlern, vielmehr gingen diese von den frühesten Anfangen an mit ihr einher (vgl. Imhof 2010, S. 9). Dennoch ist der öffentliche und wissenschaftliche Diskurs über Behandlungsschäden in der medizinischen Versorgung eine relativ neue Erscheinung (vgl. Löber 2012, S. 1).

In der Öffentlichkeit und besonders in den Medien wird das Thema Fehlbehandlungen in Krankenhäusern mittlerweile kontrovers diskutiert. Dies verunsichert die Patienten, die oftmals in einer Notsituation keine Wahlmöglichkeit haben, sich für eine Klinik eigenständig zu entscheiden. Für die Kliniken sind schwere medizinische Behandlungsfehler nicht nur eine Gefahr für die Patientensicherheit. Schwere Behandlungsfehler können eine gute öffentliche Reputation gefährden und damit ferner ökonomische Schäden durch Klagen von Geschädigten verursachen. Hierzu zählen insbesondere auch höhere Versicherungsprämien für Krankenhäuser (vgl. Köbberling 2005, S. 1).

Diese Umstände bedingen, dass die Thematik des Risikomanagements auch in den Kliniken aufgegriffen wurde (vgl. Holzer u.a. 2005, S. 11). Ein Instrument zur Identifikation von Risiken ist zum Beispiel das Critical Incident Reporting System (CIRS). Mittels des CIRS sollen Beinahezwischenfälle gemeldet werden, im Zuge derer es zu Schäden am Patienten hätte kommen können (vgl. Ertl-Wagner 2009, S. 152). Viele Krankenhäuser nutzen bereits das CIRS, um mögliche Risiken zu identifizieren.

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Die dargestellte Problematik zeigt, dass Krankenhäuser vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt sind, um Zwischenfälle in der Versorgung der Patienten zu vermeiden.

Übergeordnetes Ziel in dieser Masterarbeit ist es, zu untersuchen, inwieweit CIRS ein geeignetes Mittel zur Risikoidentifikation ist und welche Chancen und Grenzen das CIRS in der praktischen Umsetzung bietet. Dabei geht es insbesondere darum, welche Schwierigkeiten in der Praxis entstehen und wie diese gelöst werden können.

Zunächst werden die für diese Arbeit wichtigen Begriffe beschrieben und voneinander abgegrenzt. Im Anschluss daran erfolgt die Darstellung der für das Risikomanagement geltenden Rahmenbedingungen, die für die Umsetzung des CIRS relevant sind. Hierfür wird der Risikomanagementprozess näher erläutert. Die betriebswirtschaftlichen und haftungsrechtlichen Bedeutungen von Fehlern werden beschrieben und die rechtlichen Rahmenbedingungen des Risikomanagements erörtert. Daran anschließend sollen die kommunikativen Strukturen für die Umsetzung des CIRS thematisiert werden, die für eine erfolgreiche Implementierung wichtig sein können.

In Kapitel 4 erfolgt eine ausführliche Darstellung des CIRS. Diese beinhaltet die Beschreibung der historischen Entwicklung, der Grundsätze und der methodischen Ausgestaltung des Konzeptes. Abschließend soll in diesem Kapitel die Bedeutung des CIRS für das klinische Risikomanagement dargestellt werden.

Um die Forschungsfragen beantworten zu können, soll eine quantitative Befragung an deutschen Krankenhäusern durchgeführt werden. Aus dieser Untersuchung sollen Ergebnisse abgeleitet werden, die dabei helfen sollen, die oben beschriebenen Forschungsfragen zu beantworten. Darüber hinaus sollen aus den Ergebnissen Empfehlungen für das Risikomanagement zur Umsetzung des CIRS erarbeitet werden.

2 Begriffserklärungen

2.1 Risikobegriff

Um die Bedeutung des klinischen Risikomanagements analysieren zu können, ist es zunächst notwendig, den Begriff „Risiko" näher zu bestimmen. Dies ist insofern notwendig, da der Risikobegriff nicht einheitlich definiert ist und sehr verschiedenartig angewandt wird (vgl. Middendorf 2006, S.18). Etymologisch werden dem Begriff unterschiedliche Bedeutungen zugeordnet. Im 14. Jahrhundert wurde der Begriff Risiko in Italien im Zusammenhang mit einem „pekuniären Wagnis in einem Handelsgeschäft" (Münckler 2010, S. 19) verwendet. Das italienische „rischio" bzw. „rischiare" hatte ursprünglich wohl die Bedeutung, Klippen zu umsegeln bzw. sich in Gewässer mit klippenreichen Gebieten zu begeben (vgl. Münckler 2010, S. 19). Der Risikobegriff ist demzufolge mit einer Gefahr verknüpft, sich in gefährliche Gebiete zu wagen und sich den Herausforderungen zu stellen (vgl. Münckler 2010, S. 19).

Um ein besseres Verständnis des Risikobegriffes zu erhalten, soll in diesem Zusammenhang eine differenzierte Betrachtung erfolgen. Middendorf legt folgende Kategorien fest: ein alltägliches, mathematisches, soziologisches, entscheidungstheoretisches, ökonomisches und systemorientiertes Risikoverständnis (vgl. Middendorf 2006, S.18 f.). Im alltäglichen Sprachgebrauch geht es um die inflationäre Verwendung des Begriffs, beispielsweise beim Risiko im Glücksspiel (Middendorf 2006, S. 19). Die mathematische Sichtweise erfasst den Risikobegriff als „[...] das Produkt aus dem Ausmaß eines Ereignisses (A) und dem Grad für die Möglichkeit seines Eintretens (W) auf" (Middendorf 2006, S. 19).

Das soziologische Verständnis unterscheidet zwischen Risiko und Gefahr (vgl. Middendorf 2006, S. 19).1

Die systemorientierte Risikoauffassung betrachtet Risiko aus einer breiteren Perspektive und versteht es als „die Summe aller Möglichkeiten, dass sich die Erwartungen eines Systems aufgrund von Störprozessen nicht erfüllen" (Middendorf 2006, S.20).

Die beschriebenen verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten des Risikobegriffes sind teilweise eher enger gefasst, wie zum Beispiel die mathematische Sichtweise. Andere Definitionen, wie der systemorientierte Risikobegriff, betrachten Risiken als ein Produkt aus systembezogenen Prozessen. Verallgemeinernd lässt sich konstatieren, dass Risiken überall entstehen, aber verschiedene Auffassungen zur Beschreibung von Risiken für bestimmte Kontexte existieren. Krankenhäuser sind Organisationssysteme, die für die Erbringung von personalen Versorgungsdienstleistungen eine Vielzahl von Prozessen organisieren und durchführen müssen. Diese Prozesse bergen ein hohes Risikopotential. Dies liegt darin begründet, dass die Prozesse in enger Verknüpfung zueinander stehen.

Im Gegensatz zu der Erstellung von materiellen Gütern unterliegen personenbezogene Dienstleistungen oftmals dem „uno-acto-Prinzip", das heißt, dass die Erstellung und der Konsum der Dienstleistung in einem Akt realisiert werden (vgl. Fretschner/Hennicke/Hilbert 2000, S. 99 f.). Ein Fehler kann dadurch zu einem nicht reversiblen Schaden am Patienten führen. Risiken können sich daher bei der Durchführung dieser Prozesse in ihrem potenziellen Schadensausmaß kumulativ verstärken. Die Konsequenz kann ein vernachlässigbares Schadensausmaß sein, aber es können auch immense Schäden verursacht werden beispielsweise mit Todesfolge eines Patienten (vgl. Pietrowski/Ennker/Kleine 2007, S. 3). Dies soll verdeutlichen, dass das durch einen konkreten Sachverhalt begründete Risiko stets zu bewerten ist. Die oben erläuterte mathematische Sichtweise spricht in diesem Zusammenhang von dem Ausmaß eines Ereignisses (A) als Schadensausmaß. Was ein Ausmaß jedoch ausmachen könnte, muss einer individuellen Bewertung unterzogen werden.. Risiken können darüber hinaus nicht von allen Personen innerhalb einer Organisation bewertet werden, da nicht alle Mitglieder einer Organisation über ausreichende Kenntnisse darüber verfügen, wie Risiken eingeordnet und bewertet werden können. Es sollte deshalb zur der Bewertung von Risiken eine Expertengruppe eingesetzt werden. Dennoch können auch in der professionellen Bewertung von Risiken immer Ungewissheiten in der Perspektive auf die Folgen eines Ereignisses auftreten.

In diesem Kontext muss die mathematische bzw. sachrationale Risikodefinition „Ein Risiko ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines unerwünschten oder negativen Ereignisses/Zwischenfalls multipliziert mit seinem möglichen Folgen" (Pauli 2013, S. 49) um eine sozioemotionale erweitert werden (vgl. Oswald 2011, S. 9 ff.). Die sozioemotionale Dimension soll verdeutlichen, dass nicht alle Risikopotentiale entdeckt werden können, da die individuelle Risikowahrnehmung oft intuitiv erfolgt (vgl. Oswald 2011, S. 10). Zum Beispiel gibt es vielfältige Störquellen, welche die organisatorischen Prozesse beeinträchtigen können, die nicht immer von jedem Einzelnen erfasst werden können. Die mathematische bzw. sachrationale Risikodefinition eignet sich daher insbesondere zur Bewertung von Risiken. Die Interpretation der möglichen Folgen bzw. das Schadensausmaß eines Risikos kann nicht immer exakt bestimmt werden.

Zur besseren Bestimmung von Risiken erstellt Oswald eine Risikosystematisierung und unterscheidet zwischen Risikofaktoren als Störungsquellen, Risikoträgern als Störungsobjekten und Risikoereignissen als Störungsarten (vgl. Oswald 2011, S. 15). Risikofaktoren bzw. Störungsquellen können verschiedenste Auswirkungen auf die Erbringung der Versorgungsdienstleistung haben. Es können beispielsweise gesetzliche Änderungen sein, welche die Handlungsabläufe innerhalb eines Krankenhauses betreffen und noch nicht umgesetzt worden sind - oder mangelnde Kenntnisse des Personals.

Risikoträger bzw. Störungsobjekte können beispielsweise das Personal, die Patienten oder die Technik sein (vgl. Oswald 2011, S. 15). Zwischenfälle können sich daher im Ergebnis in verschiedenen Störungsarten manifestieren. Hierzu zählen beispielsweise Stürze oder Fehlbehandlungen (vgl. Oswald 2011, S. 15). Die Wirkung eines solchen Ergebnisses kann im weiteren Sinne zum Beispiel auch sinkende Einnahmen zur Konsequenz haben (vgl. Oswald 2011, S. 15)

Die Organisationsform Krankenhaus kann vielfältige interne und externe Risiken beinhalten, die auf vielschichtigen, sich ergänzenden und gleichzeitigen Ausführungen von Dienstleistungsprozessen beruhen. Insofern muss von einem erheblichen Risikopotential ausgegangen werden.

Versorgungsdienstleistungen in Krankenhäusern werden durch verschiedenste Teilprozesse erstellt. Hierzu gehören beispielsweise die Bereiche Diagnostik, Therapie, Verwaltung oder auch risikoerhöhte Bereiche wie das Labor, die Hygiene und die Wartung (vgl. Pauli 2013, S. 45). Risikoträger bzw. Störungsobjekte können je nach Störungsquelle an den verschiedensten Orten auftreten. Die jeweiligen Zwischenfälle bzw. Störungsarten können sich negativ auf das Ergebnis bzw. die Wirkung der erbrachten Dienstleistung auswirken. Eine genaue Identifizierung der Risiken ist dementsprechend eine besondere Herausforderung, da alle Bereiche eines Krankenhauses oder eines anderen Unternehmens betroffen sein können. Im klinischen Bereich lassen sich jedoch auch bestimmte Risikofaktoren konstatieren. Risikofaktoren im institutionellen Kontext treten im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen auf (vgl. Brunner u.a. 2013). Zu den organisations- und managementbezogenen Faktoren gehört zum Beispiel die Organisationsstruktur (vgl. Brunner u.a. 2013). Zu den arbeitsumfeldbezogenen Faktoren zählen der Personalbestand und die jeweiligen Arbeitsbelastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Teamfaktoren bezeichnen die verbalen und schriftlichen Kommunikationsfähigkeiten. Individuelle Faktoren bestehen aus dem Wissen und der beruflichen Qualifikation sowie aus der physischen und psychischen Gesundheit des Beschäftigten (vgl. Brunner u.a. 2013). Die aufgaben- und patientenbezogenen Faktoren bezeichnen die Einhaltung von Regelungen und Protokollen und den jeweiligen Zustand des Patienten, das heißt die Komplexität und der Schweregrad des Befundes (vgl. Brunner u.a. 2013).

Um solche Risikofaktoren beherrschbar bzw. vermeidbar zu machen, wird die Methode des Risikomanagements angewandt (vgl. Pauli 2013, S. 49).

2.2 Risikomanagement

Die Gründe für das Erfordernis, Risikomanagement zu betreiben, sind äußerst vielschichtig und teilweise branchenabhängig. In diesem Abschnitt soll ein generelles Verständnis vom Begriff des Risikomanagements in einem betriebswirtschaftlichen Kontext entwickelt werden, um im späteren Verlauf dieser Arbeit auf die Besonderheiten des klinischen Risikomanagements eingehen zu können. Grundsätzlich kann man unter Risikomanagement die Messung und Steuerung aller Risiken unternehmensweit verstehen (vgl. Wolke 2008, S. 1). Die betriebswirtschaftlichen Risiken lassen sich zunächst in finanzwirtschaftliche und in leistungswirtschaftliche Risiken unterscheiden (vgl. Wolke 2008, S. 6f.). Zu den finanzwirtschaftlichen Risiken zählen u.a. Marktpreisrisiken, Ausfallrisiken und Liquiditätsrisiken (vgl. Wolke 2008, S. 6f.). Zu den leistungswirtschaftlichen Risiken gehören die Betriebsrisiken und die Absatzrisiken (vgl. Wolke 2008, S. 7). Hierbei ist zu beachten, dass zwischen den einzelnen betriebswirtschaftlichen Risikoarten Interdependenzen bestehen (vgl. Wolke 2008, S. 6). Beispielsweise kann ein Behandlungsfehler durch das ärztliche Personal haftungsrechtliche Konsequenzen ebenso wie die Geltendmachung von Schadensersatz durch Geschädigte nach sich ziehen und somit möglicherweise ein Liquiditäts- bzw. Insolvenzrisiko bedingen.

Die Voraussetzung zur Implementierung von Methoden des Risikomanagements besteht in der Erkenntnis, dass Risiken in allen unternehmerischen Entscheidungs- und Handlungsabläufen existieren und auftreten können (vgl. Oswald u.a. 2011, S. 16). Für ein besseres Verständnis des Begriffs Risikomanagement ist es hilfreich, neben dem Begriff des Risikos auch den Begriff des Managements näher zu erläutern. Der Managementbegriff lässt sich dabei grundsätzlich in zwei Bedeutungsvarianten zerlegen, nämlich in den funktionalen und den institutionellen Managementbegriff (vgl. Oswald u.a. 2011, S. 16).

Management im institutionellen Sinn betrachtet diejenigen Personengruppen, die Managementaufgaben wahrnehmen (vgl. Oswald u.a. 2011, S. 16). Es werden die jeweiligen Aufgaben und Rollen im jeweiligen Kontext des Unternehmens beschrieben (vgl. Oswald 2011, S. 16). Management im funktionalen Sinn beschreibt die jeweiligen Prozesse, die nötig sind, um die Ziele des Unternehmens zu erreichen (vgl. Oswald 2011, S. 16). Ein Prozess besteht dabei aus einer Menge verknüpfter Aktivitäten oder Tätigkeiten, die in einer bestimmten Reihenfolge ausgeführt werden, um das jeweilige Ziel des Unternehmens zu erreichen (vgl. Ott 2010, S. 27). Die Ausführung des Prozesses kann kontinuierlich und/oder parallel gestartet und ausgeführt werden (vgl. Ott 2010, S. 27). Da ein Prozess aus mehreren Teilprozessen bestehen kann, gibt es ein Input-Output- Verständnis für jede einzelne Tätigkeit in der Prozessgestaltung (vgl. Ott 2010, S. 27) Dem funktionalen Management obliegt die Planung, Kontrolle und Organisation dieser auszuführenden Tätigkeiten (vgl. Oswald 2010, S. 27).

Diese beiden Bedeutungsvarianten lassen sich zunächst auf das Risikomanagement übertragen. Risikomanagement im funktionalen Sinne meint demnach die Beschreibung von risikobezogenen Prozessen und Funktionen, die innerhalb einer Organisation notwendig sind (vgl. Oswald u.a. 2011, S. 16). Risikomanagement im institutionellen Sinne bezieht sich auf diejenigen Personen, die sich innerhalb einer Organisation mit Risikomanagementaufgaben befassen (vgl. Oswald u.a. 2011, S.16). Die zuvor dargestellte Erörterung des Risikobegriffs und des Risikomanagements lässt sich nach Middendorf folgendermaßen definieren, demnach ist Riskomanagement „[...] die zielgerichtete Planung, Koordination, Ausführung und Kontrolle von Maßnahmen, die dazu dienen, dass Risiken nicht schlagend werden und die Systemziele wie geplant erreicht werden können" (Middendorf 2007, S. 61). Die Maßnahmen des Risikomanagements sollen demzufolge auf die Prozessgestaltung einwirken, um Risiken zu mindern oder zu vermeiden. Um diese Maßnahmen auch umzusetzen, müssen nun die Systemziele bzw. die Ziele des Risikomanagements näher erläutert werden.

2.2.1 Ziele des Risikomanagements

Ein grundlegendes Systemziel ist es zunächst, den Fortbestand eines Unternehmens bzw. einer Organisation dauerhaft sicherzustellen und auch hierzu das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheit der jeweiligen Produkte oder Dienstleistungen zu fördern (vgl. Pauli 2013, S. 50). Risikomanagement ist dabei ein unterstützend wirkendes Instrument, welches zum dauerhaften Erhalt einer Organisation beiträgt, indem die existentiellen Risiken frühzeitig erkannt und ihre negativen Auswirkungen möglichst abgewendet oder vermieden werden (vgl. Brühweiler 2007, S. 34). Darüber hinaus zielt Risikomanagement auf die Sicherstellung störungsfreier Unternehmensabläufe ab, indem Fehlerquellen bzw. Störungsquellen und Störungsobjekte von vornherein oder zumindest möglichst frühzeitig identifiziert und analysiert werden (vgl. Pauli 2013, S. 50). Wenn möglich, sollten die Störungsquellen behoben oder die negativen Folgen reduziert bzw. steuerbar gestaltet werden (vgl. Pauli 2013, S. 50). Risikomanagement kann als ein iterativer Prozess verstanden werden, welcher aus einer systematischen und kontinuierlichen Risikoidentifikation, Risikoanalyse, Risikobewertung und Risikobewältigung besteht (vgl. Pauli 2013, S. 50). Analog zu dem „Plan-Do-Check-Act Zyklus" (PDCA) aus dem Qualitätsmanagement, müssen diese Prozesse kontinuierlich in einem Regelkreis strukturiert werden (vgl. Kahla-Witzsch 2009, S. 42).

2.2.2 Risiko- und Qualitätsmanagement

Risikomanagement wird oftmals den Stabsstellen der Qualitätsmanagementbereiche zugeordnet (vgl. Romeike 2007, S. 167). An dieser Stelle soll auf den Zusammenhang von Qualitäts- und Risikomanagement eingegangen werden.

Middendorf beschreibt eine unterschiedliche Wertung von Qualitäts- und Risikomanagement (vgl. Middendorf 2006, S.89). Der Begriff Qualitätsmanagement wird mit positiven Assoziationen belegt und gilt als ein Veränderungsprozess von Strukturen und Abläufen (vgl. Middendorf 2006, S.89). Der Begriff Risikomanagement wird demgegenüber eher mit negativen Assoziationen verbunden und wird beispielsweise mit den Begriffen Schaden, Fehler, Kunstfehlerklage und Abmahnungen assoziiert (vgl. Middendorf 2006, S.89). Qualitätsmanagement zielt auf allgemeine Verbesserungsmaßnahmen zur Steigerung der Patientensicherheit und Patientenzufriedenheit ab und nicht primär darauf, Risiken zu identifizieren (vgl. Middendorf 2006, S.89).

Risikomanagement ist dagegen der „[...] planmäßige und strukturierte Prozess, das unternehmerische Risiko zu organisieren." (Hecker/Mitscherling 2011, S. 179). Hierzu gehören insbesondere die Identifizierung und Analyse, die Bewertung, die Steuerung und die Kontrolle der Risiken durch das institutionelle Management, das sich mit dem Risikomanagement befasst (vgl. Hecker/Mitscherling 2011, S.179). Darüber hinaus befasst sich Risikomanagement mit der konkreten Durchführung von Maßnahmen zur Risikomessung und zur Risikosteuerung (vgl. Wolke 2008, S. 2).

Da auch Qualitätsmängel die Ursache dafür sein können, dass Risiken entstehen und schlagend werden, unterstützen sich Qualitätsmanagement und Risikomanagement trotz ihrer unterschiedlichen Ziele gegenseitig. Die Ausführungen nach Middendorf sind dahingehend zu interpretieren, dass sich die beiden Managementsysteme ergänzen und auch die Steuerungsmaßnahmen des Qualitäts- und Risikomanagements in einer Abteilung bzw. Stabsstelle gebündelt werden können. Dadurch können Synergien aus den Erkenntnissen der beiden Systeme freigesetzt werden. Dies trifft insbesondere für Krankenhäuser zu. Dafür lassen sich mehrere Gründe anführen. Einerseits kann ein einfacherer Informationsaustausch zwischen dem Qualitäts- und dem Risikomanagement stattfinden, andererseits können die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter bei den jeweiligen Maßnahmen unterstützend tätig werden.

2.3 Fehler

In den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gibt es unterschiedliche Definitionen bezüglich des Fehlerbegriffes (vgl. Pauli 2013, S. 38). Im Qualitätsmanagement wird zwischen einem Fehler und einem Mangel unterschieden (vgl. Pauli 2013, S. 39). In der DIN EN ISO 9000:2005 wird Fehler als die Nichterfüllung einer Anforderung definiert (vgl. Dittmann 2007, S. 20). Anforderung wiederum wird in der DIN EN ISO 9000:2005 definiert als „Erfordernis oder Erwartung, das oder die festgelegt, üblicherweise vorausgesetzt oder verpflichtend ist" (Preissner/Kritzler-Pricht 2011, S. 41). Unter „üblicherweise vorausgesetzt" kann man die Anforderung verstehen, die als Norm vorausgesetzt wird. Beispielsweise müssen die Patienten nicht den dezidierten Wunsch nach Heilung oder Rehabilitation äußern. Unter „Verpflichtung" fallen alle festgelegten Anforderungen seitens der Umwelt, hierzu gehören die rechtlichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise Gesetze und Verordnungen (vgl. Paschen 2012, S. 27). Ein Mangel einer Anforderung bedingt nicht ohne Weiteres die Nichterfüllung der Anforderung, kann aber in bestimmten Fällen auch eine haftungsrechtliche Bedeutung annehmen (vgl. Pauli 2013, S. 39). Ein Fehler kann, aber muss nicht immer, zu einem Schaden führen.

Das bedeutet, dass der Begriff des Fehlers auch im Kontext dieser Arbeit näher differenziert werden muss. Zunächst kann zwischen personenbezogenen und systemorientierten Fehlern unterschieden werden (vgl. Pauli 2013, S. 38). Die personenbezogenen Fehler treten bei den Tätigkeiten der jeweiligen Beschäftigten auf. Die personenorientierte Sichtweise beschreibt beispielsweise Nachlässigkeit, Vergesslichkeit oder auch generelle Unaufmerksamkeiten seitens des Personals (vgl. Sobottka 2006, S. 562). Die systemorientierte Sichtweise betrachtet dagegen beispielsweise die latenten Fehler innerhalb einer Organisation (vgl. Sobottka 2006, S. 562). Unter latenten Fehler kann man fehlerhafte Entscheidungen verstehen, die ofmals nicht in unmittelbarem Zusammenhang zum Arbeitsplatz stehen (vgl. Bock u.a. 2005, S. 7). Hierzu gehören beispielsweise Entscheidungen der Führungsebene, die Faktoren begünstigen können, welche die Fehlerpotentiale auf der organisationalen Ebene erhöhen (vgl. Bock u.a. 2005, S. 7). Mögliche Ursachen sind beispielsweise starke Arbeitsbelastungen, unzulängliche Kommunikationssysteme oder eine vernachlässigte Wartung der Technik (vgl. Bock u.a. 2005, S.7). Es bietet sich daher an, den Fehlerbegriff in einer differenzierten Sichtweise zu betrachten. Hierdurch lassen sich auch mögliche Risikofaktoren bzw. Störungsquellen besser identifizieren.

2.4 Critical Incident Ansatz

Der Critical Incident Ansatz bezeichnet eine Methode von John Flanagan zur Erhebung und Auswertung von kritischen Ereignissen (vgl. Wildner 2011, S.103). Der im Jahr 1954 entwickelte Ansatz soll kritische Ereignisse bzw. Vorgänge im Verhältnis von Kunden und Mitarbeitern identifizieren: „specific interactions between customers and service firm employees that are especially satisfying or especially dissatisfying" (Michl 2004, S. 92) Zu den kritischen Ereignissen zählen demnach alle positiven und negativen Ereignisse, die sich als Erfolg oder Misserfolg auswirken können.

Der Critical Incident Ansatz ist ereignisorientiert (vgl. Michl 2004, S. 92) und zielt darauf ab, Risiken und Fehler im Leistungsprozess von Dienstleistungen zu identifizieren (vgl. Michl 2004, S. 92). Diese Ereignisanalysen können im Rahmen eines integrierten Wissensmanagements erfasst werden (vgl. Wildner 2011, S. 103).

Der Critical Incident Ansatz hat die Philosophie, dass es, bevor ein unerwünschtes Ereignis zum Tragen kommt, viele weitere kritische Ereignisse gegeben hat, die nicht zu einem Schaden geführt haben. Nachfolgend sollen die Begriffe näher erläutert werden, die bei dem Critical Incident Ansatz im klinischen Kontext von Bedeutung sind.

Kritische Ereignisse (critical incidents) besitzen Schädigungspotentiale. Die Schädigungen können eintreten, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird (vgl. Pauli 2013, S. 41). Als Beispiel kann hier der Fall dienen, dass eine dem Patienten bekannte Medikamentenunverträglichkeit bei der Anamnese nicht erfragt wird, weshalb kein Warnhinweis in der Patientenakte vermerkt wird (vgl. Pauli 2013, S. 42).

Unerwünschte Ereignisse sind alle im Rahmen der Versorgungsdienstleistungen erbrachten Schädigungen, die nicht auf die ursprünglich zugrunde liegende Krankheit zurückgeführt werden können (vgl. Hoffmann/Rohe 2010, S.93). Unerwünschte Ereignisse können vermeidbar oder unvermeidbar sein (vgl. Hoffmann/Rohe 2010, S. 93).

Unerwünschte Ereignisse sind unvermeidbar, wenn beispielsweise eine Unverträglichkeit im Vorfeld nicht bekannt war und daher ein unerwünschtes Ereignis zum ersten Mal auftritt, obwohl das Medikament in angemessener Dosierung verschrieben und verabreicht wurde.

Unerwünschte Ereignisse sind vermeidbar, wenn deren Eintreten zum Beispiel durch Beachtung der Sorgfaltsregeln hätte vermieden und abgewendet werden können (vgl. Löber 2012, S. 102 f.). Ein Beispiel dafür wäre die Vergabe eines unverträglichen Medikamentes, obwohl die Unverträglichkeit bereits auf der Patientenakte vermerkt war (vgl. Pauli 2013, S. 42). Die Ursachen für vermeidbare unerwünschte Ereignisse sind zum Beispiel Fahrlässigkeit oder regelwidrige Handlungen durch das Krankenhauspersonal (vgl. Löber 2012, S. 103 f.).

2.5 Abgrenzung Beinahezwischenfall und Zwischenfall

Unerwünschte Ereignisse, die zu einem Schaden am Patienten geführt haben, können auch als Zwischenfall bezeichnet werden. Die Ursachen von Zwischenfällen können vielfältig sein. So kann zum Beispiel ein Sorgfaltsmangel zu einem Behandlungsfehler führen, welcher eine Schädigung am Patienten bedingt. Aber auch latente Fehler im System können einen Zwischenfall hervorrufen. In der Literatur wird der Begriff Zwischenfall nicht immer einheitlich verwendet. So wird beispielsweise der Begriff „Zwischenfall" auch bei kritischen Ereignissen verwendet (vgl. Bock u.a. 2005, S. 10).

Beinahezwischenfälle bestehen aus kritischen Ereignissen. Unter einem Beinahezwischenfall kann ein kritisches Ereignis verstanden werden, mit dem ein Schädigungspotential einhergeht, das eintreten kann, wenn nicht gegengesteuert wird (vgl. Pauli 2013, S. 41). Die Begriffe kritische Ereignisse, Beinahe-Unfälle und Beinahezwischenfälle werden in der Literatur oftmals synonym verwendet (vgl. Bock u.a. 2005, S. 2 ff.).

Im Rahmen dieser Arbeit soll die Unterscheidung zwischen Beinahezwischenfällen, die aufgrund rechtzeitigen Eingreifens oder glücklicher Umstände nicht zu einem Zwischenfall bzw. Schaden am Patienten geführt haben, und Zwischenfällen mit Schädigungen am Patienten dem besseren Verständnis und der Übersichtlichkeit dienen.

Eine Analyse der Zwischenfälle und Beinahezwischenfälle, mit anschließender Ableitung von Vermeidungsstrategien, dient der Erhöhung der Patientensicherheit. Patientensicherheit wird als die Abwesenheit unerwünschter Ereignisse definiert (vgl. Schrappe 2005, S. 56). Diese Definition wird im internationalen Kontext auch ofmals erweitert und umfasst neben der Abwesenheit von unerwünschten Ereignissen auch Aktivitäten zur ihrer Vermeidung und die Einhaltung von Qualitätsstandards (vgl. Hoffmann/Rohe 2010, S. 92). Unter Aktivitäten zur Vermeidung von unerwünschten Ereignissen können neben der Einhaltung von Qualitätsstandards auch die Maßnahmen des Qualitäts- bzw. des Risikomanagements verstanden werden.

Ein Instrument des Risikomanagements ist zum Beispiel das Critical Incident Reporting System (CIRS). Dieses ist ein Meldesystem über Beinahezwischenfälle innerhalb einer Organisation (vgl. Pauli 2013, S. 61). Die Meldung bezieht sich auf das Berichten von beobachteten oder selbst verursachten Beinahezwischenfällen (vgl. Pauli 2013, S. 61).

Das CIRS beruht wie der Critical Incident Ansatz auf der Annahme, dass einem Zwischenfall mit Schaden meist viele Beinahezwischenfälle vorausgehen und es daher zur Erhöhung der Patientensicherheit notwendig ist, negative kritische Ereignisse bzw. Beinahezwischenfälle zu analysieren (vgl. Ertl-Wagner 2009, S. 152 ff.).

Das CIRS ist dementsprechend eine Risikoidentifikationsmethode mit der Philosophie, zukünftige Fehler zu vermeiden oder zumindest die Anzahl und die negativen Auswirkungen der Fehler zu verringern (vgl. Pauli 2013, S. 61). Als Methode dient die Sammlung von Beinahezwischenfällen, die Informationen darüber enthalten, wie und wo Fehler auftreten können sowie deren anschließende Analyse und Kontrolle. Bei der Analyse sollen Maßnahmen abgeleitet werden, um Vermeidungsstrategien für mögliche Zwischenfälle zu entwickeln. Das CIRS ist demnach ein Instrument, welches im Risikomanagementprozess im Abschnitt der Risikoidentifikation verortet werden kann.

3 Rahmenbedingungen für das Risikomanagement in Krankenhäusern

3.1 Klinisches Risikomanagement

Klinisches Risikomanagement betrachtet insbesondere die im Krankenhaus angebotenen Dienstleistungen hinsichtlich der Gefahrenquellen und latenten Fehler in der Erstellung von medizinischen Versorgungsleistungen (vgl. Pauli 2013, S. 50). Durch eine systematische Fehlererfassung sollen mögliche Störquellen aufgespürt und frühzeitig erkannt werden (vgl. Pauli 2013, S. 50). Es geht darum, die Ursachen von Fehlern, Zwischenfällen, eingetretenen unerwünschten vermeidbaren Ereignissen und Schadensfällen zu analysieren und zu bewerten (vgl. Pauli 2013, S. 50). Anschließend sollen dadurch Strategien und Maßnahmen entwickelt werden, um eine zukünftige Vermeidung oder zumindest eine Reduzierung der Risiken zu erreichen (vgl. Pauli 2013, S. 50). Klinisches Risikomanagement ist daher ein Instrument zur Verbesserung der Patientensicherheit und dient darüber hinaus als eine Methode zur Erreichung einer möglichst sicheren und zuverlässigen Gestaltung der Organisation im Allgemeinen. Der Zweck ist die Vermeidung bzw. die Minimierung von Behandlungs- und Organisationsrisiken in den verschiedensten Bereichen von Krankenhäusern (vgl. Pauli 2013, S. 51), die sich auf die Systemziele des Krankenhauses auswirken können.

Klinisches Risikomanagement ist damit ein Präventionssystem, um die Risiken bei der Erstellung und Durchführung aller Primärleistungen eines Krankenhauses zu reduzieren (vgl. Führing/Gausmann 2004, S. 29f.). Es kann dadurch zur Verbesserung der Patientensicherheit und zur Erreichung eines hohen Sicherheitsniveaus in Hinsicht auf die Systemziele des Krankenhauses beitragen.

3.1.1 Risikomanagementprozess

Klinisches Risikomanagement orientiert sich an einem bestimmten Prozessablauf. Im wissenschaftlichen Diskurs werden dabei grundsätzlich die in Abbildung 1 dargestellten Prozessschritte verwendet.

Abbildung 1: Der Risikomanagementprozess als Regelkreis Quelle: (Middendorf 2006, S.27)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Einstufung erfolgt anhand von vier Stufen, nämlich der Risikoidentifikation, der Risikobewertung, der Risikobewältigung sowie des Risikocontrollings (vgl. Middendorf 2007, S. 63). Die beiden Phasen der Risikoidentifikation und der Risikobewertung werden dem Bereich der Risikoanalyse zugeordnet (vgl. Middendorf 2007, S. 63). Diese Stufen bilden einen Regelkreis, der sich einer ständigen Wiederholung unterzieht (vgl. Middendorf2007, S. 63). Die Wiederholung der Prozesse dient dazu, immer neue Risiken zu entdecken und die Wirksamkeit und die Nachhaltigkeit der Maßnahmen messbar zu machen (vgl. Middendorf 2007, S. 63).

Der erste Prozessschritt ist die Risikoidentifikation. Für die Risikoidentifikation gibt es verschiedene Instrumente. Dazu gehören beispielsweise das Risikoaudit, Beschwerdemanagementsysteme und auch das CIRS. Die Risikoidentifizierung ist damit ein Erfassungsinstrument, welches zunächst Fehler entdecken soll. Dabei sollen aber bereits alle möglichen Risikoursachen erfasst werden, um im späteren Verlauf die tatsächlichen Risikoursachen von den oberflächlichen Risikosymptomen unterscheiden zu können (vgl. Middendorf 2006, S.27). Mit den oberflächlichen Risikosymptomen können beispielsweise latente Fehlerstrukturen in der Organisation gemeint sein. Nach der Risikoidentifikation folgt als zweiter Prozessschritt die Risikobewertung.

Bei der Risikobewertung werden nun mittels verschiedener Instrumente die Risiken hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeiten, das heißt der möglichen Häufigkeit eines Schadenseintrittes, sowie des Schadensausmaßes, das heißt der potenziellen Bedeutung eines möglichen Schadens, bewertet (vgl. Schmitz/Wehrheim 2006, S.81). Hierzu ist auch die mathematische- bzw. sachrationale Definition des Risikobegriffes hilfreich. Dabei können auch unterschiedliche Risikoklassen gebildet werden. Die Bandbreite an Klassen kann von einem geringen Risiko bis zu einem existenzbedrohenden Risiko reichen (vgl. Schmitz/Wehrheim 2006, S.81). Im Fall einer Klinik wäre beispielsweise ein kritisches Ausmaß ein Schaden am Patienten. Aber auch andere Faktoren wie ökonomische Schäden können dabei eine Rolle spielen. Nach der Bewertung erfolgt eine Priorisierung der Risiken. Diese ist nötig, um die Dringlichkeit eines möglichen Risikos zu erfassen und Maßnahmen zur Bewältigung von möglichen Risiken zu bilden. Die Dringlichkeit kann anhand der beiden Größen Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit beurteilt werden (vgl. Middendorf 2007, S. 64). Diese Faktoren können durch Statistiken, Erfahrungswerte, Branchenvergleiche, Studien oder, falls nicht anders möglich, durch subjektive Einschätzungen fachkundiger Experten ermittelt werden (vgl. Middendorf 2007, S. 64).

Middendorf unterscheidet bei der Risikobewältigung, der dritten Phase des Risikomanagmentprozesses, zwischen den ursachenbezogenen Maßnahmen und den wirkungsbezogenen Maßnahmen (vgl. Middendorf 2006, S.28). Die ursachenbezogenen Maßnahmen sollen Risikoursachen identifizieren und gleichzeitig Maßnahmen zur Gegensteuerung von Risiken einleiten (vgl. Middendorf 2007, S. 64). Wie zuvor beschrieben, gehören Risiken immer zum Alltagsgeschäft eines Unternehmens. Eine vollständige Risikovermeidung kann daher nur gewährleistet sein, wenn das Unternehmen überhaupt keine Handlungen mehr durchführt. Diese Annahme beruht darauf, dass Risiken allgegenwärtig sind und nie ganz ausgeschlossen werden können. Die Risikovermeidung kann daher nur selektiv bei bestimmten ausgewählten und identifizierten Risiken erfolgen (vgl. Middendorf 2007, S. 64). Nur die Risiken, deren Auswirkungen nicht zu akzeptieren sind, sind zu vermeiden (vgl. Middendorf 2007, S. 64).

Die Risikominderung, als zweites Element der ursachenbezogenen Maßnahmen, soll die Eintrittswahrscheinlichkeiten oder die Auswirkungen von Risiken auf ein akzeptables Niveau reduzieren (vgl. Middendorf 2007, S. 65). Hierzu gehören beispielsweise Maßnahmen in Form von Mitarbeiterschulungen, technischen Maßnahmen, Prüfverfahren, Checklisten und Sicherheitsrichtlinien (vgl. Middendorf 2007, S. 65). Wirkungsbezogene Maßnahmen sind nach Middendorf passive Risikobewältigungsstrategien, die nur die Auswirkungen eines eingetretenen Schadensfalls vermindern sollen (vgl. Middendorf 2006, S.29).

Die wirkungsbezogenen Maßnahmen unterliegen ebenfalls der Prämisse, dass sich Zwischenfälle nie vollkommen ausschließen lassen und manche Risiken hinzunehmen sind (vgl. Middendorf 2007, S. 65). Die beiden Elemente der wirkungsbezogenen Maßnahmen, zum einen der Risikotransfer und zum anderen die Risikovorsorge, sollen die Zwischenfälle auf ein Niveau reduzieren, das zur Begrenzung bzw. Abwendung der Existenzbedrohung des Unternehmens führt (vgl. Middendorf 2007, S. 65). Unter Risikotransfer lässt sich die Übertragung von Risiken auf Dritte verstehen (vgl. Middendorf 2007, S. 66). Die möglichen Kosten eines Risikos werden dadurch zu Fixkosten. Die Fixkosten können in Form von Versicherungsprämien oder der entsprechenden Gestaltung von Verträgen mit Lieferanten auftreten (vgl. Middendorf 2007, S. 66). Die Risikovorsorge bezieht sich auf die Absicherung durch finanzielle Deckungsmassen, um mögliche Schadensfälle abzusichern (vgl. Middendorf 2007, S. 66). Das Unternehmen geht daher das Risiko bewusst ein und muss die Kosten durch eigene Vorsorge selbst tragen (vgl. Middendorf 2007, S. 66).

In der abschließenden Phase des Risikomanagementprozesses, beim Risikocontrolling, werden alle Maßnahmen des Risikomanagements unter der Berücksichtigung ihrer Wirkungsweise überprüft (vgl. Middendorf2007, S. 66). Darüber hinaus sollte untersucht werden, ob die getroffenen Maßnahmen zur Bewältigung einzelner Risiken auch messbare Erfolge bringen. Die daraus resultierten Erkenntnisse werden an die jeweiligen verantwortlichen Unternehmensmitglieder weitergeleitet, um Transparenz über die spezifische Risikolage herzustellen und ggf. wieder Steuerungsmaßnahmen einzuleiten (vgl. Middendorf 2007, S. 66).

Die wirkungsbezogenen Maßnahmen können zwar eine finanzielle Absicherung bezüglich einzelner Risiken bieten, doch nur die ursachenbezogenen Maßnahmen können Risiken vermindern und nachhaltig die Patientensicherheit erhöhen. (vgl. Middendorf 2006, S.28). Außerdem ist es für wirkungsbezogene Maßnahmen schwierig, mögliche negative Imageeffekte in der öffentlichen Reputation zu kompensieren. Es ist jedoch erkennbar, dass sich die ursachenbezogenen und die wirkungsbezogenen Maßnahmen ergänzen können. Risiken, die beispielsweise zur Insolvenz des Krankenhauses führen könnten, sind nicht akzeptabel und müssen daher durch Risikotransfer oder Risikovorsorge abgesichert sein. Hier ist anzumerken, dass nicht alle Risiken durch wirkungsbezogene Maßnahmen bewältigt werden können. Wirkungsbezogene Maßnahmen können vor ökonomischen Risiken schützen, aber nicht immer direkt die Patientensicherheit erhöhen (vgl. Middendorf 2006, S.28). Schwere medizinische Behandlungsfehler können trotz der Beachtung aller Sorgfaltspflichten auftreten. Diese medizinischen Behandlungsfehler können vermeidbare und inakzeptable Risiken sein. Neben einer lebensbedrohlichen oder lebenseinschränkenden Schädigung des Patienten können auch hohe ökonomische Einbußen hervorgerufen werden. Wirkungsbezogene Maßnahmen, wie beispielsweise ein Versicherungsschutz, können diesen ökonomischen Schaden begrenzen, aber nicht die Patientensicherheit gewährleisten.

Die Bestimmung der jeweiligen akzeptablen betriebswirtschaftlichen Risiken unterliegt vor allem der Leitung des Unternehmens, die eine individuelle Risikopolitik und Risikostrategie betreiben sollte. Dies wird in Kapitel 3.2 näher thematisiert.

3.1.2 Ziele des klinischen Risikomanagements

Zu den grundlegenden Zielen des klinischen Risikomanagements gehört die Sicherung der Existenz des Krankenhauses vor einer Existenzvernichtung durch schlagend werdende Risiken (vgl. Middendorf 2007, S. 61). Darüber hinaus sollen die Maßnahmen des Risikomanagements die Eigen- und Fremdkapitalkosten senken (vgl. Middendorf 2007, S. 61). Ein weiterer Aspekt ist die Schaffung von Vertrauen bei den Patienten durch weitgehenden Ausschluss von Schädigungen durch die Behandlung (vgl. Middendorf 2007, S. 62). Intern soll das Risikomanagement störungsfreie Arbeitsprozesse ermöglichen. Die Ziele des klinischen Risikomanagements lassen sich aus den vorherigen Ausführungen zum Risikomanagementprozess ableiten. Die Identifikation von Risiken versucht zukünftige Risiken zu vermindern bzw. auszuschließen. Die Durchführung der Vermeidungsstrategien verstärkt das Bewusstsein innerhalb des Personals für mögliche Risiken. Der Risikomanagementprozess fördert dabei das Ziel des klinischen Risikomanagements, aus möglichen oder eingetretenen Fehlern zu lernen (vgl. Kahla- Witzsch/Platzer 2007, S. 45f.). An diesen Zielformulierungen lässt sich erkennen, dass klinisches Risikomanagement sowohl der Patientensicherheit dient als auch vor betriebswirtschaftlichen Risiken schützen soll.

3.2 Risikomanagement als Führungsaufgabe

Von großer Bedeutung für das Risikomanagement ist das Engagement der obersten Leitung (vgl. Brühweiler 2007, S. 173). Die oberste Leitung sollte die Ziele und Strategien für das Risikomanagement in einer Risikopolitik festlegen (vgl. Brühweiler 2007, S. 173). Die Risikopolitik beschreibt dabei die Grundsätze und Ziele des Risikomanagements und zeigt mögliche Strategien auf, um diese bewältigen zu können. (vgl. Brühweiler 2007, S. 173). Es kann auch festgelegt werden, dass die Aufgaben der obersten Leitung an andere Stellen delegiert werden können. Hierzu gehören insbesondere Risikomanagementbeauftragte, Gremien oder die Zuweisung an bestehende operative Steuerungsfunktionen wie beispielsweise das Qualitätsmanagement (vgl. Brühweiler 2007, S. 177 f.). Hierzu muss die die Zuweisung der Kompetenzen und die Reichweite der Verantwortung an bestimmte Stellen erfolgen (vgl. Brühweiler 2007, S. 177). Bei der Aufgabendelegation obliegt der Leitung bzw. dem Krankenhausträger die Überwachungspflicht (vgl. Pauli 2013, S. 51). Die Gesamtverantwortung bleibt bei der obersten Leitung und ist damit Führungsaufgabe (vgl. Pauli 2013, S. 51 f.). Der Risikomanagementprozess muss gewollt, initiiert und aktiv unterstützt werden. Dabei muss das Management sicherstellen, dass die Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche einschließlich des Berichtswesens festgelegt werden (vgl. Pauli 2013, S. 52). Die Maßnahmen des Risikomanagementprozesses müssen darüber hinaus ausreichend dokumentiert werden, damit zum Beispiel sachverständige Dritte diese nachvollziehen und eine Bewertung der Maßnahmen durchführen können (vgl. Pauli 2013, S. 52).

3.3 Fehler- und Sicherheitskultur

Eine weitere wichtige Voraussetzung zur Implementierung und Durchführung des klinischen Risikomanagements ist die Entwicklung einer konstruktiven Fehlerkultur beim Personal. Die Fehlerkultur kann einen destruktiven oder einen konstruktiven Charakter aufweisen. Im folgenden Teil werden diese Begriffe abgegrenzt und die haftungsrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Bedeutungen von Fehlern diskutiert.

[...]


1 In diesem Kontext bedeutet Gefahr ein mögliches Ereignis, das unabhängig von dem Willen einer Person eintreten oder auch nicht eintreten kann. Im Gegensatz dazu impliziert das Risiko einen Entscheidungsakt, der auch einen möglichen Schaden in Kauf nimmt, um das jeweilige Ziel zu erreichen. (vgl. Oswald 2011 u.a., S. 6 ff.)

Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Klinisches Risikomanagement auf der Basis des Critical Incident Reporting Systems
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Wirtschaftslehre des Haushalts und Verbrauchsforschung)
Veranstaltung
Qualitätsmanagement bei Versorgungs- und Dienstleistungsbetrieben
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
100
Katalognummer
V275573
ISBN (eBook)
9783656677994
ISBN (Buch)
9783656677987
Dateigröße
2723 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
klinisches, risikomanagement, basis, critical, incident, reporting, systems
Arbeit zitieren
Benjamin Morgan (Autor:in), 2013, Klinisches Risikomanagement auf der Basis des Critical Incident Reporting Systems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275573

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