Landeskunde als Ideologiekritik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

21 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsübersicht

1. EINLEITUNG
1.1 VERORTUNG DES THEMENKOMPLEXES

2. BEGRIFFLICHKEITEN INTERKULTURELLEN MISSVERSTEHENS
2.1 STEREOTYPEN - BILDER IN UNSEREN KÖPFEN
2.2 VORURTEILE - FEINDBILDER IM SCHAFSPELZ
2.3 IDEOLOGIEN - DAS SÜßE GIFT
2.4 IDEOLOGIEKRITIK - EIN HILFREICHES WERKZEUG

3. WIDER DAS „ERSTARRTE DENKEN“
3.1 DIE WANDLUNG DER BILDER
3.2 STELLENWERT DER SCHULISCHEN ERZIEHUNG

5. LITERATURHINWEISE

6. NACHWEIS DER ABBILDUNG

7. ANHANG - FOLIE MIT AUFGABENSTELLUNG FÜR DIE PRAXISPHASE

1. Einleitung

1.1 Verortung des Themenkomplexes

Der Themenkomplex ´Landeskunde als Ideologiekritik´ ist einer von 10 Schwerpunktthemen, denen sich das Seminar ´Landeskunde und interkulturelles Lernen´ widmet. Er ist insofern von zentraler Bedeutung, als dass das Denken über andere Länder, Kulturen und Nationen in Stereotypen und festen Vorstellungen fast stillschweigend in weiten Teilen nicht nur der deutschen der Bevölkerung verbreitet und fest verankert ist. Klischeedenken, Zuschreibungen, Vorurteile oder gar Ideologisierungen vervollständigen das gefährliche Repertoire vorgeformten Denkens und konsistent negativer Einstellungen. Mögen auch Stereotypen und Vorurteile nicht nur Lehrenden und Lernenden1 als Geländer und Orientierungshilfen dienen, in interkulturellen Kommunikationssituationen können sie Auslöser empfindlicher Missverständnisse oder gar Konflikte und Anfeindungen sein. Dabei sind die Pauschalurteile über andere Individuen, Gruppen oder Völker nicht selten Kontrastbilder des eigenen Erfahrungshorizontes. Bausinger bezeichnet sie als unsichtbare Brillen, welche die Wirklichkeit einfärben, aber auch als Leitseil in unsicherem Gelände dienen.2

Der Ausarbeitungsteil II zum Referat betrachtet die Begrifflichkeiten interkulturellen Missverstehens Stereotyp, Vorurteil und Ideologie und ordnet sie in den landeskundlichen Kontext ein. Anschließend werden, in Anlehnung an die Resultate der Seminardiskussion, Möglichkeiten zur Bekämpfung dieser Konfliktquellen aufgezeigt.

2. Begrifflichkeiten interkulturellen Missverstehens

2.1 Stereotypen - Bilder in unseren Köpfen

Die Bezeichnung Stereotyp stammt in ihrer ursprünglichen Bedeutung aus der Druckindustrie. Als Fachvokabular bezeichnet sie jegliche feste Druckformen als bleibendes Ausgangsmaterial für beliebig viele Reproduktionen.

Walter Lippman benutzte den Begriff Stereotyp erstmals 1922 in seiner Publikation ´ public opinion ´ 3 zur Beschreibung bestimmter bildhafter Vorstellungen. Er bezeichnete diese als ´ the pictures in our head ´, also die Bilder in unseren Köpfen. Lippman erkannte also schon damals, dass die meisten Menschen von sie umgebenden Personen und Gruppen gleich welcher Art spezifische Bilder und Vorstellungen ausbilden und in ihre alltägliche Kommunikation mit einbeziehen.

Beim Stereotyp in seiner heutigen Definition sowie im Kontext interkulturellen Lehrens und Lernens handelt es sich um eine vorurteilsbehaftete und mit Klischees verbundene Vorstellung von anderen Gruppen. Es ist kulturell geprägt und stellt ein gesellschaftliches Konstrukt dar. Kommt es zur häufigen und gezielten Verwendung von Stereotypen, führt dies langfristig zur Verfestigung eines vereinfachten Bildes von Personen, Institutionen oder gar ganzen Kulturen.

Sozialpsychologisch betrachtet ist der Gebrauch oder das Denken in Stereotypen nicht von sich aus negativ zu bewerten. Biechele und Padrós bezeichnen Stereotypen als unverzichtbare Muster zur Kategorisierung von uns umgebenden Dinglichkeiten.4 Sie dienen als Hilfestellung zum schnelleren Erfassen von Zusammenhängen. Als neutralen Begriff schlagen sie das Schema vor.

Verschiedene kumulierte Einzelwahrnehmungen können mittels Generalisierungen geordnet und eingeteilt sowie schließlich zu einem größeren Ganzen zusammengefasst werden.5 So beschreibt die Bezeichnung ´ Häuser ´ eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Gebäude, deren Gesamtheit durch die Verallgemeinerung kommunizierbar wird.

Solche Schemata können sich ebenso auf größere Ereignis- und Handlungsabläufe beziehen, beispielsweise um Erfahrungen sich ständig wiederholender Situationen zu beschreiben. Ein Beispiel wäre hier der Handlungsablauf ´ Einkaufen ´. Ohne Schemata wäre die adäquate

Beschreibung und kognitive Organisation eines sich ständig wiederholende aber jedes Mal verschiedenen Ablaufes kaum möglich.

Als so genannte überindividuelle Orientierungsmuster werden Stereotype im Laufe der Sozialisation aufgebaut, verfestig und aktualisiert. Sie unterstützen und steuern das Verstehen der Menschen innerhalb einer Gruppe maßgeblich.

Im interkulturellen Kontext stellen Stereotype jedoch oftmals eine Quelle möglicher Missverständnisse oder des Nichtverstehens dar. Da sie sich in nicht unerheblichem Umfang als Konventionen eines spezifischen Kulturkreises konstituieren, sind ihre Gültigkeit und ihr Anwendungsspektrum begrenzt. Nach Biechele und Padrós lassen sie sich als Fixierung kulturspezifischer Erfahrung kaum auf andere Umgangsgruppen und Kulturen übertragen.6 Neben dieser eher neutralen Betrachtungsweise trägt der Ausdruck Stereotyp eine insgesamt negative Bedeutung. Er bezeichnet ein vorgeformtes Denken, welches kaum einer kritischen Beurteilung standhält und sich ihr geradezu entzieht. Gefahren in der Kommunikation ergeben sich vor allem aufgrund der engen Verbindung mit dem Vorurteil.

Insbesondere ethnische Minderheiten sind in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder negativen Stereotypisierungen ausgesetzt. Dieser zum Teil als harmlose Typisierung beginnende Vorgang führte nicht selten in letzter Konsequenz bis hin zum Mord an ganzen Völkern und Kulturen.

Als besondere Form von Stereotypisierung gelten Klischees. Ebenfalls aus der Druckindustrie stammend beinhaltet der Begriff primär eine historische Dimension. Klischeehafte Vorstellungen betreffen vor allem diejenigen Bilder, welche nicht mehr Gegenstände der aktuellen Realität sind. Ein klischeehafter Ausdruck kann sehr lange Zeit gebräuchlich sein ohne eine konkrete Gegenwartsbedeutung zu besitzen. Als festgefahrene Vorstellung wird das Klischee mithin oftmals synonym mit dem Vorteil verwendet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. II Nationale Klischees auf einer so genannten Völkertafel, Steiermark, frühes 18. Jh.

2.2 Vorurteile - Feindbilder im Schafspelz

Vorurteile sind, ohne auf spezielle Definitionen und Ansätze verschiedener Disziplinen einzugehen, gewissermaßen als Weiterführung und Steigerung vorgeformten Denkens eng mit den Stereotypen verknüpft. Oftmals besteht eine gewisse Trennungsunschärfe. Es handelt sich um ein vor einer konkreten Begegnungssituation gebildetes unbegründetes Urteil über eine Person oder eine darüber hinausgehende Gruppierung oder gar Kultur. Im heutigen Sprachgebrauch impliziert der Begriff meist sogar eine darüber hinausgehende ablehnende oder gar feindselige Haltung, welche sich auf die Zugehörigkeit zu seiner sozialen oder ethischen Gruppe bezieht.

In der Brockhaus Enzyklopädie wird der Begriff nicht nur im Hinblick auf seinen Stellenwert im interkulturellen Kontext folgendermaßen definiert:

Grundlegend gemeinsam ist allen Definitionsversuchen ( … ), dass es sich - wie das Wort nahe legt - um ein Urteil handelt, das besteht, bevor die angenommene Vorstellung oder Einstellung an der Realitätüberprüft wurde, die Möglichkeit der Korrektur durch Erfahrung also kaum gegeben ist oder verweigert wird “ 7

Ein Vorurteil gründet sich zumeist auf Stereotypen in Form von Klischeevorstellungen bezüglich der Kultur, gegen die es sich richtet. Diese ablehnende Haltung führt nicht nur im interkulturellen Kontext zu Missverstehen. Die Brisanz des Vorurteils im Kontrast zum Stereotyp liegt darin, dass sich mit der Verfestigung von Vorurteilen in aller Regel bestimmte Diskriminierungen, also benachteiligende Behandlungen vollziehen, beispielsweise aufgrund von Volkszugehörigkeiten, Geschlecht, Sexueller Orientierung, Religion, wirtschaftlicher Status oder gar Alter. In ausgeprägter Form steigert sich dies bis hin zur Segregation der betreffenden Personen. Besonders grausame Beispiele hierfür sind die mittelalterlichen Judenghettos oder die Rassentrennungsgesetze Südafrikas.

Nahezu jeder Mensch bildet im Laufe seines Lebens Vorurteile aus. Sie werden oftmals nicht nur durch persönliche Erlebnisse oder Konflikterfahrungen gebildet, sondern vielfach durch Mitglieder der eigenen Gruppe tradiert oder aber in Form von Medien- und Fremderfahrung vermittelt.8

Ähnlich den Stereotypen können Vorurteil Halt und Orientierung geben, und dies auch und gerade in einer durch Globalisierungstendenzen unüberschaubar gewordenen Welt.9 Sie zeichnen sich vielfach durch Vergröberung, Verallgemeinerung und Simplifizierung aus. Vorurteile, im Speziellen die sozial unerwünschten10, verstoßen gegen anerkannte menschliche Normen. Werner Bergmann verdichtet folgende Verstöße:11

1. Rationalität: Vorurteile verletzen das Gebot, über andere Menschen nur auf der Basis eines möglichst sicheren und geprüften Wissens zu urteilen, ergo vorschnelles Urteilen. Sie zeichnen sich in besonderer Weise durch dogmatisches Festhalten an Fehlurteilen sowie der Ignoranz von Gegenargumenten aus.
2. Gerechtigkeit und Gleichbehandlung: Zumeist geschieht die Beurteilung der eigenen Gruppe unter anderen Maßstäben als die anderer Gruppen.
3. Mitmenschlichkeit: Vorurteilende verhalten sich ablehnend und ignorant gegenüber betroffenen Personen und Gruppen, es ist keine oder kaum Empathie vorhanden.

Neben dem Verstoß gegen menschliche Normen können Vorurteile ebenso Funktionsträger sein. Im Unterschied zu den eher neutralen Funktionen der Stereotypisierungen impliziert Vorurteilsbildung dabei grundsätzlich auch negative Aspekte.

Schmalz - Jacobsen und Hansen nennen folgende vier Funktionen:12

[...]


1 Der Kürze halber sowie zwecks Übersichtlichkeit des Textbildes werden in diesem Aufsatz entweder nur die männliche, nur die weibliche oder beide Formen nacheinander verwendet. Die gewählte Form enthält keinerlei geschlechtsdifferenzierende Aussagen. Andernfalls wird an entsprechender Stelle gesondert darauf hingewiesen.

2 Bausinger, H. Typisch Deutsch. Wie deutsch sind die Deutschen?

3 Lippman, W. Puplic Opinion, 1922. übers. Die öffentliche Meinung, 1964.

4 Biechele, M; Padrós, A. Didaktik der Landeskunde. S. 79.

5 Ebd.

6 Ebd.

7 Aus: Brockhaus Enzyklopädie 1999.

8 Werner Bergmann nennt als ein Indiz beispielsweise das hohe Maß an Ausländerfeindlichkeit in den neuen Bundesländern, obwohl dort im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt nur sehr wenige Ausländer leben. Siehe dazu Informationen zur politischen Bildung 271, 2. Quartal 2001.

9 Wobei anzumerken ist, dass beispielsweise das Europa des Mittelalters und der Neuzeit mit seinem Flickenteppich an Territorien und seiner außerordentlichen Kleinräumigkeit nicht weniger unübersichtlich war. Bedeutend ist vielmehr das höher Maß an Begegnung und Mobilität im 20. und 21. Jahrhundert. 10 Ein möglicherweise erwünschtes, weil nicht explizit negatives Vorurteil wäre beispielsweise die angebliche Heißblütigkeit südeuropäischer Völker.

11 Vgl. Informationen zur politischen Bildung 271, 2. Quartal 2001.

12 Vgl. Schmalz - Jacobsen, C.; Hansen, G. (Hrsg.). Kleines Lexikon der ethnischen Minderheiten in Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1997. In: IZPB 271. Vorurteile, Stereotype, Feindbilder. BpB., Bonn 2001.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Landeskunde als Ideologiekritik
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Seminar: Landeskunde und interkulturelles Lernen
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V27541
ISBN (eBook)
9783638295710
Dateigröße
1748 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Landeskunde, Ideologiekritik, Seminar, Landeskunde, Lernen
Arbeit zitieren
Frank Kretschmann (Autor:in), 2004, Landeskunde als Ideologiekritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27541

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