Entwicklungspsychologische und sozialwissenschaftliche Grundlagen im frühen Grundschulalter


Akademische Arbeit, 2005

42 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Körperliche und motorische Entwicklung

3. Kognitive Entwicklung

4. Sozial-emotionale Entwicklung

5. Motivationsentwicklung

6. Moralische Entwicklung

7. Veränderte Kindheit
7.1 Historische Lebensbedingungen von Kindern
7.2 Aspekte veränderter Kindheit

8. Konsequenzen für einen kindgemäß veränderten Schulanfang

9. Zusammenfassung

10. Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

1. Einleitung

Der Schulanfang fällt in fast allen industrialisierten Ländern in die Zeit zwischen dem sechsten und siebenten Lebensjahr. Auch in nicht-industriellen Gesellschaften verändert man in diesem Zeitraum die Einstellungen zu den Kindern; ihnen werden neue Rollen zugeteilt und sie müssen mehr Verantwortung übernehmen. (vgl. Rossmann 1996, S. 111) Deshalb möchte ich mich in dieser Arbeit in erster Linie auf den Lebensabschnitt von ca. fünf bis sieben Jahren beziehen. Das ‚genaue’ Alter bei der Phase des Schuleingangs ist hier nicht relevant, der Entwicklungsstand der Schulanfänger ist individuell sehr verschieden. Außerdem gehen die Entwicklungen fließend ineinander über und sollten in größeren Abschnitten gesehen werden. Die Schulpflicht beginnt, sofern sie in einem Land vorhanden ist, fast einheitlich etwa um das sechste Lebensjahr. In diesem Zeitraum beginnt eine Entwicklungsperiode des Kindes, die für eine grundlegende schulische Ausbildung als sehr gut geeignet gilt. Von hier an sollen Voraussetzungen von Reife vorhanden sein, die Kinder für den beginnenden systematischen Unterricht benötigen. Zusätzlich verlangt die Institution Schule mit der Einschulung der Kinder von ihnen schon bestehende Eigenschaften wie ‚Arbeiten’, ‚Pflichterfüllung’ und ‚Verantwortung’, die weiterhin ausgebaut und gefördert werden sollen. (vgl. Mietzel 1997, S. 191) In industrialisierten Ländern kann man entwicklungspsychologische Prozesse nicht mehr gänzlich getrennt vom Schulbesuch betrachten, da die Entwicklung in der sogenannten mittleren Kindheit entscheidend durch sie beeinflusst werden. Seit dem letzten Jahrhundert nimmt die Psychologie entscheidenden Einfluss auf verbreitete Ansichten der Menschen, wie Kinder sein sollen und was von ihnen erwartet wird. Da sich in der Kindheit in kurzer Zeit sehr viele und bedeutsame Entwicklungen und Veränderungen (z. B. in Bereichen der Motorik, der Sprache und des Denkens) vollziehen, wird der psychologischen Forschung und ihren Theorien enorm viel Beachtung geschenkt. (vgl. Fölling-Albers 1997b, S. 40) Die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie sollen helfen, kindliches Verhalten, Denken und Handeln, besser verstehen und nachvollziehen zu können. Allerdings darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass die Persönlichkeit eines Menschen viel zu komplex ist, um gänzlich von den Wissenschaften erforscht zu werden. Deshalb ist es für Lehrerinnen und Lehrer zwar pädagogisch wertvoll, die Entwicklungspsychologie bei dem Umgang mit ihren Schülern zu berücksichtigen, jedoch müssen sie sich kritisch mit deren Erkenntnissen auseinandersetzen. Nur auf diesem Wege beachten sie die Individualität der einzelnen Kinder und nehmen sie als ganzheitliche Persönlichkeiten ernst.

Bei der Auswahl der von mir vorgestellten Entwicklungsbereiche beschäftige ich mich nur mit jenen Bereichen, die sich unmittelbar auf die Schulanfangsphase auswirken und für diese von Bedeutung sind oder waren. Dabei möchte ich nicht allzu sehr ins Detail gehen, sondern hauptsächlich einen Gesamtüberblick schaffen.

2. Körperliche und motorische Entwicklung

Etwa im 5. Lebensjahr beginnt nach einer Zeit des schnellen Wachsens eine ausgeglichene und ruhigere Wachstumsphase, die sich erst wieder in der Pubertät beschleunigt. Schon zu Beginn des Schulalters sind Geschlechtsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen vorhanden. Jungen sind in der Regel etwas größer und sie zeigen bessere Leistungen bei den meisten körperlichen und sportlichen Aktivitäten. Zu den wenigen Ausnahmen besserer Leistungen der Mädchen zählen Geschicklichkeits- und Balanceaufgaben sowie das Hüpfen. Zum einen liegen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sicherlich an der Übungshäufigkeit (Jungen spielen mehr außerhalb des Hauses und sind durchschnittlich interessierter an sportlichen Wettkämpfen) und zum anderen wirken sich die körperlichen Unterschiede schon in diesem Alter aus (Jungenkörper sind muskulöser als die der Mädchen). Peter Rossmann zieht noch einen weiteren Faktor hinzu; er berichtet von einer Art Hemmung der Mädchen im Wettkampf gegen Jungen, die in empirischen Studien beobachtet wurde. (vgl. Rossmann 1996, S. 113)

Insgesamt nehmen im Laufe der Grundschulzeit körperliche Fähigkeiten wie Körperkraft, Koordination, Schnelligkeit und Ausdauer bei beiden Geschlechtern stetig zu.

Schon vor einiger Zeit wurde festgestellt, dass im Vergleich mit früheren Jahrzehnten Kinder ihre Körperproportionen generell mit jüngerem Lebensalter verändern und in der Regel etwas größer sind. (vgl. Nickel 1975, S. 21)

Im Allgemeinen ändert sich das Erscheinungsbild eines Kindes zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr. Besonders deutlich fallen dabei die Veränderungen der Körperproportionen auf. Wilfried Zeller, ein Berliner Kinderarzt, führte für die typischen Erscheinungsbilder von Kleinkindern und Schulkindern die Begriffe Kleinkindform, Übergangsform und Schulkindform ein. (vgl. Nickel/Schmidt-Denter 1995, S. 41) Der Kopf eines Kleinkindes ist im Vergleich zum Rumpf noch relativ groß, beim Schulkind ist er dagegen im Vergleich zum Rumpf kleiner. Weitere Kennzeichen für den Körperbau eines Schulkindes sind das Verschwinden des stark hervorstehenden Bauches als auch der anderen runden Körperformen, die Taille zeichnet sich in dieser Phase deutlich ab. Die Gelenke (besonders auffallend an den Schultern) treten stärker hervor und Arme und Beine werden vergleichsweise länger. Das sogenannte Kindchenschema tritt in den Hintergrund. Damit sind die Veränderungen der großen Augen und der eher gestauchten Gesichtsform gemeint. Während solche Merkmale abnehmen, prägen sich individuelle Merkmale aus. Zeller bezeichnet diese sichtbaren Veränderungen als ersten Gestaltwandel, den er u.a. in Fotografien dokumentiert hat. (vgl. Tücke 1999, S. 185) Er behauptet, dass man anhand der körperlichen Entwicklung auch die seelisch-geistige einschätzen kann. Vor einigen Jahrzehnten fand der Kinderarzt mit dieser Auffassung viel Anklang, da man glaubte, aufgrund der körperlichen Proportionen die Schulreife eines Kindes beurteilen zu können. Heute ist Zellers Methode längst nicht mehr aktuell, seine zur Veranschaulichung dienenden Abbildungen sind nicht mehr zeitgemäß und dem Gestaltwandel fällt kaum noch Bedeutung zu. Denn inzwischen steht fest, dass Parallelen zwischen körperlicher und intellektueller Entwicklung nur sehr gering ausgeprägt sind, falls es sie überhaupt gibt.

Nicht nur die körperliche Entwicklung, sondern auch die des Nervensystems wird in der Vorschulzeit oder spätestens in der Schulanfangsphase langsamer. Die Nervenbahnentwicklung und die Markscheidenbildung sind schon zu Beginn der Schulzeit fast völlig abgeschlossen. Bei Entwicklungen im Gehirn nimmt das Stützgewebe zu und die Gehirnzellen bilden sich aus. Der Prozess, in dem sich die Nervenzellen verbinden, ist in dem hier relevanten Lebensabschnitt bereits weit vorangeschritten, jedoch wird er erst im Jugendalter gänzlich zum Abschluss kommen. (vgl. Nickel/Schmidt-Denter 1995, S. 42)

Bei einem Schulanfänger sind Gleichgewichtssinn und Bewegungskoordination in der Regel schon stark ausgeprägt. Die kleineren Muskeln haben ihren Entwicklungsrückstand hinter den größeren aufgeholt. In diesem Alter können Kinder ihre Bewegungen bereits viel besser kontrollieren als noch mit vier Jahren. Die meisten können schon ohne Stützräder Fahrradfahren, sie laufen, klettern, turnen, hüpfen und springen gerne. Zusätzlich haben sie Spaß an Ballspielen und beginnen, sich mit anderen Kindern zu messen und zu vergleichen. (vgl. Herzka u.a. 1984, S. 27) Beim Schuleintritt können die meisten Kinder noch nicht aus dem Handgelenk zeichnen. Im Alter von vier Jahren benutzt das Kind beim Malen und Kritzeln noch überwiegend das Ellenbogen- und das Schultergelenk. Mit fortschreitendem Alter werden die Feinmuskulatur und die Handbewegungen gestärkt, so dass die kindlichen Zeichnungen feiner werden. Auch wenn die Feinmotorik der Hände während des vierten bis siebten Lebensjahres stetig ausgebaut wird, bleibt sie bis zum Einschulungsalter insgesamt noch hinter der Grobmotorik zurück. (vgl. Schenk-Danzinger 2002, S. 133)

Da in unserer Gesellschaft vermehrt Bewegungsräume und Bewegungsmöglichkeiten fehlen, sind bei der körperlichen Entwicklung im Schulkindalter in den letzten Jahren zwei Probleme immer größer geworden: Der Bewegungsmangel nimmt zu und die Zahl übergewichtiger Kinder steigt an. Kinder verbringen oft zu viel Zeit sitzend vor dem Computer oder dem Fernseher. Dabei wird häufig viel gegessen und getrunken. Ein anderer Faktor, der Einfluss auf kindliches Übergewicht nimmt, ist die Ernährung. Wenn die Eltern keinen großen Wert auf ihre eigene Ernährung legen, haben auch ihre Kinder häufig Übergewicht. Hinzu kommt, dass selbstverständliche körperliche Verhaltensweisen und Betätigungen immer mehr in den Hintergrund treten. (vgl. Tücke 1999, S. 188) Ein gutes Beispiel hierfür ist der Schulweg der Grundschulkinder. Während ihn früher wohl ausnahmslos alle zu Fuß zurücklegten, werden heute viele Schulkinder von den Eltern gebracht und abgeholt oder fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

3. Kognitive Entwicklung

„Im kognitiven Bereich erwartet man allgemein von einem Schulanfänger, dass seine Erkenntnisfunktionen einen Entwicklungsstand erreicht haben, die eine realistische Zuwendung zur Umwelt sowie eine differenzierende Auffassung und Verarbeitung von Umweltreizen ermöglichen.“ (Baumann/Nickel 1997, S. 167)

Die kognitive Entwicklung bezeichnet die Entwicklung aller Funktionen, die dem Erfassen und Erkennen der Personen und Gegenständen der Umgebung und der eigenen Person gelten. Zu diesen Funktionen gehören unter anderem das Denken, die Sprachentwicklung und die Wahrnehmung. Diese schwer greifbare Entwicklungskategorie hat im Laufe der Geschichte die verschiedensten Theorien hervorgebracht. Hierüber möchte ich skizzenhaft einen Gesamtüberblick geben. Außerdem werde ich gezielt auf ausgewählte Theorien eingehen, die für den Schulanfang und den Anfangsunterricht eine Rolle spielen.

Nach Oerter ist das Denken die wichtigste sowie mit Sicherheit auch die schwierigste und komplexeste Entwicklungskategorie. (vgl. Oerter 1984, S. 311) Bei den Theorien, die sich hiermit auseinandersetzen, geht es meist um die zentrale Frage, ob die Entwicklung stärker durch die Umwelt oder durch die Anlagen (Gene) beeinflusst wird.

Mit der Einschulung werden die kognitiven Fertigkeiten der Kinder ausgebaut: Ihre Gedächtnisleistung und ihre Intelligenz steigen an und ihre Interessen werden ausgeprägter und differenzierter. In der kognitiven Entwicklung setzt sich das Kind in erster Linie mit seiner Umwelt auseinander. Es lernt Auswirkungen kennen, versucht sie nachzumachen und begeht dabei auch Fehler. Diese Fehler sind zum Teil charakteristisch für bestimmte Vorstufen des Erwachsen-Werdens. (vgl. Tücke 1999, S. 157)

Im Folgenden möchte ich auf die vom Schweizer Psychologen Piaget verfasste und wohl bekannteste aller Theorien zur kognitiven Entwicklung etwas näher eingehen. Diese bezieht sich allerdings nicht nur auf die kognitive Entwicklung, jedoch wird ihr der Schwerpunkt gewidmet, weshalb ich sie an dieser Stelle anführe.

Jean Piaget (1896-1980) ist sicherlich eine Schlüsselfigur der kognitiven Entwicklungspsychologie. Er geht davon aus, dass insbesondere die Ausbildung denkpsychologischer Strukturen für die menschliche Entwicklung entscheidend ist. Über viele Jahre hinweg beobachtete Piaget seine eigenen und andere Kinder. Seine Forschungen legen den Grundstein für das Modell von Lawrence Kohlberg sowie für viele weitere danach erstellte Theorien zur Denkentwicklung. Laut Piaget läuft das Denken nach einem kognitiven Schema ab. Bei Kindern ist das noch nicht ausgereift, deshalb entsteht ein Ungleichgewicht, welches das Kind versucht auszugleichen. Dies geschieht durch zwei Arten; durch Assimilation und Akkommodation. Durch dieses Zusammenspiel entsteht die Anpassung, Piaget bezeichnet diese Fähigkeit als Prozess der Adaption. Der Begriff Adaption bedeutet das Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkommodation. Wenn ein Kind etwas Gelerntes auf etwas anderes überträgt, also an die eigene Struktur anpasst, spricht Piaget von Assimilation. Durch sie werden die genetischen und die erwobenen Schemata gestärkt oder vertieft. Bei der Akkommodation verändert das Kind ein bereits bestehendes Schema, um sich den Vorgängen der Umwelt anpassen zu können. (vgl. Steinebach 2000, S. 101) Assimilation und Akkommodation wirken demnach in entgegengesetzte Richtungen.

„Die Assimilation ist konservativ und möchte die Umwelt dem Organismus (...) unterordnen (...), Während die Akkommodation Quelle von Veränderungen ist, die den Organismus den sukzessiven Zwängen der Umwelt beugt.“ (Scharlau 1996, S. 91)

Die Suche nach dem geistigen Gleichgewicht, durch die das Kind in immer „höhere“ Schemata gelangt, bezeichnet Piaget als Äqulibration (von frz. „équilibre“, Gleichgewicht). Er teilt die kognitive Entwicklung in vier Phasen ein. Die zweite Phase nennt er das voroperative Denken, wobei er die Stadien des symbolischen Denkens und des anschaulichen Denkens unterscheidet. Interessant ist hier letztere, da sie im Alter zwischen vier bis sieben Jahren auftritt. In dieser Phase ist das Kind in der Lage, sich mit einem Menschen zu unterhalten, Fragen zu stellen und zu beantworten, außerdem lernt es in diesem Stadium viele Vorbegriffe. Dies ist nach Piaget ein Zeichen dafür, dass sich die kindliche Struktur verändert hat. Das Kind macht enorm viele Fortschritte, bleibt jedoch in der vor-logischen Stufe, denn nach Piaget kann es in dieser Phase noch nicht ‚richtig’ denken. (vgl. Mietzel 2002, S. 182) Begrifflichkeiten sind in dieser Zeit weitestgehend an Anschauungen gebunden und das Denken erfolgt in Bildern.

„(...) Da aber in den kindlichen Denkabläufen – vor allem während des Vorschulalters – bestimmte Verstöße gegen Regeln (...) immer wieder vorkommen, spricht Piaget vom voroperationalen Denken.“ (Mietzel 2003, S. 81)

Im Alter von etwa sechs oder sieben Jahren bauen die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes auf natürlichem Wege auf die Entwicklungsschritte des Vorschulalters auf. Nach Piaget beginnt die Phase der konkreten Operation ungefähr mit dem Eintritt in die Schule. Zwar benötigt das Kind hier immer noch eine Anschauungsgrundlage und es ist auch noch sehr stark an die dingliche Gegenstandswelt gebunden, aber es ist jetzt in der Lage, die Operation der Umkehrbarkeit zu begreifen. (vgl. Rossmann 1997, S. 114) Das Schulkind entdeckt Strategien im Umgang mit Reversibilität, Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Indem es lernt, gleichzeitig auf mehrere Merkmale zu achten, kann es die Ereignisfolgen gedanklich umkehren. Zu den einzelnen Schlüssen der kognitiven Entwicklung ist Piaget in vielen verschieden Versuchen (z. B. „Drei-Berge-Modell“ und „Versuch zum Erhaltungs- und Invarianzbegriff) gekommen. Auf deren Gesamtumfang werde ich hier nicht näher eingehen, nur zwei seiner Beobachtungen erläutere ich kurz anhand weniger Sätze. In dem einen Versuch hat Piaget Flüssigkeit aus einem Glas mit breitem Durchmesser in ein höheres Glas mit schmalem Durchmesser gegossen. In dem anderen hat er 16 weiße und 4 braune Holzperlen auf den Tisch gelegt und die Kinder gefragt, ob sie mehr weiße oder mehr braune Holzperlen sehen. Beim ersten Versuch haben Vorschulkinder erklärt, dass sich die Menge der Flüssigkeit verändert habe, und beim zweiten Versuch haben sie sich bei ihren Antworten für mehr weiße Perlen entschieden. Piaget wollte mit solchen Versuchen deutlich machen, dass ein Kind, welches sich in der präoperationalen Phase befindet, noch nicht in der Lage ist, Teilmengen mit einer Gesamtmenge zu vergleichen. Obwohl man davon ausgeht, dass ein Schulanfänger den gleichen Wahrnehmungseindruck wie ein Vorschulkind hat, kommt der Schulanfänger bei denselben Versuchen zu anderen Ergebnissen. Ein Schulkind, welches sich in der konkret-operationalen Phase befindet, ist nämlich bereits in der Lage, sein eigenes Wahrnehmungsurteil zu korrigieren. Sein Denken hat gegenüber dem Vorschulkind einen entscheidenden Fortschritt gemacht. In der Entwicklungsstufe, die meist zwischen sechs und sieben Jahren beginnt, versteht das Kind erstmals, dass konkrete Operationen umkehrbar sind. Es begreift nunmehr, dass Objekte gleichzeitig mehr als einer Kategorie zugehören können, und dass die Kategorien zueinander in einer logischen Beziehung stehen können. (vgl. Mietzel 1997, S. 196)

In zahlreichen späteren Forschungen wurden Piagets Beobachtungen zum Teil bestätigt, aber auch revidiert. Obwohl er betont, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Stufen fließend sind (d.h. ein Kind kann sich in mehreren Stufen gleichzeitig befinden), wird die von ihm erstellte Altersfestlegung besonders häufig kritisiert. Denn heute steht fest, dass die Lernerfahrung eines Kindes eine weitaus bedeutendere Rolle spielt als in der Piagetschen Entwicklungstheorie. (vgl. Fölling-Albers 1997b, S. 47) Viele Kinder sind folglich in der Lage, bestimmte Operationen früher zu bewältigen, da sie diesbezüglich entsprechende Lernerfahrungen gemacht haben. Piaget konzentriert sich in seinen Untersuchungen hauptsächlich auf die Denkentwicklung. Dabei setzt er zwar Kreativität voraus, fördert sie aber nicht. Er übersieht, dass es individuelle Erziehungsformen gibt und dass kindliche Fähigkeiten auch von Unterstützung und Anregungen abhängen. In der menschlichen Entwicklung geschieht weit mehr, als nach außen hin erkennbar ist, denn der Mensch ist aus der Verknüpfung aller Ereignisse und Erfahrungen zu verstehen.

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Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Entwicklungspsychologische und sozialwissenschaftliche Grundlagen im frühen Grundschulalter
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
42
Katalognummer
V275037
ISBN (eBook)
9783656671459
ISBN (Buch)
9783656671688
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entwicklungspsychologische, grundlagen, grundschulalter
Arbeit zitieren
Julia van Risswick (Autor:in), 2005, Entwicklungspsychologische und sozialwissenschaftliche Grundlagen im frühen Grundschulalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275037

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