Entwicklung und reformpädagogische Tradition von Jahrgangsmischung


Akademische Arbeit, 2006

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entstehung von Jahrgangsmischung

3. Altersmischung in den kleinen Landschulen

4. Maria Montessori
4.1 Prinzipien und Vorzüge der Jahrgangsmischung bei Montessori
4.2 Die Bedeutung von Gleichaltrigen in der Lerngruppe

5. Peter Petersen
5.1 Die altersgemischte Stammgruppe
5.2 Eingliederung der Stammgruppe in den Schulalltag
5.3 Begründungen der jahrgangsgemischten Stammgruppe
5.4 Die Pädagogik Petersens in der aktuellen Diskussion

6. Schluss

7. Quellenverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
7.1 Literatur
7.2 Internetseiten
7.3 Grafiken

1. Einleitung

Das Prinzip der Alters- bzw. Jahrgangsmischung wurde nicht von Vertretern der Reformpädagogik neu entwickelt. Vielmehr handelt es sich dabei um die älteste und über viele Jahrhunderte vorherrschende Form der Wissensvermittlung.[1] Dabei ist das frühere jahrgangsgemischte Unterrichten allerdings auf andere Beweggründe zurückzuführen, als wir sie in der aktuellen schulpädagogischen Diskussion vorfinden. So war die schulische Ausbildung bis zur Einführung der Schulpflicht nicht bindend und oftmals nur ein Privileg Einzelner.[2]

2. Entstehung von Jahrgangsmischung

Die ersten Ursprünge des altersgemischten Unterrichtens können wir schon anhand einiger Bilder aus dem Alten Ägypten finden, auf denen ein Lehrer Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Altersgruppen (vermutlich aus der Pharaonenfamilie und ihrer Verwandtschaft) Unterricht erteilt. In Griechenland gab es Wanderlehrer (bzw. Philosophen), die von einem Ort zum nächsten reisten und auf den Marktplätzen jungen und alten Menschen ihre Alltagserfahrungen und Lebensweisheiten offenbarten. Auch im spätrepublikanischen Rom wurde mit dem Ziel der allgemeinen Schulpflicht eine in Wissensbereiche untergliederte Lehrweise durchgesetzt, die auf altersgemischtem Lernen basierte.[3] Bei diesem System, welches sich auch im Mittelalter und darüber hinaus fortsetzte und somit etwa 2000 Jahre in Europa bestand, „war ein individualisiertes Lernen in Gruppen üblich, die nach Kenntnisstand, nicht nach Alter gebildet wurden“[4]

Erst als die von Comenius bereits im 17. Jahrhundert geforderte Bildung für alle durch die Einführung von Jahrgangsklassen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwirklicht wurde, gab man die viele Jahrhunderte alte Praxis der Unterrichtung in altersgemischten Lerngruppen (Abteilungsunterricht, Untergliederung nach Kenntnisstand etc.) zugunsten von Altershomogenität auf.[5]

3. Altersmischung in den kleinen Landschulen

Die Einführung des Jahrgangsklassensystems führte jedoch nicht zum völligen Verschwinden der Alters- bzw. Jahrgangsmischung. In den kleinen Dorf- bzw. Landschulen[6] gehörten altersheterogene Klassen noch bis in die 1960er Jahre zum Alltag. Aufgrund niedriger Schülerzahlen wurden mehrere Jahrgänge in einer Klasse zusammengefasst. In den kleinen Landschulen ging es jedoch nicht darum die Altersheterogenität für den Unterricht zu nutzen, sondern ein System zu finden um den geringen Schülerzahlen gerecht zu werden und den Kindern somit einen langen Schulweg zu ersparen (Ökonomische Begründung). Demnach entsprach der Unterricht in diesen altersgemischten Landschulen größtenteils der Form des Abteilungsunterrichts.

Infolge des Sputnikschocks [7] von 1956 glaubte man in Deutschland, die Schuld für den technologischen Rückstand des Westens im Schulwesen sowie in der unausgeschöpften Begabungsreserve zu finden. Um das Schulsystem effektiver zu gestalten, sahen die Schulentwicklungspläne zentrale, große Schulen vor, die durch ein anspruchsvolles Angebot zu wissenschaftsorientiertem Unterricht verhelfen und somit leistungsfähiger sein sollten.[8] Um dies zu gewährleisten wurden in den 60er Jahren die kleinen Landschulen mit ihren kombinierten Klassen „zugunsten [dieser] voll ausgebaute[n] Schulen weitestgehend abgeschafft.“[9] Der oft heftige Widerstand der Betroffenen wurde nicht gehört, da „fast alle Verantwortlichen im Bildungswesen […] unbesehen und ungeprüft die Meinung übernommen [hatten], an kleinen Schulen lerne man weniger und […] damit den rigorosen schulischen Kahlschlag“[10] rechtfertigten. Gleichzeitig war man wie bereits erwähnt davon überzeugt, dass optimales Lernen nur in leistungshomogenen Gruppen zu verwirklichen sei und ging zusätzlich davon aus, dass diese Homogenität durch Jahrgangsklassen in Verbindung mit „Sitzen-bleiben“ bei unpassenden Leistungen zu erreichen sei[11]

Diese Überzeugung wurde bereits viele Jahre zuvor, im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts deutlich in Frage gestellt und kritisiert. Zu jener Zeit entwickelten Reformpädagogen wie Maria Montessori (1870-1952), Peter Petersen (1884-1952), Berthold Otto (1859-1933 → Gesamtunterricht) und Paul Geheeb (1870-1960 → Odenwaldschule /Land-erziehungsheime) neue Konzepte[12], in denen der Jahrgangsmischung eine entscheidende Rolle zukommt.

4. Maria Montessori

„In den meisten Schulen besteht einmal eine Trennung nach den Geschlechtern und dann nach dem Alter, das ungefähr in allen Klassen gleich ist. Das ist ein grundlegender Fehler, der zu jeder Art anderer Fehler führt: Es ist eine künstliche Isolierung, die die Entwicklung des sozialen Gefühls verhindert.“[13] So lautet Montessoris Kritik an der Jahrgangsklasse. Während die altersgemischten Land-schulklassen mehr aus organisatorischen als aus pädagogischen Gründen eingerichtet wurden, ist „das Prinzip der Altersmischung [in der Pädagogik Montessoris] ein grundlegendes Strukturprinzip […] der Schul- und Unterrichts-organisation […]“[14]. Im Unterschied zu dem Gesamtschulkonzept von Berthold Otto, welches die Begegnung altersheterogener Kinder vom ersten bis zum zehnten Schuljahr herbeiführt[15], leben und lernen in der Konzeption Montessoris Kinder aus drei Jahrgangsstufen gemeinsam. Laut der Reformpädagogin ermög-licht und fördert dieses Zusammenleben von Kindern aus drei Altersjahrgängen u. a. vielfältige Kooperationen unter den Schülern.[16] Maria Montessori ist sich allerdings bewusst, dass die Vorzüge der geschlechts- sowie altersgemischten Klassen nur realisierbar sind, wenn man die Jahrgangsmischung mit differenzierten Unterrichtsformen kombiniert. So empfiehlt die Reformpädagogin eine Form der Freiarbeit. , die nur auf Grundlage einer vom Lehrer, mit didaktischen Materialien[17] ausgestatteten, vorbereiteten Umgebung[18] realisierbar ist. Wie auch bei Berthold Otto steht bei Montessori das Kind als „Baumeister des Menschen“[19] im Mittelpunkt ihrer Pädagogik. Es kann in Einzel-, Partner- oder Kleingruppenarbeit nach eigenem Lerntempo und eigener Wahl der Materialien lernen.

Laut Eichelberger erfährt die Rolle des Lehrers in der Montessori-Pädagogik eine neue Definition. So ist dieser nicht mehr in erster Linie Wissens-vermittler, sondern seine Aufgaben liegen in der Beobachtung, Begleitung und Unterstützung des Kindes, sowie in der Vorbereitung einer kindgerechten Umgebung.[20] Insgesamt treten die Vorzüge von Jahrgangsmischung besonders auf Grundlage der Freiarbeit, doch zum Teil auch im gebundenen Unterricht, welcher ebenfalls nach den Regeln der inneren Differenzierung praktiziert wird (allerdings in größeren Gruppen)[21], in Erscheinung.

4.1 Prinzipien und Vorzüge der Jahrgangsmischung bei Montessori

Das von Maria Montessori bevorzugte Modell der Jahrgangsmischung von drei Stufen, also einer „geschlechts- und altersgemischten Gruppierung der 3-6-Jährigen, der 6-9-Jährigen und der 9-12-Jährigen“[22], entspricht nach Ansicht der Reformpädagogin dem „Natürlichkeitsprinzip“. Da das Kind in seiner Umwelt immer Erfahrungen mit Älteren und Jüngeren macht (vor allem in der Familie mit Geschwistern oder im Kinderhaus), ist es für Montessori sinnvoll die Mischung dreier Altersstufen auf die Schule zu übertragen. Dabei wird dem Kind die Möglichkeit geboten, unterschiedliche Rollen (die des Älteren, des Mittleren und des Jüngeren) kennen zu lernen und sie in seiner Gruppe einzunehmen. Lagings Ansicht nach führt dies nicht zu konkurrierendem, sondern zu kooperativem Umgang miteinander und fördert somit das Sozial- und Lernverhalten.[23] Dieses Modell der Mischung von drei Jahrgängen kann seit der vollzogenen Teilung von Volksschulen in Grund- (umfasst in den meisten Bundesländern vier Jahrgänge) und Hauptschulen, nur noch schwer umgesetzt werden. Deshalb mussten auch in den Montessori-Schulen neue Modelle bzw. Organisationsformen von Jahrgangs-mischung entwickelt werden[24].

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist der Aspekt des Voneinander Lernens. „Kinder lernen [Montessoris Ansicht nach] in einer Weise voneinander, die Eltern und Erzieher nicht ersetzen können […], da sie sich in ihrem Fühlen und Denken […] näher stehen als Erwachsene [und somit] Erkenntnisse oft entsprechend einfacher weitergeben [können].“[25] Dieser Aspekt beinhaltet zwei wichtige Ausrichtungen. Auf der einen Seite steht das Lernen durch Imitation, wobei die Jüngeren die Älteren nachahmen und so zu neuen Erkenntnissen gelangen. Montessori beschreibt das folgendermaßen: „Sie können sich kaum vorstellen, wie gut ein kleines Kind von einem älteren lernt; wie geduldig das ältere Kind mit den Schwierigkeiten des jüngeren ist. Es sieht beinahe so aus, als ob das jüngere Kind für das ältere einen Arbeitsstoff darstelle.“[26] Aus dieser Aussage Montessoris lässt sich schließen, dass auf der anderen Seite der Effekt des Lernens durch Lehren nicht zu unterschätzen ist, da die Schüler vorerst ihr eigenes Wissen systematisieren müssen, bevor sie es anderen Kindern vermitteln können.[27] „[Das Kind] vervollkommnet […] das, was es weiß, indem es lehrt, denn es muss seinen klein-en Wissensschatz analysieren und umarbeiten, will es ihn an andere weitergeben. Dadurch sieht es die Dinge klarer und wird für den Austausch entschädigt.“[28] „Durch nichts lernen sie mehr als durch das Lehren anderer […].“[29]

Weitere Vorzüge der Jahrgangsmischung sieht Montessori in dem Abbau von Konkurrenz und Rivalität, besseren Erfolgschancen für begabte, wie auch schwächere Schüler, der Förderung von Persönlichkeitsentwicklung, Kommunikation sowie Kooperation und in dem Wegfall des Sitzenbleibens.

[...]


[1] Vgl.: Knauf 1997, S. 115

[2] Vgl.: Goetze-Emer 2000, S. 47

[3] Vgl.: Knauf 1997, S. 115

[4] Lennartz, Alice/Ludwig, Harald: Jahrgangsübergreifendes Lernen. In: Wittenbruch, Wilhelm/
Lennartz, Alice (Hrsg.): Zeit zu handeln: Grundschulentwicklung voranbringen! Heinsberg 2003, S. 81 (künftig zitiert als: „Lennartz 2003“)

[5] Vgl.: Knauf 1997, S. 116

[6] Landschulen werden auch oft als „Zwergschulen“ bezeichnet

[7]Sputnikschock nennt man die politisch-gesellschaftliche Reaktion in den USA und Westeuropa sowie die weitere Entwicklung ihrer Raumfahrt nach dem Start des ersten Erdsatelliten Sputnik am 4. Oktober 1957 durch die Sowjetunion. Sputnik bewies in erster Linie, dass die Sowjetunion technologisch den USA mindestens ebenbürtig, sowie im Besitz von starken Interkontinentalraketen war und die USA mit Atombomben bedrohen konnte. Diese technologische Leistung stellte den bis dahin sicher geglaubten Überlegenheitsanspruch des Westens in Frage. (Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Sputnik-Schock vom 10.12.2005 )

[8] Vgl.: Förch, Johannes / Gerold, Horst-Dieter u.a.: Die altersgemischte Klasse – Aus der Sicht kleiner Grundschulen. In: Burk, Karlheinz (Hrsg.): Jahrgangsübergreifendes Lernen in der Grundschule. Frankfurt am Main 1996, S. 24 (künftig zitiert als: „Förch 1996“)

[9] Lennartz 2003, S. 81

[10] Förch 1996, S. 25

[11] Vgl.: Lennartz 2003, S. 81 f.

[12] → Auf die Konzepte von Otto und Geheeb soll in dieser Arbeit nicht gesondert eingegangen werden. Abgesehen von den genannten Reformpädagogen gibt es noch weitere, die das Prinzip der Jahrgangsmischung in ihre Konzepte eingebunden haben.

[13] Montessori, Maria: Das kreative Kind. Der absorbierende Geist. Freiburg 1972, S. 203 (künftig zitiert als: „Montessori 1972“)

[14] Holtstiege, Hildegard: Das Prinzip der Altersmischung in Montessori-Schulen. In: Montessori – Zeitschrift für Montessori-Pädagogik. 3-4/1995, S. 102 (künftig zitiert als „Holtstiege 1995“)

[15] Vgl.: Laging 1999, S. 12

[16] Vgl.: Ebd.

[17] → Sinnesmaterialien für die Bereiche Kinderhaus, Deutsch, Mathematik und Kosmische Erziehung, die von Montessori selbst entwickelt wurden und den Entwicklungsstufen des Kindes entsprechen

[18] → eine kindgerechte Umgebung (z.B. der Klassenraum) die vom Lehrer / Erzieher so konzipiert wird, dass sich das Kind darin selbständig und frei bewegen kann

[19] Montessori 1972, S. 13

[20] Vgl.: Eichelberger, Harald: Handbuch zur Montessori-Didaktik. Innbruck 1997, S. 22 (künftig zitiert als „Eichelberger 1997“)

[21] Vgl.: Stein, Barbara: Kinder lernen auch von Kindern – Zur Jahrgangsmischung an Montessori-Schulen. In: Ludwig, Harald, Fischer, Christian u. a.: Sozialerziehung in der Montessori-Pädagogik. Theorie und Praxis einer „Erfahrungsschule des sozialen Lebens“. Münster 2005,
S. 132 (künftig zitiert als: „Stein 2005“)

[22] Laging 1999, S. 11

[23] Vgl.: Blendinger 2003, S. 48

[24] Vgl.: Stein, Barbara: Altersmischung. In: Steenberg, Ulrich (Hrsg.) / Holtz, Alex u. a.: Handlexikon zur Montessori-Pädagogik. 4. Band, Ulm / Münster 1997, S. 9

[25] Stein 2005, S. 133

[26] Montessori, Maria: Spannungsfeld Kind – Gesellschaft – Welt. Auf dem Weg zu einer „Kosmischen Erziehung“. Freiburg 1979, S. 87 (künftig zitiert als „Montessori 1979“)

[27] Vgl.: Blendinger 2003, S. 48

[28] Montessori 1972, S. 204

[29] Montessori 1979, S. 87

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Entwicklung und reformpädagogische Tradition von Jahrgangsmischung
Hochschule
Universität Münster
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V274998
ISBN (eBook)
9783656670278
ISBN (Buch)
9783668138179
Dateigröße
684 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entwicklung, tradition, jahrgangsmischung
Arbeit zitieren
Susanne Hoff (Autor:in), 2006, Entwicklung und reformpädagogische Tradition von Jahrgangsmischung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274998

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