Strategien des Nationbuilding in Bjørnstjerne Bjørnsons "Arne"


Hausarbeit, 2014

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Zielsetzung

2. Wer sind wir und wenn ja, warum? Verschiedene Definitionen der Nation

3. "Arne" - Eine Bauernerzählung
3.1 Des Außenseiters Zähmung - Arne Nilsson Kampen
3.2 Der Gescheiterte - Nils skredder
3.3 Die selbstlos liebende Mutter - Margit Kampen
3.4 Der Fels in der Brandung - Bård Bøen

4. Ein Stamm in den Bergen - Die Bauerngesellschaft in "Arne"

5. Der ewige Bauer - Strategien des Nationbuilding

6. Schlussbetrachtung

1. Einleitung und Zielsetzung

Der am 8. Dezember 1832 in Kvikne als Sohn eines Pfarrers geborene Bjørnstjerne Bjørnson gilt als einer der wichtigsten norwegischen Schriftsteller und als Verfasser der Nationalhymne "Ja, vi elsker dette landet" nachgerade als Nationaldichter. Der Kampf um die Unabhängigkeit Norwegens, welches nach dem Kieler Frieden von 1814 aus seiner Verbindung mit Dänemark gelöst und an Schweden abgetreten worden war, nahm in seinem Leben einen wichtigen Platz ein und findet sich in vielen seiner Arbeiten. Wie andere Schriftsteller seiner Zeit war er darum bemüht, die Selbstständigkeit Norwegens als Kulturnation zu stärken, ein größeres Bewusstsein für die Eigenständigkeit und Besonderheit Norwegens zu schaffen und nicht zuletzt dadurch die vollständige Unabhängigkeit des Landes vorzubereiten1, also Nationbuilding zu betreiben. Im Folgenden werde ich zu ergründen suchen, wie der Verfasser dabei in seiner Bauernerzählung "Arne" vorgeht. Dabei werde ich zunächst kurz auf die Problematik des Nationsbegriffs eingehen. Anschließend werde ich die wichtigsten Eigenschaften der von Bjørnson vor allem anhand einiger Hauptfiguren dargestellten Gesellschaft herausarbeiten sowie seine literarischen Strategien des Nationbuildings aufzeigen.

2. Wer sind wir und wenn ja, warum? - Verschiedene Definitionen der Nation

Um die Frage nach Nationbuilding in einem literarischen Werk stellen zu können, darf diejenige nach der Nation nicht ungestellt bleiben. Denn obgleich Begriffe wie "Nation" oder "Nationalität" zu unserem Alltagsvokabular gehören, sind ihre genauen Inhalte keinesfalls so klar, wie ihr selbstverständlicher Gebrauch nahelegt.

Etymologischer Ursprung ist das lateinische "natio", welches mit Abstammung, Geburtsort oder Volksstamm übersetzt werden kann. Als Bezeichnung für eine Gruppe innerhalb eines bestimmten Gebietes ist er ab dem 14. Jahrhundert belegt, seine moderne politische Definition entwickelt sich seit dem 18. Jahrhundert und der Französischen Revolution.2 Das Konzept der Nation stellt eine Möglichkeit dar, die Komplexität der Welt zu reduzieren, indem eine Gruppe von Menschen als im Gegensatz zum Rest der Weltbevölkerung zu dieser Gruppe dazugehörig definiert wird. Wer aufgrund welcher Kriterien zum "Wir" gezählt werden kann, kann dabei je nach Herangehensweise unterschiedlich ausfallen. Jansen und Borggräfe unterscheiden vier Hauptrichtungen.

1. Der sogenannte subjektive Nationenbegriff geht davon aus, dass Nationen große Kollektive sind, die auf dem Konsens ihrer Mitglieder fußen. Die Zugehörigkeit zu einer Nation ist hier von der freien Entscheidung des Individuums dazu abhängig.
2. Der objektive Nationenbegriff stellt hingegen den Versuch dar, die Zugehörigkeit von Menschen zu Nationen anhand von objektiven Kriterien zu entscheiden. Diese Kriterien können vom Einzelnen nicht beeinflusst werden. In Frage kommen beispielsweise Sprache, Kultur, Tradition oder Geschichte. Nach dieser Lesart kann jeder Mensch nur einer Nation angehören und diese, im Gegensatz zum subjektiven Begriff, nicht selbst wählen.
3. Dekonstruktivistische Ansätze wiederum stellen die Idee in Frage, dass in Nationen so etwas wie natürliche Ordnungen sichtbar würden. Die Gemeinschaft einer Nation wird hier als imaginierte Gemeinschaft gewertet, mittels derer menschliche Bedürfnisse nach Unterscheidung und Abgrenzung befriedigt werden können. Dies bedingt, dass es sich nicht allein um ein politisches Phänomen handelt, sondern dass die Idee von der Nation eine breite Basis hat und auch als gesellschaftliches sowie kulturelles Produkt zu sehen sei.
4. Zwischen den Stühlen befindet sich eine Position, die unter anderem von Anthony Smith vertreten wird. Er geht davon aus, dass Nationen zwar konstruierte Gemeinschaften sind, nichtsdestoweniger aber einen ethnischen Kern besitzen.3

3. "Arne" - eine Bauernerzählung

Die hauptsächliche Handlung von Bjørnsons Erzählung "Arne" ist schnell umrissen, wobei ich jedoch die im ersten Kapitel erzählte kurze Fabel aussparen werde, da seine geologischen und botanischen Protagonisten in keiner ursächlichen Verbindung zum Hauptteil der Novelle stehen. Arne wird als unehelicher Sohn des Bauernmädchens Margit und des Geigers Nils geboren und wächst auf dem Hof Kampen zunächst bei seiner Großmutter und seiner Mutter auf. Sein Vater Nils, ein Hochzeitsmusiker, Frauenheld und Trinker, zieht derweil über die Dörfer und kümmert sich nicht um die Familie. Er gerät auf einer Hochzeit wegen eines Mädchens - Birgit Bøen - mit dem Bauern Bård in Streit. Beim Faustkampf mit ihm stürzt Nils so unglücklich, dass er sich am Rücken verletzt und als Invalide auf den Hof Kampen zu Margit und Arne kommt. Seine Gesundheit bessert sich zwar im Lauf der Zeit, sein Alkoholismus und seine Gewalttätigkeit gegenüber vor allem Margit verschlimmern sich jedoch. Arne flüchtet sich in seine Bücher. Nach dem Tod des Vaters wird er zum wortkargen, aber künstlerisch begabten Außenseiter. Die ihm angebotene Stelle des Lehrer lehnt er ab und hütet stattdessen das Vieh. Auch sehnt er sich aus dem Tal fort, verspricht seiner Mutter jedoch, sie nicht zu verlassen. Er arbeitet später als Tischler, auch auf Bårds Hof, der mit Birgit Bøen verheiratet ist und mit ihr eine Tochter namens Eli hat. Arne und Eli verlieben sich, sind jedoch zu schüchtern, es sich gegenseitig einzugestehen. Daraufhin lockt Margit Eli unter einem Vorwand nach Kampen, zeigt ihr den Hof und nebenbei auch Arnes Zimmer sowie die Geschenke, die er für Eli gesammelt hat. Als Arne hinzukommt ist dem jungen Glück hinreichend auf die Sprünge geholfen: Eli und Arne heiraten, Arne wird von seinem Fernweh geheilt, macht jedoch weiterhin Lieder. Im Zuge der Heirat der Kinder finden auch Bård und Birgit, die einander lange entfremdet waren, wieder zusammen.

Es handelt sich um eine in Sachen Figurenkonstellation nicht ausnehmend komplexe Bildungs- bzw. Sozialisationsgeschichte. Sie endet mit der Heirat von Arne und Eli und damit mit der Aufnahme vor allem Arnes in die Gesellschaft - die Gesellschaft der Bergbauern, um genau zu sein, denn sämtliche Hauptfiguren sind diesem Milieu zuzuordnen oder stehen ihm nahe. Diese Gesellschaft wird nicht in ihrer Breite beschrieben, sondern von Bjørnson anhand weniger Hauptfiguren und ihrer Verhältnisse zueinander sowie ihrer Charaktereigenschaften gezeichnet. Die wichtigsten Figuren in Bjørnsons Erzählung sind meines Erachtens Arne Kampen, Margit Kampen, Nils und Bård Bøen. Ihnen wird daher mein Hauptaugenmerk gelten.

3.1 Des Außenseiters Zähmung - Arne Nilsson Kampen

Arne, der Titelheld der Novelle, wächst in zerrütteten Familienverhältnissen auf. Sein Vater will von ihm und seiner Mutter nichts wissen. Seine Großmutter will Arnes Vater am liebsten verleugnen: "Bestemoren hadde strengt forbudt endog å nevne ham(...).".4 Seine Mutter Margit hingegen trauert ihm nach: "Margit satt hjemme med den lille gutten. Hun hørte om Nils, der han fór fra dans til dans, så på gutten og gråt, så atter på ham og var glad. Det første hun lærte gutten, var å si pappa(...)".5 Als sein Vater als invalider Haustyrann bei ihnen einzieht, zeigt sich Arne, der früh Talent zum Dichten und Singen beweist, zwischen den beiden hin- und hergerissen.6 Vor den Schwierigkeiten zu Hause flüchtet er sich in die Natur und in seine Bücher.7 Die Spannungen auf Kampen erreichen ihren Höhepunkt, als Nils im betrunkenen Zustand nach Hause kommt und beabsichtigt, Margit zu vergewaltigen. Arne ist in diesem Moment bereit, sie zu verteidigen und seinen Vater zu erschlagen - allein der plötzliche Herztod von Nils bewahrt ihn offenbar davor, zum Vatermörder zu werden:

"'Er det bare på trossighet at du ikke skriker. Skulle ellers ta deg i vare for det; jeg har fått slik en underlig lyst. Krill, krill!' 'Far!' skrek Arne og tok etter øksen, men ble stående som fastnaglet; ti i det samme reiste faren seg, gav et skjærende skrik, tok seg for brystet, falt om. 'Jesus Kristus!' sa han og lå ganske stille."8

Auf diese Weise motiviert Bjørnson die psychische Grundverfassung seiner Titelfigur sowie ihre Stellung innerhalb der bäuerlichen Gesellschaft. Als illegitimer Sohn eines versoffenen, promisken Spielmannes - unseriöseres lässt sich in diesem Kontext kaum denken- und einer Pächterstochter ist seine Ausgangsposition ungünstig. Intelligenz und Empfindsamkeit tragen das ihre dazu bei, dass sich Arne unter den schwierigen Bedingungen seiner Kindheit zum Außenseiter und Gesellschaftsverweigerer entwickelt, der er beim Einsetzen der Haupthandlung ist:

"Arne ble fåmælt og folkesky; han gjetet og laget viser. Han ble nitten, i sitt tyvende år, og enda gikk han og gjetet. Han lånte seg bøker hos presten og leste; men dette var det eneste han ellers tok seg for. Presten budsendte ham om å ta skolemestertjeneste; 'ti bygden burde dra nytte av hans evner og kunnskaper'. Arne svarte intet dertil (...)."9

Statt einer Antwort dichtet er am Folgetag ein spöttisches Lied, in dem er indirekt ablehnt, sich für die Gesellschaft nützlich zu machen und Parallelen zu Nutzvieh zieht: "Killebukken, lammet mitt, legg så dyktig på kjøttet ditt! Vet du ikke, tuppen, at mor vil ha det i suppen?"10 Hinzu kommt ein ausgeprägtes Fernweh, sodass lange auf der Kippe zu stehen scheint, ob Arne seinen Platz in der Gesellschaft finden wird. Eine aufkeimende Freundschaft zu dem einige Jahre älteren Sohn eines Kapitäns ist von kurzer Dauer. Er und Kristian haben vor allem Fernweh und Interesse am Lesen gemeinsam. Wirklich öffnen kann sich Arne jedoch auch ihm gegenüber nicht und nach der Konfirmation der beiden reist Kristian ab, um die Welt zu sehen.11 Der einzige Mensch, der Arne wirklich nahe steht, ist seine Mutter. Margit zuliebe versucht er auch, sich zu verändern, als er mitbekommt, dass sie um seinetwillen Spott zu hören bekommt:

"Arne ble ildrød. At moren fikk hånsord for hans skyld, var ikke før falt ham inn, og hun hadde kanskje fått mange. Hvorfor hadde hun ikke sagt ham det? Han tenkte seg vel om, og nå kom det ham i tanker at moren nesten aldri talte til ham. Men han heller aldri til henne; hvem talte han overhodet med? (...)'Det kan være slikt slag. Jeg skal slutte med å gjete og flytte ned til mor.'"12

Um mehr unter die Leute zu kommen und sich nützlich zu machen beginnt er, als Tischler zu arbeiten. Seine Schüchternheit und Unsicherheit bleiben jedoch Teil seiner Persönlichkeit, sodass sich seine Mutter genötigt sieht, Eli gegenüber diese Eigenart Arnes zu erklären: "'Han er så underlig av seg,' sa atter moren; 'han er blitt så forskremt som barn, og derfor er han blitt vant til å tenke allting for seg selv, og det slags folk kommer seg ikke riktig til.'"13 Arne Kampen wird dargestellt als sensibler, belesener junger Mann und begabter Dichter. Seine körperlichen Attribute spielen eine untergeordnete Rolle. Ob er viel Kraft hat, erfährt der Leser nicht. Ebenfalls wenig Erwähnung findet der Umstand, dass er offenbar einen mehr als passablen Landwirt abgibt - zumindest ist Kampen dank seiner Arbeit in gutem Zustand:

"'Gården er gått dyktig frem i de senere år, og den kan bli så stor en selv vil. Han før tolv melkekyr nå, og han kunne fø flere; men han har så mange bøker han leser i og steller etter; derfor vil han ha dem fødd på slik storvis.'"14

Dass er seinen Platz in der Gemeinschaft nicht findet beziehungsweise diesen nicht einnehmen will, liegt demnach nicht an mangelnden Fähigkeiten seinerseits oder Ausgrenzung durch andere. Die Anfeindungen einer Hochzeitsgesellschaft, in der er sich einmal befindet, sind denn auch keineswegs direkt oder besonders grob. Streng genommen sind sie nicht einmal deutlich nachzuweisen - Arne bezieht vielmehr aufgrund seines schlechten Selbstwertgefühls jede Kleinigkeit auf sich:

"Der var sagt et ord etter ham i svalen en gang; han var ikke viss på det; men han trodde det var sagt, og hver blodsdråpe kom en og annen gang opp i ham når han tenkte derpå. Mannen som hadde sagt det, gikk han nå uavlatelig og passet på; til sist tok han sete hos ham. Men da han kom til bordet, syntes han at talen fikk en annen gang."15

Zu seinem nachdenklichen Charakter passt, dass ihm dies offenbar bewusst ist. So lässt Bjørnson ihn über sich selbst aussagen: "Ti jeg er redd folk, mest fordi jeg tror de ser hvor stygg jeg er. Men fordi jeg er redd dem, snakker jeg ondt om dem - fordømt feighet!"16 Ungeachtet seiner schwierigen Ausgangsposition ist Arne Kampen - auch geographisch durch die Lage des Hofes -. zwar am Rande der Gesellschaft zu verorten und als Außenseiter zu bezeichnen. Gleichwohl ist er keineswegs ein Ausgestoßener und Abgelehnter. Er bringt alle Voraussetzungen mit, sich erfolgreich in die Gemeinschaft einzugliedern, bleibt jedoch aus eigener Schuld und durch eigenes Verhalten am Rande - ein wichtiger Umstand für die Deutung des Gesamtbildes der Gesellschaft in dieser Erzählung. Diese ist nicht ablehnend und feindselig, sondern grundsätzlich von Wohlwollen geprägt.

3.2 Der Gescheiterte - Nils skredder

Dieses Wohlwollen hat verhältnismäßig lange auch Arnes Vater Nils, der sich seinen Lebensunterhalt offenbar vor allem als Spielmann verdient. Sein Name "Nils skredder", Nils Schneider also, deutet auf einen Handwerksberuf hin, von dem indessen unklar bleibt, ob er ihn tatsächlich ausübt. Es werden lediglich Andeutungen gemacht. Dass der Beruf vor allem zu Beginn der Novelle konsequent als Teil des Namens genannt wird erscheint dabei zunächst unpassend, ist von Bjørnson jedoch geschickt gemacht. Dadurch, dass "Schneider" Nils als solcher eingeführt und etabliert wird, wird der Widerspruch zu einem an und für sich als ehrbar zu sehenden Beruf und seiner tatsächlichen Lebensweise deutlich. Auch er könnte sich niederlassen und ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft werden, könnte offenbar sogar seine Braut frei wählen, zieht jedoch ein Leben als Spielmann, Schürzenjäger und ständiger Partygast vor. Er trinkt viel und gerät häufig in Auseinandersetzungen. Die folgenreichste davon hat er mit Bård Bøen, nachdem er ihn und die von ihm zuvor abgewiesene Birgit brüskiert und anschließend beim Tanzen angerempelt hat:

"Alle jenter hadde stilt seg frem. Han så seg også om, lenge og langsomt, gikk så bent over tuk en i mørk stakk, og det var Birgit Bøen. Han rakte hånden frem og hun gav begge sine; da lo han, vek tilbake, tok en ved hennes side og danset overgiven av sted. Blodet fór Birgit opp i hals og åsyn. En høy mann med et blidt ansikt stod lite bak henne; han tok henne ved hånden og danset av sted - etter Nils. Denne så de, og kanskje det var av vanvare at han danset så hardt imot dem at mannen og Birgit veltet over ende med stort fall. Latter og skrål reiste seg rundt omkring. Birgit kom seg endelig opp, gikk avsides og gråt meget. Mannen med det blide ansikt reiste seg langsommere, gikk like boort til Nils, som ennå danset. 'Du får stoppe litt,' sa mannen. Nils hørte ikke, og da tok mannen ham ved armen. Nils slet seg fram og så på ham. 'Jeg kjenner deg ikke,' sa han med smil. 'Nej, men nå skal du få kjenne meg,' sa mannen med det blide ansikt, og la ham like over det ene øyet. Nils, der ikke ventet slikt, stupte med tungt, svært fall like over den skarpkantede gruesten, ville straks reise seg, men kunne ikke; hans rygg var brutt."17

Als Invalide scheint er sich zunächst zu bessern:

"Han var meget fåmælt, men god å omgås, og da det led lenger, leste han med gutten og begynte å ta arbeide hjemme i huset.(...)Han arbeided med på marken, og ordnet alt forstandig og med rolighet."18

Auch übernimmt er nun Verantwortung für seinen Sohn und heiratet Margit. Nachdem er jedoch den Brautzug von Bård und Birgit beobachtet hat, wird er zunehmend verbittert. Sein Alkoholismus verschlimmert sich und seine Aggressivität bekommt vor allem Margit zu spüren, da er besonders im betrunkenen Zustand sie und Arne für sein Schicksal verantwortlich macht:

"Jeg sleper meg nå omkring her fra tre til tre, jeg går hver dag og ser på min egen grav. Men jeg kunne ha levd i herlighet med bygdens gildeste gårdjente, jeg kunne ha reist så langt solen går, - hadde ikke du og den fordømte gutten din lagt eder i veien for meg. Hun søkte atter å forsvare seg; 'det var da i alle fall ikke guttens skyld.' 'Tier du ikke, så slår jeg deg!' - og han slo henne."19

In vielerlei Hinsicht ist Nils der am stärksten negativ gezeichnete Charakter, den "Arne" vorzuweisen hat. In ihm jedoch nichts weiter als eine Standardvariation des versoffenen, gewalttätigen Haustyrannen zu sehen, wäre zu kurz gegriffen - obgleich er sicherlich als solcher durchgeht. Gleichzeitig ist die Figur von Bjørnson aber als negative Ausgabe Arnes angelegt. Dies lässt sich ex negativo anhand von Aussagen anderer Figuren über Arne folgern. So sagt Eli zu ihm "Du skal være lik din far."20 und seitens seiner Mutter heißt es: "Han var blitt så vakker også nå, liksom far sin, men mer lyslett og blid."21 Außerdem teilen sich Vater und Sohn neben äußerlichen Ähnlichkeiten bei aller Unterschiedlichkeit einige wichtige Charaktereigenschaften.

Auch Nils ist musikalisch begabt, auch er würde das Tal gerne verlassen und auch er findet keinen rechten Halt in der Gemeinschaft - was auch in seinem Fall auf Trotz und Stolz zurückzuführen ist, die ihn aber rücksichtslos und überheblich agieren lassen, während sein Sohn Arne sich verschließt und zurückzieht. Anders als Arne schafft es Nils nicht, seine Probleme zu überwinden. Er bleibt ein abschreckendes Beispiel für den Menschen, der Arne ebenfalls hätte werden können, sofern er die falschen Entscheidungen getroffen hätte. Das augenfälligste Beispiel dafür liefert Arnes Zusammenbruch nach seinem ersten Vollrausch. Als seine Mutter ihn nach langem Suchen verkatert in einer Scheune auffindet, stellt er während ihres Gespräches diesen Zusammenhang selbst her:

"'Du ser de så om, mor?' - 'Ja, far din har ligget på denne låven og grått.' - 'Far?' spurte Arne og ble blek. - 'Stakkars Nils! Det var den dagen du ble båret over dåpen. - - Du ser de så om, Arne?'"22

Arnes Erblassen und Umherschauen an dieser Stelle bedürfen der Interpretation, da seine Empfindungen nicht direkt mitgeteilt werden. Doch man darf es wohl so verstehen: Er will nicht werden, was sein Alter war.

3.3 Die selbstlos liebende Mutter - Margit Kampen

Margit ist die Tochter des Pächters des Hofes Kampen. Dieser spielt keine Rolle; er ist bei Einsetzen der Handlung bereits seit geraumer Zeit verstorben. Die Wirtschaft auf dem noch in der Schuld stehenden Hof wird von Margits Mutter geführt, deren Ehrgeiz es ist, die Hypothek abzuzahlen und Kampen damit zu einem unabhängigen Hof zu machen, ein Ziel, auf dessen Implikationen ich an anderer Stelle noch eingehen werde.

Margit wird dargestellt als naiv, freundlich, duldsam, tiefgläubig und aufopferungsvoll. Ab der Geburt Arnes wird ihr Dasein im Wesentlichen von bedingungsloser Mutterliebe bestimmt, um deretwillen sie die Ausbrüche von Nils erträgt und unablässig versucht, Arne auf dem Pfad der Tugend zu halten, wobei sie gegen Nils' schlechten Einfluss kämpft. Dessen Einfluss auf seinen Sohn bleibt ihr nicht verborgen:

"(...)snart merket ham seg hva slags det var faren likte best, og hva for noe i dem han lo ved. (...) Det var gjerne spotteviser og lede ting, sagt om folk som var kommet til makt og velstand, faren likte best, og gutten sang. Moren ville endelig ha ham med i fjøset om kveldene; mångehande påskudd fant han for å unngå det; men når det nyttet intet, og han måtte dit, da talte hun vakkert til ham om Gud og det gode, og endte gjerne med under sterk gråt å ta ham inn til seg, be ham, tigge ham om ikke å bli noe slett menneske."23

Dabei ist Bjørnson weit davon entfernt, sie als eine Heilige zu zeichnen. Dagegen spricht schon ihr Fehler, sich auf Nils skredder einzulassen, mehr jedoch noch der selbstsüchtige Zug, den die

Liebe zu ihrem Sohn annimmt. Sie will ihn in keinem Fall fortgehen lassen und nimmt ihm das Versprechen ab, sie nie zu verlassen24

Seinem Wort allein traut sie indessen nicht genug - aus Angst ihn zu verlieren geht sie so weit, Briefe von Kristian, der als Goldgräber in Amerika reich geworden ist, vor ihrem Sohn zu verstecken, obwohl ihr das ob ihres grundsätzlich ehrlichen und guten Charakters einige Gewissensbisse beschert: "Den mor som bærer synd for sitt barn, er den ulykkeligste mor av alle - og dog gjorde jeg de bare av kærlighet."25

Dabei handelt sie nicht in böser, sondern im Gegenteil vielmehr immer in der besten Absicht, was ihr Verhalten nicht weniger manipulativ macht. Auch die Eheanbahnung zwischen Eli und Arne fördert sie entscheidend - nicht ohne sich jedoch im Vorfeld beim Pfarrer rückversichert zu haben.26

Margit ist demnach nicht nur eine sich aufopfernde, gottesfürchtige Mutter, sondern verfolgt mit Bauernschläue und Hartnäckigkeit Ziele für ihren Sohn, die man durchaus auch als ursprünglich ihre eigenen bezeichnen könnte - namentlich dasjenige, dass der Sohn im Lande bleiben und sich redlich nähren möge, statt jenseits der hohen Berge sein Glück zu suchen. Der Erfolg gibt ihr indessen recht und weist sie als Menschenkennerin aus, bedarf es doch nur eines Besuches von Eli auf Kampen und einiger gezielter Informationen, um der Beziehung zwischen den beiden den entscheidenden Anschub zu geben. Man mag ihr Vorgehen somit als teilweise manipulativ und nicht frei von Eigennutz werten - im Rahmen von "Arne" wird es allerdings nur sanft gerügt (im Gespräch mit dem Pfarrer) und bleibt in letzter Konsequenz nicht als egoistisches Klammern, sondern als kluges Strippenziehen stehen. Mutter, so könnte man es überspitzt formulieren, weiß eben am Besten, was das Richtige für den Nachwuchs ist.

3.4 Der Fels in der Brandung - Bård Bøen

Bård Bøen ist der Besitzer des Hofes Bøen, Ehemann von Birgit und Vater von Eli. Er spielt bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der Handlung eine wichtige Rolle indem er derjenige ist, der Nils niederschlägt, sodass dieser sich am Rückgrat verletzt. Sein Name wird jedoch erst später genannt27 und nochmals später zweifelsfrei ihm zugeordnet: "'Bård, som slo din far fordervet, og det for Birgits skyld!' . 'Hva sier du?' ropte nå også gutten. ' Var det Bård Bøen?'"28 Zunächst wird er lediglich beschrieben als großer Mann mit gutmütigem Gesicht.29 Dieses gutmütige Gesicht stellt im Folgenden so etwas wie Bårds Visitenkarte dar - es wird sehr oft erwähnt, wenn von ihm die Rede ist.30 Weiterhin wird er als groß und breitschultrig beschrieben, er hat lange blonde Haare. Er ist ruhig und schweigsam - nur, wenn es wichtig ist, spricht er, wägt dabei seine Worte sorgfältig ab und sagt im Zweifel lieber nichts: "Den som må skrike, hvis han skal tale, gjør da vel bedre i å tie, vet jeg."31 Weiterhin wird er beschrieben als grundehrlich und etwas schwerfällig:

"Arne forstod ennå ikke at hermed mente han at nå ville han tale med ham om hans far. Ja, han forstod det ennå ikke da han begynte på det, så lite lignet dette Bård. Men hva der var gått forut i hans sinn, merket han etterhånden som fortellingen skred frem, og hadde han før hatt aktelse for denne tungvinte, men grunnbra mann, så ble den ikke mindre etter dette."32

Dabei ist er aber weder dumm, noch ungebildet, sondern vor allem zurückhaltend und bescheiden:

"Arne var ennå på gården; han og faren satt sammen om kveldene; han var kommet til å holde så av Bård. Bård var en vellært, dyptenkt mann, men han var liksom litt redd det han visste. Når nå Arne hjalp ham til rette, og fortalte ham hva han ikke før visste, var Bård meget takknemlig."33

Diese Zurückhaltung und Bescheidenheit, die durchaus als positive Charaktereigenschaften Bårds aufzufassen sind, sind sicher zu einem guten Teil mit dafür verantwortlich zu machen, dass er in privaten Dingen eher als Pechvogel dasteht, wie er selbst meint:

"Det er sjelden jeg villet noe, jeg; det meste har også vært galt(...). Og slik er det med allting. Jeg har alltid tenkt å gjøre det til det beste, jeg, men så er det blitt til det verste, og nå er det kommet så vidt at de taler ondt om meg, både kone og datter, og jeg går her alene."34

Die Ehe mit Birgit steht von Anfang an unter keinem besonders guten Stern. Sie ist verliebt in Nils skredder, von dem sie jedoch abgewiesen und schlecht behandelt wird. Bård liebt Birgit, schiebt jedoch die Auseinandersetzung mit seinem Kontrahenten Nils auf die lange Bank, obwohl sie sich seit ihrer Konfirmationszeit abgezeichnet hat.35 Wie der Ausgang der Schlägerei mit ihm haben etliche von Bårds Entscheidungen Folgen, die von ihm nicht beabsichtigt sind - was ihn zwar nicht kalt lässt, ihn jedoch auch nicht aus der Fassung bringt.

Letztlich wendet sich auch für Bård mit der Hochzeit von Arne und Eli alles zum Guten und er kann sich mit seiner Frau aussprechen und aussöhnen. Vor dem Hintergrund von 20 Jahren latenter Ehekrise mag diese Wendung nicht die glaubwürdigste sein. Sie passt indessen zu Bård, der von Bjørnson nicht nur als positive Vaterfigur und Gegenstück zu Nils angelegt ist, sondern auch als exemplarischer Vertreter des freien norwegischen Bergbauerntums. Nicht von ungefähr hat Bård Bøen das letzte Wort in der Erzählung:

"'Det må til, hva enten det vil eller ei,' sa Bård, han så ut over hele følget til han stanset ved brudefolket og konen; 'slikt skulle ingen ha sagt for en tyve år siden,' sa han."36

4. Ein Stamm in den Bergen - Die Bauerngesellschaft in "Arne"

Die von Bjørnson beschriebene Welt wirkt zeitlos. Mehr als eine grobe Einordnung kann nicht getroffen werden. Dies muss anhand von Details geschehen - so gibt es beispielsweise Dampfschiffahrt37 - Jahreszahlen oder weitere geschichtliche Hintergründe werden jedoch keine genannt. Auch das Vorhandensein einer Schule auf dem Land, deren Besuch mit der Konfirmation endet, lässt gewisse Rückschlüsse zu; sodass man die Handlung wohl nach Verabschiedung des Gesetzes zur "allmueskole"von 1827 ansetzen muss.38 Eine Welt jenseits des Handlungsschauplatzes wird spärlich angedeutet - mit dem Besuch der Amerikaner im Tal und der Abreise von Kristian zum Goldgraben in Amerika beispielsweise - sie bleibt jedoch kaum mehr als eine Randnotiz und spielt bestenfalls noch als unbestimmter Sehnsuchtsort Arnes eine Rolle. Die von Bjørnson beschriebenen Menschen leben das weitestgehend vormoderne Leben der Bergbauern, überwiegend auf sich gestellt und von der Außenwelt sowie der Moderne und ihren spezifischen Problemen anscheinend unberührt. Mit den tatsächlichen Lebensumständen der Bergbauern zu Bjørnsons Lebzeiten stimmte dies wohl nicht unbedingt überein:

"Man warf Bjørnson vor, er habe seine Bauern idealisiert; die amtlichen Berichte jener Zeit sprächen fast nur von den trostlosen moralischen und gesundheitlichen Verhältnissen, unter denen die norwegische Landbevölkerung litt. Von all dem ist in Bjørnsons Idyllen nichts zu spüren."39

Auch "Arne" ist nicht dazu geeignet, diesen Vorwurf zu entkräften - was an und für sich erstaunlich ist, wenn man das Maß an häuslicher Gewalt, Alkoholmissbrauch und psychischen Problemen bedenkt, welches das Elternhaus der Titelfigur prägt. Man kann also nicht behaupten, in "Arne" würde die Welt der Bauern als makellos hingestellt. Schattenseiten sind zur Genüge vorhanden, wenngleich in Bjørnsons Erzählung anscheinend niemand existenzielle Not zu leiden hat. Entscheidend ist jedoch, wozu die Probleme in "Arne" dienen. Sie stellen nämlich gerade nicht die Funktionstüchtigkeit der Gesellschaft in Frage, sondern stellen lediglich Schwierigkeiten dar, die im Rahmen und mit den Möglichkeiten derselben bewältigt werden können. Indem der Außenseiter Arne durch die Liebe zur Vernunft kommt, sein Fernweh verliert und seine Rolle als Bauer und Ehemann vollständig annimmt, wird die bestehende Ordnung der Dinge bejaht und die grundsätzliche Funktionstüchtigkeit der Bauerngesellschaft bestätigt. Auch das Negativbeispiel Nils zeigt, dass die Gesellschaft funktioniert - und das ohne Einflussnahme einer wie auch immer gearteten Obrigkeit oder Polizei, für die sein Verhalten durchaus ebenfalls interessant hätte sein können. Oben in den Bergen pflegt man aber seine Angelegenheiten selbst zu regeln: Als Nils es endgültig zu weit getrieben hat, wird er unschädlich gemacht. Dass dies gerade durch Bård sowie ein Stück weit durch Fügung geschieht, entspricht der Logik von Bjørnsons Darstellung dieser vormodernen Welt. Wäre Nils ähnliches bei irgendeiner Schlägerei unter Betrunkenen widerfahren, hätte dies nahegelegt, dass moralisch verwerfliches Verhalten sich eben mehr oder minder zufällig rächen kann. Mit Bård jedoch weist ein idealer Vertreter der Gesellschaft Nils in seine Schranken. Die Rückenverletzung lässt sich als Pech deuten, wird von den gläubigen Bauersleuten aber mit göttlicher Fügung verknüpft - eine Sicht, der innerhalb der Novelle nicht widersprochen wird. In Bårds Worten:

"Men underlig er det at han sloss hver dag, og ingen ulykke oppkom derav; den ene gangen jeg skulle til, gikk det så galt som det kunne gå(...) Vårherre ville heller ikke han skulle gå lenger den gang, og derfor falt han litt tyngre enn jeg unte ham det."40

Noch näher scheint die göttliche Vorsehung, als Arne im Begriff steht, seinen Vater zu erschlagen, um seine Mutter zu verteidigen, dieser jedoch an einem Herzanfall stirbt.41 Nachdem Arne beteuert hat, nichts getan zu haben, heißt es weiter:

"'Så har Vårherre selv vært her,' sa hun stille, satte seg på huk og stirret. Nils lå ganske som før, stiv, med åpne øyne og munn. Hendene hadde nærmet seg, som ville de sammen, men hadde ikke vært i stand dertil. (...)Hadde djevelen sekv vært her, så hadde Vårherre også, møtet hadde vært kort. Alt foregående var nå avgjort."42

Die norwegischen Bergbauern, so kann man zusammenfassend sagen, sind in "Arne" ein nicht von modernen Bequemlichkeiten und Problemen verdorbener, grundsätzlich ehrlicher, mutiger und überzeugt christlicher Menschenschlag. Sie legen Wert auf ihre Unabhängigkeit, sind meist schweigsam, fleißig, durchaus nicht bildungsfern und sowohl zu tiefen Empfindungen wie auch zu Kunstfertigkeit fähig. Dabei bleiben sie ihrer Heimaterde fest verbunden. Ihre Probleme können sie selbst regeln und wo dies nicht mehr ohne Weiteres möglich ist oder unabsehbare Folgen entstehen könnten - siehe oben - hilft Gott ihnen aus.

5. Der ewige Bauer - Strategien des Nationbuilding

Von großer Bedeutung dafür, Bjørnsons "Arne" im Kontext von Nationbuilding zu untersuchen, sind neben der Zeichnung der Figuren und damit verbundenen Charakterisierung der Gesellschaft auch die Bevölkerungsschicht und die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird.

Dass "Arne" im norwegischen Bauernmilieu spielt hat verschiedene Gründe. Einerseits hatte es seit der Romantik verstärkte Hinwendung zu dem gegeben, was man als ursprünglich und volkstümlich ansah - worunter in vielen Ländern, auch in Skandinavien, die Bauern verstanden wurden. Diese galten als authentische Träger von Tradition.43 Dies ist vor allem im Falle Norwegens nicht gänzlich aus der Luft gegriffen, wie Hilson meint:

"Although the idealization of the peasant as the true representative of the Scandinavian folk carried some romantic elements, it also had a distinctive civic character. As a citizen and political actor the free peasant was also a political reality. Nowhere was this more clearly the case than in Norway where odelsretten, or the right to freehold, was enshrined in the 1814 constitution. (...) Even though Norway had not had its own king for over 400 years, it was argued, 'national' continuity was preserved in the institutions and traditions of peasant society."44

Vor dem Hintergrund der damals verbreiteten Vorstellung des freien Bauern als Kern wahren Norwegertums45 ist es auch von Bedeutung, dass in der Novelle Arnes Großmutter mit unermüdlichem Fleiß daran arbeitet, Kampen von einem Pachthof zu einem Eigentumshof zu machen, um ihrer Familie damit bessere Möglichkeiten und mehr Chancen auf Einfluss und Wohlstand zu verschaffen. Die Bauerngesellschaft in "Arne" und damit implizit auch Norwegen, in der sie liegt, wird so zu einer Gesellschaft, die Leistung belohnt und in der sozialer Aufstieg aus eigener Kraft möglich ist. Eine Aussage Bjørnsons an anderer Stelle bestätigt dies:

"Jeg tror ikke det finnes noe ennet bondesamfunn som har hatt en såvidt lett utvikling. Ett er i alle fall sikkert, ingen annet land har så mange menn i offisielle stillinger, som leger, prester, ingeniører, lærere, handelsmenn - hvor alle er sønn til ende bonde eller endog sønn til en leilending eller arbeider."46

Den norwegischen Bauern als Garanten von Kontinuität und lebendiger Tradition zu betrachten, dürfte auch eine Rolle für Bjørnsons Wahl von Form und Stil gespielt haben. Die Erzählweise in "Arne" ist auffallend mit prägenden Elementen der mittelalterlichen isländischen Sagas angereichert. So werden auch hier innere Vorgänge der Figuren anhand von Äußerlichkeiten oder Handlungen angedeutet47, beispielsweise, als Nils den Brautzug von Bård und Birgit beobachtet hat:

"Nils stod ennå ubevegekig; det raslet bak ham, han vendte seg: det var gutten som krøp frem. 'Hvem var det, far?' men gutten skvav litt; ti faren var stygg i ansiktet. Arne stod stille og ventet svar; siden stod han fordi han intet fikk. Langt om lenge ble han utålmodig og våget igjen: 'Skal vi gå?' Nils så ennå som etter brudefølget, tok seg nå sammen og gikk; Arne etter. Han la en pil på buen, skjøt av og løp. 'Trø ikke ned engen' sa Nils kort. Gutten lot pilen ligge, og kom igjen. En stund etter hadde han glemt det, og mens faren en gang std stille, la han seg ned og stupte haukråke. 'Legg ikke ned engen, sier jeg;' han ble tatt og løftet etter den ene arm, som ville den av ledd. Siden gikk han noe stille baketter."48

Nils' Zorn lässt sich hier nur anhand der Beschreibung seines Gesichtes sowie seiner unwirschen Art seinem Sohn gegenüber ablesen. Der Verfasser setzt dieses Stilmittel häufig ein. Ein besonders schönes Beispiel stellt Arnes Reaktion dar, als er mit der kranken Eli in der Kammer im Dunkeln sitzt. Als sie einander näher kommen, kommt Elis Mutter herein:

"Da gikk det i trappene, og de slapp hinannen. Det var moren som kom med lys. 'I sitter nok for lenge i mørkret,' sa hun og satte staken på bordet. Men hverken Eli eller han tålte lyset; hun vendte seg mot puten, han holdt for øynene. 'Å ja; det gjør litt ondt i førstningen,' sa moren; 'men det pleier å gå over.' Arne lette nede på gulvet etter den hue han ikke hade med, og så gikk han."49

Auch finden sich sagatypische Wendungen im Text wie "Det var dem som hadde hørt(...),"50 "Der var dem som mente at(...),"51 "Da hendte det seg at"52 und die Einführung neuer Figuren ist oftmals in einer ähnlichen Mischung aus Beschreibung des Aussehens, Stellung in der Gesellschaft, Ruf und Verhältnis zum Protagonisten gehalten. So heißt es über einen der Hochzeitsgäste, deren Geschichten Arne auf sich bezieht:

"Det var en stygt utseende mann med tynne, røde hår om en stor rund panne. Oppunder lå et par ganske små øyne og en liten klumpnese; men munnen var meget stor, med utover brettede lepper der holdt seg hvitaktige. Når han lo, så man begge gummer. Hans hender lå på bordet; de var mege svære og grove, men håndleddet var spinkelt. Han så hvast og talte fort, men med meget arbeide. Folk kalte ham 'Kjeftaurin', og Arne visste at Nils skredder i gamle dager hade fart stygt med ham."53

Mit einer positiveren Figur wird ähnlich verfahren:

"Der var en munter mann i den bygd, som het Einar Åsen; han hadde tyve år gammel brutt sitt ben; siden gikk han med stav; men hvor han kom hinkende på den stav, var der alltid lystighed på ferde. Mannen var rik(...). De fleste (...) hadde han stått fadder til; for han stod fadder til den halve bygd; alle barn kalte ham gudfar, og etter dem både gamle og unge.- Gudfar og Arne var vel kjente, og gudfar likte ham for hans visers skyld."54

Nicht zuletzt stellen die von Bjørnson eingeflochtenen Lieder eine bewusste Anlehnung an die Sagas dar, welche sich häufig eingestreuter Skaldenstrophen bedienen. Oftmals wird in der jeweiligen Saga die Strophe dem Protagonisten selbst zugeschrieben.55 Hier ist es Arne, dem Bjørnson eine Vielzahl Lieder in den Mund legt, welche teilweise die Befindlichkeiten des Dichters thematisieren oder Kommentare darstellen. In Sachen Form, Themen und Inhalt eifert Arne indessen nicht den Skalden des Mittelalters nach - seine Lieder sind von Bjørnson eher an Volkslieder angelehnt.56 Dennoch wird Arne in dieser Weise als bäuerlicher Skalde dargestellt, der sich bei seinen Dichtungen von der ihn umgebenden Natur, seinen Gefühlen und durchaus auch alten Geschichten, Märchen und Mythen inspirieren lässt.57

6. Schlussbetrachtung

Die Bauernerzählung "Arne" weist bei näherer Betrachtung geschickte Strategien literarischen Nationbuildings auf, obgleich Worte wie "Norwegen" oder "norwegisch" nahezu vollständig fehlen. Auch auf gängige nationale Symbole wie einen König wird verzichtet, wie überhaupt Norwegen als Staat nicht thematisiert wird. Stattdessen nutzt Bjørnson andere Mittel. Indem er seine Novelle zu keiner bestimmten Zeit spielen lässt und sich darüber hinaus universaler Themen wie Liebe, Suche nach Anerkennung und Aufnahme in eine Gemeinschaft bedient, gewinnt "Arne" einen gewissermaßen zeitlosen Charakter. Dieser zeitlose Charakter kennzeichnet auch die beschriebene, von Stadtleben und Moderne gleichsam abgeschottete Bauerngesellschaft. Wie bereits erwähnt spielte der Bauer in der Romantik, gerade auch in der national gefärbten Romantik, eine wichtige Rolle. Man schrieb ihm zu, nationale Eigenschaften und Tugenden sowie Traditionen bewahrt zu haben und lebendig zu halten. Vor diesem Hintergrund fällt die positive Darstellung der norwegischen Bergbauern mit ihrer funktionierenden Gemeinschaft indirekt auf das tatsächlich existierende Norwegen zurück. Desweiteren rückt Bjørnstjerne Bjørnson "Arne" in die Nähe der Sagaliteratur, indem er sie in Form und Sprache daran anlehnt.58 Damit stellt er seine Figuren in eine Reihe mit den Helden der Sagas und schlägt auf diese Weise eine Brücke zwischen der als ruhmreich angesehenen Vergangenheit und der Gegenwart.59 Indem er in "Arne" so eine Kontinuität zwischen Mittelalter und Neuzeit nahelegt, legitimiert Bjørnson die Norweger als eigenständiges Volk mit langer, eigener Geschichte und unverkennbaren Eigenschaften, die von den Bauern bewahrt wurden. Schwer fassbar bleibt hingegen der Nationenbegriff, der sich in "Arne" nurmehr ableiten lässt. Die Zeichnung der bäuerlichen Gesellschaft als eine funktionstüchtige vormoderne Gesellschaft und das nahezu vollständige Fehlen von Staatlichkeit oder Institutionen außer der Kirche lassen jedoch Rückschlüsse ziehen. "Arne" spielt in einem Tal in Norwegen und dieses ist von Norwegern bevölkert - wer jedoch ein Norweger ist und welche Kriterien dafür entscheidend sind, wird nicht dargelegt, geschweige denn problematisiert. Bis auf die Amerikaner, die Nils einen Posten als Diener anbieten, sind alle Figuren Norweger. Sie sind es, ohne dass dies näher begründet würde, mit scheinbarer Selbstverständlichkeit. Für "Arne" ließe sich auf Ebene der Handlung somit ein objektiver, auf ethnischer Herkunft und Geburtsort beruhender und Nationenbegriff konstatieren, welcher jedoch entweder ob seiner Selbstverständlichkeit nicht thematisiert wird oder aber den Figuren selbst kaum bewusst ist und daher keine Rolle spielt. Dies wäre insofern nur folgerichtig, als dass sich auf eine vormoderne Gesellschaft - in gewisser Weise könnte man die Bewohner des Tals als einen Stamm bezeichnen - ein moderner Nationenbegriff nur schlecht anwenden lässt. Auf einer anderen Ebene hingegen lässt sich über den Text in Anlehnung an den Nationenbegriff unter anderem Anthony Smiths sagen: Bjørnson greift einen von ihm angenommenen ethnischen, prämodernen Kern der norwegischen Nation literarisch auf. Indem er diesen künstlerisch bearbeitet und im Kontext und mit Mitteln überlieferter, als norwegisch bewerteter Literaturformen neu konstruiert, arbeitet er gleichzeitig raffiniert an der Konstruktion der norwegischen Nation seiner Zeit. In seinen eigenen Worten: "Det var et innlegg for bonden jeg skrev - vårt folks liv skulle bygges opp på historie, og nå skulle bønderne være grunnlaget."60

Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne. In: Samlede verker Bd. 1. Oslo 1995, S. 69-134

Sekundärliteratur:

Amdam, Per: Bjørnstjerne Bjørnson - Han som ville dikte et nytt og bedre Norge. Oslo 1979

Bjørnson, Bjørnstjerne: Norge og nordmennene. Fortalt av Norges den gang mest kjente forfatter, dikter og folketaler. Trykt i 1889 i Amerikas vidt berømte Harper's new Monthly Magazine. Stavanger 2005

Ekman, Kari Haarder: Mit hems gränser vigdades. En studie i den kulturella skandinavismen under 1800-talet. Stockholm 2010

Engelstad, Fredrik: Kjærlighetens irrganger. Sinn og samfunn i Bjørnsons og Ibsens diktning. Oslo 1992

Glenthøj, Rasmus: Skilsmissen. Dansk og norsk identitet før og efter 1814. Odense 2012

Hilson, Mary: Denmark, Norway And Sweden. Pan-Scandinavism And Nationalism. In: Baycroft, Timothy & Hewitson, Mark (Hg.): What is a Nation? Europe 1789-1914, S 192-209. Oxford 2006 Jansen, Christian & Borggräfe, Henning: Nation - Nationalität - Nationalismus. Frankfurt/Main 2007

Jolivet, Alfred: Leben und Werk von Björnstjerne Björnson. In: Björnson, Björnstjerne. Meisternovellen. Ausgabe Nobelpreis 1903 Norwegen, S. 29-51. Zürich 1963 Uecker, Heiko: Geschichte der altnordischen Literatur. Stuttgart 2004

Werler, Tobias: Nation, Gemeinschaft, Bildung. Die Evolution des modernen skandinavischen Wohlfahrtsstaates und das Schulsystem. Baltmannsweiler 2004

[...]


1 Vgl. Ekman, Kari Haarder: Mitt hems gränser vigdades. En studie i den kulturella skandinavismen under 1800- talet. Stockholm 2010, S. 174. Vgl. Jolivet, Alfred: Leben und Werk von Björnstjerne Björnson. In: Björnson, Börnstjerne: Meisternovellen. Zürich 1963, S. 31

2 Vgl. Jansen, Christian & Borggräfe, Henning: Nation - Nationalität - Nationalismus. Frankfurt/Main 2007, S 10 ff.

3 Vgl. Jansen, Christian & Borggräfe, Henning: Nation - Nationalität - Nationalismus. Frankfurt/Main 2007, S 10 ff.

4 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne. In: Samlede verker, Bd. 1. Oslo 1995, S. 74

5 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 73

6 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 79 f.

7 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 81

8 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 83

9 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 84

10 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 84

11 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 82

12 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 85

13 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 127

14 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 126

15 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S 88

16 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 91

17 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 76

18 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 77

19 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 79

20 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 114

21 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 118

22 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 93

23 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 79

24 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 84

25 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 118

26 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 119 f.

27 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 96

28 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 106

29 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 76

30 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 76, S. 78, S. 107

31 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 108

32 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 112

33 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 113

34 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 113

35 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 112

36 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 134

37 Vgl Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 116

38 Vgl. Werler, Tobias: Nation, Gemeinschaft, Bildung. Die Evolution des modernen skandinavischen Wohlfahrtsstaates und das Schulsystem. Baltmannsweiler 2004, S. 118

39 Jolivet, Alfred: Leben und Werk von Björnstjerne Björnson, S. 34

40 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 112

41 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 83

42 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 84

43 Vgl. Hilson, Mary: Denmark, Norway And Sweden. Pan-Scandinavism And Nationalism. In: Baycroft, Timothy & Hewitson, Mark: What is a Nation? Europe 1789-1914. Oxford 2006, S. 205

44 Hilson, Mary: Denmark, Norway And Sweden. Pan-Scandinavism And Nationalism, S. 196

45 Vgl. Glenthøj, Rasmus: Skilsmissen. Dansk og norsk identitet før og efter 1814. Viborg 2012, S. 235

46 Bjørnson, Bjørnstjerne: Norge og nordmennene. Fortalt av Norges den gang mest kjente forfatter, dikter og folketaler. Stavanger 2005, S 27

47 Vgl. Uecker, Heiko: Geschichte der altnordischen Literatur. Stuttgart 2004, S. 118 48 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S.78

49 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 116

50 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 74

51 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S., 75

52 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 75

53 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 88

54 Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 98

55 Vgl. Uecker, Heiko: Geschichte der altnordischen Literatur, S. 119

56 Vgl. Engelstad, Fredrik: Kjærlighetens irrganger. Sinn og samfunn i Bjørnsons og Ibsens Diktning. Oslo 1992, S. 37

57 Vgl. Bjørnson, Bjørnstjerne: Arne, S. 94

58 Vgl. Ekman, Kari Haarder: Mitt hems gränser vigdades, S. 174

59 Vgl. Jolivet, Alfred: Leben und Werk von Björnstjerne Björnson, S. 33

60 Bjørnson, Bjørnstjerne bei Amdam, Per: Bjørnstjerne Bjørnson. Han som ville dikte et nytt og bedre Norge.Oslo 1979, S. 53

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Strategien des Nationbuilding in Bjørnstjerne Bjørnsons "Arne"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V274717
ISBN (eBook)
9783656672197
ISBN (Buch)
9783656672180
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Norwegen, Nation, Nationalismus, Nationbuilding, Skandinavien, Kieler Frieden, Björnstjerne Björnson, Unabhängigkeit, Nationalbewegung, norwegische Nationalbewegung, Bildungsgeschichte, Sozialisation, Nationalromantik, Bauerntum, Bauernerzählung, Novelle, Erzählung, Bauernidyll, vormodern, Sagastil, Saga, Sagaliteratur, Dichter, Sänger, Skalde
Arbeit zitieren
Lennart Riepenhusen (Autor:in), 2014, Strategien des Nationbuilding in Bjørnstjerne Bjørnsons "Arne", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274717

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