Nach der Rekordflut nun die große Ebbe?

Die Schwimm-Berichterstattung von 2001 bis 2011 in ausgewählten deutschen Printmedien.


Diplomarbeit, 2013

185 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung
1.1. Forschungsidee
1.2. Wissenschaftliche Relevanz und Forschungsstand
1.2.1. Einordnung der Arbeit in das Forschungsfeld
1.2.2. Historie der kommunikationswissenschaftlichen Erforschung des Sportjournalismus
1.2.3. Forschungsstand im Sportjournalismus zum Schwimmsport
1.2.4. Schwimmsport in den Medien

2. Nachrichtenforschung in der Kommunikationswissenschaft
2.1. Walter Lippmann: Vater des Nachrichtenwerts
2.2. Östgaard und die europäische Forschungstradition
2.3. Galtung & Ruge: Erster empirischer Beleg für die Nachrichtenwerttheorie
2.4. Sande: Die Nachrichtenwerttheorie auf dem Prüfstand
2.5. Schulz: Realität in den Massenmedien
2.6. Staab: Aufteilung der Nachrichtenwerttheorie in ein Kausal- und Finalmodell
2.7. Eilders: Nachrichtenfaktoren mit dynamisch-transaktionalem Hintergrund
2.8. Kepplinger und Bastian: Prognostischer Gehalt der Nachrichtenwert-Theorie
2.8.1. Erneute Neuformulierung der Nachrichtenwert-Theorie
2.8.2. Kepplinger & Bastians neues Analysemodell
2.9. Zusammenfassung

3. Meilensteine der Nachrichtenwerttheorie in der Sportberichterstattung
3.1. Loosen: Erster Nachrichtenfaktorenkatalog für die Sportberichterstattung
3.2. Dachenhausen: Nachrichtenfaktoren aus Sicht der Sportjournalisten

4. Die Zeitung als Massenmedium
4.1. Massenmedien: Definition und Funktion
4.2. Entwicklung der deutschen Tagespresse seit
4.3. Die 1990er Jahre und die schwere Krise nach der Jahrtausendwende
4.4. Aktueller Zeitungsmarkt
4.5. Sport in der Tageszeitung

5. Schwimmsport
5.1. Der moderne Schwimmsport seit
5.2. Schwimmweltmeisterschaften

6. Untersuchungsdesign dieser Arbeit
6.1. Forschungsleitende Fragestellungen
6.2. Hypothesen
6.3. Methodenentscheidung
6.3.1. Inhaltsanalyse
6.3.2. Quantitative vs. qualitative Inhaltsanalyse
6.3.3. Vor- und Nachteile gegenüber anderen Methoden
6.4. Untersuchungsgegenstände
6.4.1. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
6.4.2. Die Süddeutsche Zeitung
6.4.3. Die BILD-Zeitung
6.4.4. Die Münchener Abendzeitung
6.4.5. Der Münchner Merkur
6.4.6. Das Hamburger Abendblatt
6.5. Untersuchungszeiträume
6.6. Ablauf der Inhaltsanalyse
6.6.1. Untersuchungseinheiten
6.6.2. Kategoriensystem
6.6.2.1. Analyseebene I : Formale Ebene
6.6.2.2. Analyseebene II : Inhaltliche Kategorien und Nachrichtenfaktoren
6.6.2.3. Analyseebene III : Abbildungen
6.6.3. Pretests
6.6.4. Reliabilitätstest

7. Präsentation und Diskussion der Ergebnisse
7.1. Basisdaten
7.2. Ergebnisse Analyseebene I: Formale Ebene
7.2.1. Journalistische Darstellungsform
7.2.2. Quellenangaben
7.2.3. Überschriften
7.3. Ergebnisse Analyseebene II : Inhaltliche Kategorien und Nachrichtenfaktoren
7.3.1. Hauptthemen
7.3.2. Schlagwortgruppen: Weltrekord, Weltmeister, Schwimmanzug
7.3.3. Haupthandlungsträger allgemein
7.3.4. Tonalität
7.3.5. Haupthandlungsträger im Speziellen
7.3.6. Nachrichtenfaktoren
7.4. Ergebnisse Analyseebene III: Abbildungen
7.4.1. Abbildungsart
7.4.2. Art der Abbildungsbeschriftung
7.4.3. Abbildungsbeschriftungen – Detailliert
7.4.4. Abbildungsquellen
7.4.5. Abgebildete Schwimm-Sportart
7.4.6. Geschlecht der abgebildeten Person
7.4.7. Abgebildete Personen
7.4.8. Funktion und Situation der abgebildeten Person
7.4.9. Tonalität der Abbildung

8. Hypothesendiskussion

9. FAZIT

10. Literaturverzeichnis

11. Anhang
11.1. Codebuch
11.2. Hauptthemen gesamt pro WM
11.3. Hauptthemen gesamt pro Zeitung
11.4. Haupthandlungsträger gesamt

1 Einleitung

Die Schwimmweltmeisterschaft im Jahr 2009 war die Weltmeisterschaft der „Helden“. In einer Sportart, in der sich die Zeiten der Topschwimmer vor allem auf den Kurzstrecken (50m, 100m) nur um Bruchteile einer Sekunde unterscheiden, wurden Weltrekorde, die viele Jahre Bestand hatten, innerhalb von zwei Wochen um ein Vielfaches verbessert (vgl. swimrankings.net, 2012). Während der Wettkämpfe stand 42mal „Weltrekord“ auf der Anzeigetafel, in 31 von 40 möglichen Disziplinen (vgl. swimrankings.net, 2012). Und jene Weltrekorde wurden in einer Manier gebrochen, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte: Schwimmer wie der US-Amerikaner Michael Phelps oder der deutsche Paul Biedermann gewannen 2009 nicht einfach nur eine Medaille, sie triumphierten in einer derart imposanten Dominanz, dass der Journalist Knut Teske diese Ausnahmeschwimmer als „Helden“ betitelte. Aus seiner Sicht zeichnete sich ein Held

durch stupende Überlegenheit, basierend auf seinem unabwendbaren Siegeswillen [aus] - in den Augen seiner Fans genau das, was sie sehen wollen. [...] Der Fan will mehr: am liebsten die Vernichtung des Gegners, den Triumph seines Helden, nicht nur dessen Sieg. [...] Ein Star wie der jamaikanische Sprinter Usain Bolt begeistert trotz aller Zweifel die ganze Welt, und zwar wegen seiner Urgewalt, mit der er triumphiert, die in den Menschen so etwas [wie] Euphorie freisetzt, wie sie sie sonst offenbar nicht erleben. Und das war schon immer so: Warum hingen in den 70er-Jahren, wenn Muhammad Ali boxte, nachts so viele Frauen am Fernseher? Was versetzte [...] die Männer an Michael Schumacher derart in Erregung? Brutale Überlegenheit. Ur-Empfindungen, die der Alltag übertüncht, die dennoch von Zeit zu Zeit fast jeder mal erleben möchte.“ (Teske, 2009)

Und eben diese Euphorie, nach der sich die Fans anscheinend sehnten, und wahrscheinlich immer noch sehnen, lösten die Athleten von 2009 vielfach beim Publikum und den Medien aus. Als zum Beispiel Federica Pellegrini bereits im Halbfinale über 200m Freistil den ersten Weltrekord gebrochen hatte, „rastete“ das Publikum bei ihrem späteren Finalauftritt „förmlich aus“ (vgl. spox.com, 2009). Die WM 2009 wurde zur Bühne für Favoriten wie bspw. Michael Phelps (USA), Britta Steffen (Deutschland) oder eben Federica Pellegrini (Italien), die die Überlegenheit ihrer „High-Tech-Anzüge“ nutzten und ihre Dominanz mit vielen Weltrekorden noch weiter untermauerten. Thomas Hahns Beschreibung des Schwimmsports aus dem Jahr 2007 schien sich also auch 2009 zu bewahrheiten: „die Schwimmer [schienen] ihre Meisterschaften ohne Weltrekorde gar nicht mehr zu akzeptieren, [...] als brauchten sie die Bestzeiten, weil die Dramaturgie ihrer Rennen sonst zu schwach sei“ (Hahn, 2007).

Großen Anteil an diesen „irrsinnigen Rekordexzessen“ (Steinle, 2009) hatten die Anzughersteller, deren Technologien die Schwimmer bis zu 5% schneller machten: zum Beispiel schwamm Paul Biedermann die 200m Freistil mit High-Tech-Anzug 4,82 Sekunden schneller als in Stoffhosen, in denen er für die gleiche Strecke ursprünglich 1:46:82 Minuten gebraucht hatte (vgl. hei/sid, 2010).

Doch just als die Rekordflut ihren Zenit bei der WM 2009 erreichte, wurde durch Beschluss der FINA-Delegierten ein Verbot der mit Plastik beschichteten High-Tech-Anzüge in die Wege geleitet. Ab 2010 waren für Männer nur noch knielange Stoffbadehosen zugelassen, bei den Frauen dementsprechend kurze Badeanzüge (vgl. Kelnberger, 2009).

Schwimmexperten prognostizierten daraufhin, dass mit Stoffanzügen auf absehbare Zeit keine neuen Weltrekorde mehr erzielt werden würden (ebd., 2009) und „Heldentum“ der Vergangenheit angehören würde. Betrachtet man im Nachgang die tatsächliche Entwicklung der Schwimm-Weltrekorde, war das Jahr 2010 in der Tat ein Jahr ohne Rekorde und auch im Jahr 2011 konnten nur zwei neue Weltrekorde aufgestellt werden (vgl. Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Erzielte Weltrekorde (Langbahn); swimrankings.net (Stand 15. Dezember 2012); Eigene Darstellung

1.1 Forschungsidee

Doch wie genau gingen die Medien mit dieser extremen Regeländerung um? Interessierten sie sich weiterhin so umfangreich für den Schwimmsport wie während der Schwimm-WM 2009 oder brach die mediale Präsenz des Schwimmsports in gleichem Maße ein wie es die Schwimm-Weltrekorde in den Folgejahren taten?

Als Argumente für eine weiterhin bestehende Relevanz des Schwimmsports für die Medien wurden der mögliche Rückgewinn von Integrität und des ästhetischen Aspekts für den Schwimmsport angeführt (vgl. Kelnberger, 2009) – oder, ausgedrückt in den Worten von Paul Biedermann: „Jetzt wird der Kampf Mann gegen Mann attraktiv“ und „Es ist sicher schöner, auf nackte Haut zu gucken“ (Biedermann, 2010). Als Hauptargument für eine zukünftig verminderte Relevanz für die Medien wurde der zu erwartende Einbruch der Weltrekorde angeführt. Eine Sportart, die durch mangelnde Weltrekorde kaum Dramatik und Euphorie verspricht, könnte quasi „in Langeweile versinken“ und das Publikum, und damit auch die Medien, das Interesse an dieser Sportart verlieren.

Die vorliegende Arbeit soll am Beispiel der Printmedien untersuchen, wie sich die Schwimm-Berichterstattung im Allgemeinen im Laufe der Zeit entwickelte und, wenn möglich, im Speziellen analysieren, inwieweit die Reglementänderung bzgl. der Schwimmanzüge auf die Schwimmberichterstattung Einfluss hatte. Als Untersuchungszeiträume wurden die Schwimm-WM-Zeiträume von 2001 bis 2011 gewählt, denn die Schwimm-WM 2001 war die erste, in der ein mit einem Ganzkörperschwimmanzug ausgestattete Schwimmer zu den Wettkämpfen antrat (vgl. Philippsen, 2001).

Ein weiterer Untersuchungsaspekt soll die Frage sein, wie sich dabei die Boulevardberichterstattung von der Berichterstattung der Qualitäts- und der Regionalzeitungen unterschied. Dabei sollen detailliert Aussagen zu Stil, Form und Inhalt der Berichterstattung getroffen werden und auch Unterschiede innerhalb der Zeitungsgattungen (Boulevard-, Qualität- und Regionalzeitungen) ausgewertet werden. Als wichtigster Bestandteil der Untersuchung soll die Erforschung der Nachrichtenfaktoren dienen, die letztendlich in den jeweiligen Redaktionen ausschlaggebend gewesen sein könnten, über die Schwimm-Weltmeisterschaften zu berichten. Um diese Forschungsziele zu erreichen, werden sechs ausgewählte Tageszeitungen (BILD-Zeitung, Münchner Abendzeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Münchner Merkur und Hamburger Abendblatt) mit der empirischen Methode der Inhaltsanalyse untersucht.

1.2 Wissenschaftliche Relevanz und Forschungsstand

1.2.1 Einordnung der Arbeit in das Forschungsfeld

Die vorliegende Arbeit lässt sich dem übergeordneten Forschungsfeld der Medien- und Kommunikationswissenschaften zuordnen. Harold D. Lasswell, der neben Kurt Lewin, Paul F. Lazarsfeld und Carl Iver Hovland zu den Mitbegründern der Kommunikationsforschung zählt, hat in der viel zitierten Lasswell Formel 1948 die grundlegende Fragestellung dieser wissenschaftlichen Disziplin so formuliert: „WHO says WHAT in WHICH channel to WHOM with WHAT effect“ (Beck, 2010, S. 125; Merten, 1999, S. 58+70). Diese Formel beinhaltet die fünf forschungsleitenden Fragestellungen der kommunikationswissenschaftlichen Teilgebiete der Kommunikator- und Journalismusforschung (WHO), Aussagen- und Inhaltsanalyse (says WHAT), Medienforschung (in WHICH channel), Publikumsforschung (to WHOM) und die Medienwirkungsforschung (with WHAT effect) und stellt sozusagen den „Prototyp des klassifikatorischen Kommunikationsmodells“ dar (Merten, 1999, S. 70). Da mit dieser Studie Inhalte und Aussagen des Mediums „Zeitung“ bezüglich der Berichterstattung über den Schwimmsport analysiert werden, ist sie der Aussagenforschung zuzuordnen.

Jedes Forschungsgebiet arbeitet mit unterschiedlichen Methoden zur Erhebung der Daten. Da die Kommunikationswissenschaft zu den Sozialwissenschaften gehört, bedient man sich bei der empirischen Kommunikationsforschung der sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden, also der Beobachtung, der Befragung bzw. des Interviews, des Experiments oder der Inhaltsanalyse (vgl. Brosius, Koschel & Haas, 2008, S. 17-21). Da die ersten vier Methoden personenbezogen sind, kommt für diese Arbeit zur Erhebung der Daten nur die fünfte Methode, die Methode der Inhaltsanalyse, in Frage.

1.2.2 Historie der kommunikationswissenschaftlichen Erforschung des Sportjournalismus

Die Erforschung der Medienbotschaften und –inhalte ist schon eine sehr alte Disziplin, denn bereits während des ersten Weltkriegs wurde die Inhaltsanalyse verwendet. Für politische Zwecke wurden die Propagandamöglichkeiten zur massenmedialen Verbreitung in den USA analysiert und mit Hilfe der Inhaltsanalyse verbessert (vgl. Brosius et al., 2008, S. 139).

Dagegen ist die Erforschung des Sportjournalismus trotz zahlreicher erschienener universitären Abschlussarbeiten immer noch als mangelhaft zu erachten. Die ersten Forschungsarbeiten zum Sportjournalismus gab es zwar bereits vor 1939, jedoch erschien in den darauffolgenden 60 Jahren nicht viel Erwähnenswertes (vgl. Weischenberg, 1995, S. 349-350). Siegfried Weischenberg beobachtet zwar, dass seit den siebziger Jahren wieder mehr über den Sportjournalismus diskutiert und geforscht wurde, beschrieb aber den Status als „in theoretischer und methodischer Hinsicht nach ziemlich anspruchslos“, zumindest was Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum angeht. Obwohl die größten Ereignisse der Welt sportlicher Natur sind und die Medien minuten- bzw. seitenweise darüber berichten, ist es „erstaunlich, dass das Thema ‚Sport und Medien’ im Rahmen der empirischen Medienforschung im Vergleich zu anderen Medien bislang eher geringe Berücksichtigung fand“, beobachtet ebenfalls Uli Gleich vom Institut für Kommunikationspsychologie/ Medienpädagogik der Universität Koblenz/Landau und bestätigt damit Weischenbergs Erkenntnisse (Gleich, 1998, S. 144). Auch Frank Marcinkowski und Mirko Marr beobachten dieses Paradoxon.

Sport ist für die Medien deshalb so interessant, weil er

„zum einen attraktiv, weil er kontinuierlich spannende, personalisierbare und in sich abgeschlossene Ereignislagen produziert, deren Terminierung planbar, deren Verlauf leicht nachvollziehbar und deren Ausgang meist eindeutig ist, was den technischen, zeitlichen und sachlichen Verwendungslogiken der Medien in vielerlei Hinsicht entgegenkommt“ (Marcinkowski & Marr, 2010, S. 496)

Selbst Sportarten, auf die diese Eigenschaften nicht von vornherein zutrafen bzw. zutreffen, passten bzw. passen mit dem Ziel, die „Voraussetzungen öffentlicher Anerkennung“ zu erfüllen und den „ökonomischen Fortbestand“ zu wahren, Regelwerke, Mannschaftstermine, Ligabetrieb, ja sogar das äußere Erscheinungsbild an, sodass die Medientauglichkeit erhalten bzw. gesteigert wurde bzw. wird (vgl. Marcinkowski & Marr, 2010, S. 500). Trotz dieser tiefgreifenden Anpassungen und gesteigerten medialen Attraktivität blieb das wissenschaftliche Interesse aus, sodass Jens Wernecken (2001, S. 1) „Sport-Images, Sportkommunikation und Sportmedien weiterhin ein ‚Außenseiter-Dasein’“ attestiert, da der Schwerpunkt des Forschungsinteresses im kulturellen und politischen Themenspektrum verortet ist. „Trotz ihrer [...] unbestreitbaren Relevanz sind ‚Medien- und Publikumsbilder des Sports’ [bis Ende der 1990‘er Jahre, Anmerkung des Verfassers] weitestgehend unerforscht“ geblieben (Wernecken, 2001, S. 1).

Seit dem Jahrtausendwechsel ist die Bandbreite an veröffentlichten Studien stark angewachsen. Studien und Aufsätze bzw. Aufsatzsammlungen von Thomas Horky (Die Inszenierung des Sports in der Massenkommunikation, 2001), Michael Schaffrath (Spitzensport und Sportjournalismus, 2005; Sport-PR und PR im Sport, 2009a ;Traumberuf Sportjournalismus, 2009b), Thomas Schierl (Handbuch Medien, Kommunikation und Sport, 2007), Jürgen Schwier (Soziologie des Mediensports, 2008), Christoph Bertling (Sportainment, 2009), Felix Axster (Mediensport, 2009) Dietrich Leder (Sport und Medien, 2011) können als Beispiel des gestiegenen Interesses am Untersuchungsobjekt „Sport in den Medien“ angesehen werden. Dabei sind die Schwerpunkte der Studien unterschiedlichster Art. So werden häufig die Darstellung von Personengruppen sowie von Gewalt und Ethik in der Sportberichterstattung untersucht, aber auch die Lokalberichterstattung und die verwendete Sprache im Sportjournalismus sind oftmals im Zentrum des Forschungsinteresses (vgl. Loosen, 1998, S. 13).

1.2.3 Forschungsstand im Sportjournalismus zum Schwimmsport

Obwohl die Sportart Schwimmen laut Wernecken Ende der 1990‘er Jahre auf dem neunten Platz der im Fernsehen präferierten Sportarten rangierte und damit noch vor Basketball einzuordnen war (vgl. Wernecken, 1998, S. 74), war sie deutschlandweit noch nie ausführlicher Gegenstand einer Forschungsarbeit. Recherchen an der Deutschen Sporthochschule Köln, den Universitäten Tübingen, Mainz, Erlangen, Konstanz und München (TU und Ludwig-Maximilians-Universität), an den Internetportalen zum kostenpflichtigen Erwerb von Hochschulschriften www.diplomarbeiten24.de (Bestand am 04.01.2013 : 24.335 AA) und www.diplom.de (Bestand am 04.01.2013: 13.140 AA), bei der OPUS-Metasuche nach elektronischen Hochschulschriften (http://elib.uni-stuttgart.de/opus/gemeinsame_suche.php) und an der Deutschen Nationalbibliothek ergaben, dass es keine Forschungsarbeiten mit dem Schwerpunkt auf die mediale Berichterstattung über den Schwimmsport gibt. Auch dem DSV ist keine wissenschaftliche Arbeit in diesem Forschungsfeld bekannt. Im Rahmen anderer Studien (vgl. Loosen, 1998; Wernecken, 2001; Hackforth, 2004) analysierte man die Berichterstattung über den Schwimmsport nur über einen begrenzten Zeitraum und im Zusammenhang mit anderen Sportarten bzw. im Fokus anderer wissenschaftlicher Fragestellungen. Auch Recherchen an der Fakultät für Sportwissenschaften der TU München ergaben, dass knapp zwanzig Prozent der erfassten Diplomarbeiten ein Thema der Sportart Fußball behandelten, was die Statistik unterstützt, wonach Fußball Deutschlands Sportart Nummer eins ist, sowohl medial gesehen als auch als ausgeübte Sportart (Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB), 2011; Wernecken, 1998, S. 74). Dagegen gab es noch keine Diplomarbeit mit kommunikationswissenschaftlicher Ausrichtung über den Schwimmsport.

Die Diskrepanz zwischen sportlichem Ertrag/ sportlicher Historie und medialer Präsenz und wissenschaftlicher Analyse ist umso erstaunlicher, wenn man einen Blick auf die deutsche Erfolgsgeschichte im Schwimmsport wirft. Deutschland ist, wenn man die Summe der gesammelten Medaillen betrachtet, im internationalen Vergleich bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen im ewigen Medaillenspiegel jeweils auf dem zweiten Platz hinter den Vereinigten Staaten aus Amerika (USA) platziert (vgl. Tab. 1, 2). Andere Autoren würden aus diesen Gründen Deutschland als eine Schwimmnation bezeichnen, also eine Nation, die schon immer Vorreiter bei Schwimmwettbewerben war und schon immer höchst erfolgreiche Sportler hervorbrachte (vgl. sport-mal-anders.blogspot.com, 2009).

Tab. 1:Olympische Spiele (1908-2008) – ewiger Medaillenspiegel[1]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: swimrankings.net (Stand 15. Dezember 2012); Eigene Darstellung

Tab. 2: Schwimmweltmeisterschaften (1973-2011) – ewiger Medaillenspiegel

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: swimrankings.net (Stand 15. Dezember 2012); Eigene Darstellung

Ein weiterer Indikator für außerordentliche Leistungen im deutschen Schwimmsport ist die Wahl zur Sportlerin bzw. zum Sportler des Jahres. Dabei wurden männliche Schwimmer seit Beginn der Auszeichnungen im Jahr 1947 zwölf Mal gewählt und Frauen elf Mal, ohne die Wahlen der DDR mit einzurechnen. Einzig Leichtathleten wurden häufiger ausgezeichnet (Männer 14-mal, Frauen 24-mal) (vgl. Sportler-des-Jahres.de, 2011).

1.2.4 Schwimmsport in den Medien

Dass Deutschland eine Schwimmnation ist und ein überdurchschnittlich hohes Publikumsinteresse an diesem Sport vorliegt, beweisen die Einschaltquoten der vergangenen Schwimmweltmeisterschaften. So z.B. betrug der durchschnittliche Marktanteil im Jahr 2009 13,2% (vgl. Merx, 2011). Zum Vergleich: ARD und ZDF erzielten bei der heimischen Leichtathletik-WM 2009 in Berlin Marktanteile von bis zu 30%, was einer Zuschauerquote von 5,38 Mio. Zuschauern entsprach (vgl. ARD.de, 2009). Die Schwimmweltmeisterschaften sind zwar ohne einen olympischen Rahmen nicht ganz so medial wirksam, dennoch ist aus den vom ZDF ausgegeben Werbepreisen für die Schwimm-WM 2009 in Rom herauszulesen, dass die für eine Werbesekunde veranschlagten Preise durchaus mit denen der Leichtathletik-WM und der Tour de France mithalten konnten. So wurden für eine Werbesekunde bei der Schwimm-WM 2009 durchschnittlich 350,- EUR verlangt, bei der Leichtathletik-WM 600,- EUR und bei der Tour de France 250,- EUR (vgl. zdf-werbefernsehen.de, 2009).

Bei den Olympischen Spielen, wie z.B. in London, erzielte der Schwimmsport noch bessere Einschaltquoten. Die Sender ARD und ZDF konnten bei den Schwimmentscheidungen 2012 auch unter der Woche bis zu 6,81 Millionen Zuschauer an die TV-Geräte binden, was einen TV Marktanteil von fast 25 Prozent darstellte (vgl. digitalfernsehen.de, 2012). Prinzipiell zählen die Schwimmwettbewerbe neben der Leichtathletik zu den beliebtesten olympischen Sportarten, weshalb das olympische Programm generell so gestaltet wird, dass in der ersten Woche die Schwerpunkte und allabendliche Höhepunkte die Schwimmdisziplinen darstellen, während in der zweiten Woche auf die Leichtathletik fokussiert wird (vgl. http://www.olympiazeitplan.com/).

Im Hörfunk liegen nur wenige Daten vor. Eine Ausnahme stellt die Studie „Sport on Air“ aus dem Jahr 1996 von Michael Schaffrath dar, die sowohl die Einschätzung der Hörfunkjournalisten zur Rangordnung der wichtigsten Sportarten als auch deren tatsächliche Berichterstattung untersuchte und verglich. Nach Umfrage unter den Hörfunkjournalisten rangierte der Schwimmsport bei den privaten Radiostationen mit 30,8 Prozent auf dem achten Rang und bei den öffentlich-rechtlichen Radiostationen mit 30,6 Prozent auf dem neunten Rang in der Liste der wichtigsten Sportarten in Deutschland (vgl. Schaffrath, 1996, S. 286-287). In der Realität jedoch fand der Schwimmsport mit einem Anteil von nur 1,5 Prozent an allen gesendeten Beiträgen nur sehr selten in die Berichterstattung. Zwar rangierte der Schwimmsport auf dem elften Platz, hatte aber einen sehr deutlichen Abstand zu den Top-Sportarten Fußball (45,7 Prozent), Tennis (8,5 Prozent) und Handball (5,6 Prozent) (vgl. Schaffrath, 1996, S. 325)

Für die Printmedien liegen Daten vor, die im Rahmen von Studien zwar ermittelt wurden, in denen Schwimmen aber lediglich einen Teilaspekt darstellte. So z.B. konnte Loosen (1998, S. 98) in ihrer Studie „Die Medienrealität des Sports“ einen Wert für die Präsenz des Schwimmsports in den Printmedien nachweisen, der bei 1,0 Prozent lag - allerdings wurde dieser Wert in einem Zeitraum ermittelt, der keine Schwimmsportveranstaltung beinhaltete und medial betrachtet uninteressant war. Die vorliegende Abschlussarbeit soll versuchen, die Lücke einer Longitudinalstudie zum Schwimmsport im Printbereich zu schließen.

2 Nachrichtenforschung in der Kommunikationswissenschaft

Die theoretische Grundlage dieser Arbeit stellt die Nachrichtenwerttheorie dar. Nachdem es zur Nachrichtenwerttheorie in der Sportberichterstattung, mit Ausnahme der Studie „Die Medienrealität des Sports“ (1998) von Wiebke Loosen, immer noch keine weiteren Untersuchungen gibt, die sich zumindest auf empirischer Ebene zu einem Vergleich heranziehen lassen könnten, ist ein Fokus auf die Untersuchungen der klassischen Nachrichtenwerttheorie unverzichtbar.

Fretwurst (2008, S. 1) stellt die Grundfrage der Nachrichtenwerttheorie so: „Wie kommen Nachrichten zustande und wofür stehen sie?“ Journalisten haben die Aufgabe, eine möglichst korrekte Wiedergabe der Realität zu verwirklichen. Die Schwierigkeit liegt darin, durch die über die Medien verbreiteten Inhalte beim Rezipienten ein unverzerrtes Realitätsbild zu vermitteln, sodass trotz der Reduktion von Information der Rezipient in der Lage ist, die Realität zu „rekonstruieren“ (vgl. Fretwurst, 2008, S. 1). Maier, Stengel und Marschall (2010, S. 15) haben in einer Stichprobe - ausgewählt wurden die damals aktuell vier größten Nachrichtenagenturen dpa, AP, AFP und Reuters - herausgefunden, dass von insgesamt 427 bei der Süddeutschen Zeitung und Frankfurter Allgemeinen Zeitung eingegangenen politischen Meldungen nur 38 bzw. 37 als relevant eingestuft und weiterverarbeitet wurden. Das sind weniger als neun Prozent. Nachdem die Berichterstattung nur ein Ausschnitt der Realität, also ein kleines „Realitätsbild“, ist, muss hinterfragt werden, was ein Ereignis berichtenswert macht oder nicht (vgl. Fretwurst, 2008, S. 1).

Bezieht man diese Theorien auf die vorliegende Diplomarbeit, ergeben sich Fragen wie: Welche Nachrichtenfaktoren müssen erfüllt werden/ vorhanden sein, dass während der Schwimmweltmeisterschaften im Sportteil der Tageszeitungen seitenweise darüber berichtet wurde? Oder: Warum wurde über den Schwimmsport, in dem die DSV-Athleten am zweithäufigsten im internationalen Vergleich einen Platz auf dem Siegertreppchen erringen konnte, nur während Schwimmweltmeisterschaften im größeren Stil berichtet als in der Zeit dazwischen? Welche Nachrichtenfaktoren wurden also nicht erfüllt?

Nachfolgend soll die Evolution der Nachrichtenwert-Forschung der letzten Dekaden zusammengerafft aufgezeigt und wichtige Erkenntnisse vorgestellt werden.

2.1 Walter Lippmann: Vater des Nachrichtenwerts

Bereits 1922 beschrieb Walter Lippmann in seinem Buch „Public Opinion“ im Kapitel „The Nature of News“ das Dilemma, das nicht nur Menschen, sondern auch die Medien haben, wie folgt:

all the reporters in the world working all the hours of the day could not witness all happenings in the world. There are not a great many reporters. And none of them has the power to be in more than one place at a time. Reporters are not clairvoyant, they do not gaze into a crystal ball and see the world at will, they are not assisted by thought-transference. Yet the range of subjects these comparatively few men manage to cover would be a miracle indeed, if fit were not a standardized routine“ (Lippmann, 1961, S.338).

Für Lippmann stellt die erste Problematik das Subjekt „Mensch“ an sich dar. Wenn ein Beobachter ein Augenzeuge eines Ereignisses ist, dann „schaut er nicht zuerst und definiert dann, sondern definiert zuerst und schaut dann“ (Lippmann, 1961, S. 81). Gemeint ist hier, dass der Beobachter nur das wahrnehmen will / wahrnimmt, was er von der Gesellschaft gelernt hat wahrzunehmen, denn unsere Kultur definiert für uns vor, sie stereotypisiert für uns also (vgl. Lippmann, 1990, S. 63). Der Journalist muss in seinen Augen sogar noch weitergehen und noch stärker filtern und selektieren, was berichtenswert sein könnte und was nicht: „Ohne Standardisierung, ohne Stereotypen, ohne Routineurteile, ohne eine ziemlich rücksichtslose Vernachlässigung der Feinheiten stürbe der Redakteur bald an Aufregungen“ (Lippmann, 1961, S. 352). Eine unter Journalisten durchgeführte Studie zeigte auf, dass 60 Prozent der befragten Journalisten der Meinung sind, mit zuviel Pressematerial konfrontiert zu werden und die Angst bestünde, bemerkenswerte Entwicklungen von Sachverhalten zu übersehen (vgl. Weischenberg, Malik & Scholl, 2006, S. 123). Wichtig ist laut Lippmann auch die Unterscheidung zwischen der „Umwelt“, also der real existierenden Welt und der „Pseudo-Umwelt“, d.h. der individuell unterschiedlichen Auffassung der realen Welt. (vgl. Kunczik & Zipfel, 2001, S. 246) Die Realitätskonstruktion von Journalisten basiert also auf Stereotypen, wobei die Stereotypen sich ganz klar von denen des Rezipienten unterscheiden. Schulz (1976, S. 30) distanziert sich sogar noch mehr vom Begriff der Realität, die die Journalisten zu rekonstruieren versuchen, und spricht nur von „journalistischen Hypothesen“.

Lippmann führte auf Basis der entdeckten Stereotypen die „news values“ ein, wobei diese nur als Auswahlkriterien für den Journalisten gelten sollten und nicht dem Rezipienten (vgl. Fretwurst, 2008, S. 15). Lippmann definiert Nachrichtenwerte als Ereignisaspekte, die in Kombination auftreten können und die Publikationswürdigkeit beschreiben. Die ersten von ihm entwickelten Nachrichtenwerte waren Eindeutigkeit, Faktizität, räumliche und zeitliche Nähe, Relevanz, Sensationalismus, Konsequenz, Prominenz, Etablierung und Struktur (vgl. Fretwurst, 2008, S. 15; Staab, 1990a, S. 41).

2.2 Östgaard und die europäische Forschungstradition

Obwohl die norwegischen Friedensforscher Galtung und Ruge zum ersten Mal der Nachrichtenwerttheorie einen wissenschaftlichen Rahmen gegeben haben, bauen ihre Untersuchungen auf der Vorarbeit ihres Landsmanns Einar Östgaard auf. Östgaard, der an den Universitäten in Oslo und Paris in Politikwissenschaft graduierte, veröffentlichte im Jahr 1965 in der Zeitschrift „Journal of Peace Research“ zwei Artikel, in denen er erste Gedankenspiele zum Thema „Freier Nachrichtenfluss“ und deren Barrieren in ein theoretisches Konzept verpackte (vgl. Maier et al., 2010, S. 31; Fretwurst, 2008, S. 16). Gegenstand seiner Untersuchung war die internationale Berichterstattung, wo er vermutete, dass ein „free flow of news“ nicht gegeben war (vgl. Staab, 1990, S. 56). Östgaard untersuchte also, welche Einflüsse und Faktoren bei der Berichterstattung eine Rolle spielten, in welchem Maß die Realität zurechtgeschnitten, geformt oder gedehnt wurde. Eine für ihn unverrückbare Erkenntnis war: die Realität wird von den Journalisten verzerrt, weil er davon ausging, dass Nachrichten erst „newsworthy“ gemacht werden müssen, um den Bedürfnissen der Rezipienten gerecht zu werden (vgl. Fretwurst, 2008, S.17).

Den Prozess des Nachrichtenflusses hat Östgaard in drei Bereiche untergliedert, welchen er unterschiedlich starke Einflüsse zuschrieb. Der erste Bereich war der Quellenbereich. Hier könnte die erste Verzerrung durch eingeschränkte Verfügbarkeit sein, also externe Faktoren wie Politik, offizielle Zensur, andere Machthaber aber auch ökonomische Gründe können direkt wie indirekt den Nachrichtenfluss steuern. Eine größere Rolle spielt nach Östgaard der Bereich zwischen Quelle und Medium: lokale Verfügbarkeiten, ökonomische Aspekte und Beziehungen zu (Nachrichten-)Agenturen können verzerrende Eigenschaften haben. Den größten Einfluss aber hat laut dem Autor das verbreitende Medium selbst, denn interne Faktoren wie die Blattlinie, Anzahl der Korrespondenten, Medienpolitik oder der verfügbare Platz in einer Zeitung haben enormen Einfluss auf die Berichterstattung (vgl. Uhlemann, 2012, S. 30; Rauchenzauner, 2008, S. 46). Des Weiteren nennt Östgaard drei bei der Nachrichtenentstehung inhärente Faktoren bzw. Faktorentypen, die eine große Rolle bei der Gestaltung von Nachrichten spielen, Teile des Wesens des Journalismus sind und generell länderübergreifend gelten können (vgl. Uhlemann, 2012, S.30-31; Maier et al., 2010, S. 33-34; Fretwurst, 2008, S. 17-19; Rauchenzauner, 2008, S. 47; Eilders, 1997, S.21; Staab, 1990a, S.56-57):

1. Simplifikation: Die bloße Reduktion der Komplexität schwerer Sachverhalte und Themenstrukturen, um die Nachrichten für jeden Leser „leicht verdaulich“ zu machen. Östgaard sieht darin eine Steigerung der Chance der Veröffentlichung, was an sich kein verzerrender Faktor war, da die Komplexitätsverminderung zum Beruf des Journalisten gehört. Fretwurst (2008, S. 18) schlug deshalb vor, den eigentlich gemeinten Verzerrungsfaktor umzubenennen und als „Darstellungsfaktor“ zu bezeichnen
2. Identifikation: der Oberbegriff für Faktoren wie sozialer Status, räumliche, kulturelle und zeitliche Nähe und/oder Prominenz, also dem Publikum leicht zugängliche Thematiken, welche je nach Medium und Schwerpunkt der Medien stark variieren können
3. Sensationalismus: Der Zwang oder Wunsch eines Mediums, durch Konflikte, Bedrohungen, Kriminalität, Kuriositäten oder Gesellschaftsplauderei eine Dramatik und Emotionalisierung der Nachrichten herbeizuführen. Je aktueller das Ereignis ist, desto besser. Dabei hängt die Hierarchie der Thematisierung stark von der Mediengattung ab. Ein Boulevardblatt priorisiert die Themen anders als ein Qualitätsblatt.

Je besser ein Ereignis die oben genannten Kriterien erfüllt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, die sog. „Nachrichtenschwelle“ oder „Nachrichtenbarriere“ zu überwinden. Wenn es eine Nachricht einmal zur ihrer Veröffentlichung geschafft hat, ist es für alle verwandten Folgethemen leichter, ebenfalls veröffentlicht zu werden (vgl. Fretwurst, 2008, S.20; Schulz, 1990, S. 14). Nachdem für Östgaard damit ein „additives Zusammenwirken“ von mehreren Nachrichtenfaktoren nachgewiesen war, formulierte er drei Hypothesen, die die Beziehung der Realität zu der von den Medien geschaffenen Realität beschreiben. Diese sind wie folgt zusammengefasst worden:

„1. Die Massenmedien übertreiben die Bedeutung individueller Handlungen der politischen Führer von Elite-Nationen und verstärken dadurch den Status Quo.
2. Massenmedien stellen die Welt konflikthaltiger dar, als sie tatsächlich ist und sie betonen die Effektivität gewaltsamer Konfliktlösungen.
3. Massenmedien tendieren dazu, die Teilung der Welt in Staaten mit hohem und niedrigem Status zu verstärken oder zumindest aufrechtzuerhalt en“ (Rauchenzauner (2008, S. 47) .

2.3 Galtung & Ruge: Erster empirischer Beleg für die Nachrichtenwerttheorie

Auf der Basis von kognitionspsychologischen Erkenntnissen hatten die norwegischen Friedensforscher Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge in ihrer vielzitierten Studie „Factors Influencing the Flow of News“ Östgaards Konzept durch Systematisierung und Differenzierung einen wissenschaftlichen Rahmen gegeben und 1965 ihre Erkenntnisse über die Nachrichtenwerttheorie mitsamt der Nachrichtenfaktoren veröffentlicht. Ihre Untersuchungsgegenstände bestanden aus der Berichterstattung vier norwegischer Zeitungen über drei zu dieser Zeit aktuellen internationalen Krisen auf Zypern (1964), Kongo (1960) und Kuba (1960) (vgl. Maier et al., 2010, S.32; Fretwurst, S. 21). In ihrer Veröffentlichung verglichen die Autoren die Ereignis-Sensibilität eines Journalisten mit dem Empfänger von einem Radio: Das konstante Rauschen, das von Ereignissen auf dem Globus verteilt erzeugt wird, ist mit der Bandbreite an einstellbaren Frequenzen am Radiogerät vergleichbar. Der Journalist oder Rezipient im Allgemeinen entscheidet dann, auf welche Frequenz er den Empfänger stellt und über welchen Zeitraum er dieser Frequenz „zuhört“ (vgl. Uhlemann, 2012, S. 31-32; Maier et al., 2010, S. 34) Zusammen mit den Ableitungen aus diesem metaphorischem Vergleich kristallisierten Galtung und Ruge im Laufe der Untersuchungen insgesamt zwölf Nachrichtenfaktoren heraus – davon waren acht kulturunabhängig, also international immer gleichbleibend, und vier kulturabhängig, in diesem Fall auf den nord-westlichen Raum Europas beschränkt. Nachfolgend werden zuerst die kulturunabhängigen und dann die kulturabhängigen Nachrichtenfaktoren aufgeführt (vgl. Maier et al., 2010, S. 36-37; Rauchenzauner, 2008, S. 48-49; Staab, 1990a, 59-62):

Kulturunabhängige Faktoren

1. Frequenz (frequency): Hier ist die Zeitspanne gemeint, die ein Ereignis zum entwickeln bedarf. Je kürzer die Entwicklungszeit, je aktueller das Geschehen und je mehr Übereinstimmung mit der periodischen Erscheinungsweise eines Mediums, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass daraus eine Nachricht wird. Bei längeren Zeitspannen warten die Medien, bis ein gewisser Grad an Dramaturgie vorliegt
2. Aufmerksamkeitsschwelle (threshold): Aufgrund der hohen Selektionsdrucks muss eine Meldung erst die Nachrichtenschwelle überschreiten. Je stärker die Intensität bzw. das Intensitätspotenzial, desto leichter und schneller überwindet eine Meldung diese Schwelle. Intensität wird erst durch nachfolgende Nachrichtenfaktoren bestimmt
3. Eindeutigkeit (unambiguity): Je einfacher strukturiert und je verdichteter die Information vorliegt, desto höher sind die Publikationschancen. Bei Gefahr der Mehrdimensionalität und daraus möglicher sich widersprechender Aussagen, desto geringer ist wiederum die Publikationswahrscheinlichkeit
4. Bedeutsamkeit (meaningfulness): Je größer die kulturelle Nähe eines Ereignisses zu den Erwartungen und Interessen eines Rezipienten ist, desto höher wieder die Chance, zur Nachricht zu werden. Ein gewisser Grad der Relevanz zur Lebenssituation des Publikums sollte gewährleistet sein
5. Konsonanz (consonance): Je größer der Konsens von Ereignis und Erwartungshaltung des Publikums, desto größer die Veröffentlichungschance
6. Überraschung (unexpectedness/surprise): in Relation zu Konsonanz und Relevanz der Publikumserwartungen können überraschende, unvorhergesehene Ereignisse ebenfalls eine wichtige Rolle in der Berichterstattung spielen. Ebenfalls damit verbunden sind Kuriositäten und Raritäten
7. Kontinuität (continuity): Eng verbunden mit dem zweiten Punkt ist die Kontinuität eines Ereignisses: Wenn es einmal die Aufmerksamkeitsschwelle überwunden hat, haben Folgethemen oder themenverwandte Ereignisse eine größere Chance veröffentlicht zu werden als brandneue Ereignisse
8. Variation (composition): Um möglichst viele Themenspektren abzudecken, tendieren die Massenmedien häufig dazu, auch vergleichsweise unwichtige Themen mit in die Berichterstattung aufzunehmen. Kontrastbildung steht hier im Vordergrund
Kulturabhängige Nachrichtenfaktoren
9. Elite-Nationen (reference to elite-nations): Wenn bei Ereignissen Elite-Nationen involviert sind, dann macht dies, gemessen an der Intensität des Involvements, ein Ereignis berichtenswerter, und diese hat eine höhere Chance, von den Massenmedien aufgegriffen zu werden
10. Elite-Personen (reference to elite-people): Ähnlich wie bei Elite-Nationen gewinnt ein Ereignis an Nachrichtenwert, wenn hochrangige, elitäre Persönlichkeiten in ein Ereignis involviert sind. So wird ein Kommentar zur Fußball-Europameisterschaft 2012 von Franz Beckenbauer als bedeutsam eingestuft, wogegen dem Kommentar eines gewöhnlichen Kreisklasse-Fußballspielers kaum Bedeutung zugesprochen wird
11. Personalisierung (reference to persons): Je deutlicher Handlungsstränge einzelnen Individuen zugeschrieben werden können und eindeutige Aussagen vom Individuum gemacht werden, desto höher ist die Publikations-wahrscheinlichkeit
12. Negativität (reference to something negative): Massenmedien haben den Hang, bevorzugt über Schäden, Krisen und Konflikte zu berichten. Je negativer und einschneidender ein Ereignis, desto höher ist auch hier die Veröffentlichungswahrscheinlichkeit.

Da ein einzelner Faktor fast niemals ausschließlich allein auftritt, sondern meist mit anderen Faktoren im Zusammenhang den Nachrichtenwert eines Ereignisses definiert, haben Galtung und Ruge fünf Hypothesen formuliert, die durch die Untersuchung einzelner Nachrichtenfaktoren anhand von Inhaltsanalysen der vier oben genannten Zeitungen verifiziert werden konnten (vgl. Rauchenzauner, 2010, S. 49; Fretwurst, 2008, S. 24-25; Kunczik & Zipfel, 2001, S. 249; Eilders, 1997, S. 23-24; Schulz, 1990, S. 19):

1. Selektivität (selection): Je mehr ein Ereignis den genannten Nachrichtenfaktoren entspricht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass daraus eine Nachricht wird und publiziert wird
2. Verzerrungshypothese (distortion): Die Faktoren, die für das Ereignis für eine Publikation ausschlaggebend waren, werden in der Berichterstattung akzentuiert
3. Replikation (replication): Mit jedem Stadium der Übermittlungs- und Weiterverarbeitungsphase bis hin zur Publikation findet eine Verstärkung der Selektivität und Verzerrungseffekte statt
4. Additivitätshypothese (additivity): Je mehr Nachrichtenfaktoren in einem Ereignis vereint werden, desto größer ist die Publikationswahrscheinlichkeit
5. Komplementaritätshypothese (complementarity): Wenn Nachrichtenfaktoren nur schwach ausgeprägt oder gar nicht vorliegen, müssen die übrigen Nachrichtenfaktoren in einer umso stärkeren Form vorliegen, damit die Publikationswahrscheinlichkeit erhalten bleibt.

Kritik an der Nachrichtenwerttheorie

Kritisch anzumerken ist die von Galtung und Ruge nicht ausreichende Untersuchung aller Nachrichtenfaktoren. So räumten die Autoren jedem Nachrichtenfaktor die gleiche Gewichtigkeit ein, also eine gewisse Universalität, was aber nach mehreren Folgestudien nie bewiesen werden konnte bzw. eher vom Gegenteil ausgegangen werden muss, sodass manche Faktoren als wichtiger zu betrachten sind als andere (vgl. Fretwurst, 2008, S.28).

Im Allgemeinen wurde z.B. kritisiert, dass

„die Nachrichtenwert-Theorie [...] dem Anspruch einer raum-, zeit- und kontextunabhängigen Theorie mittlerer Reichweite kaum gerecht wird. Ihre Geltung und ihre prognostische Leistung hängen vielmehr in erheblichem Maße von zeitgeschichtlichen, kulturellen und situativen Faktoren ab“ (Hans Mathias Kepplinger 1998, S. 30).

Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Jürgen Wilke bewies in einer Langzeitstudie, dass sich die Nachrichtenauswahl, und damit auch die Nachrichtenfaktoren, im Laufe der Zeit stark veränderten. Im Zeitraum vom 17. bis zum 20. Jahrhundert beobachtete er eine „Entmilitarisierung und – politisierung“. Er fand heraus, dass Themengebiete wie Soziales, Sport, Wirtschaft und Kultur so stark an Bedeutung dazu gewonnen hatten, dass die heutige Medienrealität eine ganz andere wäre (vgl. Wilke, 1984, S. 125-131; S.147-159). Auch die Kontinuität nahm dramatisch ab: Früher wurde ein Ereignis länger und häufiger thematisiert und die Gesamtzahl an Ereignissen war relativ überschaubar, während heutzutage eher die Quantität der zu berichtenden Ereignisse im Vordergrund stünde und häufige Themenwechsel stattfänden (vgl. Wilke, 1984, S. 133 ff.).

Aber auch die Selektionskriterien der Journalisten sind selektions- bzw. kontextabhängig (vgl. Kunczik & Zipfel, 2001, S. 259). Gemeint ist, dass obwohl Themen wie ein Bundestrainerkonflikt oder ein Schwimmerkonflikt beim SC Magdeburg beide den Nachrichtenfaktor „Konflikt“ beinhalten, aber der Schwimmerkonflikt beim SC Magdeburg geringeren medialen Nachrichtenwert besitzt, da nur lokales Interesse an einer solchen Meldung bestehen würde (vgl. Kunczik & Zipfel, 2001, S. 259).

Wichtig sind auch die medienspezifischen Anforderungen der Berichterstattung. Während man beim Radio auf Bilder und geschrieben Text verzichten muss und sehr komprimierte Nachrichten vermittelt werden, besteht bei der Zeitung die Möglichkeit, wesentlich mehr Themen ausführlicher und detaillierter zu beschreiben und ggf. den Text mit Bildern zu unterstreichen. Das Fernsehen wiederum braucht Videoaufnahmen oder anderes Bewegtbild-Material, um eine sinnvolle Berichterstattung gestalten zu können. Je nach Medium müssen dann auch unterschiedliche Nachrichtenfaktoren entwickelt und anders gewichtet werden, was zu einer medienübergreifenden Verzerrung führt und verstärkt wird, wenn ein Medium vom anderen Medium die Nachrichten erhält, neuselektiert und komprimiert wiedergibt (vgl. Kunczik & Zipfel, 2001, S. 259).

Die Nachrichtenwerttheorie ist, so gesehen, stark eingeschränkt praktikabel, gewinnt aber an Gehalt, wenn man die von Galtung und Ruge vorgegebenen Randbedingungen auflöst. Das bedeutet eine Ausdifferenzierung des Nachrichtenfaktorenkatalogs und evtl. eine Neuformulierung der Nachrichtenwerttheorie anstrebt (vgl. Fretwurst, 2008, S. 35).

2.4 Sande: Die Nachrichtenwerttheorie auf dem Prüfstand

Als einer der ersten und wichtigsten Kritiker von Galtung und Ruge galt der ebenfalls am Osloer Friedensinstitut arbeitende Norweger Oystein Sande. Er hatte die von Galtung und Ruge aufgestellten Hypothesen durch eigene Inhaltsanalysen einer Prüfung unterzogen. Dabei waren die wichtigsten Änderungen und Innovationen, dass er neben drei Tageszeitungen auch einen Radiosender untersuchte, sich nicht auf die Auslandsberichterstattung beschränkte und die Ergebnisse mit denen einer Bevölkerungsumfrage verglich (vgl. Uhlemann, 2012, S. 34; Maier et al., 2010, S. 37; Staab, 1990a, S. 66). Zusätzlich erweiterte und verbesserte er die Untersuchungsmethode und führte Variablen ein, die den „Beachtungsgrad“ einer Nachricht messen sollten. Dazu gehörte die Länge und Platzierung der Artikel aber auch die Häufigkeit der Berichte (vgl. Kunczik & Zipfel, 2001, S. 249-250). Als weitere Innovation kann auch die Einführung von „news units“ gesehen werden, mithilfe derer Sande alle Meldungen zu einem Ereignis zusammenfasste und als zusammengehörig beschrieb. Ziel war es, einen neuen Oberbegriff zu erarbeiten, „der von der Publikationspraxis der Massenmedien unabhängig ist“ (Staab, 1990, S. 66). In seiner Studie beantwortete er außerdem ansatzweise die bei Galtung und Ruge offen gelassene Frage, welche der 8! (=8*7*6*5*4*3*2*1) = 40.320 bzw. 12! = 479.001.600 verschiedenen Permutationen von kulturunabhängigen bzw. kulturunabhängigen in Kombination mit kulturabhängigen Nachrichtenfaktoren die Aufmerksamkeit der Journalisten am stärksten anzieht (vgl. Maier et al., 2010, S. 38).

Erstes Ergebnis dieser Studie war, dass die untersuchten Nachrichtenfaktoren Kontinuität, Variation, Bezug zu Elite-Nationen, Bezug zu Elite-Personen, Personalisierung und Negativität überdurchschnittlich häufig vorgekommen waren. Damit war die Selektionshypothese nachgewiesen, wonach ein Ereignis, je stärker es den Kriterien entspricht, zur Nachricht wird. Hervorgetan hat sich auch die Kombination von Personalisierung und Negativität, die besonders häufig aufgetreten war (vgl. Staab, 1990a, S. 69).

Zweitens konnte die Additvitätshypothese bewiesen werden. Je mehr Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutrafen, desto wahrscheinlicher war die Publikation einer Nachricht über das Ereignis (vgl. Staab, 1990, S.69)

Ein drittes Ergebnis war der Beweis der Komplementaritätshypothese. So trat die Kombination der Nachrichtenfaktoren Negativität und Bezug zu Elite-Nationen nie mit dem Nachrichtenfaktor Elite-Personen gemeinsam auf. Genauso konnte bei einer Kombination von Elite-Nationen und –Personen der Faktor Negativität ausgeschlossen werden (vgl. Staab, 1990, S. 69)

Aufgrund der Umfragewerte der Bevölkerungsbefragung konnte ein konkreter Einfluss von Nachrichtenfaktoren auf das Rezeptionsverhalten des Publikums nachgewiesen werden. Nachrichten, die die oben genannten Nachrichtenfaktoren überdurchschnittlich häufig enthielten, wurden vom Publikum als „wichtig(er)“ eingestuft (vgl. Staab, 1990a, S. 69).

2.5 Schulz: Realität in den Massenmedien

Als erster deutscher Kommunikationsforscher tut sich hier besonders Winfried Schulz hervor, der in seinem 1976 veröffentlichten Buch „Die Konstruktion von Realität in Nachrichtenmedien“ die bisherigen europäischen Studien stark kritisierte und von der Erkenntnistheorie herkommend eine theoretische Neuformulierung der Nachrichtenwerttheorie forderte (vgl. Maier et al., 2010, S. 39; Schulz, 1990, S. 25; Staab, 1990a, S. 80). Das größte Problem sah er im Mangel an Objektivität der Massenmedien, wobei generell jegliche Abbildung von Realität als verzerrt und nicht zu einhundert Prozent mit Wirklichkeit übereinstimmend zu sehen ist, da selbst Jahrbücher, Archive oder Statistiken dem Selektionsverhalten anderer Leute unterworfen sind (vgl. Schulz, 1990, S. 25-26). Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Nachrichtenfaktoren nicht auf die in der Wirklichkeit erfolgten Ereignisse zu beziehen sind, sondern als „journalistische Hypothesen der Realität“ zu bezeichnen sind (vgl. Schulz, 1990, S. 30). Diese Re-Interpretation der Nachrichtenfaktoren hat eine Umformulierung der Grund-Hypothese zufolge, in der die Sichtweise der Journalisten ergänzt wird: „Je mehr eine Meldung dem entspricht, was Journalisten für wichtige und mithin berichtenswerte Eigenschaften der Realität halten, desto größer ist ihr Nachrichtenwert.“ (Schulz, 1990, S. 30).

Ergänzend hierzu merkt Schulz an, dass, wie Oystein Sande zuvor bereits untersucht hat, vor allem die Aufmachung und die Platzierung der Nachrichtenbeiträge ein wesentliches Zeugnis darüber abliefern, welche Ereignisse ein Journalist als wichtig erachtet oder nicht, oder präziser ausgedrückt, welchen Nachrichtenwert er einem Ereignis zuschreibt (vgl. Schulz, 1990, S. 30). Besonderes Interesse des Autors lag in der Operationalisierbarkeit der Nachrichtenfaktoren. Würde man den Nachrichtenwert, welcher nur ein Hilfskonstrukt zur Simplifikation der unumgänglichen Auswahlentscheidungen von Journalisten darstellt, auf die Nachrichtenfaktoren herunterbrechen, könnte man anhand der Untersuchung von kleinen bzw. großen Meldungen herausfinden, welche Faktoren für das jeweilige Medium eine kleinere bzw. größere Rolle spielen. Um dieser Frage nachzugehen und seine Theorie zu untermauern, hatte Schulz den Faktorenkatalog von Galtung und Ruge systematisiert, ausdifferenziert und neu zusammengestellt. Den insgesamt 18 Nachrichtenfaktoren ordnete er sechs Dimensionen unter, wobei jeder Nachrichtenfaktor in einer vierstufigen Skala auf seine Intensität hin untersucht werden sollte, von der „niedrigsten Intensitätsstufe“ bis hin zur „höchsten Intensitätsstufe“ (vgl. Maier et al., 2010, S. 75). Zusätzlich zielte eine seiner forschungsleitenden Fragen darauf ab, ob die herausgearbeiteten Nachrichtenfaktoren auf das gesamte Nachrichtenspektrum anwendbar wären bzw. um welche Faktoren man den Faktorenkatalog erweitern müsste, um auch nichtpolitische Beiträge nachrichtenwerttechnisch einschätzen zu können (vgl. Rauchenzauner, 2008, S. 51; Kunczik & Zipfel, 2001, S. 250; Schulz, 1990, S. 32-34):

Sechs Dimensionen nach Schulz

1. Zeit: Dieser Dimension zugehörig sind alle Faktoren wie „Dauer“ und „Kontinuität“ der Ereignisse, wobei letzterer später in „Thematisierung“ umbenannt wurde
2. Nähe: Hier werden vier Faktoren zusammengefasst: „räumliche Nähe“ (geographische Distanz zwischen Ereignisort und Sitz der Redaktion bzw. Verbreitungsgebiet des Mediums), „politische Nähe“ (bündnis- und wirtschaftspolitische Beziehungen zum Ereignisland), „kulturelle Nähe“ (literarische, religiöse, sprachliche und wissenschaftliche Beziehungen zum Ereignisland) und „Relevanz“ (Betroffenheit und existenzielle Bedeutung des Ereignisses). Manche Faktoren können nur auf internationale, nicht aber auf innerdeutsche Nachrichten zutreffen
3. Status: ursprünglich die von Galtung und Ruge formulierten Faktoren „Bezug zu Elite-Nationen“ und „Bezug zu Elite-Personen“. Schulz hat hier weiter ausdifferenziert und die Nachrichtenfaktoren „regionale Zentralität“ (politisch-ökonomische Bedeutung der Ereignisregion bei innerdeutschen Ereignissen), „nationale Zentralität“ (wirtschaftliche, wissenschaftliche und militärische Macht des Ereignislandes bei internationalen Nachrichten), „persönlicher Einfluss“ (politische Macht der beteiligten Personen) und „Prominenz“ (Bekanntheit der Personen bei unpolitischen Meldungen)
4. Dynamik: beinhaltet die Nachrichtenfaktoren „Überraschung“ (Unvorhersehbarkeit), „Struktur“ (war bei Galtung und Ruge „Eindeutigkeit“) und „Intensität“ (Schwellenfaktor). Zwar hätte in diese Gruppe wahrscheinlich auch „Variation“ gehört, Schulz entschied sich aber dafür, Variation zu streichen, da sich dies nur auf das Nachrichtenbild im Allgemeinen bezieht
5. Valenz: Schulz hat hier den Begriff „Negativismus“ ausdifferenziert und um das positive Gegenstück „Erfolg“ (Fortschritt auf politischem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet) erweitert. Neu sind weiterhin „Konflikt“ (politische Ereignisse mit aggressivem Charakter), „Kriminalität“ (rechtswidriges Verhalten) und „Schaden“ (Misserfolge und Personen-, Sach- oder finanzielle Schäden)
6. Identifikation: hier wurden die Nachrichtenfaktoren „Personalisierung“ und „Ethnozentrismus“ (Bezug des Ereignisses auf die Eigengruppe) zusammengefasst. Der Faktor „Konsonanz“ wurde aus Gründen der nicht eindeutigen Zuordbarkeit von Schulz gestrichen.

Um den Zusammenhang zwischen Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwert genauer untersuchen zu können, entschied sich Schulz als erster, eine medienübergreifende Inhaltsanalyse durchzuführen. So untersuchte er alle politischen und nichtpolitischen Nachrichten von fünf westdeutschen Tageszeitungen, drei westdeutschen Hörfunksendern, der damals beiden größten TV-Sender ARD und ZDF sowie der Nachrichtenagentur dpa (vgl. Kunczik & Zipfel, 2001, S.251; Staab, 1990a, S. 83). Der Untersuchungszeitraum umfasste elf Tage im Juni des Jahres 1975, welche in drei zusammenhängenden Zeitfenster aufgeteilt waren (vgl. Schulz, 1990, S. 47).

Die wichtigsten Ergebnisse waren, dass die relativen Häufigkeiten und mittleren Intensitäten der Nachrichtenfaktoren je nach Nachrichtenspektrum und Medium stark variierten. So waren ausschließlich die Nachrichtenfaktoren Dauer, Zentralität, Personalisierung, persönlicher Einfluss und Thematisierung bei politischen Meldungen vorzufinden, wogegen Faktoren wie Kriminalität, Schaden, Erfolg und Überraschung in nichtpolitischen Beiträgen eine sehr starke Ausprägung fanden. Alle Nachrichtenfaktoren zusammengenommen zeigten je nach Medium eine Streuung von 12 Prozent bis 62 Prozent (vgl. Maier et al., 2010, S. 75-76; Rauchenzauner, 2008, S. 52). Schulz konnte ebenfalls die Additivitäts- und die Verzerrungshypothese verifizieren. Vor allem letztere wurde bei internationaler Berichterstattung deutlich, da die Menge durchlaufender Quellen sehr viel größer war als bei innerdeutscher Berichterstattung. So kam es zu einer signifikant stärkeren Ausprägung und Akzentuierung von Nachrichtenfaktoren (vgl. Kunczik & Zipfel, 2001, S. 251).

Im Jahr 1977 hatte Schulz diese Vorgängerstudie komplett überarbeitet. Diesmal beinhaltete der Faktorenkatalog 20, teilweise neue Nachrichtenfaktoren: Aggression, Beteiligung von Elite Nationen, Beteiligung von Elite-Personen, Betroffenheit, institutioneller Einfluss, Emotionalisierung, Erfolg, Ethnozentrismus, Frequenz, Kontinuität, Kontroverse, Nähe, Personalisierung, Stereotypie, Thematisierung, Tragweite, Überraschung, Ungewissheit, Vorhersehbarkeit und Werte. Die neuangelegte, medienübergreifende Inhaltsanalyse wurde mit einer Bevölkerungsbefragung (260 Mainzer, 16-29 Jahre) kombiniert, sodass die Relationen von Nachrichtenfaktoren zum rezipierenden Publikum untersucht werden konnten (vgl. Eilders, 1997, S. 37-38; Staab, 1990b, S. 165-166). Um den Rahmen dieser Arbeit beizubehalten, werden an dieser Stelle nur grob die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.

Wiederum untersuchte Schulz, ob es überhaupt und in welcher Ausprägung ein Zusammenhang zwischen Nachrichtenwert und Nachrichtenfaktoren besteht. Es zeigte sich, dass vor allem bei innerdeutschen Beiträgen die Nachrichtenfaktoren als Auswahlkriterien agierten (vgl. Staab, 1990a, S. 88). Den größten Einfluss hatten demnach die Faktoren „Beteiligung von Elite-Personen, Emotionalisierung, „Kontinuität“, „Kontroverse“, „Tragweite“ und „Vorhersehbarkeit“, wogegen „Aggression“, „Erfolg“, „Nähe“ und „Werte“ nur minimal eine Rolle spielten (vgl. Fretwurst, 2008, S.41-42; Staab, 1990a, S. 88).

Eine weitere Erkenntnis war gleichzeitig eine Bestätigung eines Ergebnisses aus der ersten Studie: so taten sich je nach Medium unterschiedliche Faktoren besonders hervor, bspw. sind die primären Nachrichtenfaktoren bei der BILD-Zeitung „Aggression“, „Emotionalisierung“ und „Personalisierung“ (vgl. Fretwurst, 2008, S. 42-43; Staab 1990a, S. 88-89).

Aus dem unterschiedlich häufigen Vorkommen einzelner Nachrichtenfaktoren schließt Schulz außerdem, dass Journalisten bei Selektionsentscheidungen nicht nur „als Personen, sondern als durch das journalistische System sozialisierte Individuen [handeln], die nach professionellen Normen und soziokulturellen Konventionen“ agieren (vgl. Fretwurst, 2008, S. 44). Damit will Schulz sagen, dass eine eindeutige Zuordnung, aus welchen Gründen ein Ereignis zu einer Nachricht wird, nicht möglich ist. Nachrichtenfaktoren könnten demnach nicht nur Eigenschaften von Ereignissen sein, sondern nur aus den Augen von Journalisten als solche erkannt werden bzw. dem Ereignis von ihnen zugeschrieben werden. Die Grenzen sind hier fließend (vgl. Fretwurst, 2008, S. 44).

2.6 Staab: Aufteilung der Nachrichtenwerttheorie in ein Kausal- und Finalmodell

Was Winfried Schulz in seinen beiden Studien von 1976 und 1977 bereits andeutete, war die Kernfrage in Staabs Untersuchungen: Inwieweit nehmen die Journalisten Einfluss auf die Berichterstattung? Bzw.: Inwieweit schreiben die Journalisten den Ereignissen Nachrichtenfaktoren zu (vgl. Fretwurst, 2008, S. 45)?

Die Nachrichtenwerttheorie war von Anfang an dem klassischen kausalen Modell unterlegen, d.h. man war immer davon ausgegangen, dass die Nachrichtenfaktoren mehr als nur partiell Charakteristika für Ereignisse sind und als Entscheidungsgrundlage für Journalisten dienen (vgl. Staab, 1990a, S. 93). Der zu untersuchende Fakt, dass Journalisten ebenfalls eine aktive Rolle bei der Nachrichtenauswahl spielen, wurde gänzlich ausgeklammert. Ergebnisse aus der „News-Bias“ Forschung gaben Hinweise darauf, dass Journalisten nur passiv am Auswahlprozess beteiligt sind. Staab setzte sich über diese Ergebnisse hinweg und postulierte einen pro-aktiven Journalisten, der mehr oder weniger bewusst, aus verschiedenen Motiven heraus, bestimmte Ereignisse selektiert und weiterverarbeitet (vgl. Staab, 1990a, S. 9). Journalisten sind also in der Lage, den Nachrichtenwert eines Ereignisses zu manipulieren und Ereignissen, die eine große Gewichtigkeit haben, den Nachrichtenwert zu nehmen, zu reduzieren oder gar zu vergrößern. Damit wird aktiv in die Meinungsbildung der Bevölkerung eingegriffen und politische Entscheidungen werden beeinflusst. Wenn z.B. Journalisten überregionaler Qualitätszeitungen den Rauswurf des DSV-Bundestrainers gefordert hätten, wäre man dieser Forderung beim DSV eher nachgekommen, als wenn ein Lokalblatt den Rauswurf gefordert hätte. Diese finale Betrachtungsweise geht also davon aus, dass Journalisten sich an Einstellungen und Wertvorstellungen orientieren und den Nachrichtenfluss steuern (vgl. Fretwurst, 2008, S. 48; Staab, 1990a, S. 98). Staab formuliert aber die Prämisse, dass ein Finalmodell nur existieren könnte, wenn das Kausalmodell als akzeptiert gelten kann. Es muss also so etwas wie Nachrichtenfaktoren geben, damit seine Hypothese des Finalmodells seine Daseins-Berechtigung hat (vgl. Staab, 1990a, S. 98).

Um diese Annahme „wasserdicht“ zu prüfen, müssten laut Staab Inhaltsanalysen, groß angelegte Journalistenbefragungen und detaillierte Beobachtungen der Redaktionen initiiert werden, er beschränkte sich aber schlussendlich einzig auf die Inhaltsanalyse. Zur Überprüfung bediente sich Staab des von Schulz ausgearbeiteten Nachrichtenfaktorenkatalogs und der Methode der einfachen und multiplen Regressionsverfahren (vgl. Staab, 1990a, S. 99). Durch weitere Ausdifferenzierungen, Modifikationen und durch Streichen von redundanten Nachrichtenfaktoren „optimierte“ Staab den Faktorenkatalog und stockte auf 22 Faktoren auf (räumliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Nähe, Status der Ereignisnation, Status der Ereignisregion, institutioneller Einfluss, persönlicher Einfluss, Prominenz, Personalisierung, Kontroverse, Aggression, Demonstration, Überraschung, Reichweite, tatsächlicher Nutzen, möglicher Nutzen, möglicher Schaden, tatsächlicher Schaden, Zusammenhang mit Themen, Etablierung der Themen, Faktizität). Der Untersuchungszeitraum war eine Sieben-Tage-Woche im Februar 1984, die Untersuchungsobjekte waren vier überregionale Qualitätszeitungen, vier regionale Zeitungen, zwei Straßenverkaufszeitungen, fünf Hörfunksender, die ARD und ZDF, und der dpa Basisdienst (vgl. Staab, 1990a, S. 123-124).

Im ersten Analyseschritt konnte Staab das Kausalmodell verifizieren. Ihm fiel auf, dass ein besonders starker Zusammenhang zwischen Umfang des Beitrags und den Nachrichtenfaktoren bestand, dagegen weniger bis gar kein Zusammenhang zwischen der Platzierung des Beitrags und den Nachrichtenfaktoren. Allerdings zeichnete sich auch hier wiederum ein großer Unterschied zwischen den einzelnen Medien ab (vgl. Staab, 1990a, S. 211-212).

Eine weitere Erkenntnis war, dass, obwohl jedes Medium über das Ereignis berichtete, der Umfang und die Platzierung stark variierten, worin Staab eine Bestätigung sah, dass die verantwortlichen Journalisten bzw. Redaktionen – entsprechend dem Finalmodell - dem Ereignis unterschiedlichen Nachrichtenwert zusprachen (vgl. Staab, 1990a, 213-214).

Bei Betrachtung aller Ergebnisse, die sowohl für eine kausale bzw. finale Ausrichtung der Nachrichtenwerttheorie sprachen, kam Staab zu dem Schluss, dass keines der beiden Modelle für sich allein stehen kann, aber selbst in ihrer gegenseitigen Ergänzung nur eine limitierte Gültigkeit haben (vgl. Staab, 1990a, S. 214). Wenn eine Untersuchung sich auf die Berichterstattung allein konzentriert, dann kann von einer Symmetrie der beiden Modelle gesprochen werden. Die Ableitung des Kausalmodells ist: „Die Nachrichtenfaktoren bestimmen den Umfang und die Platzierung von Meldungen.“ Die Ableitung des Finalmodells lautet: „Der Umfang und die Platzierung führen zu Nachrichtenfaktoren“ (Fretwurst, 2008, S. 54). Beiden gleich ist aber, dass die Entscheidung, ob und in welchem Umfang berichtet wird, vor der Berichterstattung fällt, was heißen soll, dass der Journalist nicht erst während der Berichterstattung entscheidet, wie, wann, wo und in welchem Umfang berichtet werden soll (vgl. Fretwurst, 2008, S.54).

Was weiterhin komplett ausgeklammert und nicht untersucht blieb, war der Auswahlprozess der Journalisten. Die Nachrichtenwerttheorie kann nur das Gerüst der von den Medien produzierten Wirklichkeit beschreiben, und Einflussgrößen wie „institutionelle Prozesse, strukturelle Vorgaben, subjektive Kriterien oder ‚objektive’ Nachrichtenfaktoren“ bleiben weiterhin unerklärt (vgl. Staab, 1990a, S.214-215).

2.7 Eilders: Nachrichtenfaktoren mit dynamisch-transaktionalem Hintergrund

1997 hat die Kommunikationsforscherin Christiane Eilders zum Perspektivwechsel angeregt und die Nachrichtenwerttheorie auf die Basis des dynamisch-transaktionalen Modells gestellt. Wichtigste Neuerung ist hier, dass bei der Nachrichtenselektion das Rezipientenverhalten berücksichtigt wird. Das bedeutet, dass die Nachrichtenfaktoren ihr objektives Dasein verlieren und sowohl

„Journalisten [als auch] Rezipienten weisen Nachrichtenfaktoren auf der Basis von Stimulusmerkmalen und ihren jeweiligen Erwartungen und Zielen erst zu. Nachrichtenfaktoren sind demnach das Ergebnis individueller Informationsverarbeitung“ (Eilders, 1997, S. 16).

Die Grundlage dieser Schlussfolgerung ist die Studie „Realitätsvermittlung durch Massenmedien“ aus dem Jahr 1994 von Werner Früh, deren Untersuchungsmaterial (Themen der Medienbeiträge waren rein politischer Natur) mithilfe von inhaltsanalytischen Methoden von Eilders nachcodiert wurde, um die enthaltenen Nachrichtenfaktoren zu ermitteln (vgl. Eilders, 1997, S. 16+148).

Im Anschluss führte Eilders eine Untersuchung durch, die die so erhaltenen Nachrichtenfaktoren mit den empfundenen Nachrichtenfaktoren der Rezipienten vergleichen sollte. Im ersten Schritt wurden dazu bei 300 stichprobenartig ausgewählten Rezipienten mit einer Panel-Befragung und einer Vorher-Befragung die soziodemographischen Angaben, das politische Wissen, das politische Interesse und die Rezeptionsmedien abgefragt. Danach wurde dieselbe Stichprobe von rund 300 Personen in einer Nachher-Befragung zu politischen Beiträgen des Vortages befragt. Dabei sollten die Befragten angeben, welchen Beitrag sie rezipiert hätten und in eigenen Worten den Inhalt der Medienbeiträge wiedergeben. Die gleiche Nachher-Befragung wurde exakt sieben Tage später wiederholt. In der Zwischenzeit führten die Befragten Tagebuch über ihre Mediennutzung, private Erlebnisse, Gespräche mit dem Umfeld. Ziel war es, durch die Vorher-Nachher-Befragung herauszufinden, für welche Beiträge sich die Rezipienten interessierten und welche besonders lange im Gedächtnis blieben. Die Beiträge, die besonders ausgeprägt im Gedächtnis verankert waren, mussten nach Eilders auch besonders intensive Nachrichtenfaktoren beinhalten. In einer Feinanalyse wurden die rezipierten Beiträge und die empfundenen Nachrichtenfaktoren mit den von Eilders vorher codierten Beiträgen und deren Nachrichtenfaktoren verglichen, um herauszufinden, ob Nachrichtenfaktoren die Verarbeitung der Rezipienten beeinflussen und man so die „Erinnerung an einzelne Beitragsinhalte“ erklären könnte (vgl. Eilders, S. 16-17; S. 148-152). Der dazu verwendete Nachrichtenfaktorenkatalog lehnte sich stark an den von Staab (1990a) an, mit einigen Überarbeitungen durch Eilders: z.B. kamen „Emotion“ und „Sex/Erotik“ hinzu, „Aggression“ und „Demonstration“ wurden zu „Kontroverse“ zusammengefasst und „Ethnozentrismus“, „Zusammenhang mit Themen“ und alle Nähe-Faktoren wurden als redundant betrachtet und gestrichen, da keine Auslandsberichterstattung, sondern nur innerdeutsche Themenbeiträge untersucht wurden. Insgesamt wurde zwischen 13 Nachrichtenfaktoren unterschieden: Einfluss, Emotion, Etablierung von Themen, Faktizität, Kontroverse, Nutzen, Ortsstatus, Personalisierung, Prominenz, Reichweite, Schaden, Sex/Erotik, Überraschung (vgl. Eilders, 1997, S. 162-164).

Eilders kam zu dem Ergebnis, dass eine hohe Korrelation zwischen Nachrichtenfaktoren und dem Beachtungsgrad[2] eines Beitrages besteht. Bei besonders positivem Beachtungsgrad fielen besonders die Nachrichtenfaktoren Etablierung der Themen, Kontroverse, Prominenz und Reichweite auf. Geringe Beachtung wurde überraschenden und stark ereignishaften Inhalten geschenkt (vgl. Eilders, 1997, S.191). Eng korrelierten auch die Faktoren Umfang, Platzierung und Überschriftengröße mit dem Beachtungsgrad (vgl. Eilders, 1997, S. 213).

2.8 Kepplinger und Bastian: Prognostischer Gehalt der Nachrichtenwert-Theorie

In ihrem im Jahr 2000 veröffentlichten Aufsatz über den prognostischen Gehalt der Nachrichtenwerttheorie stellen Kepplinger und Bastian den praktischen Nutzen der Nachrichtenwerttheorie in Frage. Die Autoren vertraten die Meinung, dass der Sinn einer Theorie darin bestünde, irgendwann Prognosen zu machen und Sachverhalte erklären zu können. Genau jene Aspekte seien seit der ersten Formulierung von Östgaard im Jahr 1965 nicht ein einziges Mal hinreichend empirisch überprüft worden, geschweige denn, dass „gehaltvolle Prognosen abgeleitet“ wurden. Für sie war der Beweis eines praktischen Nutzens der Nachrichtenwerttheorie also erst noch zu erbringen (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 462-463).

2.8.1 Erneute Neuformulierung der Nachrichtenwert-Theorie

Die Autoren schlagen daher eine komplette Umstrukturierung der Nachrichtenwert-Theorie vor. Ausgehend von dem Modell, dass alle Selektionstheorien aus zwei oder mehr Bestandteilen bestehen müssen, gestaltet sich die Nachrichtenwert-Theorie wie folgt (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 463-464):

Die zwei Komponenten der Theorie sind a) Selektionskriterien und b) die Merkmale der Objekte. Objekte sind Medieninhalte und Objektmerkmale sind demnach die Nachrichtenfaktoren, welche die relevanten Beitragscharakteristika beschreiben. Das bedeutet, dass das Selektionskriterium der Nachrichtenwert eines Nachrichtenfaktors ist und so die verhältnismäßige Bedeutung der Nachrichtenfaktoren definiert wird. So kann beispielsweise eine überzufällige Auswahl nur auf der Basis von mindestens zwei Urteilskomponenten möglich sein, also nachvollziehbar beschrieben und damit vorhersehbar werden. Diese Beschreibung trifft auch auf die Platzierung und Umfang der Beiträge zu. d.h. „jede Theorie der Auswahl, Gestaltung und Platzierung von Nachrichten beruht deshalb notwendigerweise auf einem Zwei-Komponenten-Modell“ (Kepplinger & Bastian, 2000, S. 464).

Zusammengefasst heißt es nichts anderes, als dass das Zusammenwirken von Selektionskriterien und Nachrichtenfaktoren ein Resümee auf die Auswahl/ Platzierung/Gestaltung zulässt. Auswahl, Gestaltung und Platzierung der Beiträge stellen in diesem Modell die abhängigen Variablen dar und, konsequent zu Ende gedacht, würden die abhängigen Variablen aus den unabhängigen Variablen abgeleitet werden können. Kepplinger und Bastian weisen aber darauf hin, dass diese Art der Definition nicht möglich ist, da der Nachrichtenwert immer völlig unbekannt ist. Laut Kepplinger und Bastian hätte Schulz 1976 also irrsinniger Weise den unbekannten Nachrichtenwert (abhängige Variable) aus den abhängigen (Umfang, Platzierung) und den bekannten unabhängigen Variablen (den Nachrichtenfaktoren) abgeleitet. In der Tat wäre aber der Nachrichtenwert eine unabhängige Variable. (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 465).

2.8.2 Kepplinger & Bastians neues Analysemodell

Beide Autoren gingen davon aus, dass der Nachrichtenwert der Nachrichtenfaktoren keine offizielle bzw. übertragbare Größe ist. Der Nachrichtenwert variiert trotz gleicher Meldung von Medium zu Medium und Mediengattung zu Mediengattung, passend zu den Ergebnissen, die bereits Schulz (1976) und Staab (1990) herausgefunden hatten (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 465). Kepplinger und Bastian zogen in Erwägung, die empfundene Wichtigkeit der Nachrichtenwerte der Nachrichtenfaktoren mittels einer Journalistenbefragung zu ermitteln und im Anschluss die Veröffentlichungswürdigkeit einer Nachricht daran zu vergleichen. Eine Veränderung des Nachrichtenwertes über einen langen Zeitraum hinweg (gemeint sind hier Monate bzw. Jahre) wurde angenommen. Diese Herangehensweise wurde schlussendlich aber aus forschungsökonomischen Gründen abgelehnt (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S.466). Stattdessen wurde via Inhaltsanalyse der Nachrichtenwert der Nachrichtenfaktoren in einer Teilstichprobe ermittelt. Auf Basis der ermittelten Nachrichtenwerte wurden Prognosen für die Beiträge anderer Teilstichproben, von denen man wusste, dass sie den untersuchten Nachrichtenfaktoren einen gleichen bzw. stark ähnelnden Nachrichtenwert zuschreiben, gemacht (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 466)

Das Untersuchungsmaterial setzte sich aus insgesamt 36 654 erfassten Artikeln zu innerdeutschen Ereignissen aus den Jahren 1951-1965, 1966-1980 und 1981-1995 der Qualitätsblätter Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung und Welt zusammen, wobei nur Nachrichtenbeiträge berücksichtigt wurden. Andere journalistische Stilformen wie Kommentar, Glosse oder Interview wurden ausgeschlossen. Der Nachrichtenfaktorenkatalog beinhaltete lediglich elf Faktoren: Aggression, institutioneller Einfluss, Kontroverse, möglicher Nutzen/Erfolg, möglicher Schaden/Misserfolg, persönlicher Einfluss, Personalisierung, Reichweite, Status der Ereignisregion, tatsächlicher Nutzen/Erfolg, tatsächlicher Schaden/Misserfolg (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 466).

Je Periode wurden unterschiedliche Intensitäten und Häufigkeiten der Nachrichtenwerte gemessen. So konnten für die erste Periode noch insgesamt neun Faktoren in starker Ausprägung nachgewiesen werden. Für die beiden anderen Perioden reduzierte sich die Anzahl stark ausgeprägter Faktoren auf „persönlicher Einfluss“, „Personalisierung“, „möglicher Schaden/Misserfolg“, „Reichweite“ und „Kontroverse“ (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 467). Durch die sich verändernden Nachrichtenwerte der Nachrichtenfaktoren konnte also davon ausgegangen werden, dass der strukturelle Wandel der Medien in Deutschland im Laufe der Zeit Einfluss hatte, wobei sich der Einfluss je Nachrichtenfaktor unterschied: der Nachrichtenwert wurde je nach Nachrichtenfaktor gesteigert, blieb unverändert oder kehrte sich ins Negative um. Um den Einfluss sich wandelnder Medien auf die Nachrichtenwerte auszuschließen, konzentrierte man sich bei den weiteren Untersuchungen ausschließlich auf die letzte Periode, auf die Jahre 1981-1995. Auch dieser Versuch misslang im Allgemeinen, da selbst im Vergleich der einzelnen Jahre untereinander sich veränderte Nachrichtenwerte aufzeigten. Ähnlich den Ergebnissen aus dem Vergleich zwischen den drei Perioden änderten sich auch innerhalb dieser einen Periode die Nachrichtenwerte in Abhängigkeit vom jeweiligen Nachrichtenfaktor: manche Nachrichtenwerte wandelten sich stark (sowohl positiv als auch negativ), andere Faktoren blieben durchgehend konstant (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 469-470).

Obwohl dadurch die Nachrichtenwerte durch Kepplinger und Bastian nicht exakt bestimmt werden konnten, gelang es ihnen trotzdem, einen mathematischen Zusammenhang zwischen den Nachrichtenfaktoren eines Ereignisses und dem Umfang der Beiträge zu entwickeln, der die Prognose über den Umfang von medialen Beiträgen möglich machte. Sie überprüften diesen Zusammenhang an zehn Beiträgen, die sie codierten und deren Umfang sie bestimmten und mit den zehn berechneten Umfängen verglichen. Der ermittelte Korrelationsindex betrug r = 0.54, was bedeutet, dass es eine, wenn auch nicht stark ausgeprägte, Übereinstimmung gibt. Somit war bewiesen, dass es möglich ist, auf der Basis der ermittelten Nachrichtenwerte von Nachrichtenfaktoren eines Ereignisses den Umfang der zu publizierenden Meldung zu prognostizieren, wenn auch mit einer gewissen Unschärfe (vgl. Kepplinger & Bastian, 2000, S. 470-474). Wenngleich es damit auch Kepplinger und Bastian nicht gelang, den journalistischen Selektionsprozess endgültig zu klären, waren sie jedoch die ersten, die es schafften, die Nachrichtenwerttheorie für konkrete Vorhersagen applikabel zu machen.

2.9 Zusammenfassung

Seit Mitte der 1960’er Jahre hat sich die Nachrichtenwerttheorie zu einem intensiv bearbeitetem Forschungsgebiet etabliert und zahlreiche Modelle zur journalistischen Nachrichtenauswahl hervorgebracht. Zwar konnte bisher keine allgemeingültige wissenschaftliche Theorie entwickelt werden, die ein eindeutiges empirisches Vorgehen und damit die Klärung des Selektionsprozesses ermöglicht, doch wurden brauchbare Kataloge von Nachrichtenfaktoren geschaffen, die sich auf weite Bereiche des Journalismus anwenden lassen. Auch für die Untersuchung der Sportberichterstattung spielen die Nachrichtenfaktoren eine wichtige Rolle, was im folgenden Kapitel gezeigt werden soll.

3 Meilensteine der Nachrichtenwerttheorie in der Sportberichterstattung

Im Jahr 1987 erschien der Sammelband „Sportmedien und Mediensport“. Darin griff der Kommunikationsforscher Josef Hackforth die Entwicklungen der Nachrichtenforschung auf und hinterfragte, wie zuvor Schulz und Staab, jedoch jetzt aus der Perspektive des Sports, in welchem Maß die „Kommunikatoren die ‚faktische’ Realität konstruieren“ (vgl. Hackforth, 1988, S. 27). Laut Hackforth war auch hier, aufgrund von Selektions-, Interpretations- und Präsentationsmechanismen, die „faktische“ Realität weder vergleichbar mit der Medienrealität, noch mit der Rezipientenrealität, d.h. auch die „Sportmedienrealität“ ist eine verzerrte Realität. So wurde in der Berichterstattung manchen Sportarten mehr Gewicht und Relevanz eingeräumt als anderen (vgl. Hackforth, 1988, S.28). Neben den sprachlichen Veränderungen, wie z.B. dem Einführen von ungewöhnlichen Stilmitteln wie Metaphern und Vergleiche in die Sportsprache, oder den technischen Mitteln zur genaueren Analyse eines Sportereignisses (im TV: Einblendung, Zeitlupe, Wiederholung, Zoom, 3D-Analyse) scheinen andere Nachrichtenfaktoren für die Sportjournalisten wichtig zu sein (vgl. Hackforth, 1988, S. 28). Hierzu nannte Hackforth folgende:

1. Leistung
2. Erfolg
3. Nationalismus
4. Identifikation
5. Prominenz
6. Konflikt

Fast zeitgleich zu Hackforth beschäftigte sich der Kommunikationswissenschaftler Jürgen Emig im Rahmen seiner Dissertation ebenfalls mit der Frage, wie der Selektionsprozess bei Sportnachrichten abläuft (vgl. Emig, 1987, S. 81-82). Dafür fokussierte er einerseits auf die Berichterstattung der Agenturen, deren Journalisten häufig die einzigen am Schauplatz eines Sportereignisses sind und ihre Nachrichten zur Weiterverarbeitung an die verschiedensten Medien weiterleiten. Andererseits untersuchte er die Berichterstattung von Zeitungen, die, bedingt durch ihre unterschiedliche Gattung, aus den Agenturmeldungen nur wenige, für sie relevante, auswählen und weiterverarbeiten. Untersuchungsmaterial waren 14 Hörfunk-Meldungen eines Sportjournals des Saarländischen Rundfunks, welche sowohl an den Sportinformationsdienst (sid) als auch an die Deutsche Presse-Agentur (dpa) weitergeleitet wurden. Von diesen 14 Hörfunkmeldungen wurden vom sid vier und von der dpa 13 Meldungen ausgewählt und weitergeleitet (vgl. Emig, 1987, S. 74). Zeitungsseitig wurden vier überregionale, drei Boulevard- und sieben regionale Zeitungen herangezogen, die zusammengenommen 56 Veröffentlichungen mit Bezug auf den Inhalt der Hörfunkmeldungen machten. Insgesamt wurden also 88 Veröffentlichungen untersucht. Emig konnte via Inhaltsanalyse dadurch direkt nachvollziehen, was aus den ursprünglich 14 Erstveröffentlichungen des Hörfunks bei den Agenturen und später bei den Zeitungen ausgewählt, weiter aufbereitet und publiziert wurde (vgl. Emig, 1987, S. 74 + S.81-82). In einer zweiten Untersuchung führte er Leitfadeninterviews mit den entsprechenden Journalisten durch und befragte sie nach den Gründen ihres Bearbeitungsverhaltens (vgl. Emig, 1987, S.82). Als Hauptschlussfolgerung hält Emig fest, dass sich zwar der Inhalt der Meldungen über mehrere Auswahl- und Entscheidungsprozesse ändern könne, aber die „Charakterisierung durch die sie konstituierenden Nachrichtenfaktoren und deren Intensitätsgrad unverändert bleibt“ (Emig, 1987, S.85). Damit widerspricht Emig dem Finalmodell von Staab, der in seinen Untersuchungen zur Nachrichtenwerttheorie den Journalisten direkte Einflussnahme auf die Nachrichtenfaktoren und deren Intensität zuschrieb.

Emigs Nachrichtenfaktorenkatalog für seine Untersuchung bestand aus folgenden Nachrichtenfaktoren, deren Intensität mithilfe einer dreistufigen Skala (hoch/stark – mittel – niedrig/gering) gemessen wurde (vgl. Emig, 1987, S.86-91):

1. Aktualität
2. Bedeutung / Einfluss einer Organisation
3. Bedeutung / Status des aktiven und passiven Handlungsträgers
4. Kontroverse
5. Prominenz

Das Ergebnis der Untersuchungen zeigt, dass hauptsächlich drei Nachrichtenfaktoren maßgeblich Einfluss auf die Publikationshäufigkeit nehmen, in der folgenden Rangordnung:

1. Prominenz
2. Funktion im Verband
3. Bedeutung der Organisation

Diese Rangordnung wurde auch in den jeweiligen Leitfadeninterviews von den Redakteuren bestätigt (vgl. Emig, 1988, S. 119-121; S. 129-130)

Interessante, wenn auch nicht repräsentativ empirisch belegte Erkenntnisse betrafen die Frage, ob und in welchem Maß äußere Rahmenbedingungen die Selektionsentscheidungen von Journalisten beeinflussen. Da die Zeitungen sowohl von der dpa als auch vom sid Meldungen erhielten, konnte untersucht werden, welche Meldungen von den Redakteuren präferiert wurden. Tendenziell konnte hier festgehalten werden, dass der Faktor „Zeit“ als auch der Faktor „Länge der Meldung“ eine bedeutende Rolle spielten. So wurden häufig nur die Meldungen berücksichtigt, die vor einer bestimmten Tageszeit (meist war es 13 Uhr, da dort die Zeitungsredaktionen in ihren Konferenzen beschließen, was am nächsten Tag gedruckt werden soll) in den Redaktionen eingingen und besonders kurz gestaltet wurden (vgl. Emig, 1987, S. 124).

3.1 Loosen: Erster Nachrichtenfaktorenkatalog für die Sportberichterstattung

Der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg fasste im Vorwort der von Wiebke Loosen veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit „Die Medienrealität des Sports“ den Beitrag der Autorin zur Nachrichtenwerttheorie für die Sportberichterstattung wie folgt zusammen:

„Nachrichtenwerttheorie und Sportberichterstattung werden in ihrer Studie auf der Basis einer überzeugenden methodischen Konzeption sinnvoll verknüpft. So kann die Verfasserin dann nicht nur dem Baukasten der Nachrichtenwerttheorie ein weiteres Element hinzufügen, sondern auch einen ganz wesentlichen Beitrag zur theoretischen und methodischen Modifikation und Weiterentwicklung des Ansatzes leisten.“ (Loosen, 1998, Vorwort)

Angeregt durch eine Studie von Thomas Wilking aus dem Jahr 1990, die die Nachrichtenwerttheorie und ihre Anwendbarkeit auf die Lokalberichterstattung untersuchte, war Wiebke Loosen die erste Wissenschaftlerin, die sich intensiv mit der Nachrichtenwerttheorie in der Sportberichterstattung beschäftigte. Dabei waren ihre forschungsleitenden Fragen: „Kann die Nachrichtenwerttheorie auch für die Sportberichterstattung in den Printmedien Geltung beanspruchen?“ und „Welchen empirischen Gehalt haben die Nachrichtenfaktoren für diese Sportberichterstattung?“ (Loosen, 1998, S. 2). Die Grundidee bestand auch darin, anhand der Untersuchung ausgewählter Tageszeitungen einen Faktorenkatalog zu erstellen, der eine für die Sportberichterstattung gültige Basis darstellt und durch Untersuchungen anderer Medien weiterentwickelt werden sollte (vgl. Loosen, 1998, S. 2). Es gab bereits Vorgängerstudien, wie die von Schaffrath (1996), die mit Hilfe der Nachrichtenwerttheorie die Kluft zwischen Sportrealität und Sportmedienrealität mit Hilfe klassischer Nachrichtenfaktorenkataloge untersuchten. Loosen verbesserte die Analyse dieser Kluft, indem sie die klassischen Nachrichtenfaktorenkataloge um sportspezifische Aspekte auf einen breiteren Geltungsbereich erweiterte (vgl. Loosen, 1998, S. 3).

Loosen wählte ihr Untersuchungsdesign bewusst so, dass sie in der Linie der klassischen Vorgängerstudien blieb. So entschied sie sich für die Inhaltsanalyse von ausgewählten deutschen Printmedien. Die Grundgesamtheit stellte die gesamte deutsche Tagespresse mit den damals 135 publizistischen Einheiten dar. Daraus wählte die Autorin eine Stichprobe von elf Tageszeitungen[3], welche alle Gattungen (überregional, regional, Boulevard) beinhalteten. Von den darin enthaltenen 1 922 Publikationen stellten 1 590 Artikel den Kern zur Analyse und Bestimmung der Nachrichtenfaktoren dar (vgl. Loosen, 1998, S. 70+92). Der Untersuchungszeitraum wurde aus forschungsökonomischen Gründen stark reduziert. Hier wurde bewusst der März 1995 gewählt, aus dem mithilfe eines Vier-Tage-Intervalls eine künstliche Woche gewonnen werden konnte. Wichtig war der Autorin hier, die großen sportlichen Veranstaltungen wie die Olympischen (Winter-)Spiele, die Europa- bzw. Weltmeisterschaften der populäreren Sportarten zu vermeiden. Ausschließlich der Alltag der Sportberichterstattung sollte Gegenstand der Untersuchung sein, nicht medienträchtige Großereignisse (vgl. Loosen, 1998, S. 73).

Ein Ziel der Untersuchungen sollte die Entwicklung eines Kategoriensystems sein, das für die Printberichterstattung relevant wäre. Aus diesem Grund trug die Autorin aus ausgewählten Vorgängerstudien 64 bereits entwickelte Variablen zusammen. Dies bedeutete, dass für jede, für eine vollständige Analyse geeignete Untersuchungseinheit 64mal entschieden werden musste, was kodiert wird (vgl. Loosen, 1998, S. 74). Der Nachrichtenfaktorenkatalog bestand ebenfalls aus bereits vorher entwickelten Nachrichtenfaktoren, die aber der Autorin nach einer Modifikation unterzogen werden sollten, da diese nicht auf jeden publizierten Inhalt anwendbar waren. Wie Schulz (1976) auch, verdichtete die Autorin die Nachrichtenfaktoren in mehrere Dimensionen. Diese waren (vgl. Loosen, 1998, S. 78-86):

[...]


[1] Inbegriffen der Medaillen der Sportarten Wasserball, Synchronschwimmen, Turmspringen und Freiwasserschwimmen

[2] Der Beachtungsgrad wurde aufgrund der unterschiedlichen Rezeptionssituation nur bei Printmedien erhoben (Eilders, 1997, S. 211-212).

[3] Diese waren die BILD-Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Hannoversche Allgemeine, Kölner Express, Neue Ruhrzeitung, Die Rheinpfalz, Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Westdeutsche Allgemeine, Westfälische Nachrichten.

Ende der Leseprobe aus 185 Seiten

Details

Titel
Nach der Rekordflut nun die große Ebbe?
Untertitel
Die Schwimm-Berichterstattung von 2001 bis 2011 in ausgewählten deutschen Printmedien.
Hochschule
Technische Universität München  (Sportwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
185
Katalognummer
V274396
ISBN (eBook)
9783656662938
ISBN (Buch)
9783656662921
Dateigröße
2567 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schwimmsport, Schwimmweltmeisterschaft, Inhaltsanalyse, Nachrichtenfaktoren, Printmedien, 2001, 2011, Rekordflut, Deutscher Schwimmverband, DSV, FINA, Schwimmanzug, Britta Steffen, Paul Biedermann, Michael Phelps, Schwimmen, Rekord, Zeitung, Zeitungsanalyse
Arbeit zitieren
Geoffrey Doy (Autor:in), 2013, Nach der Rekordflut nun die große Ebbe?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274396

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