Erkenntnisse aus der Altruismusforschung: Konsequenzen für die Unternehmensführung


Bachelorarbeit, 2014

40 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Altruismusforschung
2.1 Erkenntnisse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen
2.2 Erkenntnisse der Verhaltensökonomie
2.3 Zwischenfazit

3 Reziproker Altruismus im Unternehmen
3.1 Kooperation zwischen Mitarbeitern
3.2 Altruismus als Personalmaßnahme
3.3 Altruismus zwischen Unternehmen und Kunde

4 Einfluss von Kontextfaktoren
4.1 Unternehmensgröße
4.2 Aspekte der Internationalität
4.3 Unternehmensbranche

5 Problematische Aspekte

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Reziproker Altruismus im Unternehmen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Altruismus scheint in der heutigen Gesellschaft kein gängiger Begriff zu sein. Trotzdem begegnet man Altruismus beim Umgang mit anderen Menschen fast alltäglich. Der Begriff kann allgemein als Uneigennützigkeit definiert werden[1] und ist somit das Gegenteil von Egoismus, dessen Bedeutung der Eigennutz ist.[2] Auch die Begriffe Kooperation und Konkurrenz stehen mit Altruismus und Egoismus in einem engen Zusammenhang. Doch die Definition von Altruismus ist seit den Anfängen der Altruismusforschung am Ende der sechziger Jahre ein kontroverses Thema in der Wissenschaft.[3] Das ist vor allem dadurch begründet, dass sich viele verschiedene wissenschaftliche Disziplinen mit dem Thema auseinandersetzen. Dazu gehören u.a. die Sozialwissenschaften, Verhaltensbiologie, Evolutionsbiologie, Philosophie, Psychologie und Verhaltensökonomie. Jede dieser Disziplinen hält eigene Definitionen für den Altruismus bereit. Trotz des Versuchs, einen Konsens zu finden, gibt es bis heute keine eindeutige Definition.[4]

Altruismus scheint zunächst in einer von vielen postulierten modernen Leistungsgesellschaft kaum eine Rolle zu spielen. Gerade die Finanzkrise, welche 2007 ihren Lauf nahm und globalwirtschaftliche Auswirkungen nach sich zog, hat den Anschein erweckt, dass die Unternehmenswelt von Gier und Egoismus Einzelner dominiert wird.[5] Da sich viele Finanzmanager, die durch eigene Bereicherung wissentlich die Krise herbeiführten, der Verantwortung entziehen, entsteht der Eindruck, dass vor allem egoistisches Verhalten zum eigenen Vorteil gereicht.[6] Doch Altruismus ist in unserer Gesellschaft durchaus präsent. Allgegenwärtige Beispiele dafür sind Spenden, ehrenamtliches Engagement oder auch die Bereitschaft anderen Menschen in Not zu Hilfe zu kommen. Zahlreiche Wissenschaftler haben bereits versucht ein solches altruistisches Verhalten von Menschen, das meist dem privaten Umfeld zuzuordnen ist, zu erklären und dessen Auswirkungen darzustellen. Der Altruismus in Unternehmen hingegen wurde bislang nur wenig untersucht. Doch das Interesse an diesem Thema hat in den letzten Jahren stark zugenommen. So traf sich der Dalai Lama 2010 bei einer Konferenz in Zürich mit zahlreichen Ökonomen und Finanzinvestoren[7] und im Jahr 2011 mit mehreren Unternehmern und Bankern in Wiesbaden. Dort plädierte er für mehr Altruismus in der Wirtschaft und in Unternehmen.[8] Dieses Interesse am religiösen Oberhaupt des tibetischen Buddhismus zeigt, welche Bedeutung der Altruismus für die Unternehmensführung in jüngster Zeit bekommen hat.

Diese Arbeit soll unter den Aspekten der Altruismusforschung neue Perspektiven für mögliche Verbesserungen in der Unternehmensführung und der Personalpolitik eröffnen. Es wird aufgezeigt, welchen Stellenwert Altruismus in Unternehmen haben sollte und wie die Unternehmensführung die Erkenntnisse der Altruismusforschung zum eigenen Vorteil nutzen kann. Dazu wird zunächst der Stand der Altruismusforschung aufgezeigt und eine Definition von Altruismus für diese Arbeit festgelegt. Im darauf folgenden Kapitel wird Altruismus aus verschiedenen Perspektiven im Unternehmen identifiziert. Darauf aufbauend werden Konsequenzen für die Unternehmensführung dargestellt. Konditionen für ein mögliches altruistisches Verhalten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Anschließend werden der Einfluss von Kontextfaktoren wie Unternehmensgröße, Aspekte der Internationalität und Unternehmensbranche beschrieben. Den Schluss bilden die Behandlung problematischer Aspekte des Altruismus im Unternehmen und ein resümierendes Fazit.

2 Altruismusforschung

In diesem Abschnitt wird ein Einblick in verschiedene wissenschaftliche Disziplinen der Altruismusforschung gewährt. Viele dieser Disziplinen zielen darauf ab, die Motive für altruistisches Verhalten zu erläutern. Diese sind für die Unternehmensführung relevant, um zu erkennen, wie altruistisches Verhalten bei Menschen hervorgerufen werden kann. Da diese Motive jedoch aufgrund der Individualität des Menschen stark variieren können, lassen diese Forschungsergebnisse für die Unternehmensführung nur begrenzt Schlussfolgerungen zu.[9] Der Fokus dieser Arbeit liegt daher auf der Verhaltensökonomie, deren Lehren aus der Altruismusforschung ergebnisorientierter sind als andere. Das bedeutet, dass der Nutzen altruistischen Handelns für die Individuen dargestellt wird. Darüber hinaus können die Ergebnisse mit dem weit verbreiteten Modell des homo oeconomicus verglichen werden, auf das sich bis heute viele ökonomische Modelle stützen[10] und das auch in vielen Unternehmen, insbesondere für Vorgesetzte, ein Leitbild darstellt. Der homo oeconomicus stellt einen rein wirtschaftlich denkenden Menschen dar, der sich stets rational verhält und seinen eigenen Nutzen maximiert.[11]

Des Weiteren muss für diese Arbeit eine Definition von Altruismus festgelegt werden, die für die Unternehmensführung sinnvolle Schlussfolgerungen zulässt.

2.1 Erkenntnisse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen

Grundsätzlich gilt es in der Altruismusforschung zwischen zwei Individuen zu unterscheiden: Der Geber, der sich altruistisch verhält, gereicht dem Nehmer zum Vorteil und verschafft ihm so einen höheren Nutzen.[12] Gemäß der Annahme, dass dem Geber durch seinen Altruismus Kosten entstehen, ergibt sich in der Evolutionsbiologie ein Altruismus-Paradox.[13] Denn die in großen Teilen noch heute gültige Theorie der natürlichen Selektion von Charles Darwin besagt, dass sich bei Individuen nur solche Eigenschaften durchsetzen, die einen Vorteil für das Individuum mit sich bringen.[14] Trotzdem gibt es sogar Tierarten wie beispielsweise Nacktmulle aus Ostafrika, die teilweise auf eigenen Nachwuchs verzichten und dennoch bei der Aufzucht der Jungen anderer Nacktmulle helfen. Dieses Phänomen wird durch die Verwandtschaftselektion erklärt. Für den Fortpflanzungserfolg kann es für Organismen demnach sinnvoll sein, altruistisch im Sinne der Verwandtschaft zu handeln.[15]

Der Altruismus vom Menschen geht über die Verwandtschaft hinaus. Ein Beispiel ist die Hilfeleistung an fremde Menschen in Notfällen, bei denen das eigene Leben riskiert wird. Die Verhaltensweisen des Menschen sind also weitaus komplexer als die der Tiere. Biologisch wird ein solches Verhalten durch Lernen, Erfahrungen und Tradierung erklärt. Diese Faktoren beeinflussen den Selektionsprozess.[16]

Eine Studie aus dem Jahr 2010 hat gezeigt, dass altruistisches Verhalten bei Menschen erblich bedingt ist. Trotzdem ist die Persönlichkeit, zu der Eigenschaften wie Altruismus zählen, nur zu ungefähr fünfzig Prozent von den Genen abhängig.[17] Die Motive für altruistisches Verhalten können sehr unterschiedlich sein. Mit diesem Thema hat sich die Psychologie auseinander gesetzt.

Zunächst gibt es den reinen Altruismus, bei dem Empathie den wichtigsten Faktor darstellt. Von dieser Motivation kann man sprechen, wenn sich der Geber wahrlich um den Nehmer sorgt und sich in dessen Lage versetzt. Dies setzt meist eine emotionale Bindung zum Nehmer voraus.[18]

In gewissen Situationen fühlt man sich persönlich in der Pflicht, altruistisch zu handeln. Hier sind Moral und Gewissen die treibende Kraft.[19] Das kann auch der Fall sein, wenn man sich den gesellschaftlichen Normen entsprechend altruistisch verhält. Allerdings kann auch das Vermeiden einer Missbilligung durch die Gesellschaft die Motivation sein[20], ebenso wie die durch Altruismus erhaltene soziale Anerkennung, was wiederum ein egoistisches Motiv darstellt.[21]

Auch das Streben nach (nicht-)materiellem Eigennutz ist oft die Basis altruistischen Handelns. Ein Beispiel sind Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und dadurch ihr Humankapital steigern oder von den Gütern bzw. dem Service der Organisation, für die sie tätig sind, profitieren können.[22]

Die Reziprozität ist ein weiteres Motiv. Durch altruistisches Verhalten erhält der Geber etwas vom Nehmer zurück, auch wenn das erst auf lange Sicht der Fall sein kann. Wenn also Geber und Nehmer vom Altruismus profitieren, kann dies auch als Kooperation gedeutet werden. Reziprozität kann zwar auch als egoistisches Verhalten angesehen werden, jedoch schließt sie nicht aus, dass der Geber andere Motive für sein Handeln hat.[23]

2.2 Erkenntnisse der Verhaltensökonomie

Der homo oeconomicus hat sich als gutes Modell zur Erklärung von Verhaltensweisen auf großen Konkurrenzmärkten erwiesen. Dem gegenüber stehen jedoch viele Märkte, die von Starrheit, Unvollständigkeit oder einer kleinen Zahl von Anbietern gekennzeichnet sind. Die Analyse solcher Märkte lassen den Rückschluss zu, dass man das beobachtete Verhalten nicht durch das Bild eines egoistischen Menschen erklären kann, der ausschließlich seinen eigenen Nutzen maximieren möchte.[24] In diesem Abschnitt werden eine Reihe von bekannten experimentellen und ökonomischen Spielen vorgestellt, deren Ergebnisse ebenfalls die Hypothese eines ausschließlich rational denkenden Menschen widerlegen. Die Szenarien können im Alltag bei persönlichen Beziehungen entstehen, z.B. bei Mitarbeitern in einem Unternehmen, bei der Kundenbeziehung oder auch auf einer Ebene, bei der sich zwei Unternehmen gegenüber stehen. Die Spiele zielen lediglich auf die Interaktion zwischen Individuen ab und bestehen aus drei Elementen: Den Spielern, den von den Spielern gewählten Aktionen und der Auszahlung der Aktionen für einen Spieler in Abhängigkeit von der gewählten Aktion des anderen Spielers.[25] Die Auszahlung kann dabei als Nutzenfunktion angegeben werden. In Experimenten wird als Auszahlung überwiegend Geld verwendet, da es für die meisten Menschen als Nutzenzuwachs angesehen wird.[26]

Bei dem Ultimatum-Spiel erhält Spieler A einen bestimmten Geldbetrag. Er ist nun dazu verpflichtet, Spieler B einen beliebigen Anteil dieses Betrags anzubieten, wobei dieser über null liegen muss. Falls Spieler B den Betrag annimmt, können beide Spieler das Geld behalten. Lehnt er jedoch ab, erhält keiner der beiden etwas vom Geld. Wenn man bei diesem Spiel von zwei vollkommen rationalen Spielern ausgeht, so kann es nur zu einem Ergebnis kommen: Spieler A wird Spieler B den niedrigsten Betrag anbieten, also beispielsweise einen Cent. Spieler B wird dieses Angebot nicht abschlagen, da er von einem Cent einen höheren Nutzen hat als kein Geld zu erhalten.[27] Das Ergebnis vieler hunderter Experimente fiel jedoch gänzlich anders aus. In der Realität verhalten sich Probanden grundsätzlich nicht rational im Sinne des homo oeconomicus. Spieler A bietet durchschnittlich 40-50 Prozent des Geldbetrags an. Spieler B lehnt das Angebot im Durchschnitt bei unter 20 Prozent des Betrags ab, da es offensichtlich als unfair angesehen wird. Die Fairness der meisten Anbieter, also der Spieler A, könnte man dadurch erklären, dass sie Angst vor der Ablehnung durch Spieler B haben.

Die Angst ist jedoch nicht das einzige Motiv, was durch das Diktator-Spiel in Experimenten empirisch belegt wurde. Dieses stellt eine Abwandlung vom Ultimatum-Spiel dar, bei der Spieler B nicht mehr die Option besitzt, das Angebot abzulehnen. Spieler A kann ohne die Gefahr der Ablehnung den gesamten Betrag für sich beanspruchen und dementsprechend würde sich der nutzenmaximierende Mensch verhalten. Die Ergebnisse der Experimente haben jedoch ergeben, dass die Anbieter durchschnittlich zwischen 10 und 25 Prozent des Geldbetrags an Spieler B abgaben. Die Probanden handeln altruistisch und legen offensichtlich großen Wert auf Fairness, die sowohl im Ultimatum-Spiel als auch im Diktator-Spiel ein entscheidender Faktor in der Nutzenfunktion der Spieler ist. Dieses Motiv wird beim Modell des homo oeconomicus außer Acht gelassen.[28] Ein weiterer Faktor wurde empirisch durch ein Experiment nachgewiesen, bei dem das Ultimatum-Spiel in 17 Gesellschaften auf der ganzen Welt gespielt wurde. Die Höhe des Angebots an Spieler B durch Spieler A variiert zwischen 26 und 58 Prozent.[29] Dieses Ergebnis macht die Bedeutung der jeweiligen kulturellen Umstände deutlich, die das altruistische Handeln der Menschen beeinflussen. Dieser Faktor wird in Abschnitt 4.2 verstärkt behandelt.

Das Gefangenendilemma gehört zu den bekanntesten Spielen der Spieltheorie. Es hat seinen Namen aufgrund einer exotischen Situation erlangt: Zwei Gefangene müssen bezüglich eines Verbrechens zeitgleich aussagen und haben dabei zwei Möglichkeiten: Entweder sie betrügen den jeweils anderen Gefangenen, indem sie ihn belasten, oder sie kooperieren, d.h. sie verschweigen das Verbrechen und schützen so den anderen. Da die beiden Verbrecher nicht kommunizieren können, müssen sie sich vorher überlegen, wie sich der andere entscheiden könnte. Spieltheoretisch ergeben sich für die Verbrecher, Spieler A und Spieler B, in Abhängigkeit von ihrer Entscheidung (Kooperieren oder Betrügen) folgende Ausgänge des Spiels, bei denen der Nutzen in Punkten angegeben wird:

- Wenn Spieler A (analog B) kooperiert und Spieler B (analog A) betrügt, so erhält Spieler A (analog B) die Höchststrafe (0 Punkte) und Spieler B (analog A) kommt frei (5 Punkte).
- Wenn Spieler A und B betrügen, erhalten beide eine hohe Strafe (1 Punkt).
- Wenn Spieler A und B kooperieren, erhalten beide eine milde Strafe (3 Punkte).

Da die Entscheidung in Abhängigkeit von der des anderen getroffen wird, werden sich zwei rationale Spieler für das Betrügen entscheiden. Das ist dadurch begründet, dass die Entscheidung in Abhängigkeit von der des anderen getroffen wird:

- Falls Spieler B (analog A) kooperieren sollte, stiftet Betrügen für Spieler A (analog B) den größten Nutzen (5 Punkte statt 3 Punkte bei Kooperation).
- Falls Spieler B (analog A) betrügen sollte, stiftet Betrügen für Spieler A (analog B) den größten Nutzen (1 Punkt statt 0 Punkte bei Kooperation).

Rationale Spieler erhalten also einen Punkt, wohingegen sie beide drei Punkte bei Kooperation haben könnten. Daher hat das Spiel den Namen Gefangenendilemma.[30]

Eine solche Situation, wie sie bei den Gefangenen entstanden ist, kann im echten Leben ebenfalls entstehen, jedoch kann man demselben Spieler wiederholt gegenüber stehen. Beispielsweise können zwei Unternehmen mit denselben Produkten einen Markt entweder aufteilen oder Preiskampf betreiben. Ein weiteres Beispiel sind Mitarbeiter eines Unternehmens, die sich täglich begegnen und sich entweder bei ihrer Aufgabenerfüllung unterstützen oder sich durch Konkurrenzdenken den Mehrwert der Zusammenarbeit entgehen lassen. Solche Situationen nennt man iteriertes Gefangenendilemma.[31] Es entsteht ein neuer Faktor, der die eigene Entscheidung beeinflusst: Man kennt die vorherigen Entscheidungen des anderen Spielers. Es ergeben sich zahlreiche Strategien, mit denen man seinem Gegenspieler gegenüber treten kann. Ein Spieler kann beispielsweise immer betrügen, immer kooperieren oder abwechselnd kooperieren und betrügen.[32]

In einem Computerturnier ließ der amerikanische Wissenschaftler Robert Axelrod verschiedene Strategien von professionellen Spieltheoretikern gegeneinander antreten.[33] Der Gewinner war keine komplexe, sondern die simpelste Strategie: TIT FOR TAT, was gleichbedeutend mit der deutschen Redewendung „Wie du mir, so ich dir“ ist. Beginnend mit der Kooperation wird fortan genau die Entscheidung getroffen, die im vorherigen Zug das Gegenüber getroffen hat. Kooperation wird also belohnt, wohingegen Betrügen bestraft wird.[34] In dem iterativen Gefangenendilemma zeichnet sich ebenfalls deutlich der Vorteil der Kooperation gegenüber egoistischem Verhalten ab.

Ein Gefangenendilemma kann sich auch in Gruppen von Individuen ergeben. Bei egoistischem Verhalten profitiert man dann von den Altruisten in der Gruppe, weswegen diese Situation auch als Schmarotzerdilemma betitelt wird. Wenn alle Beteiligten rational ihren Nutzen maximieren, ergibt sich analog zum Gefangenendilemma die Problematik, dass der generierte Nutzen geringer ist als bei Kooperation aller Individuen.[35]

In Experimenten wurde empirisch bewiesen, dass kleine Gruppen eher kooperieren als große Gruppen. Das liegt daran, dass ab einer bestimmten Gruppengröße ein egoistisches Verhalten eines Individuums einen derart geringen Nachteil für diese Person bewirkt, dass sie egoistisches Verhalten der Kooperation vorzieht. Auch die Dauer der Interaktion zwischen den Individuen ist von Belangen, denn je länger die Beteiligten interagieren, desto eher zeigen sie Kooperationsbereitschaft. Altruismus ist demnach in kleinen und langlebigen Gruppen am ehesten vorzufinden.[36]

Einen Unterschied macht auch, ob die Gruppe egalitär oder hierarchisch strukturiert ist. Bei einer Gruppe mit einer hohen Anzahl von Hierarchieebenen beeinflussen die Handlungen in den oberen Ebenen die Entscheidung eines Individuums aus den unteren Ebenen weniger als die Handlungen der gleichen Ebene. Daher ist Kooperation in egalitären Gruppen wahrscheinlicher.[37] Diese Aspekte werden in Abschnitt 4.1 im Kontext der Unternehmensgröße erneut aufgegriffen.

Die Einstellung „Wie du mir, so ich dir“ enthält den Gedanken der Reziprozität. Bei TIT FOR TAT ist dies der Schlüssel zum Erfolg. Bei dem Ultimatum- bzw. Diktator-Spiel ist diese Gegenseitigkeit auch von entscheidender Relevanz. Die Anbieter handeln altruistisch, da sie an der Stelle von Spieler B dasselbe Verhalten erwarten würden. Entgegen dem Modell des homo oeconomicus haben die experimentellen Spiele empirisch erwiesen, dass ein Nutzenzuwachs für andere Menschen in der Nutzenfunktion vieler Menschen positiv verankert ist und dabei auch den eigenen Nutzen steigert. Dies entspricht dem Prinzip des reziproken Altruismus.

2.3 Zwischenfazit

Die Verhaltensbiologie hat bewiesen, dass Altruismus durchaus einen evolutionären Vorteil in einer Population erbringen kann. Die Motive von Menschen, altruistisch zu handeln, gehen jedoch weit über den Fortpflanzungserfolg hinaus. Die in Abschnitt 2.1 vorgestellten Motive helfen der Unternehmensführung zu verstehen, welche Anreize Menschen für altruistisches Handeln benötigen. Trotzdem sind Voraussagen über altruistisches Verhalten aufgrund der Individualität und Komplexität des Menschen nur begrenzt möglich. Das Modell des homo oeconomicus hat diesbezüglich in der Spieltheorie bei vielen Szenarien versagt. TIT FOR TAT hat den Vorteil von Kooperation gegenüber Egoismus aufgezeigt und im Ultimatum- und Diktator-Spiel haben Probanden entgegen der rationalen Nutzenmaximierung altruistisches Verhalten gezeigt.

Nun stellt sich die Frage, wie ein Unternehmen den Altruismus so definiert, dass er als strategische Komponente fungieren und im Unternehmen so eingesetzt werden kann, dass er einen Vorteil generiert.

Der reine Altruismus ist eine Form, die eher selten und nur unter bestimmten Umständen vorkommt, z.B. wenn eine emotionale Bindung zwischen zwei Individuen besteht. Die Annahme, dass es in einem Unternehmen ausschließlich Mitarbeiter gibt, die sich rein altruistisch verhalten, scheint unrealistisch und aus Managementsicht fahrlässig.

Ein Mensch, der einem Fremden in Not zu Hilfe kommt und dabei sein eigenes Leben riskiert, profitiert letztlich selbst davon, da er sich, wenn er sich selbst in einer solchen Situation befände, auch auf die Hilfe anderer Menschen verlassen kann, die sich genauso wie er verhalten. Dies impliziert nicht, dass er egoistische Motive für sein Handeln haben muss. Als Außenstehender kann man die Motive lediglich erahnen. Die Fülle und die damit einhergehende mögliche Überschneidung von Motiven macht es beim Menschen schwierig, zwischen einzelnen Motiven für Altruismus zu unterscheiden.[38] Diese Überlegungen machen deutlich, dass man jede altruistische Handlung als reziproken Altruismus ansehen kann. Im Unternehmensalltag, der des Öfteren auch von Anonymität gekennzeichnet wird, ist es am sinnvollsten, den Menschen stets das Motiv der Reziprozität zu unterstellen, welches andere Motive nicht zwangsläufig ausschließt. Der milde, reziproke Altruismus lässt für die Unternehmensführung am ehesten Rückschlüsse zu. Ausgehend davon, dass das Unternehmen selbst als Geber fungieren kann, wäre ein rein altruistisches Verhalten seitens des Unternehmens, bei dem lediglich Kosten entstehen, vollkommen ineffizient und könnte theoretisch sogar die Existenz des Unternehmens bedrohen. Altruismus muss sich demnach auszahlen.

Fortan gilt also die Annahme, dass Altruismus beim Geber selbst stets einen Nutzenzuwachs zur Folge haben muss, was der Definition des reziproken Altruismus entspricht.

3 Reziproker Altruismus im Unternehmen

In diesem Kapitel wird reziproker Altruismus im Unternehmen aus verschiedenen Perspektiven identifiziert. Dafür wird zwischen drei Individuen unterschieden, die jeweils die Rolle des Gebers und des Nehmers einnehmen können: Das Unternehmen als Individuum stellvertretend für das Topmanagement, der Mitarbeiter und der Kunde. Es wird eine Analyse der Beziehung zwischen allen potentiellen Gebern und Nehmern vorgenommen und die Vorteile von reziprokem Altruismus in einem Unternehmen werden aufgezeigt. Um vom Altruismus profitieren zu können, muss das Unternehmen die entsprechenden Bedingungen schaffen.

3.1 Kooperation zwischen Mitarbeitern

Wenn sich Mitarbeiter gegenseitig helfen, so kann man von reziprokem Altruismus sprechen. Alltäglicher ist der Begriff der Kooperation, der in diesem Zusammenhang als gleichbedeutend angesehen werden kann. Kooperation kann neben der direkten Zusammenarbeit auch als einseitiges, hilfreiches Handeln gegenüber einem anderen Mitarbeiter bezeichnet werden. Ein solcher altruistisch handelnder Mitarbeiter kann beispielsweise zu einem späteren Zeitpunkt die Rolle des Gebers gegen die des Nehmers tauschen, wenn er Hilfe benötigt. Dies entspricht dem Prinzip des reziproken Altruismus.

Durch die ständig wachsende Komplexität im Unternehmen selbst und im Unternehmensumfeld ist Kooperation unabdingbar geworden. Ein Unternehmen, das lediglich aus passiven Mitarbeitern besteht, welche sich nur auf ihre eigene Aufgabenerfüllung beschränken, kann sich auf dem Markt gegen Wettbewerber nicht mehr behaupten.[39] Eine Metaanalyse der University of Arizona hat durch Ergebnisse von 38 Studien über das Verhalten von Mitarbeitern in über 3.500 Unternehmen ergeben, dass eine vermehrte Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter mit einer hohen Rentabilität, Effizienz und Kundenzufriedenheit sowie geringeren Kosten und einer niedrigen Mitarbeiterfluktuation korreliert.[40] Eine von Altruismus geprägte Unternehmenskultur ist sowohl für Kunden und Lieferanten, als auch für High Potentials attraktiv.[41] Der reziproke Altruismus bzw. die Kooperationsbereitschaft der Mitarbeiter ist folglich die Basis für Flexibilität, Innovation und Produktivität eines Unternehmens.[42]

Kooperation wird im Unternehmensalltag nötig, wenn der einzelne Mitarbeiter eine Situation alleine nicht mehr effizient bewältigen kann.[43] Diese Situationen können sehr unterschiedlicher Natur sein und kommen häufig vor, z.B. bei unvorhergesehenen Überlastungen eines Mitarbeiters, aufkommenden Fehlern oder Neuzugängen.[44]

Aufgrund der hohen Relevanz für den Unternehmenserfolg muss die Kooperation der Mitarbeiter vom Unternehmen selbst gefördert werden. Dabei nimmt die Gestaltung von betrieblichen Arbeitsbedingungen einen hohen Stellenwert ein, da diese signifikanten Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft haben.[45] Im Folgenden werden die wichtigsten solcher Arbeitsbedingungen beschrieben.

Die formelle Kooperationsstruktur gibt vor, wie individuelle Arbeitsabläufe koordiniert werden.[46] Gewisse Aufgaben werden je nach Vorgabe des Unternehmens durch Gruppenarbeit oder Einzelarbeit von Mitarbeitern bewältigt.[47] Es ergibt sich somit zwangsweise eine Kooperation zwischen Mitarbeitern. Da die Art der Aufgaben zeitlich, räumlich und inhaltlich stark differieren kann, ist Kooperation nur in einem entsprechenden Maß möglich.[48]

Der größte Teil der Kooperation entsteht nicht durch die formelle Kooperationsstruktur des Unternehmens, sondern durch informelle Beziehungen der Mitarbeiter.[49] Die sozialen Interaktionen sorgen für einen Weiterlauf des Betriebs, wenn betriebliche Vorschriften fehlen oder Störungen auftreten.[50] Wie die Altruismusforschung gezeigt hat, können Empathie und Emotionen ein Motiv für altruistisches Verhalten darstellen. Dieses reicht von simplen Handlungen wie z.B. der Annahme eines Telefongesprächs bei Abwesenheit des Kollegen bis hin zur Weitergabe von Informationen und Know-how.[51] Gerade bei der Bewältigung von Komplexität kommt den informellen Beziehungen eine besondere Bedeutung zu.[52] Neben der Kooperationsstruktur müssen somit auch soziale Interaktionen der Mitarbeiter durch das Unternehmen begünstigt werden. Dies kann durch Gemeinschaftserlebnisse wie betriebsübliche Feiern und Seminarreisen[53] oder auch durch die Kooperationsstruktur selbst gefördert werden.[54] Doch die Möglichkeit der Kommunikation während des Unternehmensalltags spielt eine noch größere Rolle.[55] Obwohl Telefon und Email den Informationsfluss signifikant beschleunigen, tragen diese Technologien nicht zur Entwicklung informeller Beziehungen bei.[56] Vielmehr sind die räumlichen Begebenheiten des Unternehmens eine Bedingung zur Förderung der Kooperation. Der unmittelbare und direkte Kontakt, wie er beispielsweise in Großraumbüros vorhanden ist, ist die Voraussetzung für umfassende Kommunikation.[57] Räumliche Abgrenzungen oder fehlende Kooperationszonen wie z.B. Kantinen verringern hingegen die Möglichkeit zur Entwicklung informeller Beziehungen.[58] Das Unternehmen Google ist bekannt für seine außergewöhnlichen Räumlichkeiten. Diese sollen u.a. dazu dienen, die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern zu verbessern. In „Charlie’s Place“, einem Café im Hauptsitz, herrscht keine Sitzordnung, so dass über verschiedene Abteilungen hinweg kommuniziert wird und sich neue informelle Beziehungen zwischen den Mitarbeitern bilden können.[59]

Eine systematische und arbeitsplatzübergreifende Qualifikation der Mitarbeiter ermöglicht die Kooperation zwischen benachbarten Arbeitsbereichen.[60] Diese steht jedoch oft im Konflikt mit der Spezialisierung, der Arbeitsteilung und mit Restriktionen wie beispielsweise hohen Kosten bei der Weiterqualifizierung.

Eine weitere Bedingung für Kooperation ist der Dispositionsspielraum für die Mitarbeiter.[61] Wie bereits erwähnt wird Hilfe oft aufgrund von unvorhergesehenen Situationen benötigt. Für die Hilfeleistung ist eine möglichst hohe Unabhängigkeit der Mitarbeiter von den Arbeitsvollzügen von Nöten, um flexibel reagieren zu können.[62] Flexible Arbeitszeiten, räumliche Bewegungsfreiheiten und die eigene Gestaltung des Arbeitsvollzugs können die Möglichkeit zur Kooperation im Unternehmen signifikant verbessern.

[...]


[1] Vgl. Bibliographisches Institut GmbH (2013a)

[2] Vgl. Bibliographisches Institut GmbH (2013b)

[3] Vgl. Bilsky (1989), S.14f.

[4] Vgl. Harbach (1992), S.115f.

[5] Vgl. Nida-Rümelin (2011), S.15

[6] Vgl. Nida-Rümelin (2011), S.15

[7] Vgl. Traufetter (2010)

[8] Vgl. Bryson (2011)

[9] Vgl. Schokkaert (2006), S.134

[10] Vgl. Fehr; Schmidt (2000), S.1

[11] Vgl. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

[12] Vgl. Harbach (1992), S.131

[13] Vgl. Harbach (1992), S.131ff.

[14] Vgl. Harbach (1992), S.132

[15] Vgl. Sherman; Braude; Jarvis (1998), S.18f.

[16] Vgl. Hemminger (1998), S.47

[17] Vgl. Dilk (2011), S.16

[18] Vgl. Schokkaert (2006), S.134f.

[19] Vgl. Schokkaert (2006), S.134

[20] Vgl. Schokkaert (2006), S.133f.

[21] Vgl. Schokkaert (2006), S.132

[22] Vgl. Schokkaert (2006), S.131

[23] Vgl. Schokkaert (2006), S.132f.

[24] Vgl. Frey; Meier (2002), S.2

[25] Vgl. Almenberg; Dreber (2013), S.133

[26] Vgl. Almenberg; Dreber (2013), S.134

[27] Vgl. Fehr; Schmidt (2000), S.5

[28] Vgl. Fehr; Schmidt (2006), S.622

[29] Vgl. Henrich; Boyd; Bowles et al. (2001), S.74

[30] Vgl. Delahaye; Mathieu (1998), S.82

[31] Vgl. Delahaye; Mathieu (1998), S.82

[32] Vgl. Delahaye; Mathieu (1998), S.83

[33] Vgl. Axelrod (2000), S.27f.

[34] Vgl. Axelrod (2000), S.28

[35] Vgl. Glance; Huberman (1998), S.76f.

[36] Vgl. Glance; Huberman (1998), S.76ff.

[37] Vgl. Glance; Huberman (1998), S.80f.

[38] Vgl. Schokkaert (2006), S.134

[39] Vgl. Schäfer (2009), S.73f.

[40] Vgl. Grant (2013), S.59

[41] Vgl. Grant (2013), S.59

[42] Vgl. Schäfer (2009), S.67

[43] Vgl. Conradi (1984), S.50

[44] Vgl. Conradi (1984), S.50f.

[45] Vgl. Conradi (1984), S.55

[46] Vgl. Conradi (1984), S.364

[47] Vgl. Conradi (1984), S.365f.

[48] Vgl. Conradi (1984), S.366

[49] Vgl. Conradi (1984), S.373

[50] Vgl. Schäfer (2009), S.78

[51] Vgl. Schäfer (2009), S.79

[52] Vgl. Schäfer (2009), S.79

[53] Vgl. Schäfer (2009), S.67

[54] Vgl. Conradi (1984), S.376ff.

[55] Vgl. Conradi (1984), S.377

[56] Vgl. Schäfer (2009), S.95

[57] Vgl. Schäfer (2009), S.95

[58] Vgl. Schäfer (2009), S.94f.

[59] Vgl. Schäfer (2009), S.93

[60] Vgl. Conradi (1984), S.428ff.

[61] Vgl. Conradi (1984), S.458ff.

[62] Vgl. Conradi (1984), S.462

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Erkenntnisse aus der Altruismusforschung: Konsequenzen für die Unternehmensführung
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg  (Internationales Management)
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
40
Katalognummer
V273769
ISBN (eBook)
9783656729532
ISBN (Buch)
9783656729525
Dateigröße
825 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Altruismus, Unternehmensführung
Arbeit zitieren
Dominik Schweins (Autor:in), 2014, Erkenntnisse aus der Altruismusforschung: Konsequenzen für die Unternehmensführung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273769

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