Eine kritische Gegenüberstellung der beiden Schulen des Funktionalismus

Funktionalismus und Strukturfunktionalismus im Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Funktionalismus

III. Bronislaw Kaspar Malinowski
III.1 Der psychobiologische Funktionalismus von Malinowski
III.2 Kritik an Malinowski anhand dem Ideal der Teilnehmenden Beobachtung

IV. Alfred Reginald Radcliffe-Brown
IV.1 Der Strukturfunktionalismus von Radcliffe-Brown
VI.2 Kritik am Strukturfunktionalismus von Radcliffe-Brown

V. Unterschiede zwischen Funktionalismus und Strukturfunktionalismus
V.1 Individuum-Vorteil-Ansatz versus altruistischer Ansatz
V.2 Variationen im Hinblick auf das Funktionsprinzip
V.3 Radcliffe-Browns Betonung von Gesellschaft versus
Malinowskis Betonung von Kultur
V.4 Arbeitsweisen von Malinowski und Radcliffe-Brown im Vergleich

VI. Übereinstimmungen zwischen Funktionalismus und Strukturfunktionalismus
VI.1 Malinowski und Radcliffe-Brown als „Gegner einer jeglichen
historischen Betrachtungsweise“ (Petermann 2004: 885)
VI.2 Die naturwissenschaftliche Betrachtung von Ethnologie
VI.3 Einfluss von Durkheim auf Radcliffe-Brown und Malinowski
VI.4 Die Vorgehensweise des Strukturalismus und des Funktionalismus

VII. Schlussbemerkungen

VIII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Funktionalismus meint „die Betrachtung soziokultureller Erscheinungen unter dem Gesichts­punkt ihrer Funktion, d.h. der Aufgaben oder Leistungen, die sie im Rahmen der übergeordneten Ganzheit soziokultureller Systeme erfüllen“ (Stagl 1999: 138). Daher bezeichnet der Funktiona­lismus eine Richtung in der Völkerkunde, die die inneren Abhängigkeiten der einzelnen Elemen­te einer Kultur erforscht und darstellt. Zum Ziel hat der Funktionalismus sich daraus ableitende allgemein gültige Gesetze von Kulturen. Malinowski und Radcliffe-Brown vertraten in der briti­schen Social Anthropology zwei Versionen der funktionalistischen Theorie: den psychobiologi­schen Funktionalismus sowie den Strukturfunktionalismus. In dieser Arbeit werde ich mich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser beiden Strömungen beschäftigen. Dabei gehe ich folgendermaßen vor: zu Beginn werde ich die Theorie des Funktionalismus darlegen, anschließend auf Malinowskis Theorie des psychobiologischen Funktionalismus eingehen und folgend auf den Strukturfunktionalismus von Radcliffe-Brown. Darauf aufbauend werde ich mich den Unterschieden ihrer Theorien widmen und im letzten Teil der Arbeit die Gemein­samkeiten aufzeigen, die zwischen ihren Theorien vorhanden sind. Hierbei vertrete ich die These, dass sowohl Malinowski wie auch Radcliffe-Brown die Autonomie des Individuums und die Wechsel-und Gestaltungsmöglichkeiten der Kultur nicht berücksichtigt haben.

II. Funktionalismus

Entstanden als Gegenbewegung zum Evolutionismus, Diffusionismus und Kulturhistorischer Eth­nologie in England Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, rückte beim Funktionalismus „die lebendige, konkrete Kultur als konkretes Ausdrucksinstrumentarium einer konkreten Gesell­schaft in den Mittelpunkt des Interesses“ (Müller 1998: 36). Demnach bestand die Aufgabe der Ethnologie in der Erforschung der kulturellen Funktion von Elementen einer Gesellschaft. Eine unmittelbare Vorlage für den Funktionalismus „lieferten die ganzheitlichen, teils in Analogie zum lebendigen Organismus entwickelten Gesellschaftsauffassungen der damaligen Soziologie, repräsentativ vertreten in der Hauptsache von Herbert Spencer und Émile Durkheim“ (Müller 1998: 36). Der Funktionalismus sah Kultur als instrumentellen Apparat zur Problembewältigung und Bedürfnisbefriedigung, als System von Gegenständen, Handlungen und Einstellungen. Da­raus entwickelte sich eine Gesamtheit aller in gegenseitiger Abhängigkeit stehender Elemente. Wichtig zum Verstehen einer Kultur war für den Funktionalismus die holistische Betrachtungs­weise, also die ganzheitliche Betrachtung einer Kultur. Der Funktionalismus begriff Kultur als ge­schlossenes System und dies zu begründen, war die Aufgabe der Funktionalisten. Dies setzt vo­raus, „dass man Mechanismen angeben kann, die den Zusammenhalt verlässlich gewährleisten“ (Müller 1998: 37). Vor allem zwei Mechanismen spielen eine Schlüsselrolle für den Funktiona­lismus: das Reziprozitätsprinzip, „das in dem Sinne verstanden wurde, dass in traditionellen Ge­sellschaften alle sozialen Verhaltensweisen ein wohlausgewogenes, gleichgewichtiges Ganzes von Leistungen und Gegenleistungen bilden“ (Müller 1998: 37), sowie das Funktionsprinzip. Be­züglich der Unterschiede von Malinowski und Radcliffe-Brown in ihrem Verständnis des Funk­tionalismus, zeigt sich, dass ihre Ansichten im Funktionsprinzip grundlegend variierten.

III. Bronislaw Kaspar Malinowski

„Malinowski has a strong claim to being the founder of the profession of social anthropology in Britain, for he established its distinctive apprenticeship – intensive fieldwork in an exotic com­munity“ (Kuper 1996: 13). Oft wird Malinowski als ein Vorreiter der Ethnologie gesehen, was auch daran liegt, dass er ein sehr selbstbewusster Mensch war, der sich selbst als Begründer der Feldforschung bezeichnete. Malinowskis beispielgebende Forschungstätigkeit auf den Trobriand-Inseln bedeutete einen Wendepunkt für die Ethnologie (Stagl 1999: 241). Dadurch trat die statio­näre Feldforschung an die Stelle der Forschungsreise. Es muss erwähnt werden, dass man schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Ethnologie begann sich von der 'Lehnstuhlethnolo­gie' abzuwenden, eigentliche anthropologische Forschung forderte und nicht die Auswertung von Daten. Malinowski war demnach nicht der erste, wurde aber zum „Wortführer dieser Methodik“ (Stolz 2004: 251). Während seiner Feldforschung in Neu-Guinea entwickelte er das Verfahren der 'teilnehmenden Beobachtung', welches wegweisend für die Ethnologie geblieben ist. 'Teilneh­mende Beobachtung' meint, dass der Ethnologe als Gefährte derer erscheint, die er beobachtet. Damit ist er ein Teil ihres Lebens und „kann damit zum Übersetzer werden, welcher die Spielre­geln fremden Lebens und deren Anwendung erlernt und in seinem angestammten Kulturraum zur Darstellung bringt“ (Stolz 2004: 252). Dies ergibt „ein Bild problemloser Harmonie und ungehin­derten Verstehens“ (Stolz 2004: 252). Dieses Bild jedoch wurde erschüttert durch die Publikation von Malinowskis Tagebüchern. Im Folgenden werde ich mich zuerst mit dem psychobiologischen Funktionalismus von Malinowski entwickelt beschäftigen. Anschließend werde ich die Kritik an seinem Ansatz aufzeigen. Diese Kritik entwickelte sich vor allem an seiner Forschungsmethode nach der posthumen Veröffentlichung seiner Tagebücher. Hierbei werde ich das Ideal der Teilnehmenden Beobachtung den Äußerungen in Malinowskis Tagebüchern gegenüberstellen.

III.1 Der psychobiologische Funktionalismus von Malinowski

Nach Malinowski (1949: 30) bedeutet Funktion „immer die Befriedigung eines Bedürfnisses“. So dienen nach der Bedürfnistheorie des Funktionalismus alle Handlungen der Befriedigung primä­rer oder sekundärer Bedürfnisse. Die Institutionen, definiert als „alle Formen organisierten und konkretisierten Handelns“ (Müller 1998: 37) sind demnach stets auf die Befriedigung von Grund­bedürfnissen ausgerichtet. Die Erhaltungsmechanismen haben die menschlichen Grundbedürfnis­se (basic needs), etwa Ernährung, Fortpflanzung und Sicherheit zu befriedigen. Andererseits

stellten sie selbst, als elementare Sicherungsmechanismen des Lebenserhalts, "Bedürfnisse", nunmehr allerdings sekundäre, "abgeleitete" (deritative needs) dar, deren Befriedigung wiederum die Kontinuität und Stabilität des Gesamtsystems zur Voraussetzung hätte – und die gewährleistete allein die möglichst störungsfreie, leis­tungseffiziente Interdependenz der Institutionen (Müller 1998: 37).

III.2 Kritik an Malinowski anhand dem Ideal der Teilnehmenden Beobachtung

Ethnologen beschäftigten sich mit fremden Völkern. Daher muss sich die Feldforschung „solcher Methoden bedienen, die möglichst wenige Kenntnis-Voraussetzungen machen und die in unter­schiedlichsten Gesellschaften anzuwenden sind“ (Fischer 1998: 75). Die von Malinowski postu­lierte Teilnehmende Beobachtung entsprach diesen Anforderungen und wurde zur Hauptmethode ethnographischer Feldforschung. Dem Ideal dieser Methode entspricht, „eine Intensivierung der ethnografischen Forschung vor Ort, verbunden mit einem längeren Aufenthalt („ein Jahr oder mehr“), dem Erlernen der Sprache und der Integration in den Alltag“ (Petermann 2004: 897). Der Feldforscher soll demnach in einer überschaubaren Gemeinschaft leben und am Leben dieser Menschen soweit wie möglich teilnehmen. Dieser Aspekt der Teilnahme erweist sich jedoch als „Euphemismus, denn zu viel Teilnahme [würde] ja den Objektivitätscharakter der Beobachtung [zerstören]“ (Petermann 2004: 898). Nach Fischer (1998: 75) macht der Eth­nologe „wie ein Kind, das den Sozialisationsprozess durchläuft“ eine zweite Sozialisation durch. Teilnehmen bedeutet jedoch nicht nur mitmachen, sondern auch „emotionale Bezogenheit“ (Fi­scher 1998: 75). Dieses Ideal der Feldforschung, von Malinowski angepriesen, bekam durch die Veröffentlichung seiner Tagebücher einen Riss. Darin spricht Malinowski anschaulich

das Gefühl des Eingesperrtseins, die quälende Sehnsucht, einmal wieder – und sei es nur kurz – im eigenen kul­turellen Milieu zu leben, Depressionen und Zweifel an der Gültigkeit des eigenen Tuns, das Verlangen, in die Phantasiewelt von Romanen und Tagträumen zu entfliehen, die moralische Verpflichtung, sich wieder zum mühsamen Werk der Feldbeobachtung zu zwingen (Malinowski 1986: 8)

an. Malinowski verfasste die Tagebücher auf seinen Feldforschungen von Anfang September 1914 bis Anfang August 1915 und von Ende Oktober 1917 bis Mitte Juli 1918. Es ist abgefasst „als privates Dokument und war nie zur Veröffentlichung vorgesehen“ (Firth 1986: 4). Die post­hume Veröffentlichung „became notorious, causing embarrassement and anger among professio­nals“ (Köpping 2002: 60) und weitet die 'Krise der ethnologischen Repräsentation' aus. Hier ent­steht natürlich die Frage, ob es legitim ist, ein privates Dokument wie ein Tagebuch nach dem Tod der betreffenden Person zu veröffentlichen und wie ein solches, nicht für die Publikation ge­dachtes Werk, zur Interpretation des publizierten Werkes benutzt werden darf. Schließlich be­steht „die Gefahr, eine solche Quelle nach Art des Enthüllungsjournalismus zu verwenden und gewissermaßen Malinowski gegen Malinowski auszuspielen“ (Stolz 2004: 253). Jedoch weist das Tagebuch auf gewisse Probleme hin und verhilft so zu einer realistischen Einschätzung der Reichweite der Teilnehmenden Beobachtung. In diesem Sinne ist es lehrreich, da es zeigt, dass gerade der Versuch, möglichst nah an die zu beobachtenden Menschen heranzukommen, innere Widerstände weckt (Stolz 2004: 254). Dies alles spricht nicht gegen das Verfahren der Teilneh­menden Beobachtung – es wird nur begrenzt. Das Tagebuch „ist Ausdruck einer Persönlichkeit im täglichen Bericht über die Ereignisse der eigenen Welt ebenso wie die der Außenwelt“ (Firth 1986: 9). Demnach ist sein Wert eher ein persönlicher als ein wissenschaftlicher.

Manche Abschnitte in dem Tagebuch erwähnen Malinowskis Gefühle, andere teilen von seiner Hypochondrie und seinem Medikamentenmissbrauch (z.B. Malinowski 1986: 71) mit, seinem dauernden Streben nach Gesundheit. Darin finden sich keine ausführlichen Angaben darüber, wie Malinowski Fragen zur Feldforschung entwickelte und auch keine theoretischen Ansätze. Den­noch zeigt sich sein Arbeitsverhalten an vielen Stellen des Tagebuchs. So arbeitete er trotz eini­ger Pausen, bedingt vor allem durch das Lesen von Romanen, sehr fleißig. Für Malinowski selbst lag der Sinn seiner Tagebücher wahrscheinlich weniger im Bericht über seine wissenschaftliche Arbeit „als im Protokollieren der Ereignisse seines persönlichen, intellektuellen und emotionalen Lebens“ (Firth 1986: 10). Der ethnologische Gehalt der Tagebücher nun „liegt in den Hinweisen auf Gesprächsthemen und Beobachtungen – wie Tabus, Begräbnisrituale, Tänze, Prozessionen mit Schweinen –, und weniger in der Erörterung von Fragen der Feldforschung oder der Theorie“ (Firth 1986: 6). Obwohl Malinowskis Tagebücher nur wenig von der Entwicklung der anthropologischen Theorie und den methodologischen Fragen der Feldforschung vermitteln, zeigen sie doch sehr genau die Reaktion eines Feldforschers auf eine ihm fremde Gesellschaft ('Tropenkoller'). So ist Malinowski, während er das Tagebuch verfasst, nicht der erfolgreiche Wissenschaftler, sondern „a traumatized fieldworker“ (Rapport 1990: 6). Durch sein Tagebuch strukturiert Malinowski die Ereignisse seines Feldaufenthaltes und beschreibt die Isolation. Trotzdem ist das Tagebuch „eher als menschliches Dokument denn als wissenschaftlicher Bei­trag zu bewerten“ (Malinowski 1986: 9). Das Bemerkenswerte an dem Tagebuch ist, dass darin ein Aufenthalt im Feld beschrieben wird, wie er bis zu diesem Zeitpunkt in keinster Weise von der Ethnologie wahrgenommen oder gar dargestellt worden war. Im Vordergrund steht keines­wegs ein „Bericht über seine wissenschaftlichen Fortschritte“ oder das „Festhalten der täglichen Ergebnisse seiner Feldstudien“, sondern vielmehr das „Protokollieren“ (Firth 1986: 10) persönli­cher Erfahrungen, Gefühle und Gedanken.

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Eine kritische Gegenüberstellung der beiden Schulen des Funktionalismus
Untertitel
Funktionalismus und Strukturfunktionalismus im Vergleich
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Ethnologie)
Veranstaltung
Klassiker der Ethnologischen Theorien
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V273583
ISBN (eBook)
9783656658924
ISBN (Buch)
9783656658917
Dateigröße
402 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eine, gegenüberstellung, schulen, funktionalismus, strukturfunktionalismus, vergleich
Arbeit zitieren
M.A. Anna Lietz (Autor:in), 2006, Eine kritische Gegenüberstellung der beiden Schulen des Funktionalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273583

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