Pflegelehrerbildung im Spannungsfeld unterschiedlicher Qualifikationen

Ein Überblick und eine Meinungsanalyse zur Pflegelehrerbildung in Deutschland


Bachelorarbeit, 2013

81 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Zur Entstehung der Arbeit
1.1 Vorgehen
1.2 Literaturrecherche

2. Ruckblick auf die Entwicklung der Krankenpflege
2.1 Die historische Entwicklung der Krankenpflege als Dienstleistung und ihre Auswirkungen auf die berufliche Ausbildung
2.2 Die Entstehung der Krankenpflege als vorwiegend karitative Tatigkeit
2.3 Der Beginn der Professionalisierung der Krankenpflege
2.4 Die Entwicklung der beruflichen Ausbildung der Krankenpflege und ihre gesetzliche Anerkennung als Beruf im historischen Kontext

3. Ruckblick auf die Entwicklung der Pflegelehrerbildung
3.1 Die Sonderstellung der Krankenpflegeschulen und ihrer Lehrkrafte.
3.2 Die Auswirkungen der gesetzlichen Vorgaben auf die Professionalisierung der Krankenpflege und die Qualifizierung der „Pflegelehrer“ durch Weiterbildung
3.3 Entwicklung der Akademisierung der Pflegelehrer im gesell schaftspolitischen Kontext
3.4 Von der Weiterbildung zur Akademisierung- Einrichtung von Stu diengangen an Fachhochschulen und Universitaten
3.5 Akademisierung versus Weiterbildung
3.6 Die neuen Herausforderungen an die Pflegelehrer durch das KrPflG von 2004

4. Ein erster Akademisierungsversuch: Der Modellstudiengang fur Lehrer/innen fur Kranken- und Kinderkrankenpflege an der Freien Universitat Berlin
4.1 Zur Entstehung des Modellstudienganges
4.2 Die Zugangsvoraussetzungen
4.3 Ziele des Modellstudiengangs
4.4 Die Studieninhalte
4.5 Zur Berufsbezeichnung
4.6 Der Modellstudiengang als Auslaufmodell

5. Lehrerbildung in der Pflege nach „Bologna“
5.1 Unterschiedliche Vorgaben fur die Pflegelehrerqualifikation in den einzelnen Bundeslandern

6. Die Heterogenitat der Pflegelehrerbildung
6.1 Die Studiensituation zu Beginn der Akademisierung
6.2 Zum Stand der Pflegelehrerbildung heute
6.4 Pflegelehrerbildung an der Technischen Universitat Dresden
6.5 Pflegelehrerbildung an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Koln
6.6 Abschliefiende Bemerkung zur Heterogenitat in der Pflegelehrerbildung

7. Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse als Methode zur Meinungsanalyse
7.1 Der Diskurs und seine Analyse - eine Begriffsklarung
7.2 Zur Herkunft der Diskursanalyse
7.3 Schritte der Diskursanalyse nach Siegfried Jager

8. Der Diskurs um die Ausbildung des Pflegelehrers (nach JAGER)
8.1 Der Diskurs um die Nahe zur Pflege
8.2 Der Diskurs um die Verortung der Pflegelehrerausbildung
8.2.1 Lernortorientierung vor Bologna
8.2.2 Lernortorientierung nach Bologna

9. Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Pflegelehrerbildung blickt auf eine lange und kontroverse Entwicklung zu- ruck und kann bis zum heutigen Tage als nicht einheitlich definiert bezeichnet werden. Zuruckblickend auf ihre Verortung als Weiterbildungsmafinahme fur be- ruflich Pflegende, wurde die Qualifizierung zum Pflegelehrer1 aufgrund des Pfle- genotstandes Mitte bis Ende der 1980er Jahre neu diskutiert. Im Zuge dieses Pfle- genotstandes, der gleichzeitig fur die Pflege einen Bildungsnotstand darstellte, wurde die Pflegelehrerbildung reformiert und fand ihren Einzug in den tertiaren Bildungsbereich. Diese Entwicklung vollzog sich allerdings in keiner Weise ein­heitlich und wurde begleitet von den unterschiedlichsten Vorstellungen daruber, wie die Hochschulausbildung des Pflegelehrers auszusehen habe. Um die Akade- misierung des Pflegelehrers entspannte sich ein Diskurs, welcher in seiner starks- ten Auspragung mit Einfuhrung der Studiengange in der Pflegelehrerbildung ge- fuhrt wurde und bis zum heutigen Tag, mal mehr und mal weniger ausgepragt an­halt. Der Diskurs teilt sich in zwei Ebenen auf und beinhaltet zum einen den Dis­kurs uber die Nahe des Pflegelehrers zur Pflege selbst und zum anderen die Veror­tung der Pflegelehrerbildung innerhalb der Hochschullandschaft. So bildeten sich mit Beginn der Studiengange Qualifizierungsmoglichkeiten an Fachhochschulen und Universitaten aus. Vielfach hangt die Nahe zur Pflege mit der Verortung der Pflegelehrerbildung zusammen und wird daherje nachdem als notwendig oder als hemmend beschrieben.

Von dieser Heterogenitat der Pflegelehrerbildung sind wir als Autorinnen der vor- liegenden Arbeit betroffen. Diese Betroffenheit, welche bereits vor Aufnahme des Studiums bestand, brachte den Wunsch hervor sich eingehender mit der Pflege­lehrerbildung zu beschaftigen, da wir selbst an einer Fachhochschule studieren. Der Karriereweg, den sie uber ein Fachhochschulstudium einschlagen, ist auch im Zuge des eingesetzten Bologna Prozesses immer noch ein anderer, als der Karrie­reweg, der mittels eines Universitatsstudiums eingeschlagen werden kann. Wir hoffen mit unserer Arbeit einen Uberblick uber die Pflegelehrerbildung geben zu konnen und versuchen anhand der zwei Diskursstrange aufzuzeigen, in welchem Spannungsfeld die Pflegelehrerbildung in Deutschland sich befindet.

Nach einer kurzen Darstellung der Vorgehensweise zur Entstehung der Arbeit, so- wie der Literaturrecherche, folgt ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Pfle- gelehrerberufes. Die vorliegende Arbeit versucht den Werdegang der Pflegelehrer im historischen Kontext zu beschreiben. Ausgehend von der Entwicklung der Krankenpflege zum Beruf und die Arbeitsteilung der Unterrichtsaufgaben zwischen Arzten und Pflegepersonal, erfolgt die Auseinandersetzung mit der Sonderstellung der Pflegelehrer. Ein weiteres Kapitel umfasst die Umstrukturierung der Studiengange im Zuge der Bologna-Erklarung. Wie aufregend, spannend, aber auch schwierig sich der Weg zur Akademisierung des Pflegelehrers gestaltete, zeigt Kapitel 4, das der Vorstellung des Modellstudiengangs an der Freien Universitat gewidmet ist, welcher schon vor Eintritt des oben beschriebenen Pflegenotstandes in die Testphase lief.

Welche Entwicklung die Studienlandschaft um den Pflegelehrer nahm, wie hete­rogen sich diese gestaltete und wie uneinheitlich sie sich auch heute noch zeigt, daruber soll Kapitel 6 einen Uberblick geben. Beispielhaft werden unter anderem zwei unterschiedliche Studiengange vorgestellt, von denen der eine an einer Uni­versitat und der andere an einer Fachhochschule verortet ist. Zusatzlich wird eine graphische Darstellung aller derzeit angebotener Pflegelehrestudiengange in Deutschland gegeben. Dieses Kapitel kann auch als Angebot an Studieninteres- sierte gewertet werden, die sich beim Lesen einen Uberblick uber die unterschied­liche Pflegelehrerbildung verschaffen konnen.

Nachdem dem Leser ein Einblick in die Pflegelehrerbildung gegeben wurde, kommt es in Kapitel 8 zur Darstellung des Diskurses. Die Diskursanalyse soll nach den Kriterien von jAGER analysiert werden. Daher ist dem Kapitel welches die Diskursanalyse behandelt ein Kapitel zur Erklarung der Diskursanalysekriteri- en nach jAGER vorangeschaltet.

1. Zur Entstehung der Arbeit

1.1 Vorgehen

Im Zuge der Themenfindung fur die Bachelorarbeit stellten wir ein gemeinsames Interesse fest, sich mit der Situation der Pflegelehrer zu beschaftigen. Die Idee ge- meinsam eine Arbeit zu schreiben war somit geboren. Da Simone Schiel-Reiland aus Luxemburg stammt, kam die Idee auf, einen Landervergleich zum Thema Pflegelehrerbildung zwischen Deutschland und Luxemburg aufzuzeigen. Dieser Gedanke wurde aufgrund mangelnder Literatur zur Pflegelehrerbildung in Luxem­burg wieder verworfen. Es interessierte uns aber auch, zu erforschen, in wie weit der Pflegelehrer einer pflegerischen Grundausbildung bedarf. So entstand folgen- de Fragestellung:

- Muss der Pflegelehrer eine pflegerische Grundausbildung absolviert habe?

Im Zuge erster Recherchen anderte sich diese Fragestellung allerdings noch ein- mal. Die intensive Beschaftigung mit dem Thema warf einen weiteren Aspekt auf. Neben einem bestehendem Diskurs um die pflegerische Vorbildung des Pflegeleh- rers besteht ein Diskurs um die Verortung seiner Ausbildung. Somit entstand eine zweite Fragestellung:

- Soll der Pflegelehrer an einer Universitat oder an einer Fachhochschule ausgebildet werden?

Eine weitere Einarbeitung in das Thema anhand der Fragestellungen zeigte, dass die Pflegelehrerbildung in Deutschland sich in einem Spannungsfeld unterschied- licher Qualifikationen befindet. Mit diesem Spannungsfeld wollen wir uns in der vorliegenden Arbeit beschaftigen. Die ursprunglichen Fragestellungen helfen da- bei, den Diskurs um die Pflegelehrerbildung darzustellen. Die am Ende der Arbeit aufgestellte Diskursanalyse soll dabei helfen, die Fragestellungen zu beantworten.

1.2 Literaturrecherche

Fur die Literaturrecherche dieser Arbeit wurde vor allem die Bibliothek der Ka- tholischen Hochschule NRW, Abteilung Koln genutzt. Zusatzlich wurde ebenfalls auf folgende Datenbanken zuruckgegriffen:

- www.ldbb.de (Literaturdatenbank berufliche Bildung)
- http://www.kibb.de/84.htm
- http://www.subito-doc.de
- www.kibb.de (Deutsche Berufsbildungsforschung)
- www.bibnel.ori;
- www.zbmcd.de

Anhand der oben beschriebenen Fragestellung wurde relevante Literatur unter be- stimmten Schlagworten gesucht. Folgende Schlagworte wurden vor allem far die Recherche verwendet:

- Pflegelehrerbildung
- Pflegerische Grundausbildung
- Akademisierung
- Diskurs um Pflegelehrerbildung
- Pflegestudium
- Pflegepadagogik
- Bologna und Pflegelehrerbildung

Die recherchierte Literatur besteht aus Primar-, sowie aus Sekundarliteratur in Form von Buchveroffentlichungen, Zeitschriftenartikeln und Intemetquellen.

2. Ruckblick auf die Entwicklung der Krankenpflege

„Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blattem“ (A. Malraux)2

Um zu verstehen warum es in der Pflege anders ist als im sonstigen beruflichen Schulwesen in Deutschland muss man einen Blick in die Vergangenheit der Pflege wagen. Die derzeitige Situation der Pflegelehrer ist historisch begrundet und geht haufig einher mit den Professionalisierungsbemuhungen in der Pflege.

Im vorliegenden Kapitel werden anhand verschiedener Autoren die Hintergrunde und die wesentlichen Faktoren dargestellt, die einen bedeutenden Einfluss auf die Entstehung der Pflege und somit auch der Pflegelehrerbildung hatten.

2.1 Die historische Entwicklung der Krankenpflege als Dienstleistung und ihre Auswirkungen aufdie berufliche Ausbildung

Die Geschichte der Krankenpflege ist untrennbar mit der Geschichte der Medizin, der sozialen Entwicklung und dem Wandel der Geschlechterverhaltnisse verbunden.3

Das ethische Grundmotiv der Pflege war die Nachstenliebe. Die Pflege kranker Menschen entwickelte sich erst im Laufe der Jahrhunderte zu einem professionellen Dienstleistungsberuf. Die historische Betrachtung zeigt, dass man die Entwicklung der Krankenpflege nicht isoliert von den Entwicklungen und dem gesellschaftlichen Wandel der damaligen Zeit betrachten kann.4 Bis ins 19. Jahrhundert war es Aufgabe der Familie, kranke Angehorige zu pflegen. Wer keine Familie hatte, wurde im Hospital versorgt. Das Hospital der damaligen Zeit war kein Krankenhaus im modernen Sinne, sondern ein Armenhaus und diente als Unterkunft fur Pilger. Meistens waren es Nonnen oder Monche, die die Pflege ubernahmen. Mit dem sozialen Wandel, der Landflucht und dem wirtschaftlichen Aufschwung wurde der Krankheitsfall zur Notlage. Die Industrialisierung fuhrte dazu, dass auch Frauen und Kinder in den Fabriken mitarbeiteten und somit der Krankheitsfall nicht nur familiare, sondern auch soziale Auswirkungen hatte. Fur Familien bedeutete Krankheit die Gefahr der Verarmung, fur die Industrie bedeutete es den Verlust der Arbeitskraft. Der Staat hatte bisher die Krankenpflege kirchlich gepragten Lebensgemeinschaften uberlassen. Dies waren vor allem Ordensgemeinschaften, die die Krankenpflege als karitative Dienstleistung erbrachten. Des Weiteren gab es die Gruppe der Lohnwarter- und warterinnen, welche die Krankenpflege gegen einen geringen Lohn ausubten und gesellschaftlich nicht anerkannt waren. Beide Gruppen konnten jedoch den steigenden Bedarf an Krankenpflegepersonal nicht decken und der Staat musste handeln. Es mussten zahlreiche sozialpolitische Mafinahmen ergriffen werden, um den Notstand zu beheben. Der Staat fuhrte ein offentliches Gesundheitswesen ein und grundete zahlreiche Krankenhauser. Dies fuhrte im spaten 19. Jahrhundert dazu, dass der Ausbau des Krankenhauswesens zu einem grofieren Bedarf an Krankenpflegepersonal fuhrte. Der Ausbau stand dabei in engem Zusammenhang mit dem Funktionswandel vom traditionellen Hospital zur Anstalt fur heilbare Kranke. Durch die Entwicklung der Medizin zur Naturwissenschaft brauchten die Arzte Personal, welches im Stande war, ihre Anordnungen gewissenhaft auszufuhren. Das ungeschulte Personal in den Krankenhausern konnte mit dieser Entwicklung nicht mithalten. In Bezug auf diese Problematik wurde die erste offentliche Krankenpflegeschule von Franz Anton MAI im Jahre 1781 in Mannheim gegrundet. Er versuchte dem Lohnwartspersonal Grundkenntnisse in Krankenpflege zu vermitteln. Die Ausbildung bestand aus einem dreimonatigen Kurs. Sein Lehrbuch ,,Unterricht fur Krankenwarter“ wurde 1782 veroffentlicht. MAI war ein Heidelberger Professor der Geburtshilfe und gilt als eine der wichtigsten Personlichkeiten der professionellen Pflege. Bedingt durch unzumutbare Arbeitsverhaltnisse und dem Widerstand vieler Krankenhausarzte, die in dem ausgebildeten Personal eine Konkurrenz sahen, war dieses Projektjedoch nur von kurzer Dauer. Der Staat und die Arzte standen vor einem unlosbaren Problem. Der Bedarf an fahigem Personal war da, jedoch durfte die offentliche Krankenpflege das Gesundheitswesen nicht verteuern.5

2.2 Die Entstehung der Krankenpflege als vorwiegend karitative Tatigkeit

Die Losung lag in der Rekrutierung burgerlicher Frauen fur die Pflege. Durch die industrielle Entwicklung kam es zu einem Wandel der Geschlechterverhaltnisse und zu einer strengen Arbeitsteilung. Der Mann galt als Alleinverdiener und die Rolle der Frau wurde auf „reproduktive Aufgaben“ in der Familie festgelegt. Sie war Hausfrau und Mutter und galt somit als Spezialistin fur zwischenmenschliche Beziehungen; Hausarbeit, Aufopferung und Selbstlosigkeit. Die Krankenpflege wurde somit teilweise den burgerlichen Frauen ubertragen, da diese, nach damaliger Meinung, die notwendigen Grundvoraussetzungen (z.B. Nachstenliebe, Selbstlosigkeit, Mutterlichkeit) erfullten und keiner besonderen Schulung bedurften.6 Ende des 19. Jahrhunderts gab es zwei Gruppen, die sich im Wesentlichen um die Krankenpflege kummerten. Es handelte sich um ungeschultes Personal, die „Lohnwarter“, die ihre Tatigkeit gegen ein geringes Entgelt ausubten. Weiter waren es die christlichen und weltlichen Kran- kenhausverbande, fur welche Krankenpflege kein Beruf, sondern Berufung war und ihre Arbeit somit unentgeltlich anboten.7

Die Weiblichkeitsideologie der damaligen Zeit, gepaart mit christlichen Elementen fuhrte dazu, dass die Krankenpflege nicht als bezahlter Beruf angesehen wurde, sondern dem Sozialcharakter der Frau entsprach und keiner „entwurdigenden Bezahlung“ unterliegen sollte.8 Frauen, die aufierhalb einer Schwesternschaft oder einem Mutterhaus pflegerisch tatig waren um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, waren von der Gesellschaft nicht anerkannt und wurden als „wilde“ Schwestern bezeichnet.9 Das Zusammenspiel mehrerer Faktoren hat die Sonderstellung der Krankenpflege in Deutschland, gegenuber anderen Berufsgruppen, beeinflusst. Ebendiese haben auch dazu gefuhrt, dass die Krankenpflege sich nur unter erheblichen Schwierigkeiten zum Beruf entwickeln konnte.

Einerseits lehnten die weltlichen und religiosen Mutterhausverbande jede staatliche Regelung der Krankenpflege ab, denn qualifiziertes Personal hatte bezahlt werden mussen. Durch die unentgeltliche Pflege der Frauen im Dienste der Nachstenliebe konnten sie viel Geld sparen und sich zu machtvollen Institutionen entwickeln. Andererseits waren es jedoch die burgerlichen Frauen selbst, die die Forderung der freiberuflichen Krankenpflegerinnen nach angemessener Bezahlung und Begrenzung der Arbeitszeit zuruckwiesen. Sie weigerten sich, gewerkschaftlichen Organisationen beizutreten, die fur eine Verbesserung der Arbeitsverhaltnisse kampften. Sie wollten nicht den Beruf der „Schwester“ ausuben und fuhlten sich in ihrem Selbstwertgefuhl und ihrer aufopferungsvollen Nachstenliebe verletzt.10

2.3 Der Beginn der Professionalisierung der Krankenpflege

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die berufliche Ausbildung in Deutschland immer mehr vom Schulwesen mitgestaltet. Die Krankenpflege war jedoch von dieser Entwicklung ausgeschlossen, da sie zu der Zeit noch keine anerkannte erwerbstatige Dienstleistung war. Die Krankenpflege stand bei dieser Entwicklung vollkommen im Abseits.

Die Professionalisierung der Krankenpflege wurde auch von den Arzten der damaligen Zeit gefordert. Die Arzte brauchten systematisch geschultes Personal, das ihnen assistierend zur Seite stehen konnte. 1836 grundete der evangelische Pfarrer Theodor FLIEDNER in Kaiserswerth eine Krankenpflegeschule. Arzte ubernahmen die theoretische Ausbildung und die Fuhrung der Schule. Praktische Ausbildung fand weiterhin am Krankenbett statt und wurde von erfahrenen Schwestern „gelehrt“.11

Agnes KARLL (1868 - 1927) gilt als eine der ersten Frauen, die sich fur die Anerkennung des Krankenpflegeberufes in Deutschland einsetzte. Sie grundete 1903 den Verband freiberuflicher Krankenpflegerinnen, die „Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands“(B.O.K.D.) und forderte eine geregelte Ausbildung. Sie setzte den Grundstein dafur, dass Krankenpflege als Frauenberuf anerkannt wurde und aufierhalb einer konfessionellen Gemeinschaft als bezahlte Tatigkeit verubt werden durfte. In ihrer Schrift „Geschichte der ersten funf Jahre unseres Verbandes“ wies Agnes KARLL daraufhin, dass die praktische Ausbildung das Hauptanliegen bleiben musse, jedoch auch die Theorie nicht vernachlassigt werden durfe. Sie forderte mehr Einfluss der lehrenden Schwestern in der theoretischen Ausbildung und bei der Gestaltung des Lehrstoffes.12

2.4 Die Entwicklung der beruflichen Ausbildung der Krankenpflege und ihre gesetzliche Anerkennung als Beruf im historischen Kontext

Durch die gesetzliche Ausbildungsregelung im Jahre 1906 und feste Vorschriften zur Ausubung des Krankenpflegeberufes kam es zu einer Anderung der historisch gewachsenen Strukturen. Im Jahre 1907 wurde die staatlich anerkannte Krankenpflegeprufung erstmals gesetzlich festgelegt, unterlag jedoch weiterhin den Bestimmungen der einzelnen Lander des Deutschen Reiches. Die Ausbildung fand an staatlich anerkannten Schulen statt, die meistens einem Krankenhaus angehorten. Die Leitung der Schule oblag einem Arzt und auch die Prufungen wurden von Arzten abgenommen.13

Nach dem ersten Weltkrieg konnten die Gewerkschaften ihre Mitgliederzahlen steigern und hatten somit gegenuber den einflussreichen Mutterhausverbanden eine andere Verhandlungsposition. Es gelang ihnen die Arbeitsverhaltnisse zu verbessern, Tarifvertrage aufzusetzen, das Heiratsverbot fur Krankenschwestern aufzuheben und vieles mehr. Die einflussreichen Mutterhausverbande konnten immer wieder erfolgreich verhindern, dass die Krankenpflegeausbildung in das offentlich-rechtliche System der Berufsbildung eingebunden wurde. Sie hatten aufierdem einen hemmenden Einfluss auf die Entwicklung der Pflegelehrerausbildung. Fur sie stand fest dass die praktische Ausbildung im Vordergrund stehen musste und diese konnte nur im Praxisalltag stattfinden. Theoretische Ausbildung fuhrte ihrer Meinung nach zur „Praxisferne“.14

Bis Januar 2004 liefen die Ausbildungen der Altenpflege15, Kinderkrankenpflege und Krankenpflege getrennt voneinander. Krankenpflege und Kinderkrankenpflegeausbildung waren bereits durch das KrPflG und die Ausbildungsprufungsverordnung von 1985 bundeseinheitlich geregelt. Die Altenpflegeausbildung jedoch wurde bis dato auf der Ebene der einzelnen Bundeslander entschieden.16 Mit dem neuen Krankenpflegegesetz von 2004 kam es zu einer Angleichung der Ausbildungs- und Prufungsverordnung der Gesundheitsberufe. Die Ausbildung wurde bundeseinheitlich auf 3 Jahre geregelt.17

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.l Wichtige Anderungen im KrPflG in Bezug auf die Krankenpflegeausbildung. (Tabelle angefertigt nach Informationen von Mamerow 20ll, Bischoff-Wanner 2008 und Schaeffer und Wingenfeld 20ll) 2004 wurde die Berufsbezeichnung von "Krankenschwester-/pfleger" in "Gesund- heits- und Krankenpfleger/in" umgewandelt. Prevention und Gesundheitserhaltung erhielten einen hoheren Stellenwert und wurden deutlich hervorgehoben. Verantwortung fur die eigene Gesundheit und die Wissenschaftsbasierung des Pflegehandelns erhielten mit der neuen Gesetzgebung deutlich mehr Raum.18

Der Paradigmenwechsel von der Krankheitsorientierung auf die Gesundheits-und Personenorientierung hat zu einem neuen Pflegeverstandnis gefuhrt. Die Kranken- pflege konnte sich endlich von ihrer historischen Last befreien. Krankenpflege wurde nun nicht mehr als arztlicher Assistenzberuf und Hilfsdienst fur den arztlichen Bereich angesehen, sondern als eigenstandiger Pflegefachberuf im Gesundheitswesen. Die Pflege als assistierende Tatigkeit gehort immer mehr der Vergangenheit an. Zudem wurden vom Gesetzgeber mehrere Modellvorhaben ins Leben gerufen, welche erforschen, wie gemeinsame Grundlagen der Pflegeberufe (Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege) gestaltet werden konnten und welche Rahmenbedingungen gegeben sein mussten, um eine Zusammenfuhrung der Ausbildung zu ermoglichen. Beispiel eines solchen Modellversuchs ist das Projekt "Pflegeausbildung in Bewegung" von 2004-2008. Das Projekt wurde vom Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend an das Deutsche Institut fur angewandte Pflegeforschung (DIP) in Auftrag gegeben. Ziel des Projektes war es, neue Ausbildungsmodelle in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu erproben. In 8 Bundeslandern wurden neue generalisierte Ausbildungsformen erprobt und es gelang mit Hilfe dieses Projektes, die Gesundheitsministerkonferenz der Bundeslander von einer Generalisierung der Pflegeausbildung zu uberzeugen.19

Die Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung und Gesundheits- und Kinderkrankenpflege findet in Deutschland uberwiegend an „Schulen des Gesundheitswesens“ statt.20 Sie wird als Abteilung desjeweiligen Krankenhauses angesehen und nimmt folglich eine Sonderstellung innerhalb des Berufsausbildungssystems ein. Sie gehort somit weder zum dualen System21 noch zum Bereich der berufsfachschulischen Ausbildung. Das Hochschulrahmengesetz von 1998 ermoglicht ebenfalls, eine Pflegeerstausbildung auf Hochschulniveau mit einem berufsqualifizierenden Bachelorabschluss zu erlangen.22 Eine Akademisierung der Pflegeerstausbildung setzt de facto eine andere Lehrerbildung voraus.

3. Ruckblick auf die Entwicklung der Pflegelehrerbildung

Bedingt durch die Ausfuhrungen der historischen Hintergrunde im vorigen Kapitel konnen wir die Entstehung des Pflegelehrerberufes nun besser darstellen. Seine Entstehung ist eng mit der Krankenpflegegeschichte verbunden und konnte, bedingt durch die gegebenen Umstande, nur auf der Ebene der Weiterbildung entstehen.

Der Strukturwandel in der Gesellschaft und im Gesundheitswesen zeigt die Versaumnisse der vergangenen Jahrzehnte und die daraus resultierende mangelnde Anerkennung des Pflegelehrerberufes.23

3.1 Die Sonderstellung der Krankenpflegeschulen und ihrer Lehrkrafte

Bis heute unterscheiden sich die Strukturen der Krankenpflegeschulen und die Grundvoraussetzungen fur eine Lehrertatigkeit an einer Krankenpflegeschule erheblich von denen des berufsbildenden Schulwesens.24 Die Krankenpflegeausbildung ist eine schulische Ausbildung aufierhalb des Berufsbildungsgesetzes. Der Krankenhaustrager ist oftmals auch Trager der Krankenpflegeschule, womit die dort angestellten Pflegelehrer als Arbeitnehmer fungieren. Dieser Doppelstatus, gleichzeitig Lehrender an der Schule und in der Praxisbegleitung zu sein, fuhrt erfahrungsgemafi immer wieder zu Spannungen zwischen den Lernorten.25

3.2 Die Auswirkungen der gesetzlichen Vorgaben auf die Professionalisierung der Krankenpflege und die Qualifizierung der „Pflegelehrer“ durch Weiterbildung

Wie bereits in Kapitel 2 dargestellt, bestand lange Zeit kein Bedarf an Pflegelehrern, da die Pflege nicht als Beruf anerkannt war. Es waren grofitenteils Frauen, die diese Tatigkeit ausfuhrten. Da diese alle notigen Eigenschaften und Tugenden zur Krankenpflege mitbrachten, bestand kein Bedarf an Ausbildung. Praktischer Unterricht fand durch erfahrene Schwestern am Krankenbett statt. Eine wichtige Voraussetzung war es, gut pflegen zu konnen. In verschiedenen Krankenhausern wurden die Frauen in Ethik unterrichtet. Dies gait jedoch nicht der theoretischen Ausbiidung, sondern der Festigung ihrer Grundsatze, der Aufopferung und der Nachsteniiebe.26 Da die medizinischen Fortschritte und die Wissenschaft sich immer weiter entwickeiten, stiegen auch die pfiegerischen Anforderungen an die Schwestern und somit der Bedarf an einer systematischen Ausbiidung.27

Im Jahre 1903 grundete das Deutsche Rote Kreuz die erste Fortbiidungsschuie fur ihre ieitenden Schwestern, die Oberinnen.28 1938 wurde die Berufsausubung der Krankenpfiege eriaubnispfiichtig und somit gesetziich geregeit. Es wurden Krankenpfiegeschuien errichtet, die Schuiieitung ubernahm ein Arzt.29 Durch die Hiifesteiiung der Arzte wurde die Professionaiisierung der Krankenpfiege einerseits gefordert, andererseits jedoch die Seibststandigkeit des Berufes unterdruckt. Die Arzte trugen die Hauptverantwortung fur die Ausbiidung und betrachteten Pfiegeiehrer iedigiich ais untergeordnete Hiifskrafte.30 Die Arzte besafien fachwissenschaftiiche, jedoch keine padagogischen Quaiifikationen, die dieser Roiie entsprachen.31

Eine Lehrerquaiifizierung war ebenfaiis nicht im Sinne der Krankenpfiegeorganisationen. Sie untersteiiten den Weiterbiidungsmafinahmen und den berufiichen Quaiifikationen Praxisferne. Lange Zeit wurden weder von den Ausbiidungsstatten noch vom Gesetzgeber ernsthafte Schritte unternommen, um dieser Diskrepanz ein Ende zu setzen.32 Der Staat hatte jedoch auch nur begrenzte Zugriffsmogiichkeiten, da die Krankenpfiegeausbiidung nicht dem Berufsbiidungsgesetz unterstand.33 In der Gesetzgebung von 1949 beschioss die Bundesregierung, die Berufsausbiidungen in der Pfiege weiterhin unter „andere pfiegerische Heiiberufe“ durch das Gesundheitsministerium regein zu iassen:

„Gesundheits- und Krankenpfiege, sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpfiege gehoren nach gesetziicher Eingruppierung zu den

Heilberufen und unterliegen somit der Gesundheitsgesetzgebung statt der Gesetzgebung durch das Bildungsministerium bzw. der Kultusministerkonferenz (KMK).“34

1943 wurde erstmalig der Begriff „Lehrschwester“ erwahnt. Die Basis fur ihre Ausbildung bildete das Krankenpflegegesetz von 1938. Die Berufsbezeichnungen „Lehrschwestern“ und „Unterrichtsschwestem“ entwickelten sich aus den Pflegeberufen heraus. Die Ausbildung war an eine Erstausbildung in einem Pflegeberuf und an eine mehrjahrige Berufstatigkeit gebunden.35 1957 wurde das einheitliche Krankenpflegegesetz fur die Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Die Krankenpflegeausbildung fand nun in Verantwortung von Krankenhaustragern an staatlich anerkannten Kranken- bzw. Kinderkrankenhausern statt. Die Dauer betrug 3 Jahre und wurde von der Gesundheitsbehorde der Lander geregelt, unabhangig vom Bildungssystem des Staates. Die theoretischen Stunden der Grundausbildung wurden heraufgesetzt und es entstand ein erhohter Bedarf an Unterrichtsschwestern. Entsprechend dem Krankenpflegegesetz von 1938 wurden diese weiterhin aus der Pflege rekrutiert, nahmen an Weiterbildungslehrgangen teil und bedurften keiner staatlichen Lehramtsprufung. Die Weiterbildung galt nicht als eigenstandiger Beruf, sondern war eine Zusatzqualifikation und qualifizierte fur padagogische Aufgaben in der Ausbildung. Die Weiterbildung zur Unterrichtsschwester dauerte bis Ende der 70er Jahre ein Jahr, ab den 80er Jahren dann zwei Jahre. Sie schloss nach einer Prufung mit einem Zertifikat der jeweiligen Weiterbildungseinrichtung ab.36 Es entstanden in ganz Deutschland Weiterbildungsinstitute, die sowohl von konfessionellen Tragerschaften als auch von Gewerkschaften gegrundet wurden. Der Lehrgang wurde in Landerhoheit geregelt und unterlag einer grofien Heterogenitat in Bezug auf das geforderte Wissen.

Die Motivation fur eine Weiterbildung zur Unterrichtsschwester war oft, dem Schichtdienst und der anstrengenden korperlichen Arbeit zu entkommen und nicht das Interesse an einer padagogischen Tatigkeit.37

In den 70er Jahren fing die Krankenpflege an, sich zusehends zu emanzipieren und es kam zu einer Abgrenzung vom traditionellen Gehorsam gegenuber den Arzten. Die pflegerischen Tatigkeiten stellten den Patienten in den Mittelpunkt der Pflege und nicht langer den Arzt. So entwickelte sich ein neues berufliches Selbstverstandnis.

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Entwicklung der Krankenpflegeausbildung und der Lehrerqualifikation ist, dass bis in die 60er Jahre fast jede weibliche Pflegekraft einer Schwesternschaft angehorte. Aufierhalb einer Schwesternschaft war die Ausbildung kaum moglich.38 Die Schwesternschaft bestimmte uber die beruflichen Aufgaben ihrer Mitglieder und somit auch die Weiterbildung zur Unterrichtsschwester. Der Ruf nach Anerkennung der Eigenstandigkeit des Berufes wurde immer lauter und somit auch der Bedarf an einer entsprechenden Ausbildung.39

3.3 Entwicklung der Akademisierung der Pflegelehrer im gesellschaftspolitischen Kontext

Von Mitte der 1970er Jahre bis in die Mitte der 1990er Jahre kam es zu strukturellen Veranderungen im Gesundheitswesen. Zur Notwendigkeit einer Veranderung kam es aufgrund einer stetig steigenden Arbeitslosigkeit in den 1970er Jahren. Diese Arbeitslosigkeit fuhrte dazu, dass dem Gesundheitswesen weniger finanzielle Mittel zur Verfugung standen. Dieser Mangel an Kapital fuhrte seinerseits dann zu einer Erhohung der Krankenkassenbeitrage.40 Das Gesundheitswesen in der BRD musste also reformiert werden.

Um Arbeitgebern einen Anreiz zu bieten Arbeitsplatze zu schaffen und Neueinstellungen vorzunehmen, wurde das Prinzip der Paritat zuruckgefahren. Das heifit, dass in Bezug auf die Beitragszahlung in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) vom Arbeitnehmer eine hohere Selbstbeteiligung gefordert wurde. Nicht zuletzt trug hier die Einfuhrung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 zur Erhohung der Selbstbeteiligung bei. Die Idee war es, durch Einfuhrung der Pflegeversicherung die Kommunen zu entlasten, die bis dahin bei Bedurftigkeit die ambulante Versorgung deckten. Ebenfalls wurden somit die Krankenhauser entlastet, indem ein grofier Teil der Versorgung in den ambulanten Sektor ausgelagert werden konnte. Die Schwerstpflegebedurftigkeit wurde als neue Leistung in den Katalog der Krankenkassen aufgenommen und diese finanzierten die hausliche Pflege ebenfalls in einem bestimmten Rahmen. Als moglicher Faktor zur Kosteneindammung setzen die Krankenkassen auch immer mehr auf Gesundheitsforderung und Pravention, indem sie darauf ausgerichtete Programme fur ihre Versicherten anboten. Durch diese Veranderungen ergaben sich neue, anspruchsvolle Betatigungsfelder fur Pflegende im ambulanten Versorgungsbereich. Auch die Mitwirkung bei den Praventionsprogrammen der Krankenkassen wurde Pflegekraften eroffnet, nicht zuletzt auch aus dem Grunde, weil die Personalkosten niedriger waren als wenn man Arzte dafur beschaftigen musste. Das hiefi aber auch, dass fur immer mehr sowie immer komplexere Aufgaben eine hohere Zahl an Pflegekraften bereitgestellt werden musste, die es nicht gab. Die Auswirkungen des Pflegenotstandes waren in der Offentlichkeit angekommen.41

3.4 Von der Weiterbildung zur Akademisierung- Einrichtung von Studiengangen an Fachhochschulen und Universitaten

Die Krankenpflege hatte sich in den letzten Jahren grundlegend geandert und die Kritik an der Weiterbildung, wie sie in Deutschland ublich war, wurde immer lauter. Die Anforderungen an Lehrende im Bereich Pflege entsprachen nicht mehr der Zeit und es mussten dringend wichtige Schritte unternommen werden, um die Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen im Gesundheitswesen dem aktuellen internationalen Stand anzupassen. Die hauptamtlich Lehrenden der Kranken- und Kinderkrankenpflegeschulen waren vor allem dreijahrig ausgebildete Pflegepersonen mit einer Weiterbildung, welche von Schwesternschaften, Berufsverbanden und Gewerkschaften durchgefuhrt wurde. Dauer, Inhalt und Prufungsanforderungen waren nicht verbindlich festgelegt. Mit einer solchen Weiterbildung wurde die Forderung des Gesetzgebers erfullt, eine im Verhaltnis zur Zahl der Schulerinnen ausreichende Zahl von Unterrichtsschwestern, beziehungsweise Unterrichtspflegern einzusetzen. Die Lehrenden hatten durch eine solche Weiterbildung keine Qualifikation, die denen der Gewerbelehrer gleichzusetzen war. In den 70er bis 80er Jahren gab es bereits erste Versuche, die Weiterbildung als Pflegestudiengange an Fachhochschulen und Universitaten zu etablieren. Hierdurch wurde ein wichtiger Schritt getan, um die Lehrerrolle in der Pflege zu verandern. Die durch die Sonderstellung bedingte Problematik der bisherigen Pflegelehrerausbildung wurde nun nicht mehr geleugnet. Die deutlich verstarkte Professionalisierung des Pflegeberufes und die Akademisierung der Lehrerbildung wurden nun von politischer Seite unterstutzt. Es musste dringend eine Steigerung der Attraktivitat der gesamten beruflichen Bildung eingefuhrt werden, da es immer weniger Bewerber fur den Beruf gab.42

Durch die Akademisierung erhoffte man sich eine Reform in der Ausbildung der Lehrkrafte und eine Qualitatssteigerung der Pflegepraxis. Der Pflegeberuf sollte attraktiver werden und neue Karrieremoglichkeiten eroffnen, die es vorher nicht gab. Ein solcher Akademisierungsversuch war der ,,Modellstudiengang fur Lehrer/innen fur Kranken- und Kinderkrankenpflege“ an der Freien Universitat Berlin aus dem Jahr 1976, der im Kapitel 4 von uns exemplarisch dargestellt wird.

Im Jahre 1989 wurde von der Deutschen Krankenhausgesellschaft ein gemeinsames, landerubergreifendes Projekt ausgearbeitet. Die Weiterbildung fur Lehrkrafte in der Krankenpflegeausbildung sah nun eine 2000stundige theoretische Ausbildung vor.43 Durch die Wiedervereinigung Deutschlands (1990) gewann die Akademisierung des Pflegelehrerberufs an politischer Bedeutung. Im Bildungssystem der DDR existierte die Pflegelehrerausbildung bereits seit 1963 als Diplomstudiengang. Nach einer dreijahrigen Fachschulausbildung mit einheitlicher Berufsausbildung erwarb man den Titel „Diplom-Medizinpadagoge“. Dieser universitare Studiengang wurde nach der Wiedervereinigung in den Einigungsvertrag des Krankenpflegegesetzes aufgenommen und an der Humboldt-Universitat in Berlin fortgefuhrt.44 1992 veroffentlichte die Robert Bosch Stiftung die Denkschrift „Pflege braucht Eliten“. Sie half dabei, die Bemuhungen um eine Akademisierung des Berufsfeldes Pflege in Deutschland voran zu treiben.45

[...]


1 In dieser Bachelorarbeit wird nicht explizit zwischen der weiblichen und mannlichen Form unterschieden. Dennoch wird, soweit nicht anders hervorgehoben, die so ausgeschlossene Geschlechtsform mit einbezogen. Dies ist ein Zugestandnis an die Lesbarkeit der Arbeit.

2 Dieses Zitat des franzosischen Schriftstellers Andre Malraux passt hervorragend zu unserem Thema.

3 Die Entstehung der Krankenpflege steht in unserer Arbeit exemplarisch fur die Entstehung des Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflegeberuf.

4 Die folgenden Ausfuhrungen zur historischen Recherche beruhen vor allem auf Bischoff- Wanner 2011, Darmann und Wittneben 2000 sowie Ostermann-Vogt 2011.

5 Vgl. Bischoff-Wanner, 2011, S.20ff.

6 Vgl. ebd., S.24.

7 Vgl.ebd., S.21.

8 Vgl. ebd., S.26.

9 Vgl. ebd., S.29.

10 Vgl.ebd., S.31ff.

11 Vgl. ebd., S.27.

12 Vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S.182 und Bischoff-Wanner, 2011, S.29f.

13 Die Artze hatten Fachwissen, jedoch keine spezifische padagogische Ausbildung.

14 Vgl. Bischoff-Wanner, 2011, S.32ffund Ostermann-Vogt, 2011, S.27.

15 In den meisten Landern der EU gehort die Altenpflege zur Ausbildung der Krankenpflege und ist kein eigenstandiger Beruf wie in Deutschland.

16 Vgl. Stocker 2000, S.49ff. Und Robert Bosch Stiftung, 2000, S.206.

17 Vgl. Ostermann-Vogt, 2011, S.29.

18 Vgl. ebd., S.31ff.

19 Siehe: http://www.dip.de/fileadmin/data/pdf/material/PiB_Abschlussb...

20 In einigen Bundeslandern findet die Altenpflegeausbildung an Berufsschulen statt. Um eine gemeinsame Ausbildung zu ermoglichen musste unter anderem die Frage der schulischen Verortung und Finanzierung geklart werden.

21 Trotz der oben beschriebenen Sonderstellung der Krankenpflegeausbildung ist ihre Grundstruktur dual, d. h. gegliedert in einen theoretischen und einen praktischen Teil.

22 Nicht nur in Bezug auf Generalisierung, sondern auch auf Akademisierung der Krankenpflegeausbildung gibt es bisher in Deutschland keine Einigung.

23 Vgl. Ostermann-Vogt, 2011, S.27ff.

24 Vgl.ebd., S.26.

25 Diese Erfahrung haben uns mehrere Kommilitonen bestatigt.

26 Vgi. Bischoff-Wanner, 2011,S.20ff.

27 Vgi. Ostermann-Vogt, 2011, S.23.

28 Vgi. Wittneben, 2000, S.8.

29 Vgi. Mamerow, 2010, S.28.

30 Vgi. Bischoff-Wanner, 2011, S.32 und Ostermann-Vogt, 2011, S.27.

31 Vgi. Wittneben, 2000, S.8.

32 Vgi. Robert Bosch Stiftung, 2000, S.183.

33 Vgi. ebd., S.19.

34 Mamerow 2010, S.27.

35 Vgl. Mamerow, 2010 S.18.

36 Mit dieser Weiterbildung hatten die Pflegelehrer nicht die gleichen Qualifikationen wie die Gewerbelehrer.

37 Vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S. 193.

38 Vgl.ebd., S.191.

39 Die Implementierung der beruflichen Fachrichtung „Pflege“ durch die Kultusministerkonferenz 1995 ist ein erster Schritt von Seiten der Landerregierungen diesen Sonderstatus aufzuheben (vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S.19 und 104).

40 Vgl. Krampe, 2009, S.41.

41 Vgl. Krampe, 2009, S. 50ff.

42 Vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S.189ff.

43 Vgl. Ostermann-Vogt, 2011,S.27.

44 Vgl.ebd., S.28.

45 Die Denkschrift war das Ergebnis einer von der Robert Bosch Stiftung beauftragten Kommission zu Fragen der Hochschulausbildung von Lehr- und Leitungskraften in der Pflege.

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Pflegelehrerbildung im Spannungsfeld unterschiedlicher Qualifikationen
Untertitel
Ein Überblick und eine Meinungsanalyse zur Pflegelehrerbildung in Deutschland
Hochschule
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen  (Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln)
Note
2,0
Autoren
Jahr
2013
Seiten
81
Katalognummer
V273371
ISBN (eBook)
9783656729570
ISBN (Buch)
9783656729518
Dateigröße
708 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pflegelehrerbildung, Akademisierung, Pflegestudium, Pflegepädagogik
Arbeit zitieren
Anna Sieren (Autor:in)Simone Schiel-Reiland (Autor:in), 2013, Pflegelehrerbildung im Spannungsfeld unterschiedlicher Qualifikationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273371

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