Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Heilbehandlungen im Spiegel der 90-jährigen Umsatzsteuergeschichte


Bachelorarbeit, 2014

56 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

II Abbildungsverzeichnis

III Tabellenverzeichnis

IV Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die historische Entwicklung der Steuerbefreiung von ärztlichen Heilbehandlungen
2.1 Das deutsche Kaiserreich ab 1871
2.1.1 Einführung der Warenstempelsteuer
2.1.2 Manifestierung der Umsatzsteuer in Deutschland 1918
2.2 Die Weimarer Republik ab 1919
2.2.1 Die Erzbergersche Reichsfinanzreform
2.2.2 Das Umsatzsteuergesetz 1919
2.2.3 Die wirtschaftliche Entlastung der Krankenkassen
2.2.4 Die Umsatzsteuer im wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands
2.2.5 Das UStG 1932 nach der Neuregelung des Ärztevergütungssystems
2.3 Umsatzsteuerliche Entwicklung unter dem Nationalsozialismus
2.4 Die Finanzwirtschaft Deutschlands nach Kriegsende bis 1951
2.4.1 Maßnahmen zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft
2.4.2 Das Umsatzsteuergesetz aus dem Jahr 1951
2.5 Europäische Einflussnahme auf die nationale Gesetzgebung
2.5.1 Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft
2.5.2 Die Erste und Zweite EG-Richtlinie
2.5.3 Das Umsatzsteuergesetz aus dem Jahr 1968
2.5.3.1 Kritik an der Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer
2.5.3.2 Einführung der Nettoumsatzbesteuerung mit Vorsteuerabzug
2.5.3.3 Überlegungen zur Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Leistungen
2.5.3.4 Steuerbefreiungen ärztlicher Leistungen im reformierten UStG
2.5.3.5 Umsatzsteuerpflicht für Umsätze aus Arzneimittel
2.5.4 Das UStG 1973 - Auswirkungen auf die Befreiungsvorschrift der heilberuflichen Leistungen
2.5.5 Weiterführung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems
2.5.5.1 Steuerbefreiung von Heilbehandlungen in der sechsten EG-Richtlinie
2.5.5.2 Anpassung der nationalen Gesetzgebung an die Sechste EG-Richtlinie
2.5.5.3 Keine Umsatzsteuerbegünstigung für Arzneimittel
2.5.6 Die Wiedervereinigung zweier deutsche Staaten
2.5.7 Die Einführung des Binnenmarktes
2.6 Entwicklung der Umsatzsteuerbefreiung Schönheitsoperationen
2.6.1 Ärztliche Heilbehandlung in der europäischen Rechtsprechung
2.6.2 Das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 15. Juli 2004
2.6.3 Die medizinische Indikation bei Schönheitsoperationen
2.7 Rechtsformunabhängige Steuerbefreiung von Heilbehandlungen
2.8 Steuerbefreiungen von ärztlichen Heilbehandlungen in der Sechsten EG-Richtlinie
2.9 Umsatzsteuererhöhung zum Ausgleich des staatlichen Defizites

3 Schlussbetrachtung

V Literaturverzeichnis

II Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Deutsche Kriegsanleihen während des Ersten Weltkrieges

Abbildung 2: Wahlen zur deutschen Nationalversammlung am 19. Januar

Abbildung 3: Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung in Milliarden Euro

III Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Wahlen zur deutschen Nationalversammlung am 19. Januar

Tabelle 2: Umsatzsteuerbelastung bei einstufigen Unternehmen

IV Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Jeder Arzt, der selbstständig tätig ist, stellt nach § 2 Abs. 1 UStG einen Unternehmer dar, des- sen entgeltliche Leistungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG steuerbar sind. Die Befreiungs- vorschrift nach § 4 Nr. 14 UStG 1968 bestimmte aus sozialpolitischen Gründen die Steuer- begünstigung ärztlicher Heilbehandlungen, die aus der Tätigkeit eines Arztes erbracht wur- den. Dies erfolgte in Unabhängigkeit davon, ob die Kosten von der Krankenversicherung übernommen wurden oder diese selbst vom Patienten getragen wurden. Damit nahm die Be- freiungsvorschrift eine zentrale Bedeutung für die Kostensenkung im Gesundheitswesen ein.1 Obwohl sich der Gesetzeswortlaut des § 4 Nr. 14 UStG bis zum Jahr 2008 nicht geändert hat, entwickelte die Finanzverwaltung im Laufe der Historie eine differenzierte Auffassung be- züglich der Abgrenzung zwischen steuerpflichtigen und steuerfreien ärztlichen Heilbehand- lungen. Denn durch vermehrte Steuerausfälle im Umsatzsteueraufkommen, die durch Insol- venzen und Steuerhinterziehungen entstanden, bestand die Notwendigkeit, die leeren Staats- kassen zu füllen.2

Das Ziel der vorliegenden Arbeit liegt in der Darstellung der historischen Entwicklung der Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Heilbehandlungen in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom Deutschen Kaiserreich 1916 bis hin zur europarechtlich geprägten deutschen Rechtsprechung 2006. Die Abbildung dieses 90-jährigen Entwicklungsprozesses erfolgt in begleitender Betrachtung der allgemeinen Umsatzsteuersätze. Der erste Teil dieser Arbeit be- fasst sich mit der Entstehungsgeschichte der Umsatzsteuer in Deutschland, die aus der Fi- nanznot des Kaiserreichs entstand. In diesem Kontext werden die geschichtlichen Ereignisse abgebildet, denen es zu verdanken erscheint, welchen Charakter die Umsatzsteuer in der heu- tigen Zeit angenommen hat. Weiterhin wird auf die Bedeutung ärztlicher Heilbehandlungen sowie auf Gesetzesbegründungen und Motive eingegangen, die die Umsatzsteuerbefreiung solcher Leistungen vorsahen. Im zweiten Teil der Arbeit wird auf die zunehmende Einfluss- nahme des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) auf die nationale Rechtsprechung bezüglich der Steuerbefreiung von ärztlichen Heilbehandlungen eingegangen, die eine isolierte Betrach- tung des deutschen Umsatzsteuerrechts von dem Gemeinschaftsrecht unmöglich erscheinen lässt. Dabei wird anhand der Entwicklungen der Rechtsprechungen insbesondere die steuer- befreiende Fragestellung für Schönheitsoperationen erläutert, womit zeitgleich das Verständ- nis von heilberuflichen Steuerbefreiungen verdeutlicht werden soll.

2 Die historische Entwicklung der Steuerbefreiung von ärztlichen Heilbehandlungen

2.1 Das deutsche Kaiserreich ab 1871

Im deutsch-französischen Krieg von 1870 bis 1871 begannen bereits die ersten Verhandlungen der deutschen Staaten über die Gründung eines gemeinsamen Reiches. Am 18. Januar 1871 erfolgte in Versailles die Verkündung, dass der König von Preußen Wilhelm I. deutscher Kaiser wurde. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 substituierte die bisherigen Verfassungsverträge3 und schrieb den bundesstaatlichen Finanzausgleich im Reichsgesetzblatt vom 20. April 1871 fest.

Vorhandene Defizite im Haushalt wurden im Kaiserreich durch Matrikularbeiträge der Glied- staaten abgedeckt (Art. 70 RV 1871). Durch diese Vorgehensweise verschafften sich die ein- zelnen Gliedstaaten gegenüber dem gesamten Staat eine „außerordentlich starke Stellung“4.5 Otto von Bismarck kritisierte in diesem Zusammenhang das Deutsche Reich als „Kostgänger der Einzelstaaten“6. Denn das Kaiserreich finanzierte sich größtenteils aus indirekten Steuern und überließ den Gliedstaaten die direkten Steuern.7 Seine Begründung in der fehlenden Ver- fügungsmacht über die direkten Steuern lag darin, dass die indirekten Steuern künftig die di- rekten Steuern als Einnahmequelle ersetzen sollten.8 Eine Umsatzbesteuerung, wie sie im 21. Jahrhundert in Deutschland in Erscheinung tritt, war zu Zeiten der Reichsgründung nicht vor- zufinden.

2.1.1 Einführung der Warenstempelsteuer

Der von 1914 bis 1918 geführte Erste Weltkrieg wurde überwiegend durch Kriegsanleihen finanziert.9 Aus der nachstehenden Abbildung wird ersichtlich, dass in diesem Zeitraum die deutsche Reichsbank zur Finanzierung der Kriegskosten neun Kriegsanleihen mit etwa 98,2 Milliarden Reichsmark aufnahm. Weiterhin ist insbesondere zu erkennen, dass auch im letzten Jahr des Krieges ein erhöhter Bedarf an finanziellen Mitteln bestand, da hierfür etwa 25,4 Milliarden Reichsmark aufgenommen wurden.10

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Deutsche Kriegsanleihen während des Ersten Weltkrieges11

Da das Deutsche Reich die Zinsen der Kriegsanleihen nicht mehr durch die bisherigen Steuer- einnahmen begleichen konnte, wurde durch die Einführung des Warenumsatzstempelgesetzes vom 26. Juni 191612 eine Stempelbelegung auf Warenlieferungen in folgender Weise fest- gesetzt:13

„Das WUStG. sah eine Abgabe von 1 v. T. von den Zahlungen für Lieferungen innerhalb inländischer Gewerbe vor, und zwar in Form der jährlichen Anmeldungen mit gleichzeitiger Einzahlung der Steuer und nachfolgendem Prüfungsverfahren der Steuerstellen.“14

Dies bedeutete eine zusätzliche Belastung der Lieferungen, die in Abhängigkeit von der Warenmenge auftrat.15 Die Umsatzsteuer wurde aufgrund des erhöhten Finanzbedarfs für die Kriegsführung eingeführt. Daher trug diese auch die Bezeichnung „Kind der Not“16.

2.1.2 Manifestierung der Umsatzsteuer in Deutschland 1918

Da sich die finanzielle Lage aufgrund geringer Steueraufkommen durch die Warenumsatzstempel verschlechterte und der Erste Weltkrieg weiter andauerte, hielt Johannes Popitz den Ausbau des Umsatzsteuersystems als dringend erforderlich.

Dabei vertrat Johannes Popitz folgende Ansichten:

„Man hatte dabei gegen eine allgemeine Erhöhung des Steuersatzes Bedenken und strebte eine Differenzierung an“17.

„Die Zerrüttung der Reichsfinanzen gegen Ende des Krieges zwang das Reich, sich weitere Einnahmen zu verschaffen. Neben rund einen Dutzend anderen Steuergesetzen wurde dem Reichstag 1918 auch ein neues Umsatzsteuergesetz vorgelegt“18.

Aus diesen Gedanken rührte die Umwandlung des Warenumsatzstempels in eine Umsatzsteu- er durch das am 1. August 1918 in Kraft getretene Reichsumsatzsteuergesetz vom 26. Juli 1918.19 Hierdurch manifestierte sich die Umsatzbesteuerung in Deutschland.20 Während die Umsatzsteuer zuvor einen Teil des Reichsstempelgesetzes dargestellt hat, entwickelte sie sich durch das Umsatzsteuergesetz von 1918 zu einer selbstständigen Reichssteuer.21 Bei der Um- satzsteuer handelte es sich um eine allgemeine Verbrauchssteuer, die sich von allen sonstigen Verbrauchssteuern darin unterschied, dass diese auf alle Warenarten erhoben wurde und der erzielte Preis die Besteuerungsgrundlage darstellte.22 Dabei wurde die Umsatzsteuer auf je- dem Verkaufsvorgang ohne Vorsteuerabzug bis 1968 mit der sogenannten „Allphasen-Brutto- Umsatzsteuer“23 erhoben.

Aufgrund der finanziellen Not nach dem Ersten Weltkrieg wurde mit dem Umsatzsteuergesetz vom 26. Juli 1918 u. a. die steuerliche Belastung durch die Umsatzsteuer von 0,1 % auf 0,5 % erhöht und die Steuerpflicht auf alle Lieferungen und Leistungen ausgedehnt.24 § 1 Abs. 1 UStG 1918 schrieb die Umsatzsteuerpflicht für folgende Lieferungen und Leistungen wie nachstehend vor: „§ 1. (1) Der Umsatzsteuer unterliegen die im Inland gegen Entgelt ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen solcher Personen, die eine selbstständige gewerbliche Tätigkeit mit Einschluss der Urerzeugung und des Handels ausüben, soweit die Lieferungen und Leistungen innerhalb dieser gewerblichen Tätigkeit liegen. Die Steuerpflicht wird nicht dadurch berührt, dass die Leistung auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt.“25

Dabei wurden den Lieferungen die Leistungen gleichgestellt. Die Leistungen aus einer freibe- ruflichen sowie nicht selbstständigen Tätigkeit blieben von der Umsatzbesteuerung jedoch un- berührt.

„Unbestritten gehören zu den freien Berufen die nicht mit Beamteneigenschaft ausgestatteten Repräsentanten der vier Fakultäten: also Geistliche (z. B. freie Prediger und Seelsorger, Ordensangehörige), Rechtsanwälte, Ärzte, Gelehrte, Schriftsteller und Lehrer.“26

Johannes Popitz begründete die Ausscheidung der Freiberufler aus der Umsatzbesteuerung mit der Abgrenzung zur gewerblichen Tätigkeit. Denn eine gewerbliche Tätigkeit erfolgte auf kaufmännischer oder technischer Art, während die Freiberufler wissenschaftlichen oder künstlerischen Tätigkeiten nachgingen. Somit galten auch die approbierten Ärzte als Freiberufler und waren mit ihren Leistungen, auch nach dem Umsatzsteuergesetz von 1918, nicht umsatzsteuerpflichtig.27 Diese Ansicht gleicht der heutigen Auffassung zur Differenzierung von Freiberuflern und Gewerbetreibenden.

Zum Ende des Krieges waren neben den Kriegsschulden in Höhe von 164 Milliarden Mark Reparationsforderungen der Alliierten sowie Folgekosten des Krieges zu leisten.28 Die Re- gierung nahm zur Finanzierung der Ausgaben weitere Kredite bei der Reichsbank auf, wo- durch immer mehr Geld in Umlauf kam. Bei einem gleichbleibenden Güterangebot folgten Preissteigerungen.29 Demnach waren die Geldmenge und das Preisniveau im Jahr 1918 mehr als dreimal so hoch als im Jahr 1914, während die realen Einkommen im gleichen Zeitraum um 3,8 % sanken.30

2.2 Die Weimarer Republik ab 1919

Am 19. Januar 1919 fand die Wahl zur deutschen gesetzgebenden Nationalversammlung in Weimar statt31, die erstmalig durch ein allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht vollzogen wurde.32 Dieses Wahlrecht war später im Artikel 22 der Weimarer Reichsverfassung festgeschrieben worden. Mit einer 83 prozentigen Beteiligung der wahlberechtigten Bevölkerung von 36,766 Millionen Personen waren folgende Ergebnisse zu verzeichnen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Wahlen zur deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 191933

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands erreichte mit 37,9 % die Stimmenmehrheit der Wählerschaft. Dem folgten das Zentrum mit 19,7 % und die Deutsche Demokratische Partei mit 18,5 %. Zusammen bildeten sie die Weimarer Koalition, die eine Stimmengesamtheit von 76 % bei der Wahl zur deutschen Nationalversammlung erzielte.34 Die Koalition hatte unter Reichskanzler Gustav Bauer35 die Weimarer Reichsverfassung geschaffen.36

„Die neue Reichsverfassung gibt dem notwendigen Wiederaufbau des zusammengebrochenen Deutschlands als Grundlage der Rechtsordnung, die nach Lage der Dinge nötig und möglich sind.“37

Im Zuge der Verkündung der Weimarer Reichsverfassung am 11. August 1919 wurde in Deutschland die konstitutionelle Monarchie durch die parlamentarische Demokratie abge- löst.38

„Die Verfassung von Weimar ist nicht im Sonnenglanz des Glückes geboren, sondern im tiefsten Schatten der nationalen Niederlage, des nationalen Unglücks.“39

Im folgenden Abschnitt wird die Steuerausgestaltung innerhalb der Weimarer Republik näher beleuchtet.

2.2.1 Die Erzbergersche Reichsfinanzreform

Durch die nach dem Finanzminister Matthias Erzberger benannte Reichsfinanzreform kam es im Jahr 1919 zum Bruch in der bisherigen Reichsfinanzierung. Nach der Einführung eines neuartigen Reichssteuersystems erhielt das Reich fortan die Kompetenzen über das auf drei Säulen basierte Steuersystem: 1. Die Einkommens- und Gewinnsteuern, 2. Die Konsum- und Umsatzbesteuerung sowie 3. Die Erbschafts- und Grunderwerbssteuern. Durch diese Reform erlang die Umsatzsteuer eine gleichberechtigte Stellung gegenüber den anderen Steuerarten.40

Aufgrund der Übertragung der Finanzverwaltung auf das Reich dominierten nun nicht mehr die einzelnen Länder in der Finanzpolitik. Das Reich erhielt infolge der Reform eine finanzielle Vormachtstellung, die die Länder und Kommunen schwächte.41 Denn die Entscheidungen des Reiches waren nach Art. 8 S. 2 RV nur soweit begrenzt, dass es auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen hatte. Weiterhin behielten die Länder nach Art. 12 Abs. 1 RV solange das Recht auf die Steuerhoheit, bis das Reich von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch machte und die Steuern einzog.

Damit nahmen die Länder und Kommunen die Stellung des Kostgängers ein, das zugleich eine Verringerung der politischen Einflussmacht bedeutete.42

Das Reich erhielt u. a. die gesamten Einkommens- und Verbrauchssteuern, 85 % der Umsatz- steuer und 80 % der Erbschaftssteuer. Die Differenzen wurden auf die Länder und Gemeinden aufgeteilt.43

2.2.2 Das Umsatzsteuergesetz 1919

Da der Finanzhaushalt weiterhin nicht ausreichend gedeckt werden konnte und die Inflations- rate immer mehr anstieg,44 wurde u. a. mit dem UStG vom 24. Dezember 191945 der Regel- satz der Umsatzsteuer auf 1,5 % verdreifacht und die Steuerpflicht auf die Umsätze der freien Berufe ausgedehnt.46 Somit unterlagen die Umsätze aller selbstständigen Erwerbstätigen der Umsatzbesteuerung.47 Seitens der Vertreter von Industrie, Handel und Handwerk sowie der Finanzverwaltung bestand kein Grund, die Leistungen der freien Berufe anders zu behandeln als die Leistungen der übrigen Wirtschaftszweige. Dennoch versuchten die Angehörigen der freien Berufe immer wieder in den folgenden Umsatzsteuerreformen ihr Interesse einer Um- satzsteuerbefreiung durchzusetzen, mit der Begründung, dass deren geistige Leistungen mit Waren gleichgesetzt werden.48 Der Gesetzgeber war allerdings der Auffassung, dass es sich auch bei wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeiten um einen Erwerb handelte und stellte in diesem Zusammenhang den Grundsatz der Allgemeinheit dieser Umsatzsteuer in den Vordergrund.49

Im § 1 UStG 1919 hieß es:

„Der Umsatzsteuer unterliegen: 1. Lieferungen und sonstige Leistungen, die jemand innerhalb der von ihm selbstständig ausgeübten gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Inland ge- gen Entgelt ausführt. Als gewerbliche Tätigkeit gelten für dieses Gesetz auch die Urerzeugung und der Handel. Die Steuerpflicht wird weder dadurch ausgeschlossen, dass die Absicht, Ge- winn zu erzielen, fehlt, oder ein Verein, eine Gesellschaft oder eine Genossenschaft, die nur an die eigenen Mitglieder liefern, die Tätigkeit ausüben, noch dadurch, dass die Leistung auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vor- schrift als bewirkt gilt;[…]“.50

Der Gesetzgeber verließ mit dieser Vorschrift den Gewerbebegriff und stellte stattdessen auf die geschäftliche oder berufliche Tätigkeit ab. Das Ziel der Gesetzgebung lag hierfür in der Einbeziehung aller Tätigkeitsarten des Wirtschaftslebens in die Besteuerung.51

2.2.3 Die wirtschaftliche Entlastung der Krankenkassen

Ursprünglich war im UStG 1919 eine voll umfängliche Umsatzsteuerpflicht der Ärzte angedacht, die eben auch die freien Berufe in die Umsatzsteuerpflicht einbezog.

In der dritten Lesung des UStG 1919 wurde dennoch nach erneuter Antragstellung, die von allen Parteien unterstützt wurde, einer Umsatzsteuerbefreiung der Leistungen der Krankenkassen und sonstigen Versicherungsträger für die Sozialversicherung zugestimmt,

„[…] weil man eine Erhöhung der den Ärzten von den Krankenkassen zugebilligten Gebüh- rensätze und damit neue Tarifkämpfe befürchtete und die finanzielle Lage der Krankenkassen besonders schlecht sei. Die Besteuerung ist steuertechnisch nicht unbedenklich, weil sie die einheitliche Steuerpflicht des Arztes durchbricht, der nun mit einem Teil seiner Einkünfte um- satzsteuerfrei ist“52.

Der Grundgedanke der weiter bestehenden Umsatzsteuerbefreiung für ausschließlich ärztliche und ähnliche Hilfeleistungen, die von den Krankenkassen getragen wurden, lag demzufolge in der wirtschaftlichen und finanziellen Entlastung der Versicherungsträger. Dabei handelte es sich um die reichsgesetzlichen Krankenkassen, welche die allgemeine Orts-, Land-, Betriebs- und Innungskrankenkasse darstellten. Die knappschaftliche Krankenkasse sowie Ersatzkassen und zugelassene Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit standen den reichsgesetzlichen Krankenkassen in der Beziehung gleich. All diese galten als Leistungsberechtigte, die für die Honorare der ärztlichen Leistungen für die versicherten Personen aufkamen. Dabei war es unerheblich, ob ein Pflichtversicherungsverhältnis oder eine freiwillige Krankenversiche- rungsmitgliedschaft bestand. Der Arzt oder ein Subjekt, welches ähnliche Hilfeleistungen aus- übte, nahm in diesem Zusammenhang die Stellung als Leistungsverpflichteter gegenüber den Patienten ein. Darüber hinaus waren auch ärztliche Behandlungen und ähnliche Hilfeleis- tungen an Kriegsgeschädigte und deren Hinterbliebene von der Umsatzsteuer befreit.53

Die steuerbefreiende Vorschrift nach § 2 Nr. 9 UStG 1919 lautete:

„Von der Besteuerung sind ausgenommen: […] ärztliche und ähnliche Hilfeleistungen, soweit die Entgelte für sie von den reichsgesetzlichen Krankenkassen und knappschaftlichen Krankenkassen zu zahlen sind“54.

Aufgrund der vorgesehenen Entlastung der Krankenkassen wurde für die Umsatzsteuerbefreiung der Heilbehandlungen die kassenmäßige Kostenübernahme vorausgesetzt. Die Behandlungen der Patienten waren durch approbierte Ärzte und ärztliches Hilfspersonal zu erbringen, die im Sinne des § 122 RVO über besondere Fachkunde verfügten. Die Beherbergung und Beköstigung der Patienten stellten jedoch keine umsatzsteuerbefreiten Leistungen dar.55 Ähnliche Hilfeleistungen hingegen, die von Bader, Hebammen, Heildiener, Heilgehilfen, Krankenwärter, Masseure sowie Zahntechniker auf ärztliche Anordnung erbracht wurden, waren ebenso von der Umsatzsteuerpflicht nach § 122 RVO befreit.

Weiterhin waren auch die Lieferungen von Arzneimitteln durch Apothekenbesitzer oder Apo- thekenverwalter an Arztpraxen als ähnliche Hilfeleistungen, von der Umsatzsteuer befreit.56 Der Reichsfinanzhof wies in seinem Urteil vom 12. Dezember 1922 auf die Umsatzsteuer- pflicht von Auslagen eines praktizierenden Arztes für Arzneimittel und Verbandstoffe hin, die er in seinem Namen zur Verabreichung mehrerer Patienten aus der Apotheke bezog.

Der Reichsfinanzhof war weiterhin der Auffassung, dass zum steuerpflichtigen Entgelt im Sinne des § 8 UStG 1919 alles gehörte, was der Leistungsempfänger zahlte, um die Leistung in Anspruch nehmen zu können und was der Leistende aufwenden musste, um die Leistung durchführen zu können. Die Auslagen des Arztes wurden mit den Auslagenpauschsätzen eines Rechtsanwalts verglichen, dessen Umsatzsteuerpflicht vom Reichsfinanzhof bestätigt wurde.57 Auf Grundlage dieser Charakteristika wurde das Umsatzsteuergesetz in seinen Grundlagen in den darauffolgenden Jahren immer weiter ausgebaut.58

2.2.4 Die Umsatzsteuer im wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands

Die Umsatzsteuer galt als wichtigste Einnahmequelle des Staates.59 Durch die proportionale Anpassung der Umsatzsteuer an dem fallenden Geldwert und den Erlass von Steuernotver- ordnungen ergaben sich die in den darauffolgenden drei Jahren um jeweils 0,5 % steigenden Regelsätze der Umsatzsteuer. Im Jahr 1923 erreichte dieser im Rahmen der zweiten Steuer- notverordnung den höchsten Umsatzsteuersatz mit 2,5 % in der Weimarer Republik.60 Wei- terhin griff der Staat mit dieser Notverordnung erstmalig in das privatrechtliche Verhältnis zwischen Ärzten und Kassen ein, indem ein Reichsausschuss für Ärzte und Krankenkassen gegründet und eine Richtlinie über die Zulassung zum Kassenarzt erlassen wurde.61

Mit der Einführung der Rentenmark durch die Währungsreform 1923 und die stabilisierende Wirkungen der Steuernotverordnungen konnte die vorherrschende Inflation zunächst gemil- dert werden. Das Reich erhielt dadurch kurzzeitig finanzielle Stabilität, die einen Aufbau der staatlichen Finanzen ermöglichte.62 Im Rahmen des Dawes-Plans wurde die Rentenmark im August 1924 durch die Reichsmark abgelöst, da diese durch Gold und wertbeständige Finanz- mittel gedeckt war und somit Währungsstabilität garantiert werden konnte.63 Zur Förderung der deutschen Wirtschaft wurde im Dawes-Plan außerdem eine internationale Anleihe in Hö- he von 800 Millionen Goldmark beschlossen. In den darauffolgenden Jahren kam es zur Auf- nahme weiterer Auslandsanleihen, um den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands zu ermöglichen.64 Die vorübergehende Krisenbewältigung führte bis 1926 zu einer auf mehreren Gesetzesänderungen basierende Senkung des Regelsteuersatzes der Umsatzsteuer auf 0,75 %. Da eine Abschaffung der Umsatzsteuer nicht in Betracht gezogen wurde, wird ersichtlich, dass der ursprüngliche Gedanke zur Einführung der Umsatzsteuer nicht ausschließlich in der Bewältigung der Kriegs- und Krisenfinanzierung lag.65

Der wirtschaftliche Aufschwung spiegelte sich im Wachstum der produzierenden Industrie und der Landwirtschaft sowie in der Vollbeschäftigung wider,66 der überwiegend durch große Auslandsanleihen finanziert wurde. Diese stellten allerdings kurzfristige Anleihen dar, die jederzeit abgerufen werden konnten. Im Oktober 1929 brach die Weltwirtschaftskrise durch den Börsencrash in New York aus, die zu Massenarbeitslosigkeit in Deutschland führte.67 Weiterhin wurde auch in der Sitzung des Kabinetts Müller II vom 12. Dezember 1929 auf die Entwicklung des Haushaltsdefizites in Höhe von 330 Millionen Reichsmark hingewiesen. Die Verabschiedung des Reichshaushalts für die Jahre 1930 und 1931 galt als schwierigste Hinter- lassenschaft der Großen Koalition, bei der das bestehende Defizit durch Kreditaufnahmen und Erschließung neuer Steuerquellen gemindert werden sollte.68 Hierzu wurde auch der allge- meine Umsatzsteuersatz von 0,75 % auf 0,85 % zum 1. April 1930 erhöht.69

2.2.5 Das UStG 1932 nach der Neuregelung des Ärztevergütungssystems

Durch die vierte Notverordnung vom 8. Dezember 193170 erhielt der kassenärztliche Dienst eine Neuregelung, welche zur Schaffung von Kassenärztlichen Vereinigungen beitrug. Hierzu hieß es in der vierten Notverordnung Teil V § 1:
„(1) Der kassenärztliche Dienst wird durch schriftlichen Vertrag der Krankenkassen und Ärzte geregelt.
(2) Zu diesem Zwecke schließen die Krankenkassen (Kassenverbände, Kassenvereinigungen) und die beteiligten kassenärztlichen Vereinigungen Gesamtverträge. […]“71.

Seitdem stellte der Arzt seine einzelnen Leistungen an die Versicherten nicht mehr der Krankenkasse in Rechnung. Stattdessen zahlte die Krankenkasse eine nach bestimmten Sätzen errechnete Gesamtvergütung mit befreiender Wirkung an die kassenärztliche Vereinigung. Diese verteilte die Gesamtvergütung an die ihr angeschlossenen Ärzte. Die Verteilung erfolgte dabei nach einem mit der Krankenkasse vereinbarten Maßstab unter Zugrundelegung von Abrechnungen, die die Ärzte eingereicht hatten.72

Es stellte sich die Frage, ob trotz der Zwischenschaltung der kassenärztlichen Vereinigung eine Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Hilfsleistungen gewährt werden konnte. Im § 2 Nr. 13 UStG 1932 war die Umsatzsteuerbefreiung für ärztliche Hilfeleistungen wie folgt ge- regelt:

„Von der Besteuerung sind ausgenommen: […] 13. Die ärztlichen und ähnlichen Hilfe- leistungen, die Lieferungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, soweit Entgelte dafür von den reichsgesetzlichen Versicherungsträgern, den Krankenkassen der selbstständigen Handwerker und Gewerbetreibenden sowie den Ersatzkassen (§§ 503ff. der Reichsversicherungsordnung) zu zahlen sind. Dasselbe gilt auch für Heilanstalten und Krankenhäuser, soweit sie das Heil- verfahren im Auftrag von reichsgesetzlichen Versicherungsträgern durchführen“.

Der Reichsfinanzhof hat am 15. Oktober 1935 durch das Urteil V A 483/35 entschieden, dass die Steuerfreiheit für ärztliche Hilfeleistungen auch dann gegeben war, wenn aufgrund einer Rechtsverordnung zwischen dem Arzt als Leistungsverpflichteter und dem Versicherungsträger eine kassenärztliche Vereinigung stand.

Das Umsatzsteuergesetz von 1932 bewirkte weiterhin eine erneute Erhöhung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes von 0,85 % auf 2 % zum 1. Januar 1932.73

2.3 Umsatzsteuerliche Entwicklung unter dem Nationalsozialismus

Durch die Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und den da- rauffolgenden Aufstieg des Nationalsozialismus wurde der Weimarer Republik ein Ende ge- setzt.74 Die Gewaltenteilung wurde aufgehoben und durch die Zerschlagung der Länder zen- tralisierte sich die Macht ausschließlich in Berlin.75 Die bisherige steuerpolitische Zielsetzung der Finanzierung von staatlichen Tätigkeiten bezüglich der Bewältigung der Kriegsfolgen und Weltwirtschaftskrise wechselte durch die Machtergreifung Hitlers in die wirtschaftspolitische Richtung, um die Wirtschaft anzukurbeln und aufzurüsten.76 Demnach war die Politik zum einen auf die Verringerung der Arbeitslosenquote und Steigerung des Volkseinkommens aus- gerichtet. Zum anderen sollte die Industrie durch Investitionen und Rüstungsvorhaben ge- stärkt werden, dessen Produktionstätigkeit durch die Wirtschaftskrise um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Jahr 1928 gesunken war.77

Durch die Reinhardtsche Steuerreform von 1934 geriet das Steuerrecht zunehmend unter den Einfluss der nationalsozialistischen Ideologie, worin zugleich auch der Kernpunkt der Steuerreform bestand. Dazu wurde die Steuerverwaltung ausgebaut und ihre Stellung gegenüber den Steuerpflichtigen verstärkt.78 Aus der nachstehenden Tabelle wird ersichtlich, dass die Umsatzsteuer in den Rechnungsjahren 1932 bis 1935 nahezu die Hälfte des gesamten Steueraufkommens des Reiches betrug.79

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Übersicht über das Steueraufkommen in Millionen RM80

An den Grundzügen des alten Staates der Weimarer Republik wurde unter nationalsozialistischer Regierung auch weiterhin festgehalten. Denn im Fortbestand des bisherigen Steuersystems lag eine wichtige Voraussetzung für die Sicherung der Herrschaft. Dabei wurden die Elemente des alten Staates, wie das Steuersystem, die Vertragstreue, das Zivilrecht und das Recht auf Eigentum bewahrt. Denn ohne diese hätte das privatwirtschaftliche System nicht funktionieren können.81 Der Regelsatz für die Umsatzsteuer blieb unverändert bei 2 %. Um die umsatzsteuerlichen Erträge im bisherigen Aufkommen auch künftig sichern zu können,82 wurden u. a. die Steuerbefreiungsvorschriften der §§ 2 und 3 des bisherigen UStG 1932 im § 4 UStG eingeschränkt und zusammengefasst. Die Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen und ähnlichen Leistungen waren im § 4 Nr. 11 UStG 1934 geregelt:83

„Von den unter § 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei: […] 11. Die ärztlichen und ähnlichen Hilfeleistungen, die Umsätze von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, soweit Entgelte dafür von den reichsgesetzlichen Versicherungsträgern, den Ersatzkassen im Sinn der Reichsversicherungsordnung, den Krankenkassen der selbstständigen Handwerker und Gewerbetreibenden und den Landes- und Bezirksfürsorgeverbänden zu zahlen sind. Dasselbe gilt auch für Heilanstalten und Krankenhäuser, soweit sie das Heilverfahren im Auftrag der reichsgesetzlichen Versicherungsträger, der Ersatzkassen im Sinn der Reichsversicherungsordnung und der Landes-und Bezirksfürsorgeverbände durchführen“.

An dieser Vorschrift ist erkennbar, dass die Befreiung der ärztlichen und ähnlichen Hilfeleistungen weiterhin auch unter nationalsozialistischer Regierung aufgrund der wirtschaftlichen Entlastung der Krankenkassen gewährt wurde.

2.4 Die Finanzwirtschaft Deutschlands nach Kriegsende bis 1951

Nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 brach in Deutschland neben der politischen Herrschaft auch die wirtschaftliche Ordnung zusammen.84 Die Alliierten übernahmen die oberste Gewalt in Deutschland.

Sie bildeten hierbei gemeinsam mit dem alliierten Kontrollrat ein zentrales Regierungsgremium.85 Die Zielsetzungen der Alliierten lagen vorrangig in der Entnazifizierung Deutschlands, Durchführung von Reparationsarbeiten sowie im Abbau der Rüstungsindustrie. Bei deren Umsetzungen drifteten jedoch die Zielvorstellungen der einzelnen Alliierten auseinander. Daraus resultierten unterschiedliche Ausprägungen im Wiederaufbau der öffentlichen Finanzen in den jeweiligen Zonengebieten.86 Während die Sowjetunion und Frankreich in den Reparationen das Hauptziel sahen, waren die Engländer und Amerikaner an einer wirtschaftlichen und politischen Schwächung Deutschlands interessiert.87 Alle Besatzungsmächte wollten auf die wirtschaftlichen Ressourcen Deutschlands zugreifen, um die Besatzungs- und Reparationskosten mit Steuergeldern zu finanzieren.

Das Steuerrecht gehörte zu den wenigen Gebieten, auf denen eine Einigung erzielt werden konnte. So schrieb der alliierte Kontrollrat das bereits bestehende Steuerrecht einheitlich für alle Zonen verbindlich fest.88

2.4.1 Maßnahmen zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft

Bedingt durch den Produktionseinbruch und der vorherrschenden hohen Arbeitslosigkeit san- ken im Jahr 1945 die staatlichen Einnahmen. Vor allem waren die Einnahmen aus Umsatz- und Körperschafts- sowie Einkommenssteuer betroffen, wodurch das staatliche Haushalts- defizit immer mehr anstieg.89 Zur Verringerung der Budgetdefizite und der Arbeitslosigkeit erließ der Kontrollrat zum 1. Januar 1946 die Februargesetze, die vorwiegend Änderungen in den Steuersätzen und nicht im geltenden Steuerrechtssystem vornahmen. Somit stiegen u. a. der Steuersatz für die Umsatzsteuer um die Hälfte auf 3 % und der Einkommenssteuer- spitzensatz auf 95 % an.90 Entgegen der gewünschten Zielerreichung haben sich die unter- nehmerischen Investitionstätigkeiten aufgrund der hohen Steuerbelastung verringert. Auch die Arbeitsbereitschaft der Bevölkerung wurde wegen der erschütterten Steuermoral gedämpft.91

Um der steigenden Inflation ein Ende zu setzen, was die Februargesetze nicht erreichen konn- ten, wurde am 20. Juni 1948 in den drei Westzonen die Reichsmark durch die Deutsche Mark abgelöst. Mit diesem Schritt vollzogen die Westalliierten den entscheidenden Schritt zur Spal- tung Deutschlands.92 Damit wurde „Die Einheit des Geldumlaufes - die Grundlage der wirt- schaftlichen Verbundenheit der einzelnen Gebiete des Landes […]“93 zerstört. Drei Tage spä- ter folgte die Durchführung der Währungsreform in der sowjetischen Besatzungszone.94

Diese sollte den drohenden starken Zufluss der Reichsmark und die daraus steigende Inflation verhindern.95

Die Reformdurchführung mit gleichzeitigem Übergang zur freien Marktwirtschaft stellte eine wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau dar, der sich z. B. in Form von Investitionstätigkeiten der Unternehmen widerspiegelte.96 Auch Änderungen im Steuer- recht erschienen schon zu diesem Zeitpunkt als notwendig, um die übernommenen Rege- lungen aus der Weimarer Republik und dem NS-Regime den Erfordernissen der Nachkriegs- zeit anzupassen.97 Die Änderung des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 schaffte die dazu- gehörige Basis: die Neugestaltung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern wurde vorgenommen, wodurch auch die Trennung deren Finanzverwaltungen erfolgte. Die Umsatz- steuern flossen ausschließlich dem Bund nach Art. 106 GG zu. Die Bundesfinanzbehörde übernahm nach Art. 108 GG die Verwaltung über die Umsatzsteuern.98

2.4.2 Das Umsatzsteuergesetz aus dem Jahr 1951

Mit dem zum 1. Juli 1951 gültigen Umsatzsteuergesetz ist der Regelsatz für die Umsatzsteuer erneut auf 4 % erhöht worden.99 “Die Erhöhung der Steuersätze ist eine durch die Notlage des Bundes bedingte, hoffentlich nicht ewige, Maßnahme.“100 Die nationale Vorschrift des § 4 Nr. 11 UStG erfuhr durch das Umsatzsteuergesetz 1951 keine Änderungen.101 Die Ersatzkassen fanden in dieser Vorschrift keine Berücksichtigung mehr, da diese seit dem 1. Januar 1936 den reichsgesetzlichen Versicherungsträgern angehörten.102 Jedoch hat sich der BFH zu den Voraussetzungen der Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Hilfeleistungen geäußert:

Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sah die Umsatzsteuerbefreiung ärztlicher Hilfe- leistungen nach § 4 Nr. 11 UStG in Verbindung mit Nr. 3 des § 38 der Durchführungsbe- stimmungen zum Umsatzsteuergesetz nur dann vor, wenn durch die ärztliche Leistung eine Verpflichtung des Versicherungsträgers aus einem Versicherungsverhältnis erfüllt wurde. Zudem stellten weiterhin die Behandlung durch den Arzt sowie die Entgeltzahlung des Versi- cherungsträgers für diese Leistung die Voraussetzungen für die Umsatzsteuerbefreiung dar.103 Die Steuerbefreiung galt dabei unabhängig davon, ob ein pflichtversicherter oder freiwillig versicherter Status bestand.104 Grundlegend stellten die Umsätze an die reichsgesetzlichen Versicherungsträger die Grundvoraussetzung für die Steuerbefreiung dar.105

[...]


1 Vgl. BFH, Urteil v. 29.01.1998, Az. V R 3/96.

2 Vgl. Spilker, B., 2006, S. 169 ff.

3 Vgl. Deutscher Bundestag, o. J., in: Die Reichsverfassung 1871.

4 Blanke, H.-J..; Schwanengel, W., 2005, S. 130.

5 Vgl. Blanke, H.-J..; Schwanengel, W., 2005, S. 130.

6 Bundesministerium der Finanzen, 2010, in: Finanzen und Steuern im deutschen Kaiserreich.

7 Vgl. Kirchhof, P., 2008, S. 1.

8 Vgl. Holtfrerich, C.-L., 1986, S. 201.

9 Vgl. Bundesministerium der Finanzen, 2010, in: Finanzen und Steuern im deutschen Kaiserreich.

10 Vgl.Holtfrerich, C. - L., 1980, S. 112, zit. nach Universität Münster, 2012.

11 Eigene Abbildung in Anlehnung an Holtfrerich, C. - L., 1980, S. 112, zit. nach Universität Münster, 2012.

12 Vgl. RGBl. 1916, S. 639.

13 Vgl. Holtfrerich, C.-L., 1986, S. 35 f.

14 Popitz, J., 1918, S. 1.

15 Vgl. RGBl. 1916, S. 639.

16 Hübschmann, W. in: Hübschmann, W.; Grabower, R.; Beck, E., 1966, S. 3, Rn. 1.

17 Popitz, J., 1921, S. 12.

18 Schulze-Teichert, G., 1937, S. 45.

19 Vgl. Popitz, J., 1921, Einleitung S. 12 ff.

20 Vgl. Laubert, T., 2009, S. 23.

21 Vgl. BT.-Drucksache v. 06.12.1955, II/1924, S. 5.

22 Vgl. Popitz, J., 1921, Einleitung, S. 3.

23 Vgl. Zeit Online, 1963, in: Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer.

24 Vgl. Kirchhof, P., 2008, S. 1.

25 RGBl. 1918, S. 779.

26 Popitz, J., 1918, S. 61.

27 Vgl. Popitz, J., 1918, S. 60.

28 Vgl. stern.de, 2010, in: Rückzahlung abgeschlossen, Deutschland hat keine Kriegsschulden mehr.

29 Vgl. Deutsche Bundesbank v. 15.10.2012, in: Inflation - Lehren aus der Geschichte.

30 Vgl. Deutsche Bundesbank, 1976, S. 2; Maddisson, A., 1991, S. 212; 301, zit. nach Universität Münster, 2012.

31 Vgl. Bracher, K.-D., Funke, M., Jacobsen, H.-A., 1988, S. 630.

32 Vgl. Deutsches Historisches Museum, o. J., in: Parteien, Wahlen und Wahlrecht in der Weimarer Republik.

33 Eigene Abbildung in Anlehnung an Bracher, K.-D. u. a., 1988, S. 630.

34 Vgl. Deutsches Historisches Museum, o. J., in: Innenpolitik.

35 Vgl. Kolb, E., 2002, S. 34.

36 Vgl. Preuss, H., 2008, S. 94.

37 Preuss, H., 2008, S. 94.

38 Vgl. Deutscher Bundestag, o. J., in: Weimarer Republik (1918 - 1933).

39 Preuss, H., 2008, S. 87.

40 Vgl. Blanke, H.-J..; Schwanengel, W., 2005, S. 130.

41 Vgl. Der Tagesspiegel, 2007, in: Weimarer Finanzverfassung, Am kurzen Zügel des Reiches.

42 Vgl. Blanke, H.-J.; Schwanengel, W., 2005, S. 130.

43 Vgl. Deutsche Geschichten, o. J., in: Finanzpolitik und Wirtschaftsentwicklung.

44 Vgl. Deutsches Historisches Museum, o. J., in: Die Inflation von 1914 bis 1923.

45 Vgl. RGBl. 1919, S. 2157.

46 Vgl. Kirchhof, P., 2008, S. 1.

47 Vgl. Popitz, J., 1921, S. 68.

48 Vgl. Heilmann, M., 1975, S. 360.

49 Vgl. BT.-Drucksache v. 06.12.1955, II/1924, S. 29.

50 RGBl. 1919, S. 2157.

51 Vgl. Popitz, J., 1921, S. 139.

52 Popitz, J., 1921, § 2 Nr. 9, S. 266.

53 Vgl. Popitz, J., 1921, § 2 Nr. 9, S. 266.

54 Popitz, J., 1921, § 2 Nr. 9, S. 266.

55 Vgl. RFH 5. Senat, Urteil v. 30.06.1922, V A 270/ 21.

56 Vgl. Popitz, J.,1921, § 2 Nr. 9, S. 265.

57 Vgl. RFH 5. Senat, Urteil v. 12.12.1922, VA 564/22.

58 Vgl. Franke, H., 1941, S. 13 f.

59 Vgl. Holtfrerich, C.-L., 1986, S. 208.

60 Vgl. Schulze-Teichert, G., 1937, S. 46.

61 Vgl. Kassenärztliche Vereinigung Hamburg, o. J., in: Zur Geschichte des KV-Systems.

62 Vgl. Ullmann, H.-P., 2005, S. 106.

63 Vgl. Deutsches Historisches Museum, o. J., in: Die Währungsreform 1923.

64 Vgl. Deutsches Historisches Museum, o. J., in: Aufnahmen langfristiger Auslandsanleihen im Deutschen Reich 1924-1933.

65 Vgl. Franke, H., 1941, S. 20 ff.

66 Vgl. Deutsches Historisches Museum, o. J., in: Industrie und Wirtschaft.

67 Vgl. Knappmann, L., 2004, S. 1.

68 Vgl. Die Sanierungspolitik des Kabinetts Brüning I, in: Akten der Reichskanzlei.

69 Vgl. Plückebaum, K., 1953, § 7 Abs. 1, S. 680.

70 Vgl. RGBl. I 1931, S. 718.

71 RGBl. I 1931, S. 718.

72 Vgl. BFH, Urteil v. 30.09.1954, Az. V 153/53 U, Rn. 5.

73 Vgl. Plückebaum, K., 1953, § 7 Abs. 1 S. 680.

74 Vgl. Deutscher Bundestag, o. J., in: Nationalsozialismus (1933 - 1945).

75 Vgl. Hacke, C., 2012, S. 18.

76 Vgl. Bundesministerium der Finanzen, 2010, in: Von der Wirtschaftskrise 1929 zum Zusammenbruch 1945.

77 Vgl. Schauer, R.-E., 2002, S. 30.

78 Vgl. Hacke, C., 2012, S. 19.

79 Vgl. Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, 1949, S. 556 f.

80 Eigene Abbildung in Anlehnung an Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, 1949, S. 556 f.

81 Vgl. Hacke, C., 2012, S. 18.

82 Vgl. ebd.

83 Vgl. RGBl. I 1934, S. 942.

84 Vgl. Muscheid, 1986, S. 24.

85 Vgl. Borchardt, K.; u. a., 1964, S. 204.

86 Vgl. Ullmann, 2005, S. 180.

87 Vgl. Muscheid, 1986, S. 26.

88 Vgl. Ullmann, 2005, S. 180.

89 Vgl. Schneider, U., 1980, S. 102 ff.

90 Vgl. Zink, H., 1957, S. 270 ff.

91 Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 1947, S. 225.

92 Vgl. Muscheid, 1986, S. 29.

93 Renger, R., 1990, S. 27.

94 Vgl. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, o. J., in: Entstehung zweier deutscher Staaten: Währungsreform.

95 Vgl. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, o. J., in: Entstehung zweier deutscher Staaten: Währungsreform.

96 Vgl. Muscheid, 1986, S. 30.

97 Vgl. ebd., S. 31.

98 Vgl. BGBl. 1949, S. 1 ff.

99 Vgl. BGBl. 1951, S. 402.

100 Plückebaum, K.; Malitzky, H., 1953, S. VI.101 BGBI. I 1951, S. 791.

102 Vgl. Sölch, O.; Ringleb, K., 1957, § 4 Rn. 203.

103 Vgl. BFH, Urteil v. 22.07.1954, Az. V 25 52 S.

104 Vgl. Sölch, O.; Ringleb, K., 1957, § 4 Rn. 206.

105 Vgl. BFH, Urteil v. 22.07.1954, Az.V 25 52 S.

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Heilbehandlungen im Spiegel der 90-jährigen Umsatzsteuergeschichte
Hochschule
Hochschule Wismar
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
56
Katalognummer
V273151
ISBN (eBook)
9783656663072
ISBN (Buch)
9783656663119
Dateigröße
675 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Umsatzsteuer, Umsatzsteuerbefreiung, Umsatzsteuergeschichte, Heilbehandlungen, Umsatzsteuerrecht Arzt
Arbeit zitieren
Lisanne Leder (Autor:in), 2014, Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Heilbehandlungen im Spiegel der 90-jährigen Umsatzsteuergeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273151

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Umsatzsteuerbefreiung von ärztlichen Heilbehandlungen im Spiegel der 90-jährigen Umsatzsteuergeschichte



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden