Erklärungsansätze von Wechselwahlverhalten in Deutschland


Seminararbeit, 2014

22 Seiten, Note: 1.0

Jules Buch (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretische Erklärungsmodelle für Wahlverhalten
2.1 Der soziologische Ansatz
2.2 Der sozialpsychologische Ansatz

3. Empirische Befunde zur Wechselwahl in Deutschland
3.1 Aggregatbasierte Verfahren
3.2 Individualbasierte Verfahren

4. Erklärungsansätze für wechselndes Wahlverhalten
4.1 Thesen des Wählerwandels
4.2 Wechselwahl in den soziologischen Ansätzen
4.3 Wechselwahl im sozialpsychologischen Ansatz

5. Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„Wechselwähler sind das Salz in der Suppe des politischen Wettbewerbs in der Demokratie“ (Schoen 2003: 15). Denn wenn nicht Teile des Wahlvolks bei einer Wahl, von Ihrer Stimmvergabe bei der vorherigen Wahl abweichen würden, würden zwar Schwankungen in der Wahlbeteiligung bei dem jeweiligen Endergebnis entstehen, jedoch aber keine bedeutenden Änderungen. Der Wechselwähler besetzt eine bedeutende Position im demokratischen System und spielt bei der Strategieauswahl der Parteikandidaten eine erhebliche Rolle. Wechselwahlverhalten verhindert Stagnation und hält mehr als andere Segmente im Elektorat „den Schlüssel zu Wahlerfolgen in der Hand“ (Schoen 2003: 15). Doch ist wirklich ein Anstieg von wechselndem Wahlverhalten zu verzeichnen? Diese Frage möchte ich versuchen im Verlauf meiner Arbeit zu beantworten. Wenn dies zutrifft, werde ich im weiteren Verlauf auf die Gründe hierfür eingehen und versuchen, an Hand verschiedener Erklärungsansätze für Wahlverhalten, den Wechselwahlanstieg zu erklären.

Zu Beginn meiner Arbeit werde ich zwei verschiedene Erklärungsmodelle für Wahlverhalten vorstellen. Anschließend werde ich mich der Frage zuwenden, ob es wirklich zu einer deutlichen Zunahme der Volatilität im Wahlverhalten gekommen ist und dies an Hand von einigen empirischen Befunden darlegen. Ich werde die Wählerbewegungen in Deutschland zum einen auf der Individualebene, auf Basis von Recall-Befragungen, zum anderen auf der Aggregatebene, insbesondere mit dem Volatilitätsindex darlegen. In Anschnitt 4 werde ich versuchen zu erklären, wie es zu diesen Veränderungen im Wahlverhalten kam. Ich werde einige Ursachen hierfür aufzeigen und im Anschluss verschiedene Erklärungsansätze beleuchten, mit denen das Phänomen Wechselwahl zu erklären ist. Abschließend werde ich mich der Frage zuwenden, welcher Erklärungsansatz am besten geeignet ist, um instabiles Wahlverhalten zu erklären.

2.Theoretische Erklärungsmodelle für Wahlverhalten

Die Forschung begann Mitte des 20. Jahrhunderts Theorien des Wählerverhaltens zu entwickeln. Theorien der Soziologie, Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften wurden weiterentwickelt und schließlich dazu benutzt Wahlverhalten zu erklären. So entstanden drei unterschiedliche Ansätze zur Erklärung von Wahlverhalten, deren sich die Forschung heute bedient (Schoen 2009: 182). Hierzu gehören der soziologische, der sozialpsychologische und der rationalistische Ansatz. Alle drei Ansätze setzten bei der Erklärung von Wahlverhalten unterschiedliche Schwerpunkte. Jedoch bauen sie auch teilweise aufeinander auf und sind sehr eng miteinander verknüpft (Roth 2008: 29). Da sich meine Arbeit auf die Frage bezieht, wie wechselndes Wahlverhalten zu erklären ist, werde ich den rationalistischen Erklärungsansatz, der Wahlverhalten mit dem Kosten-Nutzen-Kalkül erklärt und nach dem sich ein Wähler nur dafür entscheidet in der nächsten Wahlperiode eine andere Partei zu wählen, wenn er nach der letzten Wahl mit der Arbeit der gewählten Partei unzufrieden war, vernachlässigen (Roth 2008: 51). Um wechselndes Wahlverhalten zu erklären, spielt dieser Ansatz in der Forschung eine eher nachgeordnete Rolle, obwohl er im Vergleich zu den beiden anderen Ansätzen einen „politischeren Charakter“ aufweist (Schoen 2005b: 381). Jedoch sind nur wenige empirische Belege zu finden, in denen belegt ist, „dass Bürger mit einem Parteiwechsel zu einer Partei übergehen, die ihren Policy-Präferenzen näher kommt als die früher gewählte“ (Schoen 2005b: 381). Auf Grund dieser Probleme und dass es über den Rahmen dieser Hausarbeit hinausgehen würde, beziehe ich mich nachfolgend lediglich auf den soziologischen- und den sozialpsychologischen Ansatz.

2.1 Der soziologische Ansatz

Der makrosoziologische Ansatz geht zurück auf Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan. Mit ihrer Schrift „Party Systems and Voter Alignments“ wollten sie lediglich versuchen die Entstehung von Parteisystemen zu erklären, dabei gelang es ihnen jedoch Aussagen bezüglich der Sozialstruktur und dem Wahlverhalten zu treffen. Das Konzept „Cleavage“ bildet den Ausgangspunkt ihrer Schrift und meint gesellschaftliche Spannungslinien zwischen Großgruppen, die mindestens über zwei soziale Merkmale verfügen. Diese Konfliktlinien beeinflussen die Entstehung des Parteiensystems. Durch diesen Prozess entstehen Parteien, die die Interessen ihrer jeweiligen Gruppe vertreten, die Großgruppe bildet das Wahlvolk der entstandenen Partei. So brachte die Großgruppe Arbeiter beispielsweise die SPD hervor. Wenn es also zu Konflikten zwischen zwei Großgruppen kommt, werden Wähler für die Partei stimmen, die aus ihrer Interessengruppe hervorging (Schoen 2009: 186).

Der mikrosoziologische Ansatz wurde von Paul F. Lazarsfeld und Kollegen an der Columbia School begründet. Die Arbeit „The People’s Choice“ versuchte im eigentlichen Sinn, das „Stimmverhalten analog zu Konsumentenentscheidungen als Ergebnis eines individuellen Abwegungsprozesses zu modellieren“ (Schoen 2005a: 137). Bei ihrer Untersuchung erwies sich das Wahlverhalten als sehr stabil, demzufolge entwickelten sie eine Erklärung für diese Befunde. Der mikrosoziologische Ansatz bestimmt Wahlverhalten auf der Individualebene mit der sozialen Position eines Wählers. Als Grundlage für diesen Ansatz dient die Theorie der sozialen Kreise nach Georg Simmel, nach dieser der Mensch in verschiedene soziale Kreise eingebunden ist. Beispiele hierfür sind der Freundeskreis, die Familie und der Arbeitsplatz (Roth 2008: 29). Nach Lazarsfeld (1944: 137-148) ist bei Personen, die sich in der gleichen sozialen Position befinden ein ähnliches Wahlverhalten zu verzeichnen. Ein Grund hierfür ist die Tatsache, dass sich Individuen mit den gleichen sozialen Merkmalen in einem homogenen Umfeld bewegen, in dem alle Personen diese Merkmale aufweisen. So entstehen politische Präferenzen im Kontakt mit anderen Personen, daraus resultiert die Wahl der gleichen Partei (Schoen 2005a: 137). Das Modell geht auf das Verständnis des „homo sociologicus“ zurück, demnach ein Mensch seine Wahlentscheidung allein auf Basis von Einstellungen gegenüber der Partei oder dem Kandidaten, „ohne dabei situative Anreize zu beachten“, trifft (Schoen 2009: 183).

2.2 Der sozialpsychologische Ansatz

Der sozialpsychologische Ansatz wurde von einer Forschungsgruppe der University of Michigan in Ann Arbor entwickelt und erklärt Wahlverhalten mit den Determinanten Parteiidentifikation, Sachfragenorientierung und Kandidatenbewertungen (Schoen 2003: 42). Demnach beeinflussen kurzfristige Faktoren, wie Kandidaten- und Sachfragenorientierung sowie langfristige Faktoren, wie Parteiidentifikation, die Wahlentscheidung (Roth 2008: 42). Die Sozialstruktur eines Individuums und die politischen Erfahrungen prägen die Parteibindung, die wiederum beeinflusst die Kandidaten- und Sachfragenorientierung. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Parteiidentifikation als wichtiges Merkmal, bei der Stabilität des Wahlverhaltens ausmachen. Bei Wählern, die einer Partei angehören, ist davon auszugehen, dass sie ihre Stimme dementsprechend abgeben. Bei Personen, die keiner Partei angehören spielen im Gegensatz hierzu meist kurzfristige Einflussfaktoren, wie Kandidaten- und Sachfragenorientierung eine Rolle (Schoen 2005b: 379).

3. empirische Befunde der Wechselwahl in Deutschland

Die Politikwissenschaft bedient sich mehrerer Instrumente um individuelles Wählerverhalten zwischen zwei Wahlgängen zu messen. Zum einen existieren Messverfahren, die sich auf aggregierte Wahrergebnisse stützen, zum anderen ist es auch möglich Instrumente anzuwenden, die sich auf Individualdaten zur Beschreibung von wechselndem Wahlverhalten beziehen (Schoen 2003: S.87).

3.1 Aggregatbasierte Verfahren

Aggregatbasierte Verfahren untersuchen die endgültigen Ergebnisse zwei aufeinanderfolgender Urnengänge. Im Folgenden werde ich mich auf den Volatilitätsindex, der auch Pedersenindex genannt wird beziehen. Bei dem Pedersenindex handelt es sich um eine spezielle Form der Verfahren, die sich auf Aggregatdaten berufen. Dieses Maß „lässt sich durch Summierung der Stimmengewinne derjenigen Parteien, deren Anteil sich bei einer Wahl erhöht hat, errechnen“ und bestimmt demnach die Schwankungen in den Wahlergebnissen zwischen zwei Wahlen (Zelle 1994: 56). Problematisch ist jedoch bei der Berechnung, dass Wahlstatistiken für jede Wahl einzeln aufgestellt werden und berücksichtigen demnach keine Änderung in der Stabilität des Stimmverhaltens. Diese kann nur auf Grund der Unterschiede, von zwei aufeinanderfolgenden Urnengängen, in der Stimmverteilung ermittelt werden (Schoen 2003: 88).

Nach Zelle (1994: 53 ff.) liegen sehr unterschiedliche Ergebnisse in der Entwicklung von Wahlverhalten vor. In den Jahren vor 1990 herrscht unter vielen Politikwissenschaftlern Uneinigkeit darüber, ob ein Anstieg von wechselndem Wahlverhalten zu verzeichnen ist. Nach seinen Berechnungen ist kein eindeutiger Trend zu erkennen. Es ist zwar ein starker Rückgang zwischen 1953 und 1969 von 14,1 auf 5,5 Prozent zu erkennen. In den Jahren danach bewegt sich der Pedersen Index jedoch, mit Ausnahme der Bundestagswahl von 1983, zwischen 3,9 und 5,7 Prozent (siehe hierzu Tabelle 1). Auch in den 90er Jahren ist keine Zunahme zu erkennen. Zwischen den Jahren 1994 und 1998 stieg der Pedersenindex auf 7,7 Prozent, sank in den Jahren danach wieder auf 6,5 Prozent, stieg jedoch 2005 wieder auf 8,1 Prozent. Folglich ist unter Anwendung des Pedersenindex ein Anstieg der Wechselaktivität zwischen den Jahren 1953 und 2005 nicht zu erkennen (Weßels 2007: 397-398).

3.2 Individualbasierte Verfahren

Um wechselndes Wahlverhalten erfolgsversprechender zu messen, bedient man sich Individualdaten. Hier wird, an Hand einer Interviewstichprobe, die Stabilität des Wahlverhaltens bei zwei aufeinanderfolgenden Wahlen gemessen (Schoen 2003: S.89). Die Probanden werden bei zwei aufeinanderfolgenden Wahlen zu ihrem Stimmverhalten befragt, woraus anschließend die die elektorale Stabilität ermittelt wird. Es sind zwei verschiedene Methoden zu unterscheiden. Zum einen die Panelmethode, zum anderen die Rückerinnerungsmethode (Recallmethode). Nach der Panelmethode wird eine Person jeweils bei zwei aufeinander folgenden Wahlen zu ihrer Wahlentscheidung befragt. Die Recallmethode hingegen stützt sich auf rückerinnertes Wahlverhalten. Hierbei wird eine Person nach einer Wahl zu ihrem aktuellen und zu ihrem rückerinnerten, eine Legislaturperiode zurückliegendem, Wahlverhalten befragt. Diese Methode ist wesentlich zeitsparender, da hier lediglich eine Befragung notwendig ist. Dementsprechend liegt ein höherer Anteil an Ergebnissen der Recallmethode vor. Des Weiteren kommt es bei der Panelmethode häufiger zu Repräsentativitätsproblemen. Aus diesen Gründen werde ich folgend an Hand einer Recallbefragung die Fakten darlegen.

Nach Zelle (1994: 53 ff.) ergibt sich aus den Daten der Konrad-Adenauer-Stiftung und denen der Wahlstudie der Forschungsgruppe für Wahlen für die Jahre von 1972 bis 1990, seit der Bundestagswahl im Jahr 1983 ein Anstieg an Wechslern zwischen rückerinnerter und aktueller gewählter Partei. Hierbei werden nur die Befragten mit einbezogen, die zu beiden Wahlen eine Partei angaben, Nichtwähler werden nicht berücksichtigt. Zwischen 1969 und 1972 wechselten 14,1 Prozent die Parteipräferenz. In den Jahren danach stieg die Wechselaktivität auf 14,6 Prozent, woraufhin sie aber zwischen 1976 und 1980 wieder auf 12,8 Prozent sank. Zwischen 1980 und 1983 ist ein leichter Anstieg von 4,1 Prozent zu verzeichnen. Jedoch ist zwischen den Jahren 1987 und 1990 wiederrum ein leichter Rückgang auf 16 Prozent zu erkennen. Es zeigt sich, dass zwar ein leichter Anstieg stattgefunden hat, jedoch ist dieser von geringem Ausmaß (siehe hierzu Abbildung 1). Für die Bundestagswahlen von 1998 bis 2005, ist zwischen rückerinnerter und aktuell gewählter Partei von einem steigenden und erheblich höheren Anteil an Wechselwählern auszugehen. Nach Schoen und Falter (2001: 61) sind „echte Parteiwechsler“ diejenigen, die bei der vorherigen und der aktuellen Wahl eine Stimme abgegeben haben und die Partei wechselten. Für die Bundestagswahl 1998 ist nach dieser Definition zwischen rückerinnerter und aktuell gewählter Partei ein Anstieg an Wechselwählern auf 24 Prozent zu verzeichnen. In den darauffolgenden Jahren stieg der Anteil von 28,6 Prozent im Jahr 2002 auf 33,7 Prozent im Jahr 2005 (Weßels 2007: 397.) Hieran lässt sich erkennen, dass die Wechselaktivität zumindest in den letzten Jahren stetig gestiegen ist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Erklärungsansätze von Wechselwahlverhalten in Deutschland
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Basisseminar BRD
Note
1.0
Autor
Jahr
2014
Seiten
22
Katalognummer
V273073
ISBN (eBook)
9783656654285
ISBN (Buch)
9783656654308
Dateigröße
2232 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erklärungsansätze Wahlverhalten, Wechselwahlverhalten, sozialpsychologischer Erklärungsansatz, soziologischer Erklärungsansatz
Arbeit zitieren
Jules Buch (Autor:in), 2014, Erklärungsansätze von Wechselwahlverhalten in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273073

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