Rechtsextremes Einstellungspotenzial in der Mehrheitsgesellschaft und der Erlebnisweltcharakter der rechten Szene

Möglichkeiten der Gegenprävention im sozialwissenschaftlichen Unterricht


Masterarbeit, 2014

146 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen zum Rechtsextremismus
2.1 »Rechtsextremismus« – eine Begriffsbestimmung
2.2 Ideologieelemente des Rechtsextremismus
2.3 Ursachen rechtsextremer Einstellungen
2.4 Exkurs: Die politische Sozialisation

3 Verbreitungsgrad rechtsextremaffiner Einstellungen in Deutschland
3.1 Ergebnisse der Studie zur `Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit´
3.2 Ergebnisse der `Mitte-Studien´
3.3 rechtsextremes Einstellungspotenzial in der Gesellschaft – eine Gefahr für die Ausbreitung des Rechtsextremismus

4 Der Rechtsextremismus als Erlebniswelt
4.1 »Erlebniswelt Rechtsextremismus« – eine Begriffsbestimmung
4.2 Elemente der »Erlebniswelt Rechtsextremismus«
4.2.1 Lifestyle und Symbolik
4.2.2 Musik
4.2.3 Internetelemente
4.2.4 Aktionismus und Freizeitgestaltung
4.3 Strategien im Rahmen der »Erlebniswelt Rechtsextremismus«
4.4 »Erlebniswelt Rechtsextremismus« – eine Gefahr für die Ausbreitung des Rechtsextremismus speziell bei Jugendlichen

5 Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus im Rahmen schulischer (politischer) Bildung
5.1 Die Rolle der schulischen (politischen) Bildung – eine Einordnung
5.2 Ansätze politischer Bildungsarbeit gegen Rechtsextremismus
5.2.1 Historisch-politische Bildung
5.2.2 Aufklärung zu aktuellen Aspekten des Rechtsextremismus
5.2.3 Ansätze sozialen Lernens und Demokratie-Lernens
5.3 Zwischenfazit mit grundlegenden didaktisch-methodischen Gestaltungshinweisen
5.4 Exkurs: Thematisierung des Rechtsextremismus unter Beachtung des Beutelsbacher Konsens

6 Planung einer Unterrichtsreihe im Fach Sozialwissenschaften
6.1 Lernvoraussetzungen: Schülervorstellungen zum Themenkomplex Rechtsextremis-mus
6.2 Thematische Begründung und Einordnung in den Kernlehrplan
6.3 Auswahl des fachdidaktischen Prinzips und der Makromethode
6.4 Verlaufsplan inklusive didaktisch-methodischem Kommentar
6.5 Lernziele und Kompetenzen – Worin besteht der Lernzuwachs?
6.5.1 Hauptlernziel(e)
6.5.2 Teillernziele
6.6 Leistungsbewertung
6.7 Evaluation der Unterrichtsreihe
6.8 eigene Reflexion der Reihenplanung

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis

Anhang

Anhang 1: Fragebogen der Mitte-Studien zum primären und sekundären Antisemitismus

Anhang 2: Materialzusammenstellung für die Unterrichtsreihe

Anhang 3: Auflistung der nachfolgend angefügten Internetquellen aus dem Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Dimensionen des Rechtsextremismus

Abbildung 2: Die Struktur sozialisationsrelevanter Organisationen und Systeme

Abbildung 3: Die zwölf Elemente des Syndroms `Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit´ (2011)

Abbildung 4: Zustimmung zu ausgewählten Elementen GMF zwischen 2002 -

Abbildung 5: Abwertungsneigung (Index) 2002 - 2011 in Prozent

Tabellenverzeichnis:

Tabelle 1: Zustimmungswerte zu Dimensionen rechtsextremer Einstellungen im Zeitverlauf 2002 - 2012 in Prozent

Tabelle 2: Geschlossenes rechtsextremes Weltbild von 2002 - 2012 in Prozent

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Gegenwärtig erfährt die Thematik Rechtsextremismus in Deutschland wieder eine erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien und der Öffentlichkeit. Geschuldet ist dies vor allem den aktuell geführten Debatten über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren sowie der seit mittlerweile mehr als zwei Jahren andauernden Aufarbeitung der Verbrechen des sog. `Nationalsozialistischen Unter-grunds´ (NSU), welche die Gesellschaft aufgeschreckt und ihre `Scheinrealität´ über die aktuelle Lage des Rechtsextremismus in Deutschland erschüttert hat (vgl. Decker et al., 2012, S.10-12).[1] Hier zeigt sich ein bzgl. der Thematik Rechtsextremismus typisches Bild, denn allzu gerne verschließt die Mitte der Gesellschaft hierzulande die Augen vor dieser unliebsamen Thematik. Sie wird in ihrer gesellschaftlichen Problemhaftigkeit, Brisanz und Aktualität oft nicht ausreichend wahrgenommen, lieber an den Rand der Gesellschaft projiziert und damit verbunden gern als alleiniges Ost- und/oder Jugendproblem dargestellt (Butterwegge, 2010, S.273). In den Medien wird zumeist erst dann über die Thematik berichtet und auf diese Weise der Bevölkerung verstärkt ins Bewusstsein gerufen, wenn es zu besonders erschreckenden und aufmerksamkeitsbündelnden Geschehnissen gekommen ist. Häufig folgt, nach anfänglicher Aufregung, schnell auch wieder Desinteresse; andere (Sensations-) Themen rücken in den Fokus. Zwar ist der NSU aufgrund der Ausmaße seiner Verbrechen und dem aktuell laufenden NSU-Prozess auch nach mehr als zwei Jahren noch immer in den Medien präsent, doch findet auch bei hiesiger Berichterstattung oft die Tatsache zu wenig Beachtung, „dass es menschenfeindliches Denken und Rassismus in ihrer alltäglichen Ausprägung sind, die den Resonanzboden bilden für das Entstehen von organisiertem, gewalttätigem Rechtsextremismus“ (Decker et al., 2012, S.7) und somit das Problem durchaus in der Mitte der Gesellschaft, d.h. in der Mehrheitsgesellschaft, angesiedelt ist. Es ist daher zu befürchten, dass in Zukunft die Mitte der Gesellschaft, langfristig gesehen, weiterhin die Augen vor der Problematik Rechtsextremismus verschließt, sie erneut allein an den Rand der Gesellschaft projiziert und sich somit von ihrer Mitverantwortung für den Erhalt der Demokratie und der Freiheit sowie der Einhaltung der Menschenrechte entlastet

Im Kampf gegen den Rechtsextremismus gilt es demnach, sich von der aktuellen medialen Aufmerksamkeit nicht täuschen zu lassen, sondern vielmehr u.a. weiterhin daran zu arbeiten, ein realistisches und somit nachhaltiges Problem- und Verantwortungsbewusstsein bzgl. der Thematik `Rechtsextremismus´ in allen Bevölkerungsschichten zu entwickeln und/oder zu festigen

Zur Erreichung dieser Ziele gehört, neben einer Vergegenwärtigung der vielfach menschenver-achtenden rechtsextremen Inhalte, eine intensive Betrachtung der aktuellen Lage des Rechtsextremismus in Deutschland sowie des damit verbundenen gesellschaftlichen Gefahrenpotenzials einer möglichen Ausbreitung rechtsextremen Denkens und Handelns. Dazu ist es angebracht, sich sowohl mit der aktuellen rechten Szene selbst als auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen, die einer eben solchen Ausbreitung förderlich sein könnten, auseinanderzusetzen. Hierzu möchte diese Arbeit einen Beitrag leisten. Aufgrund der Komplexität der Thematik Rechtsextremismus müssen dabei jedoch im Rahmen dieser Arbeit Schwerpunkte gesetzt werden, die im Titel der Arbeit ihren Niederschlag finden:

Rechtsextremes Einstellungspotenzial in der Mehrheitsgesellschaft

und der Erlebnisweltcharakter der rechten Szene:

Möglichkeiten der Gegenprävention im sozialwissenschaftlichen Unterricht

In der vorliegenden Arbeit wird somit eine Auswahl an aktuellen Entwicklungen in der Gesellschaft i.Allg. wie auch in der rechten Szene selbst in Augenschein genommen, die speziell Jugendliche im Sinne einer Ausbildung rechtsextremer Einstellungen und Handlungen negativ beeinflussen können. Der Fokus liegt auf der Gruppe der Jugendlichen, da davon ausgegangen wird, dass Grad und Maß, in dem gerade Jugendliche von rechtem Gedankengut und der rechten Szene angesprochen werden, zur Breitenwirkung und Mobilisierungsfähigkeit des Rechtsextremismus entscheidend beitragen (Pfeiffer, 2013, S.45). Dabei rückt aufgrund der allgemeinen Schulpflicht zusätzlich die Schule als Ort wichtiger Aufklärungs- und Präventionsarbeit in das besondere Blickfeld der Arbeit

Neben den bereits vorgetragenen allgemeinen Zielen bestehen wesentliche weitere und konkrete Ziele dieser Arbeit darin, eine angemessene Einschätzung hinsichtlich des gegenwärtigen Gefahrenpotenzials, das sowohl vom rechtsextremen Einstellungspotenzial in der Mehrheitsgesellschaft als auch vom relativ neuen Erlebnisweltcharakter der rechten Szene bzgl. einer Ausbreitung rechtsextremen Denkens und Handelns speziell unter Jugendlichen ausgeht, vorzunehmen sowie gezielt und erfolgreich Gegenpräventionsmaßnahmen im Rahmen schulischer (politischer) Bildung bewerten und schließlich in einer eigenen Unterrichtsreihe entwickeln zu können

Zur Erreichung aller genannten Ziele wird die Arbeit grundsätzlich in einen fachwissenschaftlichen und einen fachdidaktischen Abschnitt unterteilt, wobei vorab festgehalten werden muss, dass bei allen, nachfolgend vorgestellten inhaltlichen Elementen dieser Arbeit zwar viele zentrale Aspekte aufgegriffen werden, die Arbeit jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt

Im fachwissenschaftlichen Teil erfolgt zunächst in Kapitel 2 eine grundlegende Beschreibung des Phänomens Rechtsextremismus anhand einer Begriffsdefinition, einer Schilderung zentraler Ideologieelemente des Rechtsextremismus und einigen Einblicken in die Ursachenforschung bzgl. der Ausbildung rechtsextremen Denkens und/oder Handelns. Für das Verständnis letzterer sowie für die Einschätzung des in dieser Arbeit speziell betrachteten Gefahrenpotenzials ist zusätzlich zu Beginn die grundsätzliche Frage von Bedeutung, wie Menschen überhaupt (politische) Einstellungen erwerben. Daher wird abschließend in diesem Kapitel der Prozess der politischen Sozialisation in seinen Grundzügen vorgestellt. Daran anschließend wird im 3. Kapitel das rechtsextreme Einstellungspotenzial in der deutschen Gesellschaft in den Blick genommen. Zur Verifizierung des gegenwärtigen Verbreitungsgrades rechtsextremaffiner Einstellungen werden dazu zentrale, für die deutsche Gesellschaft repräsentative Ergebnisse zweier bedeutsamer Studien der jüngsten Zeit dargelegt und schließlich deren Tragweite und Auswirkungen im Bezug auf die speziell betrachtete Frage des sich daraus ergebenden Gefahrenpotenzials einer Ausbreitung rechtsextremen Denkens und Handelns beleuchtet. Im 4. Kapitel erfährt anschließend der relativ neue, außerhalb der Szene oft eher noch unbekannte Erlebnisweltcharakter der rechten Szene besondere Beachtung und es wird aufgezeigt, in wie weit die Szene selbst im Rahmen ihres neuen Erscheinungsbildes versucht, insbes. die Jugendlichen für ihre Sache (politisch) zu gewinnen. Nach einer anfänglichen Begriffsbestimmung der `Erlebniswelt Rechtsextremismus´ erfolgt eine Darstellung der wichtigsten Elemente, die von der rechten Szene im Rahmen dieser Erlebniswelt angeboten werden, der damit verbundenen (Köder-)Strategien sowie eine Herausarbeitung des damit einhergehenden gesellschaftlichen Risikopotenzials

Im anschließenden fachdidaktischen Teil der Arbeit wird in Kapitel 5 zunächst beleuchtet, welche Rolle und Bedeutung der Schule, besonders dem Fach Politik/ Sozialwissenschaften, im Kampf gegen den Rechtsextremismus unter Beachtung der im Vorfeld betrachteten Gesichtspunkte zukommt und welche konkreten schulischen Möglichkeiten der Gegenprävention bestehen. Hierzu werden verschiedene, bereits entwickelte und die gegenwärtige Diskussion um angemessene Wege der Gegenprävention bestimmende Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen mit ihren jeweiligen Möglichkeiten, aber auch Grenzen, vorgestellt. Im 6. Kapitel wird sodann eine eigene und für die Oberstufe ausgearbeitete Unterrichtsreihe vorgestellt, die als ein möglicher und wichtiger Beitrag zur schulischen Präventionsarbeit verstanden wird. Sie orientiert sich schwerpunktmäßig am Prinzip der Handlungsorientierung und umfasst inhaltlich vor allem eine Analyse der rechten Erlebniswelt

In Kapitel 7 erfolgt schließlich ein Fazit zur Thematik der Arbeit

2 Grundlagen zum Rechtsextremismus

Um das Gefahrenpotenzial einer Ausbreitung rechtsextremen Denkens und Handelns speziell unter Jugendlichen später angemessen einschätzen sowie gezielt und erfolgreich Gegenpräventionsmaßnahmen im Rahmen schulischer (politischer) Bildung entwickeln bzw. bewerten zu können, ist zunächst ein grundlegendes Verständnis über den `Rechtsextremismus´ und damit verbunden die Kenntnis möglicher Bedingungsfaktoren für die Entstehung des Phänomens Rechtsextremismus unabdingbar. In diesem Kapitel wird der `Rechtsextremismus´ daher eingangs in seinen Grundzügen vorgestellt. Es wird gezielt geklärt, was sich hinter dem oft gehörten und verwendeten Begriff wirklich verbirgt, welche grundlegenden (Ideologie-)Elemente ihn ausmachen und welche Ursachen für die Entwicklung rechtsextremen Denkens und Handelns bereits bekannt sind bzw. vermutet werden. Zusätzlich für zuvorderst genannte Einschätzungen und Bewertungen sind darüber hinaus Kenntnisse über den allgemeinen politischen Sozialisationsprozess hilfreich, der sodann abschließend in einem kurzen Exkurs noch thematisiert wird

2.1 »Rechtsextremismus« – eine Begriffsbestimmung

Der Rechtsextremismus ist ein sehr vielschichtiges und heterogenes Phänomen, welches u.a. dazu führt, dass es eine einheitliche und allgemein anerkannte Definition des Begriffes `Rechtsextremismus´ nicht gibt (Berkessel, 2009, S.95; Niedermayer, 2009, S.17). Aufgrund einer fehlenden gerichtlichen Definition ist der Begriff weder im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland noch in anderen Gesetzen und Gerichtsurteilen niedergeschrieben (Niedermayer, 2009, S.17; Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen[2], 2001, S.6)

Der Begriff `Extremismus´, als Oberbegriff für u.a. Links- und Rechtsextremismus, ist demnach kein Rechtsbegriff; in anderen Bereichen, z.B. in der Wissenschaft oder im alltäglichen Leben, ist er dagegen allgegenwärtig. Bei seiner Verwendung wird i.Allg. zwischen dem amtlichen und dem wissenschaftlichen ng erreicht und auf diesem Wege eine stabile Ich-Identität entw Behörden (vor allem dem Verfassungsschutz) werden seit den 1970er Jahren all jene Bestrebungen als allgemein `politisch extremistisch´ bezeichnet,

die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes, gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben (Stöss, 2007, S.202)

Der Extremismusbegriff steht in diesem Zusammenhang somit als Sammelbezeichnung für unterschiedliche antidemokratische Bestrebungen (Pfahl-Traughber, 2006, S.12). Am Extremismusbegriff in dieser Form wird jedoch oftmals harsche Kritik geübt: Er sei u.a. zu stark verhaltens- und verfassungszentriert und stelle Links- und Rechtsextremismus inhaltlich gleich (vgl. Neugebauer, 2010, S.3-9). Zudem sei er durch die alleinige Bezugnahme auf das lineare und nur eindimensionale sog. `Links-Rechts-Schema´ zu unterkomplex für die heutigen Gesellschaftsstrukturen; durch die Verortung des politischen Extremismus am linken und rechten Rand dieses Schemas werde der Rechtsextremismus zusätzlich fälschlicherweise nur zu einem Randphänomen in der Gesellschaft erklärt (vgl. Decker et al., 2012, S.16-17; vgl. Stöss, 2007, S.21)

Im Bezug auf die Verwendung des Begriffs in wissenschaftlicher Hinsicht ist diese Kritik nach Meinung vieler Experten berechtigt, jedoch sehen sie diese Begriffsdefinition, die sich auf die Verfassungsfeindlichkeit als manifesten Bedrohungsfaktor für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konzentriert, in der Verwendung als internen Arbeitsbegriff von Verwaltungsbehörden, die mit Aufgaben des Verfassungsschutzes betraut sind, als hinreichend präzise und handhabbar an (Stöss, 2007, S.21).[3]

Für die politik- und die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik Rechtsextremismus muss aber, aufgrund der geäußerten Kritik, die oben angeführte Begriffsbestimmung in Bezug auf den Begriff `Rechtsextremismus´ ausgeweitet werden. An dieser Stelle wird die vielfach in der Literatur zitierte Begriffsdefinition von Hans-Gerd Jaschke[4] aus dem Jahr 2001 herausgegriffen:

Unter `Rechtsextremismus´ verstehen wir die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechts-Deklarationen ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig machen wollen (Jaschke, 2001, S.30)

Eine solche (sozial-) wissenschaftliche Betrachtung des Rechtsextremismus nimmt diesen somit nicht länger nur – wie beim amtlichen Gebrauch – in der rechtsextremistischen[5] Verhaltens-, sondern zugleich auch in der rechtsextremistischen Einstellungsdimension in den Blick. Diesem Verständnis folgend bilden beide Dimensionen nur gemeinsam den Rechtsextremismus hinreichend ab. Bei wissenschaftlichen Analysen gilt es, sie stets beide zu bedenken und sorgfältig auseinanderzuhalten (Grumke, 2013, S.26). In Abbildung 1 ist dieses zweidimensionale Begriffsverständnis noch einmal grafisch dargestellt. Die in diesem Schaubild und in der angeführten Definition im Einzelnen erwähnten Merkmale des Rechtsextremismus, insbes. dabei die Einstellungsdimensionen, werden fast uneingeschränkt in Unterkapitel 2.2 näher behandelt. Auf die Verhaltensaspekte wird vereinzelt in Kapitel 4 im Rahmen der `Erlebniswelt Rechtsextremismus´ stärker Bezug genommen

Abbildung 1: Dimensionen des Rechtsextremismus

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: entnommen aus Stöss, 2007, S

I.Allg. wird davon ausgegangen, dass das rechtsextremistische Einstellungspotenzial aufgrund der Tatsache, dass Einstellungen in der Regel (nicht zwangsläufig) dem Verhalten vorgelagert sind, wesentlich größer ist als das rechtsextremistische Verhaltenspotenzial (Stöss, 2007, S.26-29). Seit Anfang der 1980er Jahre rücken daher, neben den ohnehin bis dato bereits untersuchten Einstellungen und Aktivitäten politischer Akteure, verstärkt auch die Einstellungen der Bevölkerung hinsichtlich des Rechtsextremismus ins Blickfeld des allgemeinen wissenschaftlichen Interesses (Klärner/ Kohlstruck, 2006, S.17-19; näheres dazu in Kapitel 3 dieser Arbeit)

Insgesamt lässt sich, über die Zeit betrachtet, eine stetige inhaltliche Erweiterung des (wissenschaftlichen) Rechtsextremismusbegriffs beobachten, wobei jedoch die konnotative Bedeutung in der Öffentlichkeit – als stetes Feind- und Stigmawort, mit dem weitgehend negative Assoziationen verbunden werden – relativ konstant bleibt (Gessenharter, 2010, S.27; Klärner/ Kohlstruck, 2006, S.12-13/17). Bzgl. einer Begriffsdefinition des `Rechtsextremismus´ lässt sich somit abschließend festhalten: „Was als Rechtsextremismus gilt, unterliegt gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskursen und Kräfteverhältnissen“ (Klärner/ Kohlstruck, 2006, S.14). I.Allg. ist der Rechtsextremismusbegriff jedoch „ ein Sammelbegriff für verschiedenartige gesellschaftliche Erscheinungsformen, die als rechtsgerichtet, undemokratisch und inhuman gelten “ (Stöss, 2007, S.25; Hervorh. im Orig.)

2.2 Ideologieelemente des Rechtsextremismus

So vielfältig die Begriffsdefinitionen zum Rechtsextremismus sind, so heterogen sind auch die dem Rechtsextremismus zugeordneten Ideologieelemente. I.Allg. herrscht jedoch in Wissenschaft und Forschung weitgehend Einigkeit darüber, dass die `rechtsextremistische Szene´ im Ganzen betrachtet zwar keiner gänzlich einheitlichen Ideologie folgt (Grumke, 2007, S.20; Stöss, 2007, S.26), sich dennoch wesentliche ideologische Elemente finden lassen, die von nahezu allen Rechtsextremen in ähnlicher Form vertreten werden (Grumke, 2013, S.28)

Insgesamt kann bei der zugrundeliegenden Ideologie von einer biologisch-völkischen, eher simplen[6] Weltanschauung, bei der das Volk die zentrale Bezugsgröße ist und dem die höchste Würde zugesprochen wird (Erb/ Kohlstruck, 2009, S.419) sowie von einer Ideologie der Ungleichwertigkeit[7] gesprochen werden (Grumke, 2013, S.28). Sie setzt sich im Wesentlichen aus folgenden, bereits in der Definition des Rechtsextremismus bei Hans-Gerd Jaschke weitestgehend angeführten und eng miteinander verzahnten Merkmalen zusammen:[8]

- Ablehnung des Gleichheitsgrundsatzes : Rechtsextreme lehnen die Idee der universellen Menschenrechte und der damit verbundenen Vorstellung der Gleichwertigkeit aller Menschen sowie der Unantastbarkeit der Menschenwürde strikt ab. Die damit einhergehende Diskriminierung seitens der Rechtsextremen wird von diesen vor allem mit dem weiteren Ideologieelement des So-zialdarwinismus gerechtfertigt. Hinter diesem verbirgt sich die Ansicht, dass – angelehnt an die Darwin´sche Theorie der biologischen Evolution, die im Sozialdarwinismus auf menschliche Gesellschaften übertragen wird und nach der sich in der Natur stets der Stärkere, d.h. das besser an die Umwelt angepasste Individuum, im natürlichen Selektionsprozess durchsetzt (`Survival of the fittest´) – es gutes und schlechtes Erbmaterial gibt und daher die Forderung gerechtfertigt sei, dass Menschen mit guten Erbanlagen gefördert und Menschen mit schlechten abgelehnt bzw. gar ausgelöscht werden sollten. Zu letzteren können andere ethnische Gruppen ebenso wie Menschen der Eigengruppe, d.h. der gleichen ethnischen Gruppe, bspw. Obdachlose oder Behinderte u.v.m., zählen (Grumke, 2013, S.29; Klare, 2011, S.1; Pfahl-Traughber, 2006, S.14; IM NRW, 2001, S.10)

- Rassismus/ Ethnozentrismus : Rechtsextreme gehen von einer rassischen, ethnischen und/oder kulturellen Ungleichheit der Menschen aus und lehnen daher, wie zuvor bereits erwähnt, die universellen Freiheits- und Gleichheitsrechte für alle Menschen in ihrer ganzen Vielfalt ab (vgl. Stöss, 2007, S.25). Ihrer eigenen Gruppe sprechen sie dabei in der Regel die höchste `Qualität´ zu. Durch die von der Natur gegebene `Ungleichheit´ und `Ungleichwertigkeit´ rechtfertigen sie vielfach die Ungleichbehandlung der eigenen Gruppe und der Fremd-Gruppen (s. Sozialdarwinismus). Im weit verbreiteten, jedoch ebenfalls heterogenen Antisemitismus (vgl. Decker et al., 2012, S.69-75), bei dem Juden, ganz allgemein gesprochen, als minderwertig und gefährlich angesehen werden, spiegelt sich dieses Denken besonders stark wider (IM NRW, 2001, S.10). Im `modernen´ Rechtsextremismus wird neben der lange Zeit vorherrschenden biologistischen Ungleichwertigkeit verstärkt und in erster Linie die kulturalistische Ungleichwertigkeit postuliert, die als Begründung zur Verhinderung einer kulturellen Vermischung dient (vgl. das unter Nationalismus/ Chauvinismus noch erläuterte Konzept des Ethnopluralismus) (Decker et al., 2012, S.13; Bergmann, 2005, S.23)

- Geschichtsrevisionismus/ Pro-Nazismus: Unter diesem Aspekt wird sowohl die verharmlosende als auch die verherrlichende Darstellung des Nationalsozialismus subsumiert, die bisweilen mit der Leugnung des Holocausts und/oder der deutschen Schuld im zweiten Weltkrieg einhergehen (Grumke, 2013, S.28-29). Damit eng verzahnt ist eine neue Form des Antisemitismus, der sog. sekundäre Antisemitismus, worunter jegliche Art von Holocaust-Leugnung und -Relativierung verstanden wird und dessen Leitmotiv der Psychoanalytiker Zvi Rex mit seinem bekannten Ausspruch „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ (Zvi Rex; zit. n. Reisin, 2006, S.2) pointiert zusammenfasst. Konkrete Aspekte, die unter den sekundären Antisemitismus fallen, sind bspw. die bisweilen geäußerte Forderung nach dem Ziehen eines `Schlussstrichs´ unter die Verbrechen der Nazis sowie eine `Täter-Opfer-Umkehr´[9] (Decker et al., 2012, S.74-75; Bergmann, 2005, S.24; Lenk, 2005, S.17-22)

- Nationalismus/ Chauvinismus: Dieser ist gleichbedeutend mit einem übersteigerten Nationalgefühl mit gleichzeitiger Fremdabwertung (Decker et al., 2012, S.32). Der Rechtsextremismus ist demnach geprägt durch eine übermäßige Ausrichtung des eigenen Denkens und Handelns an der eigenen Nation (IM NRW, 2001, S.10) sowie einer damit einhergehenden feindseligen Haltung gegenüber anderen Staaten und Völkern. Die eigene Nation steht für Rechtsextreme über allem; sie ist ihres Erachtens anderen Nationen überlegen und von Grund auf höherwertig. Letzteres wird in Kreisen insbes. der sog. `Neuen Rechten´, in denen mittlerweile das Konzept des sog . Ethnopluralismus [10] vertreten wird, zwar nicht mehr explizit angenommen, dafür wird jedoch die Notwendigkeit einer räumlichen bzw. geographischen Trennung von Ethnien verstärkt postuliert (Grumke, 2013, S.28; vgl. Gessenharter, 2002, S.194-195; IM NRW, 2001, S.10). Insgesamt werden durch diese Vorstellungen bisweilen ein imperialistisches Großmachtstreben und durch die Beschwörung äußerer Bedrohungen zudem innere Formierungs- und Gleichschaltungsabsichten gerechtfertigt (Grumke, 2013, S.25; Stöss, 2007, S.25)

- Leitbild einer Volksgemeinschaft und autoritäres Staatsverständnis: Rechtsextreme verfolgen das gesellschaftliche Leitbild einer angeblich der natürlichen Ordnung folgenden ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Ihres Erachtens müssen sich alle Individuen in diese integrieren und sich diesem Kollektiv unterwerfen (Pfahl-Traughber, 2006, S.16). Damit verbunden ist die ablehnende Haltung der Rechtsextremen gegenüber der existierenden Vielfalt an organisierten Interessen und Meinungen (Antipluralismus). Diese sind ihrer Ansicht nach für das Volkswohl und die Homogenität der Volksgemeinschaft hinderlich und müssen daher eingeschränkt werden (Pfahl-Traughber, 2006, S.15-16)

Darüber hinaus haben Rechtsextreme die Sehnsucht nach einer Aufhebung der Trennung zwischen Staat und Gesellschaft. Durch eine Verschmelzung möge eine Einheit entstehen, wodurch die staatliche Führung (meist in Form eines `Führers´) intuitiv nach dem einheitlichen Volkswillen handele und somit der Führerwille dem Volkswillen entspreche; eine Überzeugung, die die Betonung der Autorität der `nationalen´ Führung sowie deren Unfehlbarkeit und damit die Unter-ordnung der Bürger unter die Staatsräson für Rechtsextreme legitimiert. Rechtsextreme streben einen starken, autoritären Staat an, der diese homogene Gesellschaft herstellt und erhält und hinter den die Gesellschaft zurücktreten soll. „Einheit, Reinheit und Selbstbewusstsein des Volkes sind die maßgeblichen moralischen und politischen Werte“ (Erb/ Kohlstruck, 2009, S.419) der Rechtsextremen (Grumke, 2013, S.28; Gessenharter, 2010, S.36; Stöss, 2007, S.25; Pfahl-Traughber, 2006, S.16; May/ Dietz, 2005, S.2-3)

- Kollektivismus: Insgesamt kann beim Rechtsextremismus vom Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum gesprochen werden; ein Aspekt, der sich in vielen der bereits genannten Merkmale wiederfinden lässt. Damit einher geht die Ablehnung des Wertepluralismus sowie die einer multikulturellen Gesellschaft (Grumke, 2013, S.28-29)

- Gewalt: Gewalt ist der Ideologie des Rechtsextremismus gewissermaßen inhärent. Sie wird durchaus als legitimes Mittel des Widerstandes und zur Erreichung der eigenen Ziele, u.a. zur Durchsetzung der eigenen Weltanschauung, angesehen (vgl. Grumke, 2013, S.35-38)

2.3 Ursachen rechtsextremer Einstellungen

Da keine allgemeingültige Theorie des Rechtsextremismus existiert, überrascht es nicht, dass auch im Bezug auf mögliche Ursachen für die Entstehung rechtsextremer Einstellungen vom Fehlen einer umfassenden und einheitlichen Theorie gesprochen werden muss (Pfahl-Traughber, 2006, S.97). Es existieren vielmehr vielfältige Erklärungsversuche in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen (Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft) (Jung, 2003, S.8). Eine gezielte, jedoch sehr selektive Auswahl von besonders häufig genannten Erklärungsfaktoren, die sich in erster Linie auf die `Nachfrage´[11] nach rechtsextremen Angeboten beziehen (Stöss, 2007, S.49), wird im Folgenden vorgestellt

Die Anhänger der sog. Theorie des autoritären Charakters [12] verfolgen einen persönlichkeitsbezogenen Ansatz und konzentrieren sich daher allein auf die Individualebene. Sie gehen davon aus, dass vor allem eine autoritäre Erziehung, die ggf. mit Strenge, Disziplin und sozialer Distanz verbunden wird, zur Ausbildung einer Ich-schwachen und hinsichtlich der eigenen Gefühle defizitären Persönlichkeit beiträgt, die schließlich anfällig für rechtsextreme Einstellungen (und Verhaltensweisen) ist. Ein Mensch mit einer solchen Persönlichkeitsstruktur habe u.a. sehr starke konventionelle Wertvorstellungen und unterwerfe sich, insbes. in überfordernden und schwierigen Lebenssituationen, einerseits gehorsam und mit vollem Respekt angeblichen Autoritäten, andererseits verhalte er sich im Gegenzug (vermeintlich) Schwächeren gegenüber sehr dominant und ag-gressiv, um auf diese Weise eigene Unsicherheiten und Ängste zu kompensieren (Werner, 2009, S.60; Frech, 2008, S.9; vgl. Pfahl-Traughber, 2006, S.98; vgl. Decker/ Brähler, 2005, S.9).[13]

In einer anderen Theorie werden dagegen vermehrt aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und sozioökonomische Lebensumstände der Person mit in den Blick genommen. Dabei wird ein maßgeblicher Faktor zur Ausbildung rechtsextremer Einstellungen in der sog. `relativen Deprivation´ gesehen. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein Zustand, in dem vom Individuum subjektiv eine starke Kluft zwischen dem Ist-Zustand und dem eigentlich Gewünschten, d.h. dem Soll-Zustand, bzw. anders formuliert, eine Kluft zwischen abnehmenden Werteansprüchen und den eigenen Werteerwartungen wahrgenommen wird, und daraufhin oft Unzufriedenheit, Frustration und/oder Desillusionierung folgen. Ein solcher Zustand entsteht stets durch den Vergleich der Eigengruppe und mindestens einer Fremdgruppe bzw. durch den „Vergleich der eigenen Situation mit der Situation der relevanten Anderen“ (Werner, 2009, S.60) und kann durch bspw. wirtschaftliche Pro-blemlagen, befürchtete Status- und Privilegienverluste oder politische Unzufriedenheit in verschiedensten Bereichen (politischen, wirtschaftlichen, sozialen) empfunden werden (vgl. Küpper/ Zick, 2011, S.204; Werner, 2009, S.60; vgl. Stöss, 2007, S.50-54; Decker/ Brähler, 2005, S.10)

Beschriebenes kann – muss jedoch nicht – eine abwertende Haltung gegenüber Fremdgruppen provozieren bzw. verstärken und dadurch zur Anfälligkeit gegenüber rechtsextremen Einstellungen beitragen. Auf der Basis dieser Theorie, die vor allem die Auswirkungen der gesellschaftlichen Modernisierung betrachtet, zeigen sich insbes. auch die sog. Modernisierungsverlierer anfällig für rechtsextreme Einstellungen (Frech, 2008, S.9; vgl. Stöss, 2007, S.52, Decker/ Brähler, 2005, S.10)

Die Befürworter einer weiteren Theorie, die jedoch auch Elemente der zuvor erwähnten Theorie enthält, sehen die bedeutsame Ursache für die Entstehung rechtsextremer Einstellungen in den Folgen des sozialen Wandels. Ihres Erachtens führen die mit diesem Wandel und der Modernisierung einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen, z.B. durch einen oftmals eintretenden Anomiezustand aufgrund eines Norm- und Werteverfalls, bei vielen Menschen zu verstärkter Verunsicherung, Ohnmachtsgefühlen, Statusängsten und Handlungsunsicherheiten. Die Ideologieelemente der Rechtsextremen, die vielfach eine Verminderung sozialer und gesellschaftlicher Spannung versprechen und das Bedürfnis nach Sicherheit bedienen, werden bei einigen Menschen mit diesen Ängsten und/oder Unsicherheiten, gemäß dieser Theorie, dankbar angenommen (Frech, 2008, S.9)

Auf diese zuletzt genannte Theorie beruft sich auch einer der wohl bekanntesten Erklärungsansätze der letzten Zeit: die Desintegrationstheorie von Wilhelm Heitmeyer[14]. Sie ist eng mit der in dieser Arbeit nicht näher ausgeführten Individualisierungstheorie von Ulrich Beck[15] verzahnt, da Heitmeyer die mit der Modernisierung einhergehenden und bei Beck ausführlich geschilderten Individualisierungsschübe mitsamt ihrer Ambivalenz[16] für Desintegrationsprozesse in folgenden drei Lebensbereichen mitverantwortlich macht: „in Beziehungen zu anderen Personen und Lebenszusammenhängen (Familie, Milieu), in der gelingenden Teilnahme an Institutionen (Schule, Ausbildung, Beruf) sowie in Wert- und Normvorstellungen“ (Frech, 2008, S.9). Die dadurch entstehenden Ohnmachts- und Vereinzelungserfahrungen sowie Handlungsunsicherheiten und Orientierungslosigkeit geben gemäß Heitmeyer oftmals gerade Jugendlichen wenig Halt und machen sie anfällig für rechtsextreme Einstellungen und rechtsextreme Gruppierungen, da letztere genau daran ansetzen (Frech, 2008, S.9-10; Stöss, 2007, S.53):

- Sie geben Stabilität, Gewissheit und einfache vorurteilsbehaftete Konzepte (Verringerung von Handlungsunsicherheit),
- das Gefühl von Stärke (Verteidigung der Heimat; Gewaltrechtfertigung anhand des Darwinismus und die Verringerung eigener Ohnmacht),
- das Gemeinschaftsgefühl (leistungsunabhängige Zugehörigkeit, homogene Ethnizität und nationale Überlegenheit) (Werner, 2009, S.53)

Befürworter weiterer Theorien dagegen sehen die Ursachen für die Entwicklung rechtsextremer Einstellungen in den politisch-kulturellen Rahmenbedingungen . Die bestehende politische Kultur, unter der alle Werthaltungen, subjektiven Einstellungen und Meinungen sowie Verhaltensweisen der Menschen bzgl. des Politischen subsumiert werden, hat ihres Erachtens erheblichen Einfluss auf die Ausbildung eigener politischer Einstellungen im Sozialisationsprozess. Wenn das Individuum Gruppen angehört, in denen rechtsextreme Einstellungen offen oder unterschwellig als legitim angesehen bzw. zumindest toleriert werden, trage dies zur Ausbildung rechtsextremer Einstellungen ggf. entscheidend mit bei. Nach diesen Ansätzen stellt nicht unbedingt die Existenz rechtsextremer Gruppen das größte Problem dar, sondern eine politische Kultur mit einer weitverbreiteten Akzeptanz rechtsextremer Gesinnungen sowie antidemokratische Diskurse in Politik und Medien (Funke, 2009, S.31; Frech, 2008, S.10; Stöss, 2007, S.55)

Die aufgeführten Erklärungsfaktoren bilden nur wesentliche, in den Sozialwissenschaften bislang bekannte Ursachen für die Ausbildung rechtsextremer Einstellungen ab. An jeder einzelnen Theorie wird jedoch Kritik geübt, insbes. wird immer wieder auf ihre begrenzte analytische Reichweite hingewiesen (vgl. Pfahl-Traughber, 2006, S.102-102/108). Damit eine Person rechtsextreme Einstellungen ausbildet oder gar zum Rechtsextremen wird, müssen nicht alle erwähnten Faktoren vorliegen, die Herausbildung rechtsextremer Einstellungs- und Handlungsmuster wird jedoch auch nicht an einer Ursache alleine festzumachen sein; es handelt sich vielmehr „immer um ein Geflecht von verschiedenen, in der Regel aber miteinander verknüpften Faktoren“ (Stöss, 2007, S.205)

Um die in diesem Kapitel geschilderten Bedingungsfaktoren besser nachvollziehen zu können und aufgrund der Tatsache, dass im Rahmen dieser Arbeit letztlich eine Einschätzung darüber erfolgen soll, in wie fern rechtsextreme Einstellungen in der Mehrheitsgesellschaft sowie der Erlebnisweltcharakter der rechten Szene negativen Einfluss auf die (politische) Identitätsentwicklung Jugendlicher ausüben (können), erfolgt im Folgenden ein kurzer Exkurs zum Prozess der politischen Sozialisation, in dem der Frage nachgegangen wird, wie Menschen überhaupt politisch werden

2.4 Exkurs: Die politische Sozialisation

Die politische Sozialisation stellt im allgemeinen Sozialisationsprozess des Menschen, d.h. dem „Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich-materiellen Umwelt“ (Hurrelmann, 1986, S.65; zit. n. Reinhardt, 2012, S.37), einen wichtigen Teilbereich dar (Rippl, 2008, S.443). Sie ist – einem weit gefassten Begriffsverständnis folgend – als

alles politische Lernen, formell und informell, gezielt und ungeplant, in jeder Lebensphase [anzusehen]; es schließt nicht nur das explizite politische Lernen ein, sondern auch das nicht so bezeichnete nicht-politische Lernen, welches das politische Verhalten beeinflusst, z.B. das Erlernen politisch bedeutsamer sozialer Einstellungen und den Erwerb politisch relevanter Persönlichkeitsmerkmale [wie politische Orientierungen, Handlungsweisen, Werte, Normen] (Greenstein, 1968, S.551; zit. n. Rippl, 2008, S.443)

Es ist demnach ein Vorgang, in dem Individuen u.a. Orientierungsmuster für gesellschaftliche Fragestellungen erwerben und der in einem engen Zusammenhang zur moralischen Sozialisation steht (Rippl, 2008, S.443)

Weitgehend Einigkeit herrscht in der Wissenschaft darüber, dass die politische Sozialisation ein lebenslanger, individueller und hochkomplexer Vorgang ist, in dem die Jugendphase allerdings eine wichtige Rolle spielt (Rippl, 2008, S.444). Es wird davon ausgegangen und empirische Daten unterstreichen dies (vgl. Grob, 2009, S.335-336), dass – u.a. den erst zu diesem Zeitpunkt vorhandenen kognitiven Fähigkeiten geschuldet – zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr ein Wandel im Nachdenken und Sprechen über Politik und ein Sprung in der moralischen Entwicklung erfolgt[17] und damit verbunden erste konkrete politische Orientierungen in dieser Lebensphase ausgebildet werden (Grob, 2009, S.336; Rippl, 2008, S.445). Welcher Stellenwert der Jugendphase aber ganz genau zuteil wird, d.h. welchen nachhaltigen Einfluss diese ersten politischen Orientierungen auf den weiteren Lebensweg haben, und welche Rolle den Sozialisationserfahrungen aus der Kindheit und/oder aus den späteren Lebensphasen zukommen, wird bis heute bei der existierenden Vielzahl von Modellvorstellungen zur politischen Sozialisation nicht einheitlich beantwortet (Rippl, 2008, S.445).[18]

Ansätze, die in der Adoleszenz die maßgeblich relevanten Entwicklungen bzgl. einer politischen Orientierung sehen und in dieser Arbeit besonders herausgegriffen werden, fußen zumeist auf der Identitätstheorie Eriksons, in der sich dieser mit der psychosozialen Entwicklung des Menschen im Verlauf des gesamten Lebenszyklus befasst. Den Lebenszyklus des Menschen unterteilt er in acht bzw. neun Entwicklungsphasen. Jede dieser Phasen umfasst eine eigene, durch relative Stabilität und Krisen geprägte Entwicklungsaufgabe, welche zwar durchaus zeitlebens zu meistern ist, jedoch in der zugeordneten Phase ihren Schwerpunkt hat und diese dominiert. Für die Jugendphase sieht Erikson die Identitätsentwicklung als die spezifische Aufgabe an. Sie gilt als erfolgreich gemeistert, wenn eine Balance zwischen sozialen Ansprüchen und Persönlichkeitsentwicklung erreicht und auf diesem Wege eine stabile Ich-Identität entwickelt wurde. Diese spezifische Entwicklungsaufgabe ist im Kontext der politischen Sozialisation besonders relevant, da die im Rahmen dieser Sozialisation stattfindende Entwicklung einer eigenen politischen Identität sowie die damit verbundene politische Beteiligung als Teilaufgabe im gesamten Identitätsbildungsprozess verstanden werden kann und ausgehend von der Theorie Eriksons somit ihren Schwerpunkt in der Jugendphase hat (Rippl, 2008, S.446-447)

Verschiedene Studien können die besondere Bedeutung der Jugendzeit für die aktive Auseinandersetzung mit Politik bestätigen (vgl. Rippl, 2008, S.445); so auch die sog. LifE-Studie, eine Längsschnittstudie, die der Frage der langfristigen Relevanz des Jugendalters im Prozess der politischen Sozialisation explizit nachging.[19] Gleichwohl kommt diese Forschungsgruppe zu dem Ergebnis, „dass das Jugendalter zwar als eine aber nicht als die sensible Phase für die politische Sozialisation schlechthin verstanden werden kann“ (Grob, 2009, S.368; Hervorh. im Orig.). Auch und gerade Entwicklungen und Veränderungen im frühen Erwachsenenalter spielten bisweilen eine ebenso bzw. noch zentralere Rolle. Nichtsdestotrotz rechtfertigen die Ergebnisse „pädagogische Bemühungen um Vermittlung eines Zugangs zur Politik im Jugendalter“ (Grob, 2009, S.368)

Das Finden eigenständiger politischer Positionen ist also durchaus als eine sich oftmals gerade im Jugendalter vollziehende Entwicklungsaufgabe anzusehen (Grob, 2009, S.333). In Anlehnung an Helmut Fend (1991) weist Reinhardt (2012) darauf hin, dass dieser Findungsprozess folgende Abläufe zeigen sollte:

- An die Stelle der Naturhaftigkeit des politischen Bereichs tritt eine Vorstellung von Gestaltbarkeit und Verantwortlichkeit
- Der Analogieschluss von privat auf öffentlich wird aufgegeben, harmonisierendes Denken wird durch die Wahrnehmung der Interessenvielfalt und -konflikte ersetzt
- Mit dem Ende der Idealisierung von Erwachsenen geht einfaches Vertrauen gegenüber Autoritäten zurück und wird durch Systemdenken, also das Denken in Vernetzungen, ersetzt
- Das Durchschauen politischer Wirkungszusammenhänge ermöglicht die Einschätzung eigener Möglichkeiten zur Einflussnahme
- Auf der Ebene von Werten gehen einfache Regelungsvorstellungen zurück und das Bewusstsein von demokratischen Aushandlungsprozessen und Gleichheitsforderungen entsteht (Reinhardt, 2012, S.36)

Das Beschriebene ist dabei nicht als automatisch ablaufender Reifungsprozess, sondern vielmehr als ein interaktiver Prozess zu verstehen, in dem sich das Individuum produktiv und wechselseitig mit seiner gesellschaftlichen Umwelt auseinandersetzt (Reinhardt, 2012, S.37; Rippl, 2008, S.443)

Dieser Prozess der (politischen) Identitätsbildung ist von Fähigkeiten, Ressourcen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig, die in verschiedensten Kontexten über latente oder manifeste Inhalte erworben bzw. nicht erworben werden können bzw. mit denen ein Mensch in den jeweiligen Kontexten unterschiedlich konfrontiert werden kann. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Struktur wesentlicher sozialisationsrelevanter Organisationen und Systeme. Je nach theoretischer Schwerpunktsetzung spielen die verschiedenen, in der Abbildung aufgeführten Sozialisationsinstanzen eine unterschiedlich bedeutsame Rolle im politischen Sozialisationsprozess, da die Stärke ihres Einflusses von der jeweiligen Lebensphase abhängt (Rippl, 2008, S.447-448)

Abbildung 2: Die Struktur sozialisationsrelevanter Organisationen und Systeme

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: entnommen aus Hurrelmann, 2006, S

In der Jugend – auf der der Fokus dieser Arbeit liegt – sind vor allem die Sozialisationsinstanzen Familie und Schule, mit zunehmenden Alter vermehrt aber auch die Peer-Group (= Gruppe Gleichaltriger) und die Medien von zentraler Bedeutung (vgl. Rippl, 2008, S.448-452).[20]

Für die politische Identitätsbildung ist neben der kognitiven Ebene, die das konkrete politische Wissen, die Fähigkeit zum abstrakten Denken und die politische Analyse- und Urteilsfähigkeit umfasst und empirischen Studien zufolge mit zunehmendem Alter der Jugendlichen zunimmt, sowohl die behaviorale Ebene, d.h. die politische Partizipationsbereitschaft und die tatsächliche Beteiligung am politischen Prozess, als auch die affektiv-motivationale Ebene ausschlaggebend (Fend, 1991, S.156-157). Letztere umfasst sowohl die Intensität des emotionalen Bezugs des Subjekts zu politischen Sachverhalten als auch die Intensität der eigenen Identifikation mit dem politischen System, mit politischen Institutionen, Gruppierungen und Personen (Fend, 2006, S.391). Sie kann bspw. über das politische Interesse, das Vertrauen in verschiedene staatliche Institutionen oder die Demokratiezufriedenheit erfasst werden (Rippl, 2008, S.444). Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem politischen Interesse zu. Dieses gilt als motivationale Basis für politische Partizipation (behaviorale Ebene) und ist daher gerade für eine Demokratie – eine Staatsform, die von ihrem Wortursprung (altgriechisch: Δημοκρατία = `Herrschaft des Volkes´) und ihrer Konstruk-tionslogik her auf die grundlegende Unterstützung und gleichzeitig die politische Machtkontrolle seitens seiner Bürgerinnen und Bürgern angewiesen ist – zentral (Grob, 2009, S.329-330).[21] Die Entwicklung eines politischen Bewusstseins – i.Allg. für die Sicherung und Weiterentwicklung der politischen Kultur eines Landes von großer Bedeutung – liegt demnach besonders im ureigenen Interesse demokratischer Gesellschaften (Grob, 2009, S.329)

Ziel und Idealbild der politischen Sozialisation, die u.a. von der schulischen (politischen) Bildung unterstützt werden soll, ist hierzulande folglich der `mündige Bürger´, der moralische Kompetenzen und eine autonome Identität verbunden mit einem kritischen politischen Bewusstsein entwickelt hat und demnach fähig ist, „sich gegenüber vorgegebenen Strukturen und Herrschaftsverhältnissen zu distanzieren und eine selbständige und unabhängige Position einzunehmen“ (Rippl, 2008, S.443). Ein eben solcher Bürger zeichnet sich nach Fend (1991) durch folgende Qualitäten aus:

- Kenntnis der demokratischen Normen und Regeln (insbesondere Grundgesetz);
- Akzeptanz der Grundwerte unserer Verfassung (Menschenwürde, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Gemeinwohl);
- Wissen über die politische Wirklichkeit in der Bundesrepublik;
- Entwicklung einer eigenen Analysefähigkeit mit dem Ziel, sich eine eigene politischen Meinung bilden zu können und tatsächliche politische Gegebenheiten im Lichte demokratischer Werte bewerten zu können;
- Entwicklung politischer Handlungsfähigkeit im Sinne des Wissens, wie man aktiv für demokratische Werte eintritt und bei Diskrepanzen von Verfassung und Wirklichkeit eine bessere Annäherung herbeigeführt werden kann (Fend, 1991, S.136)

Es wird deutlich, dass die Ziele und zuvor beschriebenen Mechanismen der politischen Sozialisation in gewissem Maße normativ besetzt sind und an eine bestimmte politische Ordnung, die demokratische Ordnung, und deren Erhalt gebunden sind.[22] Der ideale politisch-mündige Bürger zeigt einerseits Akzeptanz und Loyalität, andererseits aber auch Skepsis und wachsame Kritik gegenüber der politischen Praxis (Rippl, 2008, S.444). Jugendliche stehen somit vor der Aufgabe, sich mit den Prinzipien der Demokratie zu identifizieren, diese aber gleichzeitig auch kritisch zu hinterfragen.

3 Verbreitungsgrad rechtsextremaffiner Einstellungen in Deutschland

Um die aktuelle Lage des Rechtsextremismus in Deutschland und damit verbunden das Gefahrenpotenzial einer Erstarkung extrem rechten Denkens und Handelns angemessen einschätzen zu können, ist zusätzlich zu der bereits in Kapitel 2 erfolgten grundlegenden Auseinandersetzung mit dem Phänomen Rechtsextremismus eine Potenzialanalyse, d.h. eine Analyse des bereits vorliegenden Verbreitungsgrades dieses Phänomens, unabdingbar (Funke, 2009, S.22; IM NRW, 2001, S.85). Da davon ausgegangen wird, dass Einstellungen in der Regel Handlungen vorausgehen, wird bei der Potenzialanalyse im Rahmen dieser Arbeit allein die Verbreitung rechtsextremen Einstellungspotenzials in der deutschen Gesellschaft ausführlich beleuchtet

Im Zusammenhang mit der Frage, wie weit rechtsextreme Einstellungen in der deutschen Bevölkerung verbreitet sind, sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten einige Studien durchgeführt worden, deren Ergebnisse zwar im Einzelnen durch unterschiedlichste Untersuchungsdesigns und damit verbundenen Erhebungsformen nicht gänzlich miteinander vergleichbar sind (Decker et al., 2012, S.16), an denen jedoch Tendenzen ablesbar sind, die sich in vielen der Studien decken und von deren Gültigkeit daher verstärkt ausgegangen werden kann. Der Grund für die Verschiedenartigkeit der Studien ist u.a. erneut der heterogenen Strömung `Rechtsextremismus´ geschuldet und der damit bspw. einhergehenden uneinheitlichen Begriffsdefinition sowie der Unklarheit, was genau alles zu rechtsextremen Einstellungen zählt (Pfahl-Traughber, 2006, S.89). Wie in Kapitel 2.2 bereits aufgezeigt, besteht jedoch unter Wissenschaftlern Einigkeit darüber, dass `Rechtsextremismus´ keine einzelne Orientierung, sondern vielmehr ein multidimensionaler Einstellungskomplex ist (Klare, 2011, S.1), hinter dem sich größtenteils menschenfeindliche Einstellungen verbergen, die auf Vorurteilen beruhen (Küpper/ Zick, 2011, S.187), mit Abwertungen anderer einhergehen (Zick/ Küpper, 2013, S.65) und deren verbindendes Element Ungleichwertigkeitsvorstellungen sind (Decker et al., 2012, S.18). Letztere werden von einigen Wissenschaftlern[23] in einer gemeinsamen Definition, die zentrale, bereits geschilderte Ideologie- und Einstellungselemente des Rechtsextremismus noch einmal in Erinnerung ruft und auf die sich in den später noch näher vorgestellten `Mitte-Studien´ berufen wird, konkretisiert. Ihrer Definition folgend äußern sich diese Ungleichwertigkeitsvorstellungen

im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozial-darwinistische Einstellungen (Decker et al., 2012, S.18)

Unter Verweis auf eine Vielzahl empirischer Untersuchungen wird mittlerweile in der Wissenschaft nahezu einhellig davon ausgegangen, dass die mit den menschenfeindlichen Einstellungen einhergehende Mentalität durchaus in der breiten Bevölkerung und damit rechtsextremes Einstellungspotenzial in der Mitte der Gesellschaft verbreitet ist.[24] Da die öffentliche Wahrnehmung von dieser Problemeinschätzung zumeist sehr abweicht (`Rechtsextremismus als Randproblem´) und somit das damit verbundene Gefahrenpotenzial gern übersehen wird, werden in diesem Kapitel exemplarisch zwei empirische und für die Bundesrepublik Deutschland repräsentative Studien mitsamt einigen ihrer wesentlichen Ergebnisse vorgestellt

Dabei wird zunächst die Langzeitstudie `Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit´[25], kurz GMF, der Bielefelder Forschungsgruppe um den Wissenschaftler Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer aufge-griffen. Wenngleich nicht explizit allein rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung untersucht wurden, ist die Studie dennoch mitsamt ihren Ergebnissen an dieser Stelle von zentralem Interesse, da sie repräsentativ über einen längeren Zeitraum der jüngsten Vergangenheit u.a. weitverbreitete und aktuelle Vorurteile und Abgrenzungen in der Gesellschaft sowie deren Zusammenhänge aufzeigt; darüber hinaus nimmt sie Bezug auf die Bandbreite an möglichen und insbes. auf die aktuelle gesellschaftliche Situation und Entwicklung bezogene Bedingungsfaktoren, wie sie bereits in Kapitel 2.3 z.T. beschrieben wurden (Küpper/ Zick, 2011, S.194). Da die Ideologie der Rechtsextremen ebenfalls auf menschenfeindlichen Einstellungen und Abwertungen basiert, macht diese Studie daher, wie andere Studien auch, deutlich, dass `gefährliche´ Anknüpfungspunkte für die Verbreitung rechtsextremen Gedankengutes in der deutschen Gesellschaft durchaus existieren. Es ist sogar so, dass die rechtsextreme Szene bisweilen die Ergebnisse des GMF-Projekts als Bestätigung der eigenen Ideologie anführen, weil sie sich durch diese indirekt bestärkt fühlen, Vollstrecker eines Volkswillens zu sein (vgl. Kapitel 2.3; Ursachensuche in der politischen Kultur) (Küpper/ Zick, 2011, S.201)

Bei der zweiten ausgewählten Studienreihe handelt es sich um die sog. `Mitte-Studien´, eine empirische, für Deutschland repräsentative Untersuchung im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, die diesmal ausdrücklich der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung nachgeht

3.1 Ergebnisse der Studie zur `Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit´

In der Studie zur `Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit´ wurden ab dem Jahr 2002 über eine Laufzeit von zehn Jahren in jährlich repräsentativen Umfragen Zustimmungswerte zur sog. `Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit´ (GMF) in der deutschen Bevölkerung erhoben.[26] Unter GMF wird dabei i.Allg. die abwertende und feindselige Haltung gegenüber Menschen verstanden, die auf Vorurteilen und Stereotypen beruht und die den Menschen allein aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugewiesenen Zugehörigkeit zu einer schwachen, als fremd oder anders markierten Gruppe in der Gesellschaft und nicht aufgrund interindividueller Diskrepanzen entgegengebracht wird (Küpper/ Zick, 2011, S.187-189). Der Begriff stellt somit einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von Vorurteilen dar, die gegenüber unterschiedlichsten sozialen Gruppen bestehen, bspw. aufgrund

ihrer ethnisch-kulturellen Herkunft, ihrer religiösen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer körperlichen oder geistigen Beschaffenheit oder aufgrund ihrer prekären Lebensumstände als Obdachlose, Langzeitarbeitslose oder Hartz IV-Empfänger (Küpper/ Zick, 2011, S.189).[27]

Im Jahr 2011 wurden diese Abwertungen bspw. konkret durch Einstellungsbefragungen bzgl. der in Abbildung 3 genannten zwölf Bereiche erfragt

Abbildung 3: Die zwölf Elemente des Syndroms `Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit´ (2011)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: entnommen aus Groß et al., 2012, S

Insgesamt lagen der Befragung sowie dem Aufbau der Studie zwei wesentliche Annahmen zu Grunde, die im Laufe des Erhebungszeitraumes beeindruckend bestätigt werden konnten. Wie in Abbildung 3 dargestellt, wurden erstens all diese gruppenbezogenen Abwertungen als ein Syndrom[28] verstanden, die mit der Ideologie der Ungleichwertigkeit[29] einen gemeinsamen Kern haben und sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Groß et al., 2012, S.12-13). Letzteres bedeutet, dass eine Person, die der Abwertung einer Gruppe zustimmt, signifikant stärker auch zur Abwertung weiterer Gruppen neigt. Des Weiteren wurde das GMF-Syndrom nicht als ein starres Gebilde angelegt. Es wurde vielmehr, wenn neue Gruppen in der Gesellschaft zur Disposition standen, um Fragen zu diesen ergänzt (z.B. zur Islamfeindlichkeit seit dem Jahr 2003), so dass die Forschungsgruppe u.a. aufgrund dieser Gestaltung z weitens davon ausging, dass die erfragten Einstellungen im GMF-Syndrom kein Randphänomen in der deutschen Bevölkerung darstellen, sondern sich durchaus in der Mitte der Gesellschaft widerspiegeln (Groß et al., 2012, S.12-13)

Neben der Bestätigung dieser Annahmen zeigen die Studienergebnisse des Weiteren, dass viele soziale Gruppen, z.B. Obdachlose, Langzeitarbeitslose oder Asylbewerber, im gesamten Erhebungszeitraum von der Mitte der Gesellschaft als ungleichwertig angesehen werden und kontinuierliche Abwertungen erfahren, letztlich diese Abwertungen jedoch in zyklischen Auf- und Abwärtsbewegungen erfolgen, was u.a. auf soziale Prozesse der Integration und Desintegration zurückgeführt wird, welche wiederrum durch aktuelle gesellschaftliche und ökonomische Rahmenbedingungen sowie historische Ereignisse beeinflusst werden. Als zwei Beispiele für den Einfluss letzterer wird in der Literatur der nach den Anschlägen vom 11.September 2001 kontinuierliche Anstieg der Islamfeindlichkeit bis zum Jahr 2006 oder die historische ökonomische Krise, die weite Teile der Welt seit dem Jahr 2008 beschäftigt und die die Islamfeindlichkeit und die Zustimmung zu Etabliertenvorrechten in den Folgejahren erneut anstiegen ließ, genannt. Gerade hierhin liegt für die Forscher ein hauptsächlicher Grund in mit der ökonomischen Krise verbundenen möglichen Statusängsten.[30] Da die ökonomische Krise hierzulande schon länger abgeflaut ist, sank nach Auffassung der Forschungsgruppe die Zustimmung zu oben genannten Kategorien in den nächsten Erhebungszeitpunkten auch wieder. Ein weiterer erkennbarer Trend zeigt, dass, langfristig gesehen, gesellschaftliche und geäußerte Intoleranz gegenüber z.B. Abwertungen Homosexueller oder antisemitischen Haltungen zur Eindämmung eben jener Haltungen, zumindest im öffentlichen Raum, führt (vgl. Groß et al., 2012, S.15-16)

Ein Teil dieser erwähnten Tendenzen – insbes. die Kommunikationslatenz bzgl. des Antisemitismus und die allgemeinen Wellenbewegungen – lässt sich in den beiden nachfolgenden Grafiken wiederfinden. Zur Veranschaulichung werden diese Abbildungen aufgegriffen, da sie sich allein auf die Facetten des GMF-Syndroms beschränken, die explizit auch dem Rechtsextremismus zugeordnet werden und diesen prägen (Fremden- und Islamfeindlichkeit[31], Antisemitismus, Rassismus) (Zick/ Küpper, 2013, S.69)

Der Index in Abbildung 5, der aus den zuvor genannten und in Abbildung 4 aufgegriffenen vier Abwertungsneigungen berechnet wird, verdeutlicht dabei, dass, dem GMF-Survey folgend, rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung rechtsextremes Potenzial aufweist, wobei dieses Potenzial in Form der Abwertungen diskontinuierlich ansteigt und absinkt, jedoch mit Werten zwischen 16% und 22% stets auf einem durchaus hohen Niveau liegt (Zick/ Küpper, 2013, S.70-71).[32]

Abbildung 4: Zustimmung zu ausgewählten Elementen GMF zwischen 2002 - 2011

(GMF-Survey 2002-2011, Mittelwerte, min. Wert = 1, max. Wert = 4[33] )

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: entnommen aus Zick/ Küpper, 2013, S

Abbildung 5: Abwertungsneigung (Index) 2002 - 2011 in Prozent

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: entnommen aus Zick/ Küpper, 2013, S

Abschließend zur GMF-Studie werden noch einige allgemeine, aber aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen genannt, die die Wissenschaftler der Forschungsgruppe beobachtet haben und von denen sie vermuten, dass sie zu den Ergebnissen der Studie und damit zu der aktuell durchaus verbreiteten menschenfeindlichen Einstellung in weiten Teilen der Bevölkerung beigetragen haben bzw. noch beitragen können und die einige Theorien aus Kapitel 2.3 bedienen. Sie nennen z.B. die bereits erwähnte ökonomische Krise, deren subjektive Wahrnehmung Einfluss auf die Antworten der Befragten ausgeübt habe. Gezeigt werden konnte, „dass diejenigen Befragten, die sich von Wirtschafts- und Finanzkrisen bedroht fühlen, Abwertungen von Gruppen signifikant stärker zustimmen“ (Groß et al., 2012, S.16)

Eine weitere Ursache für die hohe Zustimmung zum GMF-Syndrom sehen sie in der sog. `Ökono-misierung des Sozialen´. So könne beobachtet werden, dass bei immer mehr Menschen soziale Werthaltungen verstärkt ökonomischen weichen würden und demnach u.a. Menschen heutzutage überwiegend nach ökonomischen, weniger nach sozialen (Nützlichkeits-)Kriterien bewertet würden. Dieser Trend des Übergewichts des Ökonomischen zeige sich vermehrt auch in anderen Bereichen. So scheint es z.B. immer mehr zu einer Kontrollverschiebung, weg von der Politik und hin zum Kapital/Markt, zu kommen. In den Analysen konnte gezeigt werden, dass Menschen mit deutlich ökonomistischen Lebensorientierungen und damit einhergehender Befürwortung des Leistungs- und Erfolgsprinzips nahezu über alle oben geschilderten Gruppen im GMF-Syndrom abwertend urteilen (Groß et al., 2012, S.14-18)

Abstiegsängste, Ohnmachts- und Bedrohungsgefühle, ökonomische Unsicherheitsgefühle sowie Gefühle der Einflusslosigkeit tragen zur Abwertung gerade statusniedriger Gruppen bei. Dies gilt jedoch keinesfalls, wie es auf den ersten Blick zu vermuten ist, nur für Menschen, die selbst prekären Lagen angehören, sondern – den Ergebnissen der Studie folgend – ebenfalls für Menschen mit höherem Einkommen. Seit 2009 konnte die Bielefelder Forschergruppe einen sprunghaften Anstieg der Menschenfeindlichkeit in jener Gruppe verzeichnen, den sie in erster Linie auf ein in Krisenzeiten auch in diese Kreise eingekehrtes Gefühl eines drohenden Statusverlustes zurückführen (vgl. Kapitel 2.3; Ansatz der relativen Deprivation). Sie vermuten zudem, dass sich Erfahrungen zunehmender sozialer Spaltung in Zukunft noch stärker negativ auf die Verbreitung eines menschenfeindlichen Einstellungspotenzials auswirken werden (Groß et al., 2012, S.17-18)

Insbes. für das getrennt ermittelte, hohe rechtsextreme Potenzial (s. Abbildung 5) sehen die Forscher schließlich noch einen bedeutsamen Einflussfaktor in der breiten, wenn auch rückläufigen Zustimmung zum Autoritarismus und einer verbreitet vorliegenden, wenn auch ebenfalls abnehmenden Demokratiedistanz in der Bevölkerung (vgl. Zick/ Küpper, 2013, S.76-78).[34] Sie konnten nachweisen, dass dieser Zusammenhang in der Studie evident war (Zick/ Küpper, 2013, S.80)

3.2 Ergebnisse der `Mitte-Studien´

Auch die sog. `Mitte-Studien´, die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung seit dem Jahr 2002 zweijährlich durchgeführt werden, sich nahezu ausschließlich[35] an „die in Deutschland lebende Bevölkerung ab 14 Jahren mit deutscher Staatsangehörigkeit“ (Decker et al., 2012, S.37) richten und sich ebenfalls in erster Linie auf die Erfassung von Ungleichwertigkeitsvorstellungen in der deutschen Bevölkerung konzentrieren,[36] erzielten, insbes. mit Blick auf das Verbreitungspotenzial rechtsextremer Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft, in weiten Teilen bislang ganz ähnliche Ergebnisse wie die GMF-Studie.[37] Im Vergleich zur GMF-Studie orientiert sich der zur Erhebung eingesetzte Fragebogen der Mitte-Studien an der zu Beginn des 3. Kapitels angeführten Definition zu Ungleichwertigkeitsvorstellungen und somit an den folgenden sechs Dimensionen:

- Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur
- Chauvinismus
- Ausländerfeindlichkeit
- Antisemitismus
- Sozialdarwinismus
- Verharmlosung des Nationalsozialismus

Im Fragebogen werden all diese sechs Dimensionen mit jeweils drei Aussagen erfasst, wobei den Befragten stets fünf Antwortmöglichkeiten (»lehne völlig ab«, »lehne überwiegend ab«, »stimme teils zu, teils nicht zu«, »stimme überwiegend zu«, »stimme voll und ganz zu«) angeboten werden. Da sich diese sechs Dimensionen gezielt auf das rechtsextreme Einstellungsmuster beziehen, werden im Folgenden besonders markante Ergebnisse dieser Studie, mit der Konzentration auf die neueste Studie aus dem Jahr 2012 sowie im Vergleich zur GMF-Studie ausführlicher und zumeist mit konkreten Zahlen unterlegt, vorgestellt

Werden zunächst die prozentualen Zustimmungswerte zu jeder einzelnen Aussage des Fragebogens betrachtet, d.h. wie viele der Befragten die jeweilige Aussage mit »stimme überwiegend zu« oder »stimme voll und ganz zu« beantwortet haben, so ergab sich in der Erhebung aus dem Jahr 2012 u.a. folgendes Bild:[38]

Alle Aussagen zur Dimension Chauvinismus – hier vor allem aber der Wunsch nach einem starken Nationalgefühl (39,2% der Gesamtbevölkerung stimmten zu) – und ganz besonders die Aussagen zur Ausländerfeindlichkeit finden in vielen Teilen der Bevölkerung regen Zuspruch. Letzteres ist vor allem in den Gebieten besonders ausgeprägt, in denen kaum Migranten wohnen und somit wenig realer Kontakt zu ihnen existiert (Decker et al., 2012, S.55). Insgesamt ist Ausländerfeindlichkeit besonders in Ostdeutschland mit deutlich über 40% Zustimmung bei allen drei Aussagen weit verbreitet, doch auch in Westdeutschland sind die zwischen 29% und 36% liegenden Zustimmungswerte erschreckend hoch (Decker et al., 2012, S.34). Darüber hinaus hat jeder sechste Deutsche keine Scheu, antisemitischen Vorurteilen, die dem primären Antisemitismus zugeordnet werden, zuzustimmen (Decker et al., 2012, S.35). In der Studie aus dem Jahr 2012, in der erstmals auch der sekundäre Antisemitismus in einem weiteren Fragebogen erfasst wurde, zeigte sich sogar, dass die Zustimmungswerte zu Aussagen zum sekundären Antisemitismus noch deutlich höher liegen als zum primären Antisemitismus und somit der sekundäre Antisemitismus heutzutage die Hauptform des Antisemitismus in Deutschland darstellt (vgl. Decker et al., 2012, S.78-79).[39] Aufgrund einer nachgewiesenen Kommunikationslatenz des Antisemitismus ist zu vermuten, dass die eigentliche Zustimmung in der Bevölkerung bzgl. jeglicher Form des Antisemitismus sogar noch höher liegt (Decker et al., 2012, S.34/116; Erb/ Kohlstruck, 2009, S.436). In der Studie des Jahres 2012 wurde außerdem die Abwertungsneigung der Bevölkerung zu einer weiteren konkreten Fremdgruppe ermittelt, in dem die Zustimmungen der Befragten zu islamfeindlichen Aussagen gemessen wurden, die sich letztlich jeweils auf zwischen 50% und 60% beliefen.[40] Dieses enorme islamfeindliche Einstellungspotenzial in der Gesamtbevölkerung konnte sich dabei nur bei weniger als der Hälfte der Befragten auf eine mitunter durchaus legitime Islamkritik stützen, auf die an dieser Stelle mit dem Hinweis auf Decker et al., 2012, S.86-101/117 verwiesen sei. Den weiteren Aussagen, die den noch fehlenden drei übergeordneten Dimensionen zugeordnet werden, wird zwar im Ganzen betrachtet deutlich weniger beigepflichtet, dennoch sind auch ihre Zustimmungswerte beunruhigend und zeigen, dass auch diese Einstellungen in der Bevölkerung durchaus verbreitet sind (vgl. Decker et al., 2012, S.31-32/35-37): Die Aussagen zum Sozialdarwinismus, wozu u.a. die zutiefst menschenverachtende Aussage gehört, dass es wertvolles und unwertes Leben gibt, sind stets für mehr als jeden zehnten Befragten zustimmungsfähig; die durchschnittlichen Zustimmungswerte zu den einzelnen Aussagen bzgl. der Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur lagen zwischen 7% und 16,1% (z.B.: »Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert« (10,1%)) und die bzgl. der Verharmlosung des Nationalsozialismus jeweils bei um die 10% (z.B.: »Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen« (10,6 Prozent))

Wird der Blick auf den Einfluss soziodemografischer Merkmale gerichtet, so ergab die aktuelle Studie 2012 – wie auch bereits frühere Mitte-Studien[41] – dass einerseits keine gesellschaftliche Gruppe immun bzgl. rechtsextremer Einstellungen ist und andererseits auch kein Merkmal Rückschlüsse auf die Höhe des Zustimmungswertes zu bestimmten Aussagen zulässt. Dennoch können Tendenzen und Zusammenhänge beobachtet und vermutet werden (Decker et al., 2012, S.38).[42]

Zunächst zeichnen sich Ost-West-Unterschiede ab: In jeder Dimension liegen die Zustimmungswerte in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland.[43] Dabei variieren die Differenzwerte hinsichtlich der einzelnen Dimensionen jedoch deutlich (Decker et al., 2012, S.38). Darüber hinaus ist ein Bildungseffekt nachweisbar (Decker et al., 2012, S.39): Menschen ohne Abitur stimmten den Aussagen doppelt so häufig zu, wie Menschen mit einem Abiturabschluss. Gerade bei diesem Vergleich, i.Allg. jedoch stets, muss der Aspekt der sozialen Erwünschtheit (Antwortverhalten gemäß gesellschaftlicher Erwartungen) mit berücksichtigt werden. Es ist zu vermuten, dass Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss verstärkt durch den Aspekt der sozialen Erwünschtheit in ihrem Antwortverhalten beeinflusst werden und somit der Unterschied hinsichtlich der wirklichen Einstellungen dieser Gruppen nicht wahrheitsgemäß erfasst werden kann.[44] Schließlich stimmten geschlechtsvergleichend die Männer den Aussagen in allen Dimensionen, mit Ausnahme der Dimension `Sozialdarwinismus´, häufiger zu als Frauen (Decker et al., 2012, S.40).[45] Zu guter letzt sind deutliche Alterseffekte erkennbar: Bei einer Unterteilung der Gesamtstichprobe in drei Altersgruppen weist die älteste Gruppe, bestehend aus den über 60-Jährigen, die deutlich höchsten Zustimmungswerte in allen Dimensionen auf, die jüngste Altersgruppe dagegen mit den 14- bis 30-Jährigen die niedrigsten in vier der sechs Dimensionen. Allein einer rechtsgerichteten Diktatur sowie den verharmlosenden Aussagen zum Nationalsozialismus stimmten die Jüngsten stärker zu als die Gruppe der 31- bis 60-Jährigen. Dies ist jedoch gerade für die schulische Bildungs- und Aufklärungsarbeit ein beachtenswerter Befund (Decker et al., 2012, S.41); ebenso, dass sich dieser Alterseffekt dramatisch verändert, wenn zusätzlich zwischen Ost und West differenziert wird. In diesem Fall erzielen nämlich die in Ostdeutschland lebenden 14- bis 30-Jährigen in vier von sechs Dimensionen die höchsten Zustimmungswerte (Decker et al., 2012, S.42).[46] Hier wächst eine Generation heran, die dem Rechtextremismus besonders zugeneigt erscheint. Eine Tendenz, die zur Besorgnis Anlass gibt

In Tabelle 1 werden nunmehr die erfragten Einstellungsmuster der deutschen Bevölkerung im Zeitverlauf von 2002 - 2012 betrachtet. Die Tabelle zeigt die konkreten prozentualen Zustimmungswerte der deutschen Bevölkerung in den einzelnen sechs Dimensionen zu allen Erhebungszeitpunkten der Mitte-Studien, wobei neben einem Gesamtwert für die Bundesrepublik eine Differenzierung nach Ost und West im Klammerzusatz aufgeführt wird

Tabelle 1: Zustimmungswerte zu Dimensionen rechtsextremer Einstellungen im Zeitverlauf 2002 - 2012 in Prozent

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung nach Decker et al., 2012, S.48-

Werden die in Tabelle 1 zusammengestellten Ergebnisse der Mitte-Studien für die Jahre 2002 bis 2012 verglichen, so zeigt sich, dass über den gesamten Erhebungszeitraum hinweg sowohl in Gesamtdeutschland als auch in Ost und West die Zustimmungswerte zu den am stärksten verbreitet-sten rechtsextremen Einstellungsdimensionen, d.h. der Ausländerfeindlichkeit gefolgt vom Chauvinismus, erschreckend hoch sind. Allen Werten zu den Einstellungsdimensionen gemein ist, dass sie bundesweit betrachtet Schwankungen unterliegen. Besonders ausgeprägt ist dies bei den Dimensionen Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus und Antisemitismus. Dagegen ist der Verlauf der Zustimmungswerte bei den Dimensionen Befürwortung einer Diktatur und Verharmlosung des Nationalsozialismus mit Ausnahme jeweils eines Erhebungszeitpunktes kontinuierlich fallend und bei der Dimension Chauvinismus leicht ansteigend

Getrennt nach Ost/West zeigt sich, dass bei der Ausländerfeindlichkeit gerade im Osten ein starker, fast kontinuierlicher Anstieg auf fast 40% erfolgt, während die Werte im Westen zwischen 18,2% und 25,7% stark schwanken. Auch bei der Dimension Chauvinismus liegt eine ebensolche Grundtendenz, allerdings bei niedrigeren Werten, in Ost und West vor. Im Unterschied zur Dimension Ausländerfeindlichkeit, bei dem die Zustimmungswerte im Osten stets höher liegen als im Westen, haben die Ostdeutschen im Bereich Chauvinismus die Westdeutschen erst seit dem Jahr 2008, seitdem allerdings stetig, bzgl. der Zustimmungswerte überholt. Ein zu Beginn der Erhebung deutlich höherer Zustimmungswert im Westen (13,8%) liegt auch hinsichtlich der Dimension Antisemitismus im Vergleich zum Osten (4,8%) vor. Doch auch in dieser Dimension haben die Ostdeutschen, wenngleich erstmalig erst im Jahr 2012, die Westdeutschen mittlerweile überholt, wozu ein mehr oder minder kontinuierlicher Anstieg im Osten und ein kontinuierlicher Rückgang im Westen beigetragen haben. In Bezug auf den Sozialdarwinismus ist zu beobachten, dass bei noch fast Gleichstand von Ost und West im Jahr 2002 die Werte, trotz vor allem großer Schwankungen im Osten, im Jahr 2012 im Osten mehr als doppelt so hoch sind wie im Westen. Bei der Verharmlosung des Nationalsozialismus liegt der Osten im Jahr 2012 erstmals bei den Zustimmungswerten knapp über denen des Westens, wobei im Erhebungszeitraum ein schwankender Wert im Osten und ein nahezu kontinuierlicher Rückgang im Westen zu verzeichnen ist

In Tabelle 2 sind nunmehr die prozentualen Werte bzgl. der Verbreitung eines geschlossenen rechtsextremen Weltbildes[47] – erneut sowohl über den gesamten bisherigen Erhebungszeitraum als auch differenziert nach Gesamt-, Ost- und Westdeutschland – aufgeführt

Tabelle 2: Geschlossenes rechtsextremes Weltbild von 2002 - 2012 in Prozent

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung nach Decker et al., 2012, S

Es zeigt sich, dass auch bzgl. der Ausprägung eines geschlossenen rechtsextremen Weltbildes zunächst die Westdeutschen höhere Werte aufweisen, dieses Bild sich jedoch seit dem Jahr 2008 gewandelt hat und mittlerweile ein solches Weltbild unter Ostdeutschen, bei denen 2012 erschreckende 16% der Befragten ein solches aufweisen, mehr als doppelt so oft verbreitet ist wie unter Westdeutschen, wozu seit dem Jahr 2008 ein mäßiger Rückgang in Westdeutschland und ein sehr starker Anstieg in Ostdeutschland beigetragen haben (Decker et al., 2012, S.54). Dennoch soll und darf nicht der Schluss gezogen werden, dass der Rechtsextremismus gegenwärtig ein rein ostdeutsches Problem ist. Wie alle Ergebnisse zeigen, sind rechtsextreme Einstellungen in der gesamtdeutschen Bevölkerung durchaus weit verbreitet (wenn auch Regionen spezifisch) und auch in Westdeutschland ist mit 7,3% im Jahr 2012 ein nicht gerade kleiner Anteil der Bevölkerung mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild vorzufinden (Decker et al., 2012, S.54-55)

Hinsichtlich der in Kapitel 2.3 erwähnten Ursachen für die Ausbildung rechtsextremer Einstellungen zeigt sich in den Mitte-Studien u.a., dass erfreulicherweise zunächst einmal die Zustimmung zur Demokratie als Staatsform nach wie vor groß ist und die wirtschaftliche Deprivation seit 2010 weiter abgenommen hat.[48] Zu beobachten ist jedoch – wie auch in vielen anderen empirischen Studien (Decker et al., 2012, S.22) – dass Befragte, die sich wirtschaftlich benachteiligt fühlen, verstärkt rechtsextremen Aussagen zustimmen (vgl. Decker et al., 2012, S.63-64); ein Ergebnis, das Deprivationserfahrungen als Ursachenangabe für rechtsextreme Einstellungen rechtfertigt (Decker et al., 2012, S.57). Besorgniserregend sind daher auch die erfassten hohen sozialen und politischen Deprivationserfahrungen. Von den Befragten weisen Dreiviertel im sozialen und nahezu Zweidrittel im politischen Bereich mit der Deprivation einhergehende Benachteiligungsgefühle auf (vgl. Decker et al., 2012, S.21/59). Weitere Ergebnisse der Studie, die jedoch nicht mehr näher vorgestellt werden, bestätigten ebenfalls den Einfluss sozioökonomischer Rahmenbedingungen auf eine mögliche Ausbildung rechtsextremer Einstellungen (vgl. Decker et al., 2012, S.23-24)

3.3 rechtsextremes Einstellungspotenzial in der Gesellschaft – eine Gefahr für die Ausbreitung des Rechtsextremismus

Alles in allem zeigen die Ergebnisse der in dieser Arbeit ausführlich dargestellten Studien, dass rechtsextremes Einstellungspotenzial durchaus, wenn auch z.T. Regionen spezifisch, in der Mitte der Gesellschaft verbreitet ist und Rechtsextremismus ein gesellschaftliches Problem ist und bleibt (Decker/ Brähler, 2008, S.58), welches nicht unterschätzt werden darf. Gleichwohl die vorgestellten Ergebnisse trotz ihrer Wichtigkeit auch mit Vorsicht zu bewerten sind, da Denken nicht gleich Handeln ist, sind sie aufgrund der Tatsache, dass Einstellungen in der Regel Handlungen vorgelagert sind, dennoch alarmierend und beachtenswert (Zick/ Küpper, 2013, S.81). Es ist daher geboten, diese empirischen Befunde ernst zu nehmen und das Thema kontinuierlich weiter zu verfolgen, z.B. durch die Fortsetzung der GMF-Studie oder der Mitte-Studien. Besorgniserregend und überaus bedeutsam sind die Ergebnisse der bisherigen Studien vor allem aus zweierlei Gründen. Zum einen stellen die nachgewiesenen vielfältigen Affinitäten zu menschenverachtenden und rechtsextremen Einstellungen in der breiten Bevölkerung für rechtsextreme Parteien, Gruppierungen und Täter eine Grundlage und Legitimationsbasis für ihr Handeln dar – sie fühlen sich als Vollstrecker eines Volkswillens (Groß et al., 2012, S.18; Küpper/ Zick, 2011, S.201). Zum anderen bedeutet das nachgewiesene rechtsextreme Einstellungspotenzial in der Mehrheitsgesellschaft eine zentrale Gefahrenquelle für die Ausbreitung rechtsextremen Denkens und Handelns speziell unter Jugendlichen und letztlich damit auch in der Gesellschaft, denn „sie [die Jugendlichen] sind das Produkt der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und bestimmen die sozialen Milieus der Zukunft“ (Agentur für soziale Perspektiven e.V.[49], 2008, S.1). Gerade in einer Lebensphase, in der die eigene (politische) Identitätsbildung eine sehr zentrale Lebensaufgabe darstellt und erst noch erfolgen muss, werden Jugendliche durch verschiedene Einflüsse von außen, sei es durch die Medien, die Freundesgruppe, die Familie etc. geprägt (vgl. Kapitel 2.4). Wenn diese Sozialisa-tionsinstanzen nun z.T. mehr oder minder rechtsextremes Einstellungspotenzial aufweisen, besteht die Gefahr, dass auch die Jugendlichen sich diese Sichtweisen zu eigen machen und in ihr Selbstkonzept übernehmen; zumal die Jugendlichen ebenfalls den weiteren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind, die in Kapitel 2.3 und im Rahmen der vorgestellten Studien als mögliche Bedingungsfaktoren für eine Ausbildung von rechtsextremen Einstellungen genannt, begründet und z.T. nachgewiesen wurden

[...]


[1] Eine frühere Aufdeckung des NSU gab es vor allem deshalb nicht, weil die Wahrnehmung der Verbrechen selbst von rassistischen Stereotypen verzerrt war und/oder in unzureichendem Maße in die Richtung rechtsextremer Gewalt ermittelt wurde, da der Rechtsextremismus in Deutschland unterschätzt wurde (vgl. Decker et al., 2012, S.10-12)

[2] Im Folgenden abgekürzt mit IM NRW

[3] Der Verfassungsschutz darf „ausschließlich die Verhaltensebene des Rechtsextremismus beobachten und analysieren []. Die Erforschung von Meinungen und Einstellungen ist ihm nicht gestattet“ (Müller, 2009, S.27)

[4] Hans-Gerd Jaschke (*7. September 1952) ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin im Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement

[5] In dieser Arbeit werden die Begriffe `rechtsextrem´ und `rechtsextremistisch´ sowie grammatikalische Ableitungen von diesen äquivalent verwendet

[6] Von einer `simplen´ Weltanschauung wird gesprochen, da die Rechtsextremen in ihren Ansichten oft allzu einfache Erklärungen und Antworten liefern, die die Komplexität der heutigen Gesellschaft jedoch nicht hinreichend abbilden

[7] Die Ideologie der Ungleichwertigkeit umfasst im Kern die Ansicht, dass die Gesellschaft durch die grundsätzliche Ungleichwertigkeit von Gruppen bestimmt werde und dies so gut sei (Groß et al., 2012, S.12)

[8] Alle aufgeführten Merkmale lassen sich bei nahezu allen rechtsextremistischen Bestrebungen wiederfinden, dies jedoch in durchaus unterschiedlicher Ausprägung sowie unterschiedlicher ideologischer Ausdrucksweise (Pfahl-Traughber, 2006, S.17; IM NRW, 2001, S.10). Auf diese unterschiedlichen Gewichtungen und Auslegungen wird bisweilen hingewiesen, sie können jedoch aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit darüber hinaus nicht näher thematisiert werden

[9] Manche Menschen leugnen den Holocaust, andere schreiben die (Mit-)Schuld an diesem Völkermord ebenso wie am Zweiten Weltkrieg den Juden selbst zu (daher auch `Schuldabwehr-Antisemitismus´ genannt), wiederrum andere sehen sich aufgrund der vorangeschrittenen Zeit nicht mehr in der Verantwortung und fordern einen Schlussstrich unter alle NS-Debatten, da die Juden genug entschädigt worden seien und die heute lebenden jüngeren Generationen am Holocaust selbst keine Schuld tragen (die historische Verantwortung, die Deutschland aufgrund der Naziverbrechen dauerhaft trägt, sehen sie nicht bzw. wollen sie nicht sehen). Mit alledem geht die Ansicht einher, dass die Juden entweder immer schon oder zumindest mittlerweile ungerechtfertigte Vorteile aus der (angeblichen) Vergangenheit zögen (vgl. Bergmann, 2005, S.24-30). Zum Unterschied zwischen primärem und sekundärem Antisemitismus vgl. Decker et al., 2012, S.69-79. Der dort aufgeführte Fragebogen befindet sich zudem unter Anhang 1

[10] Nach dem Konzept des Ethnopluralismus sind prinzipiell alle Ethnien gleich viel wert (somit Abhebung von der biologistisch begründeten Hierarchie der Rassenunterschiede im Rahmen des Sozialdarwinismus), sie stehen jedoch aufgrund der Ansicht, dass eine politische Einheit stets die reale Möglichkeit des Feindes und damit mindestens eine andere koexistierende politische Einheit voraussetzt, prinzipiell immer gegeneinander im Kampf. Um diese Kämpfe zu gewinnen, muss nationale Stärke geschaffen werden. Dazu muss einer Entfremdung innerhalb der eigenen politischen Einheit entgegengewirkt und eine nationale Identität geschaffen werden (Decker et al., 2012, S.13; vgl. Gessenharter, 2002, S.194-195). Dieses Konzept hat sich vor allem in Westeuropa verbreitet und ist heutzutage „eine modernisierte Abwehrstrategie gegen Immigration und Integration“ (Minkenberg, 2011, S.115)

[11] Generell muss neben der Nachfrage seite auch die Angebots seite, d.h. müssen auch die Erfolgsbedingungen des organisierten Rechtsextremismus, betrachtet werden (Stöss, 2007, S.49). Dies erfolgt in dieser Arbeit bisweilen zwischendurch, explizit jedoch ausführlich dann in Kapitel 4

[12] Die Theorie geht zurück auf die Untersuchungen zur `autoritären Persönlichkeit´ (im Englischen: `The Authoritan Personality´) von Theodor Adorno aus dem Jahr 1950 (Decker/ Brähler, 2005, S.8-9)

[13] Zu weiteren Dimensionen eines solchen Charakters vgl. Stöss, 2007, S

[14] Wilhelm Heitmeyer (*28. Juni 1945) ist Professor für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Sozialisa-tion an der Universität Bielefeld

[15] Ulrich Beck (*15. Mai 1944) ist u.a. emeritierter Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilian-Universität München und an der London School of Economics and Political Science

[16] Ausführlich wird in dieser Arbeit auf Becks Individualisierungstheorie nicht eingegangen. Im Wesentlichen beschreibt Beck in dieser Theorie jedoch u.a. die Entwicklung hin zur gegenwärtigen sog. `Bastelbiografie´. Mit dieser ist gemeint, dass die Biografie eines Menschen heutzutage aus vorgegebenen Fixierungen verstärkt herausgelöst, offener und entscheidungsabhängiger ist als früher und von jedem Menschen vermehrt selbst gestaltet werden kann, gleichzeitig jedoch auch von diesem gestaltet werden muss. Der Einzelne steht somit vor der Aufgabe, diese Ambivalenz – vermehrte Entscheidungsspielräume vs. vermehrte Entscheidungszwänge – individuell zu meistern; er muss sich als eigenes Handlungszentrum bzgl. seines eigenen Lebenslaufes begreifen, wobei die gesellschaftlichen Determinanten, die nach wie vor unterschiedlich starke Einschränkungen in der Lebensgestaltung bedeuten, als `Umweltvariablen´ aufzufassen sind. Letztlich wird jeder Einzelne heutzutage für seinen Lebensverlauf vermehrt selbst verantwortlich gemacht (vgl. Beck, 1986, S.216-217)

[17] „Die kognitive Entwicklung erlaubt nun [im Jugendalter] abstraktes Denken und die Erfassung komplexer politischer Prozesse. Die moralische Entwicklung ermöglicht die Reflexion über gesellschaftliche Normen und ihre Grundlagen“ (Rippl, 2008, S.445)

[18] Es werden bisweilen drei Modellrichtungen unterschieden: zum einen psychoanalytische geprägte Modelle eines frühen Lernens, zum anderen Modelle, die die Adoleszenz als besonders sensible Phase darstellen sowie Modelle des späten oder lebenslangen Lernens (Rippl, 2008, S.445). Es werden jedoch durchaus auch andere Unterteilungen vorgenommen. Generell kann kein Modell bislang als empirisch uneingeschränkt gesichert gelten (vgl. Grob, 2009, S.331-334)

[19] LifE steht für `Lebensverläufe ins frühe Erwachsenenalter´. Untersucht wurden in dieser Studie explizit sowohl die Entwicklungen der drei Kriterien politisches Interesse, politische Wertvorstellungen und Einstellungen gegenüber Ausländern unter den Gesichtspunkten der Stabilität vom Jugend- ins Erwachsenenalter als auch die Bedeutung zentraler Kontexte in der Kindheit und der Adoleszenz. Dazu wurden 1982 Jugendliche im Alter von ca. 15 Jahren und 2002 die mittlerweile 35-Jährigen damaligen Jugendlichen erneut befragt. Alle drei Merkmale zeigten dabei eine relative Stabilität (Grob, 2009, S.341/366)

[20] Im Einzelnen kann auf die speziellen Bedeutungen genannter Instanzen aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit nicht eingegangen werden. Angeführte Textstelle wird diesbezüglich jedoch sehr zum Nachlesen empfohlen

[21] Vor diesem Hintergrund sind Befunde der Sachsen-Anhalt-Studie 2002, nach denen politisch rechtsorientierte Jugendliche politisch interessierter als der Durchschnitt sind, als bedenklich zu bewerten (Reinhardt, 2012, S.40-41)

[22] Diese Merkmale finden sich in nahezu allen Studien zur politischen Sozialisation explizit oder implizit wieder (Rippl, 2008, S.444)

[23] Zu besagten Wissenschaftlern zählen Elmar Brähler, Michael Edinger, Jürgen Falter, Andreas Hallermann, Joachim Kreis, Oskar Niedermeyer, Karl Schmitt, Siegfried Schumann, Richard Stöss, Bettina Westle und Jürgen Winkler (Decker et al., 2012, S.18). Erwähnte Gruppe nahm diese Arbeitsdefinition schließlich auch als Grundlage verschiedenster von ihnen durchgeführter Studien (s.u.)

[24] Es gibt jedoch nach wie vor auch vereinzelt diejenigen, die im Rechtextremismus auf der Einstellungsebene weiterhin allein ein Randphänomen sehen (Decker et al., 2012, S.7)

[25] Die Studie ist auch unter dem Namen `Deutsche Zustände´ bekannt

[26] Zum genaueren Untersuchungsdesign der Studie und ihrer Durchführung vgl. Zick/ Küpper, 2013, S.68 und vgl. Küpper/ Zick, 2011, S

[27] Diese kategorialen Klassifikationen und Abwertungen erfüllen für die Menschen wichtige Funktionen. Sie dienen zum einen der Legitimation der eigenen Ideologie und der Verbindung der Gruppen. Zum anderen schaffen sie eine Abgrenzung der Eigengruppe zu Fremdgruppe(n) (Freund-Feind-Verhältnis) und legitimieren auf diese Weise die Dominanz der eigenen Bezugsgruppe (Küpper/ Zick, 2013, S.67)

[28] Allgemein wird unter einem `Syndrom´ das gleichzeitige Vorhandensein verschiedener Symptome, die meist auf die gleiche Ursache zurückgehen, verstanden

[29] Die Ideologie der Ungleichwertigkeit umfasst im Kern die Ansicht, dass die Gesellschaft durch die grundsätzliche Ungleichwertigkeit von Gruppen bestimmt werde und dies so gut sei. Anhänger dieser Ideologie – so auch die Rechtsextremen (vgl. Kapitel 2.2) – sehen damit ihre Ungleichheitsgedanken legitimiert (Groß et al., 2012, S.12)

[30] In diesem Kontext wird von der Forschungsgruppe vermutet, dass „die Krise weniger die religiöse Überformung von Abwertung, sondern vielmehr das Gefühl der Bedrohung des eigenen Status hervorgerufen haben dürfte. Dieser kann durch Muslime ebenso bedroht sein [àAnstieg der Islamfeindlichkeit] wie durch allgemein neu Hinzugekommene, wie sie die Etabliertenvorrechte fokussieren“ (Groß et al., 2012, S.16)

[31] Islamfeindlichkeit wird vor allem dem modernen Rechtsextremismus mehr und mehr zugeschrieben

[32] Für nähere Informationen zu beiden Abbildungen sei auf Zick/ Küpper, 2013, S.69-71 verwiesen. Von einem rechtsextremen Potenzial kann gesprochen werden, da der Index in Abbildung 5 allein aus den in Abbildung 4 dargestellten Elementen aus der GMF-Studie berechnet wurde, welche genau dem Rechtsextremismus zugeordnet werden

[33] „Zur Erfassung der einzelnen Elemente der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit [] wurde jeweils ein Bündel von mindestens zwei Aussagen vorgelegt, in deren Kern sich Ungleichwertigkeit spiegelt. Die Befragten wurden gebeten, ihre Zustimmung oder Ablehnung der Aussage auf einer vierstufigen Skala anzugeben: von 1 = `ich stimme überhaupt nicht zu´, 2 = `ich stimme eher nicht zu´, 3 = `ich stimme eher zu´ bis 4 = `ich stimme voll und ganz zu´. Die Antworten auf die einzelnen Aussagen wurden für jedes Element zu einer Mittelwertskala zusammengefasst, die auf ihre Zuverlässigkeit geprüft wurde“ (Zick/ Küpper, 2013, S.68)

[34] Unter Rückgriff auf Erklärungsansätze zur Entstehung von rechtsextremen Einstellungen und Verhalten (vgl. Kapitel 2.3) wurden von der Forschungsgruppe zu manchen Erhebungszeitpunkten auch einige politische und soziale Überzeugungen der Befragten erfasst (vgl. Zick/ Küpper, 2013, S.76-78)

[35] In der im Jahr 2012 durchgeführten Studie wurden auch Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, zu gewissen Themen befragt, jedoch wurden ihre Angaben getrennt von den anderen ausgewertet (Decker et al., 2012, S.101) – auf erstere wird in dieser Arbeit nicht näher eingegangen

[36] Zum genaueren Design der repräsentativen Studie und der Art der Datenerhebung vgl. Decker et al., 2012, S.24-27. Es wird an angeführter Textstelle ausführlich dargestellt, warum die Studie den Anspruch der Repräsentativität für sich erheben darf

[37] Die konkrete Aufgabe dieser Mitte-Studien war, den Rechtsextremismus als Problem der Mitte zu untersuchen (Decker et al., 2012, S.113). Als ein zentrales Ergebnis wurde auch im Rahmen dieser Studien ermittelt, dass keine gesellschaftliche Gruppe immun gegen rechtsextreme Einstellungen ist (Decker et al., 2012, S.38)

[38] Für die Auflistung der genauen Werte zu allen Aussagen sei auf Decker et al., 2012, S.29-30 verwiesen bzw. auf das Material M8 im Anhang 2 dieser Arbeit

[39] Zum Unterschied zwischen primärem und sekundärem Antisemitismus vgl. Kapitel 2.2 und s. Fußnote 8

[40] Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass gerade dem modernen Rechtsextremismus `Islamfeindlichkeit´ zugeschrieben wird

[41] Siehe z.B. ebenfalls Decker et al., 2010, S.136-159 sowie Decker/ Brähler,

[42] Von nun an werden die im Fragebogen erfassten 18 Aussagen nicht mehr einzeln betrachtet, sondern es gibt nur einen berechneten Zustimmungswert pro Dimension (allerdings nach wie vor Daten zu Gesamt – Ost – West). Die Prozentangabe gibt von nun an den Anteil der Befragten an, die den jeweiligen drei Aussagen im Durchschnitt zugestimmt haben (Decker et al., 2012, S.37-38). Eine Person, die einer der drei Aussagen z.B. voll zustimmte, die anderen beiden aber ganz ablehnte, zählt somit nicht zu diesem Personenkreis. Dies ist wichtig für das Verständnis der im Folgenden bis zum Ende des Kapitels genannten Vergleichsgrößen und Zahlen

[43] Dies ist ein Befund, der sich in den Mitte-Studien erst spät herauskristallisierte. Lange Zeit waren die Zustimmungswerte im Westen ähnlich, wenn nicht gar höher, zu denen im Osten (vgl. Decker/ Brähler, 2008, S.7-8)

[44] Dieser Bildungseffekt konnte auch in der obigen GMF-Studie nachgewiesen werden. Dort zeigte sich jedoch explizit, dass dieser Effekt vor allem bei offenen Formen der Abwertungen, dagegen in geringerem Maße bei subtileren Abwertungen auftritt, was die Vermutung bzgl. des Antwortverhaltens unterstützt. Allerdings sind auch weitere Gründe für diesen Bildungseffekt möglich (vgl. Zick/ Küpper, 2013, S.74-75)

[45] In anderen Studien wurde dagegen im Großen und Ganzen kein Unterschied zwischen den Geschlechtern auf der Einstellungsebene nachgewiesen (vgl. Zick/ Küpper, 2013, S.75)

[46] In anderen Studien wird insbes. auch die hohe Ausländerfeindlichkeit gezielt bei Jugendlichen nachgewiesen (vgl. Fischer, 2013, S.10; Spöhr, 2010, S.10). In der im Jahr 2009 veröffentlichten Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen `Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt´ ergab sich bspw., dass 14,4% der befragten Jugendlichen sehr, weitere 26,2% eher ausländerfeindlich waren. Zwei Drittel der Befragten stimmten darüber hinaus konkret der Aussage zu, dass es zu viele Ausländer in Deutschland gibt, und 3,8% gaben an, einer rechten Gruppe anzugehören. Ähnliche Ergebnisse erzielten auch die Shell-Jugendstudie im Jahr 2000 und andere (vgl. Funke, 2009, S.22/29)

[47] Als Person mit einem geschlossenen bzw. manifesten rechtsextremen Weltbild werden all jene Befragten bezeichnet, die durchschnittlich bei allen Aussagen über der mittleren, der teils/teils Antwort, liegen (Decker/ Brähler, 2008, S.37). Konkret heißt das: Die Antwortmöglichkeiten wurden mit Punkten versehen (von `lehne völlig ab = 1Pkt´ - ´stimme voll und ganz zu = 5Pkt´). Wenn die Person nun mehr als 63 Punkte erhalten hat (möglich, wenn bei allen 18 Items durchschnittlich mindestens 3,5 Punkte erreicht wurden), zählt sie zu besagtem Personenkreis (vgl. Decker u.a., 2012, S.54)

[48] Wie bereits mehrfach erwähnt, wird davon ausgegangen – weitere empirische Studien zeigen dies auch – dass sowohl eine demokratische Einstellung als auch eine wirtschaftlich gute Lage verstärkt gegen rechtsextreme Einstellungen immunisiert, wenn ihre Übernahme auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann (Decker et al., 2012, S.21-23; Stöss, 2007, S.73)

[49] Im Folgenden mit AsP abgekürzt

Ende der Leseprobe aus 146 Seiten

Details

Titel
Rechtsextremes Einstellungspotenzial in der Mehrheitsgesellschaft und der Erlebnisweltcharakter der rechten Szene
Untertitel
Möglichkeiten der Gegenprävention im sozialwissenschaftlichen Unterricht
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
146
Katalognummer
V273053
ISBN (eBook)
9783656649748
Dateigröße
11934 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rechtsextremes, einstellungspotenzial, mehrheitsgesellschaft, erlebnisweltcharakter, szene, möglichkeiten, gegenprävention, unterricht
Arbeit zitieren
Lucia Postrach (Autor:in), 2014, Rechtsextremes Einstellungspotenzial in der Mehrheitsgesellschaft und der Erlebnisweltcharakter der rechten Szene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273053

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