Geldtheorie und Geldpolitik

Blitzlichter einer Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung neuerer Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland


Facharbeit (Schule), 1986

92 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Wort zum Geleit

2. Vorbemerkungen
2.1. Problemorientierte Einführung: Relevanz der Theorie für die Politik
2.2. Historischer Rückblick
2.2.1. Von der Klassik bis Keynes
2.2.2. Neue Klassische Makroökonomik (Monetarismus)
2.3. Der geldpolitische Kurswechsel
2.3.1. 1973/ Aufgabe des Liquiditätssaldokonzepts
2.3.2. 1974/ Geld- und Lohnpolitik im Widerspruch - Geldmengenzieldeklarierung

3. Das Konzept der Geldmengensteuerung
3.1. Die Ziele der Geldmengensteuerung
3.2. Vorbedingung: positive Korrelation, Kausalität und Exogenität des Geldes
3.3. Zwischenzielgröße und Geldmengenindikator: Zentral­bankgeldmenge
3.4. Die Festlegung des Geldmengenziels
3.5. Die technische Ausgestaltung der Zielformulierung
3.6. Steuerungssysteme: "Von der Bankenliquidität zur Geldbasis"?

4. Anmerkungen zur Neugestaltung des geldpolitischen Instru- mentariuns
4.1. Instrumente der Grob- und der Feinsteuerung
4.2. Offenmarktgeschäfte mit Rückkaufsvereinbarung S.
4.2.1. Wechselpensionsgeschäfte S.
4.2.2. Wertpapierpensionsgeschäfte S.
4.2.2.1. Institutionelle Ausgestaltung S.
4.2.2.2. Der praktische Einsatz der Wertpapierpensions­geschäfte S.

5. Effizienzprobleme der Geldpolitik S.
5.1. Systemimmanente Schwachstellen S.
5.2. Zielkonflikte der Geldpolitik S.

6. Schlußwort S.

7. Literaturverzeichnis S.

Abbidung

Abb. 1: Gesamtwirtschaftliche Liquiditätspräferenzfunktion

Abb. 2: Liquiditätspräferenzfunktion und Geldmengenerhöhung

Abb. 3: Phillipskurve

Abb. 4: Phillipskurve in der Neuen Klassischen Makroökonomik

Abb. 5: Inflation und Arbeitslosigkeit

Abb. 6: Rechnerisches Kreditmaximum und Kreditbestand

Abb. 7: Zentralbankgeldmenge, Bruttosozialprodukt und Produktions­potential

Abb. 8: "time-lag-Evidenz"

Abb. 9: Geldbestände und Zentralbankgeldmenge

Abb. 10: Potentialorientierung in der Geldpolitik

Abb. 11: Zieltrichter

Abb. 12: Zieltrichter

Abb. 13: Zieltrichter

Abb. 14: Geldmengenziele

Abb. 15: Mengentender

Abb. 16: Zinstender

Abb. 17: Repartierung beim Zintender

Abb. 18: Kumuliertes Volumen der Wertpapierpensionsgeschäfte im Zeitablauf (1983 - April 1985)

Abb. 19: Einsatz des Wertpapierpensionsinstruments

Abb. 20: Idealtypische Mindestreservehaltung bei Dominanz von Sicherheitsüberlegungen

Abb. 21: Struktur der Zentralbankgeldbereitstellung

Abb. 22: Zinssätze der Bundesbank und Tagesgeldsatz

Abb. 23: Veränderung der Netto-Auslandsposition der Deutschen Bundesbank

Symbole

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1„ Wort zum Geleit

"Geldtheorie und Geldpolitik - Blitzlichter einer Entwicklung unter beson­derer Berücksichtigung neuerer Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland"

Zunächst kann man wohl alles oder nichts mit dem Titel verbinden. Damit ist aber auch gleichzeitig die Hauptursache für die so weite und unscharfe Formulierung angesprochen, denn gerade sie erlaubt es den Autoren, sich frei und unbedarft in ein Feld zu stürzen, das die Menschen immer schon mehr als faszinierte.

"Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles."

(Goethe, Faust - Der Tragödie erster Teil, Abend)

Dieser Wink Goethes mag genügen, uns die schiere Grenzenlosigkeit des ge­wählten Facharbeitsgebietes vor Augen zu führen.

Deshalb ist es unumgänglich, größere Einschränkungen vorzunehmen und aus dem Themenkomplex nur kleine Bruchstücke zu herauszuzupfen, wobei beson­deres Augenmerk auf die Schnittstellen von Geldtheorie und Geldpolitik gelegt wird. Eine zumeist künstliche und den Realitäten widerstrebende Trennung von Theorie und Politik des Geldes soll dabei vermieden werden, in der Absicht den Leser in das sich fortlaufend bewegende Spannungsfeld geldtheoretischer Ansätze und geldpolitischer Einsätze zu führen.

Die Vielschichtigkeit der Materie und die geforderte Kürze der Arbeit ge­bieten es, zu den einzelnen Themenbereichen jeweils nur wenige als Anmer­kungen zu verstehende Gedanken zu formulieren. Der vorliegende Aufsatz ver­körpert insofern den Versuch, in einzelne Gänge eines Labyrinths ein schwaches Licht zu werfen, mit dem Bewußtsein, daß die getroffenen Vereinfachungen den komplizierten Sachverhalten zumeist nicht gerecht werden.

Um den Leser im Irrgarten nicht zu verlieren, sei knapp die Leitlinie auf­gezeigt.

Nach einer kurzen Begriffsbestimmung erfolgt ein geraffter Abriß der wichtigsten geldtheoretischen Entwicklungstendenzen von der Klassik über Keynes bis zur Reaktivierung klassischer Gedanken in der Neuen Klassischen Makroökonomik (Monetarismus).

Unter den Begriff "Keynes" sind sowohl die orginären Gedanken von John Maynard Keynes als auch Aspekte der post-keynesianischen Makroökonomik eingeordnet. Auf eine Behandlung der im Rahmen der Monetarismusdebatte teilweise erfolgten Weiterentwicklung der keynesianischen Theorie (Neo­keynesianismus) wird ebenso verzichtet, wie auf eine differenzierte Unter­scheidung einzelner monetaristischer Strömungen.

Hieran schließt sich eine knappe Beschreibung des Liquiditätssaldokonzepts und der wirtschaftspolitisch relevanten Ereignisse des Jahres 1974, die wesentlich zur Festlegung eines Geldmengenziels für 1975 beitrugen, an.

Im dritten Kapitel wird der Versuch unternommen, die Zielsetzungen der neuen Geldpolitik und, darauf aufbauend, die wesentlichen Voraussetzungen, die das verwendete Zielaggregat "Geldmenge" zu erfüllen hat, wiederzugeben und die definitorische Zentralbankgeldmengenabgrenzung unter Hinweis auf Zwischenziel- und Indikatorfunktion vorzustellen.

In Verbindung mit einer auf die Verstetigung des Geldmengenwachstums ge­richteten Politik stellt sich die Aufgabe, ein Ableitungsverfahren zur Be­messung der Zuwachsraten der Zentralbankgeldmenge zu erstellen. Darauf wird im Kapitel 3.4. eingegangen, bevor nach der Analyse der grunsätzlichen Wirkungsmacht der Notenbank das in der Bundesrepublik Deutschland prak­tizierte Geldsteuerungskonzept durch die Auseinandersetzung mit dem Geld­basiskonzept geldtheoretisch zwar nicht eingegrenzt - dies ist wohl kaum je möglich -, so doch Nichtzutreffendes ausgegrenzt wird.

Im vierten Kapitel werden einige Charakteristika der größtenteils seit 1979 neugeschaffenen bzw. verstärkt angewandten Feinsteuerungsinstrumente beispielhaft an Hand von Wechseln und Wertpapierpensionsgeschäften her­ausgearbeitet.

Die Einsicht, daß die Bundesbank trotz institutioneller Verbesserungen und verstärkter außenwirtschaftlicher Absicherung mit Effizienzproblemen zu kämpfen hat, die nicht zuletzt durch das unserer Meinung nach positiv zu bewertende gesamtwirtschaftliche Verantwortungsbewußtsein der Bundes­bank hervorgerufen werden, soll im fünften Kapitel vermittelt werden.

Insbesondere bei der Erstellung der letzten Kapitel hatten wir mit der Schwierigkeit zu kämpfen, in den Besitz neuerer Literatur zu gelangen, da die vor 1975 erschienenen geldtheoretischen und geldpolitischen Abhand­lungen verständlicherweise nicht auf neuere Tendenzen eingehen können, und erst ab 1982/83 Feinsteuerungsmaßnahmen der Bundesbank explizit Er­wähnung finden.

Es sei noch darauf verwiesen, daß auf eine strenge Gliederung der Sach­verhalte bewußt verzichtet wurde. Das dadurch teilweise etwas verworrene Bild entspricht vielleicht mehr der augenblicklichen geldtheoretischen Diskussion, als es dies ein exaktes Strukturprinzip vermöchte.

2. Vorbemerkungen

2.1. Problemorientierte Einführung: Relevanz der Theorie für die Politik

Am Anfang dieses Aufsatzes über neuere Entwicklungen der deutschen Geld­sollten wir kurz versuchen, den Beriff Geldpolitik zu definieren. Dickertmann und Siedenberg verstehen unter monetärer Politik, "die Poli­tik der Notenbank, die über die Beeinflussung der monetären Ströme und der monetären Bestände in der Volkswirtschaft einen Beitrag zur Erfül­lung der allgemeinen Ziele der Wirtschaftspolitik zu leisten sucht'U- ( Dickertmann, 1984, S. 1 ) .

Eine viel leichtnotwendige genauere Erläuterung dieser Definition wollen wir uns ersparen und uns damit begnügen, unter Geldpolitik die Gesamt­heit "der Aktivitäten der Zentralbank" ( Duwendag, 1985, S. 301 ), be­gonnen bei der klassischen Diskontpolitik bis hin zum "moral suasion" und denöffentlichen Stellungnahmen notenbankpolitisch Verantwortlicher, wie den Organen der Bundesbank und ihrer Mitarbeiter, zu verstehen.

Wie wirken sich aber die ergriffenen notenbankpolitischen Maßnahmen oder gerade deren Unterlassen auf das letztlich angesteuerte Ziel - Preisni­veaustabilität - aus?

Um in der Lage zu sein, dies hinreichend zu beantworten, bedürfte es so­wohl einer genauen Analyse als auch einer genauen Kenntnis "derökono­mischen Struktur einer Volkswirtschaft hinsichtlich der quantitativen und dynamischen Zusammenhänge" ( Jarchow, Bd. 2, S. 174 ).

Dies zu leisten, ist Aufgabe der Geldtheorie.

Für eine vernünftige, adäquate Geldpolitik der Notenbank wäre es also . unabdingbare Voraussetzung, daß ihr die Wissenschaft die notwendigen Grundtatsachen der sehr komplexen und interdependenten Wechselwirkungen der Vielzahl monetärer und realwirtschaftlicher Aggregate vermittelt, aus denen sich dann gleichsam eine Richtschnur für das notenbankpoli­tische Handeln gewinnen und ableiten ließe.

Geldtheorie und Geldpolitik sind wie ein siamesischer Zwilling, der ei­ne kann sich vom andern nicht lösen:

Geldpolitik nicht von der Geldtheorie, dadurch würde die Politik ihrer Verhaltensrichtlinien beraubt werden.

Geldtheorie kaum von der Geldpolitik, dadurch verlöre die Theorie er­stens das Feld der Praxis, auf dem sich Erfahrungen gewinnen lassen, und zweitens die utilitaristische Begründung.

Wäre nun die Kenntnis derökonomischen Struktur völlig eindeutig gege­ben , so wäre Wirtschaftspolitik kein Kampffeld sich widersprechender Meinungen und Ansichten.

Aber leider ist dem nicht so, denn diese "Kenntnis ist beim gegenwär­tigen Stand unseres Wissens unvollkommen und wird auch nie vollkommen sein" (Duwendag, 1985, S. 303).

Was zu tun bleibt, besteht folglich darin, Wirtschaftsmodelle zu ent­wickeln, die in einem steigenden Grade mit der Realität in Einklang stehen.

2.2. Historischer Rückblick

Bevor wir uns aktuellen monetären Tendenzen zuwenden, soll, in gröbster Weise vereinfacht, der historische Weg der Geldtheorie und somit auch indirekt der Geldpolitik angerissen werden.

2.2.1. Von der Klassik bis Keynes

In der sog. klassischen Nationalökonomie des 18./19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, die durch Namen wie Adam Smith (1723 - 1790), John Stuart Mill (1806 - 1873) oder Walras repräsentiert wird, wurde dem Geld oder genauer der nominalen Geldmenge entsprechend der "naiven" Quantitätstheorie keine Wirkung auf das reale Volkseinkommen zuerkannt. Die Aussage der Quantitätstheorie läßt sich aus der Quantitätsglei­chung unter den Annahmen eines nur von realwirtschaftlichen Faktoren beeinflußten realen Volkseinkommens und einer längerfristigen Kon­stanz der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes gewinnen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Somit können Veränderungen der nominalen Geldmenge nur proportionale Preisniveauveränderungen nach sich ziehen.

John Mill schrieb hierzu: "Es kann wahrscheinlich kein unbedeutenderes Phänomen in einer Volkswirtschaft als das Geld geben, mit Ausnahme sei­ner Funktion als Zeit und Arbeit sparende Erfindung. Es ist ein Mecha­nismus, der es ermöglicht, etwas schnell und bequem zu erledigen, was ohne ihn ohnehin, wenn auch nur weniger schnell und bequem erledigt würde ... ." ( zitiert nach Friedman, S. 18 )

Dieser Sachverhalt wird auch als klassische Dichotomie (= Unabhängig­keit des realem vom monetären Wirtschaftsbereich ) oder,davon abgelei­tet, als klassische Neutralität des Geldes bezüglich realer Transaktio­nen bezeichnet.

( vgl. Baßeier, S. 287 ff. )

Machen wir nun einen kleinen Schritt vorwärts, und begeben wir uns in die Zeit der Weltwirtschaftskrise (1929 - 1931/32), die von einer bis dahin nicht gekannten Massenarbeitslosigkeit geprägt war. Die hieraus щ resultierende Diskrepanz zwischen der immensen Arbeitslosenquote und der vom System der Klassik angenommenen optimalen Selbststeuerungsfä­higkeit der Marktwirtschaft hin zu einem Vollbeschäftigungsgleichge­wicht (vgl. auch den heute häufig gebrauchten Ausdruck "Selbstheilungs­kräfte der Wirtschaft") ließ das alte System praktisch scheitern.

(nach Baßeier, S. 290)

Die Zeit war gekommen, auf der Grundlage der jüngeren Erkenntnisse ei­ne neue Phase derökonomischen Theorie einzuleiten. Dies leistete der Engländer John Maynard Keynes (1883 - 1946) mit der 1936 veröffentlich­ten "(The) General Theory of Employment, Interest, and Money".

Der Kern seiner geldtheoretischen Überlegungen, die Liquiditätspräfe­renztheorie, beschreibt die gewünschte Kassenhaltung der Wirtschafts­subjekte in Abhängigkeit von Zins und Einkommen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1

Gesamtwirtschaftliche Liquiditätspräferenzfunktion

(5) M(N) = M(Y,i)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Je höher der herrschende Zinssatz, desto geringer die angestrebte Kas­senhaltung.

Eine Geldmengenvariation durch die Notenbank, bei gegebener Geldillusion, zieht nach Keynes gleichgerichtete Veränderungen des realen Sozialpro­dukts, der Beschäfftigung und des Preisniveaus nach sich. (Dieser Sach­verhalt, der sich treffend im IS/LM System aufzeigen läßt, wurde später in der Fiskalisten/Monetaristen Kontroverse desöfteren unterschlagen.)

Abb. 2

Liquiditätspräferenzfunktion und Geldmengenerhöhung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Doch diese Aussage wird, um der damaligen wirtschaftlichen Situation zu genügen, dreifach eingeschränkt (der dritte Fall sei hier nicht erwähnt):

- Bei vollkommen zinselastischem Verlauf der Liquiditätspräferenzkurfe (= Liquiditätsfalle) oder
- bei vollkommen zinsunelastischer Investitionsfunktion (= Investitions­falle) ist eine Zinssenkung via Geldmengenerhöhung durch die Notenbank im erstem Fall unmöglich und im zweiten zwar durchführbar, jedoch real­wirtschaftlich wirkungslos^

(vgl. Jarchow, Bd. 1, S. 93 ff.).

Diese Aspekte wurden vor allem bis Mitte der 50er Jahre betont. Geld­politik hatte nach Meinung der Keynes interpretierenden Wissenschaften nur für ein möglichst niedriges Zinsniveau, wenn überhaupt, zu sorgen, um so bei eventuell zinselastischen Investitionsverhalten investitions­fördernd zu wirken.

"Money does't matter", so charakterisiert Milton Friedman die Grundthese dieser Schule, die die Geldpolitik vorerst zur Bedeutungslosigkeit ver­urteilte, (Friedman, S. 9),

Beginnend 1958, wird von den Keynesianern ein weiteres Basiselement in ihr theoretisches Konzept eingebaut oder präziser, ein schon im Ansatz vorhandener ausgebaut: die Phillipskurve

Die modifizierte Phillipskurve geht auf eine empirische Untersuchung des Engländers Alban W. Phillips, die in eben diesem Jahr veröffent­licht wurde, zurück, in der die Beziehung zwischen der prozentualen Preissteigerungsrate (ursprünglich der prozentualen Änderungsrate des Nominallohmsatzes = orginäre Phillipskurve) und der prozentualen Ar­beitslosenquote durch eine zum Ursprung konvexe Funktion beschrieben wird/ (nach Bender, S. 237) „

Abb. 3

Phillipskurve

Г Hieraus wurde eine theoretische Substitutionsbeziehung (trade-off) zwi­schen Inflations- und Arbeitslosenrate abgeleitet - kräftige Geldmengen­expansion -*- hohe Inflationsrate -*- hoher Beschäftigungsgrad - , die lange Zeit erheblichen Einfluß auf die Geld- und Fiskalpolitik ausübte. Der Ausspruch des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt "lieber 5% In­flation als 5% Arbeislosigkeit" (zitiert nach Baßeier, S. 359) bringt dies überzeugend zum Ausdruck.

Diese Interpretation der Phillipskurve konnte nun auch als Beweis für Keynes Ansicht, Geldmengenerhöhungen indizierten sowohl Preisniveau­steigerungen als auch positive Beschäfftigungseffekte, herangezogen werden.

Beachtet werden sollte auch, daß der Geldpolitik konsequenterweise wie­der mehr Aufmerksamkeit gezollt wurde und nach der Auffassung Milton Friedmans Mitte der 60er Jahre die Gefahr bestand, "der Geldpolitik eine bedeutendere Rolle beizumessen als sie letztlich auszufüllen vermag" oder "sie vor Aufgaben zu stellen, die sie nicht zu lösen vermag" . (Friedman, S. 12)

Der Geldpolitik wurde also eine gestärkte Bedeutung innerhalb der damals sehr beliebten keynesianischen Globalsteuerung zugedacht. Keynes folgend, wird der Staat innerhalb dieses Entwurfs ermuntert, in wirtschaftlich rezes­siven Zeiten verstärkt als Nachfrager auf den Güter- und Dienstleistungs­märkten aufzutreten. Notfalls sollten die zusätzlichen Ausgaben durch Kre­ditaufnahme finanziert werden (deficit spending). In Boomphasen sollte die Fiskalpolitik nachfragedämpfend wirken, z.B. durch den Aufbau einer Kon­junkturausgleichsrücklage. Es ist also keine Deflationspolitik à la Brü­ning, sondern ein "New Deal" à la Roosevelt gefordert.

Die Idee einer diskretionären, antizyklischen, also einer den jeweiligen konjunkturellen Erfordernissen Rechnung tragenden Politik fand 1967 im "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft"

(StWG) ihren gesetzgeberischen Niederschlag und wurde gleichzeitig unter dem Eindruck der Phillipskurvendiskussion auch auf die Geldpolitik aus­geweitet. Der Notenbank, die ja nicht direkt als Nachfrager auf den real­wirtschaftlichen Märkten auftreten kann, wird die mittelbare Fun/ktion auferlegt, "über bestimmte Aktionsparameter das Verhalten der als Nach­frager auftretenden Wirtschaftssubjekte (Investoren und Konsumenten)" zu steuern (Globalsteuerung)^(Dickertmann, 1984, S. 5).

Dies sollte durch:

- die Zinspolitik, die eine Erhöhung oder Senkung der Investitonsneigung mittels Senkung oder Erhöhung des Zinsniveaus zum Ziel hat, und

durch die Liquiditätspolitik, die eine "Variation der Investitions­fähigkeit aufgrund von Veränderungen der Kreditaufnahmemöglichkeiten der privaten Unternehmen" mittels Einflußnahme auf die "Liquidität des Banken­systems" (Dickertmann, 1984, S. 6) und damit auf das Kreditangebot zum Ziel hat, erreicht werden.

Übersicht 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kreditangebot

Kreditnachfrage

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Wirtschaftliche Aktivitäten (Investition, Konsum)

— Primärwirkungen

Sekundärwirkungen (Dickertmann, 1984, S. 6)

Zu erwähnen bleibt noch, daß sowohl Zins- als auch Liquiditätspolitik auf die Konsumausgaben privater Haushalte in ähnlicher Weise Einfluß nehmen sollen.

2.2.2. Neue Klassische Makroökonomik (Monetarismus)

Nach diesem kleinen Abriß des nachfrageorientierten (Neo-, Post-) Key­nesianismus können wir sie beginnen lassen, die monetaristi sehe Gegen­revolution.

Diese Gegenbewegung wurde insbesondere durch die Erfahrung sich ver­stärkender inflationärer Entwicklungen nach 1945 - hauptsächlich Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre -, in Verbindung mit erheblichen Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Produktion, inspiriert.

Das deutet schon daraufhin, daß im Gegensatz zur Keynes'sehen Theorie der Monetarismus einen besonderen Wert auf eine strikte Trennung realer und nominaler Größen legt (reales - nominales Bruttosozialprodukt, re­aler - nominaler Zinssatz). In der Berücksichtigung des Realkassen­effekts (real-balance-Effekt, Pigoueffekt) zeigt sich dies explizit.

Pigou verweist darauf, daß für die Konsumausgaben der Haushalte nicht das nominale, sondern das reale Einkommen (Vermögen,Kassenhaltung) von entscheidender Bedeutung ist.

Deflation

—* Erhöhung des realen Vermögens der Haushalte —* Erhöhung der realen Konsumgüterausgaben Ebenso wird die von Keynes unterstellte Geldillusion durch neuere empi­rische Untersuchungen falsifiziert und durch den den Pigoueffekt ergän­zenden Preiserwartungseffekt kontrapunktisch äbgelöst^ (vgl. ifo,S. 3 ff.). Danach antizipieren die Wirtschaftssubjekte die zukünftig erwarteten Preis­steigerungen bereits bei ihren aktuellen Entscheidungen (z.B. Zinsfestset­zung bei Kreditvergabe, Lohnforderungen). Desweiteren werden im Gegensatz zu Keynes wirtschaftspolitische Maßnahmen streng nach kurz-, mittel-, und langfristigen Auswirkungen aufgeschlüsselt.

Konsequenterweise folgt hieraus, daß Handlungs- und Wirkungsverzögerungen (time lags) erstmals einer genaueren Untersuchung unterzogen werden, wobei sie für die monetaristische Wirtschaftspolitik dann zu einem zentralen Aufhänger werden.

Anders als Keynes widmet sich der durch Friedman und Brunner geprägte Monetarismus unter dem Eindruck der amerikanischen Inflationserfahrungen der 60er Jahre intensiv der Diskussion von Inflationserklärung und Infla­tionsbekämpfung.

"Der Neo-Keynesianismus hat sich nie von der Vorliebe für 'deficit spen­ding" und 'cheap money' lösen können und ist an der von ihm selbst ge­förderten chronischen Nachkriegsinflation gescheitert^" (Emminger, S. 286).

Ohne theoretische Begründung seien nun éinige monetaristische Grundthesen genannt, die besonders klassisches Gedankengut wiederaufnehmen.

(Nicht grundlos werden einige Vertreter dieser neuen Schule auch als Neo­quantitätstheoretiker betitelt.)

- Der private Sektor ist wirtschaflieh äußerst stabil.

- Schwankungen der gesamtwitschaftlichen Aktivität werden im wesentlichen durch zu späte und übermäßige monetäre und staatliche Impulse verursacht. Antizyklisch gedachte Eingriffe können unter Einbeziehung nicht progno­stizierbarer und sich ständig veränderlicher time lags prözyklisch wirken.

Gleichwohl ist es unmöglich, eine quantitative Aussage über die Wirkungs­intensität der ergriffenen monetären Maßnahmen auf gesamtwirtschaftliche Größen, wie Preisniveau oder Beschäftigung, zu treffen. Ein zu langer, unbekannter Transmissionsprozeß steht dem entgegen. Ein Ausspruch Keynes, obwohl in etwas anderem Zusammenhang geäußert, mag dies klar vor Augen bringen: "Wenn wir ... versucht sind, zu behaupten, daß das Geld der Trank ist, der das Wirtschaftsleben zur Tätigkeit anregt, so müssen wir uns da­ran erinnern, daß sich noch vieles zwischen dem Becher und den Lippen er­eignen kann/1 (zitiert nach Obst, S. 97).

- Eine negativ geneigte Phillipskurve existiert nur kurzfristig. . Mittel- und langfristig ergibt sich, vor allem durch den Wegfall der Geldillusion in den letzten Jahrzehnten und durch die somit gegebene praktische Relevanz des Preiserwartungseffekts, eine Senkrechte zur Abszisse. Geldmengenerhöhungen bedingen langfristig, wenn sie über das von der Volkswirtschaft benötigte Maß hinausgehen, lediglich Preisniveau­erhöhungen und keine dauerhaften Beschäftigungseffekter(Baßeier, S. 358).

Abb. 4

Phillipskurve in der Neuen Klassischen Makroökonomik

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

"Die vorübergehende Diskrepanz" (wie sie die negativ geneigte Phillipskurve beschreibt) zwischen Inflation und Unterbeschäfftigung "resultiert nicht aus der Inflation an sich, sondern aus einer nicht erwarteten Inflation.d.h. generell aus einer steigenden Inflationsrate/' (Friedman, S. 17)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5

Inflation und Arbeitslosigkeit im Durchschnitt der Industrieländer

Seit den 70er Jahren kann nur noch von "Phillips­schleifen" sprechen.

(Quelle: Leibfritz, S. 6) (Quelle: Leibfritz, S. 7)

Nur eine sich beschleunigende Preisniveauerhöhung, nicht ein hohes Preis­niveau, kann Beschäftigungseffekte zeitigen (monetaristisehe Akzelerations­hypothese).

Als Ergebnis empirischer Untersuchungen "erscheint die direkte Verwendbar­keit der Phillipsphänomene als 'menu of choice' der Wirtschaftspolitik fraglich" (Kubin, S. 301).

(vgl. Abb. 5)

Aus der Analyse solcher und ähnlicher Sachverhalte deduzierten die Moneta­risten Ansprüche an eine in ihrem Sinne richtig verstandene Geldpolitik:

- Von konjunkturorientierten ad hoc Entscheidungen soll Abstand genommen werden.

- Die "Funktion, die die Geldpolitik erfüllen kann, besteht in der Schaf­fung eines stabilen Rahmens für die Volkswirtschaft - d.h. darin, die Maschine gut zuölen" (Friedman, S. 19).

- Dies wird durch eine konsequente Verstetigungspolitik erreicht, konkret mit Hilfe einer weitgehend gleichbleibenden, an der Wachstumsrate des realen Sozialprodukts orientierten Wachstumsrate der Geldmenge.

(nach Jarchow, Bd. 1, S. 274)

- Es wird für eine angebotsorientierte Geldmengensteuerung, deren Träger die Zentralbank ist, plädiert, wobei Zins und Bankenliquidität sowohl als Indikatorvariable als auch als Zielgröße der Geldpolitik unbrauch­bar sind. Diese Aggregate sollen nur Resultanten einer kontrollierten monetären Expansion sein^ (vgl. Dickertmann, 1984, S. 7).

2.3. Der geldpolitische Kurswechsel

Inwieweit hatten nun diese handfesten geldpolitischen Empfehlungen Aus­wirkungen auf das Handeln der Deutschen Bundesbank?

Wann schlug oder präziser, wann schlugen sie nun, die Geburtsstunden, der "neuen Geldpolitik"?

Der entscheidende Wandel der deutschen Geldpolitik vollzog sich bereits im Jahre 1973 und wurde durch die Formulierung eines Geldmengenziels 1974 konsequent fortgesetzt.

2.3.1. 1973/ Aufgabe des Liquiditätssaldokonzepts

Г ' ' Die Deutsche Bundesbank verfolgte bis Anfang 1973 das bereits erwähnte Konzept der Steuerung der freien Liquiditätsreserven (FLR) , bzw. des Liquiditätssaldos , das sich formelmäig etwa wie folgt fassen läßt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieser Ausdruck kann wie folgt interpretiert werden:

Bei gegebenem Liquiditätssaldo (LS) und konstantem Reservesatz (r), ist der Kreditbestand (K) der Banken von der freien Liquiditätsquote (FLQ) und damit von der Entscheidung der Banken, in welchem Umfang sie freie Liquiditätsreserven in Relation zu ihren reservepflichtigen Einlagenbe­stand halten wollen, abhängig.

Hiernach stellt sich der noch vorhandene, also unausgeschöpfte rechnerische Kreditschöpfungsspielraum (RKS) so dar:

(7) RKS = -J- x FLR

Die freien Liquiditätsreserven (FLR) bilden die Basis für eine über den aktuellen Kreditbestand (K) hinausgehende Kreditexpansion der Banken. Deshalb besteht die Problematik nun darin, daß die Notenbank nur die Kontrolle über die gesamten Kreditbestände ausüben kann, wenn die Geschäftsbanken "z.B. bei einer Einengung des Kreditschöpfungs­Spielraums mit einer Zurückhaltung in ihrer Kreditgewährung reagieren und nicht mit einer erhöhten Ausnutzung des Kreditschöpfungsspiel­raums" (Duwendag, 1977, S. 120), sprich mit einer starken Verminde­rung der freien Liquiditätsquote (FLQ).

Die Bundesbank vertraute darauf, daß nur ein bestimmter Teil des von ihr bereitgestellten aktuellen und potentiellen Zentralbankgeldes zur Kreditvergabe verwendet wird oder - mit anderen Worten - daß eine mittel­fristige Konstanz der freien Liquiditätsquote als gegeben vorausgesetzt werden darf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

c) Keine Maßnahmen der Bundesbank, aber Änderung der freien Liquiditäts­quote aufgrund des Bankenverhaltens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Seit Anfang der 70er Jahre akzeptierten die Banken die Konstanz der freien Liquiditätsquote nicht mehr, indem sie den Kreditschöpfungs­spielraum restlos zur tatsächlichen Kreditvergabe ausnutzten (vgl.

Abb. 6).Daraufhin verließ die Deutsche Bundesbank notgedrungen dieses Steuerungskonzept und ging zur Kontrolle der Zentralbankgeldmenge über. Die von der Notenbank bewußt betriebene Ausschaltung des Bankeneinflus­ses schlug sich in einer Reduzierung der freien Liquiditätsreserven auf nahezu Null im Verlauf des Jahres 1973 nieder.

Zur Vervollständigung sei noch erwähnt, daß erst mit der Freigabe des Wechselkurses der DM und anderer europäischen Währungen gegen­über dem amerikanischen Dollar (block-floating) die Konzeptände­rung vollends ermöglicht wurde. Der Zusammenbruch des Festkurssystems von Bretton Woods am 15. März 1973 und die damit geschaffene außen­wirtschaftliche Absicherung befähigten die Notenbank, die wahllose Zentralbankgeldschöpfung durch pflichtgemäße Dollarstützungskäufe und den damit gleichsam automatischen Zugriff der Geschäftsbanken auf Notenbankgeld durch Devisenverkäufe an die Notenbank wirksam zu unterbinden und so die Grundbedingungen für eine Geldmengensteuerung zu kreieren^

(Duwendag, 1977, S. 118 ff.; vgl. auch Sachverständigengutachten 1973/74, Ziffern 171 ff.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6 (Quelle: Sachverständigengutachten 1973/74, S. 71)

RECHNERISCHES KREDITMAXIMUM,

KREDITBESTAND UND RECHNERISCHER KREDITSCHÖPFUNGSSPIELRAUM

2.3.2. 1974/ Geld- und Lohnpolitik im Widerspruch - Geldmengenziel- deklarierung

Den endgültigen Übergang zu einer Politik monetärer Zielvorgaben lösten letztendlich die Ereignisse des Jahres 1974 aus.

Durch die Ölpreisexplosion gegen Ende 1973 erwartete man in Deutschland allgemein ein Ansteigen der Inflations rate des nächsten Jahres bis auf 10%. Diese Erwartungshaltung fand in Nominallohnsteigerungen von 12 bis 15% ihren tarifpolitischen Niederschlag. Da jedoch die Bundesbank nicht bereit war,eine zweistellige Inflationssteigerung Wirklichkeit werden zu lassen, verfolgte sie bis weit in das Jahr 1974 eine stark restriktive Politik, die zwar die Preissteigerungsrate auf 7% begrenzte, aber um den Preis von knapp einer Million Arbeitsloser gegen Ende 1974.

(Duwendag, 1985, S. 334 ff. ; vgl. auch Sacherständigengutachten 1974/75 Ziffern 295 ff.)

Um das nochmalige Auftreten einer so fatalen Inkonsistenz von geld- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu vermeiden, empfahl der Sachver­ständigenrat im Gutachten vom November 1974: "Außerordentlich bedeutsam erscheint uns, daß der Kurs der Geldpolitik im voraus allen bekannt ist. ... Eine klare Zielvorstellung ist für die Geldpolitik nicht weniger dringlich und zumutbar als etwa für die Finanzpolitik. Im Gegenteil, sie ist besonders dringlich, und zwar vor allem dann, wenn es zu den Spiel­regeln gehören soll, daß alle den Kurs der Geldpolitik zu respektieren haben."

(Sachverständigengutachten 1974/75, Ziffer 316)

Die Bundesbank nahm diese Anregung durch das Festsetzen und Verkünden einer anzustrebenden 8%igen Wachstumsrate der Zentralbankgeldmenge (im Jahresverlauf 1975) an.

[...]

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Geldtheorie und Geldpolitik
Untertitel
Blitzlichter einer Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung neuerer Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland
Hochschule
Comenius-Gymnasium Deggendorf
Note
1,0
Autor
Jahr
1986
Seiten
92
Katalognummer
V272608
ISBN (eBook)
9783656644033
ISBN (Buch)
9783656644071
Dateigröße
172267 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsche Bundesbank, Geldpolitik, Geldtheorie, Monetarismus
Arbeit zitieren
Michael Hies (Autor:in), 1986, Geldtheorie und Geldpolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272608

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