Die Spritzgusstechnologie und ihre Teilprozesse

Den Spritzgussprozess verstehen


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2009

115 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Spritzgussprozess als Gesamtverfahren
2.1 Prozessbeeinflussende Größen
2.2 Aufgliederung des Spritzgussverfahrens in Teilprozesse
2.3 Beeinflussung von Qualitätsmerkmalen durch bestimmte Teilprozesse

3 Die Einspritzphase
3.1 Eingangsgrößen der Einspritzphase
3.2 Bekannte Prozessparameter der Einspritzphase
3.3 Dehnströmungseffekte
3.4 Die Randschicht
3.5 Zusammensetzung der Kavität aus einzelnen Fließkanalabschnitten
3.6 Thermische Effekte bei der Schmelzeströmung
3.6.1 Strömung unter Abkühlung der Schmelze
3.6.2 Isotherme Strömung
3.6.3 Strömung mit Erwärmung
3.7 Der Dieseleffekt

4 Die Kompressionsphase
4.1 Thermodynamische Zusammenhänge während der Kompressionsphase
4.2 Gratbildung an Formteilen
4.3 Strömung des Polymers während der Kompressionsphase

5 Die Abkühlphase
5.1 Strömung während der Abkühlphase
5.2 Angußverschluss
5.2.1 Thermischer Angussverschluss
5.2.2 mechanischer Angußverschluss
5.3 Abkühlung von thermoplastischen Polymeren in einer Kavität
5.3.1 physikalische Zusammenhänge
5.3.2 Temperaturabhängigkeit der Stoffkonstanten bei thermoplastischen Materialien
5.3.3 Wärmeübergang zwischen Kunststoff und Stahl
5.4 Thermodynamische Zusammenhänge während der Abkühlphase
5.4.1 Druck-Volumen-Temperaturverhalten von Thermoplastischen Polymeren
5.4.2 Geometrische Schwindungsmodelle
5.4.3 Die Verarbeitungsschwindung von Formteilen
5.4.4 Entformungsverzug
5.4.5 Nachschwindungsprozesse
5.5 Zur Beeinflussung von realen pvT-Daten durch Verformungen des Spritzgusswerkzeugs

Literatur

1 Einleitung

Die vorliegende Schrift wurde 1999 verfasst und 2008/09 überarbeitet. Sie dient als Skript zum Fach Technologie / Kunststoffverarbeitung, das an der Hochschule Lausitz für Studierenden des Maschinenbaus in der Vertiefungsrichtung Kunststofftechnik vom Autor gelesen wurde. Mit diesem Druck sollen Studentinnen und Studenten technischer Fachrichtungen speziell des Maschinenbaus, der Werkstofftechnik, der Mechatronik oder der Verfahrenstechnik einen Einstieg in das Verständnis der Spritzgusstechnik erhalten und berufstätigen Ingenieuren die Problematik dieses Teilgebiets der Kunststofftechnik besser verstehen.

Weil der Spritzgussprozess sehr komplex ist, wird hier zum besseren Verständnis eine Untergliederung in Teilprozesse vorgenommen. Diese Vorgehensweise hat sich bei anderen Autoren gut bewährt, ist aber meist auf die Verarbeitungsmaschine bezogen worden. Das bringt Vorteile, wenn man die Funktionsweise der Maschine beschreiben und verbessern möchte, ist aber weniger geeignet, um die Vorgänge im verarbeiteten Material zu beschreiben. Aber gerade der Prozessverlauf im Volumenelement des verarbeiteten Werkstoffs bestimmt die Eigenschaften des Erzeugnisses.

Deshalb werden für die Definition von Teilprozessen hier produktnahe Informationen des Prozesses herangezogen. Als Prozessraum wird die Kavität betrachtet, also genau der Hohlraum, in dem die Abformung der Geometrie des Spritzgussteils erfolgt. Zur Beurteilung des Prozessverlaufs und bei der Festlegung der Prozessgrenzen erfolgt ein Bezug auf ein Signal unmittelbar aus dem Prozessraum. Hier wird der Verlauf des Werkzeuginnendrucksignals herangezogen.

So wird die Kausalkette zwischen Formteileigenschaften, äußerlich messbaren Prozessgrößen und im Polymerwerkstoff auftretenden materialspezifischen Zusammenhängen bei der Herstellung von Präzisionsteilen aufgezeigt. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen die Ursachen und Auswirkungen der Schwindung von Polymeren während der Spritgussverarbeitung.

Aufgrund der Definition des abgeschlossenen Prozessraums „Kavität“, erfolgen die Betrachtungen nahezu vollkommen maschinenunabhängig. Für das Verständnis des Prozesses bringt das den Vorteil, dass sich die Leser so ein Verständnis des Prozesses ohne genaue Kenntnisse der komplexen Maschinenbedienung erarbeiten können. Die Beeinflussungsmöglichkeiten des Prozesses durch unterschiedliche Stellgrößen an der Maschine bleiben den auf den jeweiligen Maschinentyp eingearbeiteten Spezialisten vorbehalten.

Halle, 07.03.2011

Torsten Kies

2 Der Spritzgussprozess als Gesamtverfahren

2.1 Prozessbeeinflussende Größen

Der Spritzgussprozess ist ein sehr komplexes Verfahren mit einer Vielzahl von wirkenden Eingangs-, Einstell- und Störgrößen [ 1 ].

Die Eingangsgrößen charakterisieren die Eigenschaften des Rohstoffs. Für Polymere sind dies die chemische Zusammensetzung des Grundbausteins der Makromoleküle, die mittlere Molmasse, die Molmassenverteilungen, der Verzweigungsgrad der Moleküle und die jeweiligen zeitlichen Ableitungen der Größen. Aus diesen grundlegenden Material­eigenschaften leiten sich weitere ab. Alle rheologischen Größen, beispielsweise der Schmelzindex, die Konstanten der Fließgesetze und das elastische Verhalten der Stoffe, folgen aus diesen vier Grundgrößen [ 2 ]. Der Zusammenhang zwischen den molekularen Grundgrößen und rheologischen oder thermodynamischen Stoffkonstanten ist noch nicht vollständig geklärt.

Einstellgrößen können mit Hilfe der Maschinensteuerung, in einigen Fällen auch an Peripheriegeräten, verändert werden. Man bezeichnet sie auch kurz als Stellgrößen.

Mit ihnen variiert man die Bedingungen, durch die das Material selbst oder seine Eigenschaften während eines Verarbeitungsverfahrens verändert werden. Beim Spritzgussprozess haben die Vorgabewerte für Stellgrößen für den jeweils verwendeten Automaten eine reproduzierbare Wirkung auf das Material. Die kritiklose Übertragung der Einstellwerte auf eine andere Maschine ist nicht zulässig. Ursachen dafür sind unterschiedliche Reibungsverhältnisse in den Hydrauliksystemen der Spritzgussautomaten und eine unterschiedliche Kalibrierung der Maschinen. Aufgrund der unterschiedlichen Bauweise der Maschinen sind die Orte, an denen eine Signalaufnahme erfolgt, nicht identisch.

Wegen der nicht vergleichbaren Stellgrößen ist ein Prozess immer durch die Einheit von Maschine-Werkzeug-Material gekennzeichnet. Produziert man auf einer anderen Maschine, muss man von einem anderen Prozess ausgehen. Bisher ist es nicht gelungen, einen Prozess mit direkt am Werkzeug angreifenden Stellgrößen wirksam zu steuern, da diese (zum Beispiel Temperiermitteldurchfluss) eine viel zu geringe Wirksamkeit haben.

Alle auf den Prozess einwirkenden äußeren Bedienungen, deren Wirkungen nicht genau bekannt sind, werden durch den Sammelbegriff Störgrößen ausgedrückt.

Die Zielgrößen des Spritzgussprozesses sind auf der technischen Zeichnung, in der Kalkulation oder ähnlich Verbindlichem festgelegte Qualitätsmerkmale.

Eine Veränderung der Qualitätsmerkmale aus prozesstechnischen Gründen ist beispielsweise durch eine Zeichnungsangleichung oder Preisveränderung möglich. Können mit einem vorhandenen Werkzeug die geforderten Qualitätsmerkmale nicht erfüllt werden, sollte vor aufwendigen Prozessuntersuchungen die Möglichkeit der Zeichnungsangleichung überprüft werden.

Aufgrund der vielfältigen Einsatzgebiete der hergestellten Produkte, ergibt sich auch eine große Anzahl von möglichen Qualitätsmerkmalen. In [ 3 ] werden die Qualitätsmerkmale der Spritzgussteile anwendungsspezifisch unterteilt in

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Wertung von Schwindung und Verzug als Qualitätsmerkmale, wie es in [ 3 ] vorgenommen wurde, ist unzulässig. Eine Zeichnungsforderung nach einer bestimmten Schwindung oder Verzug eines Teiles wäre unsinnig. Unbestritten spielen beide Größen während des Prozesses eine entscheidende Rolle, charakteristisch für ein Qualitätsmerkmal ist jedoch, dass es die Eigenschaften eines Produkts anwendungsspezifisch darstellt, also einige Zeit nach dem Herstellungsprozess. In diesem Sinne umfassen die geometrischen Merkmale die Form, die Gestalt, die Abmaße und die Oberflächenbeschaffenheit eines Teils.

Ergänzend zu den mechanischen Merkmalen sind anwendungs- und bauteilspezifische Prüfkennwerte zu nennen, die in der Praxis eine große Bedeutung zur Untersuchung eines konkreten Produkts haben.

Das Eigenspannungsfeld eines Spritzlings stellt eher ein inneres als ein mechanisches Merkmal dar.

Bei der Untersuchung eines Verarbeitungsprozesses bezieht man sich auf die Veränderung des Materials oder dessen Eigenschaften. In diesem Zusammenhang wären die wirtschaftlichen Merkmale keine Zielgrößen eines Verarbeitungsprozesses. Da die Produktion von Erzeugnissen jedoch nicht als Selbstzweck, sondern aus einem ökonomischen Interesse heraus geschieht, müssen die Qualitätsmerkmale unbedingt wirtschaftliche Merkmale einbeziehen.

Eine Beschränkung der Betrachtungen auf die Zykluszeit kann der Bedeutung wirtschaftlicher Merkmale keinesfalls entsprechen. Weiterhin sind Entwicklungskosten, Investitionskosten bei der Herstellung von Spritzgussformen, die laufenden Produktionskosten zur Benutzung der Maschine und der Peripherie, die Abnutzung des Werkzeugs und kaufmännische Kategorien als wirtschaftliche Merkmale zu berücksichtigen.

Für einen konkreten Anwendungsfall ist aufgrund des speziellen Einsatzgebiets die Anzahl der für das Produkt wesentlichen Qualitätsmerkmale meist vermindert. Beispielsweise sind elektrische Merkmale bei der Produktion von Spielwaren für Kleinkinder meist uninteressant.

2.2 Aufgliederung des Spritzgussverfahrens in Teilprozesse

Um die Beschreibung des Prozesses mit Modellen zu ermöglichen, werden einzelne Teilprozesse definiert. Diese werden so gewählt [ 1 ], dass sie

- von anderen Prozessabschnitten klar zu unterscheiden sind,
- möglichst geringe Wechselwirkungen zwischen ihnen auftreten und
- während des Prozesses in zeitlicher Reihenfolge nacheinander ablaufen

Die Optimierung dieser drei Forderungen ist nicht immer einfach. Aus den unterschiedlichen Schwerpunkten der verschiedenen Autoren bei der Untersuchung des Spritzgussverfahrens folgt eine Vielzahl von Vorstellungen, an welcher Stelle die Übergänge der einzelnen Teilprozesse festzulegen sind. Deshalb kann auf die verschiedenen bekannten Festlegungen der Prozessabschnitte nicht vollständig eingegangen werden.

Bei der Unterteilung eines Gesamtsystems muss sichergestellt werden, dass die Ergebnisgrößen der zeitlich zuvor ablaufenden Verfahrensabschnitte als Anfangsbedingungen für den aktuell betrachteten gelten und Rückwirkungen im System gering sind [ 1 ].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2-1 Aufteilung eines Gesamtsystems in Teilsysteme

Spritzgussmaschinen bestehen aus der Plastifizier- und der Schließeinheit. Es ist sinnvoll, die zu definierenden Teilprozesse diesen Maschinensystemen zuzuordnen.

Zunächst wird auf Prozessabschnitte eingegangen, welche die Vorgänge in der Plastifiziereinheit beschreiben.

Bei der Verarbeitung von Thermoplasten muss das Ausgangsmaterial aufgeschmolzen und homogenisiert werden. Das geschieht in der Prozessphase Plastifizieren. In der Literatur findet man zu deren Abgrenzung zwei grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen.

Aus dem Extrusionsprozess auf das Spritzgießen übertragene Betrachtungen bewerten als Plastifizierzeit den gesamten Zeitabschnitt, während dem sich ein Masseteilchen in der Plastifiziereinheit befindet. Diese Abgrenzung ist nur dann anwendbar, wenn sich auf die Beschreibung der Vorgänge in der Plastifiziereinheit beschränkt werden soll. Eine Beziehung zu getakteten Teilprozessen kann nicht erkannt werden.

Autoren, die den Formteilbildungsprozess untersuchen, definieren die Plastifizierzeit als die zur Förderung des benötigten Schussvolumens notwendige Zeit. Man bezeichnet in dem Zusammenhang die Plastifizierphase auch als Dosierphase. Diese Interpretation hat den Vorteil, dass die Dosierphase zu den anderen Teilprozessen des Spritzgussprozesses getaktet ist. Ihre Ausgangsgrößen sind als Eingangsgrößen für andere Prozessabschnitte nutzbar. Von dieser zuletzt genannten Definition einer in den Gesamtzyklus getakteten Plastifizier- oder Dosierzeit soll im Folgenden ausgegangen werden.

Die wichtigsten Ergebnisgrößen der Plastifizierphase sind die Schmelzehomogenität, die Schmelzetemperatur und das axiale und radiale Schmelzetemperaturprofil [ 4 ]. Untersuchungen zum Niveau und den Ursachen von axialen Temperaturinhomogenitäten sowie deren Vermeidung sind ausführlich in [ 4 und 5 ] angestellt worden.

An die Plastifizierphase schließt sich die sogenannte Schneckenruhephase an. In diesem Prozessabschnitt findet keine Schneckenrotation oder -translation statt. Die im Stauraum der Plastifiziereinheit befindliche Schmelze unterliegt einem Wärmeaustausch über die Zylinderwand. Die Ergebnisgrößen der Schneckenruhephase sind die Schmelzetemperatur und das Temperaturprofil der Masse am Ende dieses Prozessabschnitts. Die stoffliche Homogenität des Materials kann aufgrund der eingeschränkten Diffusion von polymeren Materialien während dieser Phase kaum beeinflusst werden.

Nach der Schneckenruhephase wird durch eine Translationsbewegung des Schneckenkolbens Schmelze in die Kavität gepresst. Das Füllen der Kavität geschieht während der Einspritzphase.

Als Beginn dieses Prozessabschnitts wird in der Literatur einheitlich der Start der Vorwärtsbewegung des Schneckenkolbens betrachtet. Das Ende der Einspritzphase wird meist mit dem Erreichen des Umschaltpunktes festgelegt.

Diese Vorgehensweise ist sinnvoll, wenn man die Plastifiziereinheit einer Spritzgussmaschine betrachtet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2-2 Wichtige Teilprozesse des Spritzgussverfahrens zur Beschreibung der Vorgänge in der Plastifiziereinheit

Während der Einspritzphase werden neben den Vorgängen im Innern des Zylinders auch die Gegebenheiten bei der Formgebung der Schmelze im Werkzeug bestimmt. In diesem Verfahrensabschnitt erfolgt im Prozessmodell die Kopplung zwischen den Teilmodellen zur Beschreibung der Vorgänge in der Plastifiziereinheit und im Werkzeug [ 6 ].

Die wesentlichen Ausgangsgrößen der für die Pastifiziereinheit stehenden Prozessabschnitte Dosier- und Schneckenruhephase stoffliche Homogenität, Massetemperatur und Temperaturhomogenität werden während der Einspritzphase zu Eingangsgrößen der charakteristischen Teilprozesse der Spritzgussform [ 7 ].

Betrachtet man speziell Vorgänge im Werkzeug, so ist die Verwendung eines Maschinensignals als Start- und Endpunkt für eine Prozessphase nicht angebracht. Die Übertragbarkeit der Prozesskennwerte und deren Maschinenunabhängigkeit ist dann nicht gegeben.

Für eine werkzeugspezifische Betrachtungsweise ist der Beginn der Einspritzphase mit dem Zeitpunkt definiert, zu dem die Fließfront den ersten Drucksensor passiert und dieser ein auswertbares Meßsignal größer null liefert. Der Druckaufnehmer muss aus diesem Grunde möglichst zu Beginn des Fließweges positioniert werden.

Das Ende der Einspritzphase wird mit dem Zeitpunkt gleichgesetzt, wenn die Fließfront den entferntesten Punkt des Formhohlraumes erreicht hat und am aufgezeichnetem Drucksignal eine plötzliche Anstiegsvergrößerung erkennbar ist.

An die Einspritzphase schließt sich die Kompressions- oder Verdichtungsphase an. Der Kunststoff in der Kavität wird durch die Wirkung des Kompressionsdrucks verdichtet. Damit kann die Schwindung des Materials während der Abkühlung teilweise ausgeglichen werden.

Die Verdichtungsphase beginnt unmittelbar nach der vollständigen Füllung des Formhohlraums mit Kunststoff. Sie ist gekennzeichnet durch eine stetige Druckzunahme in der Kavität.

Bei der Definition des Zeitpunktes, an dem dieser Teilprozess beendet ist, weichen die in der Literatur geäußerten Ansichten stark voneinander ab.

In den meisten Veröffentlichungen wird mit Erreichen des Umschaltpunktes die Kompressionsphase für beendet erklärt. Der Umschaltpunkt ist jedoch eine maschinenspezifische Stellgröße, die einen Befehl für einen Zustandswechsel der Maschine darstellt. Diese Definition ist sinnvoll, wenn man den Spritzgussprozess aus maschinentechnischer Sicht betrachtet. Im allgemeinen Verständnis hat sich dieser Zeitpunkt als Systemgrenze für die Untergliederung des Spritzgussprozesses in Teilprozesse durchgesetzt.

Patzschke [ 1 ] hingegen hält die Kompressionsvorgänge erst am Siegelpunkt für beendet und lässt auf seine Verfahrensstufe "Verdichten" die Verfahrenstufe "Abkühlen" folgen.

In [ 8 ] legt Bichler den Zeitpunkt des maximalen Werkzeuginnendrucks als Ende der Kompressionsphase fest.

Aus rheologischer Sicht ist es sinnvoll, die Grenze der Teilprozesse auf den Zeitpunkt zu legen, an dem die Kompressionsströmung zusammenbricht und sich der Druckgradient über die Anbindung des Formteiles abgebaut hat. Aufgrund der verminderten Schergeschwindigkeit kommt es dann zu einer deutlichen Viskositätszunahme des Materials. Der Massetransport in die Kavtität hinein erfordert dann wesentlich mehr Energie, als bei einer Kompressionsströmung. (Die genauen Vorgänge werden in Kapitel 4 und 5 dargelegt.)

Das mit einer enormen Zunahme der Viskosität verbundene Zusammenbrechen des Massetransports in die Kavität hinein, soll hier im Folgenden als das Ende der Kompressionsphase definiert werden.

In der Literatur folgt im Allgemeinen auf die Kompressionsphase die Nachdruckphase. Werden Spritzgusswerkzeuge verwendet, bei denen eine thermische Versiegelung der Anbindung erfolgt, wird während dieser Verfahrensstufe verhindert, dass der in der Kavität unter Druck stehende Kunststoff sich über die Anbindung des Formteils entspannt und sofort eine freie Schwindung in der Kavität erfolgt [ 9 ].

Andere Autoren vertreten die Ansicht, dass während der Nachdruckphase Material zum Schwindungsausgleich nachgeliefert werden muss. Dass diese Vorgehensweise nicht die optimale Formteilqualität erbringt, wurde in [ 9 und 10 ] nachgewiesen. Sie ist aber nach wie vor praxisüblich, da man dann mit Maschinen produzieren kann, die eine geringere Schließkraft haben und die Anforderungen an die Stabilität der Werkzeuge nicht so hoch wie beim nachdruckfreiem Spritzgießen sein müssen.

Die Nachdruckphase wird meist an dem Zeitpunkt für beendet erklärt, zu dem die thermische Versiegelung der Anbindung des Formteils erfolgt ist. Durch den erstarrten Querschnitt kann dann kein Stofftransport mehr in die Kavität hinein erfolgen.

Andere Autoren erklären diesen Teilprozess hingegen mit dem Erreichen des Stellwerts ”Nachdruckzeit-Ende” für abgeschlossen. Diese Die Betrachtungsweise zeigt Vorteile bei der Beschreibung der Vorgänge im Plastifizierzylinder. Während der Nachdruckphase steht die im Spritzgusszylinder verbliebene Masse permanent unter Druck. In diesem Zeitbereich finden Wärmeausgleichsprozesse zwischen Schmelze und Zylinderwand statt.

Die Festlegung des Teilprozesses Nachdruckphase ist zur Untersuchung der Vorgänge in der Plastifiziereinheit vorteilhaft. Für die Beschreibung der Zusammenhänge im Werkzeug wird diese Verfahrenstufe durch den Prozessabschnitt Abkühlphase mit beschrieben.

Die Verfahrensstufe Abkühlen charakterisiert den Zustand des Kunststoffs in der Kavität über einen relativ langen Zeitraum.

Während dieses Prozessabschnittes vermindert sich kontinuierlich die Temperatur des Materials und der Kompressionsdruck wird abgebaut. Erreicht der lokale Werkzeuginnendruck den Atmosphärendruck, beginnt die Verarbeitungsschwindung des Materials.

Der Beginn der Abkühlphase ist in der Literatur umstritten.

In einigen Quellen sollen Nachdruck- und Abkühlphase nacheinander ablaufen. Sie setzen den Beginn der Abkühlphase mit dem Ende der Nachdruckphase gleich. Dies erfordert jedoch die genaue Kenntnis des Siegelzeitpunkts der Kavität, der in der Praxis durch statistische Untersuchungen ermittelt wird und technologischen Schwankungen unterliegt.

Viele Autoren betrachten das Ende der Kompressionsphase für den Startpunkt der Abkühlphase und definieren die Nachdruckphase als zeitgleich ablaufenden Teilprozess. Bereits den Beginn des Einspritzens der Formmasse in die Kavität wird in [ 11 ] als Startpunkt für die Abkühlphase gesetzt.

Der Beginn der Abkühlphase soll hier durch einen physikalischen Zusammenhang erklärt werden. Dazu wird die schergeschwindigkeitsabhängige Viskosität des Materials im Bereich der Formnestanbindung betrachtet. Wenn das der Massetemperatur und dem Kompressionsdruck entsprechende spezifische Volumen in der gesamten Kavität erreicht ist, verringert sich der Massestrom durch die Anbindung. Die Schergeschwindigkeit vermindert sich zu diesem Zeitpunkt plötzlich. Die Viskosität des Materials entspricht dann der Nullviskosität. Die Fließfähigkeit des Materials ist plötzlich stark eingeschränkt.

Dieser physikalische Vorgang wird hier als Beginn der Abkühlphase definiert: Der Zeitpunkt der Viskositätserhöhung auf die Nullviskosität stellt den Beginn der Abkühlphase dar.

Die Abkühlphase endet mit der Öffnung der Form. Dieser Zeitpunkt wird normalerweise vom Einrichter der Maschine durch den entsprechenden Stellwert vorgegeben.

Ziel ist es, den Prozess so zu gestalten, dass mit dem Ende der Abkühlzeit möglichst an allen Stellen des produzierten Teils der Atmosphärendruck und eine homogene Entformungs­temperatur erreicht werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2-3 Aufgliederung des Spritzgussprozesses in Teilprozesse

Die Plastifizierung der Formmasse für den folgenden Schuss erfolgt gleichzeitig mit der Abkühlung der Formmasse in der Kavität.

Es schließen sich die Prozessphasen Werkzeugöffnen, Auswerfen und Werkzeugschließen an, die auch zum Verfahrensabschnitt Entformen zusammengefasst werden. Diese sind für die Qualität der Formteile von untergeordneter Bedeutung.

Auf keinen Fall aber dürfen die produzierten Teile beim Entnehmen beziehungsweise Auswerfen aus dem Werkzeug beschädigt werden. Betrachtungen zu dieser Problematik sind aber nicht mehr dem Spritzgussprozess im eigentlichen Sinne zuzuordnen, sondern sollten eher bei der Untersuchung von Transportprozessen berücksichtigt werden.

Beim heutigen Stand der Technik ist bei der Untersuchung von vollautomatisierten Prozessen sichergestellt, dass diese Prozessabschnitte immer die gleiche Dauer haben. Die Veränderung des Werkzeug-Temperaturfeldes aufgrund der Öffnungsbewegung während der Entformphase ist dann reproduzierbar.

Die einzelnen Teilprozesse des Spritzgussverfahrens beeinflussen die Materialeigenschaften unterschiedlich. Aufbauend auf Erfahrungswerte geben [ 10 und 12 ] eine Zuordnung zwischen dem verursachenden Prozessabschnitt und der Wirkung auf das Polymers an:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2-4 Beeinflussung der Eigenschaften des Materials durch einzelne Teilprozesse

2.3 Beeinflussung von Qualitätsmerkmalen durch bestimmte Teilprozesse

Ausgehend von diesen Erfahrungswerten lässt sich eine Aussage treffen, welche Qualitätsmerkmale vornehmlich durch welchen Teilprozess beim Spritzgießen von Thermoplasten bestimmt werden.

Gestützt werden diese Vermutungen von den Erfahrungen, mit welchen Stellgrößen die Veränderung eines bestimmten Qualitätsmerkmals erreicht werden kann. Die Stellgrößen wirken abgesehen von der Massetemperatur während bestimmter Teilprozesse des Verfahrens ein. Eine weitere Untermauerung der Hypothese kann eine umfassende Auswertung von vielen einzelnen statischen Modellen liefern, die den Zusammenhang zwischen Prozesskennwerten und Qualitätsmerkmalen beschreiben.

Tabelle 3-1 Hauptsächliche Ausbildung von Qualitätsmerkmalen durch Teilprozesse des Spritzgussverfahrens bei Thermoplasten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In die bekannten Modelle für den Spritzgussprozess gehen Prozesskennwerte ein, die charakteristisch für Teilmodelle sind, welche die Zustände in der Plastifiziereinheit der Spritzgussmaschine beschreiben. Weiterhin werden auch einige werkzeugspezifische Kennwerte in den bekannten statistischen Modellen verwendet.

Die Gültigkeit solcher statistisch gesicherter Beziehungen ist auf die untersuchte Kombination Werkzeug-Maschine-Mateial beschränkt. Bei einem Maschinenwechsel, wie er bei einer modernen flexiblen Produktion häufig vorkommt, müssen dann die statistischen Zusammenhänge zwischen Prozess- und Qualitätskennwerten neu ermittelt werden. Das gilt auch, wenn der Wechsel zwischen Maschinen gleichen Typs erfolgt.

Oft ist der Versuchsaufwand zur maschinenspezifischen Bestimmung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Qualitäts- und Prozesskennwerten für eine bestimmte Losgröße höher, als eine direkte Überwachung der Qualitätskennwerte.

Nur Modelle, die eine Korrelation zwischen Prozesskennwerten, die ausschließlich werkzeugspezifische Teilprozesse charakterisieren und den Qualitätskennwerten widerspiegeln, sind auch auf andere Produktionsmaschinen übertragbar.

3 Die Einspritzphase

Die Einspritzphase ist der erste Verfahrensabschnitt bei der Betrachtung werkzeugspezifischer Teilmodelle zur Herstellung eines Formlings während eines Spritzgusszyklus.

Der Zeitpunkt, an dem der Werkzeuginnendruck erstmals messbar ansteigt, definiert den Beginn der Einspritzphase. Die Fließfront hat dann den Druckaufnehmer erreicht.

Zur Beschreibung der Vorgänge über eine möglichst große Länge des Fließkanals empfiehlt sich eine Sensorposition im Angußverteiler des Werkzeugs [ 13 und 14 ].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-1 Darstellung der Einspritzphase am zeitlichen Werkzeuginnendruckverlauf

3.1 Eingangsgrößen der Einspritzphase

Als Eingangsgrößen für die Einspritzphase wirken sowohl die Ausgangsgrößen des Prozessabschnitts Schneckenruhezeit, als auch des Teilprozesses Entformen. Die Einspritzphase ist entsprechend Bild 2-4 der Verfahrensabschnitt, bei dem eine Kopplung von für die Plastifiziereinheit typischen Prozessabschnitten mit den Teilprozessen erfolgt, welche die Zusammenhänge im Werkzeug beschreiben.

Die wichtigsten Eingangsgrößen, die aus den Verhältnissen im Plastifiziersystem resultieren, sind Schmelzetemperatur, und stoffliche und thermische Homogenität der Masse [ 15 ].

Eine Größe, die mit der Massetemperatur korreliert, ist das Maximum des gemessenen IR-Signals. Dies stellt einen neuen, wichtigen Prozessparameter dar, der bei der Verwendung von Infrarotmesstechnik für Spritzgusswerkzeuge bestimmt werden kann.

Bisher war es nur dann möglich, im Plastifiziersystem ein Prozessparameter für die Massetemperatur zu ermitteln, wenn ein Schmelzetemperaturaufnehmer vorhanden ist. Solche Meßsysteme sind bekannt, werden in der Praxis aus Kostengründen jedoch selten angewendet. Damit man die Kompressionserwärmung richtig deutet, können IR-Aufnehmer nur sinnvoll in Verbindung mit einem Massedruckaufnehmer eingesetzt werden [ 16 ].

Im Produktionsalltag beschränkt sich die Überwachung der Massetemperatur auf die Regelung der einzelnen Zylinderheizstufen. Diese Stellwerte sind maschinenspezifisch und nur eingeschränkt auf andere Spritzgussautomaten übertragbar.

Die Aufbereitung von Masse mit einer hinreichenden Schmelzehomogenität in der Plastifiziereinheit ist Voraussetzung für die Herstellung qualitätsgerechter Teile [ 7 ]. Die stoffliche Homogenität des Materials ist bei der Verarbeitung von Regranulaten, bei im Vergleich zu Schneckendurchmesser ungünstigen Dosierwegen und bei der Verarbeitung von Mehrphasensystemen oft mangelhaft [ 17 ].

Ein Prozessparameter, der die Forderung nach stofflicher Homogenität exakt überwacht, ist für die Teilprozesse des Plastifiziersystems nicht bekannt. Schwankungen des Prozessparameters Dosierzeit können ihre Ursachen in einem nicht gleichmäßig homogenisierten Rohstoff haben. In der Praxis ist man auf die Beobachtungen und Erfahrungen des Einrichterpersonals angewiesen.

Vor allem bei langen Dosierhüben und der Verarbeitung von Regranulat ist die thermische Homogenität der Schmelze nicht immer gegeben [ 5 ]. In [ 17 ] wird ein Fall erwähnt, bei dem in einem Formteil sowohl nicht aufgeschmolzenes Material als auch Abbauprodukte thermischer Überlastung des Kunststoffes beobachtet wurden.

Ein Prozessparameter, der die thermische Homogenität des Materials ausdrückt, ist weder für die Teilprozesse des Plastifiziersystems, noch für werkzeugspezifische Verfahrensabschnitte bekannt.

Aus dem Prozessabschnitt Entformen wirken die Wandtemperatur der Kavität sowie der Temperaturgradient im Spritzgusswerkzeug als Eingangsgrößen auf die Einspritzphase.

Weitere Eingangsgrößen sind materialabhängig und werden durch Stoffkonstanten ausgedrückt. Im allgemeinen setzt man diese als bekannt und unveränderlich voraus. Leider kann man nicht immer davon ausgehen. Eine wesentliche Fehlerquelle ist, dass die Stoffkonstanten von veränderlichen Parametern wie Schergeschwindigkeit, Druck oder Temperatur abhängen. Diese Parameter werden bei den rheologischen Untersuchungsverfahren bewusst auf konstanten Werten gehalten [ 18 ]. Außerdem ist es oft nicht möglich, den Spritzgussprozess mit seinen enormen Fließgeschwindigkeiten und Abkühlgeschwindigkeiten im rheologischen Labor zu simulieren [ 19 ].

Verfahren, die sich an den realen Prozess anlehnen, sind bekannt [ 20 ]. Sie haben jedoch eine begrenzte technologische Aussagefähigkeit und werden in der Praxis nur selten verwendet.

Aus der unzureichenden Kenntnis der genauen parameterabhängigen Stoffkonstanten entstehen Fehler, die nicht ohne weiteres vernachlässigt werden können. Diese schränken die Genauigkeit von Simulationen des Einspritzvorgangs ein.

3.2 Bekannte Prozessparameter der Einspritzphase

Zum Füllen der Kavität mit Polymer muss Energie aufgewendet werden. Diese wird in Form von thermischer Energie und mechanischer Arbeit der Kunststoffschmelze zugeführt.

Hat ein thermoplastischer Kunststoff im Stauraum des Plastifizierzylinders eine große mittlere Temperatur, befindet sich das Material auf einem thermisch hohen Energieniveau. Zum Schmelzetransport des Thermoplasts ist dann weniger mechanische Arbeit notwendig. Bei kälterem Material ist die zum Füllen der Kavität notwendige Arbeit entsprechend größer.

Die Größe der zum Schmelzetransport notwendigen Arbeit ist abhängig von:

- dem verwendeten Kunststoff,
- dem Verzweigungsgrad der Polymerketten,
- der Homogenität der Masse,
- der Temperatur der Schmelze,
- der mittleren Schergeschwindigkeit
- dem Abkühlverhalten der Randschicht des Kunststoffs an der Wand der Kavität,
- der Geometrie des Fließkanals,
- und der Microoberfläche des Formhohlraums.

Während der Abkühlphase muss dem Material sowohl die thermische Energie, als auch die am Polymer geleistete Arbeit bis auf ein bestimmtes Niveau entzogen werden.

Die thermische Energie führt ein Wärmestrom an das Spritzgusswerkzeug ab. Die Zeitdauer, über die dieser Wärmestrom aufrecht erhalten wird, ist durch die Stellgrößen Temperiermitteldurchfluss und Entformungszeit beeinflussbar.

Bis zu welchem Energieniveau die Abgabe erfolgt, kennzeichnet der Prozesskennwert Entformungstemperatur.

Die mechanische Energie der Schmelze wird während des Abkühlvorgangs durch die Dekompression der Masse vermindert. Der Prozessparameter Ablösetemperatur kennzeichnet das thermische Energieniveau der Masse, bei dem die geleistete mechanische Arbeit verbraucht ist.

Ein Ziel der Prozessführung ist es, den Formfüllvorgang mit möglichst wenig Gesamtenergieaufwand zu realisieren. Das ist bei einem bestimmten Temperaturoptimum der Schmelze möglich.

Aufbauend auf Erfahrungswerten erfolgt das Spritzgussverfahren mit einer Massetemperatur in einem bestimmten Intervall. Dieser Temperaturbereich wird von den Rohstoffherstellern angegeben und als Verarbeitungstemperaturbereich des Materials bezeichnet.

Verarbeitet man das Material bei einer geringeren Massetemperatur, als der unteren Grenze dieses Intervalls, kann der innere Zusammenhalt des Polymers durch große Scherkräfte während der Einspritzphase zerstört werden. Die zum Füllen der Form notwendige Arbeit wäre dann unverhältnismäßig groß.

Bei Massetemperaturen, die über dem Verarbeitungstemperaturbereich liegen, dauert der Abkühlvorgang bis zur Entformungstemperatur länger. Weiterhin besteht die Gefahr, dass der thermische Abbau des Materials zu einer Werkstoffschädigung führt.

Während der Einspritzphase wird die am Kunststoff verrichtete Arbeit als mechanische Energie wirksam. Ein geringer Anteil wird Kompressionswärme umgesetzt. Diese Energiezufuhr an das System ist reversibel, das heißt, wenn man das System von seiner äußeren Quelle trennt, wird die geleistete Arbeit wieder freigesetzt. Die komprimierte Masse entspannt sich und vermindert ihre Temperatur um den Betrag, der dem der Kompressionserwärmung entspricht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-2 Temperaturveränderung beim Verdichten bzw. bei Dekompression einer Kunststoffschmelze

Zum Vergleich der für einen speziellen Prozess zum Füllen der Kavität notwendigen mechanischen Arbeit benötigt man einen Prozessparameter.

Zunächst versuchte man, die energetischen Vorgänge während der Einspritzphase durch den Parameter "Fließzahl" zu beschreiben. Dazu wird die Zeit zwischen zwei Wegpunkten gemessen, die die Schnecke während des Füllens der Kavität benötigt [ 21 ]. Die Aussagekraft des Parameters ist sehr gering, da lediglich Bewegungsgrößen bestimmt werden. Der aufgewendete Druck wird nicht berücksichtigt. Mit dem Einsatz von geregelten Maschinen [ 10 ] wird die Schneckenvorlaufgeschwindigkeit verfahrensbedingt konstant gehalten. Für geregelte Maschinen ist der Parameter Fließzahl folglich ohne Aussage über den Prozesszustand. Dagegen sind die Prozessparameter "Einspritzarbeit E", oder "Füllindex FI” zur Beschreibung der energetischen Verhältnisse während der Einspritzphase wesentlich besser geeignet. Dazu wird in einem definierbaren Bereich des Schneckenweges zwischen s1 und s2 das Integral

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(3.1)

bestimmt. Es wird als wichtiger Maschinenparameter berücksichtigt.

Als Druckfunktion, die in die Formel (3.1) eingeht, wird bei allen marktgängigen Maschinen der Hydraulikdruck untersucht. Die Integrationsgrenzen müssen so gewählt werden, dass Beschleunigungseinflüsse der Schneckenmasse und Kompressionseffekte des Hydrauliköls nicht in die Messung eingehen. Es wird empfohlen [ 22 ], die Werte von s1 und s2 in einen Abschnitt des Schneckenweges mit konstanter Schneckenvorlaufgeschwindigkeit zu legen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-3 Empfohlene Festlegung der Integrationsgrenzen s1 und s2 zur Bestimmung der Fließzahl

Wird mit verschiedenen Plastifiziereinheiten oder Maschinen produziert, kann man nicht von identischen linearen Bereichen der in Bild 3-3 gezeigten Funktion ausgehen. Die Werte der mit unterschiedlichen Integrationsgrenzen ermittelten Einspritzenergien werden sich voneinander unterscheiden [ 14 ].

Johannaber weist in [ 23 ] nach, dass aus einer ermittelten Fließzahl keinesfalls auf die energetischen Verhältnisse im Werkzeug geschlossen werden kann. Die Arbeit, die geleistet werden muss, um Reibung in der Spritzeinheit zu überwinden, geht in die Messung mit ein. Bei seinen Untersuchungen stellte sich heraus, dass 10 bis 100% der Einspritzarbeit zur Überwindung von:

- Reibung des Schneckenkolbens im Zylinder
- Reibung der Führungen
- Reibung von Schnecke und Rückstromsperre
- Anlaufvorgängen und Beschleunigungen

benötigt werden. Auch Maschinen gleicher Baureihe weisen vollkommen unterschiedliche Werte der Reibungsanteile auf. Die Prozessparameter

- Massetemperatur
- Einspritzgeschwindigkeit
- Öltemperatur
- Düsengeometrie

beeinflussen die Einspritzennergie und den Füllindex nachweislich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-4 Abhängigkeit der Einspritzarbeit von der Massetemperatur bei der Verwendung von verschiedenen Düsen (schematisch dargestellt); Werkstoff: Polycarbonat (Makrolon 2800) [ 23 ]

In [ 23 ] wird ein Verfahren beschrieben, das mit Hilfe der Ermittlung einer "Grundlast", eine Korrektur der Reibungsverluste ermöglichen soll. Ziel ist es, den Anteil der Reibungsverluste am gesamten Energieverbrauch zu ermitteln. Dabei wird die Schnecke bewegt, ohne dass Schmelze ausgespritzt oder komprimiert wird. Die Ergebnisse der Korrektur bleiben aber unbefriedigend, da die Reibung der Schnecke im Zylinder von den Reibungskoeffizienten der Werkstoffpaarungen Stahl-Stahl und Kunststoffschmelze-Stahl abhängig ist. Beide Werte unterscheiden sich deutlich. In welcher Wichtung die einzelnen Reibungskoeffizienten in ein Modell eingehen, hängt stark von Zufallsgrößen ab. Hinzu kommt, dass aufgrund der großen Temperaturabhängigkeit der Stoffkennwerte des Kunststoffs die Temperaturverhältnisse im Zylinder bekannt und beeinflussbar sein müssten.

Eine auswertbare und physikalisch fundamentierte Aussage über die notwendige Arbeit zum reinen Schmelzetransport während der Einspritzphase kann nur ein Massedruckaufnehmer liefern. Um die Beeinflussung der Werte durch die Düsengeometrie zu vermeiden, ist eine Position im Fließkanal des Werkzeugs zwischen Maschinendüse und den Anbindungen der einzelnen Formnester erforderlich. Als kennzeichnender Parameter für die am Kunststoff geleistete Arbeit wurde durch Anders, Slaweski, Steinbüchel und Rupprecht der Fülldruck definiert. [ 13 ]

In Versuchen, bei denen bei gegebenen Maschine-Werkzeug-Material-Kombinationen Stellgrößen verändert wurde, konnte nachgewiesen werden dass der Fülldruck für eine Kombination gut mit der maschinenspezifischen Einspritzarbeit korreliert. [ 14 ]

Die maschinenspezifische Einschränkung auf Integrationsgrenzen wie im Bild 3-2 gezeigt, ist bei der Bestimmung des Fülldrucks nicht notwendig. Beschleunigungs- und Kompressionseffekte des Plastifiziersystems gehen nicht in die Druckmessung ein.

Das Volumen der Kavität ist mit der Herstellung der Form festgelegt und bei vergleichbarer Zuhaltekraft der Schließeinheiten maschinenunabhängig. Deshalb sind die zwischen Maschinendüse und Formnestanbindung aufgenommenen Druckfunktionen, für die gesamte Füllphase unabhängig vom Produktionsautomaten vergleichbar.

Die an dieser Sensorposition aufgenommene Druckfunktion kann direkt mit den in Simulationsrechnungen ermittelten notwendigen Druckverbrauch zum Füllen der Kavität verglichen werden.

Der notwendige Druck, um ein bestimmtes Volumen Schmelze in den Formhohlraum zu pressen resultiert aus der Wirkung des Strömungswiderstands.

Aus verfahrenstechnischer Sicht sind die wesentlichen Einflussgrößen für den Strömungs­widerstand in einem Abschnitt des Fließkanals mit konstanter Geometrie:

- der Fließkanalquerschnitt
- der Ausgangsdruck
- die Massetemperatur
- die Werkzeugtemperatur
- Stoffkonstanten des Polymers
- Stoffkonstanten der Werkstoffpaarung Polymer - Material der Form und
- die Fließfrontgeschwindigkeit

Aus diesen Größen ergibt sich bei vorgegebenem Volumenstrom der Druckverbrauch zum Befüllen eines Kavitätsabschnitts.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-5 Strömung einer Schmelze im Fließkanal

Die Fließkanalgeometrie ist unveränderlich, wenn am Werkzeug keine Verformungen auftreten und die Maschine ausreichend Schließkraft liefert.

Der Ausgangsdruck wird mit einem Drucksensor gemessen. Um die Wirkung der Anbindung als Druckverbraucher mit zu erfassen, wird eine Sensorsposition zwischen der Düse der Spritzeinheit und der Anbindung des Formteils gewählt [ 14 ].

Die Temperatur eines Masse teilchens verändert sich beim Schmelzetransport während des Einspritzvorgangs. Der zeit- und ortsabhängige Wert wird durch die wahre Temperatur TW ausgedrückt. Dieser ergibt sich nach [ 24 ] folgendermaßen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(3.2)

Die Größe TM0 ist die ursprüngliche Massetemperatur im Zylinder. Die Temperaturverluste aufgrund der Abkühlung der Schmelze kennzeichnet die Größe DTC. Die Erwärmung aufgrund der Scherung wird mit DTS beschrieben. Die Temperaturerhöhung aufgrund der Kompressionserwärmung geht mit DTp in (3.2) ein.

Bei der Herstellung von Formteilen aus Thermoplasten ist DTC immer kleiner null, da die Werkzeugwandtemperatur immer unter der Schmelzetemperatur der fließenden Masse liegt. Bei der Verarbeitung von Elastomeren oder Duromeren nimmt DTC positive Werte an, da in diesem Fall die Masse in ein beheiztes Werkzeug eingespritzt wird.

Der Wert von DTS ist immer positiv. Die Schererwärmung ist kein reversibler Prozess. Das heißt, dieser Anteil an der Wärme des Körpers kann nicht wieder in mechanische Energie umgewandelt werden. Aus diesem Grund sind negative Werte von DTS physikalisch unmöglich.

Die Kompressionserwärmung ist dagegen reversibel. Bei Druckerhöhung ist ihr Wert positiv, zum Beispiel beim Passieren der Anbindung des Werkzeuges. Wird die Schmelze dekomprimiert, so nimmt DTp negative Werte an.

Die wahre Temperatur im Fließkanal eines Werkzeuges zur Thermoplastverarbeitung kann also aufgrund der entgegen der Abkühlung wirksamen Scher- und Kompressionserwärmung sowohl über als auch unter der Massetemperatur im Zylinder liegen.

Die Werkzeugtemperatur beeinflusst während der Einspritzphase die Abkühlung der Schmelze. In Gleichung (3.2) geht das durch den Summanden DTc ein.

Eine geringe Formtemperatur verkürzt nicht nur die Zykluszeit sondern vermindert auch die Fließfähigkeit der Schmelze während der Einspritzphase. Bei zu kaltem Werkzeug, ist der Fließwiderstand des Materials so groß, dass keine vollständige Formfüllung möglich ist.

Alle Stoffkonstanten sind materialspezifisch. Das heißt sie können durch technologische Eingriffe nicht verändert werden. Bei Polymeren gibt es jedoch die Besonderheit, dass bei vielen Stoffkonstanten eine Parameterabhängigkeit, beispielsweise von der wahren Temperatur oder der Schergeschwindigkeit, auftritt. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass ein technologischer Eingriff eine entgegengesetzte Wirkung zeigt als erwartet.

Verändern sich während der Produktion die Prozessparameter trotz gleicher Einstellwerte deutlich, kann dies auf veränderte Stoffkonstanten hindeuten. Die Ursache ist in einem solchen Fall die Verwendung eines falschen Granulats oder ein Chargenwechsel.

Bei Kunststoffen, die zur Belagbildung neigen, muss bedacht werden, dass ein sich aufbauender Formbelag eine Trennschicht zwischen Polymer und Werkzeugoberfläche darstellt. Die Stoffkonstanten der Werkstoffpaarung Polymer - Material der Form verändern sich mit zunehmender Belagbildung. Eine sorgfältige Wartung der Werkzeuge und die sorgfältige Einbringung von Entlüftungen in das Werkzeug sind aus diesem Grunde besonders wichtig.

In Strömungsabschnitten mit konstanter Fließkanalgeometrie, ist die Fließfrontgeschwindigkeit indirekt proportional zur Formfüllzeit. Eine Vergrößerung der Fließfrontgeschwindigkeit bewirkt immer eine Verminderung der Formfüllzeit und umgekehrt. Die Bestimmung der Fließfrontgeschwindigkeit eines Fließkanalabschnitts aus dessen Formfüllzeit ist für werkzeugspezifische Betrachtungen geeignet, da dies durch entsprechende Füllstudien maschinenunabhängig erfolgen kann.

Weiterhin kann die Fließfrontgeschwindigkeit aus der Schneckenvorlaufgeschwindigkeit beim Befüllen des entsprechenden Fließkanalabschnitts ermittelt werden. Da der Zylinderquerschnitt bei Spritzgussmaschinen konstant ist, folgt aus der Schneckenvorlaufgeschwindigkeit der Volumenstrom. Beide Größen sind bei Vernachlässigung der Schmelzekompression direkt proportional zur Fließfrontgeschwindigkeit.

Bei einer gegebenen Kombination Werkzeug-Material, ist eine deutliche Beeinflussung des Druckverbrauches durch die Fließfrontgeschwindigkeit erkennbar. In Bild 3-6 ist der Zusammenhang beider Größen dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-6 Druckverlust im gekühlten Fließkanal [ 10 ]

Es sind 3 Bereiche zu erkennen, die qualitativ unterschiedliche Zusammenhänge darstellen. Da die Länge l eines zu untersuchenden Werkzeuges konstant ist, kann man sich bei der Betrachtung auf die Druckdifferenz beschränken. Es lassen sich folgende Aussagen machen:

Bereich I:

Gilt bei geringen Fließfrontgeschwindigkeiten. Der Druckverlust Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten nimmt bei zunehmender Fließfrontgeschwindigkeit ab. Abkühlvorgänge dominieren gegenüber Scher- und Kompressionserwärmung. Es liegt eine Strömung mit Abkühlung vor.

Bereich II:

Der Druckverlust Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten ist unabhängig von der Fließfrontgeschwindigkeit und bleibt konstant. Es kommt zu einem isothermen Strömungszustand. Die Wärmeverluste durch Abkühlung werden durch die Scher- und Kompressionserwärmung aufgehoben.

Bereich III:

Mit zunehmender Fließfrontgeschwindigkeit nimmt der Druckverlust Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten leicht zu. Die Wärmeverluste sind geringer als die durch Kompressions- und vor allem durch Schererwärmung hervorgerufene Temperaturerhöhung. Es kommt zu einem überhitzten Strömungszustand.

Die angestellten Überlegungen gelten für konstante Fließkanalgeometrien und -querschnitte.

Bei Produktionswerkzeugen kommen aber Unterschiede in der Geometrie der einzelnen Abschnitte des Fließkanals vor. In jedem einzelnen Abschnitt gelten spezifische Zusammenhänge von Fließfrontgeschwindigkeit und Druckverbrauch. Ziel sollte es sein, über die gesamte Fließfront einen möglichst isothermen Strömungsverlauf zu realisieren. Während der Werkzeugkonstruktion, bei der Gestaltung der einzelnen Wanddicken und der Wahl des Anspritzpunkts, werden dafür die Voraussetzungen geschaffen.

3.3 Dehnströmungseffekte

Wenn sich der Querschnitt aufeinanderfolgender Abschnitte des Fließkanals deutlich voneinander unterscheidet, kann man beim Übergang der Geometrien nicht mehr von einer reinen Scherströmung ausgehen. Der Effekt tritt besonders deutlich auf, wenn der Kunststoff die Anbindung des Formnestes passiert hat und in die Kavität einströmt.

Dann müssen neben der reinen Scherströmung auch Dehnströmungseffekte beachtet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-7 Scher- und Dehnströmungen beim Füllen der Kavität

Rheologische Untersuchungen werden für uniaxiale Dehnungen vorgenommen. Das heißt die Einschnürung oder die Aufweitung des Materials erfolgt axialsymetrisch. Die Dehnviskosität ηE ist größer als die Viskosität bei Scherströmung η.

Für Newtonsche Medien gilt bei uniaxialer Dehnung:

ηE = 3η

(3.3)

Kunststoffe folgen in der Regel jedoch nicht dem Newtonschen Stoffgesetz.

Bei der Untersuchung einer Polymercharge stellt man fest, dass Gleichung (3.3) nur bei sehr geringen Dehngeschwindigkeiten gilt. Bei mittleren und hohen Deformationsgeschwindigkeiten ist die Dehnviskosität wesentlich größer als die dreifache Scherviskostität.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-8 Vergleich der stationären Dehn- und Scherviskosität einer LDPE-Charge bei gleichen Werten der Deformationsgeschwindigkeit [ 25 ]

Zu beachten ist, dass in Bild 3-8 eine logarithmische Darstellung gewählt wurde.

Gleichung (3.3) hat demnach keine Gültigkeit für die Deformationsgeschwindigkeiten, wie sie während der Einspritzphase des Spritzgussprozesses auftreten.

Die in Bild 3-8 dargestellten Funktionen der Scherviskosität sind für die einzelnen Polymere ähnlich. Bei der Untersuchung der deformationsgeschwindigkeitsabhängigen Dehnviskosität, werden deutliche Unterschiede auch bei Materialien gleichen Typs sichtbar.

Der Verzweigungsgrad der Ketten beeinflusst die Dehnviskosität eines Stoffs erheblich. Dieser wird durch den Anteil von CH3-Gruppen pro 1000 Kohlenstoffatome ausgedrückt. Bei Polyethylen ist dieser für HDPE-Typen sehr gering, LDPE-Typen weisen einen hohen Verzweigungsgrad auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-9 Dehn- und Scherviskositäten von PE-Schmelzen mit unterschiedlichen Verzweigungsgraden, bei gleichen Werten der Zug- und Schubspannung [ 2 ]

Die vollständige Beschreibung der physikalischen Zusammenhänge bei Dehnströmungen ist bisher noch nicht gelungen. Es konnten nur tendenzielle Aussagen getroffen werden.

Eine Dehnströmung hat zusätzlich Deformationsanteile in Kettenlängsrichtung. Die Lageveränderung der Molekülbestandteile erfolgt im Gegensatz zur reinen Scherströmung auch gegen die Hauptvalenzen des Polymers. Der innere Widerstand, den das Material einer Deformation entgegenbringt, ist aufgrund der höheren Bindungsenergie längs der Kette größer (Dehnströmung) als bei einem Abgleiten der Makromoleküle aneinander (reine Scherströmung).

Die große Abhängigkeit der Dehnviskosität von Schergeschwindigkeit und Verzweigungsgrad ist ein Argument dafür, warum verschieden Kunststoffe eines Polymertyps verschiedene technologische Prozesse zur Herstellung optimaler Formteilqualität erfordern trotz gleicher Schmelzindizes und ähnlicher Fließkurven für Scherbeanspruchung.

Bei der Verarbeitung von Materialien, bei denen sich der Verzweigungsgrad im Prozess verändert, ist dies eine wesentliche Ursache für eine Drift des Gütegebirges. Besonders bei der Verarbeitung von Elastomeren und Duromeren stellt dieser Zusammenhang eine wesentliche Ursache für Qualitätsschwankungen dar.

Eine Möglichkeit zur Bestimmung des Verzweigungsgrades mit Hilfe der Analyse von IR-Strahlung wird in [ 26 ] vorgestellt.

Die gezeigten Diagramme der Bilder 3-7 und 3-8 wurden für eine uniaxiale Dehnung ermittelt.

Beim Füllen von Spritzgusswerkzeugen kommt es an rotationssymetrischen Querschnitts­übergängen zu einer uniaxilaen Dehnung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-10 Uniaxle Dehnung der Schmelze beim Füllen einer rotationssymetrischen Kavität

Eine große Anzahl von Formteilen ist flächig ausgebildet. Die Dehnströmung ist nicht mehr uniaxial. Für den einfachen Fall, dass die Dehnung nur in einer Richtung erfolgt, spricht man von einer biaxialen Dehnung.

Dann sind die Werte der Dehnviskosität geringer als für den Fall der uniaxilen Dehnung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-11 Biaxiale Dehnung der Schmelze beim Füllen einer Kavität

Die Erhöhung der Viskosität, wenn Dehnströmungs- gegenüber Scherströmungseffekten dominieren, äußert sich in einem erhöhten Druckverbrauch.

Besonders stark wird die Schmelzefront beim Passieren der Anbindung eines Formnestes gedehnt. Ist die Dehnviskosität des Materials deutlich größer als die Scherviskosität, so kommt es zu einem starken Druckanstieg, wenn die Schmelzefront den Querschnittsübergang erreicht.

Ein besonders hoher Druckverbrauch stellt sich ein, wenn die Anbindung zu eng ausgelegt wurde.

Mit der in [ 13 ] vorgeschlagenen Positionierung des Drucksensors zwischen Maschinendüse und der Anbindung der Formnester kann ein erhöhter Druckanstieg erfasst werden, wenn die Masse die Anbindung des Formnests passiert. Zeigt sich ein starker Druckanstieg, wenn die Schmelzefront im weiteren Verlauf eine Barriere im Fließkanal erreicht, dann beeinflussen die Dehnströmungseffekte das Fließverhalten der Schmelze deutlich.

Stellt sich kein erkennbarer Druckanstieg ein, wenn die Schmelzefront die Anbindung des Formnests erreicht hat, kann man davon ausgehen, dass für das betrachtete System Werkzeug-Material Dehnströmungseffekte von untergeordneter Bedeutung sind.

Bei einer starken Verminderung der Fließfähigkeit des Materials aufgrund von Dehnströmungseffekten, kommt es zu einer Zerstörung der Fließfront. Beim Spritzgussprozess bezeichnet man diesen Effekt als Freistrahlbildung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-12 Freistrahlbildung beim Füllen einer Kavität

Werden Füllstudien ausgewertet, ist die Formfüllung unter Freistrahlbildung einfach erkennbar. Dann fließt die Schmelze nicht mit einer gleichmäßig fortschreitenden Fließfront in die Kavität hinein. Beim Formfüllen unter Freistrahlbildung wird die Schmelze zuerst am Ende des Fließkanals abgelagert.

Mit zunehmender Masse in der Kavität treten in den Randschichten zwischen dem in den Formhohlraum einschießenden Massestrom und bereits abgelagertem Material extrem hohe lokale Scherungen auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-13 Lokale Scherung beim Füllen einer Kavität unter Freistrahlbildung

Die dabei auftretende extreme Schererwärmung führt zu einem lokalen thermischen Abbau des Polymers.

Aufgrund von Verwirbelungen werden Materialteile, die bereits an der Wand der Kavität abkühlten wieder ins Innere des Formlings transportiert.

Diese beiden Effekte sind die Ursache für eine deutlich verminderte mechanische Festigkeit und für Oberflächendefekte von Formteilen, bei deren Herstellung das Befüllen der Form unter Freistrahlbildung erfolgte.

Prozesstechnisch kann die Ausbildung eines Freistrahls durch eine Verminderung der Stellgröße Einspritzgeschwindigkeit und einer Veränderung der Massetemperatur vermieden werden.

Eine Veränderung der Anschnittgeometrie des Formnests stellt eine konstruktive Möglichkeit zur Verhinderung der Freistrahlbildung dar.

3.4 Die Randschicht

Kommt ein Masseteilchen mit der Werkzeugwand unmittelbar in Kontakt, erstarrt es aufgrund des großen Temperaturgefälles zwischen Schmelze und Formoberfläche sofort. Es wird nicht mehr transportiert. Unmittelbar an der Werkzeugwand bildet sich eine Grenz- oder Randschicht aus bereits erkaltetem Material, in der keine Strömung mehr stattfindet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-14 Bildung einer Randschicht beim Füllen der Kavität mit Schmelze

Die Dicke dieser Randschicht wurde in [ 24 ] untersucht. Es treten grundsätzlich zwei Zustände auf.

Aufgrund der Abkühlung der Masse, die aus dem großen Temperaturgefälle zwischen Schmelze und Werkzeugwand folgt, nimmt die Dicke der Randschicht zunächst zu. Die fließende Schmelze wird durch die Strömung geschert und gedehnt.

Bei einer bestimmten Stärke der Grenzschicht ist ein thermisches Gleichgewicht zwischen Abkühlungseffekten und Schererwärmung erreicht. Dann ist die Dicke der Randschicht konstant. In diesen Bereichen des Fließkanals wird die Masse nur durch Scherung bewegt. Dehnanteile treten bei konstanter Fließkanalhöhe nicht auf.

Bei anwachsender Schichtstärke wird die Dicke der Randschicht bestimmt durch:

- die Kontaktzeit,
- die Werkzeugtemperatur,
- die orts- und zeitabhängige wahre Temperatur der Schmelze,
- die Übergangstemperatur und
- die Temperaturleitfähigkeit.

Die Schichtstärke einer Randschicht mit konstanter Dick wird durch

- die Höhe des Fließkanals,
- die Fließfrontgeschwindigkeit,
- dem Fließexponenten nach dem Stoffgesetz von Ostwald/de Waele
- die Kontaktzeit,
- die Werkzeugtemperatur,
- die orts- und zeitabhängige wahre Temperatur der Schmelze,
- die Übergangstemperatur und
- die Temperaturleitfähigkeit.

beeinflusst.

Die Höhe des Fließkanals ist durch die Werkzeugkonstruktion festgelegt.

Die Fließfrontgeschwindigkeit kann aus der Schneckengeschwindigkeit oder der Formfüllzeit ermittelt werden. Die heute allgemein eingesetzten Regelungen der Schneckenvorlaufgeschwindigkeit sichern eine gute Reproduzierbarkeit der Fließfrontgeschwindigkeiten bei der Herstellung der jeweils mit einem Schuss hergestellten Spritzlinge.

Der Fließexponent aus dem Stoffgesetz von Ostwald/de Waele wird bei der Aufnahme der Fließkurve des Materials bestimmt.

Die Kontaktzeit sagt aus, wie lange bereits ein Masseteilchen an der Werkzeugwand angelagert ist

Die Werkzeugtemperatur wird durch die gewählten Stellwerte bestimmt und kann aufgrund der großen Wärmekapazität einer Spritzgussform als konstant angesehen werden. Tritt bei einem Prozess der Dieseleffekt (siehe Kapitel 3.7) auf, gilt diese Annahme allerdings nicht. Aussagen zur Randschichtdicke sind dann aufgrund der nicht quantifizierbaren lokalen Erwärmung der Form nicht möglich.

Die wahre Temperatur der Schmelze ergibt sich nach Gleichung (3.2)

Die Übergangstemperatur liegt zwischen der Glas- und Schmelzetemperatur. Sie gibt den Übergang von viskoser zu elastischer Deformation an. In [ 27 ] wurde nachgewiesen, dass die Übergangstemperatur eine deutliche Abhängigkeit von der Schergeschwindigkeit hat.

Die Temperaturleitfähigkeit ist eine temperaturabhängige Stoffkonstante.

Eine wesentliche Einflussgröße bei der Beschreibung von Wärmeübergängen ist die Kontaktfläche zwischen Kunststoff und dem Material des Werkzeugs. Bei einfachen Modellen geht man davon aus, dass die Berührungsfläche zwischen beiden Medien eben und plan ist.

Aufgrund der Bearbeitungsverfahren bei der Herstellung von Spritzgussformen ist diese Annahme jedoch nicht gültig.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-15 Abformung der Mikrostruktur an der Werkzeugoberfläche

Die Beschaffenheit der Randschicht beeinflusst besonders optische Qualitätsmerkmale der Formteile [ 8 ].

Bei hohen Fließfrontgeschwindigkeiten bauen sich starke Orientierungen unmittelbar am Rand des Fließkanals auf. Dort ist die Schergeschwindigkeit am größten.

Aufgrund der hohen Abkühlgeschwindigkeit der Randschicht bleibt die Ausrichtung der Makromoleküle erhalten. Am fertigen Produkt sind diese durch die Formfüllung bedingten "Füllorientierungen" an der Formteiloberfläche nachweisbar. In randnahen Bereichen haben die Teile aufgrund der eingefrorenen Orientierungen inhomogene Stoffeigenschaften.

Das bedeutet für transparente Formteile, dass die Brechzahl des Kunststoffs in Fließrichtung anders ist, als quer dazu. Bei Produkten, die in optische Systeme eingebaut werden, ist der oberflächennahe Orientierungsgrad ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Untersuchungen zu dieser Problematik wurden in [ 27 ] durchgeführt.

Füllorientierungen beeinflussen die geometrischen Merkmale nur gering. Aufgrund der orientierungsbedingten inhomogenen Schwindung unmittelbar an der Formteiloberfläche entstehen jedoch lokale Eigenspannungen. Diese sind die Ursache für eine verminderte Spannungsrissbeständigkeit von Formteilen mit großen Füllorientierungen.

Zur Verminderung von oberflächennahen Orientierungen können die Stellwerte für die Einspritzgeschwindigkeit verringert und die Heizband-, Heißkanal- beziehungsweise die Werkzeugtemperatur erhöht werden.

Teile mit nahezu uniaxialen Brechzahlen werden produziert, wenn die Prozesskennwerte für den Fülldruck klein sind, eine relativ lange Formfüllzeit auftritt, die Schmelzetemperatur hoch ist und die Abkühlung der Formmasse allmählich geschieht.

Schlieren entstehen, wenn die Randschicht aus nicht hinreichend homogenem Material gebildet wird. Die Ursachen dafür sind vielfältig:

Stoffliche und thermische Inhomogenitäten oder lokale Materialverschmutzungen treten bei falscher Fahrweise des Plastifiziersystems der Spritzgussmaschine auf. Zu thermisch inhomogenen Material in der Randschicht der Kavität kann es auch aufgrund einer unterschiedlich starken Schererwärmung bei zu eng bemessener Anbindung kommen.

Slic-Stipp-Effekte während des Einspritzvorgangs führen aufgrund großer Scherkräfte an der Berührungsfläche zwischen Kunststoff und Werkzeugstahl während der Schubphasen zu Verbrennungen an der Oberfläche des Formteils, die ebenfalls als Schlieren sichtbar werden.

Aufgrund der vielen möglichen Ursachen von Schlieren, kann man keine allgemeine Tendenz für die Veränderung von einzelnen Stellwerten angeben. Die Stellgrößen Einspritzgeschwindigkeit, Zylindertemperatur, Heißkanaltemperatur, Werkzeugtemperatur, Dosiergeschwindigkeit und Staudruck beeinflussen das Schlierenbild eines Formteils.

Für viele Erzeugnisse ist der Oberflächenglanz ein wichtiges Qualitätskriterium.

In [ 28 ] wurde festgestellt, dass die Ursache von Glanzunterschieden der Formteile die Abformung der Microstuktur an der Werkzeugoberfläche ist.

Bei der Untersuchung, welche Prozessparameter den Glanz der Formteile entsprechend DIN 67530 beeinflussen, kam [ 28 ] zu dem Ergebnis, dass primär die Stellgrößen Heizbandtemperatur und Einspritzgeschwindigkeit die Glanzwerte bestimmen.

Hohe Massetemperaturen, große Fließfrontgeschwindigkeiten und hohe Werkzeuginnendrücke formen die Werkzeugoberfläche besser ab als kleinen Werte der genannten Parameter. Ist die Kontaktfläche zwischen dem Kunststoff und der Werkzeugwand groß, kommt zu geringen Glanzwerten. Dann ist auch der Wärmeaustausch zwischen Kunststoff und Werkzeug besser als bei geringen Massetemperaturen und Einspritzgeschwindigkeiten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-15 Glanzwerte ergeben sich aus Abformung der Microstruktur der Werkzeugoberfläche

Wenn die Masse in die Mikrostruktur des Werkzeugs stark eindringt, ist die Kontaktfläche zwischen Werkzeugstahl und Kunststoff größer als bei einer schwach ausgeprägten Abformung. Bei gleichem spezifischem Wärmestrom über die Kontaktfläche tritt dann eine größere Abkühlgeschwindigkeit auf. Bei geringer Berührungsfläche zwischen Polymer und Stahl ist die Wärmeabfuhr schlechter.

Eine praktische Beobachtung belegt den Effekt. Beim Erstellen von Füllstudien, wird der Kunststoff nur in die Form transportiert. Der volle Spritzdruck und der Kompressionsdruck sind nicht wirksam. Die Schmelze kann deshalb nicht an die Wand der Kavität gepresst werden. Beim Öffnen der Form nach der realen Zykluszeit beobachtet man, dass die Formlinge einen viel höheren Glanzwert aufweisen, aber auch wesentlich heißer sind, als unter realen Prozessbedingungen gefertigte Teile.

Die Dauer der Abkühlung eines Formlings hat einen wesentlichen Einfluss auf das ökonomische Betriebsergebnis, das bei der Produktion des Teils erreicht werden kann. Ob angestrebte geringe Zykluszeiten realisiert werden können, wird bereits beim Füllen der Form mit entschieden. (Kapitel 6)

3.5 Zusammensetzung der Kavität aus einzelnen Fließkanalabschnitten

Einen großen Vorteil des Spritzgussverfahrens stellt die Möglichkeit dar, Formteile mit komplexer Gestalt herstellen zu können. Die Beschreibung des Formfüllvorgangs mit nur einem Modell für die Geometrie des Fließkanalquerschnitts ist in den meisten Fällen zu ungenau. Es bietet sich die Aufteilung des Fließkanals in einzelne Abschnitte an.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-17 Beschreibung des Formfüllvorganges durch mehrere Teilmodelle

Die einzelnen Teilmodelle sind aufgrund der allgemeinen Gültigkeit der Kontinuitätsgleichung miteinander verknüpft. Der zur Füllung der Kavität notwendige Druck ergibt sich aus der Summe der Druckverbrauche der einzelnen Teilmodelle.

Mit einem Werkzeuginnendrucksensor wird während der Einspritzphase der Druckverbrauch der in Fließrichtung folgenden Kavitätsabschnitte ermittelt. Wird der Druckaufnehmer in der Kavität positioniert, ist das gemessene Signal bei dem in Bild 3-17 gezeigten Aufbau nur zur vollständigen Beschreibung von Modell 3 nutzbar. Modell 1 kann gar nicht und Modell 2 nur teilweise überprüft werden.

Um eine für alle Formnester gültige Kontrollfunktion aufnehmen zu können, ist also eine Position des Werkzeuginnendrucksensors im Angussverteilerkanal notwendig. Dann werden auch Fehler erfasst, die durch Wechselwirkungen der einzelnen Fließkanalabschnitte untereinander entstehen. Solche treten beispielsweise durch die in Bild 3-17 dargestellten Einlaufwirbel auf.

Das Voranschreiten der Fließfront kann an der gemessenen Druckfunktion verfolgt werden. Bei einer Veränderung der Fließkanalgeometrie ändert sich der Druckanstieg.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-18 Schematische Darstellung des Werkzeuginnendruckverlaufs bei fortschreitender Fließfront zum Füllen der Kavität entsprechend Bild 3-17

Für den gemessenen Druck ergibt sich für den in Bild 3-17 und 3-18 dargestellten Formfüllvorgang:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(3.4)

Die Größen WW12 und WW23 kennzeichnen die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Teilmodellen des Fließkanals.

3.6 Thermische Effekte bei der Schmelzeströmung

3.6.1 Strömung unter Abkühlung der Schmelze

Zu diesem Fall kommt es bei großen Fließkanalquerschnitten, bei niedrigen Einspritzgeschwindigkeiten, sowie bei geringen Masse- und Werkzeugtemperaturen. Tritt dieser Strömungszustand auf, ist der Fülldruck eine veränderliche Größe mit dem Parameter Einspritzzeit. Eine Verlängerung der Einspritzzeit bewirkt einen höheren Formfülldruck (Bild 3-6).

Im Folgenden werden eine gegebene Kavität und eine unveränderliche Maschineneinstellung betrachtet.

Eine geringe Fließfrontgeschwindigkeit tritt in den Bereichen des Fließkanals auf, mit denen dickwandige Gebiete der Teile geformt werden.

In diesen Abschnitten wird nur eine geringe Schergeschwindigkeit aufgebaut. Am Rand der Strömung kommt dann kaum Schererwärmung vor, die einer Abkühlung der Schmelze entgegen wirken kann. Aufgrund der in Kapitel 3.4 erläuterten Zusammenhänge, bildet sich eine relativ starke Schicht bereits erkalteten Materials aus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-19 Schergeschwindigkeitsprofil in bei unterschiedlicher Höhe des Fließkanals

Bei einer Strömung unter Abkühlung weist die in die Kavität nachströmende Masse keine thermische Homogenität auf. Die Temperatur der fließenden Masse umfasst einen Bereich, der sich von der Temperatur, welche die Schmelze im Zylinder hat, bis zur Erstarrungstemperatur erstreckt. Die Größenordnung dieser Temperaturinhomogenität kann bei gängigen Verarbeitungsbedingungen durchaus über 100K betragen, was auch der steile Abfall der Funktion Druck von Formfüllzeit (Bild 3-6) in diesem Bereich zum Ausdruck bringt. Die Dehnströmungseffekte nach Bild 3-14 haben über den gesamten Abschnitt des Fließweges starken Einfluss auf die Schmelzebewegung.

Beim Abkühlen der Formmasse unter die Übergangstemperatur an der Randschicht werden aufgrund der wirksamen Scherkräfte Füllorientierungen an der Oberfläche des Spritzlings eingefroren.

Die Fließfront lagert bei ihrer Vorwärtsbewegung Material aus randnahen Schichten an der Werkzeugwand ab. Eine Abformung der Mikrostruktur der Form durch den Kunststoff kann aufgrund der hohen Zähigkeit des angelagerten, kalten Materials nicht in vollem Umfang erfolgen. Die wirksame Berührungsfläche Formling-Werkzeugwand ist kleiner, als die einer ideal planen Werkzeugoberfläche (Bild 3-16). Für diese Strömung ist die Abfuhr der Wärme aus dem Kunststoff in das Werkzeug hinein schlecht.

Da diese Strömungsqualität besonders an dickwandigen Stellen des Formteils auftritt, ist eine homogene Abkühlung des Formteils nicht gegeben.

In Gebieten mit Materialanhäufung müsste zur Abkühlung der Formmasse eine besonders große Wärmemenge an das Werkzeug abführt werden. Da besonders in Fließkanalabschnitten, die große Wandstärken abformen, eine Strömung unter Abkühlung auftritt, ist in Gebieten mit Materialanhäufung der Wärmestrom in das Werkzeug geringer als in Abschnitten mit geringen Fließkanalhöhen.

Die Folge sind längere notwendige Zykluszeiten und Teile, die aufgrund der inhomogenen Abkühlung große innere Spannungen aufweisen.

Denkbar ist, dass nahe der Randschicht Partikel mit unterkühlter Schmelze von der Strömung erfasst und mitgerissen werden.

Das ist eine Erklärung für die in [ 24 ] beschriebene Beobachtung, für die es dort keine Deutung gab. Dort wurden bei einem Teil der Prüflinge einer Versuchsreihe am Ende des Fließkanals erhöhte Doppelbrechungswerte weit im Innern des Fließkanals festgestellt.

Werden Partikel aus der Randschicht von der heißen Fließfront heraus gelöst, haben sie bereits während ihrer Abkühlung an der Formteilwand Orientierungen eingefroren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3-20 Herauslösen von Partikeln mit hohem Orientierungsgrad aus der Randschicht

Kunststoffe sind als schlechte Wärmeleiter bekannt. Es ist anzunehmen, dass es bis zur Abkühlung der Umgebenden Schmelze nicht zum Relaxieren der Orientierungen in den einzelnen Partikeln kommt.

Als qualitätsmindernde Konsequenz bilden sich Schlieren und Glanzunterschiede sowie ein inhomogenes Gefüge und Orientierungen im Randbereich aus.

Die thermisch inhomogene Fließfront füllt den gesamten noch verbleibenden Formhohlraum der folgenden Kavitätsabschnitte aus und bedingt auch dort die genannten negativen Effekte.

In Frage zu stellen ist unter diesen Aspekt die landläufig vertretene Auffassung, dass ein Teil immer an der Stelle anzuspritzen ist, wo die Kavität die größte Wandstärke hat. Das sollte zumindest bei Teilen, an deren optische Eigenschaften besonders hohe Anforderungen gestellt sind und Sichtteilen überdacht werden. Auf alle Fälle ist mit geeigneten Mitteln sicherzustellen, dass es in angussnahen Gebieten keine dem Bereich I zuzuordnende Strömungsqualität auftritt, bei der die fließende Formmasse abkühlt.

Eine zu geringe Masse- und Werkzeugtemperatur, sowie leichtfließende Materialien, bei denen es nur zu einer geringen Schererwärmung kommt, begünstigen die Ausbildung einer solchen Strömungsqualität.

3.6.2 Isotherme Strömung

Hier ist die Fließfrontgeschwindigkeit so groß, dass die Abkühlung der strömenden Masse durch die auftretende Schererwärmung ausgeglichen wird. Es herrscht ein isothermer Zustand vor.

Eine Veränderung der Formfüllzeit hat keinen Einfluss auf die Höhe des Druckniveaus am Ende der Einspritzphase. Der Fülldruck ist also unabhängig von der Formfüllzeit - und umgekehrt: Erweist sich die Höhe des Druckes am Ende der Einspritzphase als konstant und unabhängig von deren Dauer, so kann man davon ausgehen, dass ein isothermer Strömungsvorgang vorliegt. Dieser Zustand ist anzustreben.

Für diese Strömungsqualität wird die Randschicht beim Vorandringen der Fließfront durch Massepunkte der Schmelze gebildet, die während der Strömung die Gleichgewichtstemperatur hatten. Ein Abformen der Mikrostruktur der Kavität ist aufgrund der relativ großen Temperaturdifferenz zur Übergangstemperatur und des relativ schnell wirksam werdenden Strömungsdrucks problemlos möglich. Die Homogenität des Gefüges ist gut. Der Orientierungsgrad der Randschicht ist relativ gering.

3.6.3 Strömung mit Erwärmung

Bei diesem Strömungszustand überwiegt die Schererwärmung gegenüber der Auskühlung der Formmasse.

Eine Verkürzung der Formfüllzeit bewirkt einen leichten Druckanstieg am Ende der Einspritzphase (Bild 3-11). Die thermische Inhomogenität der Schmelze ist jedoch deutlich geringer als bei einer Strömung unter Abkühlung. Als Größenordnung dürfte in diesem Zusammenhang eine Temperaturdifferenz von 10K ein einigermaßen realistischer Wert sein. Beobachtet wurden jedoch auch Werte, welche die dissipative Erwärmung mit bis zu 30 K angeben [ 29 ].

Der Übergang von der isothermen zur Strömung mit Erwärmung erfolgt allmählich. Bei vielen Prozessen tritt der Bereich III nicht auf, da die technologisch mögliche Schergeschewindigkeit nicht ausreicht, um die Abkühlung des Formlings während der Einspritzphase durch Schererwärmung zu kompensieren.

Eine solche Strömung unter Abkühlung wird sich nur bei geringen Massetemperaturen, hohen Werkzeugtemperaturen und großen Füllstoffanteilen einstellen. Sie ist besonders bei relativ engen Strömungsquerschnitten zu erwarten, beispielsweise im Angussverteiler. Die Masseerwärmung aufgrund der Scherung ist in wandnahen Bereichen besonders hoch, da dort die größten Scherspannungen auftreten. Die Viskosität des gescherten Films nimmt ab. Dadurch können die inneren Schichten, die noch in etwa die Massetemperatur aus dem Zylinder haben, auf dem erwärmten Film gleiten. Die Scherung der inneren Schichten vermindert sich, da sich eine Art Blockströmung einstellt. Entmischungserscheinungen und Verwirbelungen der gesamten Strömung sind unwahrscheinlich. Außerdem wird die Auskühlung der Kernschmelze über die Werkzeugwand verhindert.

Im weiteren Strömungsverlauf werden die randnahen warmen Schichten zuerst an die Werkzeugwand gepresst und kühlen dort aus. Die Kontaktfläche Kunststoff-Werkzeugwand ist besonders groß, da die Mikrostrukturen der Kavität aufgrund der geringen Zähigkeit der Masse und des unmittelbar nach Passieren der Fließfront wirkenden Drucks besonders gut abgeformt werden. Die Orientierungen der Randschicht sind aufgrund der großen Temperaturgradienten an der Oberfläche des Formlings groß.

Die geschilderten Zusammenhänge stellen einen stabilen Zustand dar, bei dem ein strömendes Masseteilchen kurzzeitig aufgrund der Scherung erwärmt wird, um sich unmittelbar im Anschluss an die Werkzeugwand anzulegen und sofort wieder abkühlt.

[...]


1 Jung, Patzschke: Spritzgießen von Thermoplasten – Kennlinienfelder und ihre Nutzung; VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, 1. Auflage, Leipzig 1988

2 Laun: Rheologie von Kunststoffschmelzen mit unterschiedlichen molekularem Aufbau; Kautschuk+Gummi, Kunststoffe 40 (1987)

3 M. M. Gierth: Methoden und Hilfsmittel zur prozeßnahen Qualitätssicherung beim Spritzgießen von Thermoplasten; Dissertation Aachen 1991

4 Brunner, Seidel: Prozeßführung mit Staudruck und Schneckendrehzahl; Plastverarbeiter 48. Jahrgang (1997) 2 S.26-29

5 Hofmann, Gritt: Anwendung optischer Temperatursensoren zur Ermittlung der Massetemperatur beim Spritzgießen; Diplomarbeit Martin-Luther-Universität Halle 1996

6 Catic, Razi: Systemanalyse des Spritzgießens von Polymeren; Plaste und Kautschuk 34 2/1987 S. 50-55

7 Lampl: Mischgütekennzahl für Spritzgießmaschinen; Kunststoffe 86 (1996) 9 S. 1256-1260

8 Bichler: Prozeßparameter zur Qualitätssicherung auswählen und bewerten; Kunststoffe 84 (1994) 10 S. 1397-1404

9 Gissing,Knappe: Zum optimalen Nachdruckverlauf beim Spritzgießen thermoplastischer Kunststoffe; Kunststoffe 73 (1983) 5 S. 241-245

10 Wolfgang Bongardt: Verbesserte Prozeßführung beim Spritzgießen durch selbesteinstellende Regelung: Dissertation RWTH Aachen 1982

11 Salewski, Schneider: Neue Impulse für die Werkstoff- und Verfahrensentwicklung durch Prozeßdatenerfassung und -verarbeitung beim Spritzgießen; Plaste und Kautschuk 39 10/1992 S. 329-335

12 G. Mayer: Einfluß der Verarbeitungsparameter auf die Qualität von Spritzgußteilen, Bedeutung des Werkzeuginnendruckes bei der Qualitätssicherung; Plastverarbeiter 33. Jahrgang 1982 Nr.3 S.253-262

13 Anders, Salewski, Steinbüchel, Rupprecht: Anwendung der Fülldruckmessung bei Entwicklung und Verarbeitung von Kunststoffen; Kunststoffe 81 (1991) 6 S. 512-514

14 Anders, Salewski, Steinbüchel, Rupprecht: Fülldruckmessung zum Bestimmen der Fließfähigkeit von Kunststoffschmelzen; Kunststoffe 81 (1991) 4 S.336-339

15 Schulze: Meßtechnische und technologische Probleme bei der Messung der Massetemperatur im Stauraum von Spritzgießmaschinen unter Produktionsbedingungen; Plaste und Kautschuk 29 9/1982 S. 522-524

16 Torsten Kies: Verfahren zum Erfassen des axialen Temperaturprofils der geförderten Formmasse in Schneckenkolbenpumpen; Offenlegungsschrift DE 197 55 500 A1 Anmeldetag: 13.12.1997, Offenlegungstag: 17.6.1999

17 F. Johannaber: Dosierweg beim Spritzgießen; Kunststoffe 79 (1989) 1 S.25-28

18 Pahl, Gleißle, Laun: Praktische Rheologie der Kunststoffe und Elastomere; VDI-Verlag Kunststofftechnik Düsseldorf 1995 ISBN 3-18-234192-8

19 A. J. van der Lelij: Zur sinnvollen Verwendung von pVT-Daten für die Spritgießsimulation; Kunststoffe 84 (1994) 12 S. 1718-1719

20 Bader, Dietz, Kaiser: Rheologische Messungen auf der Spritzgußmaschine - Aspekte zur Entwicklung eines Prozeßüberwachungssystems; Kunststoffe 81 (1991)3 S.220-224

21 Langenecker: Prozeßführung beim Spritzgießen; Kunststoffe 82 (1992) 7 S. 555-562

22 Kierig: Qualitätssicherung beim Spritzgießen durch Prozeßdatenerfassung; Mitteilung der Plastic Service GmbH Mannheim; Plaste und Kautschuk 40. Jahrgang Heft 10/11 1993 S. 375-380

23 Johannaber: Füllindex, eine Größe zur Charakterisierung von Formmasse, Maschine und Prozeß beim Spritzgießen; Kunststoffe 74 (1984) 1 S. 2-5

24 Dietz und White: Ein einfaches Modell zur Berechnung des Druckverlustes während des Füllvorganges und der eingefrorenen Orientierung beim Spritzgießen amorpher Kunststoffe; Rheol. Acta 17 (1978) S. 676-692

25 H.M. Laun, H. Münstedt: Elongational behavior of low density Polyethylene melt; Rheol. Acta 17 (1978) S. 415-425

26 Stengler, Weis: FTIR-Messungen an Kunststoffschmelzen zur On-line-Qualitätsprüfung; Kunststoffe 79 (1989) 10 S. 955-960

27 Pleßmann, Michaeli, Koske, Cremer, Klee: Formteileigenschaften korrelieren mit Fertigungsparametern - Spritzgießen von Polybutylenterephtalat: Kunststoffe 82 (1992) 9 S. 844-846

28 Michaeli, Breuer, Hohenauer, von Oepen, Philipp, Pötsch, Recker, Robers, Vaculik: Qualitätsgesichertes Spritzgießen - Qualitätsregelung hält Formteileigenschaften konstant; Kunststoffe 82 (1992) 12 S.1167-1171

29 K. Pleßmann, W. Michaeli, J. Koske, J.Heine, M. Cremer, R. Günzel, D. Klee: Fertigungsparameter bestimmen Formteileigenschaften - Spritzgießen von schlagzähen Polystyrol; Kunststoffe 81 (1991) 12 S. 1141-1144

Ende der Leseprobe aus 115 Seiten

Details

Titel
Die Spritzgusstechnologie und ihre Teilprozesse
Untertitel
Den Spritzgussprozess verstehen
Veranstaltung
Technologie der Kunststoffverarbeitung
Autor
Jahr
2009
Seiten
115
Katalognummer
V272241
ISBN (eBook)
9783656643715
ISBN (Buch)
9783656643647
Dateigröße
1632 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kunststoffverarbeitung, Spritzgießen, Polymerverarbeitung, Kunststofftechnologie
Arbeit zitieren
Torsten Kies (Autor:in), 2009, Die Spritzgusstechnologie und ihre Teilprozesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272241

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