Die Rolle der Gewalt im aktuellen Computer- und Videospiel

Aufruf zu einer Neueinstufung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

37 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Theorien und Ansichten über die Wirkung von „Gewaltspielen“
2.1. Definition des Gewaltbegriffs
2.2. Wann ist ein Spiel gewalttätig?
2.3. Wirkungstheorien zum Konsum gewalttätiger Medien
2.3.1. Hemmung aggressiven Verhaltens
2.3.2. Förderung aggressiven Verhaltens
2.3.3. Kein Einfluss auf aggressives Verhalten
2.4. Kritik an Gewaltspielen
2.5. Positive Aspekte des Spielens
2.6. Zusammenfassung

3. Marktanalyse: Verkaufszahlen aktueller „Gewaltspiele“
3.1. Verkaufszahlen USA
3.2. Verkaufszahlen EMEAA
3.3. Verkaufszahlen Weltweit
3.4. Fazit

4. Spielinhaltsanalyse: Assassin ‘ s Creed II
4.1. Allgemeine Spielinformationen
4.2. Die Gewaltdarstellung und ihre spielimmanente Funktion
4.3. Weitere Spielqualitäten
4.4. Evaluierung: Neueinstufung des Gefahrenpotentials?

5. Schlusswort

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

1. Einleitung

Zur Vorbereitung dieser Seminararbeit lieh ich ein Buch aus, das auf den Titel „So gewinnt man gegen Video- und Computerspiele“ hört. Ich bestellte es mir mit der Absicht, darin eine polemische Schrift über den hohen Gefährdungsgrad gewalttätiger Spiele zu finden: „Gewinnen“ als Synonym für einen Verbotsausspruch der ach so gefährlichen „Killergames.“ Tatsächlich ist das von Christine Kerler verfasste Buch aber eine aus den 80er Jahren stammende Spielanleitung für Computer- und Videospieler, das sich mit dem „Knacken“ damals aktueller Spiele beschäftigt. Darin zu finden sind solch lehrreiche Tipps wie „Halten Sie sich anfangs möglichst fern von den Gespenstern“1 (Pac-Man), oder: „Versuchen Sie möglichst oft zu schiessen!“2 (Space Invaders).

Erst im Nachhinein fiel mir auf, weshalb ich auf jene Doppeldeutigkeit des Begriffs „Gewinnen“ hereingefallen bin. Ich - der früher intensiv gespielt, sich heutzutage jedoch höchstens als Gelegenheitsspieler bezeichnen würde - sehe den Aspekt des „Gewinnens“ aktueller Video- und Computerspiele nicht mehr vordergründig als ausschlaggebendes Motiv für ihre Beschäftigung mit ihnen an. Sicherlich stellt das Erreichen des ersten Platzes bei Multiplayer-Spielen wie Counter-Strike oder Call of Duty weiterhin eine Priorität dar. Alleine oder innerhalb eines Clans, auf LAN-Parties oder über das Internet, misst man sich hier mit anderen innerhalb eines Wettbewerbs, aus dem man selbstverständlich als Sieger hervorkommen möchte. Bei Singleplayer -Spielen hingegen, stelle ich über die letzten Jahre vermehrt die Tendenz zu komplexerer Spieldesigns und weiteren (nicht-gewalttätigen) Randbezügen fest. Das Erreichen des Highscores, die Konditionierung von Spielabläufen, bis hin zu ihrer Perfektion - Aspekte, denen ich in heutigen Actionspielen kaum bis gar nicht mehr begegne. Darüber hinaus erscheint mir diese „neue“ Form von Spiel auf den ersten Blick in konträrem Verhältnis zu den von Politikern und Medien oftmals verteufelten Videospielen zu stehen.

Diese Spiele, welche mitunter durch eine exzessive Gewaltdarstellung auffallen, werden dann als Ursache für die steigende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen herangezogen und mit jüngsten Ereignissen wie Schulmassakern und Amokläufen in Verbindung gebracht.3 Die

Folgen dieser Stigmatisierung sind vor allem im deutschsprachigen Raum nachhaltig spürbar: Spiele werden von den Medienbehörden zensiert oder komplett verboten, während als fragwürdige Vorsichtsmassnahme überdimensionale Alterskennzeichen auf Medienverpackungen prangen.

Diese Beobachtungen stellen für mich die Hauptmotivation dar, sich mit diesem kontroversen Thema auf wissenschaftlicher Basis auseinanderzusetzten. Ausgehend von dem oben beschriebenen Sachverhalt soll dabei zunächst ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Wirkung gewalttätiger Spiele erfolgen. Nach einem Definitionsversuch der Begriffe „Gewalt“ und „Gewaltspiele“ werden zunächst unterschiedliche Hypothesen zur Wirkungsweisen gewalttätiger Medien vorgestellt. Als weiterer Schritt wird schliesslich auf die konkreten Vorwürfe gegenüber Gewaltspielen eingegangen. Ferner sollen jedoch auch die positiven Aspekte des Spielens Erwähnung finden, sodass letztlich ein differenziertes Meinungsbild über die Risikoeinschätzung gewalttätiger Spiele entsteht.

Diese Befunde werden in einem weiteren Schritt wiederum vertieft und eine Gewichtung am reellen Spielemarkt erfahren. Dazu sind zwei unterschiedliche methodische Ansätze behilflich: ein marktanalytischer, soweit ein spielstruktureller. Ersterer setzt sich mit den weltweiten Spielverkaufszahlen des aktuellen und vergangenen Jahres auseinander, sodass bereits eine Aussage über den Beliebtheitsgrad von Gewaltspielen getätigt werden kann. Als weiterer Schritt erfolgt schliesslich eine Spielinhaltsanalyse eines beliebten „Erwachsenenspiels“, nämlich Assassin ‘ s Creed II (2009/2010). Dabei soll das Videospiel jedoch nicht auf sein reines Gefahrenpotential reduziert, sondern - wie oben bereits angedeutet - in der ganzen Bandbreite seiner zahlreichen Anwendungszwecke und Ausdrucksmöglichkeiten verstanden werden. Computer- und Videospiele schneiden nämlich auch Bereiche wie logisches Denken, Reaktions- und Kommunikationsfähigkeiten an und werden heutzutage zudem von aufwendig gestalteten Umgebungsgrafiken und einer häufig filmreifen Story getragen. Angesichts dieser Fülle an medialen Reizen, denen der Konsument permanent ausgesetzt ist, fragt man sich, ob die Gewaltdarstellung von Spielen überhaupt vordergründig anzusiedeln ist. Somit kann schliesslich auch der Frage nach der Bedeutung virtuell ausgeübter Gewalttaten nachgegangen werden. Die Hypothese, die innerhalb dieser Seminararbeit überprüft werden soll, lautet also demnach: Die Risikoeinsch ä tzung gewaltt ä tiger Spiele istüberholt und muss angesichts der heutigen Tendenzen neuartiger Spielprinzipienüberdacht werden.

2. Theorien und Ansichten über die Wirkung von „Gewaltspielen“

2.1. Definition des Gewaltbegriffs

Bevor man der Frage nach der Definition des „Gewaltspiels“ nachgeht, ist es nötig, zunächst den Begriff der Gewalt selbst zu definieren. Auf diese Weise kann bereits differenziert werden, ob unsere Vorstellung von Gewalt mit der Darstellung und dem Ausüben gewalttätiger Handlungen in Spielen konform geht, oder ob hier nicht eine grundsätzliche Unterscheidung nötig ist.

Der Gewaltbegriff leitet sich von dem indogermanischen Wort „val“ (Verfügungsfähigkeit) ab. Nach dem allgemeinen Verständnis versteht man darunter „die Ausführung einer zielgerichteten und beabsichtigten Tätigkeit gegen den Willen eines Anderen, die zu einer psychischen oder physischen Schädigung führen kann, aber nicht muss.“4 Zu beachten gilt hierbei, dass beim Ausführenden stets eine Absicht vorliegt, eine zielgerichtete Tätigkeit gegen den Willen eines anderen durchzuführen, sei sie körperlicher oder verbaler Natur. Neben der physischen und psychischen gibt es jedoch auch noch eine dritte Erscheinungsform von Gewalt: Die strukturelle. Diese erfährt im Gegensatz zu den anderen Formen eine „Entpersonifizierung“; ihre Ausführung lässt sich also nicht mehr auf eine spezifische Person zurückführen. Mit ihr gemeint ist ein System repressiver Strukturen, das für den einzelnen unsichtbar ist und sich im Alltag beispielsweise durch ungleiche Macht- und Lebensverhältnisse äussert. Ferner ist auch der Aspekt der Aggression zu beachten, der eine weitere Differenzierung des Gewaltbegriffs zulässt. So unterscheidet man Gewalt mit und ohne Aggression. Mit Aggression liegt stets eine Schädigungsabsicht vor. Eine Gewalt ohne Aggression kann hingegen geradewegs den gegenteiligen Fall erzielen, indem z.B. der Schaden von jemandem abgewendet wird.5

Um einen Vergleich mit dem Gewaltbegriff von Video- und Computerspielen zu ziehen, muss neben der realen, auch die mediale Gewalt definiert werden. Sie lässt sich in drei Unterkategorien einordnen: gezeigte reale, fiktive und virtuelle Gewalt. Gezeigte reale Gewalt ist, wie es der Begriff bereits andeutet, die Darstellung realer Gewalt in den Medien, wie beispielsweise in Nachrichtensendungen. Fiktive Gewalt ist wiederum eine gestellte

Gewaltdarstellung, zum Beispiel in Filmen und Fernsehsendungen. Eine Gewalt, die entweder möglichst realistisch wirken soll, oder aber gerade durch ihre Abstraktion ihren illusorischen Charakter offenbart. So unterscheidet man innerhalb der fiktiven Gewalt ferner eine natürliche (lebensechte) von einer künstlichen (unrealistischen) Gewalt.6

Gewalt in Computerspielen ist hingegen zu der virtuellen Gewalt zu zählen. Sie ähnelt sich zwar in ihrer Darstellungsweise der fiktiven Gewalt, ist jedoch von dieser in der Hinsicht zu unterscheiden, als dass sie nicht nur passiv vom Rezipienten aufgenommen wird, sondern sich der Spieler geradewegs interaktiv an ihr beteiligen kann.7 Diese Form gilt es nun als weiterer Schritt dieser Arbeit zu untersuchen und in Bezug zu dem Definitionsbegriff der realen Gewalt zu stellen. Die übereinstimmende Komponente der Interaktion ermöglicht jedoch bereits die Schlussfolgerung, dass sie von allen medialen Formen der Gewalt diejenige ist, die der wirklichen am nächsten kommt.

2.2. Wann ist ein Spiel gewalttätig?

Die Frage, was ein Spiel gewalttätig macht, scheint auf wissenschaftlicher Basis noch nicht allzu grosse Resonanz gefunden zu haben, wo hingegen die Politiker und Medien eine ziemlich genaue Vorstellung davon haben, was ein „Killerspiel“ ist. Einen der wenigen Versuche, sich dieser Fragestellung zu nähern, liefert Nina J. N. Bothe in ihrem Buch „Im Namen des Volkes: Schuldig - das Computerspiel?“ Folgt man ihren Beschreibungen unterschiedlicher Spielgenres kommt man zu dem Ergebnis, dass eine genaue Definition eines Gewaltspiels schwierig ist und letztlich nur unterschiedliche Grade an Gewaltdarstellungen auszumachen sind.

Ist es bereits eine Gewalttat in einem für Kinder freigeben Jump ’ n ’ Run Spiel auf lebendig gewordene Pilze zu springen, die sich dadurch im Nu in eine Münze verwandeln? Oder kann nur von einem gewalttätigen Spiel gesprochen werden, wenn der Gegner eine menschliche Person darstellt, die - durch Gewehrsalven durchdrungen - in tausend Stücke zerfetzt wird? Laut Bothe wird dem Actiongenre - das sich in die Bereiche Action-Adventures, Beat ’ em up - Spiele und Ego-Shooter unterteilt - das grösste Gefährdungspotential zugesprochen. Hier wird der Spieler „besonders schnell und intensiv in den Bann des Computerspiels gezogen.“8

Indes bleiben „Zeit für Abwägungen, kritische Reflexion und Empathie“9 dem Konsumenten vorbehalten. Zusätzlich wird die Behauptung aufgestellt, dass Actionspiele in der First- Person- Perspektive (Sicht aus den Augen der Spielfigur) eine nochmals höhere Gefährdung beigemessen werden muss, als Spielen in der Third-Person -Perspektive (Positionierung hinter der Spielfigur). Die dort dominierenden „aggressiven Denk- und Handlungsmuster“10 könnten von Kinder und Jugendlichen verstärkt in die reale Welt transferiert werden. Bei anderen Genres wie Adventures oder Simulationsspielen wird das Gefährdungspotenzial im direkten Vergleich als geringer eingestuft. Hier ist letztlich der Anteil an Actionelementen für die Risikoeinstufung des Spiels entscheidend.11 Eine Ausnahme bilden jedoch Rollenspiele wie Diablo oder World of Warcraft, bei denen das hohe Actionpotential wiederum für eine kritischere Betrachtung spricht. Einzig Sport-, Strategie- und Geschicklichkeitsspielen werden wenig bis gar kein Gefährdungspotential attestiert.12

Laut dieser Sichtweise gibt es also nicht das Spiel, das unausweichlich als gewalttätig deklariert werden kann. Letztlich ist der Anteil an Actionelementen entscheidend, wie sehr einem Spiel jene Klassifizierung zugeordnet werden kann. Die Politiker, die in Medienberichtbestattungen für jene Sorte Spiel gerne den negativ konnotierten Überbegriff „Killerspiel“ verwenden, haben hingegen eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was ein Spiel gewalttätig und damit gefährlich macht. So definierte die 188. Sitzung der Innenministerkonferenz vom 5. Juni 2009 den Begriff mit: „Spiele, bei denen ein wesentlicher Bestandteil der Spielhandlung die virtuelle Ausübung von wirklichkeitsnah dargestellten Tötungshandlungen oder anderen grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen ist.“ Laut der Definition des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 15. August 2006 handelt es sich um Killerspiele, wenn „das realitätsnah simulierte Töten von Menschen in der fiktiven Spielwelt wesentlicher Bestandteil der Spielhandlung ist und der Erfolg des Spielers im Wesentlichen davon abhängt. Dabei sind insbesondere die graphische Darstellung der Tötungshandlungen und die spielimmanenten Tötungsmotive zu berücksichtigen.“ Der Schweizer Nationalrat vom 30. April 2009 legte hingegen folgende Definition fest: „Spielprogramme […] in denen grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen und menschenähnliche Wesen zum Spielerfolg beitragen.“, während am 21. Dezember 2007 noch ganz pauschal von „ Ego-Shooter gemäss Rating 16+/18+“ die Rede war.13

Es lassen sich nach diesen Definitionen vier wichtige Kriterien für gewaltverherrlichende Spiele finden: Die Realitätsnähe (1), das Töten von Menschen oder menschenähnlicher Gegner (2), eine entsprechend graphische Aufarbeitung (3) und die Gewalt als wesentlicher Bestandteil des Spiels (4). Es scheint nun also angemessen, im weiteren Verlauf dieser Arbeit auf diese Definition zurückzugreifen, wenn von gewalttätigen Spielen die Rede ist. Bothes Ansatzpunkt wurde letztlich einen zu breiten und letztlich unüberschaubaren Rahmen an Spielen abdecken.

Interessant ist nun noch die Frage, inwiefern diese Definition mit dem oben beschriebenen realen Gewaltbegriff konform geht. Nach meiner Auffassung stellt sich zwischen diesen beiden Gewaltformen ein grundsätzlicher Unterschied heraus: Bei den Computerspielen tötet man seinen Gegner, weil es dem Spielprinzip entspricht, eine eindeutige Schädigungsabsicht

- die immanent für eine aggressive Gewaltform ist - fehlt hingegen. Man muss hier letztlich den Gewaltakt als „Mittel zum Zweck“14 verstehen, wie es im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch zur Geltung kommen wird. Die Annäherung an den realen Gewaltakt erfolgt hingegen primär durch die graphische Darstellung des Gezeigten, wohingegen die jeweiligen Motive der realen und virtuellen Gewalt im Allgemeinen voneinander zu unterscheiden sind.

2.3. Wirkungstheorien zum Konsum gewalttätiger Medien

Zwar wurde im letzten Abschnitt bereits deutlich, dass eine real ausgeführte Gewalttat nicht mit einer virtuellen zu verwechseln ist, trotzallem gibt es verschiedene Ansichten darüber, ob der Konsum gewalttätiger Medien letztlich zu aggressiven Verhaltensmuster im Alltag führt. Diese Wirkungstheorien sind derart zahlreich, dass eine komplette Auflistung den Rahmen dieser Seminararbeit sprengen würde. Stattdessen sollen nur die wichtigsten genannt werden, die an den noch folgenden methodischen Ansätzen eine Gewichtung erfahren sollen.

Die Wirkungstheorien unterscheiden sich in drei Bereiche: Thesen zur Hemmung aggressiven

Verhaltens, Thesen zur F ö rderung aggressiven Verhalt ens, und Thesen, die keinen Einfluss auf aggressives Verhalten postulieren.

2.3.1. Hemmung aggressiven Verhaltens

Unter diesem Bereich sind hauptsächlich zwei Thesen zur Wirkungsweisen von Gewaltdarstellungen prominent: Die Katharsishypothese und die Inhibitionshypothese. Erstere geht auf Aristoteles zurück und beschreibt den Versuch, die antike Theaterrezeption auf die heutigen modernen Medien zu übertragen. Laut Aristoteles bewirkt nämlich das „Mitvollziehen und Miterleiden einer Handlung auf der Bühne“15, dass die Seele des Zuschauers „innerlich gereinigt“ wird. Das Miterleben der fiktionalen Gewalttaten wirkt auf eine Weise, als ob der Rezipient selbst gehandelt hätte, sodass sich bereits etablierte Gewaltbereitschaften abbauen. Die Massenmedien werden hierbei als „Triebventil“ verstanden, die letztlich zu einer Senkung der angestauten Aggression beitragen. Die Katharsishypothese kann jedoch nach den heutigen Erkenntnissen als widerlegt betrachtet werden.16

Die Inhibitionshypothese geht davon aus, dass das Betrachten medialer Gewalt letztlich einen direkt hemmenden Effekt auf den Rezipienten auslöst. Dieser fühlt nämlich durch die dargestellte Gewalthandlung Angst vor den eigenen aggressiven Verhaltensweisen. Diese Wirkung tritt überdies besonders stark auf, je deutlicher die negativen Auswirkungen von Gewalthandlungen gezeigt werden.17

2.3.2. Förderung aggressiven Verhaltens

Auf diesem Bereich der Wirkungsforschung sind die meisten Untersuchungen unternommen worden. Dementsprechend zahlreich sind die Theorien, die für eine Förderung aggressiver Verhaltensweisen plädieren. Die Stimulationshypothese vertritt die Ansicht, dass im Gegensatz zu der Katharsis- und Inhibitionshypothese aggressive Verhaltensweisen durch den Medienkonsum verstärkt werden. Hierbei findet, wie es im Titel bereits anklingt, eine

Stimulation von Gewaltbereitschaften statt, die letztlich in aggressive Verhaltensmuster umschlägt. Diese These wurde zwar in Untersuchungen belegt, methodische Mängel, wie die Untersuchung der Dauer der eintretenden Medienwirkungen, bleiben hingegen bestehen.18

Die Kultivierungshypothese stammt aus den 1960er Jahren und orientiert sich am Medium Fernsehen. Sie besagt, dass ein hoher Grad an Medienkonsum letztlich eine „Wahrnehmungsverzerrung der Alltagsrealität kultiviere.“19 Anstelle der Realität orientiere man sich an der Fernsehrealität, was dazu führt, „die allgemeine Gefährlichkeit und Gewalttätigkeit der Gesellschaft zu überschätzen.“20 Wertesysteme und Ideologien der Massenmedien werden vom Rezipienten übernommen. Langfristig betrachtet, führt dies zu einem übermässigen Gefühl der Bedrohung und eine erhöhten Angst vor Verbrechen. Die Tendenz zu gewalttätigen Mittel zu greifen wird dementsprechend erhöht.21

Die Imitationshypothese sagt wiederum, dass das Sehen gewalttätiger Handlungen in den Medien direkt zu Nachahmungstaten in der Realität führe, dass mediale Handlungsweisen also imitiert werden. Diese Hypothese beruht auf der Beobachtung, dass „das menschliche Lernen auf Imitation von beobachteten Verhaltensweisen beruht“.22 Studien besagen jedoch, dass diese These nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand des „Modellernens“ entspricht, und man heutzutage von einem „komplexeren Prozess des Erwerbs von Handlungskompetenzen“23 ausgehen muss.

2.3.3. Kein Einfluss auf aggressives Verhalten

Keinen Einfluss auf aggressive Verhaltensweisen postuliert die Habitualisierungshypothese. Sie besagt, dass der Konsum medialer Gewalt Aggressionen weder fördert noch hemmt und setzt hingegen einen ganz anderen Schwerpunkt auf die Medienrezeption. Die Hypothese impliziert, dass durch den häufigen Konsum gewaltbeinhaltender Medien letztlich eine Gew ö hnung an Gewaltdarstellungen stattfindet. Ein Spieler von gewalttätigen Videospielen wird somit gegenüber der Gewalt desensibilisiert, was zu einem höheren Toleranzgrad gegenüber real ausgeübter Gewalt führt. Diese mediale Reizüberflutung führt zwar zu einer

Abstumpfung gegenüber Gewalt und einer mangelnder zwischenmenschlicher Empathie, eine Aggressions steigerung bleibt hingegen aus. Da Definitionen dieser These jedoch oftmals abweichen, kann über nachgewiesene Untersuchungsergebnisse noch kein abschliessendes Urteil gefällt werden.24

Einige Wissenschaftler vertreten wiederum auch die Hypothese der Wirkungslosigkeit. Diese These geht davon aus, dass der Konsum gewalttätiger Medien überhaupt keinen Einfluss auf das menschliche Verhalten ausübt, da eine nachhaltende Wirkung der Medien „bedeutungslos“25 sei. Man kann davon ausgehen, dass für einen Grossteil an sozial angepassten Menschen diese Beobachtung auch zutrifft. Trotzdem wird diese These heutzutage als nicht mehr haltbar angesehen, da es verfehlt wäre, von einer kompletten Wirkungslosigkeit der Massenmedien zu sprechen.26

Da noch keine dieser Hypothesen eindeutig belegt, oder zumindest überzeugend belegt werden konnte, muss angenommen werden, dass noch kein gemeinsamer Konsens über die Wirkung von gewalttätigen Medien gefunden wurde. Der Nachweis eines monokausalen Zusammenhangs zwischen ihrem Konsum und einer Aggressionssteigerung bleibt die Fachwelt weiterhin schuldig. Es ist demnach angemessen, als nächsten Schritt weitere Ansichten, konkret über die Wirkungsweisen und Folgen von (gewalttätigen) Video- und Computerspielen darzulegen, die über die positiven und negativen Aspekte des Spielens Aufschluss geben.

2.4. Kritik an Gewaltspielen

Manfred Spitzer zieht in seinem Buch „Vorsicht Bildschirm“ die Bilanz, dass zwischen dem Ansteigen der Jugendgewalt und dem Spielen gewalttätiger Videospiele eine direkte Verbindung besteht. Er stellt fest, dass Spiele immer realistischer werden und damit auch die Gewalt eindringlicher wird. Die Illusion wird dabei sogar in die physische Welt übertragen, indem beispielsweise Controller mit „Rumble-Effekten“ ausgestattet werden, die bei einem Treffer des Gegners zu vibrieren beginnen. Ausserdem sind die Auswirkungen von

[...]


1 Christine Kerler: So gewinnt man gegen Video- und Computerspiele, Niedernhausen 1982, S. 107.

2 Ebd., S. 119.

3 Vgl. Rainer Fromm: Digital spielen - real morden? Shooter, Clans und Fragger: Videospiele in der Jugendszene, Schüren 2003, S. 12-14.

4 Nina J. N. Bothe: Im Namen des Volkes: Schuldig - das Computerspiel?, München 2008, S. 8.

5 Vgl. ebd., S. 8-9.

6 Vgl. ebd., S. 36.

7 Vgl. ebd.

8 Ebd., S. 28.

9 Ebd.

10 Ebd., S. 29.

11 Vgl. ebd., S. 31.

12 Vgl. ebd., S. 30-32.

13 Vgl. Art. „Killerspiel“, in: http://de.wikipedia.org/wiki/Killerspiel (eingesehen am 19. September 2010).

14 Fromm 2003, S. 107.

15 Bothe 2008, S. 57.

16 Vgl. ebd.

17 Vgl. Stefan Wink/Katharina Lindner: Kids & Computerspiele. Eine p ä dagogische Herausforderung, Mainz 2002, S.89.

18 Vgl. Bothe 2008, S. 59-60.

19 Ebd., S. 61.

20 Ebd.

21 Vgl. Maria von Salisch et. al.: Computerspiele mit und ohne Gewalt. Auswahl und Wirkung bei Kindern, Stuttgart 2007, S. 91.

22 Bothe 2008, S. 61.

23 Ebd., S. 62.

24 Vgl. ebd., S. 58-59.

25 Ebd., S. 58.

26 Vgl. Wink/Lindner, S. 91.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Gewalt im aktuellen Computer- und Videospiel
Untertitel
Aufruf zu einer Neueinstufung
Hochschule
Universität Basel  (Institut für Medienwissenschaft)
Veranstaltung
HOME: Zur Kultur des digitalen Lebens
Note
2,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
37
Katalognummer
V272223
ISBN (eBook)
9783656636120
ISBN (Buch)
9783656636083
Dateigröße
1270 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rolle, gewalt, computer-, videospiel, aufruf, neueinstufung
Arbeit zitieren
B.A. Andrea Würth (Autor:in), 2010, Die Rolle der Gewalt im aktuellen Computer- und Videospiel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272223

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