Herrschaft und Bürokratie

Lässt sich Max Webers Theorie der bürokratischen Herrschaft auf die EU, insbesondere die Kommission anwenden und entspricht diese der idealen Vorstellung der bürokratischen Verwaltung als Herrschaftsform?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

23 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Herrschaft und Legitimation

3. Herrschaft der Bürokratie
3.1 Eigenschaften bürokratischer Herrschaft
3.2 Gefahren der bürokratischen Herrschaft

4. Bürokratie und Demokratie

5. Die Europäische Union und die Bürokratie
5.1 Die Kommission
5.2 Bürokratischer Apparat der Kommission
5.3 Aufgaben der Kommission
5.4 Kritik

6. Die EU und ihre demokratische Legitimation

7. Fazit

8. Literatur

1. Einleitung

Bürokratie im Sinne einer Verwaltung gab es bereits in der Antike. Die Römer setzten etwa einen umfassenden Stab aus Verwaltern für ihr Reich ein, im alten Ägypten bestand ein weit verzweigtes, aber starres Verwaltungssystem in persönlicher Abhängigkeit.[1] Doch erst im 15. und 16. Jahrhundert bilden sich in Europa Strukturen heraus, die so etwas wie ein Beamtentum entstehen lassen. Heute haben wir bürokratische Strukturen als unabdingbaren Teil der Verwaltung national wie international. Die Europäische Union (EU) ist in den über 60 Jahren seit ihrer Gründung stetig an Aufgaben, Kompetenzen und vor allem an Mitgliedsstaaten angewachsen. Mittlerweile gehören 28 Staaten zur Union, Tendenz steigend. Doch beinahe im selben Maße, wie gerade in den letzten Jahren die Ausweitung der EU stattgefunden hat, so ist auch die Kritik an ihr gewachsen. Im Kern steht die Frage der Legitimation der Institutionen und der EU als gesamtes politisches Konstrukt. Dazu gehört auch die Frage nach einer wahrgenommenen überbordenden Bürokratisierung der EU selbst wie auch als Ausläufer davon in den einzelnen Mitgliedstaaten. Von Regularien zu Themen der Energieversorgung bis hin zur „Gurkenkrümmung“ scheint die Bürokratie mittlerweile alle Bereiche des öffentlichen und auch privaten Lebens zu durchdringen.[2] Die Menschen haben keinen Bezug zur EU und ihren Institutionen, während gleichzeitig insbesondere die europäische Kommission immer wieder Gesetzte entwirft, die einen nachhaltigen Einfluss auf das Leben innerhalb der EU haben können, ohne dass die Bürger einen direkten Einfluss ausüben können.

Diese Arbeit untersucht daher die Frage der „legitimen Herrschaft“ der EU anhand der Herrschaftskonzeption Max Webers. Im Fokus steht die Fragestellung, inwieweit Webers Ansatz der „rationalen Herrschaft“ mittels Bürokratie sich auf die EU, respektive die Kommission anwenden lässt. Die Arbeit gliedert sich dabei in zwei Hauptteile: Zunächst wird der Ansatz Webers erläutert und dargestellt, inklusive der Frage nach der demokratischen Legitimität. Der zweite Teil umfasst die Analyse der europäischen Kommission, gefolgt von einer abschließenden Bewertung der Fragestellung. Als Hauptquelle für Max Weber wird sein Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie“ verwendet, das zu den Klassikern der Soziologie zählt und welches erst nach seinem Tod als zusammenhängendes Werk 1921 und 1922 erstmalig erschienen ist.

2. Herrschaft und Legitimation

„Herrschaft« soll, definitionsgemäß (Kap. I, § 16), die Chance heißen, für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden. Nicht also jede Art von Chance, »Macht« und »Einfluß« auf andere Menschen auszuüben“[3] Nach Weber handelt sich dabei um eine Sonderform der sozialen Beziehungen. In dieser Definition von Herrschaft schwingt bereits ein zentrales Element seiner Existenz mit, nämlich die Legitimation der Herrschaft. Dabei ist eine Grundvoraussetzung, dass der „Beherrschte“ „Ein bestimmtes Minimum an Gehorchen wollen“ aufweist .[4] Ohne dieses „Interesse“ daran, wie Weber es formuliert, kann eine Herrschaft nicht funktionieren. Die Motive der Beherrschten, Gehorsam leisten zu wollen, können von schlichter Gewöhnung, Schwäche, Furcht bis zur rationalen, wirtschaftlichen Interessen reichen, sind also vielschichtig. Der Legitimitätsanspruch einer Herrschaft liegt in ihrer eigenen wie fremdwahrgenommenen Akzeptanz, durch den Glauben an ihre Rechtmäßigkeit. Sie rechtfertigt sich durch ihre Art selbst und bedingt die gewählten Herrschaftsmittel. Der Herrschaft haftet immer etwas „Verdientes“ an, das sie gegenüber dem nichtherrschenden legitimiert und abgrenzt.[5] Bereits hier führt Weber die Rolle des Verwaltungsstabes ein, ohne den eine Herrschaft über viele Menschen nicht möglich ist. Es handelt sich um „ eigens auf Durchführung ihrer generellen Anordnungen und konkreten Befehle eingestellten Handelns angebbarer zuverlässig gehorchender Menschen.“[6] Auch zwischen diesem Stab und dem Herrscher existiert eine Legitimation, die nicht unbedingt dieselbe sein muss, wie sie gegenüber den Beherrschten existiert. Theoretisch ist die Herrschaft auch ohne eine solche Legitimation möglich und dennoch ist gerade die Beziehung des Herrschers und seiner Verwaltung eine sehr enge, deren Struktur die Herrschaftsmittel und ihre maßgeblich bestimmt.

Es gibt nach Weber drei Typen der legitimen Herrschaft, wobei in der Realität oftmals alle drei als Mischformen auftreten: Die bürokratische, die das zentrale Thema dieser Arbeit ist, die traditionelle und die charismatische. Die traditionelle Herrschaft beruht auf dem Glauben althergebrachter Ordnungen und ihren mit einhergehenden Gewalten. Der oder die Herrschenden konstituieren sich aufgrund traditional überkommener Regeln, die damit den Herrschenden auch eine gewisse „Eigenwürde“ verleihen. Die Treue des Verwaltungsstabes basiert nicht auf einem Pflichtverständnis einem Amt gegenüber sondern auf persönlicher Treue gegenüber dem oder den Herrn zu dienen.[7] Die charismatische Herrschaft dagegen fußt allein auf der Qualität der Persönlichkeit des Herrschenden, wie sie seine Anhänger sehen und empfinden. Ob durch heroische Leistungen im Krieg oder durch die Fügung Gottes, das Charisma des Herrschers ist außergewöhnlich und hebt ihn von der Masse ab. Seine Herrschaft beruht indes genau auf jener Anerkennung dieser Außergewöhnlichkeit; schwindet sie, schwindet auch die Herrschaft. So gestaltet sich dann auch der Herrschaftsapparat, denn dieser beruht gleichsam auf der charismatischen Qualität der ausgewählten Personen, die den Stab begründen. Kein Amtspflichtverständnis, keine persönliche Abhängigkeit, allein die „charismatischen Qualifikation des Berufenen.“[8] Die Legitimation der charismatischen Herrschaft begründet sich somit allein auf das „Können“ und die Fähigkeiten des Herrschenden, seine Anhänger zu überzeugen. Es zählen die Emotionen der Menschen, weswegen rationale Motive, wie individuelle ökonomische Interessen der charismatischen Herrschaft gefährlich werden können. Letztlich ist aber allen Herrschaftsformen gemein, dass sie sich auf eine wie auch immer geartete Verwaltung stützen muss, denn irgendjemand muss den Willen des Herrschenden umsetzen.[9]

3. Herrschaft der Bürokratie

Im Detail soll nun die die nach Max Weber ideale legitimierte und erfolgreichste Herrschaftsform erläutert werden, die der Verwaltung bzw. der Bürokratie, bei ihm auch „rationale Herrschafft“ genannt. Der Begriff der Bürokratie galt zunächst als Schimpfwort, das von dem Franzosen de Gournay im 18. Jahrhundert lange vor der französischen Revolution geprägt worden ist. Er bezeichnete damit kritisch die Herrschaft „vom Arbeitszimmer“ aus (franz. bureau), die einem liberalen Wettbewerb des Marktes entgegen stünde und das Verwalten quasi um seinetwillen geschieht.[10] Die großen Staaten wie Frankreich und Spanien hatten in Zeiten der Ausdehnung ihrer territorialen Besitztümer einen wachsenden Bedarf an geschultem Verwaltungspersonal für die Justiz und die Finanzverwaltung. Erleichtert wurde diese Entwicklung durch das Aufkommen und die Verbreitung der Universitäten als Lehrstätte. Hier konnten vor allem die Söhne des Adels auf ihre Laufbahnen (noch nicht im modernen Sinne) vorbereitet werden, es entwickelte sich der Beamtenadel.[11] Aber auch die gemeinen Untertanen wie das Bürgertum sah hier eine Chance für den sozialen Aufstieg und der Anteil nicht-adeliger Beamter nimmt im 16. Jahrhundert stetig zu. Dies geschah allerdings auch mit der Gefahr des Ämterhandels, denn mit den Ämtern waren mangels ausreichender Geldmittel zur Entlohnung häufig Pfründe verbunden bzw. die Krone verkaufte die Ämterpositionen zur Aufbesserung des Staatshaushalts.[12] Eine Bestenauslese aufgrund Qualifikation war damit noch in weiter Ferne. Ein modernes Beamtentum mit einer geregelten Besoldung durch den Staat kam erst Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts auf. Ob Spanien, Frankreich, Österreich oder Preußen, überall wurden spezielle Schulen für Beamte errichtet, wobei auch diese zumeist Adligen dem Wohl und Wehe ihres Fürsten ausgeliefert waren.[13]

Wie ist nun der Begriff der rationalen Herrschaft bei Max Weber besetzt? Ein zentraler Punkt ist, dass alle, inklusive der Herrschende selbst, formalem Recht unterworfen ist.

„1. daß beliebiges Recht durch Paktierung oder Oktroyierung rational, zweckrational oder wertrational orientiert (oder: beides), gesatzt werden könne mit dem Anspruch auf Nachachtung mindestens durch die Genossen des Verbandes, regelmäßig aber auch: durch Personen, die innerhalb des Machtbereichs des Verbandes (bei Gebietsverbänden: des Gebiets) in bestimmte von der Verbandsordnung für relevant erklärte soziale Beziehungen geraten oder sozial handeln;“[14]

Für Weber ist die Chance der Legitimität und damit einhergehend, der Gehorsam gegenüber der Herrschaft dann am größten, je rationaler die Gründe hierfür seien.

„Die rein bureaukratische, also: die bureaukratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung ist nach allen Erfahrungen die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Berechenbarkeit für den Herrn wie für die Interessenten, Intensität und Extensität der Leistung, formal universeller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein technisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommenbare, in all diesen Bedeutungen: formal rationalste, Form der Herrschaftsausübung.“[15]

Deutlich wird hier der rationale Organisationscharakter, der einem Uhrwerk gleich, präzise und für jedermann transparent effizient funktioniert. Die bürokratische Herrschaft ist Begründer des modernen westlichen Staates.[16] Welche Art Regeln und Normen zur Anwendung gelangen und wie detailliert die Verwaltung den Staat lenkt, ist einzig durch ihre Legitimität bzw. den Glauben an sie selbst begrenzt. Die Legalität resultiert allein aus der Anwendung von Satzung und Normen, nicht aus deren Inhalt. Innerhalb der verbindlichen Regeln verfügt die Bürokratie über so viel Spielraum, dass sie theoretisch zu ihrer optimalen Form höchster Effizienz finden kann. Das Funktionieren einer gut geölten Maschine gleich basiert auf dem Gehorsamsprinzip und der Selbstdisziplinierung wie auch der Angst vor Konsequenzen bei Abweichung. Sie ist ein machtvollen Instrument in der Hand des- oder derjenigen, der es zu nutzen weiß.[17]

3.1 Eigenschaften bürokratischer Herrschaft

Zu den Elementen einer legalen „Herrschaft mit bureaukratischem Verwaltungsstab“ zählen:

- Die verbindliche Bindung der Bürokraten an Normen und Regeln, wobei der Beamte, also Staatsdiener, dem Recht und nicht etwa Personen gehorcht. Dem Recht sind ebenfalls seine Vorgesetzten unterworfen. Das anzuwendende Recht kann wert- oder zweckrational oder beides sein, aber es muss vor allem gesetzt, d.h. verbindlich sein
- Der Beamte bzw. der Staatsdiener ist mit Kompetenzen – Zuständigkeiten – ausgestattet, sowie mit spezifischen Leistungspflichten und eindeutigen abgegrenzten Zuständigkeiten und erforderlichen Befehlsgewalten einschließlich deren Grenzen. Weber bezeichnet einen solch organisierten Betrieb als Behörde. Alle Abteilungen sind einer festen Disziplin und Kontrolle unterworfen
- Weiterhin gilt das Prinzip der Amtshierarchie. Es gibt eine feste Ordnung von Kontroll- und Aufsichtsbehörden. An diese wenden sich die nachgeordneten Behörden im Beschwerdefall oder bei Unklarheiten. Es gilt ferner das Laufbahnprinzip, dem gemäß ein Beamter in festgelegten Strukturen abhängig von Alter und Leistung aufsteigen kann. Alle Beamten sind „Berufsbeamte“, sie dienen allein dem Staat
- Die Beamten werden durch ihre Fachqualifikation und durch Prüfung derselben bestimmt und mit einem festen Salär entlohnt, zuzüglich entsprechender Pensionen. Allgemein werden die Beamten ernannt und nicht etwa gewählt
- Schließlich ist auch die freie „Auslese“ in der modernen Bürokratie relevant, denn unfreie Beamte würden wiederum in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen.[18]

[...]


[1] Weber, Max (b): Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie. Mohr Siebeck, 2002. S. 586f.

[2] „Der neue Stoiber“. Die Zeit vom 8.4.2011. www.zeit.de/politik/ausland/2011-04/stoiber-europa-portraet. Zugriff am 20.3.2014.

[3] Weber (b), S. 122.

[4] Ebd. S. 122.

[5] Siehe dazu: Abels, Heinz: Einführung in die Soziologie: Band 1: Der Blick auf die Gesellschaft. Springer, 2009. S. 255f.

[6] Weber (b), S. 122.

[7] Ebd. S. 130. Siehe auch: Abels, S. 257.

[8] Weber (b), S. 141.

[9] Sukale, Michael: Max Weber, Leidenschaft und Disziplin: Leben, Werk, Zeitgenossen. Mohr Siebeck, 2002. S. 394-395. Siehe auch: Weber (b), S. 545.

[10] Dahme/Heinz-Jürgen/ Schütter, Silke/ Wohlfahrt, Norbert: Lehrbuch Kommunale Sozialverwaltung und Soziale Dienste: Grundlagen, aktuelle Praxis und Entwicklungsperspektiven. Beltz Juventa, 2008. S. 50.

[11] Im Französischen etwa Noblesse de Robe genannt. Siehe: Im Hof, Ulrich: Das Europa der Aufklärung. C.H. Beck, 1993. S. 35.

[12] Hinrichs, Ernst: Fürsten und Mächte: zum Problem des europäischen Absolutismus. Vandenhoeck & Ruprecht, 2000. S. 163f. Mitte des 16. Jahrhunderts gab es auf 15 Millionen Einwohner in Frankreich etwa 1.200 Amtsträger. Rund 100 Jahre später war diese Zahl bei einer nur unwesentlich höheren Bevölkerungsanzahl auf gut 45.000 angestiegen.

[13] Im Hof, S. 36.

[14] Weber (b), S. 124.

[15] Ebd. S. 128.

[16] Siehe auch: Abels, S. 259f.

[17] Matys, Thomas: Macht, Kontrolle und Entscheidungen in Organisationen: Eine Einführung in Organisationale Mikro-, Meso- und Makropolitik. Springer, 2006. S. 59-60.

[18] Weber (b), S. 124 und 551. Siehe auch: Widmaier, Hans-Peter/Blien, Uwe: zur Theorie sozialpolitischer Institutionen. Bürokratie im Wohlfahrtstaat, in: Thiemeyer, Theo: Theoretische Grundlagen der Sozialpolitik, Band 1. Duncker & Humblot, 1990. S. 121-122.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Herrschaft und Bürokratie
Untertitel
Lässt sich Max Webers Theorie der bürokratischen Herrschaft auf die EU, insbesondere die Kommission anwenden und entspricht diese der idealen Vorstellung der bürokratischen Verwaltung als Herrschaftsform?
Hochschule
Universität Potsdam
Veranstaltung
Bürokratie
Note
1
Autor
Jahr
2014
Seiten
23
Katalognummer
V272201
ISBN (eBook)
9783656636052
ISBN (Buch)
9783656636045
Dateigröße
631 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
herrschaft, bürokratie, lässt, webers, theorie, kommission, vorstellung, verwaltung, herrschaftsform
Arbeit zitieren
Badir Bayramov (Autor:in), 2014, Herrschaft und Bürokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272201

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