Übersichten erhaltener Werke antiker Autoren - Band 5: Isaios, Demosthenes, Apollodoros, Aischines, Hypereides, Lykurg, Aristoteles, Theophrast


Fachbuch, 2014

90 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Isaios
Über die Erbschaft des Kleonymos (1.)
Über die Erbschaft des Menekles (2.)
Über die Erbschaft des Pyrrhos (3.), …des Nikostratos (4.)
Über die Erbschaft des Dikaiogenes (5.), …des Philoktemon (6.)
[Weitere Reden 7. – 11.]

Demosthenes, Apollodoros, Aischines, Hypereides und Lykurg
Demosthenes’ Anfänge
Gegen Aphobos, Gegen Onetor (27.-31.)
[Trierarchen- Reden (Demosthenes 47., 50. und 51.)]
Gegen Leptines (20.)
Über die Symmorien (14.)
Gegen Androtion (22.), Gegen Timokrates (24.)
Über die Megapoliten (16.), Gegen Aristokrates (23.)
Der Kampf um die Schauspielgelder (bis 347)
Erste Rede gegen Philipp (4.)
Olynthische Reden (1.-3.)
Für Phormion (36.)
Gegen Meidias (21.), Gegen Konon (54.)
Nach dem Philokratesfrieden (347 – 338)
Über den Frieden (5.)
Zweite Rede gegen Philipp (6.)
Aischines: Gegen Timarchos (1.)
Aischines: Über die „Truggesandtschaft“ (2.)
[Apollodoros:] Gegen Neaira (Demosthenes 59.)
Chersones-Rede (8.), Vierte Rede gegen Philipp (10.)
Dritte Rede gegen Philipp (9.)
Nach Chaironeia (338 – 322)
Hypereides: Für Euxenippos
Gegen Zenothemis (32.), Gegen Eubulides (57.)
Lykurg: Gegen Leokrates, Aischines: Gegen Ktesiphon (3.)
Für Ktesiphon (18., Kranzrede)
Hypereides: Gegen Demosthenes
Hypereides: Rede für die Gefallenen des Lamischen Krieges

Aristoteles und Theophrast
Die Methode der Wissenschaft, Dialektik, Rhetorik und Poetik
Kategorien, Lehre vom Satz
Erste Analytik
Zweite Analytik
Topik, Sophistische Widerlegungen
Rhetorik
Rhetorik an Alexander
Poetik
Naturwissenschaft und „Metaphysik“
Physik
Die Prinzipien (I)
Die Ursachen (II)
Die Bewegung (III-VI)
Zwei Abhandlungen über Bewegung (VII und VIII)
Über den Himmel
Meteorologie
Über die Seele
Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung
Über Gedächtnis und Erinnerung
Über Schlafen und Wachen, Über Träume, Über Traumdeutung
Über die Länge und Kürze des Lebens, Über Leben und Tod
Über die Atmung
Über die Teile der Tiere
Über die Fortbewegung der Tiere
Über die Bewegung der Tiere
Metaphysik
Einleitungen (I,II [Aa]) – Die Grundbegriffe (V [D])
Die Bücher III, IV und VI (BGE) – Ihre Parallelfassung XI (K)
Die Bücher VII-X (ZHQI)
Die Urschrift der Aristotelischen Ersten Philosophie (XII [L])
Ältere Kritiken der Ideenlehre (XIII und XIV [MN])
Ethik und Politik
Über die Tugend
Große Ethik
Eudemische Ethik
Nikomachische Ethik
Der Einzelne (I 13-VII)
Die gewohnheitsmäßigen Tugenden (II-V)
Die Tugenden des Verstandes (VI)
Unbeherrschtheit und Lust (VII)
Die Gemeinschaft (VIII-IX)
Die Lust und das Glück (X)
Politik
Erster Anfang (I-III)
Zweiter Anfang: Die relativ beste Verfassung (IV-VI)
Ursprünglicher Anfang: Der beste Staat (VII-VIII)
Der Staat der Athener
Oikonomika
Weitere Schriften aus der peripatetischen Schule
Theophrast: Metaphysik
Theophrast: Über das Feuer
Theophrast: Charaktere
Problemata
Über die Welt

Isaios

Über Isaios konnten schon antike Kommentatoren nichts Sicheres herausfinden: Angeblich stammte er aus Chalkis auf Euboia. Er lebte als Metöke in Athen und war als Redelehrer und Logograph tätig. In der Antike liefen unter seinem Namen 64 Reden um, davon galten 50 als echt, elf sind erhalten. Er galt (vermutlich aufgrund seines Stils) als Schüler von Isokrates und aufgrund des Erbschaftsthemas als Lehrer von Demosthenes. – Die mir vorliegende Übersetzung [G.F. Schömann, Stuttgart 1830] hat keine Kapiteleinteilung; ich habe mich wieder mit den Seiten­zahlen beholfen.)

Über die Erbschaft des Kleonymos (1.)

„Gar groß ist die Veränderung, ihr Männer, welche der Tod des Kleonymos in meiner Lage bewirkt hat. Denn als er lebte, bestimmte er mich und meine Geschwister zu Erben seines Vermögens; durch seinen Tod sehen wir uns aber in einen mißlichen Rechtsstreit darüber verwickelt. Auch wurden wir von ihm mit solcher Sorgfalt erzogen, daß wir nie, auch nicht einmal als Zuhörer, einen Gerichtshof betraten; jetzt aber seht ihr uns im Begriff, einen Kampf um all unsere Habe zu bestehen. Denn nicht bloß das Erbe des Kleonymos machen sie uns streitig, sondern auch das Vermögen unseres Vaters, indem sie behaupten, daß wir Jenem [Kleonymos] Geld schuldig geblieben seien. (…) Ich sehe nicht Das für das Schlimmste meiner unangenehmen Lage an, daß ich in ungerechter Weise in einen Rechtshandel verwickelt bin, sondern daß ich mit Verwandten zu streiten habe, gegen welche selbst ein Kampf zur Verteidigung nicht wohl ansteht (…); sie dagegen sind nicht so gesinnt, sondern haben Freunde gegen uns zu Hilfe gerufen, und Redner aufgeboten, und Alles, was in ihrer Macht stand, in Bewegung gesetzt, gleich als ob sie an Feinden Rache zu nehmen, nicht aber Angehörige und Verwandte zu verletzen vorhätten. Doch ihre Schamlosigkeit und Habgier werdet ihr noch besser kennen lernen, wenn ihr erst alles gehört habt (…)

Dineas, der Bruder unseres Vaters, führte als Oheim über uns, als Waisen, die Vormundschaft. Dieser war mit Kleonymos entzweit.“ (10ff) Damit Dineas nicht sein Vermögen in die Hände bekam, hatte Kleonymos ein Testament zugunsten der Prozeß­gegner, entfernterer Verwandter, verfaßt. Nach Dineas Tod hat Kleonymos jedoch den Sprecher der Rede und seine Geschwister, Kinder aus der Ehe seiner Schwester mit Dineas’ Bruder, in sein Haus genommen. „Als er [Kleonymos] schon an der Krankheit daniederlag, an der er auch starb, beabsichtigte er, jenes Testament aufzuheben, und trug dem Posidippos auf, zu der Behörde zu gehen, und sie zu ihm zu führen. Dieser aber holte sie nicht allein nicht, sondern schickte den Beamten, der schon an der Tür war, wieder weg.“ (14f) Es folgen Zeugen; auch dafür, daß die Prozeßgegner eine gütliche Einigung vorschlugen, wonach Sprecher der Rede und seine Geschwister ein Drittel bekommen sollten. [Im erhaltenen Isaiostext fehlen überall Gesetze und Zeugenaussagen.] – „Sie [die Prozeßgegner] berufen sich auf das Testament und sagen, Kleonymos habe die Behörde nicht in der Absicht zu sich rufen lassen, um es aufzuheben, sondern um es zu verbessern, und ihnen ihr Vermächtnis zu sichern. Allein bedenkt: was ist glaublicher, daß Kleonymos das Testament, welches er im Zorn gemacht hatte, habe aufheben wollen, weil er liebreich gegen uns gesinnt war? Oder daß er darauf gedacht habe, uns das Seinige um so sicherer zu entziehen? (…) Sie behaupten, Kleonymos habe die Behörde deswegen rufen lassen, um ihnen das Vermachte zu sichern; dennoch aber wagten sie es nicht, seinen Auftrag zu erfüllen (…), sondern schickten selbst den Beamten von der Türe wieder fort.“ (16f) – Es folgen Zeugen, die bestätigen, daß Kleonymos mit den Prozeßgegnern zerstritten war. – „Wenn der Vater des Kleonymos, unser Großvater, noch lebte und Mangel litte; oder wenn Kleonymos mit Hinterlassung von Töchtern ohne Vermögen gestorben wäre, so würden wir, als die nächsten Verwandten, genötigt sein, den Großvater zu unterhalten und die Töchter des Kleonymos entweder selbst zu heiraten oder ihnen eine Mitgift zu geben. Dazu würde uns die Verwandtschaft, die Gesetze und die Furcht vor eurer Mißbilligung nötigen (…). Und jetzt, da Vermögen nachgeblieben ist, könnt ihr es für Recht halten, dieses von anderen als uns erben zu lassen? (…) Auf die Verwandtschaft versteht ihr euch alle und es ist nicht möglich, euch hierin zu täuschen; Testamente sind aber schon oft als ungültig erwiesen worden.“ (22f)

„Laßt mich nun noch einmal die Hauptpunkte des Vorgetragenen wiederholen (…). Wenn die Gegner euch einreden wollen, Kleonymos habe das Testament gemacht und es sei ihm niemals später leid gewesen (…); so bedenkt, daß sie dadurch vielmehr ihn anklagen, als die Gerechtigkeit ihrer Sache beweisen. Wenn ihr also ihren Reden Glauben schenkt, so dürft ihr nicht ihnen die Erbschaft zusprechen, sondern ihr müßt vielmehr den Kleonymos für wahnsinnig erklären. (…) Wenn selbst die Gegner es für gerecht erkennen, daß wir einen Teil der Erbschaft bekommen, so wäre es ganz unerhört, wenn ihr ihnen das Ganze zusprächet.“ (25) –– Fünfhundert Bürger, darunter etliche, die vom Tagegeld lebten, hörten diese Rede und die der Gegenpartei und mußten ohne Nachfragen oder Aktenstudium entscheiden. Hier wird gegen ein vorhandenes Testament ein Erbe gefordert. War der Anspruch gerechtfertigt? Warum erfahren wir aber nicht mehr über die Prozeßgegner? Übergeht Isaios eine testamentarisch erfolgte Adoption?

Über die Erbschaft des Menekles (2.)

„Ich meinte immer, daß ich auf eine rechtmäßige Art adoptiert worden sei (…) und niemand sich einfallen lassen würde, zu behaupten, Menekles sei bei meiner Adoption nicht bei vollem Verstande gewesen, oder habe sich durch eine Frau dazu bereden lassen; allein da mein Oheim – nicht eben wohlüberlegt, wie mich dünkt – sich alle Mühe gibt, seinen Bruder nach seinen Tode kinderlos zu machen, und weder die Götter unseres Hauses, noch euch, ihr Richter, scheut, sehe ich mich genötigt, den Vater, der mich an Kindes statt angenommen und mich selbst gegen ihn zu verteidigen.“ (27f)

Eponymos hatte zwei Söhne und zwei Töchter. Menekles heiratete nach dem Tode seiner ersten Frau die jüngere Tochter. Sie bekam, wie ihre Schwester, zwanzig Minen Mitgift. Die Söhne leisten in Thrakien unter Iphikrates Kriegsdienst. Zwei Monate nach ihrer Rückkehr „tat uns Menekles, mit vielen Lobsprüchen über unsere Schwester, die Eröffnung, wie sein Alter und seine Kinderlosigkeit ihn bekümmerten, wie er aber nicht der Meinung sei, daß Jene, zum Dank für ihr wackeres Benehmen gegen ihn, mit ihm in kinderloser Ehe ihre besten Jahre verleben sollte, denn, sagte er, es sei genug, daß er alleine dieses Mißgeschick trage. Aus diesen Reden ist klar, daß er sich aus Liebe von ihr schied. (…) Er bat uns, wir sollten sie an einen andern verheiraten. Sie wollte anfangs gar nichts davon hören, mit der Zeit indessen ließ sie sich bereden, worauf wir sie mit Eleos aus Sphettos verheirateten, und Menekles gab ihr die Mitgift heraus, obwohl er damals an der Pacht des Vermögens der Kinder des Nikias Anteil hatte (…). Nach Verlauf einiger Zeit überlegte Menekles, wie er wohl nicht kinderlos bleiben, sondern Jemand haben möchte, der ihn bei seinen Lebzeiten im Alter pflegte, ihn nach seinem Tode begrübe und ihm in Zukunft die gebührenden Ehren nach seinem Tode erwiese. Er sah, daß dieser unser Gegner [sein Bruder] nur einen einzigen Sohn hatte, und es schien ihm daher nicht schicklich, sich diesem von ihm zu Adoption geben zu lassen und ihn so seiner männlichen Nachkommenschaft zu berauben. Außer diesen aber wußte er niemand, der ihm näher wäre als wir. (…) Darum, sagte er, will ich einen von euch beiden an Sohnes statt annehmen. Mein Bruder, als er dies hörte, dankte ihm. (…) Ich aber, setzte er hinzu, bin zum Aufenthalt im Ausland genötigt; doch mein Bruder hier wird für dein Bestes wie für das Meinige Sorge tragen.“ (29ff) – Im folgenden zeigt der Sprecher mit Gesetzen und Zeugenaussagen, daß die Adoption erlaubt war, daß Menekles ihn in seine Phratrie eintragen ließ und ihn verheiratete. „Er lebte nach dieser Adoption noch dreiundzwanzig Jahre, und in diesen ganzen langen Zeitraum bereute er seinen Schritt nie.“ (32) – „Aus den folgenden Umständen könnt ihr leicht erkennen, daß Menekles mich mit verständiger Überlegung und nicht auf Zureden seiner Frau adoptiert hat. Für’s Erste, meine Schwester, von welcher der Gegner so viel Gerede gemacht hat, daß sie Jenen beredet habe, mich zu adoptieren, war lange Zeit vor der Adoption anderweitig verheiratet, und er würde daher, wenn er doch einmal auf ihr Zureden sich einen Sohn wählte, wohl einen von ihren beiden Söhnen adoptiert haben: denn sie hatte deren zwei. Allein, ihr Richter, nicht auf ihren Antrieb adoptierte er mich, sondern am meisten trieb ihn seine Verlassenheit dazu an; sodann die Ursachen, die ich schon vorher angeführt habe, und die Freundschaft, die er mit meinen Vater gehegt hatte; drittens der Umstand, daß er keine anderen Verwandten hatte, von denen er sich einen Sohn zur Adoption hätte abtreten lassen können.“ (33f) Der Abschnitt schließt mit eine Anflug bitterer Ironie; dann setzt der Sprecher neu an: „Dieses waren die Gründe, mich zu adoptieren; und es ist offenbar, daß er dabei nicht unvernünftig oder von der Frau bestimmt war, wenn der da nicht etwa seine Einsamkeit und Kinder­losigkeit so nennen will. – Für’s Zweite möchte doch diesem Manne selbst die Frage vorlegen, wen sich denn Menekles von seinen Verwandten hätte zur Adoption abtreten lassen sollen? Etwa seinen Sohn? Den würde er ihm nicht überlassen und dadurch sich selbst kinderlos gemacht haben; so geldgierig ist er nicht. (…) Nun tadelt der Gegner ihn offenbar nicht deshalb, daß er nicht seinen Sohn adoptiert, sondern das er überhaupt jemand adoptiert hat und nicht kinderlos gestorben ist. (…) Selbst Vater von Kindern tadelt er Jenen, der kinderlos und unglücklich war.“ (34f)

„Nunmehr, ihr Männer, müßt ihr auch noch hören, was für ein Interesse er dabei hatte, seinen Bruder kinderlos zu machen.“ (36) Als ein gepachtetes Vermögen zurückfordert wurde, mußte Menekles seinen wichtigsten Besitz, einen Acker, verkaufen. Sein Bruder klagte gegen diesen Verkauf. Isaios zeigt, wie hartherzig der Gegner ist, daß es nur um den Namen der Erbschaft geht, da kein nennenswertes Vermögen mehr da ist, und – als besonderen Effekt – daß der Gegner selbst im Schiedsverfahren den Adoptivsohn als Menekles’ Vertreter akzeptierte. (Zugleich gesteht er ein, daß das gepachtete Vermögen unter der Verwaltung von Menekles’ Adoptivsohn den Bach runter ging.) – Die Rede schließt mit einen schulmäßigen Epilog: Bitten, Zusammenfassung, Erregung von Mitleid – und Empörung über den Gegner –, Beschwörung der Heiligkeit des Richtereides.

Über die Erbschaft des Pyrrhos (3.), …des Nikostratos (4.)

Die Rede müßte eigentlich „Gegen Nikodemos wegen der Falschaussage“ heißen; über das Erbe des Pyrrhos war längst entschieden: Der Sprecher der Rede beginnt: „Ihr Richter! Mein mütterlicher Oheim Pyrrhos nahm, da er keine ehelichen Kinder hatte, meinen Bruder Endios an Sohnes statt an; und dieser erbte auch das von ihm hinterlassene Vermögen, in dessen Besitze er länger als zwanzig Jahre lebte, ohne das jemals in dieser ganzen Zeit Jemand Ansprüche darauf erhoben und es ihm streitig gemacht hätte. Nach meines Bruders Tode aber, der im vergangenen Jahre erfolgte, trat, ohne des letzten Erben Erwähnung zu tun, Phile als eheliche Tochter des Pyrrhos auf, und Xenokles aus Kopros erhob, als ihr Gewalthaber, in ihren Namen Anspruch auf die Erbschaft des Pyrrhos, und gab dabei die Summe dieser Erbschaft zu drei Talenten an.“ (46) Erb­berechtigt waren nur ehe­liche Kinder. Nikodemos hatte die Eheschließung von Pyrrhos mit seiner Schwester bezeugt. „Da aber Jener verurteilt und die vorgebliche Tochter des Pyrrhos auf die Erbschaft hat verzichten müssen, so folgt notwendig, daß damit zugleich das Zeugnis des Nikodemos verurteilt worden sei.“ (47)

Nach der Verlesung der Zeugnisse des alten Prozesses geht die Rede weiter: „Daß nun das Zeugnis des Nikodemos für falsch erklärt worden sei, ist damals allen deutlich gezeigt worden; es muß nun dasselbe auch euch als unwahr erwiesen werden. Und hier möchte ich zuerst nur diese Fragen tun: welche Mitgift der Zeuge seiner Schwester (…) gab, sodann ob die >Ehefrau< bei seinen Lebzeiten ihren Mann oder nach seinem Tode das Haus verlassen oder vom Wem der Bruder die Mitgift seiner Schwester zurückerhalten oder, wenn er sie nicht zurückerhalten, welche Klage auf Unterhalt oder auf die Mitgift er (…) in zwanzig Jahren anzustellen gewagt habe. (…) Sodann auch, ob noch sonst jemand die Schwester des Gegners zur Ehe gehabt habe, entweder von Denen, die sie früher genossen, bevor unser Oheim mit ihr bekannt wurde, oder von Denen, die während ihrer Bekanntschaft mit ihr zu tun hatten, oder endlich von Denen, die nach seinen Tode es mit ihr hielten? Denn ohne Zweifel hat ihr Bruder sie auf dieselbe Weise Allen, die mit ihr zu tun hatten, zur Ehe gegeben. Sollte ich mich hierüber auslassen, so würde Das ein kleines Stück Arbeit geben (…). Ist es aber Manchem unter euch widerlich, davon zu hören, so wie mir, davon zu reden, so will ich euch die Zeugnisse vorlegen.“ (48f) Warum soll sich sein Oheim mit einer solchen Person verheiratet haben? „Denn freilich sind wohl schon eher junge Leute, wenn sie in solche Personen verliebt waren und ihre Leidenschaft nicht zu beherrschen vermochten, von ihrer Torheit verleitet worden, sich so wegzuwerfen.“ Jetzt sind wir bei den Wahrscheinlichkeitsgründen: „Als Nikodemos seine Schwester an den Mann mit den drei Talenten, wie er sagt, verloben wollte, bei einem solch wichtigen Geschäft will er, nach seinen eigenen Aussagen, nur einen einzigen Zeugen, den Pyretides, mit sich genommen haben! Und von Diesem haben sie in den vorigen Rechtsstreit ein Zeugnis, das sie ihm außergerichtlich abgenommen haben wollten, beigebracht, welches aber Pyretides nicht anerkannt hat.“ (51) – Als Endios seinerzeit das Erbe des Pyrrhos beanspruchte, hat Nikodemos keinen Einspruch eingelegt. „Indessen, er könnte sich der Ausflucht bedienen, daß er von der Sache nichts erfahren hatte. (…) Aber als Endios deine Schwestertochter mit Xenokles verlobte, würdest du es zugegeben haben, daß sie, eine eheliche Tochter, als Tochter einer Hetäre verlobt wurde?“ (60) Bei dieser Klage wären bei einer Niederlage noch nicht einmal Gebühren fällig geworden, Nikodemos hätte sie ganz gefahrlos anstrengen können! Überhaupt geht es in der Rede oft darum, daß Xenokles verschiedene Verfahrensfehler begangen hatte. Vermutlich unterlag er deshalb in diesem Prozeß, und die Klage gegen Nikodemos soll durch die Verurteilung des Hauptzeugen einen zukünftigen Prozeß unmöglich machen.

Die kurze Rede Über die Erbschaft des Nikostratos (4.) hielt nach der Hypothesis Isaios als Fürsprecher der beiden Neffen des Erblassers, die ein Testament anfochten. Den Fall hatten die Neffen bereits dargelegt, Isaios kritisiert, daß die Gesetze es zu leicht machen, ungerechtfertigt Erbansprüche zu stellen („Wer schor nicht sein Haar, als zwei Talente vor Gericht kamen; oder wer trug nicht ein schwarzes Kleid, als ob er mittels der Trauer ein Vermögen erben würde?“ [76]) und rät, mehr auf Verwandtschaft zu geben als auf Zeugen und Testamente, „denn bei anderen Rechtsgeschäften ist es nicht schwer, die Zeugen, wenn sie lügen, zu überführen, wenn derjenige, über den sie zeugen, lebt und anwesend ist; wie aber soll man erkennen, wer über Testamente die Unwahrheit sagt, wenn derjenige, über den sie aussagen, tot ist?“ (77)

Über die Erbschaft des Dikaiogenes (5.), …des Philoktemon (6.)

Krieg und Unordnung sind die Hintergründe der folgenden Rede. Dikaiogenes, der Sohn des Menexenos, war als Trierarch des Staatsschiffes Paralos bei Knidos gefallen (nicht in der berühmten Schlacht, sondern bei einem Gefecht im peloponnesischen Krieg). Gemäß eines Testamentes erbte Dikaiogenes, der Sohn des Proxenos, ein Drittel, während den Rest die vier Schwestern des Erblassers erhielten. „Zwölf Jahre lang besaß jeder, was ihm zugefallen war. Und in der ganzen Zeit, da doch die Gerichte in Tätigkeit waren, wagte keiner zu behaupten, daß das Geschehene dem Recht zuwider sei, bis zu jener Zeit, als der Staat Unglücksfälle erlitten hatte und innere Spaltungen und Streitigkeiten ausgebrochen waren, Dikaiogenes auf Zureden Melas des Ägypters, dem er auch in anderen Dingen zu folgen pflegte, gegen uns Ansprüche auf die ganze Erbschaft erhob, und behauptete, er sei mit dem ganzen Vermögen von unserem Oheim als Sohn eingesetzt worden. Wir hielten ihn für toll (…). Allein als wir nun vor Gericht kamen, ward uns Unrecht getan, nicht von den Richtern, sondern von Melas dem Ägypter und seinen Freunden, welche durch das Unglück des Staates die Freiheit zu haben glaubten, fremdes Gut an sich zu bringen und falsche Zeugnisse füreinander abzulegen.“ (89f) Es folgen die Rührszenen, wie die Schwestertöchter des Erblassers nicht nur aus dem nun dem jüngeren Dikaiogenes zugesprochenen Besitz vertrieben, sondern auch noch um das Eigentum oder Erbe ihrer Ehemänner gebracht wurden. – Ich übergehe die folgenden Auseinandersetzungen. Schließlich kam es nach zehn Jahren zu einer Einigung; Dikaiogenes „verzichtete“ auf zwei Drittel der ihm angeblich gar nicht zustehenden Erbschaft, und Leochares bürgte für ihn. Dieser Leochares ist jetzt angeklagt, die Rede könnte auch „Gegen Leochares wegen der Bürgschaft“ heißen.

Dikaiogenes behauptet, kein Geld zu haben, trotzdem er sich um Aufwendungen für die Gemeinschaft drückte: „Da er die Erbschaft, die ihm einen Zins von achtzig Minen jährlich eingebracht, von uns gewonnen und dieselbe zehn Jahre lang benutzt hat, gesteht er doch weder ein, Geld zu besitzen, noch ist er im Stande, nachzuweisen, wozu er es verwendet hat. Er wird gut sein, wenn ich euch einmal die Rechnung mache: Als er beim Dionysosfest Chorege seines Stammes war, bekam er den vierten Platz, und bei den Tragöden und Waffentänzern den letzten. Diese Liturgien allein wurde er zu leisten genötigt; und so trefflich leistete er sie, bei einem so bedeutenden Vermögen. Und da so viele sich zur Trierarchie stellten, hat er weder selbst eine Trier­archie übernommen noch anderen beigesteuert, in so harten Zeitläufen.“ (100f) – „Unsere Vorfahren dagegen, ihr Männer, die dies erworben und hinterlassen haben, übernahmen alle Choregien, steuerten euch viel Geld zum Kriege bei und hörten niemals auf, Trierarchien zu leisten. (…) Sie sind selbst im Kampf für das Vaterland gefallen: Dikaiogenes, der Vater meines Großvaters Menexenos, als Stratege in der Schlacht bei Eleusis, sein Sohn als Phylarch bei Spartolos im Olynthischen, Dikaiogenes, der Sohn des Menexenos, als Trierarch der Parolos bei Knidos. Dieses Mannes Haus, hast du, Dikaiogenes, in deine Hände bekommen und schimpflich zugrunde gerichtet!“ (102f)

In der Rede Über die Erbschaft des Philoktemon (6.) geht es wie in der dritten Rede um die Abwehr von Ansprüchen aus der Beziehung zu einer Prostituierten. Euktemon, der Vater von Philoktemon, hatte sich in hohem Alter mit der ehemaligen Prostituierten Alke eingelassen, die ein ihm gehöriges Mietshaus im Keramikos verwaltete. Mit der Drohung, sich neu zu verheiraten, zwang er seinem Sohn, seinen Einspruch zurückzuziehen, als er Alkes Kinder in seiner Phratrie eintragen ließ. Philoktemon fiel bei Chios, später starb 96jährig Euktemon, und im Namen der noch unmündigen jungen Männer, die Euktemon hatte eintragen lassen, focht ihr Vormund das Testament von Philoktemon an. Die Rede hielt ein Fürsprecher für dessen testamentarisch adoptierten jungen Neffen; vielleicht auch, um ihm zu ersparen, unangenehme Dinge über seinen im Alter närrisch gewordenen Großvater Euktemon zu sagen.

[Weitere Reden 7. – 11.]

In Über die Erbschaft des Apollodoros (7.) muß sich dessen Adoptivsohn gegen die Behauptung wehren, Apollodoros hätte die Töchtersöhne seines Onkels Eupolis begünstigen müssen. In der Rede spielt eine große Rolle, daß Eupolis, nachdem Apollodoros’ Vater in Sizilien fiel, Apollodoros’ Vormund war, sich an dessen Vermögen bereicherte und deshalb in zwei Prozessen verurteilt wurde.

In Über die Erbschaft des Kiron (8.) geht es letztlich um die rechtliche Frage, ob die Söhne der Tochter oder des Bruders die gesetzlichen Erben sind. Nebenbei bestritten die Gegner auch, daß der Sprecher der Rede überhaupt Kirons Enkel ist. Sie lehnten jedoch Befragung der Sklaven (unter Folter, wie bei Sklaven vorgeschrieben,) ab.

In Über die Erbschaft des Astyphilos (9.) wird ein Testament als unterschoben angefochten. In den letzten beiden Reden, Über die Erbschaft des Aristarchos (10.) und Über die Erbschaft des Hagnias (11.) zeigt Isaios seine Virtuosität in der Darstellung komplizierter Verwandtschaftsverhältnisse.

Demosthenes, Apollodoros, Aischines, Hypereides und Lykurg

Demosthenes lebte von 384 bis 322. Unter seinem Namen sind 61 Reden überliefert. (1-17 Reden vor der Volksversammlung; 18-26 Reden aus Prozessen wegen gesetzwidriger Anträge; 27-59 Reden aus Privatprozessen, 60 die Rede für die bei Chaironeia Gefallenen, 61 ein unechter Erotikos.) Daneben haben wir noch 6 Briefe und 56 Prooimnien (hier: Bausteine für Reden). – Einige Reden haben wir in der Form, in der sie Demosthenes als Flugschrift veröffentlichte, andere (aus verlorenen Prozessen oder nicht gehaltene Reden) als im Nachlaß gefundene Entwürfe. Auch einige Reden anderer Autoren, bekannter und unbekannter, wurden mit dem großen Namen versehen, neben sämtlichen Briefen (die erfunden sind), ist vermutlich ein Drittel der Reden in diesem Sinne unecht. Sechs der unter Demosthenes’ Namen überlieferten Reden stammen vermutlich von Apollodoros.

Die drei erhaltenen Reden von Aischines stammen aus Prozessen, in denen dieser Demosthenes gegenübertrat. Von Demosthenes’ Gegnern war Aischines deshalb nicht der wichtigste. Als ehemaliger Schauspieler war er ein Außenseiter. (Die eigentlichen Führer seiner Partei waren nach Eubulos Demades und der Stratege Phokion.) – Hypereides’ Reden gingen in der Spätantike verloren. Seit 1847 wurden aber in Ägypten Papyrusrollen mit einigen seiner Reden gefunden. Hypereides war ein erfolgreicher Logograph und ein skandalumwitterter Lebemann: „Als Hypereides die Hetäre Phryne in einen Prozeß verteidigte, ohne Eindruck zu machen (…), ließ er sie vorführen, zerriß ihre Kleider, entblößte ihren Busen und brachte bei ihren Anblick seine Beschwörungen in einen so mitleiderregenden Ton vor, daß er die Richter mit einer Art religiöser Scheu erfüllte, die Prophetin Aphrodites zu verurteilen.“ (Athenaios 13,590ef) Als Politiker war auch Hypereides lange Zeit ein Weggefährte von Demosthenes. – Von Lykurg wurde eine Rede überliefert. – Von Deinarchos sind drei Reden zur Harpalosaffäre erhalten. (Leider haben die mir vorliegenden Übersetzungen von Aischines, Hypereides und Lykurg eine andere Kapiteleinteilung als heute üblich.)

Bevor wir uns den Reden zuwenden, möchte ich noch einen kurzen Überblick über Strukturen der Athener Demokratie geben: Der Rat bestand aus 500 Mitgliedern. Jeder Athener Bürger konnte zweimal in seinem Leben dem Rat angehören. Für je ein Zehntel des Jahres übernahm eine der zehn Phylen die Prytanie, d.h. die von ihr gestellten fünfzig Ratsherren speisten gemeinsam im Prytaneion, beriefen den Rat und, in der Regel viermal in ihrer Amtszeit, das Volk zur Versammlung ein. Der Vorsteher der Prytanen wechselte täglich. Der Rat organisierte die Wahlen und nahm die Rechenschaftsberichte der Amtsträger entgegen. Wenn schnelle Entscheidungen nötig waren, konnte er selbständig handeln. (Sokrates war nach Platons Apologie während des Arginusenprozesses Prytane, nach anderen Quellen am Tag der Prozeßeröffnung sogar Vorsteher der Prytanen.) – Die neun Archonten wurden für ein Jahr erlost. Der Archon, nach dem das Jahr seinen Namen hatte, der Basileus, der Polemarchos und die sechs Thesmotheten hatten jeweils ihre genau bestimmten Zuständigkeiten, z.B. für bestimmte Gerichte und Feste. – Die zehn Strategen wurden für ein Jahr gewählt, mit der Möglichkeit der Wiederwahl; der Schatzmeister der Kriegskasse und der Verwalter der Schauspielgelder für vier Jahre ohne Wiederwahl. (Vgl. Aristoteles, Der Staat der Athener.) Die Schatzmeister und Kassenverwalter mußten der obersten Vermögensklasse angehören, da sie mit ihrem Vermögen hafteten. – Es gab weitere gewählte oder erloste Beamte, es gab den verachteten Beruf des Behördendieners und Schreibers; für Kontinuität in der Verwaltung sorgten auch die Staatssklaven (die, wie der bei Aischines genannte Pittalakos, mitunter sogar reich wurden). –– Zur Zeit von Marathon, als die Archonten noch gewählt wurden, waren sie die Regierung; Themistokles war 493/492 Archon. Aber seitdem die Archonten aus allen Einkommensklassen erlost wurden, verlor das Amt seine Bedeutung; und den zehn Strategen fiel die wichtigste Rolle zu. (Perikles war Stratege.) Zu Demosthenes’ Zeit ließ Athen jedoch seine Kriege zumeist von fremden Söldnerführern besorgen, während die meisten Strategen in der Stadt Festumzüge organisierten. (Folgerichtig wird in Demosthenes’ 55. Prooimion auch gefordert, zu verbieten, daß jemand mehrere Jahre hintereinander Stratege ist, um mehr Bürger an diesem ertragreichen Amt zu beteiligen.) – Eubulos, Lykurg und Demosthenes waren Vorsteher der Schauspielkasse. Aber diese Ämter waren nicht das Wichtigste, auch nicht die eigenen Reden vor der Volksversammlung. Politiker übten ihren Einfluß aus, indem sie bei Volksversammlungen und politischen Prozessen hinter den Kulissen Regie führten und persönliche Beziehungen zu den Mächtigen im Ausland knüpften.

Demosthenes’ Anfänge

Gegen Aphobos, Gegen Onetor (27.-31.)

Als Demosthenes sieben war, starb sein Vater. Über zehn Jahre verwalteten Vormünder sein Erbe, dann übergaben sie ihm dreißig Minen, das Haus und vierzehn Sklaven; zusammen (immer nach seinen eigenen Angaben) höchstens 70 Minen. Zwei Jahre später reichte Demosthenes gegen Aphobos, einen seiner drei Vormünder, Klage ein. In seiner ersten Rede vor Gericht rechnet er den Richtern vor, daß das Vermögen seines Vaters 14 Talente betrug: „[9ff] Mein Vater hinterließ zwei Fabriken von ziemlich lebhaften Betrieb, die eine mit dreißig Messerschmieden, [Sklaven,] von denen zwei oder drei zu fünf bis sechs, die übrigen nicht geringer als zu drei Minen jeder anzuschlagen waren und von denen er jährlich dreißig Minen reinen Gewinn bezog, die andere mit zwanzig Schreinern, die ihm für vierzig Minen verpfändet waren und einen Reingewinn von zwölf Minen brachten: sodann an baren Gelde ein Talent zu zwölf von Hundert ausgeliehen, das jährlich über sieben Minen Zinsen trug. (…) Außerdem hinterließ er Elfenbein und Eisen zur Verarbeitung und Holz zu Bettgestellen im Wert von etwa achtzig Minen und Galläpfel und Kupfer zu siebzig Minen eingekauft, sodann ein Haus [für] dreitausend Drachmen und Hausrat, Trinkgeschirr und Geschmeide nebst Kleidern für meine Mutter, alles zusammen gegen zehntausend Drachmen wert, und achtzig Minen an baren Geldvorrat. Dies alles hinterließ er bei sich zu Hause, an Außenständen aber auf Seezins an Xuthos geliehen siebzig Minen, zweitausendvierhundert Drachmen in der Bank des Pasion, sechshundert in der des Pylades, und bei der des Demomeles sechzehnhundert, endlich zwei- oder dreihundertweise ausgeliehen nahezu noch ein Talent.“ – Auch unter Berücksichtigung des Aufwandes für den Unterhalt von Demosthenes, seiner Mutter und seiner Schwester und der Kosten der Vormünder hätte sich dieses Vermögen bei ordentlicher Verwaltung in den zehn Jahren mehr als verdoppeln müssen. Von Aphobos und den beiden anderen Vormündern will Demosthenes also je zehn Talente für sein unterschlagenes Vermögen. Aphobos hat nicht, wie es das Testament, dessen Herausgabe Aphobos verweigert, bestimmte, seine Mutter geheiratet; er hat seine Lehrer um ihr Honorar betrogen und blieb die Steuern, die er Demosthenes berechnete, schuldig (46). – In der zweiten Rede gegen Aphobos berichtet Demosthenes: „[17] Als ich im Begriff stand den gegenwärtigen Rechtsstreit gegen sie anzutreten, da stifteten sie einen Vermögenstausch gegen mich an, damit es, falls ich tauschte, mir unmöglich wäre, sie weiter zur Verantwortung zu ziehn, indem mit den Vermögen ja auch die daran haftenden Rechtsansprüche an sie übergingen. (…) Um meine Ansprüche nicht einzubüßen, verpfändete ich mein Haus und all mein Eigentum und übernahm die Leistung, fest entschlossen die Klagen gegen diese hier vor euch durchzuführen.“ (Die Rede Gegen Aphobos über Phanos Falschaussage [29.] ist vermutlich unecht.) – Aus den beiden Reden Gegen Onetor geht hervor, daß Demosthenes zwar den Prozeß gegen Aphobos gewann, aber dennoch nicht (oder wenigstens nicht gleich und in vollen Umfang) von diesem Geld bekam. Noch bevor der Prozeß gegen Aphobos entschieden wurde, ließ sich Aphobos scheiden, und als Demosthenes nach dem Urteil seinen Besitz pfänden wollte, kam ihm dessen ehemaliger Schwager, der schwerreiche Onetor zuvor. Er behauptete, das entsprechende Grundstück stehe ihm zu, da Aphobos nach der Scheidung die Mitgift zurückzahlen müsse. Demosthenes versucht dagegen zu zeigen, daß in Wirklichkeit gar keine Scheidung stattfand, sondern Aphobos und seine Frau nach wie vor einträchtig zusammenleben.

[Trierarchen- Reden (Demosthenes 47., 50. und 51.)]

Seine erste Rede mit einem politischen Gehalt hielt Demosthenes um 359 im Zusammenhang mit einer Trierarchie, zu der er herangezogen wurde oder die er freiwillig übernahm. Bevor wir diese Rede betrachten, sehen wir uns zunächst zwei andere Reden im Zusammenhang mit Trierarchien an.

Ein Trierarch mußte für die Ausrüstung des Schiffes sorgen und die Besatzung bezahlen. Die Ausrüstung bekam er aus einem Magazin, er mußte sie auf seine Kosten instandsetzen lassen und nach dem Ende der Trierarchie wieder abliefern. Die Löhne bekam er – zu mindestens in Höhe eines bestimmten Regelsatzes – aus der Staatskasse erstattet. (Eigentlich sollten ja Bürger die Schiffe rudern, vgl. 50, 7.) Wenn ein Trierarch nun aus dem Magazin völlig verschlissene Schiffsgeräte erhalten hatte und sie mit hohen Aufwand erneuern ließ, wird sicher die Versuchung groß gewesen sein, sie nicht wieder zurückzugeben. Schließlich drohte bald die nächste Trierarchie. Um einen solchen Fall geht es in der Rede Gegen Euergos und Mnesi­bulos (Demosthenes 47.). Der Sprecher der Rede war von Theo­phemos, einem ehemaligen Trierarchen, der das Schiffsgerät nicht zurückgegeben hatte, verprügelt worden. Später sagten Euergos und Mnesi­bulos für Theophemos aus. In der vorliegenden Rede werden sie der Falschaussage beschuldigt.

Pasion stieg als freigelassener Sklave zu einem der größten Athener Bankiers auf und erhielt sogar das Bürgerrecht. Er starb 370. Sein Freigelassener Phormion heiratete entsprechend der Bestimmungen des Testamentes die Witwe und führte als Pächter die Bank weiter. Pasions Sohn Apollodoros durfte später säumige Schuldner der Bank verklagen, darunter um 362 den berühmten Timotheos. Vermutlich 361 wurde er Trierarch, danach entstand die Rede Gegen Polykles (Demosthenes 50.). – Apollo­doros traf auf Thasos seinen Nachfolger Polykles. „[33ff] Ich forderte ihn auf, das Schiff zu übernehmen und mir die Ausgaben für den zusätzlichen Dienst zu erstatten; dabei fragte ich ihn, ob er sein eigenes Schiffsgerät mitgebracht habe oder meines übernehmen wollte. Nach meiner Aufforderung fragte er mich dann, warum ich als einziger Trierarch ein eigenes Schiffsgerät besäße und ob die Stadt nicht wisse, daß manch einer sich so etwas leisten kann, so daß sie selbst so etwas nicht zur Verfügung stellen brauche. >Oder bist du so reich<, fügte er hinzu, >daß du über dein eigenes Schiffsgerät und noch dazu als einziger über Verzierungen verfügst, die mit Gold versehen sind? Wer könnte diesen Wahnsinn und diesen verschwenderischen Prunk ertragen? Diese verwöhnte Besatzung, die gewohnt ist, große Geldvorschüsse zu bekommen, keine schwere Arbeit auf dem Schiff zu verrichten und im Badehaus zu baden? Decksoldaten und Hilfskräfte, die mit ihren hohen Löhnen in Prunk leben? Du bist ein schlechtes Beispiel.< Dazu erwiderte ich, daß ich deswegen das Schiffsgerät nicht aus den Schiffshäusern übernommen hätte, weil >du es unbrauchbar gemacht hast. Wenn du also willst, nimm meins, wenn nicht, stelle dein eigenes zusammen. Was die Ruderer, Decksoldaten und Hilfskräfte angeht: wenn du sagst, ich hätte sie verzogen, dann besorge dir deine eigene Mannschaft, die bereit ist, ohne Bezahlung mitzusegeln. Aber übernimm das Schiff (…). Meine Dienstzeit ist zu Ende und ich habe sogar vier Monate zusätzlichen Dienst geleistet.< Auf diese Worte sagte er mir, daß sein Syntrierarch noch nicht eingetroffen sei. >Ich werde daher das Schiff nicht übernehmen.<“ Apollodoros bietet Polykles an, ihm den Anteil des Syntrierarchen auszulegen, doch dieser weigert sich. Schließlich befiehlt der Stratege Timomachos – nicht etwa Polykles, das Schiff zu übernehmen – sondern Apollodoros, es erneut zu besteigen: „[44] Er wußte, daß Polykles als Trierarch keinen guten Dienst leisten würde, da er weder Ruderer noch die Decksoldaten und die Hilfskräfte wirkungsvoll eingesetzt hätte. Denn keiner würde unter seinem Kommando bleiben. Außerdem, jedes Mal wo er ihm ohne Besoldung den Befehl zum Auslaufen geben würde, würde er nicht wie ich ohne Weiteres in See stechen, sondern Probleme bereiten. Schließlich lieh sich [Timomachos] 30 Minen [also das Geld, daß Polykles zu Bestreitung der Kosten seiner Trierarchie mitgebracht hatte] von ihm aus, unter der Bedingung, daß der Stratege ihn nicht zwingen würde, das Schiff zu übernehmen.“ – Es folgt ein Rückblick auf weiter zurückliegende Ereignisse: „[47ff] Als das Schiff vollbesetzt war, kam [der Stratege] Kallippos an Bord und forderte den Kapitän auf, nach Makedonien aufzubrechen. Als wir an einem Handelplatz der Thasier an der gegenüberliegenden Küste anlegten, gingen wir von Bord und aßen zu Mittag; da kam auf mich ein Ruderer zu (…) und wollte mich in einer persönlichen Angelegenheit sprechen. Als ich zustimmte, sagte er mit, er möchte sich nach Kräften dafür revanchieren, daß ich ihm in seiner Not Geld gegeben hätte. >Weißt du<, sagte er, >warum und wohin du segelst?“. Auf meine Verneinung sagte er: >Ich erzähle es dir; denn du mußt es erfahren und die richtige Entscheidung treffen. Du wirst einen Flüchtling befördern, jemanden, den die Athener zwei Mal zum Tode verurteilt haben, Kallistratos. Du wirst ihn von Methone nach Thasos, zu Timomachos, seinem Schwager, bringen. Das alles habe ich von Kallippos’ Dienern erfahren. Wenn du also besonnen bist, wirst du keinen Verbannten an Bord lassen, denn das verbieten die Gesetze.< (…) Als die Ruderer wieder an Bord kamen, befahl ich den Kapitän, nach Thasos aufzubrechen. Kallippos protestierte und befahl dem Kapitän nach Makedonien zu segeln, so wie der Stratege es anordnete. Daraufhin erwiderte ihm der Kapitän, daß ich der Trierarch sei und er von mir seinen Lohn bekomme. (…) Das waren die Gründe warum Timo­machos Polykles nicht zwang, das Schiff zu übernehmen (…). Zugleich überredete er Thrasylochos seine Trierarchie Kallippos zu vermieten, damit Kallippos mit unumschränkter Gewalt über das Schiff Kallistratos befördern können.“ (Von Kallistratos’ Aufenthalt in Makedonien berichtet auch Aristoteles’ Oikonomika [II 22]. Nach seiner Rückkehr nach Athen wurde er, der einstmals führende Staatsmann, hingerichtet. Vielleicht ist der Streit von Apollodoros mit Polykles um eine Entschädigung für seine verlängerte Dienstzeit nur Vorwand und es geht eigentlich darum, Angst vor einer Verschwörung der Anhänger von Kalli­stratos zu schüren.)

Auch Demosthenes wollte als Trierarch glänzen und nahm die Magazine nicht in Anspruch. Der Stratege Kephisodotos zeichnete ihn auch dafür aus, indem er sein Schiff auswählte, um auf ihm zu fahren. In der Rede Über den Trierarchenkranz (51.) protestiert Demosthenes (vielleicht vor einem dafür zuständigen Ausschuß) dagegen, daß andere zu Unrecht die für denjenigen, der sein Schiff zuerst zum Auslaufen bereitstellt, vorgesehene Auszeichnung erhalten sollen. Diese Leute haben ihre Trier­archie vermietet! „[8f] Als ihr damals eine Niederlage auf See gegen Alexandros [von Pherai] erlitten habt, habt ihr denjenigen Trierarchen, die ihre Trierarchien vermietet hatten, die meiste Schuld daran gegeben und sie ins Gefängnis geworfen, denn ihr habt sie dafür verurteilt, die Stadt ausgeliefert und ihren Platz verlassen zu haben. Aristophon klagte an und ihr wart Richter; und wenn euer Zorn nicht kleiner wäre als ihre Nichtswürdigkeit, hätte euch nichts gehindert, sie zum Tode zu verurteilen. (…) [11] Mich persönlich wundert es, das einerseits sie diejenigen Ruderer, die das Schiff verlassen, also Menschen mit nur 30 Drachmen Lohn, ins Gefängnis werfen und bestrafen, andererseits ihr nicht genauso mit den Trierarchen verfahrt, die nicht mitfahren wollen, aber dreißig Minen dafür erhalten. Wenn also ein armer Bürger gerade wegen seiner finanziellen Not einen Fehler begeht, wird er mit der höchsten Strafe bestraft? Und ein Reicher? Wenn dieser wegen seiner Habgier das Gleiche tut, wird ihm verziehen? Wo ist dann die Gleichheit und die Demokratie?“ – Unter Kephiso­dotos nahm Demosthenes mit seinem Syntrierarchen Euthykles an einer erfolglosen siebenmonatigen Athener Expedition gegen die Thraker teil. Nach seiner Rückkehr wurde Kephisodotos von Demosthenes und anderen angeklagt und entging mit nur fünf Stimmen Mehrheit einem Todesurteil. (23, 163ff; Aischines 3,13).

Gegen Leptines (20.)

Die in seinen eigenen Prozessen gewonnene Bekanntheit und die dabei erworbenen Kenntnisse benutzte Demosthenes, um sich jungen Männer in ähnlicher Lage als Logograph anzubieten. Während seine Kunden mit ihm ihre Rede erarbeiten und deren Vortrag übten, wohnten einige von ihnen auch in seinem Haus, wodurch sich Demosthenes verschiedenen Verdächtigungen aussetzte. (Aischines 1,70; 3,50)

Auch bei seinem ersten Auftritt in einen politischen Prozeß verteidigte Demosthenes die Ansprüche eines Erben: Die Rede Gegen Leptines hielt Demosthenes 355 für den Sohn des zwei Jahre zuvor gefallenen Chabrias. Dieser wurde durch die Entziehung der Atelie, der Freiheit von Abgaben, um einen Teil seines Besitzes gebrach. – Leptines hatte im Vorjahr folgendes Gesetz durchgesetzt: „Es soll niemand die Atelie besitzen, mit Ausnahme der Nachkommen von Harmodios und Aristogeiton, noch soll es fernerhin erlaubt sein dieselbe zu verleihen.“ (160) Er wurde angeklagt, einen gesetzwidrigen Antrag gestellt zu haben. Der Kläger starb und der Prozeß verzögerte sich. Die Klage richtete sich jetzt nicht mehr gegen Leptines, dieser hatte keine Geldstrafe mehr zu befürchten, sondern gegen das Gesetz selbst. Zu dessen Verteidigung waren vier Redner, darunter Aristophon, gewählt worden. Aristophon war schon an der Wiederherstellung der Demokratie nach dem Sturz der Dreißig beteiligt. Er besaß seitdem selbst die Atelie (148) und handelte somit gegen seine eigenen finanziellen Interessen.

Demosthenes sprach nach dem Erben des Klägers. Seine Rede beginnt mit der grundsätzlichen Überlegung, daß Lepines’ Gesetz die Rechte des Volkes beschneidet, indem es auch für die Zukunft die Verleihung der Atelie verbietet. Irrtümer sind unvermeidlich, „[3] was hindert also, das unter diesem Vorwande euch eure Rechte alle und überhaupt eure politische Selbständigkeit aus den Händen gewunden werde?“ Mit der Verleihung der Atelie sei man eine Verpflichtung eingegangen. Hier erinnert Demosthenes daran, daß die wiederhergestellte Demokratie die Schulden zurückzahlte, die die Dreißig bei den Spartanern zur Bekämpfung der Demokraten aufnahmen. (11f – Aristoteles diskutiert das Problem: Muß der demokratische Staat, die Schulden, die ein Tyrann oder die Oligarchie aufgenommen hatte, zurückzahlen?, in der Politik [III 3].) Dann rechnet er vor, daß der Gewinn aus der Aufhebung der Atelie ein ganz geringer sei, da diese nicht von Trierarchien und Kriegssteuern befreie. Und ganz unverhältnismäßig groß ist der Schaden bei der Aufhebung der fremden Herrschern verliehenen Atelie: „[31ff] Es ist euch ja bekannt, das kein Volk so viel eingeführtes Getreide verbraucht als gerade wir. Die Getreideeinfuhr aus dem Pontos nun kommt allein schon der gesamten Einfuhr aus den übrigen Handelsplätzen gleich, und das ist nicht zu verwundern; denn nicht allein weil jene Gegend das meiste Getreide hervorbringt, sondern auch, weil Leukon, der dort [am Bosporus] herrscht, den Leuten, die nach Athen laden, Zollfreiheit gewährt. Denn dieselbe Freiheit, die er für sich und seine Kinder hier besitzt, hat er auch seinerseits euch gewährt. (…) Was also erwartet ihr von diesem so hoch um euch verdienten Mann, wenn er hört, das ihr durch ein Gesetz ihm die Atelie entzogen habt?“ – Dann folgen Enkomien auf die Athener, die verdientermaßen mit der Atelie ausgezeichnet wurden, insbesondere Konon (68-74) und Chabrias (75-86). Schließlich sucht Demosthenes nach besseren Wegen, um die Verleihung der Atelie an Unwürdige zu verhindern. – Zuletzt benutzt er die von Leptines gemachte Ausnahme gegen dessen Verteidiger: Sie werden vorbringen, das die Choregie eine gottesdienstliche Leistung sei. Warum haben sie aber dann die Nachkommen von Harmodios und Aristogeiton davon ausgenommen? (125ff) Und ist es nicht möglich, daß „[160] unter gleichen Umständen wieder einmal solche Männer auftreten?“

Über die Symmorien (14.)

Auch Demosthenes erste Rede vor der Volksversammlung, Über die Symmorien, behandelte zumindest vordergründig ein Finanzproblem. Demosthenes schlug vor, das Gesetz über die Steuergenossenschaften effektiver zu gestalten: Während bisher der Reichste zwar in Vorleistung gehen mußte, sich aber danach sein Aufwendungen von den anderen Mitgliedern der Symmorie erstatten lassen konnte, sollten nach seinem Vorschlag die Lasten gerechter verteilt werden. Zugleich kämpfte Demosthenes gegen eine vielleicht bewußt geschürte Kriegshysterie. „[24ff] Wir haben eine schöne und gerechte Einnahmequelle, die aber, wenn wir sie jetzt suchen, auch in Zukunft nicht mehr fließen wird, geschweige denn, daß sie jetzt etwas ergibt. Wenn wir sie aber in Ruhe lassen, wird sie uns in Zukunft zur Verfügung stehen. Was ist das für eine Quelle, die jetzt nicht existiert, später aber vorhanden sein wird? Ich werde es euch sagen. Seht hier die ganze Stadt, Athener. In ihr gibt es Geld fast soviel wie in allen anderen Städten zusammen, aber die Besitzer des Geldes denken so: wenn auch alle Redner ihnen Angst machen, daß der Großkönig komme, daß er schon da sei, und wenn auch mit den Rednern zusammen eine große Schar von Propheten es ihnen prophezeite, so würden sie trotz allem nicht nur keine Steuern zahlen, sondern nicht einmal so scheinen, als ob sie Geld besäßen. Wenn sie aber merkten, daß die Gefahren, die jetzt in bloßen Worten bestehen, in Wirklichkeit drohen, dann würde keiner so töricht sein, nichts zu geben und nicht als erster seine Steuern zu bezahlen. Denn wer würde lieber mitsamt seinem Vermögen zugrunde gehen als einen Teil für sich und den Rest seines Vermögens als Steuer zu opfern. Geld also, sage ich, ist in dem Augenblick vorhanden, wo es wirklich gebraucht wird, doch vorher nicht. Ich rate daher, gar nicht erst danach zu suchen. Was ihr jetzt bekommen würdet, wenn ihr es euch vornähmet, ist mehr zum Lachen als gar nichts. Denn bitte, will einer jetzt eine Abgabe von 1% vorschlagen? Macht 60 Talente. Nun also, schlage er 2% vor, das Doppelte. Macht 120 Talente. Was ist das denn gegen die 1200 Kamele, die, wie man euch erzählt, das Geld für den Perserkönig herbeischleppen!“ (Übers. Jaeger)

Gegen Androtion (22.), Gegen Timokrates (24.)

Die Reden Gegen Androtion und Gegen Timokrates wurden von Diodoros, einen einfachen Bürger, gehalten. Demosthenes hatte als Redenschreiber die Aufgabe, ihm Worte in den Mund zu legen, die von den Hintermännern der Klagen ablenkten und sie als Privatrache erscheinen ließen. Der einfache Mann aus dem Volke sollte die Richter wegen angeblicher Übergriffe von Androtion bei der Steuereintreibung erzürnen und so dessen Verurteilung erreichen. Androtion war ein versierter Redner, der später eine vielbenutzte Atthis [attische Geschichte] schrieb und einer der möglichen politischen Erben von Aristophon.

Der Anklagepunkt bei der ersten Rede (aus dem Jahre 355) war ganz nebensächlich: Androtion hatte am Ende des Amtsjahres die übliche Bekränzung des Rates (dem er angehörte) vorgeschlagen; und die Kläger Euktemon und Diodoros warfen ihm deshalb vor, einen gesetzwidrigen Antrag gestellt zu haben. Er hatte gewisse Formalien nicht eingehalten, zudem wurde in der Amtszeit des Rates nicht die vorgeschriebene Anzahl Schiffe gebaut, weil ein untreuer Schatzmeister mit dem Geld verschwunden war. Demosthenes’ Rede enthält am Anfang einige rechtliche Spitzfindigkeiten (5ff), doch dann darf Diodoros schildern, wie die Athener einst teuer Wicken kaufen und sich von Viehfutter ernähren mußten, weil es an Schiffen fehlte (15). Zuletzt vergleicht er Androtions Steuereintreibung mit der Herrschaft der Dreißig. Selbst diese, so Demosthenes, ließen den Bürger in Ruhe, solang er zu Hause blieb. „[52f] Der Mensch nun hat jene so weit an Frechheit überboten, daß er den Leuten die eigene Wohnung zum Gefängnis machte, indem er die Elfmänner mit in die Häuser brachte. Und doch, was meint ihr dazu, Männer von Athen, wenn ein armer Mann, oder auch ein bemittelter, der aber viel geopfert hat und so selbstverständlich nicht bei Gelde ist, entweder vom Dach zu seinen Nachbarn steigt oder sich unters Bett versteckt, um nicht festgenommen und ins Gefängnis geschleppt zu werden, oder sonst auf eine Weise sich gebärt, wie’s Sklaven wohl, nicht aber freien Männern ziemt, und wenn er dies tut im Beisein seiner Frau (…)?“ – Timokrates hatte sich mit einer Gesetzesvorlage für Androtion eingesetzt, der als Gesandter an Bord eines Athener Kriegsschiffes an der Kaperung eines ägyptischen Schiffes beteiligt war und später die Prisengelder nicht erstatten konnte. Diodoros klagt an: Sie, die vom armen Mann gewalttätig sein paar Drachmen Steuern abpressen, unterschlagen selbst gewaltige Summen! (Die Tirade gegen Androtion als Steuereintreiber wiederholt hier Demosthenes fast wörtlich 24, 160-186 ~ 22, 47-78)

Über die Megapoliten (16.), Gegen Aristokrates (23.)

Seit der außenpolitischen Wende, für die vor ungefähr zwei Jahrzehnten Isokrates mit dem Plataikos und der Rede des Archidamos warb, verbanden sich immer wieder Athen und Sparta, während die kleineren peloponnesischen Staaten bei Theben Schutz vor Sparta suchten. Dagegen erhob Demosthenes in der Rede Über die Megapoliten Einwände: „[5] Wir müssen darauf achten, daß (…) der Machtgewinn Spartas nicht – unbemerkt von uns – weitaus größer ausfällt als die Minderung der Macht Thebens, die in unserem Interesse liegt.“ Das ist der erste Schritt zu dem Bündnis mit Theben, das schließlich vor Chaironeia zustande kam. Vorerst konnte sich Demosthenes jedoch nicht durchsetzen, und die Peloponnesier wandten sich später an Philipp, um ihre Unabhängigkeit gegen Sparta und Theben zu behaupten (vgl. die Zweite Rede gegen Philipp).

Aristokrates hatte ein Gesetz eingebracht: „So jemand den Charidemos ums Leben bringt, soll er im Bundeslande überall aufgegriffen werden können.“ (16) Der solchermaßen unter Schutz gestellte war ein gerissener Söldnerführer, der im Namen des jungen Kersobleptes die Macht in Thrakien an sich gerissen hatte. Sprecher der 352 gehaltenen Rede war Euthykles, der mit Demosthenes sieben Jahre zuvor als Trierarch nach Thrakien kam. – Die Rede soll zeigen, daß der Vorschlag von Aristokrates gesetzwidrig und nachteilig für den Staat ist. Zudem sei Charidemos einer solchen Ehre unwürdig. Zum ersten Punkt bringt er eine ausführliche Darstellung der für alle möglichen Fälle eines gewaltsamen Todes gültigen Gesetze und zuständigen Gerichte (19-99, hier gibt er ein ganzes juristisches Handbuch!); zum zweiten eine Kritik der Athener Politik in Nordgriechenland (100-143) und zum dritten eine Geschichte der Treuebrüche und Verrätereien von Charidemos (148-183). Demosthenes fordert, zu verhindern, das Kersobleptes zu mächtig wird, ohne zu sehen, daß man ihn bald gegen Philipp (den er in einen Nebensatz „unsern heftigsten Widersacher“ [121] nennt) brauchen wird.

Am Schluß findet sich ein zu dem bisherigen, sachlichen Stil der Rede nicht passender Ausfall: Anläßlich der schändlicherweise dem Charidemos verliehenen Auszeichnungen heißt es: Die Vorfahren haben dem Marathonsieger Miltiades und Themistokles, dem Sieger von Salamis, keine erzenen Denkmäler gesetzt, im Gegenteil, letzteren verbannten sie als er höher hinaus wollte. „[206ff] In dieser Weise verfuhren sie gegen Männer, die sich doch so hohe Verdienste um sie erworben hatten. Und mit Recht; denn nicht gaben sie ihre eigene Freiheit und Ehrenhaftigkeit für solche Dienste hin, sondern ehrten jene Männer, solange sie sich wacker hielten, traten ihnen jedoch entgegen, sobald sie sich gelüsten ließen Unrecht zu verüben. Ihr dagegen lasset diejenigen, welche sich erwiesenermaßen das schwerste Unrecht haben zu schulden kommen lassen, auf ein paar schlechte Witze und auf die Fürbitten ihrer von ihren Stammgenossen ernannten Beistände hin von aller Strafe frei, und wenn ihr einmal einen verurteilt, so büßet ihr ihn um ganze 25 Drachmen. Damals freilich war der öffentliche Wohlstand ein gedeihlicher und blühender und der einzelne ging in der Gesamtheit völlig auf. Zum Beweise seht euch nur einmal die Wohnhäuser des Themistokles und Miltiades und anderer berühmter Männer aus jenen Zeiten an: ihr werdet finden, daß sie um nichts ansehnlicher als jedes andere Bürgerhaus, dagegen aber die öffentlichen Gebäude und Anlagen so großartig aufgeführt und so reich ausgestattet sind, das sie zu überbieten unmöglich ist für alle kommenden Geschlechter, ich meine die Propyläen dort, die Werften und Hallen, den Peiraios, kurz alles, wodurch ihr die Stadt verherrlicht sieht. Jetzt aber besitzen unsere Staatsmänner durch die Bank ein derartiges Privatvermögen, daß mancher von ihnen schon ein Wohnhaus sich gebaut weit stattlicher als viele Staatsgebäude, und mancher sich mehr Land zusammengekauft, als ihr hier im Gerichtshof zusammen besitzt: dagegen was ihr auf Staatskosten baut, ist so kleinlich und erbärmlich, daß man sich schämt auch nur davon zu reden.“ – Hier beginnt Demosthenes sich zum Volkstribun aufzuwerfen um Eubulos zu stürzen.

Der Kampf um die Schauspielgelder (bis 347)

Erste Rede gegen Philipp (4.)

„[1f] Wenn ein neues Problem zu Debatte gestellt würde, ihr Männer von Athen, so würde ich mich zurückhalten, bis die meisten, die gewöhnlich das Wort ergreifen, ihre Ansicht kundgetan hätten, und wenn ihre Ausführungen in meinem Sinne wären, wäre ich still, andernfalls würde ich danach selbst versuchen, was ich für richtig erachte, zu sagen; da es aber darum geht, schon früher von ihnen vielfach diskutierte Probleme nochmals durchzusprechen, meine ich, daß man mir wohl verzeihen wird, auch wenn ich mich als erster erhebe. (…) Erstens nun dürft ihr in der gegenwärtigen Lage nicht resignieren, auch nicht, wenn sie überaus schlecht aussieht. Denn was in der Vergangenheit das Schlimmste daran war, wird sich in der Zukunft als das Beste erweisen. Und was ist das? Daß die Lage schlecht ist, weil ihr nichts von euren Pflichten erfüllt; denn wäre sie trotz jeglicher Pflichterfüllung eurerseits so, dann bestände keine Hoffnung.“ Weiter sollen sich die Athener ein Beispiel an Philipp nehmen: „[5] Wenn nun Philipp damals der Meinung gewesen wäre, daß es schwierig sei, gegen die Athener Krieg zu führen, die so viele Stützpunkte gegen sein eigenes Land besaßen, während er ohne Verbündete war, so hätte er nichts von dem, was er jetzt fertiggebracht hat, erreicht (…). Doch er wußte sehr wohl, daß all diese Stützpunkte als Kampfpreis für den Sieger ausgesetzt sind, daß aber von Natur aus das Eigentum der Abwesenden den Anwesenden gehört und der Besitz derer, die gleichgültig dahinleben, denen zufällt, die den Willen haben, Mühen und Gefahren auf sich zu nehmen. (…) [7] Wenn nun auch ihr, Männer von Athen, da schon nicht früher, so doch jetzt bereit seid, solche Einstellung euch zu eigen zu machen, und jeder von euch, wo er sich selbst der Stadt nützlich machen muß und könnte, unter Verzicht auf jede Ausrede zu handeln entschlossen ist, derjenige, der Geld hat, daß er seine Steuer entrichtet, und derjenige im wehrfähigen Alter, daß er seinen Kriegsdienst leistet – kurz gesagt, wenn ihr bereit seit, euch einen Ruck zu geben, und damit aufhört, daß ein jeder erwartet, selbst nichts zu tun, sondern der Nachbar werde für ihn handeln, dann werdet ihr mit Gottes Hilfe euch euer Eigentum wiederbeschaffen (…). [10f] Wann also, ihr Männer von Athen, wann werdet ihr das, was notwendig ist, tun? Was muß denn erst geschehen? Wohl: >Bei Zeus, wenn ein Zwang dazu besteht.< Wofür aber muß man das halten, was jetzt geschieht? (…) Oder wollt ihr umhergehen und einander fragen: >Gibt es etwas Neues?< Könnte denn etwas neuer sein als ein Makedonier, der die Athener im Krieg bezwingt und die Angelegenheiten der Griechen steuert? >Ist Philipp tot?< >Nein, bei Zeus, aber er ist krank.< Doch welcher Unterschied besteht für euch dabei? Wenn ihm nämlich auch etwas zustößt, so werdet ihr euch schnell einen anderen Philipp schaffen, falls ihr so wie bisher euer Augenmerk auf die Dinge lenkt; denn Philipp ist nicht so sehr durch seine Stärke als durch unsere Gleichgültigkeit zu solcher Macht herangewachsen.“

Statt einer Streitmacht von zwanzigtausend Söldnern, die bei der nächsten Gelegenheit zum besser Zahlenden überlauft, soll man ein Heer von zweitausend Mann, von denen aber ein Viertel Athener sind, mit genügend Geld ausgestattet gegen Philipp aussenden. „[25ff] Was also ist meine Forderung? Die Ausflüchte des Heerführers und der Soldaten dadurch zu entkräften, daß ihr ihnen Sold verschafft und ihnen Bürger der Stadt als Soldaten an die Seite stellt, gleichsam zur Kontrolle der militärischen Führung. Denn wie wir jetzt die Dinge handhaben, ist lächerlich. Wenn euch nämlich jemand fragen würde: >Habt ihr Frieden, Männer von Athen?<, so könnte man antworten: >Bei Zeus, keineswegs, wir führen gegen Philipp Krieg.< Habt ihr nicht aus eurem Kreis zehn Unterheerführer, Heerführer, Reiterunterführer sowie zwei Reiterführer gewählt? Und was tun diese? Abgesehen von einem Mann, den ihr immer in den Krieg schickt, bereiten die übrigen für euch zusammen mit den Opfervorstehern die Festzüge vor; denn ihr wählt wie die Fabrikanten von Tonsoldaten die Unterheerführer und Reiterunterführer, um sie auf dem Markt zur Schau zu stellen, doch nicht für den Krieg.“

Nach Überlegungen zur Höhe der benötigten Mittel und der Verlesung eines Nachweises zu deren Beschaffung folgen strategische Ausführungen, die doch wieder in einer Kritik der Stadt gipfeln: „[35ff] Warum denn nur, Männer von Athen, ist es bei euch üblich, das Panathenäen und Dionysien zu der dafür vorgesehenen Zeit gefeiert werden, ob sich nun entsprechend der Auslosung sachverständige oder sachfremde Leute um die Vorbereitungen kümmern? Diese Feste verschlingen soviel Geld wie keiner der Feldzüge, und es wird eine Menschenmenge und ein Aufwand auf die Beine gestellt wie vielleicht für keine aller anderen Unternehmungen der Stadt. Und andererseits: Warum verpassen alle eure Feldzüge den rechten Zeitpunkt (…). Bei den Angelegenheiten, die den Krieg sowie seine Vorbereitung betreffen, ist alles ungeordnet, ungeregelt und vage. Folglich machen wir alles zugleich: Wir haben etwas gehört, setzen Leute ein, die Kriegschiffe ausrüsten, genehmigen ihnen einen Vermögenstausch, sehen uns nach der Beschaffung von Geldmitteln um, und danach beschließen wir, daß die Metöken und Freigelassenen als Besatzung an Bord der Schiffe gehen, dann wieder wir selbst, dann statt dessen nochmals andere, und schließlich ist bei all diesem Hin und Her das Ziel unserer jeweiligen Ausfahrt bereits verloren.“ Währenddessen ist Philipp schon so übermütig geworden, daß er den Bewohnern des vor der Haustür Athens gelegenen Euboia bereits Briefe wie den im folgenden vorgelesenen schreiben kann. – Demosthenes fährt fort: „[40f] Ihr aber, Männer von Athen, die ihr die größte Streitmacht besitzt, Kriegsschiffe, Schwerbewaffnete, Reiterei, Einkünfte an Geldmitteln, ihr nutzt bis heute nichts davon in erforderlicher Weise; ihr legt vielmehr alles darauf an, den Krieg gegen Philipp nach der Art zu führen, wie die Barbaren den Faustkampf ausüben. Denn auch bei ihnen faßt der Getroffene nach der Stelle des Schlages und die Hände greifen, immer wenn man ihn anderswo trifft, an den jeweiligen Körperteil; doch sich zu decken oder den Gegner zu beobachten, das versteht er nicht und will er nicht. Und genauso ist es mit euch: Wenn ihr erfahren habt, Philipp sei auf der Chersones, so beschließt ihr, dorthin Hilfe zu schicken, wenn in Pylai, dahin; er mag sein, wo er will, nach allen Richtungen lauft ihr ihm nach und laßt euch von ihm kommandieren. (…) [43ff] Ihr glaubt, alles sei in Ordnung, wenn ihr leere Schiffe aussendet, die begleitet werden von den Hoffnungen, die dieser oder jener erweckt? Wollen wir denn nicht an Bord der Schiffe gehen? Wollen wir nicht jetzt wenigstens, wenn schon nicht früher, mit einer Streitmacht, die zum Teil aus Bürgern besteht, ins Feld rücken? Wollen wir denn nicht mit unseren Schiffen gegen Philipps Land ziehen? >Wo aber sollen wir vor Anker gehen?< so fragte jemand. Der Krieg selbst wird Philipps schwache Stellen aufdecken. (…) Denn wohin immer ein Teil der Stadt ausgesendet wird, da steht die Gnade der Götter auf unserer Seite. Wohin immer ihr aber einen Heerführer mit nichtigem Beschluß und mit Hoffnungen, die auf dem Rednerpodium erweckt worden sind, aussendet, da wird nichts von dem, was für euch notwendig ist, geschehen, sondern die Feinde lachen euch aus und die Verbündeten sterben vor Angst bei solchen Expeditionen. Denn es ist unmöglich, unmöglich, daß ein einzelner Mann jemals das alles für euch verwirklichen kann, was ihr wollt; jedoch Versprechungen zu machen, das Wort zu schwingen und gegen diesen oder jenen Anschuldigungen zu erheben, das ist möglich, doch mit den Belangen der Stadt ist es als Folge davon aus; denn wenn der Heerführer erbärmliche unbezahlte Söldner befehligt, diese aber über Philipps Tun euch leichtfertig etwas vorlügen und ihr aufgrund dessen Zufallsentscheidungen trefft – was ist da auch zu erwarten?

[47] Wie nun kann man diesen Zustand beenden? Wenn ihr, Männer von Athen, dieselben Leute, die Soldaten und Zeugen der militärischen Unternehmungen waren, nach ihrer Rückkehr in die Heimat auch als Richter über den Rechenschaftsbericht einsetzen würdet, so daß ihr über eure eigenen Angelegenheiten nicht nur Berichte hört, sondern auch als Augenzeugen dabei seid. Jetzt dagegen ist es zu dem schändlichen Zustand gekommen, daß jeder Heerführer zwei- oder dreimal von euch auf Leben und Tod angeklagt wird.“ – Zum Schluß kommt Demosthenes noch mal auf Philipp zurück. Dieser gehe im Rausch seiner Erfolge immer weiter, so daß bald auch der Unbedarfteste seine Absichten erkennen wird. „[51] Ich habe bei keiner Gelegenheit die Absicht verfolgt, vor euch Gefälligkeitsreden zu halten (…) Obgleich also nicht klar ist, was sich daraus für mich selbst ergeben wird, so ist es dennoch mein Entschluß, zu euch zu sprechen (…). Möge sich das durchsetzen, was für alle von Nutzen sein wird.“ –– Wenig später, in der Rede für die Freiheit der Rhodier (15), versuchte Demosthenes, ungeachtet der gerade beschworenen Gefahr im Norden, das Interesse der Athener auf einen anderen Schauplatz zu lenken, indem er die Unterstützung der vertriebenen rhodischen Demokraten forderte und dabei alte Seebundsphantasien beschwor. (Die Rhodier hatten sich mit Hilfe vom Mausolos im Bundesgenossenkrieg von Athen gelöst, später ließ Mausolos dort eine oligarchische Regierung einsetzen.)

Olynthische Reden (1.-3.)

Olynth hatte sich wenige Jahre zuvor mit Philipp gegen Athen verbündet. Jetzt stand die Stadt der Ausweitung des makedonischen Einflußgebietes im Wege und Demosthenes forderte zum Eingreifen auf. Die Chance müsse genutzt werden: „[1, 4f] Denn der Umstand, daß er [Philipp], ein einziger, über alles Herr ist, über öffentliche und geheime Angelegenheiten, und das er zugleich Heerführer, unumschränkter Monarch und Finanzverwalter ist und daß er sich stets bei seinem Heer aufhält, ist ein großer Vorteil, um im militärischen Bereich schnell und im rechten Augenblick handeln zu können; hinsichtlich des Ausgleichs aber, den er mit den Olynthiern sich schaffen möchte, ist es das Gegenteil. Denn den Olynthiern ist klar, daß sie jetzt nicht um Ruhm, auch nicht für einen Teil ihres Landes Krieg führen, sondern zur Abwehr der Vernichtung und Unterjochung des Vaterlandes, und sie wissen, was er mit den Bürgern von Amphipolis getan hat, als sie ihm ihre Stadt übergeben hatten.“ – Gegen die faszinierende Persönlichkeit Philipps bedient sich Demosthenes Argumenten, die vielleicht philosophischen Diskussionen entlehnt sind: „[2, 15ff] Denn glaubt nicht, Männer von Athen, daß er und seine Untertanen dieselben Interessen haben, vielmehr verlangt er nach Ruhm und ist darauf erpicht und hat sich vorgenommen, wenn ihm bei seinen Kämpfen und Gefahren etwas zustößt, das hinzunehmen; denn er hat, wie niemals ein anderer makedonischer König, diesem Ziel den Vorrang vor einem Leben in Sicherheit gegeben. Jene hingegen [seine Untertanen] haben keinen Anteil an dem Ruhm, der davon abfällt; sondern durch dieses Auf und Ab seiner Feldzüge geplagt, sind sie unzufrieden und leiden ständig, da sie weder bei ihrer Arbeit noch bei ihren eigenen Angelegenheiten in Ruhe gelassen werden, noch es ihnen möglich ist, alle Güter, die sie, so gut es eben geht, erzeugen, abzusetzen, weil die Handelplätze im Lande wegen des Krieges geschlossen sind. (…) Die Söldner und Gardetruppen um ihn herum stehen nun aber zwar in dem Ruf, großartige und militärisch gut ausgebildete Männer zu sein; wie ich jedoch von einem durchaus glaubhaften Gewährsmann, der in dem Lande selbst war, hörte, sind sie nicht besser als irgendwelche anderen Soldaten. Denn wenn unter ihnen ein Mann ist, der vom Kriegshandwerk etwas versteht (…), so dränge Philipp diesen stets aus Geltungsdrang zurück, da er will, daß es so aussieht, als ob alles sein Werk sei, denn außer seinen anderen Eigenschaften sei auch sein Geltungsdrang nicht zu überbieten. Wenn aber jemand vernünftig ist und überhaupt ein rechtliches Empfinden hat, so sei er, wenn er die tägliche Unmäßigkeit im Lebensstil, die Trunkenheit und die anstößigen Tänze nicht ertragen kann, kaltgestellt und gelte nichts. Übriggeblieben sind demnach als Umgang für Philipp nur Räuber, Schmarotzer und solche Menschen, die volltrunken Tänze von der Art vorführen, bei denen ich mich scheue, sie vor euch hier mit Namen zu nennen.“

Aber Demosthenes Ziel bleibt ein anderes. In der Ersten Olynthischen Rede klingt es nur an (19f), in der Dritten ist es der Hauptinhalt. Er fordert: „[10ff] Setzt eine gesetzgebende Kommission ein. In dieser Kommission erlaßt kein Gesetz (denn davon gibt es bei euch genug), sondern setzt diejenigen außer Kraft, die euch gegenwärtig schaden. Ich nenne – und zwar ganz offen – die Gesetze über Schauspielgelder und einige über den Militärdienst, von denen die einen Leuten, die zu Hause bleiben, Kriegsgelder als Schauspielgelder zuteilen, die anderen Leute, die sich dem Militärdienst entziehen, straffrei machen und damit dann die Einsatzbereitschaft derer, die ihre Pflicht erfüllen wollen, untergraben. Wenn ihr aber diese Gesetze außer Kraft gesetzt und den Weg geebnet habt, daß Politiker ohne persönliches Risiko den besten Rat geben können, dann sucht jemand, der das, was nach der Meinung aller von Nutzen ist, beantragt. Bevor ihr das getan habt, haltet nicht Ausschau nach einem Politiker, der dazu bereit ist, für den besten Rat, den er euch erteilt hat, sich von euch seiner Existenz berauben zu lassen. (…) Und zwar müssen genau die Leute, die die Gesetze abgefaßt haben, auch ihre Aufhebung beantragen.“ Nach einen paar Bemerkungen über Philipp gleich weiter: „[19] Wenn aber bei uns jemand die Möglichkeit sieht, die Schauspielgelder bestehen zu lassen und andere Geldmittel für die Kriegsführung vorzuschlagen, ist seinem Plan dann nicht der Vorzug zu geben? Allerdings, wenn es einen solchen Mann gibt, doch es sollte mich sehr wundern, wenn es irgendeinem Menschen jemals gelungen wäre oder gelingen würde, nachdem er sein vorhandenes Kapital für unnötige Zwecke aufgebraucht hat, notwendige Ausgaben mit ihm nicht mehr zu Gebote stehenden Mitteln zu begleichen. (…) [22] Seitdem aber diese Sorte von Rednern aufgetreten ist, die euch fragen: >Was wollt ihr? Was soll ich beantragen? Was soll ich euch zu Gefallen tun?<, sind die Interessen der Stadt um den Preis der Gunst des Augenblickes willen leichtsinnig preisgeben.“ Und nach einer farbigen Schilderung vergangener Macht und der Klage über ihren Verlust: „[29ff] >Aber mein lieber,< wird vielleicht jemand einwerfen, >wenn es auch damit schlecht ist, so steht es doch mit den Verhältnissen in der Stadt selbst besser.< Und was könnte man dabei anführen? Die Mauerzinnen, die wir anstreichen, die Wege, die wir instand setzen, die Brunnen und ähnliche läppische Dinge? Seht euch doch diese Leute an, die solche Politik betreiben; die einen sind aus Bettlern zu reichen Leuten geworden, die anderen aus unbedeutenden Menschen zu angesehenen Persönlichkeiten, und manche haben sich Privathäuser eingerichtet, die prachtvoller sind als die öffentlichen Gebäude (…). Was ist nun an all diesem schuld, und warum ging denn eigentlich damals alles gut, und warum geht es jetzt nicht richtig? Weil damals das Volk selbst den Mut hatte, zu handeln und Krieg zu führen; es hatte die Kontrolle über die Politiker (…); nun aber ist das Gegenteil der Fall, die Politiker haben alle Vorteile in der Hand und steuern alles, ihr aber, das Volk, die ihr gelähmt seid und euren Wohlstand und eure Verbündeten verloren habt, seid nur noch Hilfstruppen und Nebenfiguren; ihr seid zufrieden, wenn sie euch die Schauspielgelder lassen und an den Boedromia einen Festzug veranstalten, und das Tollste von allem ist, ihr fühlt euch ihnen für euer Eigentum noch zu Dank verpflichtet. Sie aber haben euch in der Stadt eingesperrt, ködern euch mit diesen Nichtigkeiten und machen euch handzahm und gefügig. Es ist meines Erachtens niemals möglich, daß Leute, die unbedeutende und nichtige Dinge tun, eine weitblickende und jugendkräftige Denkungsart entwickeln; denn den Beschäftigungen der Menschen entspricht folgerichtig auch ihre Denkart. Es würde mich nicht wundern, wenn mir für meine Rede von euch ein größerer Schaden entstände als denen, die diese Lage verursacht haben. Denn es ist ja bei euch nicht immer möglich, über alles frei zu reden, vielmehr bin ich überrascht, daß es mir auch jetzt erlaubt ist. Wenn ihr doch jetzt noch wenigstens dieses Verfahren aufgeben würdet und bereit wäret, den Krieg zu führen und eurer eigenen Stellung entsprechend zu handeln, sowie diese Überschüsse im Innern als Grundlage für die Sicherung äußerer Vorteile benutzen würdet, vielleicht, vielleicht könntet ihr dann (…) auf solche Vergünstigungen verzichten, die einer ärztlich verordneten Kost für Kranke gleichen. Sie hat nämlich weder eine Wirkung, noch läßt sie die Kranken sterben; und diese Vorteile, die ihr jetzt nutzt, sind weder so bedeutend, daß ihr einen hinreichenden Nutzen davon habt, noch lassen sie es zu, sie aufzugeben und etwas anderes zu tun, sondern sie stärken gerade die Gleichgültigkeit jedes einzelnen von euch. >Du schlägst also eine Bezahlung des Militärdienstes vor?< Ja, unbedingt, und zwar in einheitlicher Regelung für alle, Männer von Athen, damit jeder von den Staatsmitteln einen Anteil erhält und zu dem, wozu die Stadt ihn braucht, zur Verfügung steht. Herrscht Frieden, so bleibt er besser in der Heimat und ist nicht genötigt, infolge seiner Mittellosigkeit etwas gegen seine Ehre zu tun. Treten Situationen wie jetzt ein, so dient er selbst, aus demselben Fonds bezahlt, als Soldat, wie es für das Vaterland recht und billig ist. Ist jemand von euch aus dem wehrfähigen Alter heraus, so soll er das, was er jetzt, ohne Gegenleistungen zu erbringen, in Anspruch nimmt, bei entsprechenden Einsatz erhalten und wichtige Aufgaben als Aufseher und Verwalter übernehmen.“

Für Phormion (36.)

Apollodoros lag mit Phormion im ständigen Streit um das Erbe seines Vaters Pasion. Demosthenes schrieb, vermutlich 350, gegen Apollodoros die Rede Für Phormion (36.). Phormion hatte gemäß einer testamentarischen Verfügung Pasions Witwe geheiratet und führte das Geschäft weiter. Phormions Fürsprecher, der die Rede vortrug, wirbt um Verständnis für die Erb­regelung: „[30f] Ihr, Athener, seid von der Herkunft her Bürger, und darum wäre es für euch eine Schmach, einem noch so großen Besitz den Vorrang zu geben vor der Ehre der Familie. Wenn man aber das Bürgerrecht als Geschenk erhalten hat und wenn man erst durch glückliche Umstände, weil man Geschäfte betrieben und mehr als andere erworben hat, schließlich doch diese Ehre erhalten hat, dann muß man dieses Vermögen wahren. Also hat Pasion, dein Vater, nicht als erster oder einziger so gehandelt, er hat weder sich selbst noch euch Söhnen damit Schande angetan, sondern er hat gesehen, daß sein Besitz nur dadurch zu erhalten sei, das er Phormion nötigte, Mitglied der Familie zu werden; und deshalb hat er ihm seine Frau, eure Mutter, zur Ehe gegeben. Wenn du die Dinge also unter dem Gesichtspunkt des Nutzens siehst, wirst du finden, daß er richtig entschieden hat. Wenn du aber um der Familienehre willen Phormion als Verwandten ablehnst, dann bist du in Gefahr, dich lächerlich zu machen. Wenn man dich fragte, wie du über deinen Vater urteilst, würdest du ihn selbstverständlich als tüchtigen und wertvollen Menschen erklären. Wer ist nun deiner Meinung nach deinen Vater in Charakter und der ganzen Lebensweise ähnlicher, du oder Phormion? Sicherlich dieser. Kannst du jemand, der deinen Vater ähnlicher ist als du, als Gatten deiner Mutter ablehnen?“ – Ein Jahr später beschuldigte Apollodoros Stephanos, im Prozeß gegen Phormion falsch ausgesagt zu haben; und diese Rede (Gegen Stephanos [45.]) schrieb wieder Demosthenes. Der Grund für diesen ungewöhnlichen Wechsel zur Gegenpartei bestand vermutlich darin, das Apollodoros das Risiko auf sich nahm, die Verwendung der Schauspielgelder für Kriegszwecke zu beantragen (vgl. Gegen Neaira).

Gegen Meidias (21.), Gegen Konon (54.)

Als Demosthenes 348 bei den Dionysien Chorege wurde, versuchte Meidias mit allen Mitteln ihn an einem Erfolg zu hindern. Er widersetzte sich der üblichen Beurlaubung seiner Choristen, bestach den von Demosthenes engagierten Chorlehrer, brach mit seinen Kumpanen in die Werkstatt des Goldarbeiters ein, der für Demosthenes den Festschmuck fertigte und bestach die Kampfrichter, so daß sie seiner Phyle nicht den Sieg zuerkannten. Und schließlich schlug er dem sich nicht wehrenden Demosthenes während der Aufführung mit den Fäusten ins Gesicht. Unmittelbar nach dem Fest wurde Meidias dafür einstimmig von einer Volksversammlung im Theater verurteilt. Das alles berichtet Demosthenes zornig im ersten Teil seiner Rede, in dem er zugleich begründet, daß er nicht etwa eine Privatklage gegen Meidias anstrengt, sondern ihn öffentlich anzeigt wegen Störung des Festes und Angriff auf eine mit den heiligen Riten beauftrage Person.

„[77ff] Ich kann mir nun denken, Männer des Gerichts, da mancher unter euch begierig ist den eigentlichen Grund unserer Feindschaft zu erfahren. So will ich euch denn den Verlauf der Sache von Anfang an erzählen. Zu der Zeit nämlich, wo ich wegen der Verwaltung meines väterlichen Erbteiles gegen meine Vormünder klagte (…), vier oder fünf Tage bevor die Sache zum gerichtlichen Austrag kommen sollte, überfielen mich Meidias und sein Bruder in meinem Haus und boten mir wegen der Trierarchie den Umtausch des Vermögens an. Den Namen zu diesen Antrag gab der Bruder her, Thrasylochos, der ganze Anschlag war aber allein sein Werk. Ohne weiteres fingen sie an, die Türen zu den Zimmern aufzusprengen, als wäre das alles schon ihr Eigentum; sodann scheuten sie nicht, vor meiner Schwester, die damals als unverheiratetes Mädchen noch im Hause war, unflätige Reden zu führen (…). Was aber das stärkste war, von bloßen Worten schritten sie zur Tat und erließen als nunmehrige Inhaber meiner Ansprüche den Vormündern die an sie gestellte Forderung. (…) So zahl’ ich denn, gänzlich verlassen wie ich damals war, und auch ziemlich grün, um nicht mein in den Händen der Vormünder befindliches Vermögen einzubüßen, und in der Erwartung, ich würde nicht bloß die Kleinigkeit, die es wirklich mir zu erhalten gelang, sondern den ganzen meines Wissens an mir begangenen Raub herausbekommen, - ich zahle ihnen also zwanzig Minen, um welche Summe sie die Trierarchie verdungen hatten.“ Entgegen seiner Ankündigung erklärt Demosthenes hier nicht den Ursprung der Feindschaft, sondern erinnert an einen alten Skandal, in der er unschuldiges Opfer und noch kein gefürchteter Redner war. Thrasylochos und Meidias brechen ganz wie Androtions Steuereintreiber ein. – Dann erzählt er von einer Beleidigungsklage, die er gegen Meidias anstrengte. In einen Schiedsverfahren wurde Straton zum Schiedsrichter bestellt, dieser verweigerte die Annahme einer Bestechung und wurde deshalb durch Meidias um sein Bürgerrecht gebracht. Stumm läßt ihn Demosthenes vor den Richtern erscheinen: „[95] Rufe mir den armen Straton selbst her! Denn stehen wird er doch wohl dürfen!“

[...]

Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Übersichten erhaltener Werke antiker Autoren - Band 5: Isaios, Demosthenes, Apollodoros, Aischines, Hypereides, Lykurg, Aristoteles, Theophrast
Autor
Jahr
2014
Seiten
90
Katalognummer
V272153
ISBN (eBook)
9783656642008
ISBN (Buch)
9783656641995
Dateigröße
877 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
übersichten, werke, autoren, band, isaios, demosthenes, apollodoros, aischines, hypereides, lykurg, aristoteles, theophrast
Arbeit zitieren
Hans Belde (Autor:in), 2014, Übersichten erhaltener Werke antiker Autoren - Band 5: Isaios, Demosthenes, Apollodoros, Aischines, Hypereides, Lykurg, Aristoteles, Theophrast, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272153

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