Übersichten erhaltener Werke antiker Autoren - Band 3: Lysias, Isokrates, Xenophon


Fachbuch, 2014

75 Seiten


Leseprobe


Lysias (und die unter Isokrates’ Namen überlieferten Gerichtsreden)
Der Kampf um die Wiederherstellung der Demokratie
Gegen Eratosthenes (12.)
Gegen Philon (31.), Gegen Agoratos (13.)
Gegen Nikomachos (30.)
Verteidigung gegen den Vorwurf des Umsturzes der Demokratie (25.)
Isokrates: Gegen Kallimachos (18.), Gegen Lochites (20.)
Isokrates: Über das Pferdegespann (16.)
Gegen Alkibiades (14.)
Über die Beschlagnahmung des Eigentums von Nikias’ Bruder (18.)
Athens Scheitern im korinthischen Krieg
Über das Vermögen des Aristophanes (19.)
Gegen Epikrates (27.), Gegen Ergokles (28.), Gegen Philokrates (29.)
Gegen die Getreidehändler (22.)
Olympiakos (Fragment)
Weitere Reden
Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes (1.)
Verteidigung gegen Simon (3.)
Rede über die Verweigerung der Rente an einen Invaliden (24.)
Für Manititheos (16.)
Verteidigung wegen der Beseitigung eines Ölbaumstumpfes (7.)
Gegen Diogeiton (32.)
[Weitere Reden]
Isokrates: Gegen Euthynos (21.), Trapezitikos (17.), Aiginetikos (19.)

Isokrates
Schulgründer, Philosoph und politischer Schriftsteller
Gegen die Sophisten (13.)
Busiris (11.)
Helena (10.)
Der Theseus-Exkurs
Die Verteidigung von Alexandros – Das Lob der Schönheit
Panegyrikos (4.)
Krisis
Plataikos (14.) , Brief an Dionysios (B1), Rede des Archidamos (6.)
Alkidamas: Über die Verfasser geschriebener Reden
An Nikokles (2.), Rede des Nikokles (3.)
Euagoras (9.)
Neubesinnung und Rechenschaft
Areopagitikos (7.)
Rede über den Frieden (Symmachikos, 8.)
Antidosisrede (15.)
An Demonikos (1.)
An Philipp (5.)
Panathenaikos (12.)
Die Dialoge am Schluß
Die zweideutige Rede
Weitere Briefe

Xenophon
Schriftstellerische Anfänge
Über den Staat der Athener
Die Verfassung der Spartaner
Die „Schutzschrift“ (Mem. I 1 und 2)
Hellenika I - II 3,9 (Der Abschluß des Werkes von Thukydides)
Anabasis
Apologie, Symposion
Der Berufsschriftsteller
Erinnerungen an Sokrates
Der Kyrenaiker Aristipp – Prodikos’ „Herakles am Scheidewege“ (II 1)
Sokrates als Ratgeber (II 7-9)
Sokrates über Demokratie und Feldherrnkunst (III 1-7)
Sokrates als Lehrer (IV)
Oikonomikos
Der Reiterbefehlshaber, Die Reitkunst, Über die Jagd
Hieron, Agesilaos
Die Kyrupädie
Die Gerechtigkeit (I 3,16-18; I 6,24-34 und II 3,11)
Pheraulas (VIII 3,28-50), Die Arbeitsteilung (VIII 2,5)
Hellenika
Die Herrschaft der Dreißig (II 3 und 4)
Unter Spartanischer Vorherrschaft (III – V 1)
Der Sturz ins Chaos (V 2 bis VII)
Poroi

Lysias (und die unter Isokrates’ Namen überlieferten Gerichtsreden)

Lysias’ Vater Kephalos kam aus Syrakus nach Athen und betrieb in Peiraios eine Schildfabrik. Der 15jährige Lysias ging zusammen mit seinem Bruder Polemarchos nach Thurioi. Dort ließ sich Lysias bei Teisias, den Schüler von Korax, in der Rhetorik ausbilden. Nach der sizilianischen Katastrophe mußten sie zurück nach Athen flüchten. – Lysias versuchte sich anschließend als Rhetoriklehrer. Aber erst nach dem Verlust seines Vermögens während der Herrschaft der Dreißig war Lysias gezwungen, seinen Lebensunterhalt als Logograph, als Schreiber von Gerichtsreden, zu verdienen. Ein Zeugnis für seine Bedeutung sind die Angriffe, die noch nach seinem Tod Platon im Phaidros gegen ihn richtete.

In römischer Zeit liefen von Lysias 230 als authentisch geltende Reden um. Bis heute sind 32 Reden erhalten (einige davon unvollständig), darunter vermutlich acht, die nicht von ihm verfaßt wurden (z.B. der Epitaphios [2.], Gegen Andokides [6.] und die Rede Für Polystratos [20., die Verteidigung eines Bürgers, der während der Herrschaft der Vierhundert Prytane war]). – Neben Lysias’ Reden stelle ich die sechs unter Isokrates’ Namen überlieferten Gerichtsreden.

Der Kampf um die Wiederherstellung der Demokratie

Gegen Eratosthenes (12.)

Die Rede Gegen Eratosthenes erscheint als Anklagerede von Lysias gegen einen der Dreißig, den er für den Tod seines Bruders verantwortlich macht. Ob er diese Rede aber tatsächlich vor einem Athener Gericht gehalten hat, ist fraglich. Lysias war Metöke und hätte kaum in einem politischen Prozeß einen Athener Bürger anklagen können. (Ein Antrag von Thrasybulos, den Metöken, die am Sturz der Dreißig teilgenommen hatten, das Bürgerrecht zu verleihen, wurde mit einer grajh paranomwn -Klage zu Fall gebracht [Aristoteles, Der Staat der Athener 40,2].) Noch mehr spricht der Exkurs gegen Theramenes dafür, daß die Rede eine Flugschrift gegen die Reinwaschung der gemäßigten Demokratiegegner war. (Vgl. dazu die Darstellung von Theramenes’ Verurteilung durch Kritias in Xenophons Hellenika.)

„[4ff] Mein Vater Kephalos wurde von Perikles bewogen, in dieses Land zu kommen. 30 Jahre hat er hier gewohnt, mit niemanden haben wir, weder er noch seine Söhne, je einen Prozeß geführt, weder als Kläger, noch als Angeklagte, sondern wir lebten in der Demokratie, ohne jemanden Unrecht zu tun oder auch Unrecht zu leiden. Als nun die Dreißig durch Schurkerei und Intrigen an die Macht gekommen waren und sagten, man müsse die Stadt von Rechtsbrechern reinigen und die übrigen Bürger zu Gerechtigkeit und Zucht zurückbringen, da sprachen sie zwar in dieser Art, waren aber frech genug, ganz anders zu handeln (…). Theognis und Peison sagten in einer Versammlung der Dreißig, daß es unter den Metöken einige gäbe, die der Regierung feindlich wären, das biete einen trefflichen Vorwand, sie anscheinend zu bestrafen, in Wirklichkeit aber Geld einzutreiben. Jedenfalls sei der Staat arm, und die Regierung brauche Geld. (…) So beschlossen sie, zehn zu verhaften, darunter auch zwei arme Metöken. Damit hatten sie der Öffentlichkeit gegenüber eine Entschuldigung, daß dies nicht etwa um des Geldes willen geschehe (…). Sie teilten die Häuser unter sich auf und gingen los. Und mich ergriffen sie, als ich grade Gäste hatte. Die jagten sie weg und übergaben mich dem Peison.“ Lysias konnte, nachdem er Peison eine Truhe mit Silber zeigte, durch die Hintertür entkommen. Seinen Bruder Polemarchos verhaftete Eratosthenes auf offener Strasse. „[17ff] Gegen Polemarchos verhängten die Dreißig das bei ihnen übliche Urteil, Schierling zu trinken, ohne daß ein Grund für seine Hinrichtung angegeben wurde. (…) Und als er tot weggebracht wurde vom Gefängnis, ließen sie ihn, obwohl wir drei Häuser hatten, von keinem der drei aus bestatten, sondern bewahrten ihn in einen gemieteten Schuppen auf. Wir hatten viele Gewänder, aber sie gaben trotz Bitten nicht eins zu Bestattung heraus, sondern von den Freunden brachte jeder einen Mantel, ein Kissen, oder was er sonst grade hatte. Sie hatten uns 700 Schilde weggenommen, alles an Gold, Silber und Kupfer, Schmuck, Hausgerät und Frauengewänder, soviel wie sie nie zu bekommen erwartet hatten, und 120 Sklaven.“

Der Beschuldigte wird von Lysias verhört: „[23] Hast du Polemarchos verhaftet oder nicht? – Ich habe die Befehle der Regierung ausgeführt, ich hatte Angst. – Warst du im Ratssaal, als die Beschlüsse über uns gefaßt wurden? – Ja. – Hast du denen, die den Mordbefehl gaben, zugestimmt oder abgeraten? – Ich habe widersprochen.“ Das beeindruckt Lysias nicht: „[50] Vielleicht möchte er vorbringen, daß er sich gefürchtet hat, und einigen von euch mag das genügen. Dann soll er bloß nicht zu beweisen versuchen, daß er den Dreißig in der Diskussion widersprochen hat. Er hätte für eure Rettung denselben Eifer zeigen sollen, nicht für die des Theramenes.“ Eratosthenes gehörte innerhalb der Dreißig offenbar zu dem gemäßigten Flügel um Theramenes. Lysias bringt deshalb auch eine Anklage von Theramenes: „[65f] Erstens war er vor allem verantwortlich für die erste Oligarchie, als er euch überredete, die Regierung der Vierhundert zu wählen. (…) Theramenes war so gesinnungstreu, das er von seiner Partei zum Strategen gewählt wurde. Und solange er die hohe Ehre genoß, zeigte er sich zuverlässig, als er aber sah, daß Peisandros und Kallaischros über ihn hinauswuchsen und andere mehr waren als er und das eure Partei ihnen nicht mehr gehorchen wollte, da beteiligte er sich aus Neid gegen sie und aus Furcht vor euch an dem Vorhaben des Aristokrates [dem Sturz der Vierhundert]. Um seine Treue gegen eure Partei zu beweisen, klagte er seine besten Freunde Antiphon und Archeptolemos an und brachte sie zu Tode.“ Theramenes’ Rolle im Arginusenprozeß übergeht Lysias, da er gegen das Urteil keine Einwände hat (vgl. 36) und daraus folglich keinen Vorwurf gegen ihn ableiten kann. Dagegen beschuldigt Lysias Theramenes, bei den Verhandlungen mit Lysandros die Stadt verraten zu haben und der Hauptverantwortliche für die Einsetzung der Dreißig gewesen zu sein. – Er schließt mit seinem großartigsten Asyndeton: „Ihr habt gehört, ihr habt gesehen, ihr habt geduldet, ihr habt den Schuldigen, fällt das Urteil!“

Gegen Philon (31.), Gegen Agoratos (13.)

Die Rede Gegen Philon ist rhetorisch sehr aufwendig gestaltet, vielleicht wollte Lysias mit ihrer Veröffentlichung (das heißt: mit der Enthüllung seiner Autorschaft) für sich werben: Philon sei für ein Amt, für das er erlost wurde, unwürdig: „[8] Dieser da (…) wurde von den Dreißig mit der Menge der Bürger aus der Stadt verbannt und lebte dann eine Weile auf dem Lande. Als aber die Gruppe aus Phyle wieder zum Peiraios zurückkam und nicht nur die Männer vom Lande, sondern auch aus dem Ausland sich versammelten und sich jeder nach besten Kräften bemühte, dem Staat zu Hilfe zu kommen – da tat er das genaue Gegenteil von den anderen Bürgern. Er packte sein Hab und Gut zusammen, zog ins Ausland und wohnte in Oropos als Metöke und zahlte Ausländersteuern. (…) [12f] Er war weder körperlich zu schwach, Strapazen zu ertragen, noch nach seinem Vermögen zu arm, dem Staat Zuwendungen zu machen (…). Jedenfalls werdet ihr keinen Bürger gegen euch aufbringen, wenn ihr diesen abwählt, der offenbar nicht nur eine, sondern beide Parteien verraten hat.“ Seine inzwischen verstorbene Mutter vertraute nicht ihm, sondern einem Fremden die Sorge um ihre Bestattung an. „[22] Fürwahr, wenn die Mutter, die ja gewöhnt ist, sogar Unrecht von ihren Kindern am ehesten zu dulden und kleine Wohltaten für große zu halten, weil sie mehr mit Liebe als mit Verstand das Geschehene abwägt, es für möglich hält, daß dieser sogar aus ihrem Tod noch Nutzen haben möchte, was sollt ihr dann von ihm denken?“

Agoratos wird vorgeworfen, den Dreißig als Denunziant gedient und so den Tod einiger Bürger verschuldet zu haben. Am Anfang (9ff) stehen Beschuldigungen von Theramenes, die die in der Rede Gegen Eratosthenes (12.) erhobenen Vorwürfe präzisieren sollen. Im folgenden rückt Lysias die Freiwilligkeit des von Agoratos verübten Verrates in den Mittelpunkt: Er hätte aus Athen fliehen können (26ff) und hat in Munichia freiwillig einen rettenden Altar verlassen (29). – Auf Schilderung der Verurteilung der von Agoratos Angezeigten durch die Dreißig (37f) folgt die Rührszene, wie Dionysodoros im Gefängnis seiner Frau, der Schwester des Sprechers der Rede, sagt, Agoratos sei an seinem Tod schuldig (39ff). Später eine kontrastreiche Folge von Charakterbildern: Der bereits hingerichtete Verräter Menestratos (56f), im Gegensatz dazu Aristophanes, der für Agoratas bürgte und von ihm auf die Liste gesetzt wurde und so sein Leben verlor (58ff), schließlich die angesehenen Bürger, für deren Hinrichtung er verantwortlich sei. Dagegen Agoratos: „[64] Ein Sklave, von Sklavengeschlecht!“ – Warum haben sich aber Aristophanes und andere nach der Machtergreifung der Dreißig bemüht, Agoratos aus Athen herauszubringen? Agoratos hatte anscheinend beim Sturz der Vierhundert eine Rolle gespielt „[70] Er wird sagen, daß er unter den Vierhundert den Phrynichos getötet hat und daß ihn dafür das Volk von Athen zum Bürger gemacht hat. Das lügt er (…). [74] Glaubt ihr denn, die Dreißig und der von ihnen abhängige Rat, die alle einmal zur Regierung der Vierhundert gehört hatten, hätten einen Mörder des Phrynichos freigelassen und nicht etwa für Phrynichos und ihre Verbannung Rache genommen?“

„[85] Ich habe erfahren, daß er sich auch darauf berufen will, in der Anklageschrift stehe >auf frischer Tat< – das halte ich für überaus töricht. (…) Deswegen, weil es dazugesetzt wurde, glaubt er, es sei ihm möglich, sich herauszuwinden. Das bedeutet ja anscheinend nichts anderes, als das er zugibt, getötet zu haben – nur eben nicht auf frischer Tat ertappt wurde.“ Der Kläger hatte durch eine besondere Klageform ein verkürztes Gerichtsverfahren eingeleitet und wertet Agoratos’ zu erwartende Einrede gegen diesen Mißbrauch als Schuldgeständnis. In der selben Weise behandelt er auch die zu erwartende Berufung auf die bei der Aussöhnung vereinbarte Amnestie (88).

Gegen Nikomachos (30.)

Nikomachos hatte sich 399 vor den zehn Logisten, einem Gremium, das die Amtsführung zu überprüfen hatte, zu verantworten: „[2] Er hatte den Auftrag, vier Monate lang die Gesetze Solons umzuschreiben. Statt Solon hat er sich selbst zum Gesetzgeber gemacht, statt der vier Monate hat er sein Amt sechs Jahre lang behalten, Tag für Tag hat er Geld dafür genommen, daß er die einen Gesetze niederschrieb, die anderen aber auslöschte.“ (Wie nötig die Umschreibung der Gesetzte war, zeigt Lysias’ 10. Rede, in der er einige altertümliche Formulierungen für seine Zwecke benutzt.) Der Ankläger wirft Nikomachos vor, daß sein Vater noch Staatssklave war (2), verteidigt sich gegen den Vorwurf, selbst zu den Vierhundert gehört zu haben („[7] Wenn er aber versucht – was er [in der Voruntersuchung] vor den Rat getan hat –, mir unterzuschieben, ich hätte zu den Vierhundert gehört, bedenkt bitte, daß nach der Aussage solcher Verleumder die 400 mehr als 1000 gewesen sein müssen.“) und wirft Nikomachos vor, daß er ein Gesetz fälschte, um den Dreißig die Verurteilung von Kleophon zu ermöglichen: „[12] Gegen Kleophon freilich, meine Herrn Richter, hätte man wohl andere Anklagen erheben können, aber darin sind sich alle einig, daß die Beseitiger der Demokratie ihn von allen Bürgern am liebsten beseitigen wollten und daß (…) die dreißig Tyrannen nicht um euretwillen den Kleo­phon anklagten, sondern damit sie durch seine Hinrichtung euch schaden könnten.“

Ein regelrechtes Geschäft mit vielfältigen Möglichkeiten zur Bereicherung waren die Veranstaltung der Polisreligion. Offenbar hat Nikomachos dabei mitgemacht: „[17] Ich habe erfahren, daß er behauptet, ich zerstöre in gottloser Art die Opfer (…) [21] Bedenkt, meine Herren, daß, wenn wir nach den Vorschriften handeln, alle Opfer unserer Väter dargebracht werden, wenn aber nach den Inschriften, die der da niedergeschrieben hat, viele der Riten zerstört werden. Und so läuft er als Tempelräuber herum und erzählt, er habe aus Frömmigkeit, nicht aber aus Sparsamkeit seine Gesetze niedergeschrieben. (…) Dabei weiß er wohl, daß die jeweilige Ratsversammlung, wenn sie nur genügend Geld für ihre Regierungsaufgaben hat, keine Fehler begeht – wenn sie aber in Geldnot ist, sich gezwungen sieht, Anklagen entgegenzunehmen und das Vermögen von Bürgern zu verstaatlichen und gerade den Politikern nachzugeben, die das Schändlichste vorschlagen.“

Verteidigung gegen den Vorwurf des Umsturzes der Demo­kratie (25.)

Ein Bürger, der während der Herrschaft der Dreißig in der Stadt geblieben war, verteidigt sich. Dabei findet sich jedoch nichts Individuelles, deshalb möchte ich annehmen, daß es sich nicht um eine verstümmelte Rede, sondern um eine Flugschrift handelt: „[8] Zuerst muß man nämlich wissen, daß kein Mensch von Natur aus oligarchisch oder demokratisch ist, sondern die Staatsform, welche ihm von Nutzen ist, die möchte er gerne herstellen. Daher hängt es von euch ab, daß möglichst viele die bestehende Verfassung unterstützen. (…) [18ff] Ihr solltet nicht die für Feinde halten, die nicht ins Exil gingen, sondern die, die euch vertrieben haben; nicht die, die das ihre zu retten suchten, sondern die, die das Eigentum anderer geraubt haben (…). Ihr wißt alle, daß in der früheren Demokratie viele in der Verwaltung den Staatsschatz beraubten, andere nahmen auf eure Kosten Bestechungen an, andere brachten durch falsche Denunziationen die Bundesgenossen zum Abfall. Und wenn die Dreißig sich bei ihren Strafaktionen auf diese beschränkt hätten, würdet auch ihr sie für tüchtige Menschen halten. Nun aber, da sie für die Vergehen einiger weniger das ganze Volk zu unterdrücken für recht hielten, da seid ihr ergrimmt (…) Es ist bestimmt nicht in Ordnung, sich in der gleichen Weise zu vergehen, wie ihr es bei den Dreißig gesehen habt, und auch nicht, das Unrecht, das ihr selbst erfahren habt, für Recht zu halten, wenn ihr es anderen antut.“

Isokrates: Gegen Kallimachos (18.), Gegen Lochites (20.)

In der Rede Gegen Kallimachos verteidigt sich jemand, der in der Schlußphase der Dreißig, kurz vor der Aussöhnung, an der Beschlagnahmung von Geldern eines der nach Peiraios geflüchteten Demokraten beteiligt war. Die Rede ist formell eine Klage gegen die Zulassung der Klage von Kallimachos, da diese gegen die bei der Aussöhnung beschlossene Amnestie verstößt, und inhaltlich eine Verteidigung dieser Aussöhnung: „[23] Thrasybulos und Anytos [die führenden Gegner der Dreißig] [haben] trotz ihres sehr großen Einflusses unter den Polisbürgern, trotz des Verlustes großer Geldsummen und trotz ihrer Bekanntheit mit den Leuten, die sie [d.h. ihren Besitz] in die Inventarlisten angeblich öffentlichen Eigentums eingetragen hatten, es dennoch nicht gewagt, ihnen einen Prozeß anzuhängen und ihnen gram zu sein. (…) [32] Nach den vielen herrlichen Leistungen unserer Vorfahren im Krieg wurde unserer Polis infolge der Aussöhnung mit unseren Feinden ein nicht geringer Ruhm zuteil. Zwar wird man viele Poleis finden können, die sich in kriegerischen Auseinandersetzungen bewährt haben, niemand aber wird eine Polis anführen können, die in einem Aufruhr im Innern besser beraten gewesen wäre.

Lochites hat den Kläger geschlagen. Der verlorene Anfang der Rede Gegen Lochites wird die Darstellung der Tat enthalten haben. Es geht nun darum, ihre Bedeutung aufzuzeigen: „[5] Lochites freilich wird möglicherweise versuchen, die Angelegenheit herunter zu spielen. Er wird sich vielleicht über meine Anklage lustig machen und behaupten, ich hätte durch die Hiebe keinen Schaden genommen, sondern würde von der Sache mehr Aufhebens machen, als es der Bedeutung des ganzen Vorfalls entspräche. (…) Ich bin aber nicht gekommen, um für die offenkundige Verletzung infolge der Schläge von ihm Genugtuung zu erhalten, sondern für die Beschimpfung und Entehrung durch ihn. Dies sind Delikte, über die sich freie Bürger empören. (…) [9] Ihr werdet nämlich erkennen, daß all die anderen ungerechten Handlungen nur in einem bestimmten Lebensbereich schädlich sind, während Gewalttätigkeit in jeder Hinsicht verletzend wirkt und schon viele Familien vernichtet und viele Städte zerstört hat. (…) Wir selbst haben ja schon zweimal mit ansehen müssen, wie die Demokratie aufgelöst wurde, und schon zweimal wurden wir der Freiheit beraubt, und zwar nicht von denen, die sich irgendwelcher anderen Vergehen schuldig gemacht haben, sondern durch Menschen, die die Gesetze verachten und den Feinden dienen, den eigenen Mitbürgern aber Gewalt antun wollen. Lochites ist einer von ihnen. Und wenn er auch zu jung ist, um an den damaligen Umsturz beteiligt gewesen zu sein, so hat er doch die Gesinnung, die zu jener Verfassung paßt. Solche Charaktere nämlich sind es, die unsere Macht an die Feinde verraten, die Mauern unserer Vaterstadt zum Einsturz bringen und 1500 Bürger ohne Gerichtsverhandlung hinrichten. Es ist also nur konsequent, wenn ihr eingedenk dieser Geschehnisse nicht nur die damaligen Verbrecher bestraft, sondern auch die Leute, die beabsichtigen, unsere Stadt in die gleiche Lage wie damals zu bringen. (…) [13] Wartet nicht, bis sie sich versammelt und einen günstigen Augenblick ergriffen haben, um dann Unheil über die ganze Stadt zu bringen. Bestraft sie vielmehr, aus welchen Grund auch immer sie euch übergeben werden. Glaubt, einen Glücksfund gemacht zu haben, wenn ihr einen zu fassen bekommt, der schon in kleinen Handlungen seine ganze Schlechtigkeit an den Tag gelegt hat. Am besten freilich wäre es, wenn schlechte Menschen irgendein zusätzliches Kennzeichen trügen, so daß man sie bestrafen könnte, bevor einer ihrer Mitbürger durch sie Unrecht leidet. (…) [15] Bedenkt ferner, daß für die Armen kein Vermögen auf dem Spiel steht, daß wir alle aber ohne Unterschied körperliche Mißhandlungen erfahren können. Deshalb nützt ihr zwar den Reichen, wenn ihr Eigentumsdelikte bestraft, wenn ihr aber gegen Gewalttäter vorgeht, nützt ihr euch selbst.“

Isokrates: Über das Pferdegespann (16.)

Bei den Olympischen Spielen des Jahres 416 errang Alkibiades als Besitzer der Gespanne im Wagenrennen zugleich den ersten, zweiten und vierten Platz. Später wurde er angeklagt, nicht der rechtmäßige Besitzer eines der Gespanne zu sein. Zwanzig Jahre später wird der Prozeß gegen den gleichnamigen Sohn des berühmten Alkibiades ausgetragen. Von der von ihm gehaltenen Rede ist nur ein Teil erhalten: Die Behandlung der Eigentumsfragen fehlt, es bleibt eine Apologie des Vaters: Die Beschuldigung des Mysterienfrevels war eine Intrige der Gegner der Demokratie (5ff), das Alkibiades den Spartanern geraten haben soll, bei Dekeleia eine Befestigungsanlage zu errichten, ist eine absurde Verleumdung (10f). Alkibiades’ Flucht nach Sparta und später Persien wird mit dem Verhalten der Demokraten während der Herrschaft der Dreißig verglichen: „[13ff] Was habt ihr denn bei eurem Versuch unterlassen, in die Polis zurückzukehren? Habt ihr nicht nach der Besetzung des Peiraios die Ernte auf den Feldern vernichtet, das Land verwüstet, die Vorstädte niedergebrannt und seid schließlich gegen die Mauern angestürmt? (…) Daher ist es nicht angebracht, wenn ihr Menschen Vorwürfe macht, die das gleiche wollen wie ihr, oder jene für schlechte Menschen haltet, die als Verbannte die Rückkehr in die Heimat zu erreichen suchten, sondern ihr müßt eher die Leute verurteilen, die zu Hause geblieben sind und etwas getan haben, wofür sie die Verbannung verdient hätten.“ – Alkibiades überredete den persischen Satrapen Tissaphernes die Spartaner nicht mehr zu unterstützen und gab nach der Herrschaft der Vierhundert „[20] dem Volk die Teilhabe am Polisleben zurück.“ – Es folgen Alkibiades’ Familie (25ff), seine Leistungen für die Polis (32ff) und sein Verhalten als Bürger (36ff, darin nochmals seine Gegnerschaft zu den Vierhundert und den Dreißig). – Sein Ankläger Teisias ist dagegen ein Schwager von Charikles, der zu den Dreißig gehörte (42).

Gegen Alkibiades (14.)

Vermutlich zu Beginn des korinthischen Krieges wurde der junge Alkibiades als Hoplit gemustert, trat jedoch bei der Reiterei seinen Dienst an. Obwohl dieses Vorgehen anscheinend üblich war und er so, mit dem hohen Aufwand für Pferde, Reitknecht usw. eine größere finanzielle Leistung für die Polis erbrachte, als von einem Hopliten verlangt wurde, wurde er deshalb angeklagt. Die überlieferte Rede ist zusätzlich zur Hauptanklage gehalten worden. – Im ersten Teil der Rede verteidigt der Sprecher der Rede die Anwendung des Gesetzes über Deserteure (die „[6] aus der Schlacht nach hinten entweichen“) auf diesen Fall. – Dann folgt die Überleitung zum Alkibiades- Thema: „[12] Außerdem müßt ihr eure Urteile nicht allein über die vor euch stehenden Übeltäter abgeben, sondern auch, damit ihr andere von ihrer Insubordination abhaltet und zum Nachdenken bringt. Wenn ihr freilich Leute bestraft, die keiner kennt, wird sich kein anderer bessern. Denn es wird ja keiner wissen, wie ihr geurteilt habt. Bestraft ihr dagegen bekannte Angeklagte, so werden davon alle erfahren.“

Der junge Alkibiades wird angeklagt, weil er Alkibiades’ Sohn ist: „[17] Als er noch ein Kind war, wäre er den Verbrechen seines Vaters wegen beinah den Henkern übergeben worden, als man sein eigentliches Wesen noch gar nicht erkennen konnte. Jetzt, da ihr erkennt, was er zu den Taten seines Vaters noch zusätzlich in seiner Schlechtigkeit fertigbringt, solltet ihr es für richtig halten, um seines Vaters willen mit ihm Mitleid zu haben?“ – Im folgenden bezieht sich der Ankläger auf die Verteidigung des jungen Alkibiades in dem früheren Prozeß: „[32f] Aus tausend anderen Gründen, ihr Herren, muß er wohl verurteilt werden und besonders, weil er eure patriotischen Taten als Beispiele für seine eigene Schlechtigkeit gebraucht. Denn er hatte die Dreistigkeit zu behaupten, [sein Vater] Alkibiades habe nichts schlechtes getan, als er gegen seine Vaterstadt zu Felde zog. Denn auch ihr hättet im Exil Phyle besetzt, Bäume umgehauen und die Mauern Athens angegriffen, und damit hättet ihr euren Kindern nicht etwa Schande hinterlassen, sondern Ruhm bei allen Menschen erworben, so als ob kein Unterschied sei zwischen denen, die als Verbannte auf der Seite der Feinde gegen ihr Land zu Felde ziehen, und denen, die um ihre Rückkehr kämpften, als die Spartaner die Stadt besetzt hielten. (…) [39] Wenn ihr Mitleid fühlt mit den in der Seeschlacht gefallenen oder euch für die Versklavten schämt oder über die Niederreißung der Langen Mauern ergrimmt seid oder die Spartaner haßt oder den Dreißig zürnt – dann müßt ihr den Vater des Angeklagten für verantwortlich für alle Übel halten und bedenken, daß eure Vorfahren schon seinen Urgroßvater Alkibiades und den Großvater seines Vaters mütterlicherseits, Megakles, beide zweimal durch das Scherbengericht verbannt haben und die älteren von euch schon seinen Vater zum Tode verurteilt haben.“

Über die Beschlagnahmung des Eigentums von Nikias’ Bruder (18.)

Diese Rede verdankt ihre teilweise Überlieferung dem Interesse an dem Schicksal der Nachfahren von Nikias, der zweiten großen tragischen Gestalt des Peloponnesischen Krieges. (Nikias mußte nach Alkibiades’ Verbannung aufgrund des angeblichen Mysterienfrevels das Kommando über die sizilianische Expedition, die er vergeblich zu verhindern suchte, übernehmen und wurde nach ihrem Scheitern 413 in Syrakus hingerichtet.) Aus ihr erfahren wir, daß Nikias’ Sohn Nikeratos (der bei Platon und Xenophon eine Rolle spielt) von den Dreißig hingerichtet wurde (4). Weshalb jedoch das Eigentum des inzwischen verstorbenen Diognetos verstaatlicht werden soll, bleibt in der Rede, dessen Sprecher der Sohn von Eukrates, eines weiteren Bruders von Nikias ist, völlig unklar. – „[9ff] Diognetos mußte, von Denunzianten verleumdet, ins Exil gehen. Er gehörte zu den wenigen Vertriebenen, die nicht gegen die Stadt zu Felde zogen oder nach Dekeleia gingen. (…) Unter der Oligarchie führte er kein Amt. Aber sobald die Spartaner und die Leute des Pausanias in den heiligen Bezirk des Heros Akademos gekommen waren, nahm er den Sohn des Nikeratos und uns, die wir noch klein waren, legte ihn auf die Knie des [spartanischen Königs] Pausanias und stellte uns neben sich und sagte zu ihm, was wir erlitten hatten und welches Unglück uns zugestoßen war. Und er bat den Pausanias, uns um der alten Verbundenheit und Gastfreundschaft willen beizustehen und uns an denen zu rächen, die sich gegen uns vergangen hatten. Von daher begann Pausanias, dem Volk sein Wohlwollen zuzuwenden, wobei er den andern Spartanern unser Unglück als Beispiel der Schlechtigkeit der Dreißig angab.“

Athens Scheitern im korinthischen Krieg

Über das Vermögen des Aristophanes (19.)

Der Athener Konon, der in den letzten Jahren des Peloponnesischen Krieges zum zyprischen König Euagoras geflüchtet war, vernichtete 394 bei Knidos als persischer Admiral die Seemacht der Spartaner und unterstützte mit persischen Geld den Wiederaufbau der Mauern Athens. 392 wandten sich die Perser wieder Sparta zu und verhafteten Konon auf dem Friedenskongreß in Sardeis. Konon flüchtete zu Euagoras, wo er bald darauf starb. Nach dem Ausbruch des Krieges zwischen Euagoras und den Persern wurden sein Unterbefehlshaber Nikophemos und dessen Sohn Aristophanes in Athen hingerichtet.

In der Rede Über das Vermögen des Aristophanes (19.) verteidigt der Bruder von Aristophanes’ Witwe seinen Vater gegen den Vorwurf, der Staatskasse verfallenes Vermögen von Aristophanes zu verbergen. Eine schwierige Aufgabe: er darf den Hin­gerichteten nicht offen verteidigen, muß aber doch Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Verurteilung für sich nutzen; er darf das eigene Vermögen nicht zu groß erscheinen lassen, muß aber doch darstellen, daß die Familie schon immer wohlhabend war und es sich bei dem, was sie haben, nicht um Aristophanes’ Geld handelt.

„[5ff] Die Mehrzahl von euch wird wissen, daß Verleumdung das Schlimmste auf der Welt ist. Das kann man am besten beobachten, wenn eine ganze Reihe Leute unter der gleichen Beschuldigung vor Gericht kommen. Denn in allgemeinen kommen die, deren Fall zuletzt verhandelt wird, davon; da hat sich euer Zorn gelegt, ihr hört sie an und nehmt ihre Gegenrede schon gern hin. Bedenkt nun, daß Nikophemos und Aristophanes ohne Verfahren hingerichtet wurden, bevor ihnen jemand gegen die Anklage beistehen konnte. Keiner hat sie nach ihrer Verhaftung wiedergesehen, denn nicht einmal ihre Leichen waren zur Bestattung freigegeben, sondern so schrecklich war ihr Unglück, daß sie außer allem anderen noch dieser letzten Ehre beraubt wurden. Nun, das lasse ich beiseite; es kann ja doch nichts helfen. Viel elender kommen mir die Kinder des Aristophanes vor. (…) Sie haben nicht allein ihr väterliches Erbe verloren gegen eure Gesetze, sondern was ihre einzige noch vorhandene Hoffnung war, vom Erbteil ihres Großvaters aufgezogen zu werden, ist in große Gefahr geraten. (…)

[18ff] Aristophanes (…) pflegte mit vielen Leuten lieber Kontakt als mein Vater. Denn sie waren im Alter ganz verschieden, mehr noch ihrer Natur nach. Mein Vater hielt es für richtig, sich um seine Dinge zu kümmern, Aristophanes wollte (…) in der Öffentlichkeit wirken. Wenn er Geld hatte, gab er es aus, damit er angesehen würde. (…) Zunächst, als Konon [vermutlich 393] jemanden nach Sizilien schicken wollte, bot er sich an. Der Zweck der Reise lag in der Hoffnung, den Dionysios zu überreden, daß er sich mit Euagoras verschwägern, aber gegen die Spartaner feindlich sein und mit euer Stadt in Freundschaft sich verbünden solle. Sie brachten den Dionysios dazu, die Trieren, die er damals für die Spartaner ausgerüstet hatte, nicht auszusenden. Danach, als die Gesandten aus Kypros mit der Bitte um Hilfe [für Euagoras gegen die Perser] kamen, ließ er es an Eifer nicht fehlen. Ihr habt ihnen zehn Trieren und durch Abstimmung alles Material gegeben, aber Geld für die Abreise hatten sie nicht.“ Aristophanes wandte sein ganzes Vermögen und alles, was er borgen konnte, für diesen Zweck auf. „[25] Der wichtigste Beweis: Demos, der Sohn des Pyrilampes, der ein Kriegsschiff für Kypros ausrüstete, bat mich, zu Aristophanes zu gehen; er sagte, daß er zur Beglaubigung vom Großkönig einen goldenen Becher bekommen habe; er werde ihn den Aristophanes für 16 Minen verpfänden, damit er Geld für die Trieren- Ausstattung hätte. Wenn er nach Kypros käme, wollte er ihn gegen 20 Minen auslösen.“ Nur weil Aristophanes kein Geld mehr hatte, schlug er diesen Handel aus!

Es folgt eine Vermögensrechnung. Nikophemos und Aristophanes werden doch sicher nicht mehr Geld gehabt haben, als der Oberbefehlshaber Konon! „[38f] Gesetzt den Fall, ihr würdet das Vermögen des Timotheos [Konons Sohn] verstaatlichen, was der Himmel verhüte, es sei denn, die Stadt hätte einen großen Nutzen davon – ihr könntet aber noch weniger aus dem Verkauf erlösen als aus dem Vermögen des Aristophanes, hieltet ihr es deshalb für richtig, daß seine Verwandten ihr persönliches Eigentum verlieren? Der Tod des Konon und seine letztwilligen Verfügungen, die er in Kypros niedergelegt hat, zeigen ganz deutlich, daß sein Vermögen nur ein Bruchteil von dem war, was ihr erwartetet.“ Auch Nikias, Hipponikos, „[48] Kleophon, der viele Jahre alle Geschäfte in der Stadt in der Hand hatte“ und Alkibiades haben sehr viel weniger hinterlassen, als man annahm. – Sein Vater ist ein verdienstvoller Mann, der viele Aufführungen und sieben Trieren ausrüstete. Seinen anständigen Charakter hat er siebzig Jahre bewiesen.

Gegen Epikrates (27.), Gegen Ergokles (28.), Gegen Philo­krates (29.)

Epikrates wird der Unterschlagung beschuldigt. Hier ist unbestimmt von Politikern die Rede, die sich vorher nicht selbst ernähren konnten und im Krieg so reich geworden sind, daß sie hohe Steuern zahlen müssen und in großen Häusern wohnen (10). Wie die beiden folgenden Reden ist Gegen Epikrates eine Zusatzrede zu einer bereits gehaltenen Anklage, so daß wir den eigentlichen Vorwurf nicht kennen. (395 schickten die Perser den Rhodier Timokrates, um Politiker in griechischen Staaten zu bestechen und zum Aufstand gegen Sparta zu bewegen. Die Hellenika aus Oxyrhynchos und Pausanias [III 9,8] nennen unter den Bestochenen auch den Athener Epikrates.)

Ergokles und Philokrates waren als Unterbefehlshaber von Thrasybulos in Kleinasien und wurden nach ihrer Rückkehr angeklagt, sich auf Kosten der Verbündeten bereichert zu haben. Thrasybulos selbst steht nur deshalb nicht vor Gericht, weil er 389 in Kleinasien fiel. „[5ff] Er [Ergokles] riet dem Thrasybulos, die Stadt Byzanz einzunehmen, die [Athener] Schiffe zu behalten und die Tochter des [Thrakerfürsten] Seuthes zu heiraten. >Damit das ihre Verleumdungen stoppt<, sagte er, >denn du wirst ihnen beibringen, nicht dazusitzen und Pläne gegen dich und deine Freunde zu schmieden, sondern Angst um ihr Leben zu haben.< So, ihr Herren, sobald sie sich nur vollgestopft und euer Vermögen durchgebracht hatten, betrachteten sie sich als Fremde für diese Stadt. Denn sobald sie zu Geld gekommen sind, hassen sie euch und bereiten sich vor, nicht mehr von euch regiert zu werden.“ Später wird die Verurteilung von Ergokles als Hilfeleistung für die von ihm ausgeplünderten Bundesgenossen gefordert! – Nach der Hinrichtung von Ergokles wurde Philokrates angeklagt, das angeblich von Ergokles zusammengeraubte Vermögen unterschlagen zu haben. Noch fünfzehn Jahre nach dem Sturz der Dreißig zerfällt die Stadt in zwei Gruppen: „[12] Als Ergokles vor Gericht stand, gingen sie [seine Mittäter] umher und erzählten, sie hätten 500 von der Gruppe aus dem Peiraios für sich gewonnen und 1600 von denen aus der Stadt.“

Gegen die Getreidehändler (22.)

Athen war auf die Einfuhr von Getreide angewiesen. In Kriegszeiten machte diese Abhängigkeit die Stadt verwundbar. (In der Hellenika bringt Xenophon unmittelbar vor seiner Darstellung des Königsfriedens die Nachricht, daß der Spartaner Antalkidas eine Flotte von Getreideschiffen aus dem Schwarzen Meer abfing [V 1,28]). – Die Rede Gegen die Getreidehändler setzt sehr vorsichtig ein. Offenbar hatte man schon oft Getreidehändler, zumeist Metöken, für den Nahrungsmangel verantwortlich gemacht und wegen angeblicher Schiebereien zum Tode verurteilt, so daß die Fragwürdigkeit der meisten Beschuldigungen vielen mittlerweile deutlich war. Der Kläger behauptet, im Rat dafür gesorgt zu haben, daß die Beschuldigten nicht gleich den Henkern übergeben wurden, sondern einen ordentlichen Prozeß bekamen.

Gesetze regelten, daß niemand mehr als 50 Scheffel kaufen durfte. Die Beklagten gaben zu, mehr gekauft zu haben. Dazu haben sie die Archonten aufgefordert. „[8] Als sie die Schuld immer wieder auf die Archonten schoben, haben wir sie kommen lassen und befragt. Zwei leugneten jegliche Kenntnis dieser Angelegenheit. Anytos berichtete, daß im vergangenen Winter, als das Getreide so teuer war und diese Leute sich gegenseitig überboten und im bittersten Wettbewerb standen, er ihnen geraten habe, mit der Konkurrenz Schluß zu machen; denn er glaubte, daß er euch als ihren Kunden nur nützen könne, wenn die zu einem möglichst vernünftigen Preis kauften, weil sie beim Verkauf nicht mehr als eine Obole [pro Scheffel] aufschlagen durften. (…) [12] Wenn sie das euretwegen täten, müßten sie [aber] viele Tage das Getreide zum selben Preis verkaufen, bis ihnen der aufgekaufte Vorrat ausginge. Nun verkauften sie bisweilen am selben Tage die gleiche Menge um eine Drachme teurer.“ – Der Schluß der Rede legt die Vermutung nahe, daß die geschädigten Großhändler hinter der Klage standen: „[21] Wirklich, nicht einmal wenn sie euch bäten und anflehten verdienten sie euer Mitleid, sondern vielmehr die Bürger, die wegen ihrer Schlechtigkeit umgekommen sind, und die Importeure, gegen die sie sich zusammengetan hatten. Denen zeigt ihr euch geneigt, und ihre Bereitschaft werdet ihr vergrößern, wenn ihr diese bestraft. Falls aber nicht – was meint ihr wohl, werden sie denken bei der Nachricht, daß ihr von den Händlern gerade die freigesprochen habt, die sich nach eigenen Geständnis gegen die Korn einführenden Kapitäne verschworen haben?“ Zuletzt ein drohendes Asyndeton: „Wenn ihr diese verurteilt, handelt ihr gerecht und werdet das Getreide billiger kaufen – wenn nicht, teurer.“

Olympiakos (Fragment)

Diodor berichtet, daß Dionysios zu den Olympischen Spielen des Jahres 388 neben mehreren ausgezeichneten Viergespannen auch Rhapsoden schickte, die dort seine poetischen Werke deklamieren sollten. Von den wohlklingenden Stimmen der Rhapsoden angelockt, strömten die Massen zusammen, „doch sobald ihnen die Minderwertigkeit der Verse offenbar wurde, machten sie sich über Dionysios lustig, und einige gingen in ihrer Ablehnung so weit, die Plünderung seiner Zelte zu wagen. Der Redner Lysias peitschte nämlich damals in Olympia die Massen auf, jene Abgesandten der ruchlosesten Tyrannis nicht bei den heiligen Spielen auftreten zu lassen; zugleich trug er seine Rede mit dem Titel Olympiakos vor.“ (XIV 109,2f) – Dionysios aus Halikarnassos, der wie Diodor kurz vor der Zeitenwende schrieb, überlieferte in seinen Werk den Anfang des Olympiakos. Nach einen Lob des Friedensbringers Herakles hieß es darin „Wir sehen, daß wir von allen Seiten von großen Gefahren umgeben sind. Ihr wißt, daß die Herrschaft denen gehört, die das Meer beherrschen, daß aber der Verwalter des Reichtums der [persische] König ist, daß sich die Hellenen demjenigen Unterwerfen, der Geld ausgeben kann, daß viele Schiffe der König besitzt, viele aber auch der Tyrann von Sizilien. Deshalb ist es richtig, dem inneren Kampf ein Ende zu setzen, einmütig nach Rettung zu streben, sich der unmittelbaren Vergangenheit zu schämen, sich um die Zukunft Sorgen zu machen und unseren Vorfahren nachzueifern, die es erreichten, daß die Barbaren, wenn sie nach der Eroberung fremden Landes strebten, ihr eigenes verloren, und welche die allen gemeinsame Freiheit durch die Vertreibung der Tyrannen begründeten. Ich wundere mich vor allem über die Spartaner; denn ich verstehe es nicht, wie sie es zulassen, daß Hellas vom Feuer verwüstet wird; sie; die nicht zu Unrecht eine Vormachtstellung unter den Hellenen innehaben.“

Weitere Reden

Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes (1.)

Schon Dionysios aus Halikarnassos sah die besondere Leistung von Lysias in der individuellen Charakterzeichnung – oder besser Gestaltung, denn es handelt sich ja nicht unbedingt um das tatsächliche Wesen des jeweiligen Redners, sondern um maßgeschneiderte Kostüme mit genau berechneter Wirkung. Die Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes ist Lysias’ Meisterwerk und wurde von den antiken Herausgebern zurecht an die erste Stelle gesetzt: Euphiletos präsentiert sich als einfältiger Bauer, dem lange verborgen blieb, daß seine Frau ihn mit Eratosthenes betrügt: „[11ff] Die Zeit verging, da kam ich unerwartet vom Feld. Nach dem Essen aber begann das Kind zu schreien und mißvergnügt zu sein, weil es das Hausmädchen absichtlich zu diesem Zweck ärgerte. Der Mann war ja drinnen im Haus. Das hab ich alles später erfahren. So forderte ich meine Frau auf, zu gehen und dem Kind die Brust zu geben, damit es mit dem Geschrei aufhöre. Sie aber zeigte sich zunächst unwillig, als ob sie mich gern nach langer Zeit zu Hause sähe. Als ich aber ärgerlich wurde und sie gehen hieß, sagte sie: >Damit du dich hier an das junge Mädchen heranmachen kannst? Schon früher hast du sie im Rausch an dich gezogen.< Und ich lachte, sie aber steht auf, geht hinaus, schließt die Tür – sie tut so, als ob sie scherzt – und zieht den Schlüssel ab. Ich denke mir nichts dabei, und schlafe, vom Feld gekommen, zufrieden ein.“ Als man ihm den Ehebruch endlich zuträgt, erinnert er sich: „[17] Ich dachte daran, wie ich in meinem Zimmer eingeschlossen war, erinnerte mich, daß in jener Nacht die innere und die äußere Hoftür geknarrt hatte und daß mir schien, als habe sich meine Frau gepudert.“

Euphiletos wartete auf eine Gelegenheit, Eratosthenes auf frischer Tat zu stellen. Als sich diese schließlich ergab, schlich er sich aus dem Haus und rief Freunde und Nachbarn zusammen: „[24ff] Wir stießen die Tür des Schlafraumes auf, und die ersten von uns, die hineingingen, konnten ihn noch bei meiner Frau liegen sehen; die Folgenden sahen ihm Nackt im Bette stehen. Jener gestand sein Unrecht ein, bat und flehte, ich solle ihn nicht töten, sondern Geld fordern. Ich aber sagte: >Nicht ich werde dich töten, sondern das Gesetz der Stadt, das du übertreten hast…<“ Das Opfer selbst gesteht dem Täter das Recht zur Tat zu, und anstelle des Berichtes über sein Ende wird das Gesetz zitiert. Erst dann erfahren wir, wessen Euphiletos beschuldigt wird: „[28] Er [Eratosthenes] wurde nicht von der Straße hineingezerrt (…) wie es diese [seine Verwandten, die Kläger] behaupten.“ Nach Euphiletos’ Argumentation, daß das Gesetz die Tötung von Ehebrechern geradezu fordere (30-36) folgt ein vielleicht kurzfristig eingefügter Teil, in dem die Anschuldigung, Euphiletos hätte Eratosthenes eine Falle gestellt, widerlegt werden soll: Euphiletos hat noch am Abend einen Freund bei sich bewirtet, der erst spät nach Hause ging. „[41] Bedenkt dies, ihr Herren: Wenn ich es in jener Nacht auf Eratosthenes absehen wollte, war es dann besser für mich, anderswo zu essen oder meinen Gast zu mir mitzunehmen? Denn da hätte es jener doch weniger gewagt, ins Haus einzudringen. Scheint es euch weiter richtig, daß ich meinen Gast gehen ließ und allein und ohne Hilfe zurückblieb oder das ich ihn zu bleiben aufforderte, um mit mir zusammen den Ehebrecher zu bestrafen?“

Verteidigung gegen Simon (3.)

Simon beschuldigte den namenlos bleibenden Sprecher dieser Rede, versucht zu haben, ihn zu töten. Beide wollten den schönen Knaben Theodotos. In dieser Rede liegt die Kunst des Lysias darin, den Sprecher als Männlein erscheinen zu lassen, dem das alles ungeheuer peinlich ist und der nur aufgrund seiner Schüchternheit Simon nicht schon längst wegen dessen Gewalt­tätigkeit angezeigt hat. Es gibt knappe dramatische Schilderungen („[18] Da gab es einen Kampf, der Knabe bewarf sie mit Steinen, um sich zu verteidigen, sie warfen nach uns, und in ihrer Trunkenheit schlugen sie sogar ihn, und ich wehrte mich, Passanten mischten sich ein, um uns zu helfen, weil wir die Angegriffenen waren: in diesen Durcheinander zerschlugen wir uns alle die Köpfe.“), verzweifelt nervöse Ausbrüche („[32ff] Wie könnt ihr denn glauben, daß ich zuerst mit den Knaben aus der Stadt wegsegelte, um einen Kampf mit dem da zu vermeiden, nach der Rückkehr aber ihn zu Simons Haus brachte, von dem ich die größten Schwierigkeiten zu erwarten hatte? Und obwohl ich böse Pläne gegen ihn hatte, kam ich so unvorbereitet, daß ich mir weder Freunde noch Diener noch irgendeinen Menschen zur Hilfe geholt hatte … So verrückt wäre ich gewesen, daß ich in böser Absicht gegen Simon ihn nicht aufgelauert habe, wo ich ihn allein fassen konnte, sondern zu ihm ging, wo mich möglichst viele Leute sehen und verprügeln konnten? Als ob ich plante, mir selbst so großen Schaden wie möglich zuzuziehen.“) und kurz vor Schuß ein Asyndeton: „[46] Dies sind die Männer, die mit Gewalt in mein Haus eindrangen, die mich verfolgten, die uns gewaltsam überfielen und vom Wege rissen.“

Rede über die Verweigerung der Rente an einen Invaliden (24.)

Der Sprecher der Rede wehrt sich gegen drei Behauptungen: er betreibe ein Gewerbe, reite und habe Umgang mit schlechten Menschen – so daß er eine Rente (die kurz vor Ende des Peloponnesischen Krieges von Kleophon eingeführte diwbelia – das Diobolon war eine attische Münze im Wert von zwei Obolen –) nicht brauche und ihrer überhaupt unwürdig sei. Nichts davon wird abgestritten: Das Gewerbe wirft fast nichts ab, er reite grade wegen seiner Invalidität und aufgrund seiner Armut auf einen gemieteten Maultier und auf dem Markt treffen sich halt Menschen aller Art. – Statt dessen betont der angebliche Invalide seine Würde, fragt nach den Motiven desjenigen, der ihm die Rente streitig macht, versucht ein augenzwinkerndes Einverständnis mit dem Gericht herzustellen und verweist zuletzt auf die Bedeutungslosigkeit seines Falls: „[1ff] Beinahe fühle ich mich meinen Ankläger zu Dank verpflichtet, Hoher Rat, weil er diesen Prozeß gegen mich angestrengt hat. Früher hatte ich ja keine Veranlassung, über mein Leben Rechenschaft abzulegen; jetzt habe ich sie, mit Hilfe dieses Mannes. Ich werde in meiner Rede darlegen, daß dieser ein Lügner ist, ich aber bis zum heutigen Tage einen eher des Lobes als des Neides würdigen Lebenswandel geführt habe. Denn aus keinen anderen Grund als aus Neid scheint dieser den Prozeß hier angestrengt zu haben. Freilich, wer diejenigen beneidet, die von andren bedauert werden: vor welcher Gemeinheit schreckt ein solcher Mensch zurück? Denn falls er mich wegen Geldes anzeigt –; wenn er aber an mir als seinen Feind Rache nehmen will, dann lügt er. Denn gerade wegen seiner Gemeinheit habe ich weder als Freund noch als Feind jemals mit ihm zu tun gehabt. So beneidet er mich also offensichtlich, Hoher Rat, weil ich, obgleich von einem solchen Unglück geschlagen, ein besserer Bürger bin als er. Denn ich bin der Meinung, man muß die Gebrechen des Körpers mit Hilfe seelischer Bestrebungen ausgleichen.“ Mit dem Neid des Gesunden, der jeden Tag arbeiten muß, auf ein ärmliches, aber zwangloses Leben zu argumentieren ist vielleicht von einem kynischen Lob der Bedürfnislosigkeit angeregt. Zum Beweis seiner Anständigkeit führt der Sprecher der Rede aus, daß er während der Herrschaft der Dreißig ins Exil nach Chalkis ging (25).

Für Manititheos (16.)

Manititheos stellt sich der Überprüfung vor der Übernahme eines Amtes und nutzt die Gelegenheit zu einer umfassenden Selbstdarstellung: „[1] Wenn mir nicht bewußt wäre, daß die Ankläger mir auf alle erdenkliche Weise schaden wollten, wüßte ich ihnen herzlichen Dank für diese Anklage. Denn ich glaube, daß die zu Unrecht Verleumdeten einen großen Nutzen von ihren Anklägern haben: diese zwingen sie, sich einer genauen Untersuchung ihrer Lebensführung zu unterziehen. (…)

[3f] Als erstes will ich beweisen, daß ich [während der Herrschaft der Dreißig] nicht zur Reiterei gehört habe. Unser Vater schickte uns vor dem Unheil im Helles­pont zu Satyros an das Schwarze Meer, daß wir uns dort aufhalten sollten, und so waren wir nicht in Athen, weder als sie die langen Mauern niederrissen noch als die Verfassung geändert wurde. Wir kamen hierher zurück fünf Tage, ehe die von Phyle in den Peiraios zurückkehrten. (…) [6ff] Aus dem Register die Namen von Reitern herauszusuchen, ist geradezu kindisch. In diesem Register stehen nämlich viele nicht verzeichnet, die nach eigener Aussage als Reiter gedient haben, einige aber, die im Ausland waren, sind aufgeführt. Das Folgende ist der hauptsächlichste Beweis: Als ihr nämlich zurückkamt, habt ihr beschlossen, daß die Phylarchen die ehemaligen Reiter aufschreiben sollten, damit ihr von ihnen die staatliche Beihilfe [für den Unterhalt der Pferde] zurückerlangen konntet. Nun gut, keiner wird beweisen können, daß ich von den Phylarchen aufgeschrieben noch der Kommission vorgestellt worden bin und eine Beihilfe zurückgezahlt habe. Und doch wissen alle ganz klar, das die Phyl­archen gezwungen waren, wenn sie nicht die Empfänger der Beihilfe meldeten, selbst zu zahlen. (…) Dazu kommt noch, wenn ich Reiter gewesen wäre, würde ich es wirklich nicht leugnen, sondern ich würde glauben, falls ich beweisen könnte, ich hätte keinem Bürger böses getan, daß ich auch gut durch die Überprüfung hindurchkomme. Ich sehe, daß ihr der gleichen Meinung seid – denn viele der damaligen Reiter sitzen im Rat, viele wurden zu Strategen gewählt.“

Er hat seine Privatangelegenheiten gut geordnet und bei Haliartos und im Feldzug von Korinth als Hoplit gedient: „[18] Was die anderen Feldzüge und Wachposten angeht, so habe ich nie meine Pflicht versäumt, sondern bin die ganze Zeit mit den ersten vormarschiert und den letzten zurückgegangen. Nach einer solchen Lebensführung muß man die ehrliebenden, ordentlichen Staatsbürger beurteilen und nicht bloß, weil einer sein Haar lang trägt, ihn deswegen hassen.“

Verteidigung wegen der Beseitigung eines Ölbaumstumpfes (7.)

Der Sprecher der Rede gibt sich überrascht: „[2f] Besonders verwirrend ist dieser Prozeß für mich, weil sie mich zuerst anklagten, ich hätte einen heiligen Ölbaum aus der Erde entfernt, und zu den Aufkäufern der Oliven von den geweihten Ölbäumen gingen und sie fragten.“ Heilig waren Olivenbäume, die für direkte Abkömmlinge des ersten, von Athene erhaltenen, galten. Ihr Öl wurde in Preisamphoren den Siegern bei den Panathenäen überreicht (vgl. Aristoteles, Der Staat der Athener 60). „Als sie auf diese Weise keine Schuld meinerseits finden konnten, sagten sie jetzt, ich hätte einen Ölbaumstumpf beseitigt; sie glauben nämlich, daß ich diesen Vorwurf nur schwer widerlegen kann (…). Und ich muß, der ich doch erst hier, gemeinsam mit euch, die ihr das Urteil sprechen sollt, von der Sache gehört habe (…) um mein Vaterland und meine Existenz kämpfen.“ Die Abschwächung der Klage wird geschickt ausgenutzt. Wir sollen glauben, daß der Redner improvisiert. Aber das Ergebnis der Zeugenbefragung war doch sicherlich bekannt und diese Wendung absehbar! (In Lysias’ 4. Rede heißt es: „[4] Und das ich die Wahrheit sage, wissen Philenos und Diokles, aber sie dürfen ja nicht als Zeugen auftreten, weil sie nicht [in der Voruntersuchung] für den Prozeß eingeschworen wurden.“ Auch hier versucht Lysias mit einen Trick Verfahrensvorschriften zu umgehen – oder für sich auszunutzen.)

Es folgt die wechselvolle Geschichte des Grundstückes in diesen bewegten Jahren: Es gehörte Peisandros, der nach dem Sturz der Vierhundert enteignet wurde. Danach bekam es ein Apollodoros, der bei der Ermordung des Phrynichos mitwirkte (vgl. 13,71), als Geschenk der Polis. 404 verkaufte es dieser, vermutlich aus Angst vor einer Enteignung nach dem nächsten Umschwung (4). Hier kann der Redner seine demokratische Gesinnung zeigen und für den möglichen Verlust geweihter Ölbäume die Verwüstung des Landes durch die Spartaner verantwortlich machen. – Später zeigt er in der Art von Gorgias’ Palamedes die Unmöglichkeit der Tat (15ff).

Gegen Diogeiton (32.)

Diese von Dionysios aus Halikarnassos unvollständig überlieferte Rede ist die einzige erhalten Lysiasrede aus einem Vormundschaftsprozeß. Diogeiton hatte seine Tochter seinem Bruder Diototos zur Frau gegeben. Dieser fiel 409 bei Ephesos. Nachdem der ältere seiner Enkel mündig wurde, jagte er ihn und seine Geschwister aus dem Haus: „[9] >Ich habe eine Menge von meinem Vermögen für euren Unterhalt ausgegeben<, sagte er, >und solange ich es vermochte, hat es mir nichts ausgemacht, nun stehe ich aber selbst mittellos da. Nun, da du mündig geworden bist, sieh selbst, woher du etwas zum Leben bekommst.<“ Die Enkel kamen daraufhin zu dem Mann ihrer Schwester, dem Sprecher der Rede, und gingen mit ihm zu ihrer Mutter: „[11f] Schließlich bat mich ihre Mutter flehentlich, die Freunde und den Vater zusammenzubringen, wobei sie sagte, sie sei zwar nicht gewohnt, unter Männern zu sprechen, werde aber von der Größe des Unglückes gezwungen (…). Als sie nun versammelt waren, fragte ihn die Frau, was er nur für ein Herz habe, so gegen die Kinder vorzugehen. >Dabei bist du der Bruder ihres Vaters, mein Vater, ihnen Onkel und Großvater. Und wenn du dich vor keinen Menschen scheust<, sagte sie, >so solltest du dich vor den Göttern fürchten.<“ Die Frau klagt nicht nur, sondern rechnet sogar die Höhe des unterschlagenen Vermögens von Diodotos vor! Dafür zeigt sie Unterlagen vor, achtlos weggeworfene Dokumente, die sie bei einem Umzug fand. Der Redner fährt fort, ihre damalige Rede wiederzugeben: „[16f] >Du hast es für richtig gehalten, diese hier aus ihrem eigenen Haus zu verstoßen, in ihren abgetragenen Kleidern, ohne Schuhe, ohne einen Dienstboten, ohne Bettzeug, ohne Wäsche und Mäntel, ohne den Hausrat, den ihr Vater ihnen hinterlassen hatte, ohne das Vermögen, das er bei dir hinterlegte. Und jetzt ziehst du die Kinder, die du von meiner Stiefmutter hast, glücklich in Hülle und Fülle auf – da tust du recht daran –, aber meinen Kindern tust du bitter unrecht, die du aus dem Haus gejagt und ehrlos gemacht hast, und wagst es, diese öffentlich dreist aus Reichen arm zu machen. Bei solchen Tun fürchtest du weder die Götter, noch schämst du dich vor mir, die alles weiß, noch denkst du an deinen Bruder, sondern achtest alle für nichts, wenn du nur das Geld hast.<“

[Weitere Reden]

Über eine vorsätzlich zugefügte Wunde (4.) ist der Schluß der Verteidigung eines Mannes, der von seinem Freund angeklagt wurde, im Streit um eine ihnen gemeinsam gehörende Sklavin versucht zu haben, ihn umzubringen.

Theomnestos hatte dem Kläger vorgeworfen, während der Herrschaft der Dreißig seinen Vater umgebracht zu haben. In Gegen Theomnestos (10.) wird ihm deshalb Verleumdung vorgeworfen: „[6f] Er wird vorbringen, was er frech schon bei der Voruntersuchung getan hat, es gehöre nicht zu den verbotenen Beschuldigungen zu sagen, jemand habe seinen Vater umgebracht, das Gesetz verbiete nicht dies, sondern nur die Bezeichnung >Mörder<. Ich bin sicher, daß ihr nicht nach den verschiedenen Worten unterscheidet, sondern nach ihrem Inhalt.“ Wegen der folgenden Ausführungen zu den Wandel von Wortbedeutungen wurde diese Rede vermutlich überliefert.

In Über das Vermögen des Eraton (17.) versucht der Redner, aus dem nach dem Sturz der Dreißig enteigneten Besitz von Eratons Sohn den Gegenwert für ein Darlehen, das sein Großvater Eraton gab, zurückzuerlangen.

Aus dem erhalten Schluß der Verteidigung wegen des Vorwurfes der Bestechlichkeit (21.) erfahren wir, das ein Athener stolz darauf war, gegen Ende des peloponnesischen Krieges als Chorege für eine Tragödienaufführung 30 Minen und für den siegreichen Männerchor bei den Thargelien 2000 Drachmen aufgewandt zu haben. Wir erfahren noch eine ganze Reihe weiterer Aufwendungen. Der Beschuldigte will zeigen, daß das Volk mehr von seinem Vermögen hat, wenn er es für sie verwendet, als wenn es ihm weggenommen würde.

Die ganz kurze Rede Gegen Pankleon (23.) ist eine Variante des Themas „Der betrogene Betrüger“. (Um die Kürze der Rede zu betonen, blieben hier im veröffentlichten Text die Aufforderungen „Bitte stoppe die [die Redezeit bemessende] Wasseruhr“ vor den Zeugenaussagen mehrfach stehen.) – Pankleon hatte sich, als er beim für Prozesse gegen Metöken zuständigen Archon Polemarchos angezeigt wurde, darauf berufen, ein Plataier zu sein. (Den Plataiern war nach der Zerstörung ihrer Stadt das attische Bürgerrecht verliehen worden.) Der Redner forschte dem nach. Auf dem Weißkäse- Markt, wo sich die Plataier trafen, fand er endlich einen, der behauptete, Pankleon sei sein Sklave, und hocherfreut war, ihn wieder zu finden. Pankleon wollte sich nicht abführen lassen und versprach, am nächsten Tag Zeugen für seine Freiheit zu bringen. Statt dieser erschien er dann mit einer Frau, die behauptete, Pankleon sei ihr Sklave.

Die Rede Über die Überprüfung des Euandros (26.) zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus: Wir wissen auf den Tag genau, wann sie gehalten wurde, nämlich am vorletzten Tag des Amtsjahres des Archon Phanostratos (Juli 382). Wir kennen auch den Ausgang des Prozesses: Euandros wurde Archon, der Redner hatte mit seiner auf Euandros’ Verhalten zur Zeit der Dreißig begründeten Klage keinen Erfolg.

Wegen der Person des Angeklagten ist die Rede Gegen den Sokratiker Aischines interessant, von der Athenaios (13,611) ein Bruchstück überliefert: „Der Kläger [Aischines] schuldete dem Bankier Sosinomos und dem Aristogeiton eine Summe mit 3 Drachmen monatlichen Zins. Da trat er an mich heran und bat mich, ich möchte doch nicht zulassen, daß er wegen der verfallenen Zinsen aus seinem Eigentum vertrieben würde. >Ich baue mir nämlich<, sagte er, >eine Parfümfabrik auf; da brauche ich ein Startkapital, ich werde dir 9 Obolen Zins für die Mine zahlen.< Ich ließ mich von seinen Worten überreden, denn ich glaubte, daß dieser Aischines, ein Schüler des Sokrates, der über Gerechtigkeit und Tugend viele schöne Vorlesungen gehalten hat, nicht versuchen würde, zu unternehmen, was nur das allerschlechteste Gesindel tut.“ Aischines zahlte nicht. „So viele Menschen gehen schon bei Tagesanbruch zu seinem Haus, um Schulden einzutreiben, daß Vorübergehende meinen, er sei gestorben, und die Menge wolle ihm das letzte Geleit geben. So schlecht denken die Kaufleute im Peiraios von ihm, daß sie es für sicherer halten, in der Adria zu segeln als mit ihm Geschäfte zu machen. Denn viel mehr als das, was ihm sein Vater hinterlassen hat, hält er das, was man ihm borgt, für sein Eigentum. Hat er sich nicht den Besitz des Hermaios angeeignet, des Parfümhändlers, dadurch, daß er seine Frau, im Alter von 70 Jahren, verführt hat? Durch seine Liebesbeteuerungen zu ihr hat er es dahin gebracht, daß er ihren Mann und ihre Söhne ruinierte, sich aber von einem Hausierer zu einem Parfümhändler machte. So hat er das schöne Kind zu lieben begonnen, wobei er ihre Jugendblüte genoß, sie, deren Zähne man leichter zählen kann als die Finger an einer Hand.“

Isokrates: Gegen Euthynos (21.), Trapezitikos (17.), Aiginetikos (19.)

Nikias klagt Euthynos an, ihm von den drei Talenten, die er bei ihm hinterlegte, als ihn die Dreißig verfolgten, nur zwei zurückgegeben zu haben und überhaupt abzustreiten, je mehr als zwei erhalten zu haben. Da dieser Nikias (es handelt sich nicht um den berühmten Politiker) ein schlechter Redner ist, trägt ein Fürsprecher seine Klage vor. Es gibt keine Zeugen, die Klage (und die von Lysias verfaßte Gegenrede) können nur mit Wahrscheinlichkeitsgründen arbeiten. Es ist unwahrscheinlich, daß jemand so eine Klage anstrengen würde, wenn sie nicht begründet wäre; es ist noch unwahrscheinlicher, daß ein unter den Dreißig verfolgter und somit ehrbarer Bürger gegen eine damals nicht bedrohte und deshalb nicht so ehrenwerte Person eine ungerechte Klage einreicht und vollends unwahrscheinlich, daß das ein so schlechter Redner wie Nikias unternimmt. Dieser Prozeß hat großes Aufsehen erregt. Nach den bei Diogenes Laertius überlieferten Schriftenverzeichnissen schrieb Antisthenes Gegen den Zeugenlosen des Isokrates und Speusipp An den Zeugenlosen.

Der Redner des Trapezitikos (von trapeza, Bank) behauptet, daß er beim Bankier Pasion Geld hinterlegte, als sein Vater bei Satyros, einem Herrscher auf der Krim, in Ungnade gefallen war und er seine Auslieferung befürchtete. Später, als seine Familie bei Satyros wieder in Gnaden stand, leugnete Pasion das Geld bekommen zu haben. Er versteckte seinen Sklaven Kittos, den einzigen Zeugen der Vereinbarung, ließ ihn später frei und erklärte sich bereit, für ihn Bürgschaft zu leisten, so daß dieser nicht unter der Folter befragt werden konnte. Dann soll der Sklave doch gefoltert werden, und Pasion lenkt ein, will das Geld zurückzahlen und weint! Zuletzt droht der Redner gar mit Einstellung der Getreidelieferungen aus Satyros’ Reich! (Ich kann mir den Trapezitikos nur als Fälschung erklären, mit der der angeblicher Verfasser Isokrates als erbarmungsloser Folterknecht und Tyrannenfreund denunziert werden sollte. Auch die Ähnlichkeit des Falles mit dem berühmten Zeugenlosen Prozeß spricht gegen Isokrates’ Autorschaft.) – Um den vor einem Gericht in Aigina ausgetragenen Streit um das Erbe eines Wahrsagers geht es im Aiginetikos.

[...]

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Übersichten erhaltener Werke antiker Autoren - Band 3: Lysias, Isokrates, Xenophon
Autor
Jahr
2014
Seiten
75
Katalognummer
V272099
ISBN (eBook)
9783656641964
ISBN (Buch)
9783656641957
Dateigröße
801 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
übersichten, werke, autoren, band, lysias, isokrates, xenophon
Arbeit zitieren
Hans Belde (Autor:in), 2014, Übersichten erhaltener Werke antiker Autoren - Band 3: Lysias, Isokrates, Xenophon, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272099

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Übersichten erhaltener Werke antiker Autoren - Band 3: Lysias, Isokrates, Xenophon



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden