Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Geister und Fabelwesen in der japanischen Mythologie
1.1. Bakemono
1.1.1. Yūrei
1.1.2. Yōkai
1.2. Mizuki Shigeru
1.3. Der Fall und die Wiederauferstehung der kaidan
2. Informationsaustausch
3. Schauplatz Schule
3.1. Das japanische Bildungssystem
3.1.1. Das Bildungssystem vor 1600
3.1.2. Das Bildungssystem nach 1600
3.2. Schulbezogene kaidan
3.2.1. Entstehung von „Toilettengeistern“
3.3. Weitere unheimliche Orte
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
Mein erster bewusster Kontakt zu japanischen Horrorgeschichten (im Folgetext als kaidan bezeichnet) war das Super Nintendo-Spiel Gakk ō de atta kowai hanashi, welches mir etwa im Jahr 2007 unterkam. Der Inhalt besteht aus einer Sammlung von kaidan, welche rund um das Schulgelände stattfinden und von einer Gruppe von Schülern erzählt werden. Die Bilder und Geräuschkulisse waren zwar sehr beeindruckend, jedoch verfügte ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht über die ausreichenden Japanisch-Kenntnisse, um mich genauer mit den Texten auseinandersetzen zu können und beließ es fürs Erste dabei.
2011 wurde ich wieder auf das Thema aufmerksam, nachdem mir eine japanische Austauschstudentin ihre persönlichen Eindrücke zu den kaidan schilderte. Sehr amüsant fand ich, dass ein besonders großer Teil der befragten japanischen Austauschstudentinnen sich bei diesem Thema eher unwohl fühlten und damit bemüht waren, das Gesprächsthema möglichst schnell zu ändern.
Im Rahmen meines zweiten japanologischen Proseminars befassten sich die Kursteilnehmer mit japanischer Volks- und Völkerkunde. Der Ausgangstext meiner Arbeit befand sich in einem Standardwerk zur japanischen Volkskunde, herausgegeben vom renommierten Soziologen Shintani Takanori. In dem betreffenden Artikel befasst sich der Volkskundler Tsunemitsu Tōru mit der Frage, wieso sich kaidan in Schulen an so großer Beliebtheit erfreuen. Diese Fragestellung möchte ich im Rahmen meiner Arbeit übernehmen und mit der Frage nach der Herkunft der kaidan ergänzen, um so vielleicht einen Bezug zum alten Volksglauben finden zu können.
Die Elemente der kaidan entspringen ohne Zweifel der japanischen Mythologie, welche vor allem in der Volkskunde analysiert wird. Besonders der Ethnologe Yanagita Kunio beeinflusste mit seinen Werken wie den T ōno monogatari oder den Y ōkai dangi die Forschungsarbeiten der nachfolgenden Generationen im 20. Jahrhundert. Heute ist es vor allem Komatsu Kazuhiku, welcher auf der Universität Kyōto auf dem Bereich der japanischen Mythen, insbesondere im Gebiet der y ōkaigaku („Fabelwesenforschung“), tätig ist.
In Punkt Eins dieser Arbeit werde ich zunächst einen groben Einblick in die Vielfalt der japanischen Geister und Fabelwesen (bakemono) geben, sowie deren grobe Entwicklung beschreiben. Anknüpfend dazu werde ich in Punkt Zwei den Informationsaustausch zwischen japanischen Dörfern vor und nach der Einführung der Schulpflicht erläutern. In Punkt Drei nehme ich den Schauplatz Schule näher unter die Lupe. Vor allem möchte ich in dieser Arbeit mein Augenmerk auf Geschichten bezüglich japanischer Schultoiletten richten, da dieser Ort als besonders unheimlich und gefährlich gilt (Tsunemitsu 1999:46). Des weiteren werde ich mich in dieser Proseminar-Arbeit, wegen der schieren Vielfalt an Geistern und Fabelwesen, speziell auf den Toilettengeist Hanako konzentrieren, weil alles weitere den Rahmen der Arbeit sprengen würde.
Der Grund meiner Wahl ist zunächst der bereits erwähnte Umstand, dass die Toilettenanlagen als unheimlichster Ort am Schulgelände gelten und Toilettengeist Hanako von neun aus zehn befragten japanischen Kollegen als erstes genannt wurde. Auf Platz Zwei landete kuchisake-onna, auf die ich kurz in Punkt Eins, der Entwicklung der yōkai, zu sprechen kommen werde.
1. Geister und Fabelwesen in der japanischen Mythologie
1.1. Bakemono
Geister und Fabelwesen werden in der japanischen Mythologie als bakemono („verwandelte Wesen“) bezeichnet und grob in die Kategorien y ōkai (Fabelwesen) und y ūrei („dunkle Geister“) eingeteilt (Scheid 2012a).
Beide Gruppen unterscheiden sich von den kami (Götter) darin, dass sie mit der menschlichen Gesellschaft auf der gleichen hierarchischen Ebene stehen. Auch wenn sie übernatürliche Fähigkeiten besitzen, treten sie gegenüber den Menschen für gewöhnlich nicht als Herrscher, sondern eher als Konkurrenten auf. Der größte Unterschied zwischen y ūrei und yōkai liegt darin, dass erstere aus den Seelen Verstorbener entstehen, während zweitere am ehesten mit seltenen Tieren vergleichbar sind. (Scheid 2012b).
1.1.1. Yūrei
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Yūrei-Darstellung aus der Edo-Zeit
Wie bereits in der Einleitung beschrieben, sind y ūrei die rastlosen Seelen Verstorbener. Nach dem japanischen Volksglauben kann jeder Mensch, unabhängig von seinen Taten und seiner Lebensweise, zu einem Geist werden, wenn der Leichnam nicht ordnungsgemäß bestattet wurde. Das Aussehen der y ūrei wurde in der Edo-Zeit standardisiert und ist noch heute geläufig. Eine Sonderform der y ūrei sind sog. onryō; Rachegeister, welche durch besonders qualvolle Weise starben bzw. während ihres Lebens besonders viel Unrecht erlitten (Scheid 2012a).
Geschichten über y ūrei sind bereits in der Heian-Zeit (794-1185) zu finden. So gab es z.B. Geschichten darüber, dass sich der Politiker Sugawara Michizane (845-903) nach seinem verbitterten Ableben in einen rachsüchtigen Geist verwandelte und mit seinen Kräften Dürren und Krankheiten über das Land brachte (Foster 2009: 5-6).
1.1.2. Yōkai
Die Bezeichnung yōkai trat erstmals in der Edo-Zeit auf und wurde erst während der Meiji-Zeit durch den buddhistischen Philosophen Inoue Enryō zur Standardbezeichnung erklärt (Foster 2009:4-5).
Unter dem Begriff yōkai werden Fabelwesen und Tiere, denen magische Kräfte nachgesagt werden, bezeichnet. Die bekanntesten Vertreter dieser Gruppe sind u.a. tengu, kappa, Füchse und tanuki (Scheid 2012a).
Während der Kamakura-Zeit (1185-1333) wurde erstmals über sog. tsukumogami, Alltagsgegenstände mit einem Eigenleben, geschrieben. Nach Erzählungen aus dem Märchenbuch tsukumogami-ki, welches in der Muromachi-Zeit (1336-1573) geschrieben wurde, entwickelten leblose Dinge nach 100 Jahren ein Eigenleben. Achtlos weggeworfene Haushaltsgegenstände rächten sich oftmals so an ihren früheren Besitzern (Foster 2009:7).
[...]
- Arbeit zitieren
- Bernhard Stern (Autor:in), 2012, Unheimliche Schulgeschichten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272027
Kostenlos Autor werden
Kommentare