Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Aktueller Anlass
1.2 Forschungsfrage
2 Forschungsdesign
2.1 Analyserahmen
2.2 Methoden
3 Aktuelle Situation
3.1 Die Situation der somalischen Flüchtlinge
3.2 Das Verhalten Somalias zur Flüchtlingsproblematik
3.3 Das Verhalten Kenias zur Flüchtlingsproblematik
4 Erklärungsvariablen für das Verhalten der ostafrikanischen Nachbarstaaten
4.1 Fragile Staatlichkeit Somalias
4.2 Ethnien und Grenzkonflikte
4.3 Clanstruktur, Gewohnheitsrecht und traditionelle Führerschaft
4.4 Religiöser Konflikt
4.5 Kenianische Militärinterventionen
4.6 Somalische Anschläge
4.7 Interessen externer Akteure
5 Herausforderungen für die Konfliktberuhigung
6 Lösungsansätze
Annex
Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Politische Karte von Somalia
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Political map of Somalia, PUBLIC DOMAIN, worldofmap.net
1 Einleitung
1.1 Aktueller Anlass
Der Überfall auf die Westgate Shopping Mall in Nairobi am 21. September 2013 hat großes mediales Interesse hervorgerufen und die Weltöffentlichkeit ausführlich über den Anschlag informiert, der knapp 70 Menschenleben forderte und zu dem sich die somalische Al-Shabaab Miliz bekannte. Viel weniger medien- und öffentlichkeitswirksam war dagegen die nachfolgende Entscheidung, die das Leben von 1,1 Millionen somalischer Flüchtlinge grundlegend verändern wird. Kaum zwei Monate nach dem Anschlag, am 10. November 2013, haben die beiden Regierungen von Kenia und Somalia auf Drängen Kenias zusammen mit der UN-Flüchtlingskommission (UNHCR) einen Vertrag über die freiwillige Rückführung der somalischen Flüchtlinge abgeschlossen (vgl. The Economist 2013, 30). Innerhalb der nächsten drei Jahre sollen demnach die 610.000 offiziell anerkannten und die 500.000 illegal in Kenia lebenden Flüchtlinge das Land verlassen und in ihre Heimat zurückkehren (vgl. epo.de 2013, Eine Million Flüchtlinge). Kenia will so weiteren islamistischen Übergriffen vorbeugen.
Angesichts der derzeitigen Lage in Somalia verwundert es nicht, dass der Vertragsabschluss Besorgnis und Unverständnis bei Menschenrechtsorganisationen hervorruft. Trotz der positiven Impulse durch die seit 2012 amtierende Nationalregierung ist das Land nach wie vor von extremer Armut, politischer Willkür, Korruption und Gewalt geprägt. Die Londoner Risikomanagementberatung Control Risks stuft Somalia in ihrem Report 2014 erneut als gefährlichstes Land der Welt ein (vgl. Tagesspiegel.de 2013, Das Risiko). Bewaffnete Gruppen kontrollieren weiterhin Teile des Landes, auch Teile einer der drei Regionen im Süden Somalias – Kismayo, die für die Neuansiedlung ausgewählt wurde. Eine Prüfung der zukünftigen Siedlungsgebiete auf Erfüllung der Mindeststandards wurde vor Vertragsabschluss nicht vorgenommen (vgl. The Economist 2013, Go back). Der UNHCR steht nun vor der immensen Aufgabe, gemeinsam mit den Vertragspartnern Bedingungen für die Flüchtlinge zu schaffen, die ihre Grundversorgung ermöglichen und ihre Menschenrechte wahren.
1.2 Forschungsfrage
Was aber veranlasste die Regierungen zu einer derart konsequenten Rückführungspolitik? In dieser Arbeit erkunde ich die Hintergründe. Dazu stelle ich folgende Forschungsfrage:
Wie verhalten sich die beiden ostafrikanischen Nachbarstaaten Kenia und Somalia zu den somalischen Flüchtlingen und wodurch lässt sich ihr Verhalten erklären?
Ich untersuche also erst einmal, wie sich die beiden Staaten zu den somalischen Flüchtlingen verhalten, um in einem nächsten Schritt wichtige Erklärungsvariablen ihres Verhaltens zu identifizieren, sie systematisch und plausibel zu beschreiben und ihre Interdependenzen aufzuzeigen. Dabei werde ich ethnologische, historische, religiöse, außen- und innenpolitische Konfliktkomponenten berücksichtigen. So soll der zwischenstaatliche Konflikt um die somalischen Flüchtlinge übersichtlich aufgearbeitet und seine Komplexität sichtbar gemacht werden.
Die Darstellung des Konflikts in seiner Vielschichtigkeit ist ein konkretes Anliegen dieser Arbeit. So wird die Brisanz des Eingreifens externer Akteure deutlich, aber auch die Herausforderung für nationale und internationale Akteure, bei der politischen Entscheidungsfindung die verschiedenen Komponenten einzubeziehen. Die Relevanz einer ausführlichen Situationsanalyse und einer systemischen Betrachtungsweise im Konfliktlösungsprozess wird herausgestellt.
Die Arbeit gibt nicht zuletzt Einblicke in die politische Realität am Horn von Afrika. In der Bewusstheit der kulturpolitischen Diversität werden die für die Analyse herangezogenen theoretischen Konzepte der International Relations (IR) ganz genuin mit den politischen Gegebenheiten am Horn von Afrika verknüpft, bzw. wird eine derartige Flexibilität der Konzepte vorwegnehmend vorausgesetzt, und darum ganz natürlich angewandt. Des Weiteren werden Konzepte um politische Akteure und Formen ergänzt, die für die Analyse politscher Beziehungen am Horn von Afrika unabdingbar sind. Wissenschaftstheoretisch leistet die Arbeit dadurch in Herangehensweise und Methodik einen besonderen Beitrag zu der von Wissenschaftlern immer wieder geforderten Modellierung der Konzepte für eine erhöhte Anwendbarkeit auf die dynamischen politischen Realitäten in Afrika (vgl. BROWN 2013, 72 und LEMKE 2010, 49). Afrikanische und westlich geprägte Sichtweisen auf den Konflikt um die Flüchtlinge werden ganz selbstverständlich gleichberechtigt in die Untersuchung integriert.
2 Forschungsdesign
2.1 Analyserahmen
Theoretisch nähere ich mich dem Konflikt um die somalischen Flüchtlinge über den neo-realistischen Ansatz. Dieser auf Ausführungen von Kenneth WALTZ zurückgehende Ansatz erachtet das Machtstreben von Staaten in einem anarchischen Staatensystem ohne eine international Recht setzende Instanz als zentral (vgl. SIEDSCHLAG 2004, 2). Wichtig ist dabei die Verteilung von Machtressourcen auf die Staaten, durch die sich eine bestimmte Ordnung bzw. Struktur im internationalen Staatensystem ergibt. Aus ihrer jeweiligen Position heraus handeln die Staaten nach ihren Möglichkeiten, um ihre Macht auszuweiten, wobei sie an relative gains orientiert sind, die sie im Vergleich zu anderen Staaten nicht schlechter abschneiden lassen (vgl. LIST 2006, 27). Das Misstrauen unter den Staaten, das der Neorealismus auf die Anarchie im Staatensystem zurückführt, verhindert eine Kooperation, auch wenn beide Konkurrenten von dieser profitieren würden (vgl. ebd.).
Für den ostafrikanischen Kontext möchte ich die Theorie nach dem Vorbild von Douglas LEMKE erweitern und nicht nur Staaten, sondern auch kleineren politischen Einheiten Akteursstatus zuschreiben wie militia, warlords und clans (vgl. LEMKE 2010, 1). Vor allem in Gebieten, in denen die Autorität der somalischen Regierung nicht anerkannt ist, kommt diesen Akteuren bedeutende politische Entscheidungs- und Handlungsmacht zu, da sie über militärische Ressourcen verfügen, Territorien kontrollieren und nach Macht streben (vgl. ebd). Zusätzlich möchte ich auch strongmen, religious leaders, traditional leaders und representatives of civil society aufführen, die lokale Autoritäten darstellen und politischen Einfluss ausüben.
Im Besonderen rekurriere ich auf den neorealistischen Ansatz der Konstellationsanalyse nach G.-K. KINDERMANN, da dieser die Außenpolitik in komplexen Konstellationen respektive Kontexten und Beziehungssystemen darstellt und sozialen, kulturellen und historischen Faktoren Politik beeinflussende Wirkungen zuschreibt. Politik findet immer in einem vorgeprägten Umfeld statt, von dem sie nicht loszulösen ist. Als zielführend werden eine Perspektivenvielfalt und die Zusammenschau aller Einzelvariablen betrachtet (vgl. SIEDSCHLAG 2004, 14f). Das wird meiner Meinung nach dem Flüchtlingsproblem in dem komplexen Konfliktfeld und den beteiligten Akteuren von verschiedenen hierarchischen Ebenen am ehesten gerecht. Nationales Interesse ist nach diesem Ansatz „…das, was die Regierung - mit allen, manchmal tragischen Wahrnehmungsverzerrungen und Verkennungen der Lage - als solches definiert und zur Grundlage ihres außenpolitischen Handelns macht.“ (ebd., 15)
2.2 Methoden
Durch die Aktualität der Problematik bin ich vor allem auf Quellen aus dem Internet angewiesen. Um zu einem umfassenden Bild zu kommen, werde ich Informationen von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, von westlichen und afrikanischen Medien sowie von Forschungsinstituten und Journalisten aus dem Internet für die Recherche verwenden. Mithilfe der so gewonnenen Hintergrundinformationen beschreibe und erkläre ich das Verhalten von Kenia und Somalia zu den Flüchtlingen aus einer nicht nur westlich geprägten Sicht. Die Sichtweisen der Akteure selbst stehen im Fokus, werden nebeneinandergestellt, aufeinander bezogen und anhand von spezifischen Komponenten erklärt. Der Aufbau der Arbeit orientiert sich also an einem Y-zentrierten Forschungsdesign, welches die Ursachen für ein bestehendes Verhalten Y als zu erklärende Variable untersucht. Aufgrund der Kürze der Arbeit werden Informationen verdichtet und können Sachverhalte nur angerissen werden. Analysen über die Konfliktparteien fließen in die Darstellung ein.
3 Aktuelle Situation
3.1 Die Situation der somalischen Flüchtlinge
Gewaltsame Konflikte, Dürre und Hunger treiben die Menschen dazu, ihre Heimat aufzugeben. Die meisten Flüchtlinge kommen aus den südlichen Grenzgebieten Somalias, den Regionen Juba, Shabelle, Bay, Bakool und Gedo, in denen es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den bewaffneten Milizen und Regierungstruppen sowie der von der African Union eingesetzten Friedenstruppe AMISOM kommt (vgl. CARITAS In: fides.org 2013). Noch auf der Flucht sind die Menschen in einem Land nahezu ohne überregionale Rechtsprechung mit prekärer Sicherheitslage den Übergriffen der Soldaten sowohl der Regierung als auch der Milizen ausgesetzt. Es kommt zu Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen und anderen Misshandlungen sowohl außerhalb als auch innerhalb somalischer Flüchtlingslager (vgl. HRW 2013 (1), 4). Rund eine Million Binnenflüchtlinge zählt das Land aktuell (vgl. CARITAS In: fides.org 2013).
Somalier, die sich über die Grenze nach Kenia retten, sehen sich ständig mit dem Verdacht konfrontiert, mit Al Shabaab Milizen in Verbindung zu stehen, und müssen mit gewaltsamen Übergriffen der kenianischen Sicherheitskräfte und Zwangsausweisungen rechnen. Auch hier werden Misshandlungen selten geahndet, eine Registrierung findet zudem erst in den Flüchtlingslagern statt, wenn überhaupt. Nach einem Regierungsbeschluss werden in dem überlasteten Lager von Dadaab - das für 90.000 Flüchtlinge ausgerichtet ist, mittlerweile aber mehr als 500.000 beherbergt - seit Oktober 2011 keine Flüchtlinge mehr registriert (vgl. NLABU 2012, 1f). Nichtregistrierte Flüchtlinge haben keinen freien Zugang zu den humanitären Hilfsleistungen, zu Wasser und medizinischer Versorgung. Sie sind auf die Unterstützung registrierter Flüchtlinge angewiesen, was die Sicherheitslage im Lager selbst verschärft. Flüchtlinge, die mit kenianischen Sicherheitskräften kooperieren, werden von Al Shabaab Anhängern überfallen, bedroht und sogar getötet (vgl. ebd., 4).
Immer mehr Somalier zieht es daher in Kenias Städte, vor allem nach Nairobi. Besonders nach Geiselnahmen und Anschlägen der Al Shabaab Milizen kommt es dort zu gewaltsamen Rückführungen, willkürlichen Verhaftungen und systematischen Misshandlungen inklusive Gruppenvergewaltigungen durch die Polizei, welche alle Somalier unter Generalverdacht stellt (vgl. HRW 2013 (2), 1f). Nicht wenige Somalier machen sich nach solchen Erfahrungen auf den Weg zurück in die Kriegsregionen ihrer Heimat oder fliehen weiter in andere Länder.
3.2 Das Verhalten Somalias zur Flüchtlingsproblematik
Der seit 2012 amtierende Präsident Hassan Sheikh Mohamud, der international als Hoffnungsträger für die Stabilisierung Somalias nach Jahren des Bürgerkriegs gilt und greifende Reformen implementiert, begegnete den wiederholten Forderungen Kenias, sich von der „refugee burden“ (irinnews.org 2013, Concern) zu erleichtern, mit Verhandlungsbereitschaft. Er traf sich im Juni 2013 mit Kenias Präsident U. Kenyatta und Vertretern der UN-Menschenrechtsorganisation, um Bedingungen für die Rückführung auszuhandeln. Im November schon wurde der Vertrag von den drei Vertragsparteien unterzeichnet. “This is part of Somali government policies… Somalia is now on the path to economic recovery as well as security improvement” erklärte Abdirahman Omar Osman, der Berater des Präsidenten (ebd.). Auch die Außenministerin hält die Zeit für reif, dass die Flüchtlinge zurückkehren und helfen, ihr Land aufzubauen. Gemeinsam wirbt die Regierung in der internationalen Gemeinschaft für Unterstützung bei der Schaffung von dauerhaften Lösungen für den Flüchtlingsschutz im Land (capitalfm.co.ke 2013, Kenya signs). Der Präsident selbst lud die Flüchtlinge ein zurückzukehren und proklamierte für das Jahr 2014 das Ende der Al Shabaab in Somalia (raxanreeb.com 2014, President Hassan).
Kritischere Stimmen aus Regierungskreisen weisen auf die von den Milizen immer noch kontrollierten Gebiete hin und die unzureichende sich immer wieder zuspitzende Sicherheitslage. Auch Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen äußern ihre Bedenken wie Abdullahi Mohamed Shirwa: “There are blasts - suicide attacks - and people are fleeing in the southern town of Kismayo as conflicts [are] renewed. The very reasons that forced these people to flee still exist, so there is no point why they should be returned” (irinnews.org 2013, Concern).
Al Shabaab Milizen kämpfen weiterhin dafür, in den tatsächlich abnehmenden Gebieten, die sie noch kontrollieren, einen islamistischen Staat mit geltendem Sharia-Recht zu begründen. Stellungen, die sie an die Nationale Armee Somalias und die AMISOM verlieren, versuchen sie immer wieder zurückzuerobern und bezeugen ihre Existenz mit Anschlägen. Die Rückführungspläne der Regierung konterkarieren sie, indem sie gezielt Rückkehrer schikanieren. Sie nutzen Sicherheitslücken, halten ihre Busse durch Straßenblockaden an, schlagen die Männer, verbrennen die Habseligkeiten, zwingen die Frauen, Burkas anzuziehen (vgl. sabahionline.com 2013, Al Shabaab harassing) und bringen dadurch viele Flüchtlinge von ihren Plänen ab, wieder in die Heimat zurückzukehren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Arbeit zitieren
- Kathrin Warweg (Autor:in), 2014, Somalische Flüchtlinge in Interessenkonflikten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/271443
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