Machtstrukturen der sino-brasilianischen Beziehungen im globalen Kontext


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

30 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Herangehensweise
2.1 Der Realismus
2.2 Der Neorealismus

3. Epochen der sino-brasilianischen Beziehungen
3.1 Die sino-brasilianischen Beziehungen bis zum Ende der bipolaren Weltordnung
3.1.1 1949-1959 Lateinamerika als Hinterhof der USA
3.1.2 1959-1969 Lateinamerika als Joker und Spielball des globalen Kräftemessens
3.1.3 1969-1978 Lateinamerika als Partner in einer globalen Dreiteilung
3.1.4 1978-1988 Lateinamerika als Zielobjekt einer neuen Öffnungspolitik

4. Die sino-brasilianischen Beziehungen ab dem Ende der bipolaren Weltordnung
4.1 Die ökonomischen Beziehungen
4.2 Die politischen Beziehungen
4.2.1 Beziehung zu Taiwan
4.3 Die ideologischen Beziehungen
4.3.1 WTO und G-20
4.3.2 UNO
4.4 Die militärischen Beziehungen

5. Fazit
5.1 Sino-brasilianische Beziehungen auf den unterschiedlichen Ebenen der Macht
5.2 Verortung der sino-brasilianischen Beziehungen in der neorealistischen Theorie

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Der Titel dieser Arbeit „Machtstrukturen der sino-brasilianischen Beziehungen im globalen Kontext“ würde darauf schließen lassen, dass im Weiteren den Beziehungen Chinas zu Brasilien sowie den Relationen Brasiliens zu China gleich viel Aufmerksamkeit geschenkt werden wird. Jedoch soll in dieser Arbeit der Bedeutung der sino-brasilianischen Beziehungen für Brasilien auf den Grund gegangen werden. Um diese Beziehungen genauer analysieren und verorten zu können, soll unterstützend die Theorie des Neorealismus von Kenneth N. Waltz herangezogen werden, die als Leitfaden dienen wird, um die sino- brasilianischen Beziehungen nicht nur auf bilateraler Ebene zu erklären, sondern in einem internationalen Kontext zu verorten. Auf vier Ebenen wird nach einem historischen Abriss der sino-brasilianischen Beziehungen erklärt werden, welcher Stellenwert China für Brasilien auf militärischer, ökonomischer, politischer und ideologischer Ebene zukommt.

2. Theoretische Herangehensweise

2.1 Der Realismus

In der Tradition der realistischen Theorie Hans Morgenthaus steht ebenso ihre Weitentwicklung in Form des Neorealismus, welcher in der Literatur auch immer wieder als struktureller oder systemischer Realismus bezeichnet wird (Shimko 1992:293). Zusammengefasst nach John Vasquez stehen drei wesentliche theoretische Annahmen im Mittelpunkt der realistischen Theorie:

1. Nationalstaaten bzw. ihre Entscheidungsträger werden für die Erklärung der internationalen Beziehungen als Hauptakteure angenommen.
2. Es besteht des Weiteren eine scharfe Trennlinie zwischen nationaler und internationaler Politik.
3. Der realistische Ansatz erachtet es - innerhalb der Disziplin der internationalen Beziehungen - als seine Hauptaufgabe, Erklärungen für das Streben nach Macht und Frieden sowie Wege zur internationalen Regulierung dieser Bestrebungen aufzuzeigen (Vasquez zitiert nach Shimko 1992:286).

Innerhalb des Systems agieren Staaten möglichst rational, sie sind macht- und kostenorientiert ausgerichtet, während sie versuchen, ihr eigenes Fortbestehen zu sichern und größtmögliche Vorteile für die nationale Sicherheit ebenso wie die nationale Wohlfahrt zu generieren (de la Fontaine; Seifert 2010:3). Obwohl in der realistischen Theorie Staaten für ihren größtmöglichen Vorteil agieren, stehen die eigenen Interessen nicht im Vordergrund, das Vorhandensein von Eigeninteressen wird als gegeben angenommen, die Machtkonstellation ist von Bedeutung. Staaten werden in der realistischen Theorie als die einzigen agierenden Interessensvertretungen auf dem internationalen Parkett angenommen (Shimko 1992:286ff.).

Nicht ganz verwunderlich ist es folglich, dass in einem sich verändernden internationalen Kontext auch der realistische Ansatz nicht ewig völlig kritiklos blieb. Joseph Nye kritisierte, dass - entsprechend des Realismus - Staaten innerhalb des Systems als relativ passive Elemente agieren. Sie reagieren, wenn nötig, zwangsläufig auf Veränderungen im System.

"How states define their interests, and how their interests change, has always been a weak area in Realist theory. One of the most thought-provoking questions in international relations is how states learn. How do national interests become defined, and how do those definitions change? Can cooperation be learned? Realist theories maintain that states learn by responding to structural changes in their environment [...].[Neither] does Realist theory note how groups within societies can use partners in transnational coalitions or transnational norms and institutions to advance or retard the learning of new interests by their own governments. Realist theory is better at explaining interactions than interests. A theory of interests defined solely in terms of power is an impoverished theory of interests" (Nye 1988:238f.).

Zum einen der Mangel an Erklärungen, welche Rolle nationale Interessen im internationalen Machtgefüge spielen, zum anderen die Verortung von Staaten als reagierende aber nicht agierende Elemente innerhalb des Systems, wie auch die fehlende Erklärung von transnationaler und internationaler Interaktion provozierten die Weiterentwicklung des realistischen Ansatzes. Kenneth N. Waltz, einer der wesentlichen Vertreter und Begründer der neorealistischen Theorie, argumentiert folgendermaßen: „Waltz argues that the realists have failed to account for the recurrent formation of balances of power in world politics and to explain how changing power configurations affect patterns of alignments and conflict in world politics“ (Bhansali 1987:632).

2.2 Der Neorealismus

Kenneth Waltz identifiziert drei Untersuchungsebenen der internationalen Politik - die Ebene der Individuen, die Ebene der Staaten und die Ebene des internationalen Systems, das heißt, die Struktur der Elemente im internationalen Machtgefüge.

Ebenso wie im realistischen Ansatz werden auch im Neorealismus Nationalstaaten als die zentralen Akteure im System wahrgenommen. Das Hauptaugenmerk des neorealistischen Ansatzes liegt dabei auf der Ebene des internationalen Systems, denn dies ist die Ebene, welche (Schublach 2011:16)

„die einzelnen Akteure miteinander verknüpft, sie in Beziehung zueinander setzt und ihre jeweilige Positionierung im System verdeutlicht. Denn Staaten definieren sich durch ihre Positionierung im System und nicht durch ihre besonderen Eigenschaften, die sie von anderen Staaten unterscheiden. Die Struktur des internationalen Systems legt den Staaten Zwänge durch ihre Positionierung im System auf“ (Schublach 2011:16).

Die Positionierung innerhalb des Systems kann gewissermaßen auch als internationale Rangordnung verstanden werden, innerhalb derer sich jeder Staat bestmöglich zu positionieren versucht, wobei durchaus mehrere Elemente gleichzeitig einen ähnlichen Rang einnehmen können, sonst wäre schließlich die Möglichkeit einer bipolaren oder multipolaren Weltordnung nicht gegeben. Ist ein Element im System erst einmal positioniert, ist es schwer, diese Positionierung wieder aufzubrechen, da alle Elemente in ähnliche Richtungen streben, obwohl das System durchaus als dynamisch verstanden wird (Shimko 1992:293). Waltz sieht jedoch im Gegensatz zum realistischen Ansatz den Beginn von Veränderungen in den Systemeinheiten selbst, welche sich auf der strukturellen Ebene auswirken: „Structural change begins in a system's unit, and then unit-level and structural causes interact. We know from structural theory that states strive to maintain their positions in the system. Thus, in their twilight years great powers try to arrest or reverse their decline" (Waltz 1993:49). Innerhalb des Machtgefüges versuchen Staaten ihren Rang entweder beizubehalten oder in der Hierarchie aufzusteigen.

„Despite changes that constantly take place in the relations of nations, the basic structure of international politics continues to be anarchic. Each state fends for itself with or without the cooperation of others. The leaders of states and their followers are concerned with their standings, that is, with their positions vis-à-vis one another" (Waltz 1993:59).

Für Waltz ist die internationale Anarchie, das heißt, das Fehlen einer übergeordneten, regulierenden Institution oder Organisation, die jedem Staat einen Platz innerhalb des internationalen politischen Systems zuweist, der Anlass dafür, dass Staaten zueinander in Konkurrenz stehen. Es liegt in der Natur der Staaten selbst, stets einen höheren Platz innerhalb des Machtgefüges anzustreben. Obwohl Staaten sich durchaus dagegen entscheiden können - was Waltz jedoch als Anomalie erachtet - den Status einer „great power“ nicht anzustreben, ist diese Entscheidungsmöglichkeit beschränkt, da größere Systemeinheiten dazu tendieren, größere internationale Aufgaben zu übernehmen (Waltz 1993:55).

"Neorealists treat states as self-interested, rational, unitary entities whose tendencies toward conflict and/or cooperation are primarily a function of systemic forces - anarchy, power distributions, and the presence or absence of factors which inhibit or exacerbate the conflictual consequences of anarchy" (Shimko 1992:298).

Tatsächlich von Relevanz für das Machtgefüge innerhalb des Systems sind jedoch nur jene Staaten, welche gewisse Grundvoraussetzungen oder Standards - Waltz nennt dies „capabilities“ - erfüllen können, um sich im System bedeutend zu positionieren. Diese „capabilities“, welche für das Ranking im internationalen Machtgefüge von Bedeutung sind, sind folgende: die Größe des Landes, die Bevölkerungszahl, Ressourcenreichtum, ökonomische Stärke, militärische Stärke sowie politische Kompetenz und Stabilität (Waltz 1993:50).

Kommt es jedoch zu einer Umgestaltung der Elemente innerhalb dieser Struktur, versucht jeder Staat sein eigenes Fortbestehen bestmöglich zu garantieren. Zwei Arten von Konkurrenz sind dabei für Waltz zur Positionierung innerhalb des Systems von zentraler Bedeutung: die militärische Konkurrenz und die wirtschaftliche Konkurrenz (Waltz 1993:55/63).

Nukleare Waffen sind Waltz zufolge ein besonders wichtiger Bestandteil zur Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung und verleihen jenen, die nicht über nennenswerte ökonomische Stärke verfügen, verhältnismäßig mehr Macht (Waltz 1993:53). Als bestätigende Beispiele für diese Annahme können im aktuellen Machtgefüge Nordkorea und der Iran herangezogen werden. Die Augen der Welt sind auf diese beiden Länder gerichtet, da sie in gewisser Weise als militärische Bedrohung wahrgenommen werden, jedoch verfügen sie über keine nennenswerte wirtschaftliche Stärke und sind daher nicht fähig, auf dem internationalen Parkett nachhaltig und tatkräftig mitzumischen, auch ist die externe Bedrohung von anderen militärischen Mächten so groß, dass der Einsatz von nuklearen Waffen zum Selbstschutz äußerst unwahrscheinlich wird.

Joseph Nye beschreibt Waltz‘ theoretischen Ansatz zusammenfassend ausgesprochen treffend und soll daher an dieser Stelle noch einmal wiedergegeben werden:

"Balance-of-power behavior by states is predicted from the structure of the international system. A system is a set of interacting units having behavioral regularities and identity over time. Its structure defines the ordering of its parts. Structure involves an ordering principle, specification of the functions of different parts, and the distribution of capabilities. In international politics, the ordering principle is anarchy, interpreted as the absence of a higher government above states. The specification of differentiation drops out because states perform similar functions. Thus, the distribution of capabilities (multipolarity, bipolarity) predicts variations in states' balance-of-power behavior. Waltz provides not merely a systemic theory to predict the behavior of the units (states), but a parsimonious structural systemic theory (Nye 1988:241).

Shimko identifiziert eine wesentliche Restriktion innerhalb des neorealistischen Ansatzes: zwei Länder können in ihrer Zusammenarbeit zwar insgesamt ihre Position im System anheben, jedoch ist gegenübereinander ihre Position in der bilateralen Zusammenarbeit unveränderlich (Shimko 1992:298). Tatsächlich ist es zutreffend, dass Waltz in seiner Theorie das Hauptaugenmerk auf die „arrangements of the parts“ (Schublach 2011:17) im System legt, und - nicht aber auf den Aspekt der internationalen, bilateralen oder multilateralen Zusammenarbeit. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll jedoch angenommen werden, dass Kooperation ein wesentliches Instrument zur Selbstpositionierung im internationalen Machtgefüge darstellt.

Zu ergänzen gilt es außerdem, dass Waltz theoretischem Ansatz eine konkrete Definition von Macht abgängig ist. Da jedoch im Neorealismus häufig von „balance-of- power“ die Rede ist, muss für diese Arbeit eine Machtdefinition getroffen werden, um im weiteren Verlauf davon Gebrauch machen zu können. Michael Mann unterschiedet im Wesentlichen vier Arten von Macht: die ökonomische, die politische, die ideologische und die militärische Macht (Mann zitiert nach Dörre Jahr 2010:875). Im Folgenden wird daher angenommen werden, dass die „balance-of-power“ oder „Machtbalance“ nicht nur aus zwei sondern aus vier Ebenen der Macht besteht - Waltz geht von militärischer und ökonomischer aus - jedoch soll diese Arbeit um zwei weitere Analyseaspekte, die ideologische und politische Macht erweitert werden.

3. Epochen der sino-brasilianischen Beziehungen

3.1 Die sino-brasilianischen Beziehungen bis zum Ende der bipolaren Weltordnung

Die chinesischen Beziehungen mit Lateinamerika, wozu auch die sino-brasilianischen Beziehungen gezählt werden müssen, können im Wesentlich in fünf große Etappen geteilt werden, welche jeweils rund ein Jahrzehnt umfassen:

1. 1949-1959 Lateinamerika als Hinterhof der USA
2. 1959-1969 Lateinamerika als Joker und Spielball des globalen Kräftemessens
3. 1969-1978 Lateinamerika als Partner in einer globalen Dreiteilung
4. 1978-1988 Lateinamerika als Zielobjekt einer neuen Öffnungspolitik
5. 1989-2000 Lateinamerika als strategischer Partner einer neuen Weltordnung (Mann 2002:7).

Da allerdings die Beziehungen zwischen Brasilien und China nach dem Jahr 2000 weder geendet haben, noch verebbt sind, und China sogar zusehends an Bedeutung gewonnen hat, sowie Brasilien seine Präsenz in China intensiviert hat, müsste heute der Unterteilung von Stefanie Mann für das weitere Jahrzehnt eine neue Etappe hinzugefügt werden.

6. 2000- bis heute - Intensivierung und Ausbau der strategischen Beziehungen

3.1.1 1949-1959 Lateinamerika als Hinterhof der USA

Nachdem es 1949 zur Gründung der Volksrepublik China kam, war das Land besonders mit seiner eigenen internen politischen Stabilisierung und Konsolidierung beschäftigt. Aufgrund seiner ideologischen Ausrichtung und seinen Beziehungen zur UdSSR waren die Beziehungen zu lateinamerikanischen Ländern de facto kaum existent. Da die lateinamerikanischen Länder in der bipolaren Weltordnung in der Zeit des Kalten Krieges als Hinterhof der USA angesehen wurden und damit sogleich auf der „falschen Seite der Macht“ standen, waren diese Länder für China nicht weiter von Relevanz, auch wurde ihnen weder militärisch, ökonomisch, politisch noch ideologisch Bedeutung beigemessen (Mann 2002:7ff.). „Die lateinamerikanischen Staaten trugen die antichinesische Isolationspolitik der USA großteils mit. Diese umfasste einen Handelsboykott, die Verweigerung der diplomatischen Anerkennung der Volksrepublik und die Unterstützung Taiwans“ (Schublach 2011:55).

Zwischen 1950 und 1959 reisten im Rahmen der „Volksdiplomatie“ immerhin rund 1.200 Lateinamerikaner aus unterschiedlichen Ländern der Region nach China. Im Gegenzug reisten Delegationen von Künstlern, Autoren, Ärzten sowie Handelsvertreter nach Lateinamerika. Obwohl China über informelle Kanäle Anbahnungsversuche unternahm, blieben diese in den Kinderschuhen stecken und hatten ferner keine Auswirkungen auf das globale Machtgefüge (Mann 2002:10/Schublach 2011:55).

3.1.2 1959-1969 Lateinamerika als Joker und Spielball des globalen Kräftemessens

Vom chinesischen Ministerium für Außenhandel in Peking wurde erst in den 1960er Jahren eine Abteilung, welche für Lateinamerika verantwortlich war, eröffnet. Die Revolution auf Kuba 1959 stellte für die Idee der kommunistischen Weltrevolution einen großen, langersehnten Erfolg dar. China unterstützte während der Jahre zuvor in lateinamerikanischen Ländern Guerilla-Gruppen, um dort die kommunistische Ideologie zu verbreiten und im Idealfall umzusetzen. Bis auf das kubanische Exempel blieben diese Bestrebungen Chinas jedoch ziemlich erfolglos.

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Machtstrukturen der sino-brasilianischen Beziehungen im globalen Kontext
Hochschule
Universität Wien
Note
1
Autor
Jahr
2013
Seiten
30
Katalognummer
V271255
ISBN (eBook)
9783656627548
ISBN (Buch)
9783656627531
Dateigröße
604 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
machtstrukturen, beziehungen, kontext
Arbeit zitieren
Claudia Fallmann (Autor:in), 2013, Machtstrukturen der sino-brasilianischen Beziehungen im globalen Kontext, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/271255

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