Rüdiger von Bechelarens dilemmatischer Konflikt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Verortung des Konfliktes in der 37. Aventiure

3. Konfliktformulierung
3.1 Formulierung des Konfliktes als Dilemma
3.2 Konsequenzen des Konfliktes für Rüdiger

4. Konfliktkonstitution
4.1 Konfliktvoraussetzungen
4.1.1 Rüdigers Verhältnis zu Etzel
4.1.2 Rüdigers Verhältnis zu den Burgunden
4.2 Parteibindungen
4.2.1 Bindung an Kriemhild
4.2.2 Bindungen an die Burgunden

5. Konfliktlösungsversuche
5.1 Rüdigers Entscheidung
5.2 Deutung der Entscheidung
5.3 Die Schildszene
5.4 Der Kampf gegen die Burgunden
5.5 Rüdigers Tod

6. Abschließende Bewertung des Konfliktes

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Erst im zweiten Teil des Nibelungenliedes greift Rüdiger von Bechelaren in das Geschehen ein. In acht Aventiuren ist er präsent[1], in der 20., 27. und 37. Aventiure tritt er am häufigsten auf. Die 37. Aventiure ist Rüdiger gewidmet. Diese drei Aventiuren bilden den jeweiligen Kern der drei Komplexe, in die Jochen Splett die Rüdigerpartien des Nibelungenliedes strukturiert. Genauer gesagt orientiert sich Spletts Gliederung an der Rolle des Markgrafen in diesen Aventiuren. Er schlägt eine Dreiteilung der Rüdigerhandlung vor: Rüdiger als Werber Etzels, Rüdiger als Gastgeber der Burgunden und Rüdigers Gewissenskonflikt.[2] Der in der 37. Aventiure geschilderte Konflikt ist das zentrale Strukturelement der Rüdigerhandlung, die beiden anderen Komplexe sind auf ihn bezogen. Sie bereiten den Konflikt, den Rüdiger in einem Gespräch mit Etzel und Kriemhild in der 37. Aventiure selbst offenbart, auf vielfältige Art und Weise vor. Rüdiger ruft „harte jâmerlîchen“[3] aus:

„ Swelhez ich nu lâze unt daz ander begân,

sô hân ich boeslîche unde vil übele getân.“[4]

Hier spricht einer, der sich offensichtlich in einem Dilemma befindet. Wie er sich auch entscheidet, für das eine oder das andere, er empfindet diese Entscheidung immer als moralische Niederlage. Hier offenbart Rüdiger seinen Konflikt, der äußerlich ein Bindungskonflikt zwischen der triuwe zu den Burgunden und der triuwe zu Etzel und Kriemhild ist und innerlich moralische, ja religiöse Dimensionen aufweist.

Ziel dieser Arbeit ist es, den Konflikt Rüdigers zu analysieren und zu interpretieren. Dabei gilt es zu fragen, wie es zu diesem Konflikt kommt, warum er für Rüdiger ein Dilemma darstellt, welche Dimensionen er aufweist und wie er eventuell gelöst werden kann. Abschließend wird der Konflikt auf der Basis der Thesen der relevanten Forschungsliteratur bewertet. Die Analyse und Interpretation des Konfliktes der am stärksten individualisierten und damit für die Nibelungenforschung auch interessantesten Nebenfigur bezieht sich ausschließlich auf den Text des Nibelungenliedes in der Handschrift B. Eine Einbeziehung von Textvarianten der anderen Handschriften und eine Berücksichtigung der Nibelungenklage würde den Schwerpunkt der Arbeit von einer möglichst detaillierten und differenzierten inhaltlichen Interpretation in Richtung eines Textvergleichs verschieben. Abgesehen wurde auch von einer Analyse der Vorstufen des Nibelungenliedes und der Sagengeschichte. Dies scheint bezüglich der Rüdigerfigur auch nicht besonders ergiebig zu sein, wenn man berücksichtigt, daß Splett in seiner Dissertation nach einer ausführlichen Untersuchung der Sagengeschichte zu dem Ergebnis kommt, „daß keine feste, altüberlieferte Sagenrolle zugrunde liegt[...]“[5] und von der Sagengeschichte her, kein Grund bestehe, auf mögliche Vorstufen oder parallele Überlieferungen Rücksicht zu nehmen.[6]

2. Verortung des Konfliktes in der 37. Aventiure

Die 37. Aventiure ist Rüdigers Konflikt gewidmet. Ihre Sinneinheiten stehen in einem engen Zusammenhang mit den Elementen des Konfliktes. Deshalb soll im folgenden der Inhalt dieser ‚Schlüsselaventiure’ der Rüdigerhandlung wiedergegeben werden.

Hatte Rüdiger in der 33. Aventiure mit seinen Männern den Ort der Kampfhandlungen verlassen, so greift er in der 37. Aventiure nach dem Saalbrand wieder in das Geschehen ein, er erscheint bei Hofe und erfährt von den schrecklichen Ereignissen, den Verlusten auf beiden Seiten, und ist darüber verzweifelt:

dô sach er beidenthalben diu groezlîchen sêr;

daz weinte inneclîchen der vil getriuwe Rüedegêr.[7]

Er beklagt mit ergreifenden Worten, daß es keinem gelungen ist, in der Auseinandersetz- ung Frieden zu stiften:

„ swie gerne ichz frieden wolde, der künec entuot es niht,

wande er der sînen leide ie mêr und mêre gesiht.“[8]

Obwohl nach dem Vorgefallenen eine friedliche Einigung aussichtslos erscheint, bemüht sich Rüdiger, das Morden zu beenden. Er ruft Dietrich von Bern als Vermittler an. Dieser kann ihm aber nur mitteilen, daß Etzel zu keiner Versöhnung bereit ist.

Ein Hunne, der Rüdiger klagen hört und Rüdigers Bindungen an die Burgunden nicht kennt, deutet sein Fernbleiben von den Kampfhandlungen als Feigheit und Verletzung der Vasallenpflicht. Die öffentlichen Vorwürfe empfindet Rüdiger als Entehrung:

„[...]du gihest, ich sî verzagt.

du hâst dîniu maere ze hove ze lûte gesagt.“[9]

Außerhalb höfischer mâze erschlägt er den Hunnen mit einem Faustschlag.

Die Tötung des Hunnen nehmen Etzel und Kriemhild zum Anlaß, die Erfüllung der Lehnspflicht und der in Worms geleisteten Eide[10] von Rüdiger in Form des Kampfes gegen die Burgunden zu fordern. Rüdiger sieht sich nun in einer dilemmatischen Konfliktsituation. Er fürchtet den Verlust seiner êre, triuwe und zuht, wenn er sich für die Unterstützung einer der beiden Konfliktparteien entscheidet.[11] Zieht er mit seinen Mannen in den Kampf gegen die Burgunden , dann verstößt er gegen die eingegangen freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Bindungen, seinen Pflichten als Vasall Etzels wird er nicht gerecht, wenn er zu den burgundischen Königen hält oder neutral bleibt. Nachdem der Versuch, sich aus dem Vasallenverhältnis zu lösen, scheitert, und Kriemhild an seine Barmherzigkeit appelliert[12], entscheidet sich Rüdiger in fester Todesgewißheit, dem Gebot der Lehnspflicht zu folgen:

„ ez muoz hiute gelten der Rüedegêres lîp,

swaz ir und ouch mîn herre mir liebes habt getan.

dar umbe muoz ich sterben; daz mac niht langer gestân.“[13]

Rüdiger bewaffnet sich, tritt mit seinen Mannen den Burgunden entgegen und löst sich von den bestehenden freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Banden: „ê do wâren wir friunde: der triuwen will ich ledec sîn.“[14]

Bevor sich Rüdiger in das Kampfgeschehen stürzt, ruft ihn Hagen noch einmal zurück und bittet ihn um dessen neuen Schild, da sein eigener- von Gotelind geschenkter- zerbrochen ist. Rüdiger zögert nicht lange, seinem Kontrahenten zu helfen und ihm den Schild auszuhändigen. Hagen dankt Rüdiger für die Schildgabe mit dem Versprechen, ihn in dem nun folgenden Kampf nicht anzugreifen:

„ Nu lôn ich iu der gâbe, vil edel Rüedegêr,

swie halt gein iu gebâren dise recken hêr,

daz nimmer iuch gerüeret in strîte hie mîn hant,

ob ir si alle slüeget die von Burgonden lant.“[15]

Volker schließt sich dem Kampfverzicht Hagens an.

In den sechzehn folgenden Strophen[16] wird dann der Kampf des Markgrafen gegen die Burgunden dargestellt. Der dramatische Höhepunkt des Kampfes und zugleich sein Ende wird durch die Auseinandersetzung mit Gernot markiert. Im Zweikampf fallen beide Recken, Rüdiger durch das Schwert, das er selbst Gernot in Bechelaren geschenkt hatte. Die Stille nach dem Gefecht mißdeutet Kriemhild als Zeichen einer verräterischen Friedensverhandlung Rüdigers mit den Burgunden , bis Volker ihr die Wahrheit, den Tod Rüdigers verkündet. Am Ende der 37. Aventiure klagen sowohl die Burgunden als auch das Königspaar über den Verlust des Markgrafen : „ si klageten ungefuoge des guoten Rüedegêres lîp.“[17]

3. Konfliktformulierung

In der Auseinandersetzung mit Etzel und Kriemhild[18] nach der Tötung des Hunnen wird Rüdiger von Bechelarens Konflikt offenbar. Einerseits wird deutlich, worin der Konflikt überhaupt besteht, und andererseits läßt sich aus den Bemerkungen Rüdigers dessen Tragweite ermitteln.

3.1 Formulierung des Konfliktes als Dilemma

Etzel fordert von seinem Vasall Rüdiger die Leistung militärischer Hilfe beim Kampf gegen die Burgunden. Dem stellt Rüdiger seine Pflichten als Freund und Gastgeber der Burgunden gegenüber:

[...]„ wie sol ichz ane vân?

heim ze mînem hûse ich si geladet hân ,

trinken unde spîse ich in güetlîchen bôt

und gap in mîne gâbe: wie sol ich râten in den tôt?“[19]

Er weist Etzel auch darauf hin, daß er im Land Etzels nicht gegen diejenigen kämpfen kann, die er sicher dorthin geführt hat:

„ jâ was ich ir geleite in mînes herren lant;

des ensol mit in niht strîten mîn vil ellendes hant.“[20]

Rüdiger befindet sich also in einem heftigen Konflikt der Pflichten. Folgt er seiner Vasallenpflicht, dann verstößt er gegen seine Verpflichtungen als Freund und Gastgeber. Unterstützt er die Burgunden oder bleibt er neutral, dann verstößt er gegen die Statuten des Lehnsrechtes. Hans Naumann sieht hier einen Konflikt zweier triuwen, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen: der triuwe des Lehnsträgers steht die triuwe der Freundschaft und des Gastgebers gegenüber.[21] Die Bindungen an beide Parteien werden zusätzlich durch Rüdigers Handeln in der 20. und in der 27.Aventiure intensiviert: Die Bindung an das Königspaar verstärkt sich durch die Eide, die er Kriemhild geschworen hat[22], die Bindung an die Burgunden erhält durch das Verlöbnis seiner Tochter mit Giselher eine größere Bedeutung. Rüdiger befindet sich folglich in einem Dilemma. Die Entscheidung für das eine, bedeutet ein Verstoß gegen das andere. Wie seine Entscheidung auch ausfallen wird, das Ergebnis ist für Rüdiger ein Pflichtverstoß:

„ Swelhez ich nu lâze unt daz ander begân,

sô hân ich boeslîche unde vil übele getân [...].“[23]

[...]


[1] Aventiuren 20 -22, 26, 27, 29, 31, 37

[2] Vgl.Jochen Splett: Rüdiger von Bechelaren. Studien zum zweiten Teil des Nibelungenliedes. Heidelberg: Winter Universitätsverlag, 1968, S. 44-106.

[3] Str. 2152, 4. Diese und alle folgenden Verweise auf Strophen und Verse im Nibelungenlied beziehen sich auf die Ausgabe von Karl Bartsch hrsg. von Helmut de Boor. 21. Aufl. Wiesbaden 1979, die auf Hs. B beruht. Textabdruck in: Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch. Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart: Reclam, 1999.

[4] Str. 2154.

[5] Splett, S. 113.

[6] Ebd.

[7] Str. 2135, 3-4.

[8] Str. 2136, 3-4.

[9] Str. 2142, Vgl. auch Str. 2146.

[10] Vgl. Str. 1258.

[11] Vgl. Str.2153.

[12] „ Dô sprach aber Kriemhilt: , vil edel Rüedegêr,

nu lâ dich erbarmen unser beider sêr“ (Str. 2162).

[13] Str. 2163.

[14] Str. 2175.

[15] Str. 2201.

[16] Vgl. Str. 2206-22.

[17] Str. 2234,4.

[18] Str. 2138-2166.

[19] Str. 2159.

[20] Str. 2144.

[21] Vgl. Hans Naumann: Rüdegers Tod. In: DVjs 10 (1932), S.388.

[22] Vgl. Str. 1258.

[23] Str. 2154, 1-2.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Rüdiger von Bechelarens dilemmatischer Konflikt
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Germanistisches Seminar)
Veranstaltung
Nibelungenlied und Nibelungenklage
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V27120
ISBN (eBook)
9783638292474
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rüdiger, Bechelarens, Konflikt, Nibelungenlied, Nibelungenklage
Arbeit zitieren
Christoph Herold (Autor:in), 2002, Rüdiger von Bechelarens dilemmatischer Konflikt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27120

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