Interpretation ausgewählter Schwerpunkte in Gottfried Kellers Werk "Romeo und Julia auf dem Dorfe"


Hausarbeit, 2004

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Allgemeine Einordnung des Werkes
1.2. Beschränkung der Hausarbeit

2. Die Entwicklung von Sali und Vrenchen
2.1. Die Kindheit
2.2. Die Begegnung auf der Brücke
2.3. Entwicklung und Unmöglichkeit der Liebe
2.4. Von der Realität in die Traumwelt
2.5. Flucht in die Gegenwelt als vermeintliche Lösung
2.6. Flucht in die Traumwelt und in den Tod

3. Betrachtungen zur Symbolik
3.1. Die Sternbilder
3.2. Das Spiel der Kinder
3.3. Die Symbolik der Steine
3.4. Der Mohn
3.5. Die Lerche als Auslöser der Liebkosungen
3.6. Die Bedeutung des Hauses und der Lebkuchen
3.7. Der schwarze Geiger
3.8. Dionysoskult
3.9. Wasser, Fluss und Fische

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Allgemeine Einordnung des Werkes

Gottfried Kellers Novelle „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ ist Bestandteil seines Novellenzyklus „Die Leute von Seldwyla“. Sie erscheint im Erstdruck 1856 in dem Band „Die Leute von Seldwyla. Erzählungen von Gottfried Keller.“ bei Vieweg in Braunschweig. Das Buch enthält fünf Novellen: Pankraz, der Schmoller, Frau Regel Amrain und ihr Jüngster, Romeo und Julia auf dem Dorfe, Die drei gerechten Kammacher und Spiegel, das Kätzchen. Die Erzählung nimmt innerhalb des Werkes die Mittelstellung ein, was auf den besonderen Stellenwert schließen lässt, den der Autor ihr zumisst[1]. Und das zu Recht, denn auch die Leser und die Literaturforschung greifen sich immer wieder diese Liebesgeschichte heraus. KAISER beschreibt die Besonderheit der Novelle wie folgt: „Die Geschichte ragt hervor durch Geschlossenheit und Stimmigkeit, eine sehr große Entsprechung symbolischer, pragmatischer, individualpsychologischer und gesellschaftlicher Motivation, einen äußersten Grad an Objektivierung.“ (KAISER S.297) In der ersten Ausgabe 1856 folgt im Anschluss an die Erzählung noch eine Schlussbetrachtung des Erzählers, in der er die Leidenschaftslosigkeit und Gefühlskälte der bürgerlichen Gesellschaft aufs Schärfste kritisiert. Doch kaum ist der Band erschienen, bereut Keller diesen Schluss („es war eine verjährte Stimmungssache“ (BÖNING S.696)) und lässt ihn in der zweiten Auflage von seinem Verleger entfernen. 1873 (vordatiert auf 1874) erscheinen der zweite und dritte Band der „Leute von Seldwyla“, ein Jahr darauf auch der vierte Band.

1.2. Beschränkung der Hausarbeit

Die Novelle zeichnet sich durch große Komplexität und eine Vielzahl aufgegriffener Motivketten aus. Deshalb ist es im Rahmen einer Hausarbeit dieses Umfangs nicht möglich, auf alle Elemente der Erzählung näher einzugehen. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich deshalb im Wesentlichen auf zwei Schwerpunkte: Das Handlungsgeschehen um Sali und Vrenchen und die in der Novelle auftretenden Symbole und ihre Wirkung auf die Erzählung. Viele durchaus wichtige Aspekte wie zum Beispiel der gestrichene Schlussteil, die Interpretation des Titels und diverse Nebenfiguren der Erzählung (Frau des Manz, Nachbarin Vrenchens) werden gar nicht behandelt. Dennoch denke ich, in der Bearbeitung der von mir ausgewählten Schwerpunkte auch die Novelle als Ganzes interpretiert zu haben.

2. Die Entwicklung von Sali und Vrenchen

Die Handlung besteht aus zwei sich überkreuzenden Handlungssträngen: Die Entwicklung der Bauern Manz und Marti, die dem Leser im Eingangsbild der Novelle als rechtschaffene und ehrbare Männer beschrieben werden und durch die Vorurteile gegenüber dem heimatlosen schwarzem Geiger, ihren Besitzneid und ihr falsch verstandenes Ehrgefühl sozial so weit abrutschen, bis sie selbst aus der Gesellschaft verstoßen werden. Dem gegenüber steht die Entwicklung der Kinder der beiden Bauern. Diese soll Gegenstand der weiteren Betrachtungen sein.

2.1. Die Kindheit

Sali und Vrenchen kennen sich seit ihrer Kindheit und entdecken schon früh ihre Zuneigung zueinander: Sie spielen gemeinsam, während ihre Väter die Felder umpflügen[2] und verbringen so viel Zeit als nur irgend möglich zusammen. „Sobald sie getrennt wurden, suchte Sali alsbald wieder neben Vrenchen zu gelangen, und dieses wußte desgleichen immer vergnügt lächelnd zu ihm zu schlüpfen.“ (S.16) Jedoch wird ihre Beziehung durch die Disharmonie zwischen ihren Vätern beeinträchtigt: Die immer höher anwachsende Schuld der Väter, symbolisiert durch den aufgetürmten Wall von Steinen auf dem mittleren, herrenlosen Acker[3], macht es den Kindern unmöglich, sich weiterhin zum gemeinsamen Spiel zu treffen „und das wilde Gesträuch darauf [auf dem Steinwall] war so hoch, dass die Kinder […] sich nicht mehr sehen konnten […]“ (S.12). Dennoch versuchen sie, die Steine zu erklimmen, um weiterhin zusammen sein zu können. Als jedoch der Streit um den mittleren Acker zwischen den Vätern offen ausbricht, werden auch diese Treffen unmöglich: Als Manz das Gesträuch auf seinem neu erworbenen Ackerland beseitigen lässt, muss auch Sali helfen. Diese Gelegenheit nutzt Vrenchen, um mit ihm zusammen zu sein, als jedoch Marti auf seinem Feld erscheint und seine Tochter bemerkt, „pfiff er derselben schrill und gebieterisch durch den Finger, daß sie erschrocken hineilte, und er gab ihr, ohne zu wissen warum, einige Ohrfeigen, also dass beide Kinder in großer Traurigkeit und weinend nach Hause gingen“ (S.16). Die Kinder sind hier etwa elf Jahre alt. Seit dieser Begegnung treffen sich die Kinder nicht mehr miteinander und verlieren sich zunehmend aus den Augen, nie jedoch aus dem Sinn: „Und wenn überhaupt von den Martis gesprochen wurde, so dachte er [Sali] unwillkürlich nur an die Tochter, deren jetziges Aussehen ihm nicht deutlich und deren Andenken ihm gar nicht verhasst war.“ (S.23) Und auch Vrenchen gesteht dem Geliebten ihr immerwährendes Interesse, als sie später zusammen im Feld liegen: „ […] ich aber habe dich zuzeiten aus der Ferne und sogar heimlich aus der Nähe recht gut betrachtet und wusste immer, wie du aussiehst!“ (S.43)

2.2. Die Begegnung auf der Brücke

Die Wiederaufnahme der Beziehung zwischen Sali und Vrenchen findet bei der Begegnung ihrer Väter am Fluss statt. Beide Bauern sind mittlerweile sozial so tief gesunken, dass sie sich von den Bettlern und Falliten aus Seldwyla nicht mehr unterscheiden und ihren Lebensunterhalt durch Fischen zu erlangen suchen. Unerwartet treffen sie dabei in Begleitung ihrer Kinder aufeinander. Diese sind jetzt etwa siebzehn Jahre alt. Die Begegnung ist in ein beeindruckendes Wettergeschehen eingebettet, das der Szenerie eine gesteigerte Dramatik und Bedeutsamkeit verleiht. Während sich der Streit zwischen den beiden Männern, die sich an den gegenüberliegenden Ufern des Flusses gegenüberstehen, immer weiter erhitzt, verdunkeln sich die „Gewitterwolken“ (S.30), rauschen „die Wellen des Baches stärker“ (S.30) und fangen „die Weiden am Bache gewaltig an zu rauschen […] im aufgehenden Wetterwind“ (S.30). Der Höhepunkt des Unwetters mit Blitzen, Donner und starkem Regen ist erreicht, als sich die Bauern auf der Mitte einer kleinen Brücke begegnen und sich miteinander schlagen. Die Auseinandersetzung droht zu eskalieren und müsste mit dem Tod eines der Kontrahenten enden, wären da nicht Vrenchen und Sali, die ihre Väter auseinander drängen, und würde nicht „in diesem Augenblicke […] ein Wolkenriss, der den grellen Abendschein durchließ,“ (S.32) das Wetter erhellen und die Situation entspannen. Eben dieser Wolkenriss ist es aber auch, der Sali „das nahe Gesicht des Mädchens“ (S.32) erblicken und die Kinder ihre Zuneigung zueinander erkennen lässt. Hier zeigt sich deutlich der adversative Verlauf der beiden Handlungsstränge: Während die Begegnung der beiden Bauern auf der Brücke den absoluten Tiefpunkt ihrer Beziehungen bildet, ist sie für Sali und Vrenchen der Moment des Bewusstwerdens ihrer Liebe.[4] Zum Zeichen dieser Gefühle geben sie sich „im Wegwenden und Trennen, ungesehen von den Alten, schnell die Hände“ (S.33). Doch schon diese Geste ist von den Anzeichen ihrer weiteren Entwicklung überschattet: Der Text deutet hier zum ersten Mal auf den Tod der Kinder und dessen Umstände hin: Während Manz und Marti hoch atmen und völlig kraftlos sind, und obwohl auch die Kinder sich körperlich an den Auseinandersetzungen ihrer Väter beteiligt haben, "atmen sie kaum noch" und sind "still wie der Tod". Dass ihre Hände "feucht und kühl" (alle S.33) sind, deutet auf ihren Tod im Wasser hin.

2.3. Entwicklung und Unmöglichkeit der Liebe

Gleich am darauffolgenden Tag kann sich Sali seinen neu entdeckten Liebesgefühlen nicht erwehren und kehrt in sein Heimatdorf zurück, um die Geliebte zu sehen. Doch Vrenchen will ihn sofort wieder wegschicken, da es durch die Streitigkeiten zwischen den Eltern der beiden „nie […] gut kommen“ wird. Doch Sali glaubt dieses „Elend“ überwinden zu können, wenn sie nur „zusammenhalten und [sich] recht lieb sind“ (alle S.38). Vrenchen kann dem Drängen des Verehrers nicht widerstehen und so verabreden die beiden ein Treffen an den Äckern der Väter. Doch noch bevor sie sich bei ihrem Rendevous näher kommen können, treffen sie auf den schwarzen Geiger, der sie an die begangene Schuld ihrer Väter erinnert und den Liebenden den Tod prophezeiht („ […] und werde gewiss noch erleben, dass ihr vor mir den Weg allen Fleisches geht!“ (S.41)). Nach kurzer Betroffenheit hat das Liebespaar diese Warnung jedoch wieder vergessen und fährt in seiner Liebelei fort. Um für sich allein und ungestört zu sein, begeben sie sich in das Kornfeld „und bauten sich einen engen Kerker in den hohen Ähren, die ihnen hoch über den Kopf ragten, als sie drin saßen, sodass sie nur den tiefblauen Himmel über sich sahen und sonst nichts von der Welt.“ (S.45). Dieses Verhalten ist der Beginn der Flucht der beiden Liebenden in eine eigene Traumwelt, um der Realität zu entkommen. Sie verstecken sich im Feld, um sich mit „sonst nichts von der Welt“ befassen zu müssen als mit sich und ihrer Liebe, die ihnen in ihrer Traumvorstellung als „tiefblauer Himmel“ erscheint. Dennoch ist auch diese Schilderung voll von Bedrohung: Anstatt eines Liebesnestes bauen Sali und Vrenchen sich einen „engen Kerker“ und die Ähren, die die Begrenzung ihres Gefängnisses darstellen, ragen „ihnen hoch über den Kopf“. Die Traumwelt der beiden scheint also eine tödliche Gefahr in sich zu bergen, deren Folgen sie nicht zu bewältigen imstande sind. Das Bild des „Sich-lebendig-im-Kerker-Begrabens“ stellt zugleich Rück- und Vorgriff auf das Geschehen dar: Einerseits erinnert es an die Beerdigung der Puppe[5], andererseits deutet es auf den Tod der Liebenden hin, die sich zunächst im Heu des Schiffes und dann im Wasser begraben[6]. Die Traumwelt, die Sali und Vrenchen sich im Feld erzeugen, gibt ihnen wieder etwas Hoffnung auf die Möglichkeit ihrer Beziehung („,Wenn du einst meine Frau bist?‘ Vrenchen zitterte leis bei diesem letzten Worte und schmiegte sich tiefer in Salis Arme, ihn von neuem lange und zärtlich küssend.“ (S.46)), sobald sie sich aber aus dem Feld (ihrer Eigenwelt) wieder heraus begeben, werden sie rigoros mit der Realität konfrontiert: Sie begegnen dem aufgebrachten Marti, der sich sofort wütend auf die Kinder stürzt. In einer Mischung aus Notwehr und Wut schlägt Sali den Bauern mit einem Stein nieder[7]. Vrenchen deckt die Tat Salis und so machen sich beide Kinder durch ihre Liebe zueinander schuldig. Spätestens jetzt ist die Liebe der beiden zumindest innerhalb der gesellschaftlichen Realität unmöglich geworden (vgl. Vrenchen zu Sali: „,Nein, geh, mach dich fort! Es ist aus, es ist ewig aus, wir können nicht zusammenkommen!‘“ (S.48); „,[…] und doch kann ich dich nie bekommen, auch wenn alles andere nicht wäre, bloß weil du meinen Vater geschlagen und um den Verstand gebracht hast! Dies würde immer ein schlechter Grundstein unserer Ehe sein und wir beide nie sorglos werden, nie!‘“ (S.52)). Doch die Liebe der beiden Kinder ist so stark, dass Sali nach der Einweisung Martis ins Irrenhaus wieder zu Vrenchen geht und die beiden eine Nacht gemeinsam verbringen. Hier wird den Liebenden klar, wie ernst ihnen die Beziehung zueinander ist. Als sie sich über ihre Zukunft unterhalten äußert Sali: „[…] aber ich kann noch nicht fortgehen, solange du hier bist, und hernach wird es mich aufreiben. Ich glaube, das Elend macht meine Liebe zu dir stärker und schmerzhafter, sodass es um Leben und Tod geht!“ (S.52). Erstmalig wird hier von den Kindern selbst der Tod als äußerste Konsequenz ihrer Liebe thematisiert, wenn allerdings auch als Bedrohung und nicht als Lösung.

[...]


[1] In der zweiten Ausgabe geht diese Mittelstellung jedoch verloren. Auf Wunsch des Verlegers werden die Erzählungen Romeo und Julia auf dem Dorfe und Frau Regel Amrain an den Beginn gesetzt.

[2] Weiterführende Betrachtungen zum Spiel der Kinder erfolgen im Abschnitt 3.2. Das Spiel der Kinder.

[3] Das Symbol der aufgetürmten Steine wird im Abschnitt 3.3. Die Symbolik der Steine tiefgehender betrachtet.

[4] Diese Dialektik lässt begreifen, wie eng das Schicksal der Liebe der Kinder mit dem ihrer Väter verbunden ist. Die Beziehung zwischen den Kindern wird erst durch den ungeheuren Hass und die Feindseligkeit der Väter wieder ermöglicht und muss somit von vornherein zum Scheitern verurteilt sein.

[5] siehe hierzu im Abschnitt 3.2. Das Spiel der Kinder

[6] Vergleiche hierzu die Ausführungen von KAISER: „Wurde einst die Puppe beerdigt, begraben sie sich hier im Korn, werden sie sich einst in den Wellen des Stroms begraben.“ (KAISER S.302)

[7] Ausführliche Betrachtungen zum symbolischen Hintergrund des Steins, mit dem Sali Marti niederschlägt finden sich im Abschnitt 3.3. Die Symbolik der Steine.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Interpretation ausgewählter Schwerpunkte in Gottfried Kellers Werk "Romeo und Julia auf dem Dorfe"
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Germanistische Literaturwissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V27018
ISBN (eBook)
9783638291699
ISBN (Buch)
9783638649278
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die vorliegende Arbeit ist eine Interpretation des Werkes von Gottfried Keller. Die thematischen Schwerpunkte der Arbeit sind die Handlungsstränge der beiden Hauptfiguren (Sali und Vrenchen) und die Symbolik Kellers. In diesen Bereichen ist die Hausarbeit sehr genau und bezieht nahezu sämtliche Forschungsliteratur (Stand: April 2004) ein. Die Arbeit weist keinen Rechtschreibfehler auf und entspricht formell höchsten Standards (Zitate, Literaturangaben, Fußnoten etc.). Inhalt: siehe Note!
Schlagworte
Interpretation, Schwerpunkte, Gottfried, Kellers, Werk, Romeo, Julia, Dorfe
Arbeit zitieren
Jens Junek (Autor:in), 2004, Interpretation ausgewählter Schwerpunkte in Gottfried Kellers Werk "Romeo und Julia auf dem Dorfe", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27018

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