Textimmanente Untersuchung des Romans 'Der Hahn ist tot' von Ingrid Noll und Versuch einer Zuordnung in das Subgenre 'psychologischer Frauenkrimi'


Hausarbeit, 2000

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorstellung der Autorin

2. Textimmanente Untersuchung des Romans „Der Hahn ist tot“ von Ingrid Noll und Versuch einer Zuordnung in das Subgenre „psychologischer Frauenkrimi“
2.1. Inhalt und Einordnung des Romans unter das Genre „Kriminalroman“
2.2. Untersuchung des Aufbaus
2.3. Variationstechnik bei Art der Morde
2.4. Handlungsmotivation der Mörderin
2.5. Charakterisierungstechnik der Personen mit sprachlichen Mitteln
2.5.1. Charakterisierung der Heldin
2.5.2. Charakterisierung der anderen Figuren
2.6. Resümee: Zuordnung des Romans zum Genre des psychologischen Frauenkrimis

3. Leichte Zugänglichkeit als Erfolgsrezept für Ingrid Nolls psychologischen Frauenkrimi

Literaturverzeichnis

1. Vorstellung der Autorin

Ingrid Noll wurde am 29. September 1935 in Shanghai geboren. In Nanking verbrachte sie ihre Kindheit. Dort verfasste sie heimlich ihre ersten literarischen Arbeiten in Form von kleinen Geschichten. 1949 kam Noll zusammen mit den Eltern und ihren drei Geschwistern nach Deutschland, wo sie in Bad Godesberg ein Mädchengymnasium besuchte. Nach dem Abitur begann sie an der Universität in Bonn ihr Studium in Germanistik und Kunstgeschichte. Kurz vor dem Examen brach sie ihr Studium ab und heiratete 1959 einen Internisten. Danach widmete sie sich ganz dem Haushalt, ihren drei Kindern, ihrer Mutter, die im gleichen Haushalt wohnte, und der Praxis ihres Ehemannes. Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, zog es Noll wieder zum Schreibtisch; sie schrieb ihren ersten Roman „Der Hahn ist tot“ , der sofort vom Diogenes-Verlag angenommen und 1991 publiziert wurde.[1] Das Buch entpuppte sich bald als Bestseller und wurde in 19 Sprachen übersetzt. Für „Die Häupter meiner Lieben“, Nolls zweites Werk, erhielt sie den „Glauser“ für den besten Kriminalroman des Jahres 1993.[2] Danach folgten die ebenso erfolgreichen Bücher„Die Apothekerin“(1994), „Der Schweinepascha“ (1996), „Kalt ist der Abendhauch“ (1996), „Stich für Stich“ (1997) und „Röslein rot“ (1998). Drei davon - „Die Häupter meiner Lieben“, „Die Apothekerin“ und jetzt kürzlich auch „Kalt ist der Abendhauch“ - wurden mit großem Erfolg verfilmt.

In Anbetracht dieser Verfilmungen und der großen Auflage ihrer in nur 10 Jahren entstandenen 7 Romane fragt man sich nach I. Nolls „Erfolgsrezept“. Dazu schreibt J.M. Simmel: Sie „schreibt brillant, geistreich[und] böse“[3]. Gabriela Wenke lobt Ingrid Nolls Schreibstil als „sehr gekonnt und literarisch versiert [...] [.Sie] entwickele ihre Figuren psychologisch schlüssig und mit einem gefährlichen-hintergründigen Humor“[4]. Insbesondere bei Nolls erstem Buch „Der Hahn ist tot“, mit dem ich mich im Folgenden näher beschäftigen möchte, wird dieser teilweise „schwarze“ Humor deutlich.

2. Textimmanente Untersuchung des Romans „Der Hahn ist tot“ von Ingrid Noll und Versuch einer Zuordnung in das Subgenre „psychologischer Frauenkrimi“

2.1. Inhalt und Einordnung des Romans unter das Genre „Kriminalroman“

Das Bedürfnis von Rosemarie Hirte, der fünfzigjährigen Heldin in diesem Roman, ist es, lediglich eine ganz normale Durchschnittsfrau zu sein, die mit dem Mann ihrer Träume, Witold, verheiratet sein möchte. Um dieses Ziel erreichen zu können, verübt sie zielstrebig einen Mord nach dem anderen: die ersten drei Morde dienen Rosi als Mittel zum Zweck, Witolds Liebe zu erringen. Zuerst wird die Gattin des Traummannes erschossen. Beate, die einzige Freundin, entpuppt sich für Rosi als gefährliche Rivalin, die es auszuschalten gilt. Sie wird kurzerhand von einem Aussichtsturm im Wald heruntergestoßen und stirbt dabei an einem Schädelbruch. Das nächste Opfer stellt die feurige Scarlett dar, deren Souveränität, Selbstsicherheit, Familienglück und Verführungserfolg bei Witold auf Neid, Hass und Misstrauen bei der Heldin stößt. Scarlett wird deshalb in der Badewanne ertränkt. Allerdings muss Rosi ihre romantischen Illusionen einer erfüllten späten Liebe über Bord werfen. Ihre Enttäuschung und Wut über ihre gescheiterte Existenz als liebende Gattin versucht sie durch ihre Mordfähigkeit zu kompensieren. Berauscht durch das Machtgefühl, über Leben und Tod entscheiden zu können, hat Rosi bei ihren anschließenden Morden keinerlei Gewissensbisse mehr. Ungerührt erlebt sie mit, wie ihr „Mordkomplize“ und ehemaliger Angebeteter Witold bei der Beseitigung eines ihrer Opfer fast umkommt. Die Gefahr der Enttarnung als Mörderin ist gebannt, nachdem sie den Polizisten, der ihr auf der Spur war, beseitigt und Witold, den Zeugen ihrer Verbrechen mundtot gemacht hat. Allerdings hat sie damit auch das Ziel ihrer Sehnsucht, den geliebten Mann, physisch und psychisch vernichtet. „[D]er Hahn ist tot, nun hat Rosmaries verwundetes Herz endlich Ruhe[, nachdem sie Rachen an] der Welt [für] ihre [...] vernachlässigte, zur Seite geschobene Existenz“[5] genommen hat.

Der erzählende Roman kreist um vier Verbrechen. Somit kann man bereits inhaltlich von einem Kriminalroman sprechen, da Mord ja „eines der Hauptmerkmale des Kriminalromans“[6] ist. „Alle Elemente eines Kriminalromans: De[r] Mörder und sein Opfer, das Motiv der Tat [(Liebe, Neid, Missgunst und Machtgefühl u.a.)] d[er] Hergang der Tat und ihr[ ] Ausgang“[7] sind in Nolls Erstlingswerk sogar in vermehrter Form vorhanden. Die Erzählung läuft parallel zu der Handlung ab. Das erste wird zuerst, das letzte zuletzt erzählt. Während der Detektivroman mit dem Mordopfer beginnt, hört der Kriminalroman mit diesem auf. Der Detektivroman schließt mit dem Täter und seinem Mordmotiv, mit denen der Kriminalroman beginnt. „Der Kriminalroman erzählt die Geschichte eines Verbrechens, der Detektivroman die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens.“[8]. Somit kann man Nolls Werk nach R. Alewyn klar von dem Genre Detektivroman abgrenzen und es dem Kriminalroman zuschreiben.

I. Nolls Roman unterscheidet sich allerdings von einem klassischen Kriminalroman durch eine neue Spannungsfrage: es gibt kein „Täterrätsel“, die Spannungsfrage lautet nicht: „Wer ist der Mörder“, denn die Erzählerin Rosemarie stellt sich von vornherein unverblümt selbst als Mörderin vor. Das Spannungsmoment dieses Krimis liegt in der Frage: wird es der Heldin letztendlich gelingen, die Liebe ihres Traummannes doch noch zu gewinnen? Aus dieser neuen Spannungsfrage ergibt sich ein weiteres wesentliche Merkmal des Romans: er verfügt nicht über eine einheitliche Spannungskurve, die sich vom Anfang des Romans – dem erfolgten Mord – bis zum Schluss d der Aufklärung des Mordes – spannt, sondern über eine Vielzahl von kleinen Spannungsbögen: nach jedem „erfolgreichen“ Mord taucht ein neues „Hindernis“ auf, das das ersehnte Liebesglück der „Heldin“ in Frage stellt, insofern wird ständig neu Spannung aufgebaut.

2.2. Untersuchung des Aufbaus

In dem Roman lassen sich eine Haupt- und eine Nebenhandlung finden. Diese verlaufen parallel zueinander und führen fast gleichzeitig zum Schluss hin. Die Nebenhandlung befasst sich mit dem Schicksal von Rosis Kollegin, Frau Römer. Sie ist eine alte Jungfer, die einen Hund besitzt. Kurz vor ihrer Pensionierung erkrankt sie an Brustkrebs. Während ihrer Aufenthalte im Krankenhaus und in der Kur übernimmt Rosi jeweils den Dieskau. Als Dank gibt Frau Römer ihr das einzige Geschenk ihrer Jugendliebe, eine alte Brosche. Aus dieser Verbindung war eine Tochter hervorgegangen, die in Amerika lebt.

Bei einem Wanderurlaub im Elsaß, den sie gemeinsam mit Witold unternimmt, lernt Rosemarie Ernst Schröder kennen. Dieser erkennt die Brosche wieder und Rosemarie weiß damit, dass er der ehemalige Geliebte von Frau Römer ist. Frau Römer fährt nach Amerika, besucht ihre Tochter und gibt Rosi Dieskau zur Obhut. Als diese wegen eines Krebsgeschwülst kurzfristig ins Krankenhaus eingeliefert werden muss, teilt sie Schröder in einem Brief die Wahrheit über die Besitzerin der Brosche mit und bittet ihn, den Hund kurzzeitig zu übernehmen. Schröder erfährt von der Existenz seiner Tochter, die er mit Frau Römer bekommen hat. Als Frau Römer wieder von ihrer Reise zurück ist, treffen sich die beiden nach einigen Jahrzehnten wieder und sprechen sich aus. Ein Happy-End gibt es hier genauso wenig wie in der Haupthandlung. Haupt- und Nebenhandlung besitzen die gleiche Thematik: eine unerfüllte Liebe. Die Brosche von Frau Römer gilt dabei als ein bedeutendes Verbindungsglied zwischen den beiden Handlungen. Sie stellt den Götterboten Hermes ganz in schwarz dar und verkörpert somit die unerfüllte Liebe.

2.3. Variationstechnik bei Art der Morde

Bei der Darstellung der Morde beweist die Autorin bewundernswerten Einfallsreichtum. Den ersten Mord begeht Rosi im Wohnzimmer von Witolds Haus. Dieser hatte seiner Frau Hilke mit einem Revolver in die Brust geschossen. Sie animiert Witold, sich einen Vollrausch anzutrinken, um mildernde Umstände vor Gericht zu erhalten. Nachdem Witold bewusstlos ist, verpasst Rosi seiner Gattin den tödlichen Kopfschuss. Um die Tat Witolds als Notwehrhandlung gegenüber seiner Frau darzustellen, schießt Rosi ihn ins Bein. Daraufhin alarmiert sie von einer Telefonzelle aus die Polizei, fährt mit ihrem Wagen nach Hause fährt und lässtdie Tatwaffe mitgehen. Für ihren zweiten Mord an ihrer einzigen Freundin Beate lockt sie ihr Opfer in deren Auto in den Wald. Dort stößt sie Beate nach einer Henkersmahlzeit mit Sekt und Hühnchen von einem Aussichtsturm, so dass sie sich den Schädel bricht. Diesesmal erfolgt ihr Rückweg zu Fuß durch „Dickicht und Gestrüpp“[9], „durch Maisfelder und Schreberanlagen“[10], so dass sie keine Spuren hinterlässt. Da sie kurz darauf krank im Bett liegt, hat sie ein überzeugendes Alibi.

Scarlett, der Geliebten Witolds, versetzt Rosi anlässlich eines Wanderurlaubs im Elsaß einen Stromschlag mit dem Lockenstab, während sie in der Badewanne sitzt. Den Lockenstab wirft sie später in den Neckar, so dass die verräterische „Tatwaffe“ fehlt.

Für den vierten Mord an einem Polizisten, der wie der erste und dritte aus einer Kurzschlussreaktion erfolgt, wird der Revolver wieder herangezogen. Sie erschießt ihn in ihrem eigenem Badezimmer, als dieser dort die Tatwaffe „Lockenstab“ sucht.

[...]


[1] Ihr Erstlingswerk hatte Noll in alte Schulhefte ihrer Kinder mit der Hand geschrieben und Freunden zu Weihnachten geschenkt. Diese schickten dann das Manuskript an einige Verlage.

[2] vgl. dazu: http://www.diogenes.ch/4DACTION/web_rd_a...a_id=7069516&tmpl=AUT_11&cnt=3&ID=269362, 1/4-4/4

und: http://www.voralberg.at/frauen

[3] Johannes Mario Simmel, 5/5, http://www.diogenes.ch/4DACTION/web_rd_a...a_id=7069516&tmpl=AUT_31&cnt=5&ID=269362

[4] Wenke, Gabriela, Sisters in Crime in deutschen Krimis, in Das Mordsbuch. Alles über Krimis, hrsg. von Schindler, Nina, Claasen, 1997, S. 286, Z.9-11

[5] http://www.diogenes.ch

[6] Eckert, Otto, Der Kriminalroman als Gattung, in: Dichtung in Theorie und Praxis, Kriminalliteratur, hrsg. von Hoppe, Robert, Banger Verlag, 1980, S.11, Z. 20

[7] Alewyn, Richard, Anatomie des Detektivromans, in: Dichtung in Theorie und Praxis, Kriminalliteratur, hrsg. von Hoppe, Robert, Bange Verlag, 1980, S.17, Z.1-3

[8] Alewyn, Anatomie des Detektivromans, S.17, Z.27-29

[9] Noll, Ingrid, Der Hahn ist tot, Diogenes, 1993, S.101, Z.26

[10] Noll, 1993, S.102, Z.13

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Textimmanente Untersuchung des Romans 'Der Hahn ist tot' von Ingrid Noll und Versuch einer Zuordnung in das Subgenre 'psychologischer Frauenkrimi'
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für deutsche Philologie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
16
Katalognummer
V26950
ISBN (eBook)
9783638291361
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Textimmanente, Untersuchung, Romans, Hahn, Ingrid, Noll, Versuch, Zuordnung, Subgenre, Frauenkrimi
Arbeit zitieren
Verena Watzal (Autor:in), 2000, Textimmanente Untersuchung des Romans 'Der Hahn ist tot' von Ingrid Noll und Versuch einer Zuordnung in das Subgenre 'psychologischer Frauenkrimi', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26950

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Textimmanente Untersuchung des Romans 'Der Hahn ist tot' von Ingrid Noll und Versuch einer Zuordnung in das Subgenre 'psychologischer Frauenkrimi'



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden