Tschernobyl in der Erinnerung. Zeugen berichten.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Persönliche Erinnerungen aus der Kindheit
1.2 Tschernobyl- Katastrophe im Werden. Das Gedenken an Tschernobyl
in dem Artikel von G. Grandazzi

2. Helden und Opfer zugleich. Wer waren die Liquidatoren?

3. Berichte und Erinnerungen
3.1 Analyse des Berichtes „Proščaj, Pripjat'!“
3.2 Der Erinnerungsbericht vom Liquidator Nikalai Kantsawenka
3.3 Nikalai Masalski, ein Liquidator aus Belarus, berichtet

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Am Samstag, dem 26. April 1986, ereignet sich der Unfall im Block 4 des Atomkraftwerks (AKW) Tschernobyl. Es war der Beginn einer Katastrophe. Die Bewohner der Stadt Pripjat', die nur 5 km vom AKW entfernt liegt, werden nicht gewarnt und beobachten von ihren Balkonen und von der Straße den Brand des Reaktors. Erst am Sonntag beginnt die Evakuierung der 50 000 Einwohner von Pripjat'[1].

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Rolle der „Erinnerung“ an diese Katastrophe. Zuerst werden die Erinnerungen aus meiner Kindheit beschrieben. Es sind keine vollständige Berichte, sondern nur im Gedächtnis gebliebene Erinnerungen eines damals 6- jährigen Mädchens. Diese Erinnerungen sollen eine Parallele zu den Erinnerungsberichten von Liquidatoren sein, die in der vorliegenden Arbeit erwähnt werden. Zunächst wird die Bedeutung der „Erinnerung“ anhand eines Artikels von G.Grandazzi geschildert und es wird darüber nachgedacht, wie man einer im Werden begriffenen Katastrophe gedenken soll. Im Hauptteil werden drei Erinnerungsberichte dargestellt und analysiert. Im ersten Bericht geht es um eine von der Katastrophe betroffene Frau Valentina Annikeeva aus der Stadt Pripjat' und ihr Schicksal. Der zweite ist ein Bericht von Nikalai Kantsawenka, einem Liquidator aus dem Gebiet Gomel in Belarus. Der dritte Bericht sind die Erinnerungen des Liquidators Nikalai Masalski. Es soll analysiert werden, wie sich die Betroffenen im Moment der Katastrophe verhielten, welche Einstellungen sie dazu entwickelten, welche Haltungen sie einnahmen. Hat die Katastrophe für diesen Menschen eine Spur im Leben hinterlassen? Bekamen sie Unterstützung oder wurden sie ausgegrenzt? Die Bearbeitung gestellten Fragen soll ergeben, welche Rolle die Erinnerung für diesen Menschen spielt. Zum Schluss folgt eine Zusammenfassung.

1.1 Persönliche Erinnerungen aus der Kindheit

Dovljady, Dernoviči, Karpoviči...Das sind nur ein paar Dörfer im Gebiet Gomel in Belarus, deren Bewohner nach dem Unfall am Kernkraftwerk in Tschernobyl umgesiedelt wurden. Man findet die Namen dieser Dörfer noch auf der Karte, doch mit Kennzeichnung „unbewohnt“.

Ich war sechs Jahre alt, als sich die Katastrophe ereignete. Meine Eltern haben mich und meine Geschwister nach der Reaktorkatastriphe, über die Sommerferien 1986, zu unseren Verwandten gebracht. Zu dieser Zeit konnte jeder Erwerbstätige einen Urlaub problemlos beantragen. Es wurde sogar empfohlen, den Urlaub in möglichst weit entfernten Regionen zu verbringen. So flog ich zu meiner Tante nach Usbekistan, weit weg von meiner Stadt Kalinkoviči in Gebiet Gomel. An vieles aus dieser Zeit kann ich nicht erinnern, aber solche Wörter wie „Tschernobyl“ und „Radioaktivität“ waren mir damals fremd. Erst später waren wir damit öfter konfrontiert. Es gab regelmäßige Untersuchungen an der Schilddrüse, Impfungen, Vitamine für Immunsystem. Jährlich fuhren wir mit der ganzen Klasse zur Erholung ans Meer oder in Sanatorien. Die Schulen bekamen die Fahrkarten kostenfrei zur Verfügung gestellt. So bin ich als Kind in verschiedenen Orten gewesen. Einmal, als wir uns am Kaspischen Meer in Derbent erholten, nannten uns die Einheimischen die „Tschernobyl-Kinder“. Sie hatten Mitleid mit uns und wir durften in ihren Gärten immer genug Obst naschen. Wir fühlten uns wohl da, nur verstand ich damals nicht, welchen Bezug wir zu Tschernobyl als Weißrussen hatten. Als Teenager wusste ich mehr über Tschernobyl. In der Schule gab es jährlich die Austellungen mit der Thematik „Tschernobyl – unser Schmerz“. Noch jetzt erinnere ich mich an das Bild: eine frische rote Rose umwickelt mit einem Draht. Ein Symbol für die Stadt Pripjat', die nicht mehr betreten werden durfte. Es wurde auch wöchentlich ein Unterricht gegeben, in dem wir über Radioaktivität und ihre Folgen informiert wurden. Wir bekamen verschiedene Fotos und Filme gezeigt, wir lernten die Nutzung der Gasmasken und der Schutzkleidung. Auch im Alltag wurden wir ständig an die Folgen der Katastrophe erinnert: keine direkten Sonnenstrahlen, im Wald gesammelte Beeren und Pilze wurden vor dem Verzehr mit Geigerzähler streng kontrolliert. Man hatte auch Angst, dass die Haare ausfallen, wenn sie vom Regen nass werden. Aber obwohl meine Heimat von den Folgen der Katastrophe schwer betroffen war, hatte ich dort eine glückliche Kindheit.

1.2 Tschernobyl - Katastrophe im Werden. Das Gedenken an Tschernobyl in dem Artikel von G.Grandazzi

Der Artikel von Guillaume Grandazzi[2] „Die Zukunft erinnern. Gedenken an Tschernobyl“ erschien im Jahre 2006 zu dem 20. Gedenktag an die Katastrophe. Jedes Jahr Ende April finden für einige Tage in betroffenen Regionen und in vielen weiteren Ländern die Veranstaltungen statt, die sich den Reaktorunfall widmen. Für einige sind es Erinnerungen, Verlust und Schmerz. Die anderen ergreifen an diesen Tagen die Möglichkeit, das so genannte Tschernobyl-Business aufzuziehen[3].

Obwohl die Katastrophe sich bereits vor zwanzig Jahren ereignete, breitet sie sich bis in die Gegenwart aus und bestimmt sogar noch unsere Zukunft. Je mehr Jahre vergehen, je mehr Zeugen sterben, je mehr Erinnerungen verblassen, desto mehr hat die Katastrophe Aktualität. Gerade das stellt ein Problem für das Gedenken an eine Vergangenheit dar, die ja nicht vergeht, weil die radioaktive Verseuchung Gegenwart bleibt[4].

Grandazzi nennt die Tschernobyl-Katastrophe eine „Katastrophe im Werden“. Doch es stellt sich die Frage, wie man einer solchen Katastrophe gedenken soll. Wie auch für andere Katastrophen werden gewöhnlich die Jahrestage zum Anlass genommen, die Geschichte dieser Tragödien neu zu schreiben und das Ausmaß der Folgen neu zu bestimmen. Doch die Bilanz im Falle Tschernobyl kann immer nur vorläufig sein. Die Katastrophe lässt sich nicht auf einen Punkt in der Vergangenheit fixieren. „Sie zwingt uns […] ein Gedächtnis des Künftigen zu entwickeln [...]“[5]. Die Bewohner der kontaminierten Gebiete leben in der Angst, welche man als „stochastische Angst“ bezeichnen könnte. Es ist die Furcht vor einem vergangenen Ereignis, das noch nicht erlebt worden ist. So gesehen sind wir alle Bürger Tschernobyls, weil die verseuchten Gebiete für eine Welt stehen, die durch die produktiven Tätigkeiten des Menschen immer weniger bewohnbar wird und wo wir immer mehr lernen müssen zu überleben. Es ist eine Welt, in der der Alltag immer unsicherer wird. Solch einfache Tätigkeiten wie essen oder spazieren gehen werden zu potentiellen „Risikotätigkeiten“[6]. In einer so gearteten Welt sind wir zugleich Einheimische und Fremde. Solche oder ähnliche Lebensumstände drohen jedem Land, das auf die Atomenergie setzt und glaubt, sie zu beherrschen. Doch immer mehr Menschen wird bewusst, wie groß die Bedrohung ist und wie hilflos sie sind, dieser Bedrohung vorzubeugen oder sich zu schützen[7].

[...]


[1] Medwedew, G.: Verbrannte Seelen. Die Katastrophe von Tschernobyl, München-Wien 1991, S. 291.

[2] Guillaume Grandazzi (1969), Dr. phil., Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum für soziologische und antropologische Risikoanalyen der Universität Caen.

[3] Grandazzi, G.: Die Zukunft erinnern. Gedenken an Tschernobyl. S. 8.

[4] Ebd.

[5] Ebd., S. 13.

[6] Ebd., S. 14.

[7] Ebd., S. 13ff.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Tschernobyl in der Erinnerung. Zeugen berichten.
Hochschule
Universität zu Köln
Veranstaltung
Tschernobyl in medialer Perspektive
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
15
Katalognummer
V269099
ISBN (eBook)
9783656597865
ISBN (Buch)
9783656597827
Dateigröße
1145 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
tschernobyl, erinnerung, zeugen
Arbeit zitieren
Tatsiana Boukhris (Autor:in), 2011, Tschernobyl in der Erinnerung. Zeugen berichten., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269099

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