Die politische Rolle des Sports im SED-Staat DDR


Facharbeit (Schule), 2011

46 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Hauptteil

2.1 Gesellschaftliche Bedingungen für Breitensport und Spitzensport in der DDR

2.2 Konkurrenz zum andern System - Leistungssteigerung durch Doping

2.3 KJS – der Preis für MedaillenWettkämpfe in der DDR

2.4.1 Die Kinder- und Jugendspartakiaden

2.4.2 Weitere Leistungsvergleiche

Mannschaftssport in der DDR – am Beispiel Fußball

Bindung ans Sportkollektiv - zwischen VEB und Wohngebiet

Interviews mit ehemaligen DDR-Bürgern zu ihren Sporterfahrungen

3 Fazit

Was bleibt von der SED-Sportpolitik?

4 Anhang

4.1 Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

4.2 Material (M1-M22)

4.3 Quellenverzeichnis zum Material im Anhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

„Für Sport wurde in der DDR immer viel getan, mehr als in der BRD“, das habe ich von meinen Verwandten oft gehört. Die gesamte Familie meiner Mutter lebt in der ehemaligen DDR und viele sind noch in der DDR zur Schule gegangen oder haben dort  studiert. Deswegen haben sich bei gegenseitigen Besuchen Gespräche oft auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der DDR bezogen. Über das Thema „Sport“ bekam ich einen leichteren Einstieg in das schwierige Thema des anderen „sozialistischen“ Deutschlands, da aktiver Sport zu meinen Hauptinteressen gehört.

In den letzten fünf Jahren gab es auffallend viele Medienberichte über den Leistungs-sport in der DDR und über die Aufbereitung der allmählich bekannt gewordenen Dopingskandale. Im „Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig“ hat die „Stiftung Haus der Geschichte“ am 25.11.2009 eine interessante Ausstellung zum Thema Sport im geteilten Deutschland unter dem Titel: „Wir gegen uns“[1] eröffnet. Im Zusammenhang mit dieser eindrucksvoll gestalteten Auseinandersetzung mit der 40-jährigen DDR-Sportgeschichte wurde im Deutschlandfunk am 26.01.2010 eine brisante Diskussion zwischen Opfern und Tätern (Medizinern und Trainern) zum Thema „Doping in der DDR“ übertragen.[2] In dieser Podiumsdiskussion kam auch ein Sportler -˗ selbst Dopingopfer – zu Wort, der vor allem darauf hinwies, dass die meisten einstigen Täter und Mitwisser des DDR-Dopings ihre Taten bis heute nicht eingestanden hätten, auch seien sie kaum zur Verantwortung gezogen worden. Demnach wurden viele der Höchstleistungen von DDR Spitzensportlern nur über ein staatlich verordnetes „Leistungsdoping“ erreicht.

Bei einem zweiten Besuch in Leipzig, im Oktober 2011, hatte ich die Chance, im Zeitgeschichtlichen Forum und im ehemaligen Sportmedizinischen Institut auf dem Gelände des Sportforums Leipzig selbst Gespräche mit Zeitzeugen zu führen, die mir helfen könnten, die Frage zu beantworten, weshalb das SED-Regime in der DDR mit Sport Politik machen wollte – und das mit allen Mitteln.[3] Diese andere Seite der Medaille hat mich stutzig gemacht und dazu veranlasst, diesen Widerspruch zu unter-suchen, auch unter dem Aspekt, welche Rolle der Breitensport dabei spielte.

2.1 Gesellschaftliche Bedingungen für Breitensport und Spitzensport in der DDR

Bis Mitte der siebziger Jahre wurden die Gebote, die Walter Ulbricht auf dem 5. Parteitag der SED 1958 als die „Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen“ in fast christlicher Moral formuliert hatte, vor allem für Sportler, die Vorbilder für die sozialistische Persönlichkeit sein sollten, als Leitlinie vorgegeben. In diesen Geboten heißt es unter anderem: „[...] , der neue sozialistische Mensch solle, [...] das Kollektiv achten, [...] ständig die eigene Leistung verbessern, [...] die Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen [...]“.[4]

Diese Grundsätze müssten eigentlich, richtig befolgt bedeuten, dass Breitensport und Spitzensport gleichermaßen unterstützt und mit anährend gleichen Mitteln gefördert werden sollte, denn ein Grundsatz des Sozialismus ist auch, dass jeder nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten arbeiten und leben kann. In diesem Sinne beziehen sich zwei Artikel der Verfassung der DDR auf die Förderung des Sports. In Artikel 25, Absatz 3, heißt es: „Zur vollständigen Ausprägung der sozialistischen Persönlichkeit [...] wird die Teilnahme der Bürger am kulturellen Leben, an der Körperkultur und am Sport durch den Staat und die Gesellschaft gefördert.“[5] Ergänzend heißt es in Artikel 35, Absatz 2, im Zusammenhang mit dem Recht auf Schutz der Gesundheit und Arbeitskraft: „Dieses Recht wird durch die planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen […], die Förderung der Körperkultur, des Schul- und Volkssports und der Touristik gewährleistet.“[6]

Die Realität sah jedoch anders aus. In dem Dokumentarfilm „Die Goldmacher“[7] berichteten ehemalige DDR-Spitzensportler über ihre sportliche Karriere. Im Gegensatz zu Spitzensportlern aus der BRD konnten die Besten des DDR-Sports sich ausschließlich ihrem Sport und den von Wissenschaftlern ausgeklügelten Trainingsprogrammen widmen. Bei Wettkämpfen zwischen DDR–  und BRD–Sportlern trafen also Staats–Profis (DDR) auf Amateure (BRD), wie der Handballer Wolfgang Böhme im Film „Die Goldmacher“[8] berichtet. Der Breitensport dagegen wurde mit Ausnahme des Schulsports, bei dem vor allem junge Talente entdeckt werden sollten, stark vernachlässigt. Die Ausgaben für Kultur, Sport und Erholung betrugen 1976 zwar 2.05 Mrd. Mark (Mark der deutschen Notenbank, DDR), das meiste davon ist aber offensichtlich in den Spitzensport geflossen.[9] „Modernste Sportanlagen, Sportschulen für den Nachwuchs, wissenschaftliche Trainingsmethoden, eine eigene Sportschule für den Leistungssport standen heruntergekommene Anlagen für den Breitensport gegenüber.[10] “ Große Teile der DDR-Bevölkerung waren deshalb verärgert, dennoch verehrten sie ihre erfolgreichen Spitzensportler, die die DDR und die Ideen des Sozialismus praktisch als „Diplomaten in Trainingsanzügen“ nach außen vertraten.

Der Breitensport war nur im Blickfeld der SED-Führung zur besseren Auswahl möglicher Sporttalente in Schulen und Vereinen, außerdem sollte jeder Bürger auch in der Freizeit ans Kollektiv gebunden werden.. Zur Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit hatte schon Walter Ulbricht die Parole ausgegeben: „Jeder Mann an jedem Ort einmal in der Woche Sport.“ Einige Jahre später hieß es sogar „mehrmals in der Woche Sport.“[11]

Aus einem Lehrplan für die Grundschule – in der DDR „Unterstufe der polytechnischen Oberschule“ - aus dem Jahr 1971 heißt es ausdrücklich: „ Im Sportunterricht ist den Schülern eine körperliche Grundausbildung zu vermitteln. Sie ist darauf gerichtet […] politisch moralische Verhaltensweisen herauszubilden.“[12] Die Ministerin für Volks-bildung, Margot Honecker, die verantwortlich für diese Lehrpläne ist, gibt somit vor, dass die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit schon im Sportunterricht der Unterstufe beginnt. Weiter heißt es „In Verbindung mit […] der Tätigkeit in der Pioniergruppe und unter Nutzung der Kinderpresse sollen die Kinder hervorragende Sportler unserer Republik als Vorbilder für Übungsfleiß und Leistungsstreben, für die Wertschätzung der Sportler unseres Vaterlandes in aller Welt achten lernen.“[13] Hier wird schon klar, dass der Sport ganz eng verbunden war mit der Zugehörigkeit zu den Jugendorganisationen der SED – den Jungen Pionieren und der FDJ. Die Sport-organisationen waren ein Organ der Partei, sie hatten keine Gruppenautonomie wie die Sportvereine in einer pluralistischen Gesellschaft. Die positive Außenwirkung des Spitzensports sollte vor allem als Beweis für die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber anderen politischen Systemen dienen.

Der Massensport wurde in der SED zwar nicht so gefördert wie der Spitzensport, dennoch wurde er mehr als in der BRD bis zur Wende propagandistisch unterstützt. In Wohngebieten – sogenannten Hauskollektiven -, in Betriebssportgruppen und vor allem bei den medienwirksamen Kinder- und Jugendspartakiaden in Leipzig und Berlin wurden die DDR-Bürger zur sportlichen Betätigung mobilisiert.[14] Eine Statistik belegt aber, dass seit Mitte der achtziger Jahre ein Rückgang der sportlichen Aktivitäten im Breitensport festzustellen ist. Das Interesse an dauernder kollektiver Verpflichtung ließ nach, das Individuelle trat mehr in den Vordergrund.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1[15]

Über die Ursachen lassen sich Vermutungen anstellen, wie die „ […] mangelhafte materielle Situation […] der Sportstätten.“3 Der Leistungssport rückte seit den großen Erfolgen bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München, zu denen die beiden deutschen Teilstaaten erstmals zwei vollständig voneinander getrennte Mannschaften schickten, immer mehr in den Vordergrund. Dieses erste Kräftemessen gewann die DDR.

Ein weiterer Grund für das Nachlassen des Interesses am Allgemeinsport könnte auch bei der vom Staat verordneten Militarisierung des Sportunterrichts zu suchen sein – wie ein „Wehrkundebuch“[16] für den Unterricht aus dem Jahr 1976 belegt. Im Vorwort wird auf die Notwendigkeit der Selbstverteidigung gegenüber der „Aggressivität des Imperialismus“[17] hingewiesen. Dieses Werk wurde für Arbeitsgemeinschaften in den Klassen neun und zehn der polytechnischen Oberschulen empfohlen. Die Vermischung von Militärischem und Sportlichem zeigte sich, abgesehen von den Kommandos im Sportunterricht („In Linie zu einem Glied angetreten –marsch!“u.ä.)[18], auch daran, dass es durchaus üblich war, Übungshandgranaten zum Weitwurf im Sportunterricht einzusetzen.[19]

2.2 Konkurrenz zum andern System – Leistungssteigerung durch Doping

Bis zu den Olympischen Spielen in Mexiko 1968, wo die DDR auf Anhieb den dritten Platz in der für sie so entscheidenden „Nationenwertung“ erreichte – hinter der Sowjetunion und den USA –, wurden die DDR-Sportler allgemein wegen ihrer schwachen Leistungen in der bis 1968 gesamtdeutschen Mannschaft belächelt.[19] In Mexiko landete die jetzt getrennt auftretende BRD-Mannschaft auf Platz sechs des Nationenvergleichs. So konnte es auch passieren, dass 1985 bei der Skiwelt-meisterschaft in Bornio versehentlich die DDR-Hymne bei der Siegerehrung eines westdeutschen Sportlers gespielt wurde, man dachte, deutsche Sieger müssten eigentlich aus der DDR kommen, die aber hatte gar keine Athleten geschickt.

Seit den siebziger Jahren wurde die starke Leistungsorientierung der DDR-Athleten international bewundernd zur Kenntnis genommen,[19] gleichzeitig begann man mehr oder weniger deutlich über vom Staat verordnetes Doping bei DDR-Sportlern zu tuscheln.[20]

Erst heute ist das gesamte Ausmaß der unerlaubten Leistungssteigerung im DDR-Sport deutlich geworden. Unzählige Interviews, Zeitungsartikel und Bücher geben darüber Auskunft. Leider bekennen sich vor allem die Täter (Sportfunktionäre, Ärzte und Trainer) häufig nicht zu ihrer unrühmlichen Vergangenheit.

Die Leidtragenden, die meist massiv unter Druck gesetzt wurden, gehen offener mit dem Thema „Doping“ um. Allerdings gibt die DDR-Sprinterin Gesine Tettenborn, die sich nachträglich aus der DLV-Rekordliste streichen ließ, zu, dass sie bei ihren ehemaligen Sportkollegen als eine Art „Nestbeschmutzer“ gilt. Sie zeigt in einem „Spiegel“ -Interview Verständnis für die Sportler, die „[...] ihre Identität stark auf ihre Erfolge in der DDR ausgerichtet“[20] haben, sie lebten sozusagen noch in der DDR-Vergangenheit. Auch für ihren Trainer Eberhard König, der ihr und ihren Sprint- Kolleginnen das Mittel „Oral-Turinabol“ verabreichte,[21] findet sie versöhnliche Worte: „Nein, ich will ihn auch jetzt nicht schlechtmachen. Er hatte durchaus eine soziale Seite. […] am Leistungszentrum, wo ich trainierte, wurde nicht verantwortungslos drauflos gedopt.“[22] Dabei hat G. Tettenborn die schlimmsten Folgen der kriminellen DDR-Dopingpraxis unerwähnt gelassen, wie z.B. starke hormonelle Störungen, die zu Geschlechtsumwandlungen führten.

Die DDR-Hürdenläuferin Birgit Übel – staatlich anerkanntes Doping-Opfer der DDR – verstarb im Januar 2010 im Alter von 48 Jahren. Da sie schon mit 15 Jahren männliches Testosteron eingenommen hatte, vermutet man auch aufgrund ihrer erheblichen typischen Erkrankungen einen Zusammenhang mit ihrem frühen Tod. Ihre einzige Tochter kam 1985 schwerstbehindert zur Welt. Vor Gericht in Köln nannte Frau Übel den Grund, der sicher auch viele andere DDR-Sportler dazu verleitete, unerlaubte Dopingmittel einzunehmen. „Man machte nur […] Versprechungen, die mir einen Vorteil verschaffen würden, dass ich Reisekader für das kapitalistische Ausland sein könnte […].“[23]

So wurde von verantwortungslosen Sportfunktionären und Medizinern für die Motivation gesorgt, allein schon durch die Aussicht auf die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen im Ausland, auf Reisen, von denen der DDR-Bürger sonst nur träumen konnte. Vor allem die Sportler mussten für diesen „Vorteil“ teuer bezahlen, mit ihrer Gesundheit oder sogar mit dem Leben. Viele der ehemaligen Täter tauchen heute noch unbehelligt im öffentlichen Sport als Trainer oder Ärzte auf. Die Sprinterin Ines Geipel hätte vor allem mindestens eine persönliche Entschuldigung von den Verantwortlichen erwartet – sie ließ ihren Namen auch aus den Rekordlisten streichen.[24]

Im Kampf um Medaillen, die die Überlegenheit des Sozialismus dokumentieren sollten, war der DDR jedes Mittel recht. Es gab nur wenige Trainer oder Sportmediziner, die sich dem Doping verweigerten, wie z.B. der Arzt Ernest Strauzenberg.[25]

2.3 KJS – der Preis für Medaillen

Im Jahre 1953 wurden die ersten Kinder- und Jugendsportschulen in Berlin, Leipzig, Brandenburg und Halberstadt von Walter Ulbricht, dem ersten Staatsratsvorsitzenden der DDR, gegründet. In den 50er Jahren konnten interessierte Eltern schon  zwölfjährige Kinder, die ihnen sportlich talentiert erschienen, auf diese speziellen Sportschulen schicken,[26] wo sie zunächst fünf bis sieben Stunden  Sportunterricht pro Woche hatten – in allgemeinbildenden Schulen waren es lediglich zwei Stunden. Später steigerte sich der Sportanteil an der Stundentafel erheblich auf 30 oder mehr Wochenstunden. Während anfänglich ein Notendurchschnitt von mindestens 2,5 vorausgesetzt wurde, verzichtete man später in den achtziger Jahren fast völlig auf diese Voraussetzung, da vor allem nur noch sportliche Höchstleistungen erreicht werden sollten.

Am Anfang waren diese Sportschulen noch sehr volkstümlich, später spezialisierte sich die KJS, Auswahlmodus und Ausbildungsvorgänge wurden zunehmend geheim gehalten.[27] Die Anzahl der Kinder- und Jugendsportschulen stieg bis zum Ende der DDR auf beachtliche 25 Ausbildungsstätten an, zwei Drittel aller KJS-Schüler, die zum Teil weit entfernt von ihren Familien lebten, waren Internatsschüler, die von Erziehern, Lehrern, Ärzten und Trainern rund um die Uhr betreut wurden. Im Rückblick auf die 40 Jahre DDR wurde bekannt, dass das Ministerium für Volksbildung jährlich 80 Millionen Mark für diese Sportschulen ausgegeben hat, was der Öffentlichkeit jedoch verschwiegen wurde.[28] Hieran ist überdeutlich abzulesen, wie wichtig es der DDR war, sich vor allem auf sportlichem Gebiet mit der Weltspitze zu messen.

Die überaus erfolgreichen Schwimmerinnen Krause, Diers und Metschuk, die bei der vom Westen boykottierten Olympiade in Moskau 1980 (wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan) einen Medaillensegen von acht Gold-, drei Silber- und einer Bronze-Medaille einholten, wurden sogar in der US-Zeitschrift „Time“ bewundernd erwähnt.[29]

Die finanziellen Anstrengungen hatten sich also gelohnt, sie wurden nur noch von der medizinischen „Rundumversorgung“ übertroffen. Krankheitsbelastete junge Athleten oder solche, die dem Druck nicht standhielten, wurden wieder aussortiert. Hoffnungsvolle sportliche Talente aber wurden häufig einer „Spezialbehandlung“ unterzogen. Renate Neufeld, eine siebzehnjährige Sprinterin vom TSC Berlin, bekam von ihrem Trainer, dem sie bis dahin immer vertraute, zu hören: „Schluck die Pillen oder kehr Fabriken aus.“[30] Somit war ihr klar, dass ihre Karriere sicher beendet wäre, wenn sie die Pillen aus dem Röhrchen mit der Aufschrift „Vitaminpillen“ nicht schluckt. Ohne sie über mögliche gesundheitliche Folgen zu informieren, wurden auch schon 13- jährigen Mädchen sogenannte „unterstützende Mittel“ gegeben. Auch die Trainer wurden massiv unter Druck gesetzt und verpflichtet, nicht darüber zu reden. Der Schwimmer Michael Regner gab zu, dass er vor Europameisterschaften schon Kinderathletinnen (14-15 Jahre alt) täglich bis zu zehn Milligramm des männlichen Sexualhormons Oral-Turabinol auf ärztliche Anweisung gegeben hat.

Erst kurz vor Ende der DDR übte man vorsichtig und intern ein wenig Selbstkritik, weil man die negativen gesundheitlichen Folgen des Dopings nicht mehr übersehen konnte. Dennoch wurde weiter gedopt, um immer mehr Olympiasieger zu produzieren, was in den vom DDR-Alltag und der Weltöffentlichkeit isolierten „Medaillenkasernen“ auch gelang – auf Gesundheit, Selbstbestimmtheit und Kritikfähigkeit wurde dabei keine Rücksicht genommen.[30]

Der politische Auftrag der 25 Eliteschulen des Sports mit ca. 10 000 Kindern und Jugendlichen hieß „[...] Produktion sportlicher Höchstleistungen: […] Schulisches Leistungsvermögen spielt dabei immer weniger eine Rolle.“[31]

2.4 Wettkämpfe in der DDR

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1[32]

2.4.1 Die Kinder- und Jugendspartakiaden

Bereits in den fünfziger Jahren wurden Spartakiade-Wettkämpfe nach stalinistischem Vorbild durchgeführt. In den frühen Jahren der DDR waren sie zwar populär, wurden aber für die politische Außenwirkung noch nicht so wichtig genommen. Erst ab 1965 wurden sie als Winter- und Sommerwettkämpfe veranstaltet. Das sportliche Niveau bei diesen Wettkämpfen war schon ziemlich hoch. Ulrich Wehling, ein erfolgreicher Wintersportler, sagte zu diesem Thema: „Durch die Spartakiadebewegung, durch das Auswahl- und Sichtungssystem ab Mitte der 70er Jahre wurde der Nachwuchs sehr frühzeitig entdeckt. Der Sportler wurde schon frühzeitig auf Leistung getrimmt.“[33] /[34] Diese Leistungsförderung führte dazu, dass einige Spartakiadesieger, die die DDR bei Weltmeisterschaften vertraten, auch Weltmeister wurden.

Die Trainingsvorbereitungen fanden hauptsächlich in den Schulen oder in Kinder- und Jugendabteilungen der Vereine des DTSB statt. Die Schulwettkämpfe begannen ein Jahr vor den Endkämpfen um Medaillen und DDR-Meisterschaften innerhalb der Sportgemeinschaften des DTSB. Nach einem Qualifizierungssystem, auf dessen unterster Stufe die Schulen standen, mussten sich die Teilnehmer weiter über Kreis- und Bezirksausscheidungen bis zu den Republikmeisterschaften qualifizieren.[35] Von den klassischen Einzelsportarten bis zu den Mannschaftssportarten war alles in die Wettkämpfe einbezogen.[36] Vertreten waren die Altersklassen 12-21 Jahre. Im Jahre 1965 nahmen 185.000 jugendliche Sportler an den Winterspielen und 2,6 Millionen an den Sommerspielen teil.

2.4.2 Weitere Leistungsvergleiche

Um alle Schüler zu regelmäßiger sportlicher Aktivität zu mobilisieren, fand ab 1961 der Wettkampf um die „Urkunde des Staatsratsvorsitzenden der DDR“ statt. Dieser Wettkampf wurde nur auf Schulebene ausgetragen. Die erreichten Punktzahlen der jeweiligen Schulsieger wurden auf Bezirks- und Kreisebene miteinander verglichen, die drei besten Schulen, die drei besten Kreise und die drei besten Bezirke wurden mit einer Urkunde des „Staatsratsvorsitzenden der DDR“ ausgezeichnet.

Auf der Ebene des Leistungsvergleichs von Schülern im sozialistischen Lager gab es noch eine relativ politikfreie Berichterstattung, wie z.B. in der Jugendzeitung „Trommel“ von 1987.[37] Hier betont der interviewte Sportlehrer lediglich die Wichtigkeit des Kollektivs beim Vierkampf seiner Schüler. Diejenigen jungen Sportler aber, die sich bei diesen Wettkämpfen als besonders leistungsstark erwiesen, konnten aufgrund ihrer Leistungen in die SC (Sportclubs) delegiert werden, um dann bei entsprechender Eignung in den Spitzensport aufzusteigen.

Somit dienten diese Leistungsvergleiche dazu, möglichst früh talentierten Nachwuchs für die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) zu erkennen und zu „fördern.“[38]

2.5 Unerwarteter Erfolg beim Mannschaftssport

Im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft kam es zur einzigen jemals ausgetragenen deutsch-deutschen Fußballbegegnung. Viele meinten, die WM 1974 würde die Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West widerspiegeln, obwohl die wirtschaftliche und politische Überlegenheit der Bundesrepublik Deutschland zu offensichtlich war, als dass ein Fußballspiel darauf Einfluss haben konnte.

Bei der Ankunft am 11. Juni 1974 in Hamburg wurde die Fußballnationalmannschaft der DDR freundlich mit Blumen begrüßt.[39] Beide Fußballnationalmannschaften waren bereits vor dem direkten Duell für die nächste Runde qualifiziert. Lange vor dem ungewöhnlichen Spiel wurde schon viel geredet und geschrieben. So äußerte sich beispielsweise Bundesinnenminister Genscher: „Mit der Begegnung gegen die DDR geht ein Wunschtraum vieler, ich möchte sagen, aller Deutschen in Erfüllung.“[40] Als hätte er die Entwicklung der deutsch-deutschen Geschichte, die 15 Jahre später zur Wiedervereinigung führte, schon geahnt. Auch die Medien heizten mit provokanten Sprüchen vor dem Spiel die Gemütslage beider Seiten auf. Während die ostdeutschen Medien der Begegnung in Hamburg betont nüchtern entgegen fieberten – vielleicht weil sie sich keine Chance ausrechneten -, beschrieb die Bild-Zeitung mit scharfen Worten  die Auswahl der DDR, sie seien „[...] bullenhafte Kraftmaschinen, die mit Tempo und Technik niedergespielt werden müssen.[40] /[41] Wie Focus Online im Jahr 2007 berichtete, soll auch beim Fußball in der DDR schon in den 70ger Jahren im großen Stil gedopt wurden sein[42] Von diesen unerlaubten Manipulationen ahnte damals natürlich niemand etwas.

Am 22. Juni 1974 gewann schließlich die Fußballnationalmannschaft der DDR überraschend mit 1:0 durch den Torschützen Jürgen Sparwasser beim haushohen Favoriten und Gastgeber der BRD.[43] Sogar das zuvor nicht freundliche Hamburger Publikum spendete dem verdienten Sieger am Ende fairen Applaus. Nach dem Spiel waren die Reaktionen in den Medien sehr unterschiedlich.

[...]


[1] Stiftung Haus der Geschichte der BRD. Begleitbuch zur Ausstellung: Wir gegen uns. Sport im geteilten

Deutschland. Darmstadt: Primus, 2009.

[2] Diskussion im Dlf. 27.01.2010. „Streitfragen – Ost-West. Gespritzter Sport – Doping im geteilten

Deutschland“ http://www.dradio.de/dlf/sendugen/sport/1107476> (1.10.2011).

[3] s. M15 3

[4] s. M18b

[5] Verfassung der DDR.1980. S.28.

[6] Verfassung der DDR.1980. S.32.

[7] „Die Goldmacher“.Dokumentarfilm (2).MDR Fernsehen, 9.02.2010. 22-23Uhr.

[8] „Die Goldmacher“.Dokumentarfilm (2).MDR Fernsehen, 9.02.2010. 22-23Uhr. 4

[9] s. M1

[10] Kowalczuk. Ilko-Sascha: Die 101 wichtigsten Fragen. DDR. München: Beck, 2009. S.107

[11] s. M21

[12] Ministerrat der DDR. Lehrpläne, Klasse 1. 1971. S.9.

[13] s. M10 und M22 5

[14] s. M9

[15] Hinsching, Jochen (Hrsg.): Alltagssport in der DDR. Aachen: Meyer und Meyer, 1998. S.302

[16] Hinsching, Jochen (Hrsg.): Alltagssport in der DDR. Aachen: Meyer und Meyer, 1998. S.302

[17] s. M19

5 Hanisch, Wilfried: Wissensspeicher Wehrausbildung. Berlin (DDR): Volkseigener Verlag, 1981. S.6

[18] Ministerrat der DDR. Lehrpläne, Klasse 1. 1971. S.207.

[19] s. M19 6

[20] s. M2

[21] s. M2

[22] s. M22

[23] s. M5

[24] s. M3

[25] s. M5 7

[26] Diskussion im Dlf. 27.01.2010. „Streitfragen – Ost-West. Gespritzter Sport – Doping im geteilten

Deutschland“ http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1107476/> (1.10.2010)

[27] s. M4

[28] Vgl.: Die Goldmacher. 2. Teil. MDR Fernsehen. 9.02.10. 22-23Uhr.

[29] s. M6 und M15 8

[30] Die Vorgänge an der KJS galten als VVS (Vertrauliche Verschlusssache).

[31] s. M1, im Diagramm taucht diese Summe nicht auf

[32] s. M8

[33] Hartmann, Grit: Goldkinder. Leipzig: Forum. 1998. S.125. 9

[34] Vgl. Hartmann, Grit: Goldkinder. Leipzig: Forum. 1998. S.126.

[35] Hartmann, Grit: Goldkinder. Leipzig: Forum. 1998. S.121.

[36] Abb.1: Sportschau des DTSB der DDR. Leipzig 1977. (Postkarte)

[37] Hartmann, Grit: Goldkinder. Leipzig: Forum. 1998. S.163.

[38] s.M7 10

[39] s. M9

[40] s. M10

[41] s. M10

[42] Vgl. Martin, Dietrich: Ein Vergleich des Schulsports in den allgemeinbildenden Schulen der DDR und

der BRD. (Dissertation). Hannover, 1971. S.241-247. 11

[43] s. M11a

[44] Stiftung Haus der Geschichte der BRD. Begleitbuch zur Ausstellung: Wir gegen uns. Sport im geteilten

Deutschland. Darmstadt: Primus, 2009. S.125.

[45] s. M12

[46] Stiftung Haus der Geschichte der BRD. Begleitbuch zur Ausstellung: Wir gegen uns. Sport im geteilten

Deutschland. Darmstadt: Primus, 2009. S.125.

[47] Ohne Verfasser.: „Teamärzte bestätigen Doping“. 18.06.2007

http://www.focus.de/sport/fussball_aid_63690.html>  (24.10.2011).

[48] s. M11b 12

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Die politische Rolle des Sports im SED-Staat DDR
Autor
Jahr
2011
Seiten
46
Katalognummer
V268891
ISBN (eBook)
9783656598947
ISBN (Buch)
9783656598916
Dateigröße
43304 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Doping, Staatsdoping, DDR Sportsystem, DDR, SED-Staat, Diplomaten im Trainingsanzug, Sport im Sozialismus, Systematisches Doping, DDR Sportgeschichte, Sportgeschichte, Politik, Geschichte
Arbeit zitieren
Teddy Seck (Autor:in), 2011, Die politische Rolle des Sports im SED-Staat DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268891

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