'Der flexible Mensch' von Richard Sennett. Eine Interpretation


Ausarbeitung, 2014

35 Seiten

Hendrik Kahlbach (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Biographisches zur Person Richard Sennetts

2 Richard Sennett, „Der flexible Mensch“
2.1 Kapitel 1.) Drift - Wie persönliche Erfahrungen in der modernen Arbeitswelt zerfallen
2.2 Kapitel 2.) Routine - Ein Übel des alten Kapitalismus
2.3 Kapitel 3.) Flexibilität – Die neue Strukturierung der Zeit
2.4 Kapitel 4.) Unlesbarkeit - Warum moderne Arbeitsformen schwer zu durchschauen sind
2.5 Kapitel 5.) Risiko - Warum Risiken auf sich zu nehmen verwirrend und deprimierend geworden ist
2.6 Kapitel 6.) Das Arbeitsethos - Wie sich das Arbeitsethos gewandelt hat
2.7 Kapitel 7.) Scheitern - Wie man mit dem Scheitern fertig wird
2.8 Kapitel 8.) Das gefährliche Pronomen - Gemeinschaft als Mittel gegen Drift

3 Persönliche Wertung des Essays

1 Biographisches zur Person Richard Sennetts

Richard Sennett wurde am 01.01.1943 in Chicago, Illinois geboren.[1] Er studierte u.a. bei Erik Erikson und David Riesman in Chicago und Harvard Soziologie[2]. Heute lehrt er u.a. an der London School Of Economics und an der New York University Geschichte und Soziologie.[3]

In seinem Werk „Respekt im Zeitalter der Ungleichheit“ beschreibt Sennett in Auszügen seinen eigenen Werdegang. Aufgewachsen in einer Sozialsiedlung in Chicago, versuchte er in jungen Jahren dieser Siedlung in Form eines sozialen Aufstiegs - zunächst über das Erlernen einer Kunst - der Musik - zu entfliehen. Er spielte zu dieser Zeit Cello, bis ihm dies nach einer fehlgeschlagene Operation nicht mehr möglich war.[4]

In einem sozialistischen, linksintellektuellen Haushalt aufgewachsen ermöglichten ihm schließlich seine Kontakte zur Familie Riesman das Studium an der Harvard University und dadurch den angestrebten Aufstieg.[5] Nach dem Abschluss des Studiums und einer Promotion 1964 folgten unzählige Veröffentlichungen, unter denen einige, wie bspw. der Essay „Der flexible Mensch“, der Grundlage für die vorliegende Arbeit ist, zu Bestsellern avancierten. Im englischen Original ist dieses Werk betitelt mit „The Corrosion of Character“.[6]

2 Richard Sennett, „Der flexible Mensch“

In seinem 1998 erschienen Essay „Der flexible Mensch“ zeichnet Richard Sennett ein Bild der modernen Gesellschaft bzw. ihrer Entwicklung und beleuchtet dabei insbesondere das Verhältnis des die Gesellschaft prägenden Kapitalismus auf diese und seine Wirkungen auf das Leben des / der Einzelnen wie auch ihrer Generation bzw. die Identität und den Charakter dieser.

Zentrale Perspektive Sennetts ist hierbei die Betrachtung dessen, was in modernen kapitalistischen Gesellschaften unter dem Begriff der „Flexibilität“ subsumiert wird. Zum Essay sind zahlreiche Rezensionen erschienen. Selbst in einem Magazin für Führungskräfte – dem „wissensmanagement“, welches Sennett nicht sehr wohlwollend gegenübersteht und ihn abwertend als „Alt-Linken“ bezeichnet, „der stellenweise zu Ausfällen gegen den kapitalistischen Anti-Christ in Gestalt von Bill Gates neigt“[7], wurde „Der flexible Mensch“ positiv rezensiert. Das „wissensmanagement“ attestierte ihm, dass „seine kritischen Töne geeignet [seien], nachdenklich zu stimmen.“[8]

Die Rezension der „Neue Zürcher Zeitung“, welche auch in Form eines Auszugs auf dem Deckblatt der Essays zu finden ist, enthält eine sehr differenzierte und zum Teil sehr kritische Sichtweise auf den Essay, die u.a. auch auf der Homepage des Onlineshops amazon.de veröffentlicht wurde. In diesem Text schreibt Uwe Justus Wenzel, dass die Schilderungen Sennetts und seine angeführten Beispiele – auch wenn sie in philosophische, ökonomietheoretische und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse eingebettet wurden, zu einem großen Teil auf persönlichen Schilderungen basieren.[9] Somit fragt der Autor der Rezension implizit nach der Aussagekraft des Essays und scheint einen Mangel an der Validität der Aussagen und zentralen Thesen des Essays auszumachen.

Ziel der hier vorliegenden Arbeit ist es, die genannten, zentralen Thesen des Buches herauszuarbeiten und dabei zu versuchen, von Sennett genannte Beispiele möglichst nicht in die Arbeit einfließen zu lassen. Die Arbeit soll keine bloße Inhaltsangabe des Essays „Der flexible Mensch“ darstellen, sondern vielmehr die Kernaussagen Sennetts beleuchten. An einigen Stellen war es dennoch sinnvoll, genannte Beispiele kurz vorzustellen, da sie untrennbar von den wesentlichen Thesen waren.

Wie in der Einleitung ersichtlich, werde ich der Strukturierung des Buches folgend diese zentralen Thesen und Aussagen der jeweiligen Kapitel des Essays darstellen.

An Bezügen zu Literatur konzentriere ich mich in dieser Arbeit auf den Essay „Der flexible Mensch“, der, wie bereits eingangs erwähnt, 1998 erschienen ist. An einigen Stellen verzichte ich auf die detaillierte Kennzeichnung der zitierten Stellen. Diese sind durch die Strukturierung der Arbeit durch die Übernahme der Struktur des Buches bereits erkennbar. Wörtliche Zitate sind gekennzeichnet.

Im Schlussteil der Arbeit nehme ich eine persönliche Wertung des Essays vor.

2.1 Kapitel 1.) Drift - Wie persönliche Erfahrungen in der modernen Arbeitswelt zerfallen

In seinem ersten Kapitel, das mit „Drift“ betitelt wurde, beschreibt Sennett zu Anfang ein Treffen mit einem Bekannten – er wird im Buch „Rico“ genannt -, den er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte und zu dessen Vater – „Enrico“ – er über mehrere Jahre hinweg Kontakt hatte.

Als exemplarisch für die Generation Enricos betrachtet der Autor die Linearität der Zeit im Leben dieser. Diese Linearität vermochte Menschen wie Enrico, einem Hausmeister mit Migrationshintergrund, eine Kontinuität in ihrem Leben zu vermitteln.

Im groben Gegensatz dazu befindet sich das Leben, das die Generation Ricos führt.

Sennett benutzt die Figuren „Enrico“ und „Rico“, um auf eine Entwicklung hinzuweisen, die sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vollzogen hat – den Übergang von einer Identität- und Kontinuität - stiftenden Arbeitsauffassung hin zu einer Form der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, in der Kontinuitäten und Sicherheiten der Offenheit für Veränderungen und der Bereitschaft, Risiken einzugehen, geopfert wurden.

Ohne vorweg wertend auf die Arbeitsauffassung der älteren Generation einzugehen, stellt Sennett fest, dass diese Auffassung des Lebens Vorzüge hatte, die einer jüngeren Generation in diesem Sinne nicht mehr ermöglicht werden. So ist für die Generation Ricos bspw. mit der Betonung der Flexibilität und des Risikos eine latente Angst verbunden, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren[10], die in früheren Generationen nicht derart ausgeprägt war.

Die Figur „Rico“, die Sennett synonym für eine jüngere Generation nutzt, hatte sich im Kern des Charakters von der Generation des Vaters gelöst und sich in der Arbeits- und Lebensauffassung gegen die Prinzipien dieser älteren Generation gewandt.[11] Statt auf einen „Dienst nach Vorschrift“[12] wird nunmehr das Gewicht auf eine generelle Offenheit gegenüber Veränderungen und Risiken betont[13]. Eine positive Einstellung zu dieser Offenheit kann als ausschlaggebend für eine Entwicklung eines Menschen in seinem Leben betrachtet werden, der dann als sozialer Aufstieg angesehen wird. Um sich beruflich in den höheren Einkommensschichten zu etablieren und Erfolg zu haben, ist es in der heutigen Zeit u.a. nötig, ein gewisses (eher: ein großes) Maß an besagter Offenheit internalisiert zu haben und diese als elementar für die Gestaltung des eigenen Lebens zu betrachten.

Einen weiteren Aspekt des Kapitels, stellt die Auflösung von Kontinuitäten zu Gunsten von kurzfristigen Veränderungen dar.

Diese Form der Flexibilität, in der Beziehungen zu Geschäftspartnern oder aber auch die Ortsgebundenheit von Menschen immer weiter verloren gehen bzw. flüchtiger werden, hat enorme Auswirkungen auf die Charakterbildung von Menschen und deren Gefühlsleben. Die moderne Form des Kapitalismus stellt mit seinen Anforderungen nach Sennett Menschen vor die Problematik, mit der Ambiguität umzugehen, die aus ihrem Wunsch nach Kontinuitäten – nach Freundschaften, Loyalität, Vertrauen, gegenseitigen Verpflichtungen und innerer Sicherheit[14] - und der gleichzeitigen Flexibilisierung nahezu aller Lebensbereiche durch kurzfristige Beziehungen in der Arbeitswelt und die Relativierung der genannten und gewünschten Kontinuitäten, entsteht.

Eine Konsequenz der stattfindenden Flexibilisierung vieler Bereiche des Lebens ist die Angst vor dem „Dahintreiben“ – „Drift“, einem Zustand, in dem man die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren glaubt, da durch die stetigen Veränderungen Kontinuitäten wie z.B. Werte zwar nicht verloren gehen, jedoch immer schwerer lebbar werden. Sennett nennt aus der Erzählung des Gespräches mit Rico exemplarisch die Ambiguität die man zwischen der beruflichen Erfahrungen, in der z.B. Kontakte kurzfristig auf hohe Effizienz ausgerichtet sind und dem Versuch, nicht gelebte, aber als wichtig wahrgenommene Werte wie Freundschaft in der Kindererziehung zu vermitteln, erfährt, zur Beschreibung dieses Phänomens. „Drift“ bezeichnet hier also auch die Furcht, zwar moralische und ethische Grundsätze und Überzeugungen zu erkennen und als Wert zu schätzen, diese – bedingt durch die existenten flexiblen Strukturen und neue Form der Zeitorganisation - nicht in moralisches Verhalten übergehen lassen zu können und dementsprechend u.a. in der Erziehung kein „gutes Beispiel“ abgeben zu können.

Wie im Untertitel dieses Kapitels angesprochen, zerfallen durch diese Ambiguitäten persönliche Erfahrungen, die z.T. als elementar für die eigene Lebensplanung angesehen werden.

Die Ursache für eine Veränderung vieler Bereiche des menschlichen Lebens - vor allem im Bereich der Arbeit – sieht Sennett in einem sich weiterentwickelnden kapitalistischen System, welches durch effizientere Versuche der Profit- und Renditemaximierung ständig an Dynamik gewinnt und dadurch alle Akteure, die sich in diesem System bewegen, zwingt, sich individuell dieser Dynamik anzupassen. Anpassung in diesem Feld bedeutet eine zunehmende Anforderung an die Flexibilität der Akteure, die sich scheinbar mit dem neoliberalen Motto des „nichts Langfristiges“[15] arrangieren müssen. Häufige Arbeitsplatzwechsel, Unsicherheiten und die Angst vor dem Dahindriften sind wie die relative Aussicht auf Kapitalanhäufungen die Folge. Ebenso, dass ein „Konflikt zwischen Charakter und Erfahrung geschaffen [wurde und somit] […] die Erfahrung einer zusammenhanglosen Zeit […] die Fähigkeit der Menschen [bedroht], ihre Charaktere zu durchhaltbaren Erzählungen zu formen.“[16] Sennett beschreibt diese Bedrohung als eine Angst vor der Ungewissheit, die heute paradoxerweise allgegenwärtig ist und die, aufgrund der Feststellung, dass nahezu alle Menschen diese Erfahrung erleben, sich zu einer Normalitätskonstruktion unserer Zeit entwickelt hat.

2.2 Kapitel 2.) Routine - Ein Übel des alten Kapitalismus

Diesen Gedanken als Ausgangspunkt für seine weiteren Überlegungen nehmend, thematisiert Sennett im zweiten Kapitel seines Essays den Stellenwert der Routine in modernen Gesellschaften und seine historische Entwicklung. Er stellt fest, dass sich die Ansichten zu diesem Phänomen in seiner historischen Entwicklung stark verändert haben.

Während im 18. Jahrhundert zwei verschiedene Auffassungen der Routine die Gesellschaft und deren Arbeitswelt prägten – eine positive, die u.a. Denis Diderot vertrat, wie auch eine negative, wie sie Adam Smith vertrat – ist lt. Sennett der heutige gesellschaftliche Konsens von einer negativen Sichtweise auf „Routine“ geprägt.

Denis Diderot, in einer historischen Phase lebend, in der die Loslösung und Verlagerung der Arbeit aus dem familialen Umfeld in separate Räume begann, argumentierte, dass Routine für Menschen eine immanente, spezifische Form der Würde besäße. In der Wiederholung derselben Tätigkeit sah er eine Tugend, die zu einer Art Vervollkommnung des Handwerks der jeweiligen Disziplin beiträgt und es Menschen ermöglicht, „zum Frieden mit sich selbst zu finden.“[17]

Adam Smith, schottischer Philosoph des 18. Jahrhunderts und Begründer der klassischen Volkswirtschaftslehre, betrachtete hingegen die Arbeitsorganisation der Routine eher als bedrohlich für den Menschen. Die im 18. Jahrhundert entstehende, neue Form des industriell geprägten Kapitalismus veränderte in dieser Phase den Arbeitsprozess in eine Richtung, in der in zunehmendem Maße Arbeitsteilung angestrebt wurde. Nach Smith veränderte diese Entwicklung, die stets mit einer Zunahme der „Routine“ verbunden war, die Arbeit in einer für Menschen sehr destruktiven Weise. Er argumentierte, dass die zunehmenden industriellen Routinetätigkeiten, die für die gesamte Arbeit Vieler bestimmend waren, „die einzelnen Arbeiter zu einem abstumpfend langweiligen Arbeitstag verurteilten“[18] und ihren Charakter und dazugehörige Komponenten, wie bspw. Moralvorstellungen deformierten.

Zentraler, wenn auch unterschiedlich gewichteter Aspekt beider historischer Ansichten zur Routine ist der der Kontrolle. Während Diderot implizit diese Kontrolle über die eigene Tätigkeit in seine Schriften einfließen lässt, stellt Smith fest, dass Arbeiter im industriellen Kapitalismus diese Kontrollmöglichkeiten nicht besitzen, ihre Arbeit nicht umfassend kontrollieren können. Dadurch, so Smith, entwickelt sich Routine zu einer Bedrohung des Charakters.

Sennett, der in einem Exkurs Thesen von Karl Marx zur Zeiteinteilung streift, nutzt implizit eine zentrale These Marx` - dass im Kern alle Formen der Ökonomisierung Formen der Ökonomie der (Arbeits-) Zeit sind - um Routine am Beispiel des Fordismus und dessen Bezug zur Zeitstrukturierung zu thematisieren.

Richard Sennett stellt vor, wie sich die Befürchtungen Adam Smiths über die Jahrzehnte bewahrheiteten und diese als negativ wahrgenommene Form der Routine immer weiter bis ins Extrem der sekundengenauen Erfassung einzelner Arbeitsabläufe gesteigert wurde - und damit zu einer zunehmenden Sichtweise auf Menschen, die primär deren Leistungskraft und Effizienz ins Blickfeld nahm und immer weniger, dass diese Menschen Menschen waren. Menschen wurden zunehmend dehumanisiert.

[...]


[1] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Sennett

[2] Vgl. Richard Sennett, „Respekt im Zeitalter der Ungleichheit“, Berlin 2002, S.45ff

[3] Vgl. http://on1.zkm.de/zkm/discuss/msgReader$1112

[4] Vgl. Richard Sennett, „Respekt im Zeitalter der Ungleichheit“, Berlin 2002, S.17ff

[5] Vgl. ebd., S.41

[6] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Sennett

[7] http://www.wissensmanagement.net/online/archiv/2001/09_1001/rezension.shtml

[8] ebd.

[9] http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/344275576X

[10] Richard Sennett, „Der flexible Mensch“, Berlin 1998, S.21

[11] Vgl. ebd., S.19

[12] Ebd.

[13] Vgl. ebd.

[14] Vgl. ebd., S.28

[15] Ebd., S.27

[16] Ebd., S.37

[17] Ebd., S. 43

[18] Ebd., S.45

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
'Der flexible Mensch' von Richard Sennett. Eine Interpretation
Autor
Jahr
2014
Seiten
35
Katalognummer
V268594
ISBN (eBook)
9783656587965
ISBN (Buch)
9783656587958
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Richard, Sennett, Mensch, Arbeit, Kapitalismus, Flexibilität, moderne Gesellschaft
Arbeit zitieren
Hendrik Kahlbach (Autor:in), 2014, 'Der flexible Mensch' von Richard Sennett. Eine Interpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268594

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