Die Entstehung der jüdischen Salons in Berlin

Eine emotionsgeschichtliche Untersuchung nach William M. Reddy


Seminararbeit, 2013

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Emotionsgeschichte nach William M. Reddy
1.1. Theorie der Emotionsäußerungen
1.2. Der französische Salon: Ein Produkt der Empfindsamkeit

2. Der Weg zur jüdischen Salonkultur in Berlin
2.1. Zur Judenpolitik in Preußen
2.2. Die Anfänge der jüdischen Aufklärung und die „bürgerliche Verbesserung“
2.3. Judenpolitik als Bestrafung des Emotionsstils?
2.4. Jüdische Mädchen in Preußen

3. Die ersten Salons
3.1. Die Anfänge
3.2. Salonkultur

Schluss und Ausblick

Literaturverzeichnis

Quellen

Literatur

Einleitung

Gelehrte, Juden, Offiziere, Geheime Räthe, Edelleute, kurz alles was sich an andern Orten … die Hälse bricht, fället einander um diese, und lebt wenigstens freundlich an Thee- und Es[s]tischen beisammen.1

Das Zitat von Jean Paul ist eine typische Beschreibung eines jüdischen Salons, der sich Ende des 18. Jahrhunderts in Berlin entwickelte. Die bedeutende Geselligkeitskultur, die sich zuerst in den Privaträumen der Henriette Herz und auf ihrem Höhepunkt bei Rahel Varnhagen von Ense (geb. Levin) und vielen anderen jüdischen Frauen herausgebildet hatte, war imstande, in der Beschäftigung mit Literatur und Philosophie der Aufklärung gesellschaftliche Schranken und Stigmatisierungen zu überwinden. Die Salons stellen ein sozialgeschichtliches Phänomen dar, dem sich die Forschung erst in der jungen Bundesrepublik zugewandt hat, als die Grundlagen der deutsch-jüdischen Geschichte in den Mittelpunkt des Interesses rückten und nicht mehr, wie zuvor, unerwünscht waren.2Die Forschung widmete sich diesem Thema damit vergleichsweise spät. Nach einem ersten Ansatz in den 1960er-Jahren von Ingeborg Drewitz3, der sich zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft bewegte, kam der Durchbruch der Salonforschung in den 80er- und besonders in den 90er-Jahren und der jüngsten Vergangenheit. Durch die zunehmende Fülle an Literatur kamen Spezialisierungen hinzu - die Literaturwissenschaft beschränkt sich seitdem zunehmend auf die Behandlung jeweils einer einzigen Salonière und ihres literarischen Nachlasses4, die Geschichtswissenschaft beschäftigt sich in der Regel mit soziologischen und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen5. Diese klare Unterscheidung wird von den Autoren jüdischer Institute, die unter den Erforschern der Salons die Mehrheit ausmachen, in der Tendenz etwas aufgeweicht. Sie kommen aus der Tradition der „Jüdischen Studien“, deren Forschungsgebiet die Geschichte der jüdischen Kultur generell ist. Sie ermöglichen daher im Sinne einer universalwissenschaftlichen Behandlung sowohl literaturwissenschaftliche als auch historisierende Zugänge.6Der Fragestellung, ob die Salons ein Phänomen deutsch-jüdischer Akkulturation oder gar den Beginn einer gemeinsamen deutsch-jüdischen Geschichte des 19.

Jahrhunderts darstellten, galt bisher das zentrale Interesse der Salonforschung.7

Diese Arbeit wird versuchen, einen neuen Aspekt in der Geschichte der jüdischen Salons zu beleuchten. Die Geschichtswissenschaft hat in den letzten Jahren ein Forschungsfeld hervorgebracht, das sich mit der Rolle von Emotionen in der Geschichte auseinandersetzt. Der vielfach postulierte emotional turn, der sich mit diesem Forschungsgebiet verbindet, konnte bereits in viele historische Darstellungen Einzug finden und befindet sich eindeutig auf dem Vormarsch. Emotionen werden vermehrt als geschichtsverändernde Instanz angesehen, da Wertungen und Entscheidungen ohne die emotionale Komponente undenkbar wären. Mit universalistischen und sozialkonstruktivistischen Ansätzen haben sich in der Forschung zwei Lager herausgebildet. Die Sozialkonstruktivisten gehen davon aus, dass Emotionen sich mit der Kultur wandeln, die Universalisten meinen, dass sich nur deren Ausdrucksweisen verändern.8Der theoretische Ansatz, mit dem die Geschichte der jüdischen Salons hier untersucht werden soll, stammt von William M. Reddy und versucht, die Erkenntnisse beider Forschungstendenzen zu rezipieren und weiterzuentwickeln. Reddy hat 2001 mit seiner Monographie „The Navigation of Feeling“9, die außer den Geistes- auch die aufstrebenden Lebenswissenschaften10in Form der Neurowissenschaften miteinander verbindet, einen der bisher größten Beiträge zur Kontroverse geleistet.

Seine Theorie soll die Methodik dieser Arbeit bestimmen, weshalb sie im ersten Kapitel zunächst erklärt wird. Das empirische Beispiel, an welchem Reddy seine Theorie zur Anwendung kommen lässt, ist das 18. Jahrhundert in Frankreich, wobei er das ganze Jahrhundert auf die Katastrophe der Revolution zulaufen lässt und Emotionen zum Hauptakteur der Entwicklung ernennt. Wichtige geschichtsverändernde Orte zu dieser Zeit sind bei ihm die französischen Salons, aus denen sich wesentliche Paradigmen für die Revolution entwickelt hätten. Auch dies soll im ersten Kapitel kurz dargelegt werden, um eine Grundlage für den Vergleich mit den Berliner Pendants zu schaffen. Zwar stellte der jüdische Salon in Berlin nie eine kulturhistorisch entscheidende Institution dar, wie es bei den Pariser Salons der Fall war11, doch lohnt sich der Vergleich, wenn man nicht die Folgen, sondern die Ursachen der Salongründungen in den Fokus rückt. Genau dies soll in dieser Arbeit geschehen. Es soll also um die Frage gehen, inwieweit Emotionen und ihre Auswirkungen im Sinne William Reddys die Gründung der Berliner Salons beeinflusst haben. Dabei wird besonders auf die Gründerinnen eingegangen, die allesamt junge jüdische Frauen waren und denen deshalb eine spezifische Rolle in der preußischen Gesellschaft zu dieser Zeit zukam. Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit wird das Quellenmaterial lediglich aus den Nachlässen zweier Salonièren bestehen, der beiden am Anfang genannten Henriette Herz und Rahel Levin Varnhagen.

Das zweite Kapitel ist kursorisch gehalten und wird sich deskriptiv mit den gesellschaftlichen Voraussetzungen für die jungen Jüdinnen beschäftigen. Es wird daher zum einen auf die preußische Judenpolitik und die sich zeitgleich entwickelnde jüdische Aufklärung eingegangen, zum anderen auf die Rolle von Mädchen im deutschen Judentum des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die behandelte Zeit ist von der jüdischen Aufklärung geprägt und markiert deshalb einen wichtigen Scheidepunkt - sowohl in der innerjüdischen Geschichte als auch in der Sozialgeschichte der Juden in Deutschland.

Das dritte Kapitel wird sich schließlich mit den Salons selbst beschäftigen und die vorangegangenen Erkenntnisse mit Beobachtungen aus den genannten Quellen verbinden. Die Gründung der Salons und deren Kultur bzw. die Beschreibungen davon sollen hier zu der abschließenden Beantwortung der Fragestellung führen.

Am Schluss werden die zentralen neuen Erkenntnisse noch einmal kompakt zusammengefasst und es wird ein Ausblick auf weiterführende Forschungsfragen gegeben, der in einem so jungen Forschungsfeld wie der Emotionsgeschichte obligatorisch ist.

1. Emotionsgeschichte nach William M. Reddy

1.1. Theorie der Emotionsäußerungen

Der grundlegende Gedanke in Reddys Theorie der Emotionsäußerungen liegt in der Überzeugung, dass den in der Forschung bereits zuvor unterschiedenen constatives und performatives, also universalistisch-beschreibenden und sozialkonstruktivistisch-verändernden Emotionsäußerungen, eine entscheidende Komponente fehlt. Mit der von ihm entwickelten dritten Kategorie, den emotives, kommt die nichtsprachliche Emotionsäußerung hinzu, die Emotionsbeschreibung und Selbsterkundung miteinander verknüpft.12 Er definiert seine emotives folgendermaßen: „Emotives are translations into words about, into ‚descriptions‘ of, the ongoing translation tasks that currently occupy attention”13. Sie stellen also eine Übersetzungsleistung dar, die über die sprachliche Dimension hinausgehen. Diese Emotionsäußerungen sind zwar erlernbar und anerziehbar14, doch „an individual cannot […] fashion or refashion just any emotion or any set of emotions he or she wishes”15. Gelingen kann dies im Einzelfall, aber nur über den Weg der Kognition. So kann z.B. ein Teilnehmer einer Beerdigung, der die gesellschaftliche Erwartung nach Äußerung seiner Trauer durch Weinen nicht direkt erfüllen kann, über den Weg der Kognition, sprich durch die Imagination eines traurigen Ereignisses, zum Ziel kommen. Die Norm bzw. die verschiedenen Normen und Ideale, denen sich dieses Subjekt ausgesetzt sieht, wie hier das Weinen, können durch alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen festgelegt werden.16Durch die Pflege des eigenen Emotionsstils und die gezielte Bestrafung von Devianz kann in einer Gemeinschaft ein emotionales Regime (emotional regime) aufgebaut werden, welches die Einhaltung des festgelegten Stils kontrolliert. Entscheidend für die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft ist also letztendlich Konformität in den Gefühlsäußerungen.17Diejenigen, die die Konformität aus welchen Gründen auch immer nicht leisten, haben durch die strenge Kontrolle Strafen zu erwarten.18Diese Strafen, die durch die Situation, in emotionale Zielkonflikte geraten zu sein, emotionales Leiden (emotional suffering) erzeugen, können historisch meist am leichtesten durch körperliche Bestrafungen illustriert werden19, können aber - und dieser Punkt ist relevanter für diese Hausarbeit - auch durch die „Manipulation intersubjektiver emotionaler Bindungen“20vollzogen werden. Der Grad des emotionalen Leidens kann nur durch die Abweichung von einem Standard gemessen werden.

Das Ausmaß des Leidens hängt dabei vom sozioökonomischen Status sowie von der ethnischen und geschlechtsspezifischen Identität ab.21Dieser Zustand verlangt durch die Belastung des Leidens nach einer Fähigkeit, die bei Reddy zentral ist: Dem „Manövrieren zwischen verschiedenen emotionalen Zielorientierungen“22, das auf Englisch emotional navigation heißt und dem Reddys Hauptwerk seinen Namen verdankt. Die Bemühung, diese Fähigkeit zu beherrschen, ist bei Reddy eine geschichtsveränderndes Element und ein wichtiger Faktor für Entscheidungen. Durch dieses Manövrieren lassen sich Räume und Praktiken erschließen, die in der Lage sind, emotionale Zielkonflikte zu verringern. Diese Räume und Praktiken, die sich durch einen nicht-restriktiven Umgang mit dem Bedürfnis nach Auslebung der eigenen Emotionen auszeichnen, nennt Reddy emotionale Zufluchtsorte (emotional refuges23) und lässt sie in seinem Werk, besonders im empirischen Teil, eine entscheidende Rolle einnehmen.

1.2. Der französische Salon: Ein Produkt der Empfindsamkeit

Reddy entscheidet sich im empirischen Teil seiner Arbeit für die Emotionsgeschichte Frankreichs im 18. Jahrhundert mit der Revolution als zentrale Katastrophe und Finalität, um im Anschluss noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts vorzudringen. Er lässt dabei seine Theorie vollständig zur Entfaltung kommen, indem er an der französischen Hofkultur und deren Gegenbewegungen aufzeigt, zu welchen Errungenschaften einerseits und Katastrophen andererseits emotionales Leiden führen kann. An dieser Stelle soll kurz die Rolle der französischen Salons in seinem Buch skizziert werden, die als Grundlage für die Berliner Salons gelten können.

Die Ausgangslage der Studie ist die absolute Monarchie unter Ludwig XIV, der an seinem Hof mit einem Ehrencodex eine äußerst strenge Etikette eingeführt hatte, durch die ein jeder seine Unterwerfung unter den Willen des Königs ausdrücken sollte. Das soziale System am Hof funktionierte mit Beförderung und Degradierung, die eigene Stellung am Hof definierte sich also durch den Grad der direkten Beziehung zum König. Das emotionale Befinden seiner Untergegebenen, besonders derer, die seine Gunst verloren, war ihm dabei denkbar gleichgültig. In derselben Periode, im Laufe des 17. Jahrhunderts, beobachtet Reddy einen Rückgang von Gefühlsbeschreibungen in der französischen Literatur, als ob sie das Interesse an inneren Prozessen verloren hätte.24 Etwa 100 Jahre später, gegen Ende des 18.

[...]


1Jean Paul Friedrich Richter, zit. nach Wilhelmy-Dollinger, Petra: Emanzipation durch Geselligkeit. Die Salons jüdischer Frauen in Berlin zwischen 1780 und 1830, in: Awerbuch, Marianne / Jersch-Wenzel, Stefi (Hrsg.): Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik (=Einzelveröffentlichungen der

Historischen Kommission zu Berlin, 75), Berlin 1992, 121.

2Vgl. Hahn, Barbara: Der Mythos vom Salon. „Rahels Dachstube“ als historische Fiktion, in: Schultz, Hartwig (Hrsg.): Salons der Romantik. Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zur Theorie und Geschichte des Salons, Berlin 1997, 214.

3Vgl. Drewitz, Ingeborg: Berliner Salons. Gesellschaft und Literatur zwischen Aufklärung und Industriezeitalter (=Berlinische Reminiszenzen, 7), Berlin 1965.

4Zu nennen ist hier z.B. die Rahel-Biographie von Sulamith Sparre.

5So rückt z.B. Petra (Wilhelmy-)Dollinger in ihren Werken geschlechterspezifische Fragen in den Fokus,

während Hannah Lotte Lund eher raumsoziologische Aspekte der Salons in den Mittelpunkt stellt.

6Genannt seien hier besonders Barbara Hahn, Deborah Hertz und Liliane Weissberg.

7Siehe Kapitel 3.2.

8Vgl. Plamper, Jan: Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012, 15.

9Reddy, William M.: The Navigation of Feeling: A Framework for the History of Emotions. Cambridge / New York 2001.

10Zum Aufstieg der Lebenswissenschaften in der Emotionsforschung vgl. Plamper: Geschichte und Gefühl, 71f sowie 177ff.

11 Vgl. Lund, Hannah Lotte: Der Berliner „jüdische Salon“ um 1800. Emanzipation in der Debatte (=Europäisch-jüdische Studien - Beiträge, 1), Berlin/Boston 2012, 64.

12Vgl. Plamper, Jan: Wie schreibt man die Geschichte der Gefühle? William Reddy, Barbara Rosenwein und Peter Stearns im Gespräch mit Jan Plamper, in: Werkstatt Geschichte 54 (2010), 41.44.

13Reddy: Navigation of Feeling, 105.

14Vgl. Plamper: Geschichte der Gefühle, 44.

15Reddy: Navigation of Feeling, 32.

16Denkbar sind politische und wirtschaftliche Gruppen oder Gemeinschaften aller Art und allen Umfangs, in denen sich ein Subjekt bewegt. Vgl. Plamper: Geschichte der Gefühle, 45f.

17Vgl. ebd.

18Vgl. Reddy: Navigation of Feeling, 125.

19Vgl. Plamper: Geschichte der Gefühle, 47f.

20A.a.O., 48.

21Vgl. a.a.O., 42.

22A.a.O., 46.

23Vgl. ebd.

24Vgl. Reddy: Navigation of Feeling, 141.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung der jüdischen Salons in Berlin
Untertitel
Eine emotionsgeschichtliche Untersuchung nach William M. Reddy
Hochschule
Universität Konstanz  (Fachbereich Geschichte und Soziologie)
Veranstaltung
Bedenkliche Leidenschaften? Emotion und Geschichte (am Beispiel der Frühneuzeit)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
27
Katalognummer
V268237
ISBN (eBook)
9783656582885
Dateigröße
592 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entstehung, salons, berlin, eine, untersuchung, william, reddy
Arbeit zitieren
Andreas Lins (Autor:in), 2013, Die Entstehung der jüdischen Salons in Berlin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268237

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