Geisers Zitatenmontage in "Der Mensch erscheint im Holozän"

Frischs Inserts und die Thematik des Wissens


Term Paper, 2012

12 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gedächtnis und Wissen

3. Geisers Zitatenmontage
3.1 Collage
3.2 Auswahl, Inhalt und Kontext

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Max Frisch ist ein bekannter Schweizer Schriftsteller der Nachkriegsliteratur. Einige seiner Werke, wie z.B. Andorra, Homo faber oder Stiller, finden immer wieder ihren Weg in die Klassenzimmer. Ein weniger bekannter und oftmals unterschätzter Ro­man soll Thema dieser Arbeit sein: Der Mensch erscheint im Holozän.

Schon beim ersten Durchblättern wird deutlich, dass dieses Werk einige Eigenheiten aufweist. So findet sich kein durchgehender Erzähltext, sondern viele kurze Passa­gen, die sich zum Teil zwei-, drei-, manchmal sogar viermal wiederholen. Auch die Sprache ist nicht mit den anderen Werken von Frisch vergleichbar, bedient er sich in diesem Werk doch sehr häufig Substantivierungen[1]. Doch die wohl auffälligsten Merkmale dieses Werkes sind die aus Lexika und Handbüchern ausgeschnittenen Texte und Illustrationen, die in ihrem ursprünglichen Zustand in den Text eingefügt worden sind. Frisch selber nennt dieses Phänomen „Inserts“.[2]

Der Protagonist Herr Geiser sammelt diese Artikel an einer Wand in seiner Wohnstu­be[3], denn für ihn ist Wissen beruhigend.[4] Für ihn wäre der Verlust des Gedächtnisses schlimm, da es ohne Gedächtnis kein Wissen gibt.[5] So bildet die Zettelwand für Herrn Geiser, der an Vergesslichkeit und Gedächtnisverlust leidet, eine Gedächtnis- bzw. Wissensstütze.

Wissen spielt in Der Mensch erscheint im Holozän eine bedeutende Rolle, die Mög­lichkeiten, Notwendigkeiten sowie die Zusammenhänge des Wissens und des zu Wis­senden werden zum Thema gemacht. Deshalb soll in dieser Arbeit näher auf diese Thematik des Wissens eingegangen werden. Zuerst sollen die Begriffe Gedächtnis und Wissen definiert und danach auf die Inserts eingegangen werden, wobei ein besonderer Augenmerk auf den Collage-/Montagecharakter sowie Auswahl, Inhalt und Kontext gelegt werden soll.

2. Gedächtnis und Wissen

In Der Mensch erscheint im Holozän rekapituliert Herr Geiser sein Wissen. So weiß Herr Geiser z.B. noch den Satz des Pythagoras, an den goldenen Schnitt hingegen kann er sich nicht mehr erinnern.[6] Was Herr Geiser nicht mehr weiß, dass schlägt er im Lexikon nach, muss sich dabei aber selber eingestehen: „Oft weiß auch das Lexi­kon wenig Bescheid“.[7] Er weiß: „Der Mensch bleibt ein Laie“.[8] Obwohl Herr Geiser auf der Suche nach Wissen ist, nicht etwa, weil er es braucht, sondern weil es beru­higt[9], fragt er sich, „was er denn eigentlich wissen will, was er sich vom Wissen überhaupt verspricht“.[10] Denn er weiß genau, dass die Natur keine Namen braucht und die Gesteine sein Gedächtnis nicht brauchen.[11]

Trotz seiner Unsicherheiten auf seiner Suche nach Wissen, ist diese nur zu verständ­lich, denn schon in der Antike gab es die Auffassung, dass der Mensch nach Wissen strebt.

Dazu gehört auch die Frage, was Wissen ist und wie es entsteht. Da Wissen aus meh­reren Perspektiven betrachtet werden kann, gibt es keine einheitliche Wissensdefini­tion. Es gibt verschiedene Arten von Wissen und somit unterschiedliche Wissensdefi­nitionen.[12] Behavioristisch wird „Wissen als Besitz von Reiz-Reaktions-Verbindun­gen und/oder Aktivitätsmuster im Gedächtnis“[13] gesehen. Kognitiv „als Besitz von Konzepten und kognitiven Fähigkeiten zur Wiedererkennung und Konstruktion von Symbolmustern“.[14] Situativ wird „Wissen als in der Welt verteilte Ressource gese­hen“.[15]

Wissen hängt mit dem Gedächtnis zusammen, aber auch hier ist keine eindeutige Be­griffsdefinition zu finden. Der Begriff wird sowohl in der Wissenschaft als auch in der Umgangssprache unbestimmt und unterschiedlich verwendet. Gedächtnis, von griechisch 'µνηµη' bzw. lateinisch 'memoria', bezeichnet einerseits die Fähigkeit, sich an vergangene Erlebnisse bewusst erinnern zu können, andererseits ein theoreti­sches Konstrukt zur Beschreibung der Tatsache, dass das Verhalten und Erleben vom früheren Verhalten und Erleben beeinflusst wird. Aber auch die psychische und orga­nische Bedingung der Möglichkeit, aus Erfahrung zu lernen, das Gelernte über den Lernprozess hinaus zu speichern und unter bestimmten Bedingungen zu einem späte­ren Zeitpunkt abrufen und im Verhalten aktualisieren zu können.[16] Das Gedächtnis ist kein passiver Wissensspeicher, sondern Veränderung und Selbstorganisation unter­worfen. Es umfasst Wissen über Fakten, kognitive Operationen und Prozesse sowie Fertigkeiten. Bei Schwierigkeiten sich einen Lernstoff einzuprägen bzw. ihn zu be­halten spricht man von Gedächtnishemmung.[17]

Die Begriffe Wissen und Gedächtnis sind definitorisch kaum zu fassen und sehr komplex. Diese Unfassbarkeit und Komplexität gilt auch für die Literatur. In Sachbü­chern sollte das vermittelte Wissen objektiv und nachprüfbar sein, allerdings ist die­ses Wissen nicht immer vollständig. Bei Romanen gestaltet sich die Frage nach dem vermittelten Wissen ungleich schwieriger, hängt es doch stark vom Rezipienten ab und ist somit subjektiv.

Auch in Der Mensch erscheint im Holozän wird diese Komplexität sichtbar, geht es hier einerseits um die Frage nach dem vermittelten Wissen und andererseits um das Wissen selbst, welches Herr Geiser sammelt.

Das Wissen bzw. die Suche nach Wissen und sein Gedächtnis, genauer seine Ge­dächtnishemmung, bestimmen das Verhalten von Herrn Geiser. In alltäglichen Din­gen wird er vom Wissen bzw. Nicht-Wissen und seiner Vergesslichkeit geprägt, so listet er z.B. seine Vorräte[18] und seinen Lesestoff[19] auf. Manchmal läuft er auch im Haus mit Hut herum, ohne zu wissen warum[20] oder er vergisst Streichhölzer[21] zu kau­fen. Herr Geiser hat furchtbare Angst davor Dinge zu vergessen[22], deshalb notiert er was er zu wissen glaubt, auf Zetteln[23], anderes schlägt er im Lexikon nach. Am An­fang schreibt er es noch eigenhändig auf Zettel[24], später schneidet er es einfach aus, diese so gesammelten Informationen sammelt er an einer Wand in seiner Wohnstube, wobei er hier darauf achtet, dass die Zettel auch so hängen, dass er sie problemlos le­sen und wiederfinden kann[25], denn sonst sind sie wertlos. Und somit wäre auch das Wissen wertlos. Herr Geiser weiß aber auch, dass der Mensch nicht alles wissen kann und deshalb ein Laie bleibt.[26]

[...]


[1] Vgl. Cohen, Robert: Zumutungen der Spätmoderne. Max Frischs >>Der Mensch erscheint im Holozän<<. In: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften 54 (2008), S. 551. Im folgenden Zitiert als: Zumutungen der Spätmoderne (2008), S. x-y.

[2] Vgl. Ebd., S. 544-545.

[3] Vgl. Frisch, Max: Der Mensch erscheint im Holozän. Eine Erzählung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2011 (=stb 4238), S. 51-53. Im folgenden Zitiert als: Holozän (2011), S. x-y.

[4] Vgl. Holozän (2011), S. 20.

[5] Vgl. Ebd., S. 13-14.

[6] Vgl. Holozän (2011), S. 13.

[7] Ebd., S. 39.

[8] Ebd., S. 80.

[9] Vgl. Ebd., S. 20.

[10] Ebd., S. 117.

[11] Vgl. Ebd., S. 138-139.

[12] Vgl. Reinmann-Rothmeier, Gabi; Hans Mandl.: Wissen. In: Lexikon der Psychologie. Bd. 5: Why bis Z. Register. Heidelberg, Berlin: Spektrum 2002, S. 7-8.

[13] Ebd., S. 7-8.

[14] Ebd., S. 7-8.

[15] Ebd., S. 7-8.

[16] Vgl. Weinert, F.E.: Gedächtnis. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter. Bd. 3: G-H. Basel: Schwabe & Co. 1974, Sp. 35.

[17] Vgl. Meer, Elke van der: Gedächtnis. In: Lexikon der Psychologie. Bd. 2: F bis L. Heidelberg, Berlin: Spektrum 2001, S. 99-101.

[18] Vgl. Holozän (2011), S.15.

[19] Vgl. Ebd., S. 17-18.

[20] Vgl. Ebd., S. 119.

[21] Vgl. Ebd., S. 45.

[22] Vgl. Ebd., S. 13-14.

[23] Vgl. Ebd., S. 53.

[24] Vgl. Ebd., S. 28.

[25] Vgl. Holozän (2011), S. 48-53.

[26] Vgl. Ebd., S. 80.

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Details

Title
Geisers Zitatenmontage in "Der Mensch erscheint im Holozän"
Subtitle
Frischs Inserts und die Thematik des Wissens
College
RWTH Aachen University  (Institut für Germanistische und Allgemeine Literaturwissenschaft der RWTH Aachen)
Course
Max Frisch: >Der Mensch erscheint im Holozän<
Grade
1,7
Author
Year
2012
Pages
12
Catalog Number
V268181
ISBN (eBook)
9783656587323
ISBN (Book)
9783656587354
File size
463 KB
Language
German
Keywords
Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän, Holozän, Inserts
Quote paper
Sabrina Thorwesten (Author), 2012, Geisers Zitatenmontage in "Der Mensch erscheint im Holozän", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268181

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