Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht

Optimierung einer Lehrbucheinheit aus Puente 1


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Theoretische Auseinandersetzung mit Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht
1.1. Ausgangslage und Problemaufriss
1.2. Individualisierung und Differenzierung – das Konzept
1.3. Die veränderte Rolle des Lehrers
1.4. Aspekte der Differenzierung im Fremdsprachenunterricht

2. Analyse und Weiterentwicklung der Lehrbucheinheit „Andalucía“, Puente 1
2.1. Projekt, Aktivität, Planarbeit? Kurze Lokalisierung der Einheit
2.2 Analyse der Lehrbucheinheit
2.3 Überlegungen zur Weiterentwicklung: Die Lernstraße „Andalucía“

3. Abschlussreflexion

4. Bibliographie

Anhang

1.Theoretische Auseinandersetzung mit Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht

Die Schüler einer Klasse nicht über einen Kamm scheren, sich öffnen dafür, wie Kinder und Jugendliche sich unterscheiden und zugleich darum wissen, dass wir nie genau wissen werden, wer sie als einzelne oder als Gruppierung welcher Art auch immer sind, wie sie sind und wie sie sich entwickeln werden.

Prengel 2004: 45

1.1.Ausgangslage und Problemaufriss

Mit den Ergebnissen von PISA wurde der deutschen Schullandschaft eine Tatsache eklatant vor Augen geführt: Das deutsche Schulsystem ist hochgradig selektiv und benachteiligt wie kaum ein anderes in der OECD Schülerinnen und Schüler (im Folgenden: SuS) aus sozial schwachen oder migrantischen Familien.

Dies ist eine direkte Folge des fortwährenden Versuchs, für ,Homogenität‘ im Klassenraum zu sorgen (vgl. bes. Trautmann/Wischer 2011, Tillmann 2004, Prengel 2004). Lehrer scheinen sich ein Arbeitsumfeld zu wünschen, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass gleichartige SuS mit gleichartigen Leistungsständen auf gleichartige Weise das Gleiche lernen. Am deutlichsten äußert sich Tillmann (2004) zu dieser Thematik. Er beschreibt den bisherigen Ansatz, nach welchem Unterricht auf ein „fiktives Mittelmaß der Köpfe“ ausgerichtet wurde. Doch eine homogene Lerngruppe „ist und bleibt Fiktion“ (Tillmann 2004: 6).

Die Maßnahmen, nach denen in Deutschland bisher sowohl sozial, als auch ethnisch Auslese betrieben wurde, sind mannigfaltig: Vom Zurückstellen von „Problemfällen“ und das Sitzenbleiben oder Sonderschulüberweisungen schon in der Grundschule, über die Übergangsauslese und die Einteilung in verschieden Schulformen (hier macht sich besonders der Faktor soziale Herkunft bemerkbar) bis hin zur „Abschulung“ bei Leistungsversagen. All dies ergibt erstens eine hohe Zahl an frustrierten Schülern, Lehrern und Eltern und ist zweitens im internationalen Vergleich in Deutschland besonders ausgeprägt (vgl. Tillmann 2004: 6ff., s. a. Becker 2004: 11).

Dabei bilden Lehrer einen Teil des Problems: „Die Sehnsucht nach der homogenen Lerngruppe ist unter deutschen Lehrerinnen und Lehrern weitverbreitet; zugleich liegen Erfahrungen mit Formen der individuellen Förderung innerhalb eines binnendifferenzierenden Unterrichts viel zu selten vor.“ (Tillmann 2004: 9).

Die Einstellungen der deutschen Lehrkräfte hinsichtlich (erwünschter) Homogenität und (zu fördernder) Individualisierung hat Solzbacher (2008) anschaulich dargestellt. Besonders alarmierend erscheint, dass die allermeisten eine defizitäre Perspektive einnehmen und ,individuelle Förderung‘ hauptsächlich als „Anpassung an Leistungsanforderungen“ verstehen (Solzbacher 2008: 39). Außerdem halten 90% der Lehrerinnen und Lehrer (im Folgenden: LuL) eine individuelle Förderung aller SuS nicht für möglich. Neben dem fehlenden Selbstvertrauen (für einen veränderten, differenzierten Unterricht) geben 90% der Lehrkräfte an, dass Fortbildungen unabdingbar seien, ihnen dafür aber die Zeit fehle (vgl. Solzbacher 2008: 42). Hinzu kommen Argumente, die von der eigenen Verantwortung ablenken: für die schwierigen SuS seien doch eigentlich Spezialisten zuständig (i. e. SonderschullehrerInnen) (vgl. Becker 2004: 11).

Offensichtlich bedeutet „perfekter Unterricht“ für viele LuL das Vorhandensein eines Skripts, welches minutiös eingehalten wird. Die SuS ,marschieren‘ im Gleichschritt und werden vom Lehrer kontrolliert. Heterogenität wird dementsprechend als Gefahr für den Stundenablauf wahrgenommen. Es wird allerdings nicht gesehen, dass die Realisierung dieser Vorstellungen schnell zu Überforderung führt (vgl. Becker 2004: 11f.).

Offensichtlich stellt sich allerdings momentan ein gewisser Wille zum Umdenken ein. Nicht nur bei den LehrerInnen, sondern auch im System scheint sich langsam folgende Erkenntnis zu verbreiten: „Der Vielfalt (der Schüler) muss mit Vielfalt (der Lehre, des Unterrichts) begegnet werden“ (Trautmann/Wischer 2011: 5). Ein Beispiel dafür ist die Berliner Schulstrukturreform (SSR), die seit 2010 zu teilweise massiven Veränderungen in der Berliner Schullandschaft geführt hat. Mit hohen Ambitionen gestartet, ist die SSR der Versuch, die SuS auf bestmögliche Art und Weise – also entsprechend ihren Neigungen und Fähigkeiten – zu fördern. Auch wenn in einer Zusammenfassung der SSR das Stichwort Differenzierung nur im Zusammenhang mit „Leistung“ auftaucht, so erklärt die Senatsverwaltung trotzdem: Vor allem die neue Integrierte Sekundarschule solle das gemeinsame Lernen mit dem Angebot des Ganztagsbetriebs bis zur 10. Klasse verbinden.

„Das bedeutet, Schüler mit unterschiedlichen Bildungsempfehlungen profitieren voneinander und sind gleichzeitig stärker und selbstbewusster in der Gemeinschaft. Es bleiben außerdem genügend Raum und Zeit, auf die individuellen Fähigkeiten einzelner Schülerinnen und Schüler einzugehen und sie bestmöglich zu fördern.“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, online)

Dabei sollen die SuS explizit „nach ihren Lernvoraussetzungen und ihrem Lerntempo gefördert und in ihrer Persönlichkeit unterstützt“ werden (Senatsverwaltung). Das Ziel ist dabei, durch individuelle Förderung mehr SuS zu mittleren oder höheren Abschlüssen zu führen.

1.2.Individualisierung und Differenzierung – das Konzept

Fast alle (wissenschaftlichen) Autoren sind sich in vielen Punkten bezüglich den Charakteristika von Binnendifferenzierung und Individualisierung einig. In der Theorie des Konstruktivismus wird ,Lernen‘ als individueller und subjektiver Prozess verstanden: „Es findet in individuellen Auseinandersetzungs- und Aneignungsprozessen und im Umgang mit vielfältigen Gegenstandbereichen statt“. Daher gebe es auch keine allgemeingültige Struktur menschlichen Lernens (Hass 2008: 3). Ler­nen sei nur dann erfolgreich, „wenn der Lernende es selbst organisiert und sich für das eigene Lernen selbst verantwortlich fühlt“ (Kuty 2009: 62). Dabei kommt dem Vorwissen, also den Inhalten, an die der Lerner anknüpfen kann, entscheidende Bedeutung zu (Hass 2008: 3). Im Konzept der Individualisierung kommt es nun darauf an, jeden Einzelnen gemäß seiner Voraussetzungen und Möglichkeiten zu fördern und den individuellen Lernfortschritt bzw. das individuelle Lernbedürfnis zu berücksichtigen.

Im Allgemeinen kann die Innere Differenzierung als das Mittel (auch: Unterrichtsprinzip) beschrieben werden (bezieht sich auf gesamte Gruppe), mit dem das Ziel Individualisierung erreicht werden soll (bezieht sich auf den Einzelnen). Dafür müssen drei Faktoren stärker beachtet werden: Erstens die Lernausgangslage, zweitens die Lernziele und drittens die einzuschlagenden Lernwege. Besonders die Lernziele und Lernwege müssen auf allen (fach-)didaktischen Ebenen gedacht werden. Im Hinblick auf die Ziele muss sich die Lehrkraft darüber im Klaren sein, was anzustreben und also auch zu bewerten ist: Die erreichte Kompetenzstufe (kriteriale Bezugsnorm) oder der erreichte Kompetenzzuwachs (individuelle Bezugsnorm)? Die Unterrichtsinhalte und die Unterrichtsorganisation sollten differen­ziert und abwechslungsreich gestaltet werden (zu den Arten s. u.), wobei unbedingt darauf Wert zu legen ist, neue Formate schrittweise und mit der nötigen Transparenz einzuführen. Letztlich sollten unterschiedliche Zugangsweisen eröffnet werden (vgl. Hass 2008: 4ff.).

Grundsätzlich lässt sich auf mehreren Ebenen differenzieren. Die häufigste Form der Differenzierung ist de facto die nach Leistung. Dabei erhalten unterschiedlich fortgeschrittene Lerner unterschiedlich anspruchsvolle (oder einfach mehr) Aufgaben. Gerade für längere Unterrichtseinheiten, die einen Projektcharakter haben, bietet sich aber außerdem die Neigungsdifferenzierung an. Dabei lässt man die SuS entweder aus vorgegebenen Themen eines auswählen, oder stellt die Wahl eines Gegenstands ganz frei. Was Hass und andere unter dem Stichwort differenzierte Unterrichtsorganisation meinen, kann mit einer Differenzierung nach Lerntempo, Lerntypen und Sozialform (Plenum, kooperativ oder Einzelarbeit) beschrieben werden.

Weitere Möglichkeiten, innerhalb einer Lerngruppe unterschiedliche Angebote zu machen, sind: Differenzierung über das Ausgangsmaterial, unterschiedliche Hilfsmittel oder die Zusammensetzung der Gruppen (leistungshomogen oder leistungsheterogen). Außerdem kann eine freiere Material-Wahl oder die Wahl der Präsentationsform eine Form der Differenzierung darstellen.

Im Grunde bedeutet eine Ausrichtung auf Innere Differenzierung und Individualisierung ein neues Denken im Hinblick auf Unterrichtsgestaltung. Sowohl die Rolle des Lehrers (s. u. 1.3.), als auch die des Schülers verändern sich. Die wichtigste Voraussetzung für differenzierenden Unterricht ist ein gewisses Maß an Lernerautonomie, wobei die SuS zunächst in die Lage versetzt werden müssen, eigenverantwortlich zu arbeiten.

Um Lernerautonomie herzustellen, müssen die Selbstkompetenz (Lernstrategien, Reflexion eigenen Lernens und eigener Stärken), die Sozialkompetenz und die Methodenkompetenz der SuS gefördert werden. Dies muss kleinschrittig geschehen, die SuS sollten die neuen Lernformen und Arbeitsweisen gut kennen und sich mit ihnen wohl fühlen, um dann umso effizienter und konzentrierter das Vorgenommene bewältigen zu können. Darin liegt die große Stärke eines solchen Unterrichts: Die SuS lernen Eigenverantwortung, Selbstregulation und planhaftes Vorgehen innerhalb von Arbeitsprozessen. Obligatorisch sollte dabei allerdings auch eine Reflektion des Geleisteten, der Erfolge und der Unsicherheiten sein. Insofern ist solch ein autonomes Lernen ein direkter Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Ein zusätzlicher Aspekt ist die gestiegene Motivation der SuS (vgl. Oehl 2007: 81f.).

Neue Maßstäbe und Ziele müssen in den Blick genommen werden: Neben dem Einüben von selbständigen Arbeitsweisen sollten gemeinsame Ziele und Wege mit den Kollegen abgesprochen werden, um ein einheitliches Vorgehen zu ermöglichen. Außerdem muss den SuS ihre Anstrengung als sinnvoll vermittelt werden. Beiträge sollten anerkannt werden als bedeutsam für die gesamte Gruppe (vgl. Becker 2004:12). In diesem Zusammenhang weist Prengel darauf hin, dass eine Atmosphäre der (demokratischen) Anerkennung und des Respekts bezüglich der vorhandenen Heterogenität im Klassenraum mit der Erziehung zu Toleranz, Antirassismus und Geschlechterdemokratie verknüpft werden kann. Dabei kommt der Lehrkraft die entscheidende Rolle zu (vgl. Prengel 2004: 44f.).

1.3.Die veränderte Rolle des Lehrers

Überhaupt ist der beschriebene Paradigmenwechsel für die LuL wahrscheinlich zunächst einmal schwierig zu vollziehen. Diejenigen, die Schule noch als Input-orientiertes System der reinen Wissensvermittlung durch die „allwissende Lehrkraft“ verstehen, werden sich sicherlich schwer damit tun, Verantwortung für und besonders Kontrolle über die Geschehnisse im Unterricht abzugeben. Darüber hinaus wird diese Form des Unterrichts von vielen sicherlich als anstrengender empfunden.

Denn die größte Herausforderung bei differenzierenden Einheiten, die entweder Projekt-Charakter tragen oder als „Freiarbeit“ beschrieben werden können (z. B. Wochenplan), ist die Organisation. Die Lehrkraft muss eine Fülle an Material, unterschiedliche Aufgabenformate und Sozialformen einbeziehen. Die Evaluation ist ebenfalls aufwändig, soll sie individuell geschehen. Will der Lehrer auf die Unterschiedlichkeit der SuS eingehen, muss er, im Sinne des Konstruktivismus (s. o.), eine Lernumgebung schaffen, in der den SuS Angebote zum „Andocken“ gemacht werden (Kuty 2009: 63).

Während des Arbeitsprozesses wandelt sich die Lehrkraft zu einem Moderator, der selbst nicht mehr Tempo und Inhalt einzelner Stunden vorgibt, sondern nur noch den Rahmen, in dem die SuS in der kommenden Periode arbeiten werden. Er wird zu einem Experten, der zu Rate gezogen werden kann. Er „begleitet und hilft nur wenn nötig, steht zur Verfügung, berät, koordiniert, schreitet ein, wenn er gebeten wird, leitet die Auswertung“ (Oehl 2007:82).

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht
Untertitel
Optimierung einer Lehrbucheinheit aus Puente 1
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Insitut für Romanische Sprachen)
Veranstaltung
Theoriegeleitetes Forschen Spanisch
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
18
Katalognummer
V267817
ISBN (eBook)
9783656594260
ISBN (Buch)
9783656594253
Dateigröße
1423 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Umfangreicher Anhang mit Scans der Lehrbucheinheit.
Schlagworte
Fachdidaktik, Spanisch, Lehramtsmaster, Lehrbucheinheit, Lehrbuch, Puente 1, Optimierung, Differenzierung, Individualisierung, Theorie, Praxis
Arbeit zitieren
Florian Kuhne (Autor:in), 2013, Differenzierung und Individualisierung im Fremdsprachenunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267817

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