Neue Organisationskonzepte als Alternative zur Hierarchie?

Eine Untersuchung ausgewählter neuer Organisationsformen auf Hierarchiefreiheit


Diplomarbeit, 2003

61 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen zur Organisation
2.1. Eingrenzung des Organisationsbegriffs
2.2. Notwendigkeit der Organisationsgestaltung in Form von Regeln
2.3. Begriffsbestimmung der formalen und informalen Organisation sowie der Aufbau- und Ablauforganisation

3. Hierarchie
3.1. Charakteristik der Hierarchiestruktur
3.1.1. Der Hierarchiebegriff
3.1.2. Formale und inhaltliche Gestaltungsparameter der hierarchischen Organisationsgestaltung
3.1.3. Arten von Hierarchiestrukturen
3.2. Hierarchielegitimation
3.2.1. Die Theoretische Begründung der Hierarchie
3.2.2. Die praktische Funktionalität der Hierarchie

4. Ausgewählte neue Organisationsformen
4.1. Ursachen für neue Organisationskonzepte
4.2. Die Prozessorganisation
4.3. Die Netzwerkorganisation
4.3.1. Das Beziehungsgeflecht Netz im Unternehmen
4.3.2. Übergreifende Unternehmenszusammenarbeit
4.4. Die Lernende Organisation
4.4.1. Organisationales Lernen
4.4.2. Die Lernorganisation als Unternehmung

5. Untersuchung neuer Organisationsformen auf „Hierarchiefreiheit“
5.1. Überblick
5.2. Kritische Überlegung zur Gestaltung der Prozessorganisation
5.2.1. Strukturelle Gestaltung der Organisationskonzeption Prozess
5.2.2. Funktionale oder prozessorientierte Organisationsgestaltung
5.3. Kritische Betrachtung der Netzwerkorganisation
5.3.1. Strukturgestaltung in der Organisationsform Netz
5.3.2. Folgen der Selbstorganisation im Unternehmensnetz
5.3.3. Strukturen der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit
5.3.4. Folgen der Überschreitung herkömmlicher Organisationsprinzipien
5.4. Kritische Auseinandersetzung mit der organisationalen Strukturgestaltung in der Lernenden Organisation
5.4.1. Gilt die Lernende Organisation als anti-strukturell?
5.4.2. Strukturen in der Lernenden Organisation
5.4.3. Die Lernende Organisation als übergeordnete Gestaltungsphilosophie
5.5. Dilemmata der Dezentralisierung

6. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Trends und Organisationsmodelle

Abb. 2: Organisationaler Lernzyklus

1. Einleitung

Bisherige Organisationskonzepte von Unternehmen gründen sich auf dem funktional mechanischen Wissenschaftsbild der Organisationstheorie, welches Taylor in seiner Theorie der wissenschaftlichen Betriebsfüh­rung ent­wickelte (vgl. Walter-Busch 1996, S. 119ff.). In der Konsequenz wur­den Unternehmen traditionell in Form einer starr zentralistisch organisierten Hie­rarchie ausgestaltet.

Doch Wettbewerbsintensität, Globalisierungstendenzen, Schnelllebigkeit durch kurz­lebigere Marktzyklen und Wertewandel in den letzten Jahrzehn­ten führen zu einer immer stärker werdenden Umwelt­kom­plexität. Daraus resultie­ren zunehmende Flexibilitätsanforderungen an Unternehmen mit permanent steigendem Handlungs- und Innovationsdruck. Das zwingt Unter­nehmen in immer stärkerem Maß dazu, die eigenen Struk­turen neu zu über­denken und zu reorganisieren, um so überschaubar, flexibel sowie inno­vativ zu bleiben. Denn eine starr aufgebaute Hierarchie ist weit­gehend un­geeignet, sich schnell und effizient den unterschiedlichen Kunden­be­dürf­nissen anzupassen und mit kürzer werdenden Innovations- und Pro­duktle­benszyklen Schritt zu halten (vgl. Holtbrügge 2001a).

Durch diese Problematik rückt die Entwicklung neuer Organisations­kon­zepte für Unternehmen verstärkt in das wissenschaftliche Betrachtungs­feld. Grundkonsens neuer Konzepte ist der Abbau festgefahrener hierarchi­scher Strukturen. In erster Linie wird dabei auf Dezentrali­sierung, Selbst­or­ganisa­tion und Selbst­verantwortung ab­gestellt, um so ein höheres Flexibilitäts­vermögen in veränderten Rahmen­bedingun­gen und damit eine dauerhafte Sicherung von Markt­akzeptanz und nach­haltigem Erfolg der Unternehmen zu sichern.

In der Diskussion um neue Organisationskonzepte werden aber teilweise die Nachteile der traditionellen Organisationsform Hierarchie mit den Vor­teilen neuer Organisationsformen ver­glichen und euphorisch resümiert, dass jeg­liche hie­rarchische Strukturen abgebaut, zerstückelt und nieder­gerissen werden müssen, um so einem „kreativen Chaos“ Platz zu machen (vgl. Peters 1993, S. 198). Doch Hierar­chiefreiheit kann in großen Unter­nehmen zu einem enormen Anstieg von Ab­stimmungs­beziehungen führen und so die Kom­plexi­tät weiter erhöhen (vgl. Krü­ger 1994).

Die Frage, die sich in der Entwicklung neuer funktionaler Organisations­modelle stellt, kann daher nicht einfach auf die Frage „Hierarchie Ja oder Nein?“ reduziert werden (vgl. Gairola 1994, S. 20ff.). Hatte doch die hierarchi­sche Organisationsstruktur als Stabilitätsfaktor mit klarer Definition von Verantwortlichkeiten in der Unternehmenspraxis langjährig ihre wich­tige Bedeutung.

Um ein ganzheitliches Bild und damit eine wissen­schaftlich fundierte Aus­sage auf den theoretischen und praktischen Gehalt neuer Organisations­formen zu ermöglichen, sollen in dieser Arbeit ausgewählte neue organisa­torische Konzepte dahingehend untersucht werden, ob sie tatsächlich als „hierarchielos“ begriffen werden können. Dazu wird, um geeignete Ver­gleichs­kriterien zu erhalten, zunächst das Konzept der Hierarchie ein­ge­hend erarbeitet. Es werden dann die neuen Organisationsformen Prozess­organisation, Netzwerk­organisation und Lernende Organisation vorgestellt und an­schließend kritisch auf ihre Strukturen hin untersucht.

Ziel dieser Arbeit ist es, heraus zu arbeiten, ob die vorgestellten Organi­sations­konzepte strukturell als hierarchie­freie Alternativen begriffen oder eher als Ergänzung zur traditionellen Hierarchie­ausprägung gedacht werden können.

2. Grundlagen zur Organisation

2.1. Eingrenzung des Organisationsbegriffs

Der Begriff „Organisation“ zeigt sich sowohl in der Umgangssprache als auch in der Wissenschaftsliteratur äußerst vielfältig. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass eine arbeitsteilige und zielorientierte Vor­gehens­weise zur Lösung komplexer Probleme, die Mensch­heitsge­schichte von Anfang an begleitete. Mit der Entstehung größerer gesellschaftlicher Einheiten, wie Kirche, Staat und Heer, wurde früh­zeitig die Suche nach pragmatischen organisatorischen Lösungen sowie zweck­mäßigen und all­gemeingültigen Organi­sationsprinzipien ausgelöst. Im Zuge der damit verbundenen wirt­schaft­lichen Entwick­lung wurde diese Problemlösungskonzeption in den Bereich der Wirtschaft über­nommen und auf Unternehmen übertragen (vgl. Bleicher 1991, S. 34; Vahs 2001, S. 8; Weibler 2002a, S. 11ff.).

Allgemein kann Organisation als Form geregelter, zweckorientierter Kooperation oder einfach als Ordnungsprinzip verstanden werden, welche im Kontext von interpersoneller Arbeitsteilung, Stellenbildung und Prozess­gestaltung steht (vgl. Walter-Busch 1996; Gu­ken­biehl 2000). Eine exakte Definition des Begriffs gestaltet sich jedoch in der heutigen wissen­schaft­lichen Auseinandersetzung sehr vielfältig, weil immer wieder neue Aspekte gewählt werden, um das Phänomen Organisation zu beschreiben. Grund­sätzlich aber können drei Sichtweisen unterschieden werden, die jeweils ihren Niederschlag im

- funktionalen,
- instrumentellen und
- institutionellen

Organisationsbegriff finden (vgl. Weibler 2002a; Bea / Göbel 2002).

Die funktionale Auffassung von Organisation setzt an konkreten Hand­lungen an, die eine bestimmte Form von Ordnung in ei­nem System herstellen. Sie zeigt die Art und Weise sowie die Ziele der Ord­nungs­bildung als Prozess auf, indem sie von sozialen Systemen ausgeht, die arbeits­teilig zu struk­turieren sind. Ordnung ist in diesem Zusammen­hang eine Bedin­gung der Aufgabenerfüllung sozialer Systeme. Unter dem funk­tionalen Organisationsbegriff wird daher ein Prozess verstanden, durch den Ordnung ent­steht (vgl. Hill et al. 1994, S. 17; Gomez / Zimmermann 1999, S. 17; Vahs 2001, S. 8f.; Weibler 2002a, S. 25ff.; Bea / Göbel 2002, S. 2f.).

Das instrumentelle Verständnis setzt an dem Ergebnis des Ordnungs­prozesses einer „organisierten“ Struktur in Form von Regelungen an. Diese Struktur hilft den Prozess der Leistungs­erstellung zu steuern. Dabei ist die Strukturie­rung von Arbeitsprozessen als Hand­lungsvorschrift zu verstehen, um Unternehmensziele zu er­reichen. Der instrumentelle Begriff definiert Organisation als ein dauerhaftes Regel­system sowie als zielorientiertes Führungs­instrument der Unternehmung (vgl. Schrey­ögg 1999, S. 5ff.; Bea / Göbel 2002, S. 3f.; Weibler 2002a, S. 25ff.).

Im Unterschied zu vorgenannten Organisationsverständnissen lenkt das institutionelle Verständnis den Blickwinkel auf das Gesamtsystem, auf das Unternehmen als Institution innerhalb der Umwelt. Dieses weist eine spezifische Zweckorientierung, geregelte Arbeitsteilung im Sinne einer eigenen Handlungsstruktur auf und konstituiert sich über Grenz­ziehung zur Umwelt (vgl. Minssen 2000). Organisationen bestehen dabei aus mehreren Personen mit einem gemeinsamen Ziel, die in einer bestimmten Ordnung zueinander stehen. Zentral­punkt ist in diesem Verständnis das kollektive Denk- und wirtschaftliche Handlungssystem als Gesamtheit (vgl. Gomez / Zimmer­mann 1999, S. 17). Der institutionelle Begriff definiert Organisation als Institution, in der eine Gruppe von Personen ein Regel­system geschaffen hat, um gemeinsam Ziele zu verfolgen. Die institutionelle Organisa­tion ist zeitlich stabil strukturiert und trotz theoretischer Grenzen gegenüber der Umwelt offen, zielgerichtet und zweck­orientiert (vgl. Schanz 1992, Sp. 1460; Schreyögg 1999, S. 9f.; Go­mez / Zim­mermann 1999, S. 16f.).

Je nach zugrundeliegendem Verständnis ergibt sich eine andere Sicht­weise auf das Phänomen Organisation. Die verschiedenen Sicht­weisen, funktional, instrumentell und institutionell, sind jedoch nicht unabhängig und los­gelöst voneinander, sondern sie bedingen sich gegenseitig und lassen sich auf­einander zurück­führen.

In dieser Arbeit wird dem instrumentellen Verständnis von Organisation der Begriff Unternehmensstruktur als Führungsinstrument gleichgesetzt. Die Organisationsstruktur kann dabei begrifflich als relativ beständiges Ordnungs­muster gefasst werden, welches sich als Regelsystem charak­terisieren lässt, in dem Verhalten und Handeln der Organisationsmitglieder auf ein übergeordnetes Ziel hin koordiniert werden (vgl. Frese 1992, Sp. 1679f.; Janning 2002, S. 27). Der institutionellen Sichtweise entsprechend, wird hier unter Organisation die Ge­samtheit einer Unter­nehmung als ziel­orientiertes soziales Gebilde verstanden, deren Mitglieder ein gemein­sames Leis­tungs­ziel verfolgen.

2.2. Notwendigkeit der Organisationsgestaltung in Form von Regeln

Die Unternehmung als institutionelle Organisation ist im Wirtschaftsprozess auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet. Aus diesem Ziel leitet sich als allge­meine Aufgabe die dauerhafte Sicherung von Markt­akzeptanz und nach­haltigem Unter­nehmenserfolg ab (vgl. Krüger 1994; Bea / Göbel 2002). Die Ge­samtaufgabe der Unternehmung ist jedoch aufgrund be­grenzter indivi­duel­ler Kapazität zu umfangreich, um von einem einzelnen Individuum erfüllt werden zu können (vgl. Scherm 2002). Eine Aufteilung in Teilaufgaben auf mehrere Personen ist deshalb unum­gänglich.

Die Auffächerung in verschiedene Teilaufgaben (Differenzierung) muss jedoch in eine sinnvolle Ordnung zu einander gebracht werden (Integra­tion), um die unternehmerische Zielsetzung zu ermöglichen[1]. Im Kern geht es darum, Regeln zur Aufgabenverteilung, zur Koordination der Arbeit, zur Gestaltung des Arbeitsinhaltes, zur Festlegung von Ver­antwortungsbe­reichen und zur Zuordnung von Kompetenzen zu schaffen (vgl. Steinmann / Schreyögg 2000, S. 403).

Organisatorische Regeln reduzieren dabei die Umwelt- und die Entschei­dungs­komplexität, indem sie die Vielfalt möglicher Hand­lungsvarianten auf ein handhabbares Maß einschränken. Regeln klären Informations­flüsse in Unter­nehmen und versorgen so die Aufgaben­träger mit den zur Leistungs­er­stellung relevanten Informationen. Organisa­tionsregeln steuern das Ver­halten der Mitglieder und tragen damit zur Vereinfachung der Interaktion zwischen einzelnen Individuen bei. Sie gewährleisten die Konsistenz und Stabilität von Entscheidungen im Zeit­ablauf und erhöhen die notwendige Entscheidungs­qualität. Gestaltungsgrundsatz ist dabei vor allem die Sicherung von Effektivität und Effizienz der Unternehmung als Maßgrößen für Ziel­erreichung und Wirtschaftlichkeit (vgl. Steinmann / Schreyögg 2000; Scholz 1992).

Struk­turelle Regeln grenzen einzelne Aufgaben­gebiete und Handlungs­spiel­räume der Akteure in einem System ab und unterstützen die effektive Ver­wirk­lichung von Unternehmenszielen. Sie können so inte­grierend sowie identitätsstiftend wirken und machen damit kollek­tives Handeln erst möglich (vgl. Krüger 1994; Burr 1998, S. 315; Vahs 2001).

2.3. Begriffsbestimmung der formalen und informalen Organisation sowie der Aufbau- und Ablauforganisation

Die Gesamt­heit der geschaffenen Organisationsregeln für die Unter­nehmenssteue­rung wird formale Organisations­struktur ge­nannt. Diese formale Struktur ist zweckrational gestaltet und bewusst geplant. Im Gegensatz dazu steht die informale Organisationsstruktur. Sie beruht auf persönlichen Einstellungen, Normen und Motiven, die von der formalen Organisationsstruktur gar nicht oder anders repräsentiert werden (vgl. Kie­ser / Kubi­cek 1992; Krüger 1994; Bea / Gö­bels 2002).

Traditionell wird in der deutschen Organisationslehre die formale Organisa­tionsstruktur in die zwei Gestaltungsbereiche[2]

- Aufbauorganisation und
- Ablauforganisation

unterschieden (vgl. Gaitanides 1992).

Die Aufbauorganisation bildet den statischen Rahmen einer Organisation. Sie befasst sich mit der Zerlegung, Verteilung und Koordination von Arbeitsaufgaben im Unter­nehmens­prozess und spiegelt die Gestaltung der Verteilungsbeziehungen auf Organisations­mitglieder wieder. Differenzierte Aufgaben werden zu Funktionen zusammengefasst und ergeben organisatorische Einheiten. Ergebnis ist eine funktionale Struktur der Unter­nehmung, welche sich auch als Stellen­gefüge im Organigramm nieder­schlägt (vgl 1991, S. 42; 2002, S. 37; 2002, S. 248). Nach traditionellem Verständnis geht die Aufbauorganisation der Ablauf­organisation in der Organisationsgestaltung voraus.

Die Ablauforganisation ist als Wirkungssystem zwischen den organisatori­schen Einheiten und als Ergebnis der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen zu verstehen (vgl. Bleicher 1991, S. 42). Einzelne Prozesse der Auf­ga­ben­erfüllung werden hierbei unter Zielsetzung von effizienter Ressourcen­nutzung und Flexibilität betrachtet. Diese raum-zeitliche Organisierung der Arbeit ist der dynamische Aspekt der organisa­torischen Strukturgestaltung (vgl. Scherm 2002, S. 37; Bea / Göbel 2002, S. 290).

Beide Strukturbereiche sind nicht unabhängig von einander, sondern sie stellen nur unterschiedliche Betrachtungsweisen der formalen Unter­nehmens­gestaltung dar (vgl. Scherm 2002). Traditionelle Formalge­staltung ist die Hierarchie.

Da in der Organisationsgestaltung davon ausgegangen wird, dass Aufbau vor Ablauf zu erfolgen hat, findet in der Praxis oft eine getrennte Planung statt. Dies führt dazu, dass die hierarchische Strukturplanung ohne größere Berücksichtung von Prozessabläufen entwickelt wird. In der Folge führt es zu einer unzweckmäßigen Zergliederung von Arbeitsabläufen und zu einer unflexiblen Gestaltungs­konzeption der Unternehmung. Um diese Unzuläng­lich­keiten, die Kritik und die daraus resul­tieren­den Forderungen nach hierarchie­losen Unternehmens­strukturen beurteilen zu können, muss daher zu­nächst der Begriff, die Notwendigkeit und die Gestaltung der Hierarchie als formale Organisationsstruktur geklärt werden.

3. Hierarchie

3.1. Charakteristik der Hierarchiestruktur

3.1.1. Der Hierarchiebegriff

Ursprünglich bezeichnete Hierarchie die Gesamtheit der kirchlichen Rang­ordnung (vgl. Pfeifer 2000, S. 539). Erst allmählich wurde der Begriff in die Betriebswirtschaftslehre übertragen. Im klassischen Sinn wird Hierarchie als grundlegendes Ordnungsmuster und spezifischer Regel­mechanismus begriffen, um komplexe Systeme zu be­wältigen (vgl. Breisig / Kubi­cek 1987; Krüger 1994).

Hierarchie kann einer­seits als formale Struktur einer Über- und Unter­ordnungs­beziehung (instrumen­telle Sichtweise der Organisation) und andererseits als grundlegendes organisatorisches Ordnungsprinzip in Unternehmen interpretiert werden (institutionelle Sichtweise). Dominie­rende Grundlage ist die vertikal und pyramidenförmig abgestufte Ordnung ein­zelner Organisationselemente (vgl. Laske / Weis­kopf 1992).

Dabei werden jeweils bestimmte Aufgabenkomplexe der Unternehmung zu einem Ver­antwortungsbereich zusammengefasst und so von anderen Bereichen getrennt bzw. entkoppelt (vgl. Kieser / Kubicek 1992, S. 96f.). Dieser zu­sammengefasste Verantwortungsbereich ist die kleinste organisa­torische Einheit und wird als Stelle bezeichnet (vgl. Krüger 1994, S. 45). Einzelne Stellen werden zu Abteilungen zusammengefasst und sind so angelegt, dass sie vertikal angesiedelt und prinzipiell systematisch über alle Ebenen von oben nach unten miteinander verbunden sind (vgl. Bartölke 1980, Sp. 830). Einzelne Stellen sind von jeweils einer bestimmten übergelagerten Stelle, von einer Instanz abhängig. Instanzen sind mit Entscheidungs­kompetenz, Weisungsbefugnis und Ver­antwortung aus­gestattet (vgl. Kieser / Kubicek 1992, S. 83). An der Spitze der Hierarchie steht als oberste Instanz die Unter­nehmensführung.

Diese hierarchische Struk­turanordnung führt dazu, dass die Ab­stimmung nicht mehr individuell zwischen allen möglichen Stellen einer Organisation ge­troffen werden muss und Arbeiten so konzentrierter ausgeführt werden können. Ebenfalls können Abstimmungsprobleme gebündelt und auf über­geordnete Ent­scheidungsebenen verlagert werden.

Zusammenfassend kann daher Hierarchie als ein strukturell ausgestalteter Koordinationsmechanismus definiert werden, der durch, von der Spitze aus­gehenden, entscheidungsabhängigen Über- und Unterordnungs­be­zie­hun­gen ein Unternehmen in seinen Handlungs­bezügen vertikal organisiert.

3.1.2. Formale und inhaltliche Gestaltungs­parameter der hierarchischen Organisationsgestaltung

In der organisatorischen Gestaltung der Hierarchie ergeben sich Be­sonder­heiten, die die spezielle Struktur derselben ausmachen. Dabei wird der Aufbau formal im wesentlichen von den drei Gestaltungsparametern

- Leitungsbreite
- Leitungstiefe und
- Struktur der Weisungsbeziehung

bestimmt (vgl. Krüger 1994, S. 63ff.).

Die Leitungsbreite kennzeichnet die Anzahl der Stellen, die einer Instanz untergeordnet sind. Allgemein wird die Leitungsbreite auch als Kontroll­spanne bezeichnet. Je nach zugeordneten Stellen ist ein hierarchischer Strukturaufbau mit breiter oder geringer Kontrollspanne möglich.

Die Leitungstiefe ist die Anzahl der übereinander gelagerten Ebenen, der Hierarchiestufen. Leitungsbreite und -tiefe stehen in der Regel in negativer Korrelation zu einander. Je größer die Anzahl der einer Instanz direkt unter­geordneten Stellen ist, desto geringer ist in der Regel die An­zahl der Leitungs­ebenen einer Organisation (vgl. Krüger 1994, S. 64). Es sind ebenso flache, wie steile Hierarchien in einer Unternehmung möglich.

Die Struktur der Weisungsbeziehung ist in der Hierarchiegestaltung all­gemein ein Einliniensystem. Die Entscheidungskompetenz und Wei­sungs­befugnis im Sinne der Einheit der Auftragserteilung liegt hier über mehrere Stellen bei nur einer Instanz. Als Sonderfall kann die Weisungs­befugnis auch auf mehrere Instanzen aufgeteilt (Mehrlinien­system) werden.

Je nach Ausgestaltung von Leitungsbreite, Leitungstiefe und Weisungs­beziehung, kommt es zu unterschiedlichen Ausprägungen der Hierarchie. Obwohl in der allgemeinen Auffassung von einer Pyramidenstruktur der Hierarchie ausgegangen wird, ergeben die formalen Gestaltungs­parameter eine Bandbreite von Zwiebel- bis zur inversen Trapezform (vgl. Krüger 1994, S. 64).

Bedeutsamer als formale Gestaltungsparameter der Hierarchie sind jedoch inhaltliche Gestaltungsaspekte. Hierzu werden die wesentlichen Parameter

- Entscheidungspartizipation
- Entscheidungsdelegation und
- Entscheidungs(de)zentralisation

unterschieden (vgl. Krüger 1985, S. 297f.; Krüger 1994, S. 66ff.).

Unter Entscheidungspartizipation versteht sich die freiwillige und fallweise Beteili­gung rangniederer Stellen an den Entscheidungen höherer Instanzen (vgl. Bea / Göbel 2002, S. 254). Es ist die Beteiligung der Mit­arbeiter an der Willensbildung einer hierarchisch nächst höheren Ebene (vgl. Hill et al. 1994, S. 235). Je geringer die Partizipation, desto auto­no­mer werden Entscheidungen von einer Instanz getroffen. Je größer der Partizipations­grad, desto größer ist die Mit­bestim­mung hierarchisch unter­geordneter Stellen bzw. Organisationsmitgliedern.

Unter Entscheidungsdelegation wird die Übertragung von Kompe­tenzen auf Andere verstanden (vgl. Bea / Göbel 2002, S. 253). Die Delegation im engeren Sinn erstreckt sich auf zwei hierarchische Ebenen in einer Linie (vgl. Krüger 1994, S. 67). Hierbei werden Aufgaben und insbesondere Ent­scheidungskompetenzen sowie Verantwortung auf die direkt nach­geordnete organisatorische Einheit übertragen. Delegation im weiten Sinn dagegen ist über alle hierarchische Ebenen möglich. Es betrifft Kompe­tenzen und Ver­antwortung einer Stelle in der Unternehmung, die ihr von vornherein zugeordnet sind.

Die Entscheidungszentralisation bezieht sich auf die Bündelung von Entschei­dungs­befugnissen auf den oberen Hierarchieebenen. Völlige Zentrali­sa­tion liegt immer dann vor, wenn Entscheidungskompetenzen nur auf der obersten Leitungs­ebene konzentriert sind. Demgegenüber wird unter Ent­schei­dungs­de­zentralisation die Verteilung von Aufgaben und den damit verbundenen Kompetenzen an organisatorische Grundeinheiten verstanden. Innerhalb einer Hierarchie können Entscheidungen sowohl einzeln, als auch in Gruppen getroffen werden. Die Dezentralisation liegt immer dann vor, wenn Ent­scheidungs­kompetenzen systematisch nach unten delegiert werden (vgl. Krüger 1985, S. 293).

Der jeweilige Zentralisationsgrad beeinflusst die Leitungstiefe und Leitungs­breite einer Organisation. Denn je mehr Kom­petenzen auf unter­gebene Stellen verlagert werden, desto größer ist die Anzahl der Stellen, die von einer einzelnen Instanz bewältigt werden können. Auch die Kontrollspanne kann jetzt um so größer gestaltet wer­den (vgl. Bea / Göbel 2002, S. 254f.). Die Entscheidungs(de)zentralisation ist in ihrer Aus­ge­staltungsmöglichkeit sehr unter­schied­lich. Starre Zentralisa­tion ist in einem Unternehmen ebenso möglich, wie komplexe De­zentralisation.

Die inhaltlichen Gestaltungsparameter einer Hierarchie sind nicht losgelöst voneinander. Je größer die Partizipation, desto mehr kann letzt­lich delegiert werden. Und je größer der Delegationsgrad einer Unter­nehmung ist, desto größer ist auch ihr Dezentralisationsgrad.

Auf Grund der notwendigen Verknüpfungen vorgenannter hierarchischer Ge­staltungs­parameter wird deutlich, dass vielfältige und differenzierte Muster von Hierarchien möglich sind, die ihren Niederschlag in den unter­schiedlichen Gestaltungsarten finden (vgl. Bartölke 1980; Krüger 1994).

3.1.3. Arten von Hierarchiestrukturen

Viele Probleme und Kritikpunkte zur Hierarchie resul­tieren aus einer einseitigen Begriffsauffassung, da Hierarchie oft nicht in ihrer Kom­plexität begriffen wird. Vielmehr ver­schmelzen verschiedene Gestaltungs­formen zu einer starren und statischen Sichtweise. Dies beruht darauf, dass Unter­nehmen traditionell nach den tayloristischen Kriterien wissenschaftlicher Betriebsführung bürokratisch, starr und statisch gestaltet wurden (Taylor 1919; Weber 1980). [Im weiteren Text wird diese Auffassung als lineare Hierarchie bezeichnet, um diese Organisations­gestaltung klar von anderen abzugrenzen.]

Die Kenntnis verschiedener Hierarchiearten mit unter­schiedlich in­haltlicher Aus­gestaltung ist jedoch notwendig, um neue alternative „hierarchie­lose“ Organisationsformen kritisch hinterfragen zu können.

Aus möglichen Kombinationen der zuvor dargestellten inhaltlichen Gestaltungsparameter einer Organisation lassen sich folgende Hierarchie­arten charakterisieren (vgl. Krüger 1994; Probst, 1993):

- zentralistische Hierarchie
- delegationsergänzte Hierarchie
- partizipationsergänzte Hierarchie
- dezentralistische Hierarchie
- heterarchische Hierarchie, als Sonderfall.

Kennzeichnend für die zentralistisch organisierte Hierarchie ist die weit­gehende Konzentration von Entscheidungsprozessen an der Unter­neh­mens­spitze. Koordinationsregeln sind durch strikte Weisungslinien geprägt. Unter­geordneten Stellen wird keinerlei Entscheidungs­partizipation einge­räumt und Dele­gations­maßnahmen an nachrangige organisatorische Einheiten beschrän­ken sich auf unbedeutende Aufgaben (vgl. Krüger 1994, S. 69f.).

In der delegationsergänzten Hierarchie werden zu Entlastungszwecken der Unternehmensführung Routineentscheidungen delegiert. Partizipation an Führungsprozessen jedoch ergibt sich für untergeordnete Stellen keine oder nur in sehr untergeordneter Bedeutung (vgl. Krüger 1994, S. 70).

Die partizipationsergänzte Hierarchie weist ebenfalls noch weitgehend zentralisierte Entscheidungsprozesse und nur die Delegation von Routine­entscheidungen auf. Zusätzlich werden hier untere und mittlere Ebenen der Organisation in Entscheidungsprozesse involviert. Dabei können Unter­nehmensmitarbeiter partizipativ lediglich informierend und beratend an der Willens­bildung oberer Instanzen mitwirken (vgl. Krüger 1994, S. 70).

In dezentralistischen Hierarchien sind organisatorische Subsysteme weit­gehend selbstständig geführt. An der Hierarchiespitze bleiben vorwiegend die strategischen Entscheidungen einer Organisation konzentriert. Strategische Entscheidungsprozesse bestimmen sich nach den Unter­nehmenszielen, -grundsätzen und -strategien. Aus der Umsetzung und Kontrolle von strategisch Gewolltem, leiten sich operative Entscheidungen ab, die weitestgehend auf untere und mittlere Ebenen delegiert werden (vgl. Krüger 1994, S. 71).

Die heterarchische Hierarchie ist als Sonderfall zu betrachten. Unter Heterarchie[3] versteht man im Organisationszusammenhang das Prinzip fluktuierender hierarchi­scher Beziehungen zwischen verschiedenen or­ganisa­torischen Einheiten (vgl. Probst 1993, S. 495). Dabei sind mehrere, vonein­ander relativ unabhängige organisatorische Stellen in einem Handlungs­system lose gekoppelt (vgl. Bühl 1987, S. 242).

Heterarchie bedeutet, dass hierarchi­sche Strukturen situationsbedingt und fluktuierend angepasst werden. Je nach Problemsituation wird eine effiziente Anpassung in der Form gewähr­leistet, dass Entscheidungs- und Ver­ant­wor­tungskompetenz diejenige Stelle erhält, die über die größten oder spezialisiertesten Ressourcen und Fähigkeiten verfügt, um eine Problem­situation zu bewältigen. Je nach best­möglichem Potenzial zur Lösung von Unter­nehmens­aufgaben wandern Kompetenzen und Führung von Sub­system zu Sub­system. Es besteht zwischen allen organisatori­schen Ein­heiten nur eine situative und temporäre Kopplung, die immer wieder neu konfiguriert wird. Das bedeutet, dass sich hierarchische Struk­turen nach Bedarf ändern oder sogar um­kehren lassen und damit auch Kompetenzen neu zugeordnet werden (vgl. Probst 1994, S. 314).

Heterarchische Hierarchie beinhaltet als oberste Ebene die Unternehmens­leitung, wo vorwiegend strategische Ent­schei­dungen in Form von Zielen und Grund­sätzen getroffen werden. Die Aus­gestaltung von Kompetenz und deren Regelung werden jedoch grund­sätzlich an untere Ebenen delegiert. Diese Ebenen bestehen nicht mehr in Über- und Unterordnungen, sondern in organisa­torischen Subsystemen. Es existiert keine zentrale Kontrolle, sondern die Führung organisatorischer Teilsysteme wird in Konkurrenz und Konflikt, in Kooperation und Dominanz, in Sukzession und Substitution immer wieder neu ausgehandelt (vgl. Bühl 1987, S. 242). Die Parameter Entscheidungs­dezentralisation, -delegation und -partizipation erfahren in der heterarchischen Hierarchie ihre größt­mögliche Ausprägung.

Hierarchie sorgt also für die bessere Gestaltung des Arbeits­inhaltes, für die konkrete Festlegung des Verantwortungsbereiches und für die Zu­ordnung notwendiger Kompetenzen. Der organisatorische Koordina­tions­mechanis­mus ist jedoch nicht nur ein Sach­zusammenhang, sondern er begründet Über- und Unter­ordnungen in unter­schiedlichster Ausgestal­tung. Als zweck­rational gestal­tete Organisations­struktur, kommt der Hierarchie aber auch theoretische und praktische Bedeutung zu, deren Legitimation im Weiteren geklärt werden soll.

[...]


[1] Differenzierung und Integration der Arbeit als Basisaufgaben der Organisations­ge­staltung sind latent widersprüchlich. Je stärker eine Organisation differenziert wird, desto mehr Anstrengungen müssen unternommen werden, um die Aktivitäten zweckmäßig zu integrieren. Diese Problematik wird unter dem Begriff Dualproblem der Organisationsgestaltung zusammengefasst (vgl. Schreyögg 1990, S. 17).

[2] Die Trennung der beiden Gestaltungsbereiche in Aufbau- und Ablauforganisation, hat sich aus­schließ­lich im deutschen Sprachraum sowohl in der Theorie als auch in der Praxis durch­gesetzt (vgl. Gaitanides 1992, Sp.1).

[3] Das Wort Heterarchie geht ursprünglich auf die griechischen Wörter heteros (der Andere) und archein (herrschen) zurück. Heterarchie bedeutet die Herrschaft Vieler oder Anderer, in diesem Zusammenhang verschiedener Organisations-mitglieder (vgl. u.a. Foerster / Pörksen 1998, S. 87f.).

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Details

Titel
Neue Organisationskonzepte als Alternative zur Hierarchie?
Untertitel
Eine Untersuchung ausgewählter neuer Organisationsformen auf Hierarchiefreiheit
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Lehrstuhl Personalführung und Organisation)
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
61
Katalognummer
V26772
ISBN (eBook)
9783638290135
Dateigröße
656 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue, Organisationskonzepte, Alternative, Hierarchie, Eine, Untersuchung, Organisationsformen, Hierarchiefreiheit
Arbeit zitieren
Nora Martin (Autor:in), 2003, Neue Organisationskonzepte als Alternative zur Hierarchie?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26772

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