Die Sprache der Deutschen in Russland - ein Dialektvergleich


Hausarbeit, 2004

18 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung und Zielsetzung

2. Historische Ursachen und Umstände der Auswanderung
2.1. Weiterer Verlauf und sprachliche Situation

3. Zur Einordnung beider Varietäten
3.1. Sprachprobe: Südfränkische Varietät (Ukraine/Altai)
3.2. Sprachprobe: Schwäbischer Dialekt (Kaukasus/Kasachstan)

4. Analyse der Sprachproben
4.1. Vergleichende Lautlehre
4.1.1. Auswirkungen der hochdeutschen Lautverschiebung
4.1.2. Akzent und Reduktion
4.1.3. Dehnung
4.1.4. Vokale
4.1.4.1. Monophthongierung
4.1.4.2. Diphthongierung
4.1.4.3. Öffnung und Schließung von Vokalen
4.2. Vergleichende Formenlehre am Beispiel der Diminution
4.3. Diglossie und Codeswitching
4.4. Übergeifende Erkenntnisse / Fazit
4.5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung und Zielsetzung:

Im Wintersemester 2003/2004 besuchte ich das Proseminar „Sprachgeschichte im Überblick“, in dessen Zusammenhang es galt, nach freigewähltem Thema und in Absprache mit der Dozentin eine Hausarbeit zu erstellen. Die Wahl meines Themas fiel dabei auf die Sprache der Russlanddeutschen bzw. ehemaligen Sowjetdeutschen, auch deshalb, weil ich durch meinen zehnjährigen Unterricht der russischen Sprache während der Schulzeit ein gewisses Interesse für Russland im allgemeinen entwickelt habe. In dem jetzigen Kontext liegt der Focus meiner individuellen Vertiefung auf der soziolinguistischen Darstellung gegenwärtiger deutscher Varietäten im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Nach einer einführenden Erläuterung historischer Ursachen und Umstände der Emigration Deutscher nach Russland werde ich im Hauptteil zwei aktuell auf dem Gebiet der früheren SU gesprochene deutsche Varietäten vorstellen und diese dialektologisch synchron vergleichend analysieren. Dabei werde ich mich gängiger Kategorien der Laut- und Formenlehre bedienen, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, die im Rahmen einer solchen Hausarbeit auch gar nicht möglich ist. Im Anschluss daran möchte ich übergreifende Erkenntnisse - auch im Hinblick auf die Bedingungen des Spracherhaltes und Sprachverlustes - formulieren und ein Fazit aufstellen.

2. Historische Ursachen und Umstände der Auswanderung

In diesem Kapitel möchte ich der Frage nachgehen, wie es in der Geschichte dazu kam, dass sich sehr viele Menschen aus dem deutschsprachigen Raum in die Gebiete des Zarenreiches Russland aufmachten, weshalb sie ihre angestammte Heimat verließen, um in ihnen unbekanntem Terrain ein neues Leben aufzubauen. In Beantwortung dieser Frage müssen wir gedanklich ca. 250 Jahre zurückgehen: in die Zeit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die Zeit des alten Goethe und des großen Schiller, in jene Epoche des Aufstieges und des Falls Napoleons Bonaparte und der Französischen Revolution. Politisch betrachtet herrschten im zersplitterten deutschen Raum absolutistische Verhältnisse. Der Keim nationalstaatlicher Bewegungen mit großem Expansionsdrang brachte nicht selten Kriege mit sich, in deren Folge Land- sowie Stadtbevölkerung Zerstörung und Hungersnöte erleben mussten. Insbesondere der von Preußen unter Friedrich II. geführte Siebenjährige Krieg um die Provinz Schlesien 1756-1763 gegen Österreich, dem Frankreich und Russland beistanden, brachte eine ungeheure Not mit sich. 1775 erinnerte sich „der große Fritz“ an das Kriegsende: „Um sich einen Begriff von der allgemeinen Zerstörung zu machen ... muß man sich völlig verheerte Landstriche vergegenwärtigen ... Städte, die von Grund auf zerstört ..., 13.000 Häuser, die bis auf die letzte Spur vertilgt waren. Nirgends bestellte Äcker, kein Korn zur Ernährung der Einwohner; 60.000 Pferde fehlten den Landleuten zur Feldarbeit.“ (Berger, 107, Q 2) Es fehlte an allem Notwendigem, gleichzeitig trieb ständige Kriegsangst die Menschen um. In jener unsicheren Zeit der Feldzüge Napoleons quer durch Europa waren die Familien zudem der ständigen Gefahr ausgesetzt, dass ihre Männer zum langjährigen Kriegsdienst herangezogen wurden.

Zum Ende des Siebenjährigen Krieges, der für Preußen keine Gebietserweiterung brachte, lud Russlands Zarin Katharina II. (1762-1796), Tochter des Fürsten Christian-August von Anhalt-Zerbst, in einem Manifest Kolonisten aus Mittel- und Südosteuropa ,u.a. Deutsche, dazu ein, in die russischen Gebiete hauptsächlich an der Wolga und auf bzw. an der Krim zu migrieren. (vgl. Eisfeld, 213) Diese Einladung geschah vor dem politischen Hintergrund, Russland in den europäischen Raum zu integrieren und es zur europäischen Großmacht aufsteigen zu lassen. Deutsche Bauern sollten dazu beim Aufbau der russischen Infrastruktur helfen und unbesiedelte Gebiete nutzbar machen. In Folge dieses Manifestes zogen 1764 die ersten deutschen Kolonisten in die russischen Gebiete und gründeten Siedlungen bei Petersburg, an der Wolga, im Schwarzmeergebiet um die Krim sowie im Kaukasus, später auch in Sibirien und Mittelasien. In der Ethnologie wird in diesem Zusammenhang oft von Push- und Pull-Faktoren (aus engl.: schieben und drücken) gesprochen. Der Siebenjährige Krieg hatte die Bauern um die Früchte ihrer Arbeit gebracht, die stark zerstörte Infrastruktur bedeutete einen mit großen Anstrengungen verbundenen Neuanfang, bei ständiger Gefahr eines neuen Krieges. Diese Tatsache `schob` eine Vielzahl von Bauern in die unbesiedelten russischen Gebiete weitab europäischer Kriegsschauplätze, in welche sie durch die Hoffnung auf ein ruhigeres und besseres Leben in stabileren Verhältnissen – initiiert durch Katharinas gezieltes Anwerben - nahezu `gezogen` worden.

In den ersten drei Jahren dieser weitreichenden Migration zogen rund 23.000 Siedler vor allem in die Gebiete entlang der Wolga. Diese Menschen kamen aus dem gesamten deutschen Sprachraum, hauptsächlich jedoch aus Hessen, dem Rheinlande, der Pfalz, Württemberg, aus dem Elsaß und Lothringen sowie der Schweiz und den Niederlanden. (vgl. Boldt, 35)

2.1. Weiterer Verlauf und sprachliche Situation

„Im ersten Jahr wurden bereits 104 Siedlungen an der Wolga gegründet, in denen durchschnittlich ca. 220 Menschen lebten. Die Zusammensetzung der Bewohner eines Dorfes war oft rein zufällig. Eine Trennung erfolgte zwar streng nach der Konfession, nicht jedoch nach der Herkunft.“ [www.russlanddeutsche.de] (18.03.2004) Dies führte zu der Situation, dass sich in manchen Orten Kolonisten aus Dutzenden verschiedener Dialektgebiete trafen. Im Dorf Preuß beispielsweise versammelten sich Menschen aus 129 verschiedenen Orten Deutschlands, Österreichs und des Elsaß. Die sich daraus ergebende Vielfalt an Dialekten führte zwangsläufig zu anfänglichen Verständigungsproblemen. Da es in diesen multikulturellen Siedlungen keine Standardsprache gab, verständigten sich die Einwohner mittels eigener Dialekte. (vgl. Rosenberg, 593)

Seit 1789 nach dem durch Russland gewonnenen Krieg gegen die Türken kamen weitere Siedler in die Schwarzmeergebiete. Diese waren zumeist ostniederdeutsch sprechende Mennoniten – Anhänger einer evangelischen Freikirche - aus Westpreußen um Danzig. In der Chortitzer Altkolonie wurden 18 Dörfer gegründet, die Molotschnaer Kolonie umfasste weitere 55 Dörfer. Fünfzehn Jahre später im Jahr 1804 übte sich Zar Alexander I., der Enkel von Katharina der Großen, in der Fortführung europäischer Integration und lud Siedler aus Württemberg, Baden, Elsaß, Bayern in die Gebiete des Schwarzmeeres, der Krim und des Kaukasus ein. Diese Migrationsbewegung hielt in der ganzen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an und betraf in dieser Zeit vor allem Siedler aus Schlesien und Polen, das 1795 durch `die Teilungen` völlig von der politischen Landkarte verschwunden war. Gegen Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts bildeten sich aus den Mutterkolonien der ersten Einwanderergeneration Tochterkolonien im Orenburger Gebiet, Baschkirien, Sibirien u. Mittelasien (vgl. Boldt, 37ff.)

3. Zur Einordnung beider Varietäten

Das primäre Ziel meiner Arbeit ist eine synchrone Analyse von zwei gegenwärtig gesprochenen Varietäten. Zu diesem Zweck stellt Peter Rosenberg (588 ff.) mehrere Transkriptionen zur Verfügung, von denen ich zwei ausgewählt habe, die beide im Jahre 1986 von der Dialekologin Dr. Nina Berend aufgenommen wurden. Beide Sprecherinnen sind etwa gleichen Alters: jene der ersten Sprachprobe wurde 1915 in der Ukraine geboren und lebte zum Zeitpunkt der Aufnahme in Udal`noje im Altai, die zweite Sprecherin wurde 1921 in Rosenberg bei Tiflis, Georgien geboren und lebte in Michailowka (Gebiet Pawlodar) in Kasachstan.

Beide Geburtsorte sind demnach ca. 2500-3000 km weiter westlich und damit näher am deutschen Binnenland gelegen als ihre Wohnorte im Jahre 1986 während der Aufnahmen. Diese territoriale Zersplitterung, die als exemplarisch für die Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion gelten kann, ist auch ein Ausdruck russischer Siedlungspolitik, die eine Konsolidierung der deutschen Sprachkultur in den sowjetdeutschen Gebieten stark beeinträchtigte (vgl. Fleischhauer, 211). Vergleicht man die geographische Lage der Geburtsorte und der späteren Lebensräume, so wird deutlich, dass beide Sprecherinnen sehr wahrscheinlich von den Stalinschen oder späteren Deportationen betroffen gewesen sind.

Grundsätzlich liegen im deutschen Binnenland die geographischen Räume der südfränkischen Varietät und der schwäbischen Varietät direkt nebeneinander, wobei die erstere nördlich an die zweite grenzt. Beide Varietäten liegen südlich der Germersheimer Linie, die den Verschiebungsstand des / p / kennzeichnet. Damit können sie zunächst als oberdeutsch klassifiziert werden. Während Schirmunski ( vgl. Karte 1, S. 26) die südfränkische Varietät explizit benennt und als oberdeutsche kennzeichnet, fehlt diese Differenzierung bei Besch (vgl. Karte 47.4, S. 830). Dort bleibt die südfränkische Varietät implizit im Übergangsgebiet zwischen dem Schwäbischen und Rheinfränkischen. Schirmunski (29) hingegen differenziert weiter: „Das Oberfränkische, das in das Südfränkische und Ostfränkische zerfällt, gehört mit vielen Merkmalen zum Südteil des Rheinfränkischen, von dem es sich hauptsächlich durch die oberdeutsche Verschiebung p > pf (z.B. in: Pfeffer) unterscheidet.“ Des weiteren ist festzuhalten, dass die südfränkischen und schwäbischen Dialekte neben den alemannischen , den bairischen und der ostfränkischen zu den oberdeutschen Varietäten zählen . Die benachbarte Lage der binnendeutschen Sprachräume beider hier vorliegenden Sprachproben lässt das Vorhandensein vieler Gemeinsamkeiten erahnen, wenngleich die folgende Analyse genaue Unterschiede deutlich macht.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Sprache der Deutschen in Russland - ein Dialektvergleich
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Germanistik)
Veranstaltung
Sprachgeschichte im Überblick
Note
gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V26744
ISBN (eBook)
9783638289870
ISBN (Buch)
9783668299511
Dateigröße
680 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Thema ist der linguistische synchrone Vergleich einer in Russland gesprochenen südfränkischen Varietät mit einer schwäbischen. Maßgeblich war für mich dabei die "Vergleichende Laut- und Formenlehre" des Dialektforschers Viktor Schirmunski. Die Hausarbeit wurde entsprechend den Anmerkungen des Dozenten von mir korrigiert.
Schlagworte
Sprache, Deutschen, Russland, Dialektvergleich, Sprachgeschichte
Arbeit zitieren
Dennis Hippler (Autor:in), 2004, Die Sprache der Deutschen in Russland - ein Dialektvergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26744

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