Zur Rekonstruktion von Leidenschaft. Empirische Rekonstruktion biographischer Bildungsprozesse im Zusammenhang mit Religiösität


Seminararbeit, 2010

36 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Fallbeschreibung

Die folgende Abhandlung befasst sich mit der Rekonstruktion von Leidenschaft. Im Zuge eines Lehrforschungsprojektes an der Helmut-Schmidt-Universität sollen Aspekte von Leidenschaft anhand von biographischen Interviews herausgearbeitet und mit der dokumentarischen Methode nach Nohl (2008) behandelt werden. Zur Erschließung des dokumentarischen Sinngehalts, wird der von Ralf Bohnsack (2001) vorgeschlagene Weg der komparativen Sequenzanalyse angewendet. Dies geschieht hier vor allem aus dem Grund, dass die Art und Weise, sprich die Orientierungsrahmen, in denen ein Thema bearbeitet wird, sich am besten rekonstruieren lassen, wenn man andere Interviewtexte dagegen hält, in denen dasselbe Thema, in einem kontrastrierenden Orientierungsrahmen behandelt wird.

In den von uns durchgeführten Interviews geht es somit darum Phasen von Überzeugungen und Beweggründe, die das Leben der Interviewten beeinflusst hat, auszuarbeiten, um dabei Gemeinsamkeiten und Kontraste der unterschiedlichen Akteure zu betrachten und herauszustellen. Leidenschaft bietet hier ein sehr umfassendes Betrachtungsspektrum. Besonders wird in diesem Forschungsansatz die Leidenschaft betreffend der Religion thematisiert. Hierfür wurden zwei Fälle ausgewählt, die sich in ihrem allgemeinen Handlungsmuster ähneln, sich jedoch in ihren spezifischen Details unterscheiden. Zum Zwecke der Untersuchung wurden zwei Interviews geführt. Das erste Interview wurde mir Markus geführt. Es handelt sich hierbei um ein Skype-Interview, welches am 14. April 2010 über das Internet geführt und aufgezeichnet wurde. Markus ist 1976 geboren. Er ist gebürtiger Hamburger und studiert zum Zeitpunkt der Forschung an der Landesuniversität Hamburg Mathematik. Im Laufe seines Lebens hat er sich zum Islam bekannt und ist nun Moslem. Das zweite Interview wurde mit Bruder Jakob geführt. Er ist 32 Jahre alt und Ordensbruder bei den Franziskaner Minoriten[1]. Das Interview erfolgt am 13. April 2010im Kloster ,Benedictin‘ in Berlin.

2. Interviewanalyse

Das folgende Kapitel behandelt die spezifischen Eigenschaften der Glaubenswege der Akteure, indem Textpassagen vorgelegt werden, die im Anschluss formulierend und reflektiert interpretiert werden. Im Anschluss an die Interpretationen werden durch diese Kontraste oder Gemeinsamkeiten hergestellt.

2.1. Religion als Ordnungs- undSicherungssystem

Biographisches Interview mit Markus

Markus beschreibt in dem ersten Teil des Interviews, dass seine Kindheit von einer quasi militärische Erziehung geprägt war. Er und sein Bruder mussten sich gegenüber seiner Mutter stets „für jede Sache rechtfertigen“. Aufgrund dieser Tatsache fühlte er sich nicht frei und zog relativ früh von zu Hause aus, weil er sich zu Hause nicht entwickeln konnte.

Hatte aber zur Folge gehabt dass sie mit uns ziemlich streng umgegangen ist halt also (1) schon so'n bisschen (1) militärartig Wir hatten kaum Freiheit und so waren irgendwie immer unter Kontrolle und mussten uns für jede Sache rechtfertigen und so Es hatte dann zur Folge gehabt dass ich dann mit 18 gleich raus gegangen bin (1) mein Bruder ist dann halt auch frühzeitig der ist dann sogar mit vor 18 schon (1) hat das Haus dann verlassen gehabt und ähm so sind wir dann unsere Wege gegangen Jetzt=aber natürlich haben wir'n gutes Verhältnis zu unsern (1) zu unsere Mutter //Mhm// und zu unserm Vater aber das war am Anfang halt mit 18 und dann die nächsten Jahre (1) die darauffolgenden Jahre n-bisschen hart und so (2) Selbe- so ne Art Selbstfindung quasi.

Die darauf folgenden Jahre beschreibt er als „Selbstfindungsprozess“. Dadurch, dass Markus von zu Hause weg zog, bekam er den Freiraum, der ihm dabei half sich selbst zu entwickeln.

so bis ich angefangen habe ma me- ähm mein eigenen Weg zu gehen halt ja Weil es war halt alles sehr kontrolliert zu Hause und äh es gabs wenig Freiraum und so den musst ich mir erst alles hart erkämpfen und das ging dann (.) quasi (.) ging dann los mit dem Auszug von zu Hause und so wo ich dann anfangen konnte mich selbst zu entwickeln und so

Im Anschluss an diese Phase nimmt er den Islam als „Wertekanon“ oder „Wertemaßstab“ an, um sein Leben für sich zu ordnen.

der Wertmaßstab oder so dieser Wertekanon ausm Islam heraus n bisschen mehr geholfen quasi zielgerichteter mein Leben zu organisieren halt ja Ja genau das ist glaub ich ne gute Formulierung Das Leben zielgerichteter zu organisierenja

Reflektierende Interpretation

Es ist zu beobachten, dass Markus das Ordnungssystem, an das er von zu Hause gewohnt ist, zuerst einmal ablehnt und eigene Freiräume aufsucht, da er sich von diesem Ordnungssystem kontrolliert und unterdrückt fühlt. Im Laufe der Zeit, nach seinem Auszug, merkt er aber selbst, dass dieses Ordnungs- und Sicherheitssystem ihn insofern geprägt hat, dass es ihm immer Halt gab, indem über seine Handlungen Rechenschaft ablegen musste. Dadurch war jede Handlung genau überlegt und durchdacht. War sie es jedoch nicht wurde dies durch die Strenge der Mutter sanktioniert. Mit den neuen Freiräumen erlebt er somit erst einmal einige Rückschläge. Diese weisen ihn darauf hin, dass er das gewohnte Ordnungsgebilde benötigt, um sein Leben zu meistern. Der Wertekatalog des Islam stellt nun wieder ein Orientierungsrahmen her, den Markus benötigt hat, um sein Leben in geregelten Bahnen laufen zu lassen. Durch die neue Orientierung, die Markus durch den Islam erfährt, lernt Markus nun Rechenschaft gegenüber sich selbst ablegen zu müssen und hat einen Bezugspunkt an dem er sein Leben wieder neu gestalten kann.

Biographisches Interview mitJakob

Bruder Jakob erklärt, dass für ihn persönlich der Satz „Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände leg‘ ich mein Leben“ einen sehr hohen Stellenwert besitzt. Es ist ihm wichtig, dass egal wohin er geht und was er macht, jemand „dabei ist und seine Hand drüber hält“.

Ja, da ist so immer ein Satz immer, den beten wir in der Komplet immer (1) Des is unser Nachtgebet, also das des letzte Gebet vorm Schlafengebet äh vorm Schlafengehen (.) Da gibts immer einen Satz (1) ähm Herr auf dich vertraue ich in deine Hände leg ich mein Leben (1) Des is eigentlich so was (.) für mich n ganz wichtiger Satz is also einfach dieses (.) auf dich vertraue ich in deine Hände leg ich mein Leben (2) ähm Einfach die Gewissheit egal wo ich hin komm egal welche Aufgaben ich bekomm ähm dass er da immer dabei ist und auch seine Hand (.) drüber hält

Weiterhin muss Jakob sich für alles rechtfertigen, wofür er sich der Freiwilligkeit wegen in seinem Leben entscheidet. Jede Handlung, die er begehen möchte, muss vor seinem Vorgesetzten (dem Guardian) erklärt und von ihm für richtig befunden werden. Dies sei wichtig in der Gemeinschaft, damit nicht jeder macht, was er will. Damit wird eine gewisse Form der Ordnung aufrecht erhalten, an die sich alle Brüder zu richten haben.

Das war net so leicht auch (.) ich hab Geld verdient und dann haste gar kein Geld mehr verdient (.) Ähm und alles musste man halt fragen is halt auch noch so (.) Also wenn man mal ins Kino wollte kann ich ins Kino darf ich Geld dafür haben (.) wenn ich eine Hose gebraucht hab ich brauch eine Hose bekomm ich Geld dafür ähm (.) Wenn man irgendwohin fahren wollte musst- muss man fragen ähm Des is wichtig in der Gemeinschaft wird sind in Maria Eck warn wir zu zwölft zwölf Brüder wenn da jeder Machen würde wasa will das würde einfach netfunktioniern

Viele von den Aspekten des Lebens als Ordensmann, die die Menschen außerhalb des Klosters als negativ betrachten, sieht er als Hilfe. So weist Bruder Jakob auf viele Errungenschaften hin die ihm die Gelübde ermöglichen. Anstatt die Gelübde als Verzicht anzusehen, sieht er sie eher als ein Vorteil; als Möglichkeit. Sie vereinfachen sein Leben und lassen die Aufmerksamkeit voll und ganz auf das eigentlich Wichtige lenken, nämlich die Verbundenheit zu Gott.

J: Ähm (2) Es ist eigentlich so wenn ich das jemandem erzähl also ich habe kein Eigentum ähm ich habe keine Frau und ich muss gehorsam sein ähm (1) Dann ist es eigentlich immer so der Eindruck dass ich darauf verzichte (.) Ich verzichte auf ein Auto ich verzichte auf eine Familie (.) ich verzichte auf ein eigenes Haus ich ver- verzichte auf meine Freiheit (.) selbst entscheiden zu können (1) ähm ich denk wenn man das als Ordensmann auch so sieht (1) dann hält man das ein Leben lang nicht durch weil man kann nicht immer Leben nur im Verzicht auf etwas Also unser Leben soll sich nicht definiern (.) dass wir etwas nicht haben Ich möchte nicht immer sagen was ich nicht haben sondern eigentlich was wir haben (3) Und das ist auch eigentlich der Sinn der Gelübde also Gelübde sind diese drei eben Armut Gehorsam und Ehelosigkeit das nennt man Gelübde von Gelöbnis dass man etwas verspricht ähm sind eigentlich dafür da um uns z- ja zu helfen in unserm Leben (1) Zum Beispiel wenn ich nichts besitze dann brauch ich keine Angst haben etwas zu verlieren Reflektierende Interpretation Mit der Gewissheit, dass wirklich immer jemand über seine Handlungen wacht, gewinnt Bruder Jakob an Handlungssicherheit. Sie gibt ihm Halt und Gewissheit, dass seine Taten durch einen ihn ständig begleitenden Betrachter begutachtet werden. Dadurch, dass Bruder Jakob immer seinen ,Vorgesetzten‘ fragen muss, ob er die Erlaubnis erhält aus freiem Willen handeln zu dürfen, ist er in der Situation seine Handlungen vor einer Instanz rechtfertigen zu müssen. Diese Instanz, nämlich der ,Guardian‘, nimmt ihm in gewisser Weise die Verantwortung ab, ob die gewünschte Aktion gerechtfertigt ist oder nicht. Auf diese Weise hat sich Jakob ein Sicherheitsmechanismus zu Nutze gemacht, um die durch seinen Glauben abschlägig betrachteten Schritte nicht auszuführen. Vertieft und sichergestellt werden diese Handlungsanweisungen durch die abgelegten Gelöbnisse. Sie geben in erster Linie grobe Vorschriften für das asketische Leben des Mönchs. Jakob sieht diese Vorschriften jedoch nicht als Nachteil, sondern vielmehr als Regelung, die sein Leben ordnen und ihm damit erleichtern.

Komparative Sequenzanalyse: Religion als Ordnungs- und Sicherungsgefüge

In beiden Fällen stellt die Religion ein gewisses Regulierungssystem des Lebens dar, welches den Akteuren hilft ihre Handlungen als gerechtfertigt zu betrachten. Die Gewissheit, dass ihre Handlungen moralisch korrekt sind hilft ihnen mit ihrer Umwelt im Einklang zu bleiben. Dass Religionen, wie zum Beispiel der Islam, als ordnungsschaffender Lebensweg gesehen wird, bestätigt auch Stefan Reichmut, Professor für Orientalistik und Islamwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum:

„Ein eindeutiges Profil ist nicht festzustellen. Wenn man sich die Lebensläufe von Konvertiten anschaut, fällt jedoch auf, dass sie oft eine bewegte Biographie haben. Der Islam und der muslimische Partner werden dann eine Art Ordnungsfaktor, der Ordnung in ein durch verschiedene Partnerschaften, durch Alkohol oder Drogen strapaziertes Leben bringt.“[2]

Weiterhin finden beide Akteure in ihrer religiösen Überzeugung Sicherheit. Sie können ihre Tätigkeit an den Wertmaßstäben ihres Glaubens orientieren und werden dadurch in ihren Aktionen gefestigt, unabhängig davon, ob diese Handlungen nun religiöser Natur sind oder nicht. Die Spezifität der hier aufgezeigten Fälle liegt darin, dass Markus sich den Islam bewusst ausgesucht hat, um ihn als Ordnungssystem zu nutzen. Er verwendet den „Wertekanon“, um sein „Leben zielgerichteter zu organisieren“. Markus hatte sich für eine Zeit in seiner Jugend von einem Ordnungssystem gelöst und betrachtet die Bekennung zum Islam als Rückkehr zu dieser einst erlebten Ordnung.

Markus nimmt hierbei eine wertende Haltung ein, wenn er davon spricht, dass der Islam praktisch eine Folgereligion des Christentums darstellt. An diesem Punkt lassen sich somit auch verschiedene Abläufe von Orientierungsrahmen ausarbeiten. So bekommt er in seiner Kindheit und Jugend, durch die ansatzweise „militärartige“ Erziehung im Elternhaus, eine Orientierung die auf Rechenschaft gegenüber der Mutter basiert, vermittelt. Nach dem Markus diese Struktur aufgibt, gelangt er in eine Phase an der ihm eine gewisse Orientierung fehlt, die ihn zu Rückschlägen verleitet und unter anderem auch seine Lehre abbrechen lässt. Versuche in neuen Szenen, wie den Linken eine neue Orientierung zu finden, scheitern hingegen an deren weltlichen Modellen die Glaubensaspekte negieren. Eine neue Orientierung erfährt Markus schließlich durch eine neue Form von Rechenschaft: der Rechenschaft gegenüber sich selbst und dem Islam. In dieser Phase beschreibt Markus, nach dem er den Islam als besten Wertemaßstab für sein Leben angenommen hat, dass er in Gebetskreisen wieder Rechenschaft gegenüber seinem Prediger ablegen musste. Markus dekodiert dieses Rechenschaftsverhältnis an dieser Stelle. Durch die Ersetzung von „Rechenschaft“ durch „kritisches Denken“ wird eine Umwandlung der Werte vollzogen. Markus tradiert somit seine Beziehung zur Rechenschaft, so dass die Auseinandersetzung mit dem Islam hier als eine theoretische Sozialisation angesehen werden kann. So liegt seinem Orientierungsrahmen, ein theoretischer Wandlungsprozess zugrunde, der eine theoretisch- reflexive Individualisierung begünstigt.

Wohingegen Jakob die Ordnung lebt, ohne sie wirklich gesucht zu haben. Er akzeptiert die Lebenspfeiler des Klosterdaseins als Hilfe für sein Leben, obwohl er diese nicht benötigt. Die Sicherheit durch die Religion erleichtert ihm zwar sein Leben, dies war jedoch nicht einer der primären Zwecke bei der Bekennung zum Mönch. Ein weiterer Unterschied liegt in der Rechtfertigung der eigenen Taten. Markus muss sich nur gegenüber sich selbst und höchstens gegenüber seinem Gott rechtfertigen. Die letzte weltliche Instanz ist hierbei jedoch sein eigener Verstand. Jakob hingegen rechtfertigt sein Handeln auch vor seinem Gott, jedoch ist die letzte weltliche Instanz ein höherer kirchlicher Vorgesetzter, der über seine geplanten Taten richtet. Diese Rechtfertigung ist ein zentraler christlicher Begriff innerhalb der Gnadenlehre.

Die entscheidende Differenz zum Wandlungsprozess bei Herrn Markus ist das Bruder Jakob zum einen bei seinen Orientierungsrahmen keine Wertung mit einbringt und zum anderen keine so ausgeprägte theoretische Sozialisation wie bei Herrn Markus als Grundlage seines Wandlungsprozesses angesehen werden kann. Stattdessen durchläuft Bruder Jakob viel mehr eine praktische Sozialisation, die bereits in seiner Kindheit durch regelmäßige Gottesdienste und die Pfadfinderei beginnt. Diese praktische Sozialisation, zeigt sich daran Wie Bruder Jakob über die einzelnen Stationen, die ihn schließlich zum Orden gebracht haben erzählt. So spricht er erst über die schönen Erfahrungen bei der Pfadfinderei, die von Gemeinschaft und Abenteuer geprägt waren, um dann in seiner Jugend Orgel- und Gitarre spielen neben der Kommunion hervorzuheben. Eine tiefe Beziehung, eine „existenzielle“ Verbindung zum Glauben wird jedoch verneint. So fußt schließlich auch der einleitende Prozess der ihn dem Ordensleben nahebringt auf einer praktischen Sozialisation. Bei der Erzählweise, die dem Orientierungsrahmen des Ordenslebens zuzurechnen ist, kristallisiert sich bei Bruder Jakob seine praktische Individualisierung besonders eindringlich heraus. So betont er bei seiner Erzählweise besonders die praktischen Erfahrungen die er mit den Ordensschwestern gemacht hat, wenn er zum Beispiel vom Brotbacken oder von der Aufnahme in den Singkreis spricht, anstatt über theoretische theologische Standpunkte zu disputieren.

2.2. Der Glauben an religiöse Prädestination

Biographisches Interview mir Markus

Rückwirkend betrachtet sieht Markus seinen eigenen Lebensweg als „notwendig“ an, um die Bekennung zum Islam zu erklären. Er erwähnt hierbei seine Rückschläge, wie die Unterdrückung in seiner Kindheit und die Fehlschläge nach dem Auszug. Nur dadurch war er in den Lage sich selbst zu motivieren, um „bestimmte Entwicklungsprozesse“ anzustoßen. Durch seine frühkindliche religiöse Einstellung betrachtet er seinen Lauf als „Schicksal“ bzw. „Gottesbestimmung“. Er sieht die Annahme des Islams nicht als Trennung zu seinem früheren Lebensphasen an, sondern sieht es als „konsistent“, aus diesem Grunde ist er dem Begriff der „Konversion“ eher abgeneigt.

Oder (.) vielleicht könnt man so sagen halt (1) ich empfinde mein Leben also Ich bin jetzt 33 als konsistent ja im dem Sinne halt ich hab ja gesagt ich m- bin v- m- von zu Hause schne- früh raus weil ich halt (1) ähm mich unterdrückt gefühlt habe also ich hatte halt das Gefühl ich konnte mich nicht frei entwickeln und sowas alles und bin dann mehrmals auf die Schnauze geflogen und so quasi musste mich wieder aufrappeln und sowas alles // mhm // a::ber wenn ich des alles so mh=zurückgucke seh ich (.) das quasi als äh äh Notw:endigkei=äh es war notwendig quasi ähm um ähm gewisse Entwicklungsprozesse bei mir anzustoßen und dann quasi ähm (1) dem Menschen z- (1) zu bilden den ich jetzt qua- den ich jetzt quasi darstelle halt ja Und durch meine religiöse Prägung seh ich das natürlich auch irgendwie äh (.) als äh (1) als so ne Art Schicksal ja so halt so ne Art Karma oder so oder ähm Gott=äh Gott::esbestimmtheit ja und wenn man des dann so betrachtet und dann Gott ((sowieso)) sieht als irgendwie de:n Verwalter der Geschichte betrachtet und so seh ich mich halt eingebunden in den (( )) in den weltgeschichtlichen: äh Kontext un:d nochmal da jetzt referenziert auf die Aussage vorhin dass ich halt Konversion diesen Begriff so nicht mag halt ja weil das ja irgendwie so:n Trennungsassoziation äh mit sich bringt ja aber ich mich halt eingebettet in diesen historischen Kontext sehe (.) ähm (1) seh ich das quasi auch als Fortsetzung

Reflektierende Interpretation

Markus sieht sein Leben als Bestimmt bzw. Vorherbestimmt an. Für ihn fügen sich, im Nachhinein betrachtet, seine einzelnen Lebensabschnitte nun wie ein Puzzle zusammen, dessen Gesamtbild er zu einem früheren Zeitpunkt nicht hätte erkennen können. Der Glaube an die göttliche Vorsehung stärkt den Glauben an Gott. Dies bedeutet, dass Markus sich gerade durch seinen Lebensweg erst recht in seinem Glauben bestätigt fühlt. Aus diesem Grunde kommt für Markus der Tatbestand von einer Konversion zu sprechen gar nicht in Frage. Vielmehr ist sein Leben eine Linie, die zu einem ganz bestimmten Punkt geführt hat und dieses Ziel ist der Islam. Durch die von Markus betonte „Konsistenz“ zeigt sich somit auch noch einmal eindrücklich, dass die Biografie von Markus den Prozess einer Tradierung darstellt. Es kommt somit nicht zu einer intensiv erlebten Sphärentrennung zwischen weltlichen und religiösen Aspekten, viel mehr koppeln diese beiden Sphären inhärent miteinander, so dass für Markus der Islam eine passende Bezeichnung und Erweiterung für eine ihm immanent vertraute Struktur darstellt.

Biographisches Interview mit Jakob

Jakob wurde durch gewisse Rückschläge dazu bewegt mit dem Mönchtum wieder aufzuhören. Er war sich dieser Sache schon bewusst und plante bereits den Wiedereinstieg ins Leben außerhalb des Klosters. Am letzten Abend jedoch vor seinem Ausstieg ist „das irgendwie wieder so plötzlich da“. Ihm wird wieder klar, dass das sein „Lebenssinn“ ist. Er spricht hierbei von einem „Plan Gottes“.

Da war für mich dann eigentlich klar dass ich dann wieder aufhöre (.) also dass das nichts für mich ist (1) ich hatte dann auch schon telefoniert und mit meinem alten Architekturbüro (1) Ähm die würde mich wieder nehmen // Mhm // also ich hätte wieder einen Beruf hab schon n bisschen geguckt im Internet nach Wohnungen in meiner Gegend wo ich da eben arbeit (.) oder gearbeitet hätte dann (1) und hab auch mein Eltern des schon gesacht dass ich da- dass ich da aufhör wieder zurückkomm die warn eigentlich sehr froh darüber (.) ähm

[...]


[1] eine Ordensgemeinschaft d. röm.-kath. Kirche mit einer aktuellen Zahl von 4.500 Anhängern und damit eine eher kleinere Gemeinschaft der Franziskaner.

[2] Reichmut, Stefan 2007: Konvertiten haben oft bewegte Biographien. Original im Internet: <http://www.wdr.de/themen/kultur/religion/islam/glaube/070906.jhtml> Stand: 06.09.2007 Abruf: 14.04.2010, 12:15 Uhr.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Zur Rekonstruktion von Leidenschaft. Empirische Rekonstruktion biographischer Bildungsprozesse im Zusammenhang mit Religiösität
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Allgemeine Erziehungswissenschaften)
Veranstaltung
Aktuelle Forschungsbeiträge und Diskurse in der allgemeinen Erziehungswissenschaft - Zur Rekonstruktion von Leidenschaft
Note
1,0
Autoren
Jahr
2010
Seiten
36
Katalognummer
V267297
ISBN (eBook)
9783656582915
ISBN (Buch)
9783656582908
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rekonstruktion, leidenschaft, empirische, bildungsprozesse, zusammenhang, religiösität
Arbeit zitieren
Master of Arts Alexander Danisch (Autor:in)Nils Schwere (Autor:in), 2010, Zur Rekonstruktion von Leidenschaft. Empirische Rekonstruktion biographischer Bildungsprozesse im Zusammenhang mit Religiösität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267297

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