Weihnachten in der Vorstadt

Ein Theaterstück über sexuellen Missbrauch


Forschungsarbeit, 2012

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Vorwort

Dieser Text ist ein Theaterstück, das sich mit dem sensiblen Thema sexuellen Missbrauchs auseinandersetzt.

Christin, Tina, Serhan, Nina, Patricia, Gabi und Cornelia leben aufgrund unterschiedlicher familiärer Probleme in einer Auffangstation für Mädchen in Not. Es ist Weihnachten und sie alle haben zu Beginn des Stückes ein gemeinsames Problem: Weihnachten ist ein Familienfest und da sie alle ihre Familie nicht, und wenn nur in einem unangenehmen Kontakt, sehen werden, beschließen sie gemeinsam auszugehen und das Ereignis auf ihre Weise zu feiern (Szene 1).

Alle, bis auf Nina und Cornelia, die sich für sich allein entspannen wollen, bevor sie abfährt, gehen sie am Abend gemeinsam in eine Bar nahe der Einrichtung und lernen dort eine Gruppe von sechs Männern kennen, mit denen sie feiern. Die Gespräche sind für sie nichts neues: Sie machen eindeutige Anspielungen sexueller Art, amüsieren sich und flirten, bis sie, bis auf Tina, die stets unerlaubt länger ausbleibt, als sie sollte, heimgehen. Doch heute Nacht bleibt auch Christin aus, ohne, dass eine von ihnen den Grund erfahren wird (Szene 2).

Am nächsten Morgen liegt die Einrichtung still da. Christin kommt, erschöpft und fertig mit den Nerven ins Haus und klärt mit den ErzieherInnen Hanne und Birgit die Situation, indem sie eine Geschichte erzählt, nach der sie ungeplant bei einem guten Freund übernachtet hätte und über Einzelheiten nicht sprechen wolle. Sie wird nicht bedrängt, muss dies aber ihrer Mutter berichten, bevor sie sich zurückziehen kann (Szene 3).

Am Ende sitzen die Mädchen gemeinsam am Weihnachtsabend im Wohnzimmer der Einrichtung beisammen und holen sich 'ein kleines Stück Familie zurück'. Die Stimmung ist überraschend gut, auch wenn ein Schatten über ihrer Runde liegt, denn was Christin, die sonst nie unzuverlässig ist, dazu bewog nicht rechtzeitig heim zu kommen, bleibt ungeklärt (Szene 4).

Das kurze Theaterstück nimmt, unter Hinzunahme authentischer Berichte von Betroffenen aus der Fachliteratur und verifizierter Forschungsergebnisse zur Thematik, die Tatsache in den Fokus, wie es sein kann, wenn sexueller Missbrauch geschieht und 'todgeschwiegen' wird: Die AkteurInnen erleben eine Situation, in der irgendwie immer eindeutig ist, dass etwas geschehen ist, ja, genau DAS geschehen ist. Für Christin, die Betroffene, bestehen alle Chancen die Realität, die (zwischen Szene 2 und 3) unbeleuchtet bleibt, über das, was ihr in der Nacht widerfuhr, zu berichten, aber sie nutzt sie nicht und nimmt auch die zahlreichen Hilfsangebote nicht wahr.

Um dieses Szenario so darstellen zu können, dass eben die ambivalente Stimmung und die Problematik des Fokus eingefangen werden kann, habe ich hier nicht die Form der Prosa gewählt, sondern die des Theaterstückes, denn um die Stimmungen und die Handlungen der AkteurInnen in ihrer Tiefe individuell nachvollziehen zu können, würden Beschreibungen über die notwendigen hinaus, nur dazu führen, dass die bedrückende, melancholische Stimmung, die trotz der Anmutung, dass es Hoffnung gäbe, jedoch die Situation tatsächlich für niemanden eine Hoffnung bietet, den/die LeserIn lediglich ablenken und die eigenen Bilder vielleicht zu sehr lenken. Um also zu vermeiden, dass keine, im besten Fall gänzlich, eigenständige Auseinandersetzung mit der Thematik zu Stande kommen kann, habe ich auf Beschreibungen verzichtet und die 'Bilder' dem/der LeserIn überlassen.

Mein Wunsch bezüglich des/der LeserInnen ist in diesem Fall eindeutig:

In erster Linie sollte dieser Text Jugendlichen ab 12 Jahren zugänglich sein, denn gerade das Lesen und, im besten Fall, vielleicht sogar das Spielen von Texten mit derartigen Thematiken ist besonders wichtig, um bereits frühzeitig zu verdeutlichen und zu vermitteln, wie wichtig es ist, hinzusehen und nicht wegzusehen, wie es das gesellschaftliche Tabu in diesem Fall vorzuschreiben scheint. Die begleitenden Erwachsenen, z.B. Eltern, TheaterpädagogInnen, ErzieherInnen, begleitende SozialpädagogInnen und LehrerInnen, in diesem Fall können diesen Reflektionsprozess dabei nicht nur unterstützen, sondern auch ihren eigenen Wissensbeständen und der eigenen Reflektion zu diesem Thema wiederum etwas hinzufügen.

In zweiter Linie sollte der Text zu demselben Zweck Betroffenen, begleitenden Personen jeder Art von Betroffenen, und jedem interessierten Erwachsenen angeboten werden, denn je höher das Bewusstsein und das Wissen Erwachsener, insbesondere das der Betroffenen und ihrer HelferInnen, für den Fokus des Theaterstückes geschärft ist, desto deutlicher kann den Betroffenen auf ihrem Weg unter die Arme gegriffen werden, um das Schweigen zu brechen.

AkteurInnen:

Christin, Heimbewohnerin

Tina, Heimbewohnerin

Serhan, Heimbewohnerin

Nina, Heimbewohnerin

Patricia, Heimbewohnerin

Gabi, Heimbewohnerin

Cornelia, Heimbewohnerin

Hanne, Erzieherin der Tagschicht Birgit, Erzieherin der Nachtschicht Mann 1, Gast im Wirtshaus Mann 2, Gast im Wirtshaus Mann 3, Gast im Wirtshaus Mann 4, Gast im Wirtshaus Mann 5, Gast im Wirtshaus Mann 6, Gast im Wirtshaus

Szene 1

Obergeschoss einer Auffangstation für Mädchen in Not. Eine offene Wendeltreppe endet in der Mitte des Flurs. Gegenüber der Wendeltreppe, links um die Ecke führt ein Gang zu einem Zimmer und auch rechts um die Ecke stehen am Ende des Ganges die Zimmertüren offen. Serhan und Tina schminken sich vor dem Spiegel in der Toilette rechts der Treppe. Patricia und Gabi sitzen auf einem Sofa neben dem Zimmer gegenüber der derselben unter dem Telefon, neben dem ein Adventskalender hängt. Nina steht an der Zimmertür des mittleren Zimmers und trocknet ihre Fingernägel. Cornelia lehnt an dem Geländer neben dem linken Zimmer und schüttelt ihr Oberteil aus.

Tina: Es wäre doch gelacht, wenn ich heute Abend niemanden finden würde.

Serhan: Bestimmt, so wie du dich zurechtgemacht hast. Sicher kann dir niemand widerstehen und du hast obendrein noch freie Auswahl.

Patricia: Wenn ihr euch nicht langsam beeilt, wird das heute aber nichts mehr. Wir müssen ja schon um acht da sein, damit wir um zwölf wieder sind.

Tina: Es ist ein leichtes durch das Fenster einzusteigen. Und Nina bleibt so und so hier.

Gabi: Richtig. Sie kann euch dann reinlassen und dann bekommt das auch niemand mit.

Nina: Ihr seid euch da ja verdammt sicher. Letztes Mal wart ihr so laut, dass es unmöglich war, euch zu überhören. Nicht das ich etwas dagegen einzuwenden hätte, eine weitere Woche vom Putzdienst befreit zu sein, wenn ihr dazu verdonnert werdet, aber heute muss ich wirklich früher schlafen. Morgen habe ich neun Stunden Zugfahrt vor mir. sie blickt nachdenklich auf ihre Nägel Abgesehen davon werde ich euch nicht über mein Zimmer einlassen, denn dann werde ich als Komplizen ebenfalls verdonnert. Das kann denn heute Gabi machen.

Christin: kommt lachend die Treppe vom Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss herauf und lehnt sich zu Cornelia ans Treppengeländer Sicher ist, dass wir euch nicht einlassen werden.

Tina: grinst Du sicher nicht. Du kommst ja mit. Und wenn du rechtzeitig wieder hier sein willst, kannst du uns ebenso gut auch einlassen.

Christin: verneint die Einlassung bestimmt Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nicht mitkommen will und freiwillig Putzdienst aufgebrummt zu bekommen? Nein. sie lächelt Nina zustimmend zu In zwei Tagen ist Weihnachten und das erste Weihnachten für mich, das ich nicht wirklich zu Hause bin. Das ist schon schlimm genug. Da muss ich nicht noch mit dir, Serhan, Patricia, Conny und

Gabi um die Häuser ziehen, um festzustellen, dass ihr alle nichts besseres zu tun habt, als den nächsten Mann zu küssen, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Serhan: empört Du weißt, dass weder ich, noch Gabi oder Patricia, derartiges tun und Conny wird ohnehin nicht mitkommen, weil sie Hausarrest hat. sie grinst Cornelia schief zu Sie wollte nämlich unbedingt am Montag ausgehen, als Hausversammlung war.

Cornelia: altklug Lach du nur! Ich werde dafür Weihnachten bei meinen Eltern sein und so lange Feiern, wie es mir beliebt.

Patricia: schickt Cornelia unter Zustimmung der anderen Mädchen einen empörten Seitenblick Es kann nicht jeder ein so gutes Elternhaus haben, das sogar noch ein pompöses Weihnachtsfest ausrichtet, obwohl es Probleme gibt.

Nina: entrüstet Wenn du glaubst, dadurch im Vorteil zu sein, geh doch wieder nach Hause. Das scheint ja nicht so schlimm zu sein!

Serhan: trotzig Das sollte nur ein Scherz sein. Beruhigt euch wieder! lächelt Christin einladend zu Was ist jetzt? Kommst du mit? Wir feiern unser ganz privates Weihnachtsfest, bevor ich mit Patricia am Heiligabend hier allein bin.

Nina: unterbricht entrüstet Glaub ja nicht, dass es Spaß macht, meinen Eltern zuzuhören, wie so von vergangenen Zeiten reden.

Christin: zustimmend Bei mir wird das wahrscheinlich keine weniger gezierte Veranstaltung, weil meine Großeltern noch nicht einmal kommen und es so nicht lange dauern wird, bis meine Mutter mir stumme Vorwürfe macht und mein Vater sauer wird, dass sich niemand so richtig freut, dass Weihnachten ist und meine Geschwister sich nur darüber freuen, dass ich da bin.

Cornelia: giftig Nett ist es nicht, wenn die ganze Familie am Tisch sitzt und alle so tun, als wäre nichts. Nichts, verstehst du!

Gabi: leicht genervt Müssen wir uns jetzt schon mit diesem Mist auseinandersetzen? Wahrscheinlich treffen wir uns sowieso spätestens um zehn wieder hier, wenn Nina herausgenommen wird, sie schickt Nina einen verständigen Blick und sind danach Stunden damit befasst auszuwerten, warum wir vorzeitig das traute Heim verlassen haben. sie nickt neugierig zum Adventskalender Wer ist heute dran mit öffnen?

Tina: wohlgelaunt Christin

Gabi: Darf ich für dich öffnen? Ich meine, wenn du das bis jetzt nicht getan hast, willst du das vermutlich auch nicht mehr tun.

Christin: schiebt ihr Feuerzeug in die Hosentasche und nickt Nina zu Ich habe die Tür Nina zugesagt.

Gabi: an Nina gewandt Bitte, gib es mir.

Nina: lachend Wenn du unten auf dem Esstisch so wenig Süßes findest, tu dir keinen Zwang an. an Christin gewandt Gehen wir in dein Zimmer, um weniger bedrängt zu werden?

Nina und Christin wenden sich übereinstimmend dem rechten Zimmer zu, da

Christin die bessere Aussicht hat, wobei sie gestoppt werden, als sie die Toilette passieren wollen.

Tina: enttäuscht Nun komm schon, Christin! Du willst doch auch lieber feiern, als hier für dich zu vergammeln! Dann denkst du außerdem viel zu viel nach und rauchst viel mehr!

Christin: nickte vage zustimmend, wechselt einen Blick mit Serhan, Patricia und Gabi Im besten Fall entschwindest du tatsächlich nicht unseren Blicken. Aber: Ich gehe in jedem Fall pünktlich nach Hause.

Patricia: nickt verständig Deine Prüfung ist noch nicht durch, oder? Christin nickt zustimmend.

Tina: fröhlich In diesem Fall bringe ich dich selbst nach Hause, damit die Tante vom Jugendamt dich nicht in ein stationäres Heim steckt, nur weil du leben wolltest. Ich will dich ja schließlich in der Wohngemeinschaft besuchen.

Christin bedeutet den anderen, dass sie sich im Zimmer ihr Outfit

zusammenstellen und ihr Make-Up auftragen will, bevor es an den Aufbruch geht.

Patricia: lächelt verständig, als sie mit Nina im Zimmer verschwindet Wir starten um acht.

Szene 2

Um acht sind Tina, Serhan, Patricia, Gabi und Christin auf dem Weg in eine rustikale Wirtschaft nahe der Einrichtung. Als sie den Raum, in dessen Mitte sich ein großer einladender Tresen steht, der von einer Masse kleiner Tische, die nummeriert sind und von denen man jeden anderen Tisch telefonisch erreichen kann, für etwa vier Personen umstellt ist, betreten, suchen sie sich sogleich einen Tisch in einer Ecke und Tina geht selbstbewusst zum Tresen, um etwas zu bestellen. Dabei sieht sie sich kontaktfreudig um, wer sich sonst noch in diesem Laden vergnügen will. Aus den Boxen klingt gute Rock- und Chartmusik.

Christin: leicht verbittert Seht sie euch an! Kaum da und schon sucht sie sich jemanden!

Serhan: lacht Das tun wir doch alle irgendwie.

Patricia: Christin zustimmend Aber nicht jeder von uns will sich tatsächlich jemandem in die Arme werfen.

Gabi: abschätzend Leider sieht ja auch nicht jede von uns so gut aus wie Tina. Wenn ich groß, schlank und blond wäre und mir diese hautengen Jeans leisten könnte, wäre ich vermutlich längst nicht so zurückhaltend.

Serhan: blickt abschätzend in die Menge Ich sehe niemanden, der nur ansatzweise attraktiv wäre.

Christin: zustimmend Ebenfalls nicht. Nur viele, die uns helfen können, unser Taschengeld zu sparen.

Patricia: lacht In der Tat. Der Herr an Tisch 8 lechzt förmlich danach, Gabi einen auszugeben.

Gabi: macht eine abwehrende Geste Gott behüte, dass er mich auch noch aktiv bemerkt. Außerdem wird auf Tina diesbezüglich verlass sein. sie nickt in Richtung Tresen, den Tina gerade mit fünf großen Bier in der Hand verlässt Ich mache jede Wette, dass sie sogleich bei Tisch zwölf anruft, um für jeden von uns einen für heute Nacht zu finden.

Gabi: grinst zustimmend Ob wir das wollen oder nicht.

Tina: fröhlich zum Tisch tretend, das Bier verteilend Habt ihr die Herren an

Tisch zwölf bereits bemerkt? die anderen nicken bestätigend lachend, während sie sich setzt Ich halte jede Wette: Die haben gerade ihren Grundwehrdienst beendet und möchten nichts lieber, als dieses Ereignis zu feiern - und das am liebsten in bester Gesellschaft.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Weihnachten in der Vorstadt
Untertitel
Ein Theaterstück über sexuellen Missbrauch
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
21
Katalognummer
V267086
ISBN (eBook)
9783656582281
ISBN (Buch)
9783656581284
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sexuelle Gewalt, Umgang mit sexueller Gewalt, pädagogisches Theater, Tabuthema, Theaterpädagogik, Folgen sexueller Übergriffe, über Sexualität sprechen, Sexualität, Missbrauch, Gewalterfahrungen, Jugend, Lebenswelten Jugendlicher
Arbeit zitieren
Melanie Johannsen (Autor:in), 2012, Weihnachten in der Vorstadt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267086

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