Arbeit in Entgrenzung. Was motiviert Erwerbstätige in entgrenzten Arbeitsverhältnissen zu arbeiten?


Bachelor Thesis, 2013

69 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Subjektivierung von Arbeit
2.1. Formen von Subjektivität
2.1.1. Kompensatorische Subjektivität
2.1.2. Strukturierende Subjektivität
2.1.3. Reklamierende Subjektivität
2.1.4. Ideologisierte Subjektivität
2.2. Normative Subjektivierung

3. Der Arbeitskraftunternehmer – eine mögliche gesellschaftliche Folge einer zunehmenden Subjektivierung von Arbeit
3.1. Die drei Dimensionen des Arbeitskraftunternehmers
3.1.1. Selbst-Kontrolle
3.1.2. Selbst-Ökonomisierung
3.1.3. Selbst-Rationalisierung
3.2. Kritik an der Theorie des Arbeitskraftunternehmers

4. Entgrenzung von Arbeit
4.1. Entgrenzung von Arbeit als spezielle Herausforderung für die Vereinbarkeit von „Arbeit“ und „Leben“

5. Ambivalente Folgen entgrenzter Arbeitsverhältnisse
5.1. Entgrenzung von Arbeit und deren Auswirkungen für Beschäftigte

6. Bedeutung und Wirkung der Arbeit
6.1. Die Bedürfnispyramide nach Maslow
6.2. ‚Der moderne Arbeitnehmer‘ nach Baethge

7. Einflüsse auf motivationales Verhalten von Erwerbspersonen in entgrenzten Arbeitsverhältnissen
7.1. Arbeitsmotivation
7.1.1. Die Motivtheorie
7.1.2. Die Selbstbestimmungstheorie
7.1.3. Die VIE-Theorie
7.1.4. Übertragung der Theorien der Arbeitsmotivation auf entgrenzte Arbeitsverhältnisse
7.2. Arbeitszufriedenheit
7.2.1. Die Zwei-Faktoren-Theorie
7.2.2. Das Job-Characteristic-Model
7.2.3. Das Bruggemann Modell
7.2.4. Übertragung der Theorien der Arbeitszufriedenheit auf entgrenzte Arbeitsverhältnisse
7.3. Belastung und Beanspruchung
7.3.1. Stress als Folge von Belastungen am Arbeitsplatz
7.3.2. Übertragung der Theorien zur Belastung und Beanspruchung auf entgrenzte Arbeitsverhältnisse
7.3.3. Übertragung der Stresstheorien auf entgrenzte Arbeitsverhältnisse
7.4. Identifikation und Commitment mit Organisationen
7.4.1. Identifikation
7.4.2. Übertragung von Identifikation auf entgrenzte Arbeitsverhältnisse
7.4.3. Commitment
7.4.4. Übertragung von Commitment auf entgrenzte Arbeitsverhältnisse

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

10. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

„Ja, ich habe ja mein Büro im Grunde immer bei mir. Ich habe meinen Laptop, da ist alles drauf und ja, das Büro, das kann theoretisch überall sein“ (Jürgens et al. 2007: 2)

Dieses Zitat weist darauf hin, dass sich Erwerbsarbeit und das generelle Verhältnis gegenüber Arbeit über die Jahre verändert haben. Klassische Theorien zur Arbeitskraftnutzung, speziell zur Lösung des sogenannten Transformationsproblems, verlieren infolgedessen an Bedeutung und neue Theorien erfahren mehr Beachtung

Der Begriff des Transformationsproblems von Bravermann (1980) beschreibt die Prob­lematik, dass Unternehmen mit der Einstellung von Mitarbeitenden nicht eine eindeutig vertraglich definierte Arbeitsleistung erwerben. Stattdessen kaufen sie für bestimmte Zeiträume das Arbeitspotential Arbeitender. Der ökonomische Akt des Kaufs von Ar­beitskraft garantiert daher nicht die gewünschte Arbeit. Um die potentielle Arbeitskraft der Erwerbspersonen in erforderliche Leistung zu transformieren, müssen zusätzlich zur Entlohnung organisatorische Maßnahmen zur aktiven Steuerung und Überwachung der Arbeitstätigkeiten getroffen werden (Voß, Pongratz 1998: 136ff.)

Traditionelle Konzepte der Arbeitskraftnutzung des Taylor und Ford versuche­n durch starre Kontrolle und Überwachung der Arbeitstätigkeiten das Transfor­mationsproblem zu lösen. Solche Arbeitskonzepte stellen eine Mindestbereitschaft der Arbeitenden sicher, indem sie durch eine strenge betriebliche Überwachung gezwungen werden, die Arbeitstätigkeit im Sinne des Unternehmens auszuführen. Steigende Nach­frage und die zunehmende Globalisierung setzen Unternehmen vor die Herausforderungen die vorherrschende Produktivität zu steigern. Tayloristische und fordistische Methoden der Arbeitskraftnutzung erweisen sich diesbezüglich als ungenügend, weil weitere Kontrollverschärfungen überproportionale Kosten erzeugen, die Leistungsbereitschaft der Arbeitenden weiter begrenzt wird und der Zugang zu den Fähigkeiten der Arbeitenden, schnell und kreativ auf komplexe Anforderungen zu reagieren, verhindert wird (Voß, Pongratz 1998: 138). Ein neueres arbeitssoziologisches Konzept, welches diese Probleme berücksichtigt, ist das der Subjektivierung von Arbeit, das gleichzeitig die Grundlage entgrenzter Arbeitsverhältnisse darstellt

Subjektivierung von Arbeit beschreibt die beidseitige Reaktion von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden auf den Versuch einer zunehmenden Produktivitätssteigerung. Betriebliche Veränderungen der Arbeitsformen und eine Erweiterung der relativen Autonomie der Beschäftigten verlagern die Transformation von Arbeitspotenzial in tatsächliche Arbeitsleistungen auf die Arbeitenden selbst. Diese richten in gleichem Maße neuartige subjektive Ansprüche an die Arbeit, um ihren eigenen Fähigkeiten und Selbstentfaltungswünschen geltend zu machen

Klassische Arbeitsverhältnisse werden diesen Ansprüchen immer weniger gerecht. Sowohl betriebliche Ansprüche der Produktivitätssteigerung, als auch subjektive Geltungsansprüche führen zu einer Veränderung der Arbeit, der sog. Entgrenzung der Arbeit. Arbeitsverhältnisse werden in ihren wichtigsten Dimensionen aufgelöst. Festgelegte zeitliche Regelungen werden zu vagen Vereinbarungen, gleichermaßen wird der Ort der Arbeitsausführung unwichtiger; von höchstem Interesse ist nur ein hochwertiges Endprodukt

„Jung zählt auf das ‚volle Commitment‘ der ganzen Belegschaft und meint selbstkritisch, man funktioniere teilweise fast wie eine ‚Sekte‘: ‚Wir mussten Leuten schon den Firmenschlüssel wegnehmen, um sie von der Arbeit rund um die Uhr abzuhalten. […] Wir arbeiten überdurchschnittlich viel […] und wir nehmen Erfolg und Misserfolg immer noch persönlich‘, fasst Jung die Philosophie zusammen. Wenn man Marktführer sei, müsse man jede Chance wahrnehmen. [...] Nach relativ vielen schlaflosen Nächten bin ich wohl körperlich älter als Gleichaltrige‘“ (Tinner 2010: 17f. in Krause et al. 2012: 191)

Dieses Zitat eines Firmenmanagers zeigt auf, dass neuartige Mechanismen wirken und dass das traditionelle Verhältnis zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden bzw. generell das Verhältnis zwischen Individuen und Arbeit in einer neuen Art und Weise stattfindet. Es wird auf die Bereitschaft der Mitarbeitenden vertraut und diese zahlen Verantwortung und Vertrauen mit hohem Einsatz und Leistungen zurück

Auf der anderen Seite verweist die Äußerung von Jung (Tinner 2010) auf die Folgewirkungen der neuen Arbeitskraftnutzung. Erfolg wird immer wichtiger, Misserfolg immer fataler, wodurch Arbeitende neuartige Beanspruchungen bei der Arbeit erfahren und diese in zunehmender Zahl negativ bewerten

Diese Arbeit soll die Frage klären, was Menschen in entgrenzten Arbeitsverhältnissen motiviert. Dazu wird zunächst das Phänomen der Subjektivierung von Arbeit erläutert, die wie bereits erwähnt eine Voraussetzung für das zu betrachtende Phänomen darstellt. Dabei wird sowohl die Notwendigkeit der subjektiven Anpassung auf betriebliche Veränderungen dargestellt, als auch das Interesse des Arbeitenden berücksichtigt, seine Individualität in die Arbeit miteinzubringen. Als Folge der Subjektivierung wird der Arbeitskraftunternehmer als ein möglicher gesellschaftlicher Typus einer subjektivierten Arbeitskraft analysiert. Dazu werden die drei Dimensionen der neuen Form der Arbeitskraft skizziert, um den neuartigen Charakter zwischen Mensch und Arbeit zu verdeutlichen. Eine anschließende Kritik am Typus des Arbeitskraftunternehmers soll zeigen, dass eine solche Typenbildung wichtige Punkte vernachlässigt und aufschlüsseln, um welche es sich handelt

Daraufhin wird das Phänomen der Entgrenzung von Arbeit dargestellt. Betriebliche und subjektive Veränderungen führen demnach zu neuartigen Arbeitsverhältnissen, die sich durch den Begriff der Entgrenzung kennzeichnen lassen. Diese sind durch neuartige zeitliche, örtliche, inhaltliche oder motivationale Strukturen gekennzeichnet

Innerhalb der Theorien einer Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit werden ambivalente Folgewirkungen für die Arbeitenden genannt. Diese werden zunächst aus den Theorien entsprechend dargestellt und anschließend mit aktuellen Forschungsergebnissen ergänzt. Anhand des Grundgerüsts ambivalenter Folgewirkungen von Entgrenzung von Arbeit, werden arbeitspsychologische Ansätze herangezogen, um das Verhalten von Individuen in entgrenzten Arbeitsverhältnissen zu erklären. Die Konzepte der Arbeitsmotivation, Arbeitszufriedenheit, Belastung und Beanspruchung, als auch Identifikation und Commitment werden theoretisch dargestellt und auf entgrenzte Arbeitsverhältnisse bezogen

Diese Verbindung arbeitspsychologischer Theorien mit dem Phänomen der Entgrenzung soll eine mögliche Erklärung für motivationales Arbeitsverhalten darstellen

2. Subjektivierung von Arbeit

Unter dem Begriff Arbeit wird eine Tätigkeit verstanden, „durch deren Ausführung der oder die Arbeitstätige zur Schaffung materieller oder immaterieller Werte für sich und/oder andere beiträgt“ (Ulich 2001: 1 in Gloger 2008: 32). Von besonderer Bedeutung ist, dass Arbeit heutzutage eine zentrale Rolle des Lebens darstellt und auf all dessen Bereiche ausstrahlt (Gloger 2008: 38)

Unter Subjektivität wird ein „wandelbares Produkt der Verbindung zwischen Person und Gesellschaft [verstanden], das die Person in ihrer sozialen Umwelt positioniert“ (Moldaschl, Voß 2003: 61). Subjektivität beschreibt zum einen das Verhältnis eines Individuums zu sich selbst, als auch zu seiner Umwelt (Schimank 1986: 71). Diese Relation wird in ständiger Auseinandersetzung mit den individuellen äußeren Gegebenheiten hergestellt, indem sich Individuen zu Anderen in bestimmten Relationen verorten und von diesen zugleich verortet werden (Mead 1973 in Moldaschl, Voß 2003: 61)

Subjektivierung von Arbeit wird als „Intensivierung von individuellen, d.h. Subjektivität involvierenden Wechselverhältnissen zwischen Person und Betrieb bzw. betrieblich organisierten Arbeitsprozessen [verstanden]“ (Moldaschl, Voß 2003: 62). Thematisiert wird die Relation zwischen den subjektiven Leistungen, Fähigkeiten, Sinndeutungen und Einstellung einer arbeitenden Person und ihrem betrieblichen Arbeitsplatz und dessen Anforderungen an die Arbeitskraft (Kleemann et al. 1999: 2). Erwerbsarbeit unterliegt dabei einem doppelten Subjektivierungsprozess. Einerseits sind es veränderte betriebliche Strukturen, die zur Produktivitätssteigerung notwendig sind, die den funktionalen Bedarf an subjektiven Leistungen und Fähigkeiten der Arbeitenden erhöhen. Es wird qualitativ und quantitativ mehr Eigenständigkeit der Individuen gefordert (Kleemann et al. 1999: 2). Zudem äußert sich der doppelte Subjektivierungsprozess, dadurch, dass Individuen verstärkt subjektive Ansprüche an die Arbeit herantragen (Moldaschl, Voß 2003: 62)

Subjektive Leistungen haben mit dem Wandel der Erwerbsarbeit und der Abkehr von tayloristischen Arbeitsprinzipien an Bedeutung gewonnen. Im Taylor wird der Arbeitende als notorischer Faulenzer betrachtet, den es zu kontrollieren und disziplinieren gilt. Dieser Rationalisierungsprozess hat zur Folge, dass die Arbeitsaufgaben von betrieblicher Seite eindeutig festgelegt sind und die Art der Ausführung stark standardisiert ist. Die subjektive Leistung der Arbeitenden wird somit bedeutungslos und allein die Ausführung der Tätigkeit anhand der Vorgaben wird als hinreichend zur Erfüllung der Arbeitsziele angesehen (Kleemann et al. 1999: 5). Durch die Globalisierung und die Tatsache, dass sich Unternehmen einem steigenden Wettbewerb ausgesetzt sehen, wird es notwendig, Kosten abzubauen und sowohl die Produktivität, als auch die Qualität zu steigern (ebenda: 10). Die daraus resultierende Konsequenz liegt in neuen Strategien der Arbeitskraftnutzung, die auf die Ausschöpfung des gesamten Arbeitspotenzials der Arbeitenden abzielen (ebenda: 10f.). Anstelle von Detailarbeit und starren Strukturvorgaben wird eine aktive Eigenstrukturierung der Arbeit gefördert. Insgesamt werden zur vollkommenden Ausschöpfung des Potenzials der Arbeitenden, Verantwortlichkeiten und Handlungsspielräume der Arbeitenden erhöht, das heißt eine Erweiterung der relativen Autonomie mit der einhergeht, dass in allen Bereich der Arbeit (zeitlich, räumlich, sachlich, sozial, sinnhaft etc.) Selbstorganisation gefordert wird (ebenda: 12). Diese Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen und die erweiterte Autonomie der Beschäftigten geht jedoch mit einer Steigerung der Leistungsanforderungen und verstärkter Ergebnisüberwachung einher (ebenda: 12). Eine solche Form der Kontrolle wird im Gegensatz zur starren Bürokratie und der technischen Überwachung der Qualität der Arbeitsleistung als autonomisierte Kontrolle bezeichnet, bei der die Ausführung der Arbeitstätigkeit den Arbeitenden weitestgehend selbst überlassen wird und allein das Ergebnis bewertet bzw. kontrolliert wird (ebenda: 8)

Das Arbeitshandeln wird somit in dessen wichtigsten Dimensionen entgrenzt, d.h. Veränderungen der Arbeitsstruktur stellen einen totalen Zugriff auf das Arbeitskräftepotenzial dar (Böhle 2002: 128). Genauer:

„auf bislang kaum systematisch genutzte Potenziale von Arbeitskraft, wie Innovativität und Kreativität, Sozial- und Kommunikationskompetenzen, Begeisterungsfähigkeit und ultimative Leistungsbereitschaft, Loyalität und Solidarität“ (Kleemann et al. 1999: 13)

Dieser Zugriff auf die Arbeitskraft „erfordert im wachsenden Maße und in neuen Formen explizite subjektive Leistungen, um unter den veränderten Bedingungen arbeiten zu können und den Betriebsablauf aufrechtzuerhalten“ (ebenda: 11)

2.1. Formen von Subjektivität

Betriebliche Veränderungen bewirken, dass Erwerbspersonen subjektive Arbeitsfähigkeiten einbringen müssen. Je nach Veränderung werden unterschiedliche Aspekte der Subjektivität erforderlich. Innerhalb der Theorie gibt es vier Formen der Subjektivierung von Arbeit

2.1.1. Kompensatorische Subjektivität

Kompensatorische Subjektivität versteht subjektivierendes Arbeitshandeln als notwenige Komplemente technischer Arbeit und komplexer werdender technischer Vorgaben (Kleemann et al. 1999: 5). Durch die Einführung von Informations- und Kommunikationsmedien in den Arbeitsprozess entstehen neuartige räumliche, zeitliche und organisatorische Freiheitsgrade für die Gestaltung der Arbeitsausführung, da mit dem technischen Fortschritt eine Unbestimmtheit für das Arbeitshandeln einhergeht, die erst durch subjektive Leitungen gelöst werden kann (ebenda: 8). Die Funktion kompensatorischer Subjektivierung liegt jedoch hauptsächlich in der „Bewältigung technisch-organisatorischer Mängel, um Störungen des formalisierten Arbeitsprozesses flexibel zu bewältigen und deren Entstehung zu verhindern“ (Felsch 2006: 15)

Durch Informations- und Kommunikationsmedien wird der Austausch und die Bearbeitung von betrieblichen Informationen beschleunigt und strukturiert. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten im Umgang mit den Informations- und Kommunikationsmedien begrenzt und stellen mehr eine neue Form der systematischen Rationalisierung dar, um das Arbeitshandeln der Individuen zu integrieren, standardisieren und zu kontrollieren (Kleemann et al. 1999: 6)

Das subjektivierende Arbeitshandeln spiegelt sich in der metafachlichen Kompetenz wieder, dem Wissen um die Gesamtzusammenhänge der betrieblichen Leistungserstellung und im Umgang mit informationstechnischen Geräten Probleme zu erkennen und zu lösen (Welsch 1997: 57 in Kleemann et al. 1999: 8)

2.1.2. Strukturierende Subjektivität

Strukturierende Subjektivität bezieht sich auf die praktische Organisation der Arbeitstätigkeit selbst. Ursächlich für die Zunahme subjektiver Leistungen ist eine generelle Flexibilisierung und Autonomisierung, insbesondere in der Gestaltung der alltäglichen Lebensführung, speziell in der synchronen Verbindung von Arbeit und Leben (Kleemann et al. 1999: 33). Die Funktion strukturierender subjektiver Handlungen ist,

„für die Sicherung eines funktionalen Ablaufs von Arbeit […] in geeigneter Weise selbst Strukturen zu schaffen und seine Arbeitskraft dadurch in geeigneter Weise in die betrieblichen Erfordernisse einzupassen“ (ebenda: 33)

Arbeitende müssen nicht nur zeitlich die Arbeit mit dem Privatleben verbinden, sondern müssen zusätzlich die eigenen Fähigkeiten den Besonderheiten der Arbeitstätigkeit anpassen. Insofern müssen die Freiräume dafür bereits in betriebliche Strukturen eingelassen sein, damit die Arbeitenden in aktiver Auseinandersetzung mit den vorgefundenen Bedingungen in der Lage sind eine „funktionale Passung zwischen Subjekt und Betrieb bzw. Beschäftigungssystem herzustellen“ (ebenda: 33)

2.1.3. Reklamierende Subjektivität

Reklamierende Subjektivität ist die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich formulierten Denkweisen und Werthaltungen hinsichtlich der Arbeit und die daraus resultierende Entfaltung und Sinnstiftung in der Arbeit. Die Funktion reklamierender Subjektivität ist ein an die Gesellschaft und ihre Institutionen gerichteter Entwurf alternativer Orientierungen. Die gesellschaftlichen Sinnstrukturen

müssen von den Individuen in Wechselwirkung mit ihrer sozialen Umwelt an die eigene Arbeits- und Lebenswirklichkeit diskursiv angepasst werden, so dass sie von der Person in alltagspraktisches Handeln umgesetzt werden können “ (Felsch 2006: 16)

Die dargestellten Formen beziehen sich bei der kompensatorischen und strukturierenden Subjektivität in ihrem Gegenstand auf die Ebene des praktischen Handelns. Reklamierende Subjektivität bezieht sich dagegen auf diskursive Sinndeutungen. Betrachtet man die Art der Passung zwischen Person und Struktur kann zwischen einer aktiven und passiven An-Passung unterschieden werden. Daraus folgernd zeigt Abbildung 1, dass es bei einer solchen Unterscheidung eine weitere Form der Subjektivität geben muss, welche die passive Passung diskursiver Sinndeutungen beinhaltet (Kleemann et al. 1999: 24)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Grundformen bzw. Grundfunktionen von Subjektivität im Zug einer Subjektivierung von Arbeit (Kleemann et al. 1999: 34)

2.1.4. Ideologisierte Subjektivität

Die passive Passung diskursiver Sinndeutungen wird als ideologisierte Subjektivität benannt. Obwohl diese theoretisch und empirisch weitestgehend unberücksichtigt geblieben ist, unternehmen Kleemann und Kollegen (1999) den Versuch, die ideologisierte Subjektivität zu definieren:

Sie bezöge sich auf eine einseitige Passung der Person an vorgegebene Strukturen von Arbeit und Beschäftigung bzw. deren Wandel auf der Sinndeutungsebene, die möglicherweise auch reflexiv den Prozess einer zunehmenden Subjektivierung von Arbeit thematisieren würde. Berührt würden dadurch Prozesse kollektiver und/oder individueller soziokultureller Prägungen in Reaktion auf sich ändernde Anforderungen der gesellschaftlichen Arbeit sowie Prozesse einer (zum Teil auch gezielt ideologischen) diskursiven soziokulturellen Überformung faktischer Prozesse des Wandels von Arbeit und Beschäftigung “ (Kleemann et al. 1999: 34)

Der zunehmende gesellschaftliche Diskurs über Individualität, Flexibilität und Selbstständigkeit könnte somit als ideologisierte Subjektivität bezeichnet werden (ebenda: 34)

Die bisher dargestellten Formen von Subjektivität und dem zugehörigen subjektiven Arbeitshandeln beziehen sich lediglich auf Veränderungen innerhalb der Arbeit, d.h. arbeitende Individuen finden betrieblich vorgenommene Änderungen vor und reagieren mit einer Form der Subjektivität. Es wurde jedoch bereits vorweggenommen, dass die Erwerbsarbeit einer doppelten Subjektivierung unterliegt. Dies wird dadurch begründet, dass betriebliche Änderungen vorgenommen werden und gleichermaßen neuartige subjektive Ansprüche durch die Arbeitenden an die Arbeit herangetragen werden (ebenda: 2). Dieses Anspruchsverhalten wird als normative Subjektivierung bezeichnet (Baethge 1991: 6)

2.2. Normative Subjektivierung

Dass Individuen ihre eigenen Ansprüche an die Arbeit herantragen, lässt sich durch einen Wertewandel gegenüber der Arbeit begründen. Anstelle von Pflicht- und Akzeptanzwerten rückt der Selbstentfaltungsgedanke immer mehr in den Vordergrund (Kleemann et al. 1999: 28)

Normative Subjektivierung bedeutet eine Geltendmachung persönlicher Ansprüche, Vorstellungen und Forderungen in der Arbeit. Sie beschreibt die Entwicklung des Arbeitsbewusstseins der Beschäftigten, ihrer Ansprüche an die Erwerbsarbeit, dabei insbesondere den subjektiven Sinn, den sie mit Arbeit verbinden (Baethge 1991: 7). Persönliche Ansprüche sind dabei inhaltlich, kommunikativ und expressiv an die Arbeit gerichtet – sie formen den „modernen Facharbeiter“ (ebenda: 7), dessen Tätigkeit durch individuelle Eingriffschancen gekennzeichnet und dessen inneres Verhältnis zur Arbeit von Selbstbewusstsein und Stolz geprägt ist. Seine Motive bei der Arbeit sind Spaß an der Arbeitstätigkeit, selbstverantwortliches Handeln, Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und eine Kompetenzerweiterung (ebenda: 7). Es kommt zu einer positiven Verankerung von Arbeit in der individuellen Identitätskonstruktion (Kleemann et al. 1999: 30), welches ein individualistisches Interessen- und Handlungskonzept hervorbringt, mit dezidierten Ansprüchen an Selbstentfaltung und Selbstdarstellung in der Arbeit wie im Privatleben (Baethge 1994: 720)

Der mit der normativen Subjektivierung einhergehende Wertewandel bedeutet keine Auflösung der alten Werte, sondern vielmehr eine Ergänzung der weiterbestehenden Pflicht und Akzeptanz des „Arbeiten-Müssens“ durch den (beschriebenen) Aspekt der Selbstentfaltung (Kleemann et al. 1999: 29)

Damit verändert sich das grundlegende Verständnis gegenüber der Arbeit. Der Arbeitskraftunternehmer stellt diesbezüglich einen Idealtypus von Arbeitenden dar, der dem beschriebenen Wandel durch die Subjektivierung von Arbeit Rechnung trägt

3. Der Arbeitskraftunternehmer – eine mögliche gesellschaftliche Folge einer zunehmenden Subjektivierung von Arbeit

Der doppelte Subjektivierungsprozess der Arbeit zeigt, dass sowohl betriebliche Veränderungen, als auch die neuen Ansprüche der Arbeitenden die Verfasstheit von traditioneller Arbeit verändern. „Ausbildungskonzepte, Arbeitstugenden und Führungskonzepte, die nur auf Befehl und Gehorsam beruhen, werden den anspruchsvollen Tätigkeiten […] kaum noch gerecht“ (Heidenreich, Braczyk 1996: 164). Vor allem die normative Subjektivierung bewirkt, dass Betriebe den modernen Arbeitnehmer nicht selbst produzieren müssen (z.B. durch betriebliche Strukturen), sondern, dass die Gesellschaft den benötigten Sozialcharakter in zunehmendem Maße selbst produziert (Moldaschl, Voß 2003: 36). Insbesondere der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Lebensgenuss bei gleichzeitig sinkender Bereitschaft zur Unterordnung – insbesondere in Bezug auf traditionelle, starre Arbeitsstrukturen – prägt das Selbstverständnis der neuen Arbeitsgeneration (Böhne, Breutmann 2012: 24). Dieser Wandel führt zu einer veränderten Logik der Arbeitsnutzung, speziell weil die betrieblich funktionale Transformation von Arbeitskraft zunehmend den Arbeitenden zugewiesen wird, d.h. in verstärkter Weise externalisiert wird. Es kommt - so die These von Voß und Pongratz (2003) - zu einer „Veränderung der gesellschaftlichen Verfassung von Arbeitskraft“ (Voß, Pongartz 2003: 3). Die Besonderheit dieser Art von Arbeitskraft ist, dass sie unter Konkurrenz angeboten und nachgefragt wird, die Verkaufsbeziehungen kollektiv und individuell ausgehandelt werden und außerdem untrennbar von der Person ist (ebenda: 131). Damit einhergeht, dass die Arbeitskraft wie im ökonomischen Sinne als Ware verstanden wird. Die Autoren vertreten die These, dass der „grundlegende Wandel der Verfassung der Ware Arbeitskraft mit nachhaltigen Konsequenzen für das Arbeits- und Berufsverhalten sowie insgesamt die Lebensweise der Erwerbstätigen“ (Voß, Pongratz 1998: 132) verbunden ist. Die vorherrschende Form des verberuflichten Arbeitnehmers wird durch den neuen gesellschaftlichen Typus von Arbeitskraft, dem „Arbeitskraftunternehmer“ (ebenda: 132) ergänzt und langfristig abgelöst (ebenda: 139). Der Arbeitskraftunternehmer verkauft nicht mehr nur sein latentes Arbeitsvermögen,

sondern [handelt] (inner- oder überbetrieblich) vorwiegen als Auftragnehmer für Arbeitsleistungen […], d.h. die Arbeitskraft [wird] weitgehend selbstorganisiert und selbstkontrolliert in konkrete Beiträge zum betrieblichen Ablauf überführt, für die kontinuierlich funktionale Verwendung (d.h. „Käufer“) gesucht werden [muss] “ (ebenda: 239f.)

Innerhalb dieser Aussage, verweisen die Autoren bereits auf zwei der drei Dimensionen der neuen Verfasstheit von Arbeitskraft: die Selbst-Kontrolle und die Selbst-Ökonomisierung. Die Selbst-Rationalisierung stellt die dritte Ebene dar

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Details

Title
Arbeit in Entgrenzung. Was motiviert Erwerbstätige in entgrenzten Arbeitsverhältnissen zu arbeiten?
College
University of Göttingen  (Sozialwissenschaften)
Grade
1,3
Author
Year
2013
Pages
69
Catalog Number
V266938
ISBN (eBook)
9783656571773
ISBN (Book)
9783656571766
File size
1288 KB
Language
German
Keywords
arbeit, entgrenzung, erwerbstätige, arbeitsverhältnissen
Quote paper
Michael Schaaf (Author), 2013, Arbeit in Entgrenzung. Was motiviert Erwerbstätige in entgrenzten Arbeitsverhältnissen zu arbeiten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266938

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