Friedrich Freiherr von Friesen. Unterwegs im Dienste der Adeligkeit?

Analyse einer Reise nach Köln, Trier und Luxemburg im August 1845 aus den Tagebüchern von 1845-47


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Adel als homogene Gruppe? Elitenwandel, Erinnerungskultur und der Kampf ums Obenbleiben

2. Friedrich Freiherr von Friesen: Familie, Ausbildung, Beruf, Grundbesitz, Landtagsabgeordneter – Vormoderne Indikatoren zur Vermittlung von Adeligkeit?

3. Die Repräsentation von Adeligkeit in den Tagebüchern des Friedrich Freiherrn von Friesen
3.1 Analyse der Tagebücher
3.1.1 Eine Reise von Leipzig nach Köln, Trier und Luxem-
3.1.2 Resümee

Zusammenfassung

Quellen- und Literaturverzeichnis

Anhang

Einleitung

Bis zum heutigen Tag besitzt der Adel eine Anziehungskraft, die sich zuletzt bei der Hochzeit des englischen Prinzen William am 29. April zeigte und die Medienbranche mit rund 2,5 Milliarden Sehern weltweit rechnete. Dabei ist interessant, wie sich die Sozialformation des Adels bis in die Moderne halten konnte und sich nicht in der Klassengesellschaft auflöste. Vor allem die Epochenschwelle von der frühen Neuzeit zur Moderne rückt hier ins Blickfeld der Untersuchung, da in dieser Zeit der Adel zunehmend seine Stellung als herrschende Schicht verlor und seine Privilegien einbüßte. So war der Adel über tausend Jahre die herrschende Elite, jedoch in der jüngsten Zeit (seit ca. 1800) änderte sich dies rapide. Mit dem Verlust distinktiver Merkmale von Adeligkeit, wie zum Beispiel dem Grundbesitz, ist nach neuen Indikatoren zu suchen, auf die der Adel seine Adeligkeit projizieren konnte.

Die folgende Arbeit befasst sich in diesem Zusammenhang mit dem sächsischen Rittergutsbesitzer Friedrich Freiherr von Friesen und der Repräsentation von Adeligkeit in seinen Tagebüchern. Zunächst soll der Forschungstand zum Bedeutungswandel des Adels reflektiert werden, wobei besonders der Zugriff des Elitenwandels sowie der Wandel vom Stand zur Erinnerungskultur im Vordergrund stehen. Im Anschluss daran werden wichtige biografische Stationen in Friedrichs Leben (Familie, Ausbildung, Beruf, Grundbesitz und Landtagsabgeordneter) auf die Stellung zur Repräsentation von Adeligkeit untersucht. Dabei ist zu schauen, wie sich diese an der Epochenschwelle verändert haben und welche anderen Indikatoren der Adel zur Projektion seiner Adeligkeit für sich nutzbar machte. Darauf folgend wird anhand eines Ausschnitts aus den Tagebüchern – Eine Reise nach Köln, Trier und Luxemburg im August 1845 – die Repräsentation von Friedrichs Adeligkeit außerhalb der sächsischen Adelslandschaft untersucht. Weil es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, wird die Reise auf ausgewählte Aspekte analysiert. Dabei stehen neben dem Staatsbesuch der englischen Königin Victoria auch die Reisebeschreibungen im Mittelpunkt. Darüber hinaus können die Teile der Tagebücher, welche Friedrichs Leben als Abgeordneter in der I. Kammer des sächsischen Landtages sowie als Kammerpräsident auf dem außergewöhnlichen Landtag vom 21. Januar 1947 beinhalten, hier kaum Berücksichtigung finden.

Da die deutsche Adelslandschaft sich neben der vertikalen Gliederung in hohen und niederen Adel vor allem durch seine Regionalität (insbesondere der niedere Adel) kennzeichnet, wurde für diese Arbeit im besonderen Maße Literatur von Josef Matzerath sowie Silke Marburg herangezogen, die zum jetzigen Zeitpunkt die besten Kenner für die sächsische Adelsgeschichte sind. Gleichsam wurde auch die Festlegung des Begriffes Moderne an Matzeraths Ausführungen orientiert, der diese mit der sächsischen Verfassungsgebung im Jahre 1831 datiert.

1. Adel als homogene Gruppe? Elitenwandel, Erinnerungskultur und der Kampf ums Obenbleiben

Wenn man über den deutschen Adel am Übergang von der Vormoderne zur Moderne spricht, muss man zunächst eine Bemerkung zur Konstellation des Adels in Deutschland vorwegschicken. Betrachtet man den Adel des Deutschen Bundes im europäischen Vergleich, so ergibt sich das Spezifikum der Partikulation. Es gibt nicht wie in Frankreich einen Hof, an welchem der Adel gebunden wurde. Vielmehr existierten zahlreiche Höfe nebeneinander, die ihren jeweiligen regionalen Spezifikum unterlagen. So unterscheidet sich das Königreich Sachsen im Vergleich zu den Entwicklungen in Süddeutschland oder Preußen. Zur Napoleonischen Zeit wurden hier keinerlei staatliche Reformen durchgeführt und zugleich setzte die Industrialisierung wesentlich eher ein als in den übrigen Regionen des Deutschen Bundes. Somit kann man den deutschen Adel nicht differenzlos betrachten, weil sich „die Adelsgesellschaft [...] bis zum Ende des Kaiserreiches regional definierte“.[1]

Mit den Umbrüchen der Moderne konstatiert Matzerath für die Adelsgeschichtsforschung, dass diese den Adel als Sozialformation vor allem aus der „Perspektive der Elitenforschung“ betrachtet.[2] So sieht beispielsweise Reif den Übertritt des Adels in die Moderne als Elitenwandel. Nach ihm war der Adel in der Vormoderne der herrschende Stand, worauf er den Rückgriff auf die Elite begründet. Bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor der Adel jedoch zunehmend den Anspruch an die Herrschaft sowie seine rechtlichen Vorzüge, welches im Nachgang noch Erläuterung findet. Die neue Elite, die den Adel ablöste, war das Bürgertum, das sich auf Bildung, Großgrundbesitz, Reichtum und Ämtererfolg stützte.[3] Der Übergang von der Vormoderne zur Moderne wird demzufolge als ein Wechsel der Herrschaftsgruppe vom Adel zum Bürgertum verstanden. Doch bereits Wienfort und Matzerath kritisieren diese einseitige Betrachtungsweise, denn je weiter man in der Moderne voranschreitet, desto unangemessener erscheint dieser Zugriff, da immer weniger Adelige an der Elite teil haben. In diesen Zusammenhang hebt Wienfort insbesondere die Bedeutung kultureller Konzepte von Adel hervor.[4] So steht dieser Ablösungsprozess der Eliten, wie ihn Reif sieht, der Definition der Moderne von Karl Marx oder Max Weber nahe.[5] Dabei stellt Matzerath jedoch zurecht die Frage, warum der Adel als vormoderner Stand sich nicht in der Klassengesellschaft auflöste, sondern unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fort existierte und bis heute sogar noch eine adelige Vergesellschaftung besteht.[6] Somit kann man der Feststellung Reifs nur wenig abgewinnen, wenn er für den Adel behauptet, dass dieser keine Notwendigkeit sah „den Adelsbegriff an die sich wandelnde Gesellschaft anzupassen“[7], nur weil er sich nicht mit dem Bürgertum zu einer neuen Elite vereinte. Der Elitenzugriff Reifs erweckt zudem den Anschein, als sei man bei der Betrachtung des Adels mit einer homogenen Einheit konfrontiert. So sieht er unter anderem neben der Bewahrung der Herrschaftsrechte auch den Grundbesitz als wichtige Vorraussetzung für das Obenbleiben des Adels. Dabei bescheinigt er dem hohen Adel besser als dem niederen, dass er diese Positionen im Verlauf des 19. Jahrhunderts bewahren konnte.[8] Das diese Gruppen jedoch getrennt betrachteten werden sollten, ergibt sich alleinig schon aus der Binnendifferenzierung dieser Sozialformation in den höheren und niederen Adel. So war der niedere Adel den jeweiligen Landesherren (hohen Adel) unterstellt. So spricht Marburg auch von einem Graben zwischen dem hohen und dem niederen Adel.[9] Das bei einer solchen Hierarchisierung innerhalb der Sozialformation der hohe Adel noch eher als der niedere Adel seine Privilegien wahren konnte, erscheint dabei zwingend notwendig. Jedoch nimmt diese einseitig betrachtete, abschlägige Beurteilung des niederen Adels, welche sich alleinig auf die Bewahrung politischer Machtsphären und Grundbesitz stützt, andere oder sogar neue Indikatoren, in denen der niedere Adel seine Adeligkeit projizieren konnte, nicht ins Blickfeld der Untersuchung. Des Weiteren kommt es den oben erwähnten regionalen Differenzierung nicht nach. Zieht man die Ansicht Matzeraths zum Obenbleiben heran, so erscheint die Reduzierung des Adels als bloße Herrschaftsschicht und die sich daraus ableitende Elite noch weniger gerechtfertigt, da sich das „Problem des Obenbleins [...] mindestens doppelt stellt. Denn einerseits existiert es für den Adel als Stand insgesamt und andererseits für die einzelne Adelsfamilie oder [...] letztlich auch für das adelige Individuum“.[10] Der Adel schaffte es dabei zentrale Bereiche seines alten Selbstverständnisses aufrechtzuerhalten und musste dabei lediglich neue Lebensstile akzeptieren, die ihm nunmehr als Konkurrenz gegenüberstanden. Unter diesem Gesichtspunkt kommen Marburg und Matzerath zu dem Schluss, dass die adelige Strategie des Obenbleibens sich Symbole bediente, die von den neuen Eliten nicht einholbar waren. Dies war beispielhaft die lange Zugehörigkeit zur herrschenden Schicht. Hierdurch unterschied sich schon der Einzelne durch seine Familienzugehörigkeit. Anstelle von einem Elitenwandel zu sprechen, konstatieren Marburg und Matzerath für den Adel, dass er sich vom Stand zur Erinnerungsgruppe wandelte.[11] Somit soll in dem sich anschließenden Kapitel zunächst am biografischen Beispiel des Friedrich Freiherrn von Friesens „vormoderne“ Indikatoren zur Vermittlung von Adeligkeit untersucht werden, ob diese im Verlauf der Entwicklungen im Königreich Sachsen sich noch für den Adel eigneten, um Adeligkeit zu projizieren und gegebenenfalls sind andere Projektionsflächen zu finden.

2. Friedrich Freiherr von Friesen: Familie, Ausbildung, Beruf, Grundbesitz, Landtagsabgeordneter – Vormoderne Idikatoren zur Vermittlung von Adeligkeit?

Im Folgenden sollen Familie, Ausbildung, Beruf. Grundbesitz und die Landtagszugehörigkeit als Projektionsfläche von Adeligkeit anhand der Biografie des Friedrich Freiherr von Friesen untersucht werden. Dabei dienen die Eckpunkte – Kindheit, Ausbildung/Beruf, Rittergutsbesitzer, Landtagsabgeordneter – in Friesens Leben als Beispiele, wo und wie Adeligkeit vermittelt werden konnte. Gleichzeitig ist zu fragen, inwieweit sich diese Indikatoren in der Moderne noch als solche Projektionsflächen eigneten.

Wie für viele Adelige typisch, so wurde auch der am 11. Oktober 1796 geborene und am 21. März 1871 gestorbene Friedrich Freiherr von Friesen bis zum Jahr 1808 von einem Hauslehrer erzogen. In diesem Zeitraum ist auch der erste adelige Binnendiskurs zu verorten, durch welchem im Zuge der familiären Sozialisation dem Zögling Normen adeliger Lebensweisen beigebracht wurden. Dazu gehörte auch der Ahnenstolz, welcher dem Schüler schon frühzeitig klarmachte, dass er im Gegensatz zu seinem Lehrer von Familie war. Die familiäre Unterrichtung war dabei vor allem Aufgabe der Mutter, der die Führung des Hauses unterlag. Jedoch konnte auch das standeskonforme Verhalten durch Verwandte oder befreundete Adelige, die im Haus verkehrten, herausgebildet werden.[12] Von 1808 bis 1813 besuchte Friedrich die Fürstenschule Pforta, an welcher er 1813 die Maturitätsprüfung absolvierte. Da Pforta knapp 65 km von Rötha[13] entfernt liegt, ist davon auszugehen, dass Friedrich in dieser Zeit in einem Internat untergebracht war. Mit diesem außerhäuslichen Wohnen schwand jedoch auch die Einflusssphäre der Eltern und somit der familiären Adelswelt. Da es in Sachsen am Ende der frühen Neuzeit „weder für den Elementarunterricht, noch für den Weg zum Universitätsstudium eine spezifisch qualifizierte Adelsschule gab“[14], standen die adeligen Söhne nun in einer direkten Konkurrenz zu ihren bürgerlichen Mitschülern und waren folgsam mit ihren Wert- und Verhaltensnormen konfrontiert. Braun[15] sieht dabei die Gefahr, dass die adeligen Söhne sich mit dem Lebensstil des Bürgertums identifizieren konnten. Dies dürfte jedoch nicht der Fall gewesen sein. Bereits ein gemeinsamer Schulbesuch, so Keller, trug zur Konsistenz des Adels bei und es ist davon auszugehen, dass die Vergesellschaftung der adeligen Söhne, wie es Matzerath für die Studentenzeit herausstellt, sich auch an den Gymnasien ausbildete.[16] Die Schul- und Studentenzeit sowie der Militärdienst diente vor allem dazu, in die Binnenkommunikation zu anderen adeligen Familien einzutreten und neue adelige Kontakte zu knüpfen. So blieb auch in dieser Zeit das Ziel „[i]n die Adelswelt hineinzuwachsen [...] der vorrangige Zweck der Vergesellschaftung in und außerhalb des Heimatortes. Die Einbindung des jugendlichen Adeligen erfolgte [...] durch die Kommunikation mit anderen Mitgliedern der gesellschaftlichen Herkunftsgruppe [...] wobei Adlige [...] andere adelige bevorzugt wahr[nahmen]“.[17] Der berufliche Werdegang des sächsischen Adels sah nach dem absolvieren des Gymnasiums zwei standesgemäße Möglichkeiten vor. Zum einen der Militärdienst in Form des Berufes als Offizier oder zum anderen als Zivilstaatsbeamter mit der Vorraussetzung eines Studiums. Matzerath stellt heraus, dass das Studium trotz erhöhter finanzieller Aufwendung seitens der Familie das erstrebenswertere Tätigkeitsfeld gewesen sei, da es dem Adel dadurch vielfach gelang, das Bürgertum als Konkurrenten in der landesherrlichen Verwaltung zurückzudrängen.[18] Aus der Familiengeschichte der Friesens geht hervor, dass auch Friedrich nach seiner Maturitätsprüfung eine Universität besuchen sollte, jedoch erhielt er zunächst von seinem Vater Johann Georg Friedrich von Friesen im Zuge der Napoleonischen Befreiungskriege die Erlaubnis, eine militärische Kariere zu ergreifen und nahm im Juni/Juli 1815 am Feldzug gegen Frankreich teil. Innerhalb von zwei Jahren gelang Friedrich der Aufstieg zum Souilieutenant (Unteroffizier). In der Regel verließen die Söhne, beim Entschluss den Beruf des Offiziers anzustreben, die Kernfamilie mit 14 Jahren, um eine Ausbildung im dresdner Kadettenkoprs zu beginnen oder in ein Regiment einzutreten. Der Kadettenanstalt musste man mindestens vier Jahre angehören, ehe man Offizier werden konnte. Über den genaueren Ausbildungsgang, ob er an der Kadettenschule sich einschrieb oder einem Regiment beigetreten war, schweigt die Biografie Friesens. Folgt man jedoch den Ausführungen Matzerahts, so ist anzunehmen, dass er die Kadettenschule besuchte, da diese auch bis 1830 den Söhnen des inländischen Adels vorbehalten blieb und „der Fürst und sein Staat [...] im Kadettenkoprs das Adelsethos“ förderte.[19] Für die militärische Laufbahn eines Adeligen konstatiert Braun zwar, dass sie an Exklusivität und Attraktivität in Folge der bürgerlichen Konkurrenz abnimmt, jedoch ein wichtiges Medium für den Erhalt adeliger Werte und Verhaltensnormen beleibt. Für Sachsen bestätigt dies auch Matzerath. So geht zwar die Zahl adeliger Kadetten und Volontäre am dresdner Kadettencorps von 1831-1866 um kappe 2/3 zurück, jedoch blieb es für den Adel weiterhin ein standesgemäßer Beruf.[20] Nach der Rückkehr aus dem Krieg gegen das napoleonische Frankreich wurde Friesen beurlaubt und studierte seit 1816 Jura an der Universität in Leipzig. Wie bereits oben erwähnt, knüpfte der Adelige in seiner Studentenzeit weiter adelige Kontakte. Nach dem Studium 1820 arbeitet Friedrich zunächst bei einem Rechtsgelehrten in Dresden und wurde 1822 als Amtshauptmann in Freiberg angestellt. Matzerath beschreibt, dass vor allem „das Vermögen und die Verbindungen der Herkunftsfamilie über die Chancen im Staatsdienst“ entschieden.[21] Zieht man die Biografie seines Vaters Johann Georg Friedrich (1757-1824) unter diesen Bedienungen heran, hatte Friedrich ein exzellente Ausgangslage.[22] Am 4. Februar 1826 wurde Friedrich zum Kammerherren ernannt, nachdem er Johanne Auguste von Einsiedel, die Tocherter des sächsischen Kabinettsministers des Inneren Detlev von Einsiedel, heiratete. Da die Heirat in der Familiengeschichte in Verbindung mit der Ernennung steht, ist anzunehmen, dass auch hier die persönlichen Beziehungen ins Kabinett eine Rolle spielten. Bereits 1836 ließ er sich von seiner Gemahlin scheiden und heiratete am 11. September 1838 Mathilde Gräfin von Kanitz. Gründe für die Scheidung könnten mit der Entmachtung Einsiedels 1830 einhergegangen sein, da dieser im Zuge der Reformbewegung in Sachsen vom Geheimen Rat und König Anton gezwungen wurde zurückzutreten.[23] Jedoch schwand auch die Privilegierung des Adels im Staatsdient. Mit zunehmend wachsenden Beamtenapparat konnten aus der quantitativen Sicht über kurz oder lang gar nicht mehr alle Stellen von adeligen Besetzt werden. Der Adel machte bereits 1843 nur noch 0,3% der Gesamtbevölkerung im Königreich Sachsens aus, wodurch die Stellen zusehends vom Bürgertum besetzt wurden.

Als zentraler Indikator für Adeligkeit wird in der deutschen Adelsforschung immer wieder der materielle Land- und Gutsbesitz als „materialisiertes Residuum gelebter Adeligkeit“[24] betrachtet. So erbte auch Friedrich im Jahr 1824 nach dem Tod seines Vaters gemeinsam mit seinen Brüdern Ernst (1800-1869) und Hermann (1802-1882) die Rittergüter Rötha, Trachenau und Rammelburg. Dabei entfiel Rammelburg auf Ernst, Rötha auf Friedrich und Trachenau auf Herrmann, welches 1846 von Friedrich erworben wurde. Es bleibt nun die Frage, welche Rolle der Landbesitz bei der Vermittlung von Adeligkeit spielte. Zunächst kann man Düselder zustimmen, wenn sie das Haus (egal ob Schloss, Gut, Burg usw.) „[f]ür das Selbstverständnis der adeligen Familie [...] [als] Ausgangspunkt ihrer Vergangenheit und Gegenwart“ betrachtet.[25] So beschreibt Matzerath den Besuch Roberts v. Welck (und noch vier weiteren adeligen Kommilitonen), welchem seit dem gemeinsamen Studium in Leipzig eine lebenslange Freundschaft mit Friedrich verband, bei einem Tagesausflug zu den Friesens auf das Gut Rötha am 15. Februar 1817. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass dieser Besuch und somit das Rittergut Rötha „[v]om Jagdvergnügen bis zur Lektüre, vom ehrenvollen Fürstendienst bis zur souveränen Auswahl der Geschichte der Vorfahren [...] Adelige zu Legitimationsstrategien anregen“[26] konnte. Jedoch war der Anteil der Rittergüter in Sachsen, welche sich im Besitz des Adels befanden bereits im 18. Jahrhundert rückläufig. So waren im Jahr 1834 von den 668 Rittergütern in den Erbladen (ohne die Oberlausitz) noch 49% im Besitz der Adligen. Bis zum Jahr 1914 ging dieser Anteil sogar auf 38% zurück. Die größeren Ertragreicheren Güter blieben zwar zumeist in adeliger Hand, jedoch wuchs im 19. Jahrhundert die Zahl derer Adeligen, die ohne Landbesitz dastanden.[27] Somit kann man der Behauptung Reifs, dass die „Grundlegende Vorraussetzung für die Selbstbehauptung des Adels [...] die Bewahrung seines Landbesitzes“[28] war, nicht zustimmen. Eine solche Haltung, den Rittergutsbesitz als Zentralindikator für Adeligkeit zu sehen, kritisiert auch Matzerath. Er stellt zurecht fest, dass dieser nicht für den Erhalt des Adels bis ins 20. Jahrhundert verantwortlich zu machen sei. In Sachsen war es dem Bürgertum schon im Ancien Regime erlaubt Rittergüter zu erwerben.[29] Doch auch jenseits der sächsischen Grenze war es beispielsweise in Preußen dem Bürgertum mittels Oktoberedikt von 1807 möglich, Rittergüter zu erwerben. Auch dort stammten „bereits in den 1840er Jahren die Mehrheit der Rittergutsbesitzer aus dem Bürgertum“.[30] Somit konnte ein Rittergut, wie oben am Beispiel der Friesens aufgeführt, natürlich Symbolisierungsmöglichkeiten bieten, jedoch kann man dies nicht auf die gesamte Sozialformation des Adels übertragen, da bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Sachsen wie auch in Preußen nur noch die Hälfte der Rittergüter in adeliger Hand lagen. Auch Marburg widerlegt eine solche Haltung, die den Besitz eines Rittergutes als eindeutiger Beweis für Adeligkeit kennzeichnet, da der Adel trotz materiellen Landverlust nach neuen Projektionsflächen seiner Adeligkeit suchte. Ging auf der einen Seite das in Familienbesitz befindliche Rittergut verloren, so konnte man andererseits in den Wohnungen ein Bild des Rittergutes aufhängen. Ein solches Bild war aufgrund seiner spezifischen Erinnerungen immer noch eine gute Quelle, aus welchem der Einzelne seine Adeligkeit speisen konnte.[31] Dennoch muss angemerkt werden, dass der Besitz eines Rittergutes in Sachsen bis zum Jahr 1831 wichtig für die Adelige Binnenkommunikation war. So war die Ständeversammlung eine traditionelle Begegnungsstätte des Adels, bei welcher ein „wesentlicher Teil der landesübergreifenden adeligen Binnenkommunikation statt[fand]“.[32] Durch die Einführung der Verfassung im Jahre 1831, wandelte sich auch diese Repräsentationsgrundlage. Mit der Verfassung war gleichzeitig ein Reformprogramm verbunden, welches mit der Einführung der allgemeinen Steuerpflicht verbunden war. Durch diese verloren die adeligen als auch bürgerlichen Rittergutsbesitzer die Befreiung der am Grundbesitz haftenden Abgaben und stellte sie den anderen Staatsbürgern gleich.[33] Mit dieser Gleichstellung ist auch ein Repräsentationsverlust einhergehend. Auch wenn in diesem Zug bürgerliche Rittergutsbesitzer im selben Maße betroffen waren, so schwand doch die Abgrenzungsleistung hinsichtlich des Bürgertums, welches keine Rittergüter besaß, und nach Matzerath auf einem ähnlich hohen Stand wie der niedere Adel rangierte, da „offensichtlich nur der vermögende Stadtbürger oder der hochrangige nichtadelige Staatsbeamte einen ähnlich hohen Stand wie der niedere Adel“ besaß.[34] Einen weiteren Wandel der Repräsentationsgrundlage brachte die Reorganisation der alten Ständeversammlung in nunmehr zwei Kammern des Landtages. Bildeten die Rittergutsbesitzer in der Ständeversammlung eine Einheit, die sich bereits als geschlossener Stand von den anderen abgrenzen konnte, so wurde diese Einheit aufgebrochen. Die II. Kammer setzte sich vollständig aus gewählten Vertretern zusammen und man schaffte hier die „persönlich begründete Teilhabe der Altadeligen am Landtag“ ab.[35] Somit saßen in dieser Kammer 20 Abgeordnete der Rittergutsbesitzer, 25 der Bauern, 25 der Städte und 5 Vertreter vom Handels- und Fabrikwesen. Die I. Kammer bildete mit der Zugehörigkeit der königlichen Prinzen, den Standesherren, Vertretern der geistlichen Korporationen, zehn auf Lebenszeit ernannte und zwölf auf Lebenszeit gewählte Rittergutsbesitzer sowie acht Bürgermeistern bevorrechtigter Städte noch Züge einer Adelskammer aus. Auch Friedrich Freiherr von Friesen gehörte während der Landtage 1833/34, 1836/37 und 1839/40 der II. Kammer an, bis er am 30. April 1842 zum Mitglied der ersten Kammer ernannt wurde.[36] Die adelige Binnenkommunikation wurde durch das neue System jedoch erheblich zerstört,weil die Gruppe sich jetzt auf zwei Kammern verteilte und die Unterscheidung von adeligen und nichtadeligen Rittergutsbesitzern in der II. Kammer sich auflöste. Somit ging auch das herkömmliche distinktive Merkmal der Landtagsfähigkeit verloren, da es auch auf die bürgerlichen Rittergutsbesitzer ausgedehnt wurde.

[...]


[1] Marburg, Silke/Matzerath, Josef: Vom Stand zur Erinnerungsgruppe. Zur Adelsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Marburg, Silke/Matzerath, Josef: Der Schritt in die Moderne. Sächsischer Adel zwischen 1763 und 1918,Köln 2001, S. 5-15, hier S. 9 und vgl. Matzerath, Josef: Adelsprobe an der Moderne. Sächsischer Adel 1763 bis 1866. Entkonkretisierung einer traditionalen Sozialformation, Stuttgart 2006a, S. 25.

[2] Matzerath, Josef: „...nicht gegen, nein für das Volk sein muß die Aristokratie“, in: Conze, Eckart/Lorenz, Sönke (Hrsg.): Die Herausforderung der Moderne. Adel in Südwestdeutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Ostfildern 2010, S. 51-58, hier S. 51.

[3] Vgl. Reif, Heinz: Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 29-39.

[4] Vgl. Matzerath, 2010, S. 51 und vgl. Wienfort, Monika: Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006, S. 134.

[5] Marx prägte im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Modernisierung den Zerfall der Gesellschaft in zwei Klassen (Klassengesellschaft). Weber Rationalisierung kann hier mit der Beschreibung des Übergangs von der stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft hin zur funktional differenzierten Gesellschaft gesehen werden. Zu den genauen Theorien vgl. Degele, Nina/Dries, Christian: Modernisierungstheorie, Stuttgart 2005, S. 46-54.

[6] Vgl. Matzerath, Josef: „Enthusiasmus für Warheit, Freiheit, Recht“ Oppositionelle Kammermitglieder aus dem Adel im Dritten Deutschland, in: Tönsmeyer, Tatjana/Velek, Luboš (Hrsg.): Adel und Politik in der Habsburgermonarchie und den Nachbarländern zwischen Absolutismus und Demokratie, München 2011a, S. 151-165, hier S. 151-152.

[7] Reif, 1999, S. 30.

[8] Vgl. ebd., S. 3.

[9] Vgl. Marburg, Silke: Europäischer Hochadel. König Johann von Sachsen (1801-1873) und die Binnenkommunikation einer Sozialformation, Berlin 2008, S. 36.

[10] Matzerath, 2006a, S. 255.

[11] Vgl. Marburg/Matzerath, 2001, S. 5-15.

[12] Vgl. Frhr. v. Friesen, Ernst: Geschichte der reichsfreiherrlichen Familie v. Friesen, 1. Bd., Dresden 1899, S. 305 und vgl. Marburg,/Matzerath, 2001, S. 11 und vgl. Matzerath, 2006, S. 165 und 169.

[13] Das Rittergut Rötha, welches sich etwa 25 km südlich von Leipzig befindet, war seit 1592 im Besitz der Familie Friesen und zugleich der Familiensitz. Es wurde von Carl von Friesen (1551-1599), der als erster der Familie Friesen hohe Ämter am kurfürstlichen Hof sowie der Regierung Einnahm (1588 zum Küchenmeister von Kurfürst Christian I. ernannt), erworben. Der Kaufbrief ist auf den 19. Dezember 1592 datiert. Das Rittergut war bis zur Enteignung im Zuge der Bodenreform 1945 in Familienbesitz. Vgl. Friesen, 1899, S. 382, vgl. http://www.archiv.sachsen.de/archive/leipzig/4264_3230353332.htm (Zugriff am: 01.03.2012) und vgl. http://saebi.isgv.de/biografie/Carl_von_Friesen_(1551-1599) (Zugriff am: 01.03.2012).

[14] Matzerath, 2006a, S. 169.

[15] Vgl. Braun, Rudolf: Konzeptionelle Bemerkungen zum Obenbleiben. Adel im 19. Jahrhundert, in: Wehler, Hans-Ulrich: Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen 1990 S. 87-95, hier S. 91.

[16] Vgl. Keller, Katrin: Landesgeschichte Sachsen, Stuttgart 2002, S. 348 und vgl. Matzerath, 2006, S. 249.

[17] Matzerath, 2006a, S. 198. und Matzerath, Josef: Was bildet den Adel? (Gruppentypische Ausbildungswege und Bindekräfte), in: Cerman, Ivo/Velek, Luboš (Hrsg.): Adelige Ausbildung. Die Herausforderung der Aufklärung und die Folgen, München 2006b, S. 83-93, hier S. 87.

[18] Vgl. Matzerath, 2006a, S. 180 und vgl. Matzerath, Josef: Der durchschossene Hut des Freiherrn v. Friesen. Zur Institutionalisierung von Adeligkeit, in: Conze, Eckart/Wienfort, Monika (Hrsg.): Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 2004, S. 237-246, hier S. 241-242.

[19] Ebd., S. 175. Zum genauen Ablauf/Veränderung der Militärischen Ausbildung Vgl. ebd., S. 172-229 (Abschnitte zur Kadettenanstalt und zum Militär).

[20] Vgl. Braun, 1990, S. 92 und vgl. Matzerath, 2006a, S. 228-229.

[21] Matzerath, 2006a, S. 184.

[22] So wurde er am 17. März 1812 zum königlichen Oberkammerherren ernannt und war zugleich Mitglied der Immediat-Comission 1813, während König Friedrich August I. im Zuge der politischen Lage 1813 nach Prag reiste. Vgl. Friesen, 1899, S. 298-300.

[23] Vgl. Friesen, 1899, S. 306-307 und Gross, Reiner: Geschichte Sachsens, Dresden 2007, S. 202.

[24] Marburg, 2008, S. 39.

[25] Düselder, Heike: Von den Menschen und den Dingen in den „hochadelichen Häusern“ – des Adelshaus als Ort europäischer Geschichte, in: Driel, Maarten van/Pohl, Meinhard/Walter, Bernd (Hrsg.): Adel verbindet. Elitenbildung und Standeskultur in Nordwestdeutschland und den Niederlanden vom 15. bis 20. Jahrhundert, Paderborn 2010, S. 155-178, hier S. 159.

[26] Matzerath 2006a, S. 207.

[27] Vgl. Keller, 2002, S. 348-349.

[28] Reif,1999, S. 9.

[29] Vgl. Matzerath, 2004, S. 240 und vgl. Reif, 1999, S. 10.

[30] Wienfort, 2006, S. 65.

[31] Vgl. Marburg, Silke: Adelige Binnenkommunikation. Moderne in Nordwestdeutschland und Sachsen, in: Driel, Maarten van/Pohl, Meinhard/Walter, Bernd (Hrsg.): Adel verbindet. Elitenbildung und Sandeskultur in Nordwestdeutschland und den Niederlanden vom 15. bis 20. Jahrhundert, Paderborn 2010, S. 217-227, hier S. 223.

[32] Matzerath, 2006a, S. 110.

[33] Vgl. Flügel, Alex: Sozialer Wandel und politische Reform in Sachsen. Rittergüter und Gutsbesitzer im Übergang von der Landeshohheit zum Konstitutionalismus 1763-1843, in: Tenfelde, Klaus/Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Wege zur Geschichte des Bürgertums, Göttingen 1994, S. 36-56, hier S. 39.

[34] Matzerath, 2006a, S. 39.

[35] Flügel, 1994, S. 39.

[36] Vgl. Friesen, 1899, S. 306.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Friedrich Freiherr von Friesen. Unterwegs im Dienste der Adeligkeit?
Untertitel
Analyse einer Reise nach Köln, Trier und Luxemburg im August 1845 aus den Tagebüchern von 1845-47
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Adel-Rittergut-Landtag
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
33
Katalognummer
V266773
ISBN (eBook)
9783656570936
ISBN (Buch)
9783656570868
Dateigröße
696 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adeligkeit, Elitenwandel, Adel, Friedrich Freiherr von Friesen, Rittergut, Sachsen, Niederer Adel
Arbeit zitieren
Sebastian Gärtner (Autor:in), 2012, Friedrich Freiherr von Friesen. Unterwegs im Dienste der Adeligkeit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266773

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