Arbeit als Recht, Einkommen als Pflicht. Das Finanztransfermodell des Bedingungslosen Grundeinkommens


Facharbeit (Schule), 2013

68 Seiten


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

0. Einleitung

1. Geschichte des BGE
1.1 Ursprünge des BGE
1.1.1 Grundeinkommen in der Antike
1.1.2 Morus Utopia /Camponellas Sonnenstaat
1.1.3 Paine’s Agrarian Justice / Fourier’s Théorie de l'Unite Universelle/ La fausse industrie
1.1.4 Popper- Lynkäus Vorstellungen einer geteilten Wirtschaft/ Debatte in den U.S.A der 60er Jahre
1.2 Historische Ansätze zur Durchführung
1.2.1 Die Poor Laws/ Das System Speenhamland
1.2.2 Der Beveridge Report
1.2.3 Versuche in Kanada und den U.S.A
1.2.4 Der Alaska Permanent Fond
1.2.5 Das brasilianische Gesetz Nr. 10.835/Quatinga Velho
1.2.6 Basic Income Grant in Namibia
1.2.7 Der Plan zum Stopp des Hungers in Indien

2. Heutige Modelle
2.1 Finanzierung
2.1.1 Natürliche Ressourcen
2.1.2 Konsumsteuer
2.1.3 Vermögens-, einkommensbezogene Steuern
2.2 Form/ Höhe
2.3 Regelmäßigkeit/ Anspruch

3. Grundeinkommen in der öffentlichen Debatte
3.1 Bestrebungen zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens im deutschsprachigen Raum
3.1.1 Österreich
3.1.2 Deutschland
3.1.3 Schweiz
3.2 Positionen politischer Parteien in Österreich zum Bedingungslosen Grundeinkommen
3.2.1 SPÖ/ ÖVP
3.2.2 FPÖ/ Die Grünen
3.2.3 BZÖ/ Team Stronach
3.2.4 KPÖ/ Piratenpartei
3.2.5 NEOS

4. Kritik am BGE/ Etwaige Widerlegungen der Kritik
4.1 Senkung der Arbeitsmoral
4.2 Grundeinkommen- Warum auch für Reiche?
4.3 Verminderung der Berufstätigkeit von Frauen
4.4 Kapitalflucht bei Vermögenssteuern
4.5 Grundeinkommen bewirkt Umverteilung von unten nach oben
4.6 Vernichtung der Exportwirtschaft wegen Inflation
4.7 Kein Ausbau von Sozialleistungen während der Krise

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Abbildungsverzeichnis

Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und sich satt gegessen hat, aber er muß warm wohnen und satt zu essen haben, wenn sich die bessere Natur in ihm regen soll“[1]

0. Einleitung

Ausgerechnet in Zeiten der größten Weltwirtschaftskrise seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und den daraus resultierenden Umständen, wie zahlungsunfähige Staaten, marode Banken, soziale Unruhen und nicht zuletzt gravierende Einsparungen im sozialen Bereich erfährt ein Modell, wie der Wohlfahrtsstaat der Zukunft aussehen könnte, (erneute) Beachtung: Das Bedingungslose Grundeinkommen - was hat man sich unter diesem Terminus vorzustellen? Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) könnte kurz zusammengefasst folgendermaßen formuliert werden: Jeder Mensch erhält unabhängig von jeglichen Lebensumständen eine Geldsumme, welche folgende Kriterien zu erfüllen hat, um als BGE gelten zu können:

- Bedingungslosigkeit : Anders, als bei bis dato herkömmlichen Methoden der staatlichen Sozialhilfe, sieht das Modell des BGE die Abschaffung jeglicher für den Erhalt der Summe obligatorischen Bedürftigkeits- und Einkommensprüfungen vor
- Individuelle Ausbezahlung : Das Grundeinkommen soll jede Person einzeln erhalten (und nicht etwa Familien)
- Sicherung der Existenz : Die Höhe der ausbezahlten Dividende muss so ausfallen, dass es den Menschen bei Erhalt dieser möglich ist, ein Leben in menschenwürdigen Umständen zu führen, auch, wenn keiner Lohnarbeit nachgegangen wird
- Auszahlung an Alle : Jedem/-r Bewohner/-in eines Gebiets/Staats steht diese Geldsumme zu.

Für jemanden, der/-die noch keine Kenntnis vom Modell des BGE genommen hat, mag ein solcher Vorschlag unrealistisch, gar absurd und ohne jeglichen Anspruch auf Gerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft wirken, da es etwa das Verhältnis von Arbeit zu Lohn neu definieren würde. Bei genauerer Recherche offenbart sich jedoch, dass es sich beim BGE um weit mehr, als eine Spinnerei verwirrter Ökonomen handelt, sondern um einen durchdachten Vorschlag mit bewegter Geschichte und (mäßiger) Präsenz in der Weltpolitik. Befürworter/-innen des Grundeinkommens verfolgen die Absicht, eine freiere und gleichzeitig auch selbstständigere Gesellschaft zu begründen ohne Zwang zur Lohnarbeit.

Da das Grundeinkommen als ein durchwegs radikaler und daher heftig umstrittener Weg die Reformierung des Sozialstaats voranzutreiben gilt, widmet sich ein umfangreiches Kapitel dieser Fachbereichsarbeit der Kritik am Grundeinkommen, da dieser Text auch als Argumentationshilfe in der Diskussion um das BGE betrachtet werden kann. Des Weiteren wird auf die Historie der Idee, ihre verschiedenen Auslegungen und ihrer Behandlung in der Öffentlichkeit eingegangen.

1.0 Die Geschichte des bedingungslosen Grundeinkommens

Obwohl die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in ihrer heutigen Form wie eine neue Forderung anmuten mag, reichen ihre Ursprünge viele Jahrhunderte weit zurück. Diese wird nachfolgend sowohl in Form der theoretischen, als auch praktischen Ausführungen erörtert.

1.1 Theoretische Ursprünge des Grundeinkommens

Eine Vielzahl an Menschen von historischer Bedeutung beschäftigte die Idee des Grundeinkommens. Ihre Vorstellungen differenzierten sich stark. In diesem Kapitel werden darum die Ideen einiger Männer aus Wirtschaft und Philosophie nach ihrem „Erscheinungsdatum“ behandelt.

1.1.1 Grundeinkommen in der Antike

Schon im Griechenland des vierten Jahrhunderts v. Chr. waren die Menschen der Meinung, dass die Grundlage für ein gelungenes Zusammenleben von der Freiheit von Sorge nach lebensnotwendigen Gütern gebildet würde. Allerdings wurden damals Arbeiten zumeist von Sklaven und Sklavinnen durchgeführt.

Parallelen zu den heutigen Vorstellungen zu einem BGE lassen sich auch im zweiten Jahrhundert vor Christus ausmachen. Der römische Volkstribun, Gaius Sempronius Gracchus erließ neben anderen Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Volkes ein Gesetz, nach dem diejenigen Plebejer, die als arbeitslos oder arbeitsunfähig galten eine kostenlose Ration an Getreide erhielten. Diese Neuerungen wurden jedoch während eines Nordafrikaaufenthalts Gracchus aufgehoben und er selbst wurde nach seiner Rückkehr ermordet.[2]

1.1.2 Morus Utopia/ Camponellas Sonnenstaat

Als ein weiterer „Urvater“ wird zumeist der englische, humanistische Autor Thomas Morus (1478-1535) genannt. In seinem Werk „Utopia“, welches für die damalige Zeit bemerkenswert fortschrittliche Überlegungen zum Thema „Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft“ enthält und als Inspirationsquelle für viele nachfolgende Menschen, die sich mit dieser Thematik befassten darstellte, findet sich im Abschnitt, „Der Utopia erstes Buch“ ein nennenswerter Hinweis.

Bevor der Reisende, Raphael, nämlich von dessen Erzählungen die Utopia handelt, genaue Auskunft über das (viele Aspekte des Sozialismus enthaltende) Gesellschaftskonstrukt auf der von ihm besuchten Insel Utopia gibt, schildert er eine Szene, wie er beim damaligen Kanzler Englands, Vater Johannes Morton, Kardinal-Erzbischof von Canterbury dinierte und in ein Streitgespräch mit einem anderen Anwesenden, der seine Verwunderung über die hohe Zahl an Diebstählen trotz der drohenden Todesstrafe aussprach, verwickelt wurde.

Der Gelehrte, Raphael, behauptet, die zwei Ursachen für die hohe Diebstahlsrate seien zum einen die viel zu hohe Anzahl an Schafen in England, welche nicht lukrativ sei und den Anbau von dem Gemeinwohl nützlichen Rohstoffen verhindere und zum anderen, die schlechten Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung, welcher aufgrund des Hungers keine Alternative zum Diebstahl bestünde. Zudem sei es für die damaligen „Arbeitslosen“ beinahe unmöglich, wieder eine Anstellung zu finden. [3]

„Schwere, schauerliche Strafen sind für die Diebe festgesetzt worden, während doch eher Vorsorge zu treffen gewesen wäre, daß Einer nicht in die harte Nothwendigkeit, zu stehlen, versetzt werde und dann infolge dessen sterben zu müssen.“[4]

In einem, 1602 veröffentlichten, der Utopia in Aufbau und Inhalt teilweise nicht unähnlichem Werk vom italienischen Philosophen und Dichter Tommaso Campanella mit dem Titel, „Der Sonnenstaat“ (orig. La cittá del Sole), welches in Form eines Gesprächs zwischen den zwei Protagonisten (a: der Grossmeister; b: der Genuese) verfasst wurde, antwortet der Genuese auf die Frage des Grossmeisters hin, ob bei den im Sonnenstaat vorherrschenden Bedingungen (Arbeit dient beispielsweise nicht als Mittel zur Geldvermehrung) noch jemand arbeiten würde, dass die Liebe der Einwohner zu ihrer Heimat als Grund dafür ausreiche. Außerdem sei (wie in Utopia und nach der Meinung vieler BGE-Befürworter/-innen) ein Überfluss an Gütern vorhanden, was zur Folge habe, dass die im Sonnenstaat für dessen Bewohner/-innen anfallende Arbeit von kurzer Dauer sei und gerne von den wissbegierigen „Sonnenstaatlern“ ausgeführt würde. In ihrer Mußezeit würden sie sich vor Allem der Wissenschaft und der Kunst widmen.[5]

Sowohl in Thomas Morus Utopia, als auch in Der Sonnenstaat von Campanella (beide Vertreter des Humanismus) herrscht in den fiktiven Gesellschaften von denen berichtet wird ein Zwang zur Arbeit für die gesamte Bevölkerung. Diese Idee wurde von vielen späteren Anhänger/-innen einer Form des bedingungslosen Grundeinkommens verworfen, da später (und heute) ein BGE als ein Mittel zur Ausweitung der Freiheit des/-r Einzelnen verstanden wurde (und wird).

1.1.3 Paine’s Agrarian Justice / Fourier’s Théorie de l'Unité Universelle & La fausse industrie

Auch Thomas Paine (1737-1809), Namensgeber der Vereinigten Staaten von Amerika und Gründervater der U.S.A befasste sich im Zeitalter der Aufklärung mit einem dem BGE nicht unähnlichen Modell, welches er in dem Band, Agrarian Justice beschrieb. Dieser Text mit Paine‘ s Vorschlägen für eine gerechtere Welt war an die damalige französische Regierung gerichtet, auf, dass sie seine Überlegungen in ihrem Handeln berücksichtigen möge. Paine’s Plan beinhaltete die Einrichtung eines nationalen Fonds, aus dem jede/-r Bürger/-in Frankreichs bei Erreichen des 22. Lebensjahrs ein einmaliger Betrag von 15 Pfund Sterling und allen Menschen ab ihrem 50. Geburtstag jährlich zehn Pfund ausbezahlt werden sollte.

Paine sah diese Geldsumme als, wie in Agrarian Justice formuliert:

„a compensation in part, for the loss of his or her natural inheritance, by the introduction of the system of landed property“[6] (in etwa: eine Entschädigung für den Verlust seines, oder ihres natürlichen Eigentums durch die Einführung des Systems des Grundbesitz)

Ein anderer Visionär und Zeitgenosse von Thomas Paine und Thomas Spence war der französische Frühsozialist, Charles Fourier (1772-1837). In "Théorie de l'Unité Universelle" findet sich ein acht Punkte starker Plan zur Verbesserung der damaligen Arbeitsbedingungen. Neben Forderungen, wie, dass ein allgemeines Recht auf Arbeit eingeführt werden sollte, so dass jede/-r, die Beschäftigung ausführen möge, die ihr/-m am ehesten entspricht, vorausgesetzt, er, oder sie hat für die Berufung entsprechende Fähigkeiten vorzuweisen, nennt Charles Fourier als den wichtigsten seiner Punkte folgenden:[7]

„..daß das Volk in diesem neuen System ein garantiertes Wohlstandsminimum genießt, das für den heutigen und den kommenden Tag ausreicht und den Menschen von aller unruhigen Sorgen um sich und seine Familie befreit"[8]

Allerdings will Fourier, anders als viele spätere Grundeinkommenbefürworter/- innen, dass die Auszahlung abhängig vom Kapital der Person, ihrer Arbeit und ihrem Talent ist.

Auch in später erschienen Schriften von Fourier, wie „La fausse industrie“ spricht er sich für ein Grundeinkommen aus, da es zur damaligen Zeit bereits nicht mehr erlaubt gewesen sei, frei zu jagen, zu fischen, zu sammeln und zu weiden und somit die Ressourcen der Erde zu nutzen.[9]

1.1.4 Popper- Lynkäus’ Vorstellungen einer geteilten Wirtschaft/ Debatte in den U.S.A der 60er Jahre

Der Gedanke eines Grundeinkommens erreichte auch Österreichische Intellektuelle. Der Schriftsteller und Philosoph, Josef Popper-Lynkeus (1838-1921) sprach sich für ein Recht jedes Individuums aus, demnach ihm ein Leben ohne Sorgen um physische Existenz zustehen müsse. Popper-Lynkeus zählte zu den für das Leben nötigen Dingen Kleidung, Nahrung, beheizte und beleuchtete Wohnmöglichkeit, bei Bedarf medizinische Hilfe und Bestattung. Zusätzlich muss laut Popper, der Mensch auch seine kulturellen Bedürfnisse (Theater, Reisen) zu befriedigen im Stande sein. Um dies zu gewährleisten, hielt er es für notwendig, das Wirtschaftssystem und das Arbeitsleben zweizuteilen. Die Teilnahme an dem einen Part der Wirtschaft, welcher für die Bereitstellung von für die Allgemeinheit bestimmten Gütern zuständig ist, (staatlich organisiert) sollte für Männer von 17 bis 29 und für Frauen von 17-24 verpflichtend sein, während die freie Wirtschaft ausschließlich für Luxusgüter bestimmt und die Partizipation an ihr freiwillig sein sollte.[10]

In den 1960er Jahren wurde ein reger Diskurs, hauptsächlich angeheizt von den Nobelpreisträgern James Tobin und Milton Friedman, um das bedingungslose Grundeinkommen in den U.S.A geführt. Während Friedman jedoch ein GE anstrebt, welches bei der Hälfte des Existenzminimums liegt und bereits bestehende Sozialleistungen ersetzen soll, wird dem U.S- Senat Tobins Modell vorgelegt. Dieses ist zur Besserstellung von benachteiligten Gesellschaftsgruppen gedacht. Bestehende Sozialleistungen werden durch automatisch ausgezahlte Beträge ergänzt (Friedmans Modell basiert auf einer Negativ-Steuer). Der Senat stimmte allerdings 1972 mit knapper Mehrheit gegen den Vorschlag, der auch im damaligen Wahlprogramm der Demokraten enthalten war.[11]

1.2 Historische Ansätze zur Durchführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens/ BGE- ähnlichem Modell bis heute

Bereits kurz nach der „Geburt“ der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens wurden in manchen Gebieten der Erde Maßnahmen zur Einführung/Durchführung getroffen. Auch heute noch existieren Projekte bei denen die Idee eines BGE (oft nicht mit allen Kritikpunkten eines geforderten Grundeinkommens übereinstimmend) nicht nur als Theorie oder Utopie herumschwirrt, sondern tatsächlich gelebt wird. Ein chronologischer Überblick:

1.2.1 Die Poor Laws/ Das System Speenhamland

Obwohl bereits seit Anfang des 16. Jahrhunderts in einigen Städten Europas Maßnahmen zur Gewährleistung einer Fürsorge für Bedürftige getroffen wurden, hatten den eigentlichen Charakter eines Grundeinkommens erst die 1579 in Schottland beziehungsweise 1601 in England in Kraft tretenden poor laws, wobei ein Recht armer Menschen auf Nahrungsmittel bestand, sofern sie den Dienst in einem der workhouses antraten, und das daraus hervorgehende „System Speenhamland“ inne.[12]

Bei dieser Methode zur Unterstützung der sozial schwachen Bevölkerungsschicht wurde im Jahre 1795 ein Mindesteinkommen festgelegt. Dieses berücksichtigte die Größe der einzelnen Haushalte, sowie den momentanen Preis für Getreide. Lag das Einkommen einer Familie unter diesem Mindesteinkommen, so ließ ihr die zuständige Gemeinde den Differentialbetrag zukommen. Allerdings wurde das System Speenhamland mit dem Prinzip der Subsidiarität gehandhabt. Will heißen: Jede Gemeinde in England und Wales legte selbst ihre Vorgehensweise in dieser Frage fest. 1834 wurde das Modell wieder außer Kraft gesetzt und es wurde wieder auf die poor laws zurückgegriffen.[13]

1.2.2 Der Beveridge Report

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, im Jahre 1945 wurde in England unter der Regierung von Clement Attlee ein weiterer Schritt in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens getan. Der liberale Politiker, William Beveridge hatte bereits während der Kriegsjahre einen Plan mit dem Titel Social Insurance and Allied Services, oder auch Beveridge Report ausgearbeitet. Ziel der darin vorgesehenen Maßnahmen war, dem vom langjährigen Krieg gebeutelten Volk eine Staatsform bieten zu können, in der jede/-r ein Recht hat auf medizinische Versorgung, einen Arbeitsplatz, Wohnraum, Bildung und ein Mindesteinkommen, welches ohne Bürokratieaufwand, will heißen: Bedürftigkeitsprüfung ausbezahlt werden sollte. Die (partielle) Durchführung des Beveridge Reports durch die Labour Party gilt als die Geburtsstunde des Wohlfahrtssystems Englands.[14]

1.2.3 Versuche in Kanada und den U.S.A

Ende der 60er- bis zum Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts fanden in Nordamerika etwa zur gleichen Zeit zwei bemerkenswerte Versuche statt, deren Ziel war, herauszufinden, welche Auswirkungen ein Grundeinkommen (im Falle dieser Experimente in Form einer negativen Einkommenssteuer) auf die dortige Bevölkerung im Hinblick auf Arbeitsmoral, Familienleben, Gesundheitsversorgung haben würde. Kanada startete das Projekt 1974 in der Stadt Dauphin, Provinz Manitoba, während in den U.S.A gleich sechs Regionen sich dem Versuch annahmen: New Jersey & Pennsylvania (städtische Bevölkerung), Gary (Afroamerikanische Alleinerziehende), North Carolina & Iowa (ländliche Bevölkerung), Seattle & Denver (keine bestimmte Zielgruppe).[15]

Die Resultate des in Dauphin gestarteten Projekts, welches mit Eintritt einer wirtschaftlichen Rezession Kanadas im Jahre 1978 ein jähes Ende fand, wurden nach dem Abbruch von der kanadischen Regierung nicht für die Öffentlichkeit freigegeben bis eine Professorin der lokalen Universität 2009 Zugang zu den Daten erhielt und diese auswerten konnte. Der erwartete Rückgang der Arbeitsbereitschaft der Bevölkerung war nicht eingetreten. Lediglich Teenager und Mütter von Neugeborenen reduzierten ihre Arbeit. Die Anzahl der Krankenhausbesuche in der Zeit des „mincome“ sank um 8.5 Prozent. Laut Berechnungen der Gesundheitswissenschafterin, Evelyn Forget würde ein Rückgang der Krankenhausbesuch, auf ganz Kanada gesehen, Einsparungen in einer Höhe von 4 Milliarden Dollar ermöglichen.[16]

In den Regionen der U.S.A, in denen das Experiment der negativen Einkommenssteuer Einzug hielt, ging die Arbeitsbereitschaft bei Männern um 7 Prozent zurück, bei Frauen sogar um 17 Prozent. Die Scheidungsraten stiegen rapide an, in Seattle, Denver, etwa, wo die Auszahlung der Dividende besonders großzügig ausfiel um ganze 20 Prozent (von 40 auf 60). Im Gegensatz zum Kanadischen Modell konnte bei den Versuchen in den Vereinigten Staaten kein Effekt auf die Gesundheit der Bevölkerung ausgemacht werden.[17]

In einem Artikel, der sich mit dieser Thematik beschäftigt heißt es:

Overall, the results suggest that the lives of recipients were

not altered dramatically by the payments offered in the experiments.”[18]

1.2.4 Der Alaska Permanent Fund

Die größten Erdölvorkommnisse des Nordamerikanischen Kontinents sind in Alaska, genauer in der Proudhoe Bay zu finden. Durch diese Bodenschätze erlangte der nördlichste und westlichste U.S- Staat großen Reichtum. Seit 1982 existiert ein Fond in den 25% der Einnahmen durch den Ölhandel fließen, der zum Ziel hat, die Bodenschätze der dortigen Bevölkerung zu Gute kommen zu lassen. Zu diesem Zweck wird jeder/-m Bürger/-in eine jährliche Dividende ausbezahlt, also ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dieser Betrag erfüllt jedoch nicht das Kriterium der Existenzsicherung. Im Jahr 2012 betrug er lediglich 878 US Dollar, nachdem er 2008, vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise eine Höhe von 2069 + eine einmalige Dividende von 1200 Dollar, also 3269 $ erreicht hatte. Der Alaska Permanent Fund brachte bisher noch keine negativen Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung (Arbeitsmoral etc) mit sich und durch ihn entwickelte sich Alaska zu einem der U.S- Bundesstaaten, in denen ausgeprägte soziale Gleichheit herrscht.[19]

1.2.5 Das brasilianische Gesetz Nr. 10.835 / Quatinga Velho

Im Dezember 2003 wurde im brasilianischen Kongress ein Gesetz beschlossen, welches im Januar 2004 vom damaligen Präsidenten des Landes, Luiz Inácio Lula da Silva unterzeichnet wurde. Dieses besagt, dass jedem/-r Bürger/-in Brasiliens, der/ die sich seit mindestens fünf Jahren in dem Land aufhält ab 2005 ein angemessenes Maß an Nahrung, Bildung und medizinischer Versorgung zusteht. Der Plan der Regierung sieht vor, zuerst die Ärmsten der Bevölkerung (50 Millionen der damals 179 Millionen Menschen lebten 2004 unter der Armutsgrenze) mit einer monatlichen Dividende auszustatten, bevor das Modell im Laufe der Jahre auf ganz Brasilien ausgeweitet werden soll.

Die Maßnahme(n) erreichte bereits über ein Viertel der brasilianischen Familien, allerdings ist die Auszahlung an bestimmte Bedingungen geknüpft: Kinder im Alter von sechs bis sechzehn Jahren müssen eine Anwesenheitsquote in der Schule von 85% erfüllen, für jüngere Kinder muss ein Nachweis für die vom Gesundheitsministerium vorgeschriebenen Impfungen erbracht werden.[20]

Unabhängig vom brasilianischen Gesetz Nr. 10.835 wurde 2008 in dem Dorf Quatinga Velho nahe Sao Paulo ein Pilotprojekt gestartet, welches die Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens auf die etwa 100 Personen der Dorfbevölkerung eruieren sollte. Initiiert wurde der Versuch von Bruna Augusto Pereira und ihrem Lebensgefährten, Marcus Vinicius Brancaglione dos Santosaus.[21]

Ein Betrag von umgerechnet zwölf Euro (entspricht insgesamt ca. 8640€ jährlich bei 60 Teilnehmenden) wird monatlich von den beiden an alle teilnehmenden Mitglieder der Gemeinde ausbezahlt, mit dem sie ihre Grundbedürfnisse des Lebens decken können. Laut Angaben von Bruna Augusto Pereira und Marcus Vinicius Brancaglione dos Santosaus zierte sich anfangs ein Großteil der Gemeinde, das Geld, das ohne Gegenleistungen ausbezahlt wurde, anzunehmen. Jetzt aber würden die Bürger/-innen trotz der Dividende, welche in der Gegend einen nicht unbeträchtlichen Betrag ausmacht weiter ihrer Beschäftigung nachgehen, vermehrt in die Selbstständigkeit wechseln und ihr Kapital zu einem Großteil in den Bau von Wohnungen, Nahrungen und Verkehrsmittel investieren.[22]

[...]


[1] Schiller, Friedrich: Friedrich Schiller an den Herzog Christian Friedrich von Augustenburg. Jena 1793 http://www.wissen-im-netz.info/literatur/schiller/briefe/vSchiller/1793/179311112.html (2013-10-18)

[2] vgl.Burian, Peggy: Das garantierte Grundeinkommen–Grundlagen und Entstehung einer Idee von der Antike bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Leipzig 2006 S.12/13 www.archiv-grundeinkommen.de/burian/Diplomarbeit-Burian-Ideengeschichte-Grundeinkommen.pdf

[3] vgl. Morus, Thomas: Utopia. Löwen 1516. http://pummi.com/jg2/Utopia.pdf S.22-34 (20.07.2013)

[4] Morus, Thomas: Utopia. Löwen 1516. http://pummi.com/jg2/Utopia.pdf S.23/24 (20.07.2013)

[5] vgl. Campanella, Tommaso: Der Sonnenstaat. Idee eines philosophischen Gemeinwesens. Ein poetischer Dialog. S. 16-17 bzw. 62 - 63 http://www.igelity.de/static/books/Campanella_Sonnenstaat/Campanella_Sonnenstaat.pdf (20.07.13)

[6] vgl. Paine, Thomas: Agrarian Justice. http://schalkenbach.org/library/henry-george/grundskyld/pdf/p_agrarian-justice.pdf S.10-11 (20-07-13)

[7] vgl.Preobashenskij, E.: Die sozialistische Alternative. Marx, Lenin und die Anarchisten über die Abschaffung des Kapitalismus. Berlin 1974 S.44

[8] vgl. Fourier, Charles: Théorie de l'Unité Universelle. Paris 1822 S.15/16

[9] vgl. Vanderborght, Yannick; Van Parijs, Philippe: Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags. Frankfurt 2005. S.23/24

[10] vgl. Burian, Peggy: Das garantierte Grundeinkommen–Grundlagen und Entstehung einer Idee von der Antike bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Leipzig 2006 S.90/91 www.archiv-grundeinkommen.de/burian/Diplomarbeit-Burian-Ideengeschichte-Grundeinkommen.pdf

[11] vgl. Löding Thomas: DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN – EINE NEOLIBERALE FORDERUNG?. Göttingen 2007 S.14-16 http://www.archiv-grundeinkommen.de/loeding/20070502-Loeding-bge-diplom.pdf

[12] vgl. Vanderborght, Yannick; Van Parijs, Philippe: Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags. Frankfurt 2005. S.15/16

[13] Ehrngruber, Marina: Das Speenhamland-System- Selbsterzeugter Pauperismus oder moderne Sozialpolitik?. Hagen 2011. S. 6

[14] vgl. Lessenich, Stephan: Das Grundeinkommen in der politischen Debatte. In: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich Ebert Stiftung (Hg.): Wiso Diskurs. Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Bonn 2009

[15] vgl. Forget, Evelyn L.: THE TOWN WITH NO POVERTY:. A history of the North American Guaranteed Annual Income Social Experiments. Manitoba 2008

[16] vgl. Belik, Vivian: A Town Without Poverty?. Canada's only experiment in guaranteed income finally gets reckoning. 2011 http://www.dominionpaper.ca/articles/4100 (23.08.13)

[17] vgl. Munell, Alicia H.: Lessons from the Income Maintenance Experiments: An Overview. http://www.bostonfed.org/economic/conf/conf30/conf30a.pdf (23.08.13)

[18] Munell, Alicia H.: Lessons from the Income Maintenance Experiments: An Overview. http://www.bostonfed.org/economic/conf/conf30/conf30a.pdf S.8 (23.08.13)

[19] vgl. Vanderborght, Yannick; Van Parijs, Philippe: Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags. Frankfurt 2005. S.35/36

[20] vgl. Suplicy, Eduardo Matarazzo: The Prospects of Basic Income in Developing Countries. The approval and sanctioning of the Basic Income Bill in Brazil: How it will be implemented. Barcelona 2004. http://www.basicincome.org/bien/pdf/2004Suplicy.pdf (13.09.2013)

[21] siehe nächste Seite

[22]vgl. Rottenfußer, Roland: „Was sonst kann so schnell und effektiv die Armut lindern?". Bedingungsloses Grundeinkommen in Brasilien. Köln 2012. http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17990 (13.09.2013)

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Details

Titel
Arbeit als Recht, Einkommen als Pflicht. Das Finanztransfermodell des Bedingungslosen Grundeinkommens
Veranstaltung
Geographie und Wirtschaftskunde
Autor
Jahr
2013
Seiten
68
Katalognummer
V266666
ISBN (eBook)
9783656574057
Dateigröße
706 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
arbeit, recht, einkommen, pflicht, finanztransfermodell, bedingungslosen, grundeinkommens
Arbeit zitieren
Markus Ramsauer (Autor:in), 2013, Arbeit als Recht, Einkommen als Pflicht. Das Finanztransfermodell des Bedingungslosen Grundeinkommens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266666

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