Ives’ Symphony No. 4. Werkanalyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einführendes – eine punktuelle biographische Skizze

2 Analyse der Symphony No. 4
2.1 Werkgeschichte und formale Gliederung
2.2 Prelude
2.3 Comedy
2.4 Fugue
2.5 Finale

3 Fazit der Perspektiven

4 Literaturverzeichnis

1 Einführendes – eine punktuelle biographische Näherung

Die Entscheidung darüber, welches Werk ich im Folgenden – dem Umfang der Arbeit angemessen – eingehend untersuchen werde, ist mir nicht leicht gefallen. Eine nicht unbeträchtliche Mitschuld trägt Glenn Gould, dessen einzigartige Rezession[1] der Uraufführung mich umgehend für die Sinfonie einnahm. Letzen Endes ist es aber vor Allem die Person Ives, die mich fesselte.

Charles E. Ives ist kein Komponist in traditionellem Sinne; so genügen auch seine Werke weitgehend keinem normativen Anspruch. Sie tragen noch geläufige Titel, wie Sinfonie, Streichquartett, Klaviersonate, etc., doch sind die damit verbunden formalen Kriterien nur noch angedeutet und dienen oft anderen Zwecken. Auch der Begriff des abgeschlossen Werkes ist deformiert, oft sogar aufgehoben.[2] Einerseits finden ganze Teile oder einzelne Zitate in mehreren Stücken Verwendung, wie zum Beispiel der Hawthorne -Satz aus der Concord Sonata, der eindeutig die Vorlage für den Comedy -Satz abgibt[3] (später auch noch für The Celestial Railroad, ein Klavierstück), andererseits ist der künstlerische Schaffensprozess, und somit der Werkbegriff, an die Einmaligkeit der Aufführung geknüpft. Die schriftliche Fixierung soll nur Umreißen. Daraus entstehen natürlich editorische und aufführungspraktische Probleme, die jedoch bewusst von Ives hervorgerufen wurden und ein wesentliches Element seines musikalischen Verständnisses ausmachen. Er selbst hat etliche, zum Teil stark differierende, Einspielungen der Concord Sonata vorgenommen. ‚Fehler’ in den Drucken wurden toleriert, wie auch der freie interpretatorische, gar improvisatorische Umgang bei der Aufführung seiner Stücke.[4]

Wie Ives in den Memos erzählt, spielte bei seiner musikalischen Prägung der Vater die entscheidende Rolle. Will man Memoiren trauen, ein in seiner musikalischen Weitsicht und väterlichen Weisheit einzigartiger Mann.[5] Als Leiter des örtlichen Musiklebens in Ives’ Geburtsstadt Danbury, Connecticut, förderte er die musikalische Ausbildung seines Sohnes nicht nur in gewöhnlichem Maße. „[He] would occasionally have us sing, for instance, a tune like The Swanee River in the key of E flat, but play the accompaniment in the key of C. This was to strech our ears and strengthen our musical minds [...].“[6] Diese grundlegende Offenheit für musikalische Experimente jeder Art war eines seiner entscheidenden Vermächtnisse[7] und kann erklären, weshalb Ives sich daran machte „den zeitgenössischen Kuchen zu verzehren, ehe überhaupt sonst jemand am Tisch Platz [fand].“[8] Nun geschah dies jedoch keinesfalls systematisch oder gar in der Absicht eine „neue Musik“ zu etablieren.[9] Die Aussagen im Zusammenhang mit der Aufführung der Three Quarter-tone Pieces sind Ausdruck dieser Haltung.

I think a good many people hearing the quarter-tone concert [...] got the wrong idea of its purpose. I tried to have both Mr. Schmitz, in the lecture, and Mr. Barth in the program, say that, as far as I was concerned, these pieces were not presented as definitly completed works of art (or attempts at works of art). They were simply studies within the limited means we had with which to study quarter tones. I must say that I think Hans Barth went at the matter in the wrong way. I helped him build his quarter-tone piano, and told him that it was the idea of having an instrument that we could work on, rather than something to exploit anything or anybody. Perhaps Barth misunderstood me,- but the concerts he has given and the way he has used the piano, to my way of thinking, have done more harm than good in interesting people in quarter tones, or developing a natural sense and use for them. (Besides, I think that new scales [...] will gradually be evolved in a natural way probably, perhaps in centuries, and that their intervals will not be (or all be) of the whole, half, or quarter tones known or so-called now.)[10]

Bevor ich mit der Einführung und anschließenden Analyse der Symphony No. 4 beginne, bedarf es noch einer Bemerkung über den amerikanischen Transzendentalismus im Leben und Schaffen von Ives. Dieser Transzendentalismus war eine literarische, politische und philosophische Bewegung des 19. Jh. in New England, nicht zu verwechseln mit dem philosophischen Schlagwort seit Kant. Der Einfluss der kantschen Transzendentalphilosophie[11], des Skeptizismus von Hume[12], der Bibelkritik von Herder und Schleiermacher[13], sowie der englischen und deutschen Romantik führte zur Ausbildung einer neuen Idee[14]. Die Transzendentalisten handelten in dem Bewusstsein, dass ein neues Zeitalter bevorstand. Sie kritisierten den unreflektierten Konformismus in der Gesellschaft[15] und glaubten, dass jeder eine persönliche Beziehung zum Universum finden könne.[16] Zum engsten Kreis um den Philosophen Ralph Waldo Emerson gehörten unter anderen Henry David Thoreau und Amos Bronson Alcott. In den 1840er Jahren gründeten Sie zusammen mit anderen Transzendentalisten Brook Farm, Fruitlands and Walden; soziale Projekte, die man heutzutage am ehesten als Kommune bezeichnen könnte. Ives stand dieser Bewegung sehr nahe[17], er selbst hat sich in mehreren philosophischen und politischen Schriften zu den Ideen des amerikanischen Transzendentalismus und darüber hinaus geäußert. Aber auch die amerikanischen Romantiker wie Poe, Whitman, Browning und Hawthorne weckten sein Interesse. Die Concord Sonata, benannt nach dem „Weimar der USA“[18], basiert im Grunde auf der Idee der Men of Literature Overtures, einer Reihe von Ouvertüren über berühmte Schriftsteller, von denen nur eine Einzige fertig gestellt wurde - die Robert Browning Overture.[19] Die Satzfolge der Concord Sonata: Emerson, Hawthorne, The Alcotts, Thoreau, und die Essays before a Sonata zeigen deutlich wie intensiv Ives mit der Thematik umging.

Dies soll als Beispiel genügen, ich denke es sind nun genügend Fakten im Spiel, damit die Analyse, aber insbesondere die daran anschließende Interpretation nicht den Eindruck erweckt auf tönernen Füssen zu stehen.

[...]


[1] Vgl. Gould: Glenn Gould Reader, S. 185-189, ursprünglich gedruckt in Musical America, Juli 1965.

[2] Vgl. Rathert: Ives’ Vermächtnis, S. 16 und S. 22.

[3] Vgl. Ives: Memos, S. 66: „The second movement [...] is in some places an orchestration of the ‚Celestial Railroad’ idea from the second movement of the Concord Sonata, which I was working on at the same time.“

[4] Vgl. ebd. S. 191f: „Especially in Hawthorne, it´s important to get the ‚gist and swat’ agoing than to slow up to get the written notes. Thus some notes are detail [...]. In fact, these notes, marks, and near pictures of sound etc. are in a kind of way a platform for the player to make his own speeches on.“

[5] Vgl. ebd. S. 38-48: „Father had a kind of natural interest in sounds of every kind, every-where, known or unknown, measured ‚as such’ or not [...].“ und S. 114f: „What my father did for me was not only in his teaching, on the technical side, etc., but in his influence, his personality, character, and open-mindedness, and his remarkable understanding of the ways of a boy’s heart and mind.“

[6] Ebd. S. 115.

[7] Vgl. ebd. S. 108f: „[...] As a boy I had heard some quarter-tone experiments of Father, and this division or other divisions of the tone were not entirely unfamiliar to me. In the Sunday-School room of the Central Presbyterian Church, New York, ther were, for a while, two pianos which happened to be just about a quarter tone apart, and tried out a few chords then.“

[8] Strawinsky: Erinnerungen und Gespräche, S. 39.

[9] Vgl. Ives: Essays Before a Sonata, the Majority and Other Writings, S. 105: „Even though Ives wrote at length concerning broad underlying concepts affecting musical style and expression, he wrote little that dealt with technical or theoretical problems. Rather, he coped with such problems in actual tones; if he had a theoretical idea, he wrote an experimental piece, and there are many of them among his manuscripts.“

[10] Ives: Memos, S. 111.

[11] Vgl. Bloch: Neuzeitliche Philosophie II, S. 50-61: Kants Erkenntnistheorie basiert auf zwei grundverschiedenen Arten von Erfahrung, analytischer bzw. synthetischer. Das Begriffpaar a posteriori und a priori gehen damit einher. Die erkenntnistheoretisch interessanten Apperzerptionen sind apodiktische synthetische Urteile; diese sind zwangläufig a priori. Das a priori seit Kant „ist das, was auftaucht, wenn ich den Schritt von der Erkenntnis zurücktrete, das, was die Erkenntnis begründet, der Ansatzpunkt, dass überhaupt erkannt werden kann, das der Erkenntnis zu Grunde liegende. [...] Das zum apodiktischen Erkennen Vorausgesetzte [...] ist nicht selbst Gegenstand der Erfahrung, sondern das die Erfahrung und die wissenschaftliche Erfassung ihrer Gegenstände Begründende. Das muss nun apriorisch belauscht werden mit einer Methode, und diese nennt Kant die transzendentale Methode. [...] Apodiktische Erkenntnisse gibt es [...] nur auf mathematisch-physikalischem Gebiet. Es muss transzendental, das heißt auf der Suche nach dem a priori Begründenden der Erfahrung herausgebracht werden, wie synthetische Urteile a priori in Mathematik und reiner Naturwissenschaft möglich sind. Sie sind da, es fehlt ihnen aber der letzte Erweis, die letzte wissenschaftliche Legitimation aus der Vernunft selbst. Es gibt keine Philosophie der Mathematik und der reinen Naturwissenschaft, die diese Begründung lieferte.“ Kant versucht dies mittels des transzendentalen Idealismus, der ein Idealismus der Erzeugung ist, kein subjektiver Idealismus (Berkeley) des individuellen Bewusstseins, kein objektiver Idealismus (Hegel) des Weltgeistes, sondern das Menschheitsbewusstsein überhaupt. Hier ist der Ort, wo die Synthesis vor sich geht – „die transzendentale Synthesis der Apperzeption.“ Meinem Verständnis nach gehört aber gerade die Annahme einer transzendentalen Lokalität, eines a priori, in den Bereich der Transzendenz, zu mindest per definitionem. Das a priori ist schließlich kausal als Notwendigkeit erwiesen – die Bedingung eines objektiven Ortes, der vor jeder Erkenntnis liegt, befreit erst die Apodiktik vom leisen Vorwurf der Perzeption - und trägt daher zwangläufig axiomatischen Charakter, auch wenn Kant diesen ausschließt.

[12] Vgl. ebd. S. 233-251: Humes Skepsis richtet sich in erster Linie gegen das Dogma der reinen Vernunft, „die universale Mathematik, die scheinbar Grundwissenschaft aus reiner Vernunft ist, die bloß in sich selbst spinnt und ein einziges Konsequenzmachen ist ohne Blick auf die Außenwelt, die ohne Sinnesdaten Erkenntnisse höherer Welten dogmatisch gewinnen will.“

[13] Hirschberger: Geschichte der Philosophie, Bd.II, S. 398f: Über Schleiermacher:„Der Glaube sei [...] etwas Eigenes, Letztes; er ist reines Gefühl, und zwar das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit angesichts des Alls. Anschauen und Fühlen des Universums, das sei Religion. [...] Die Dogmen der Religion als Philosopheme aufzufassen oder in der Theologie philosophieren zu wollen heiße die Grenzen der beiden Gebiete des Wissens und des Glaubens verschieben. Beides sei voneinander gänzlich unabhängig. Gott ist keine theoretische Tatsache, sondern eine solche des Gefühls.“ Über Herder: „Durch [Herder, u.a.] werden jene Seiten der Wirklichkeit wieder in den Vordergrund gerückt, die die generalisierende Verstandeskultur der Aufklärung vernachlässigt hatte: das Irrationale, das Historische und Individuelle und die Sinnhaftigkeit des religiösen Glaubens als einer eigenen spezifischen Erscheinung des geistigen Lebens.“

[14] Goodman: Transcendentalism: „For many of the transcendentalists the term ‚transcendentalism’ represented nothing so technical as an inquiry into the presuppositions of human experience, but a new confidence in and appreciation of mind’s powers, and a modern, non-doctrinal spirituality.“

[15] Vgl. Thoreau: On the duty of Civil Disobedience.

[16] Vgl. Goodman: Transcendentalism.

[17] Vgl. Ives: Essays, S. XIV: „Ives must have come into early contact with the Concord writers whose work was to affect him so deeply. There is an allusion in the Essays Before A Sonata to the comfort he derived from Thoreau at the time of his father’s death, which occurred in 1894, Ives’ first year in college. Cowell says (p. 36) that Ives submitted an undergraduate essay on Emerson to a Yale literary magazine, which, however, was rejected. By 1904, Ives had composed an Orchard House Overture, named for the Concord home of the Alcotts. The fascination for Concord persisted, as on their honeymoon in 1908 Mr. And Mrs. Ives visited the town. The main work on the Sonata began in the year after this, and was finished about 1915. The Iveses again visited Concord in 1916; the Essays were in process at that time. It can be seen from all these circumstances how sustained and consistent was Ives’ interest in the town and its philosophers. The Sonata and Essays were the culmination of years of thought and work, and Concord and its ‚divinities’ were immersed in the ferment of Ives’ creative activity from his student days onward.“

[18] Schulz: Transzendentalismus, S. 109. Fast alle nennenswerten Autoren des 19. Jahrhunderts hielten sich eine Zeitlang in Concord, Massachusetts auf, so dass das Städtchen bis heute nichts von seiner Anziehungskraft für kulturhistorisch Interessierte eingebüßt hat.

[19] Vgl. Ives: Memos, S. 76.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Ives’ Symphony No. 4. Werkanalyse
Hochschule
Hochschule für Musik Köln
Veranstaltung
Musiktheorie
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V266665
ISBN (eBook)
9783656574002
ISBN (Buch)
9783656573968
Dateigröße
1670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ives, Sinfonie Nr. 4, Werkanalyse
Arbeit zitieren
Sebastian Madyda (Autor:in), 2005, Ives’ Symphony No. 4. Werkanalyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266665

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