Leseprobe
KAPITELÜBERSICHT
VORWORT
1 SINN
2 WÜRDE
2.1 LEBEN
2.2 FREIHEIT
2.3 TREUE
2.3.1 GEWISSEN
2.3.2 SICHERHEIT
2.3.3 BILDUNG
2.3.4 TRAUM
2.3.5 TRAUMA
2.4 GLÜCK
2.5 FRIEDEN
2.6 ERLÖSUNG
3 HALTUNG
3.1 EMPFÄNGNIS
3.1.1 TRIEB
3.1.2 TUGEND
3.1.3 MORAL
3.1.4 REIFE
3.2 GESTALTUNG
3.2.1 MOTIV
3.2.1.1 INSTINKT
3.2.1.2 EHRE
3.2.1.3 GLAUBE
3.2.1.4 PRÄGUNG
3.2.1.5 ERZIEHUNG
3.2.2 FORM
3.2.3 STIL
3.2.4 WERT
3.2.5 KULTUR
3.2.6 CHARAKTER
KONKLUSION
HINWEIS
VORWORT
Potsdam, im Dezember 2013
In einer Zeit, in der alles beliebig, jeder ersetzbar und nichts gebunden scheint, soll diese Schrift ein Plädoyer wider die Gleichgültigkeit sein, denn diese stiftet keinen Sinn.
Die Weisheit des Konservatismus eröffnet dagegen die bestmöglichen persönlichen Voraussetzungen für Gültigkeit und damit für ein sinnerfülltes Dasein.
Um die genannte These zu belegen, soll diese Schrift einen Bogen spannen zwischen der Frage nach dem Sinn des Daseins (Kapitel 1), den äußeren Umständen, welche den Sinn beeinflussen (Kapitel 2) und der inneren Haltung, welche dem Menschen eine möglichst sinnstiftende Gestaltung der Umstände erlaubt (Kapitel 3).
Simon Beckert
1 SINN
Die Frage nach dem Sinn des Daseins ist kaum abschließend zu beantworten. Gleichwohl kann man sich der Antwort nähern, indem man die Frage umgekehrt stellt: unter welchen Umständen verliert das Dasein an Sinn?
Sinnlos ist das Dasein immer dann, wenn es egal – also gleichgültig – erscheint, wie es gelebt wird und ob es gelebt wird. Folglich gewinnt das Dasein an Sinn, je weniger egal – also je gültiger es ausgestaltet ist.
Gleiches lässt sich für den Sinn von Dingen und Ideen feststellen: ist es egal, ob etwas existiert – herrscht dieser Sache oder Idee gegenüber also Gleichgültigkeit – so wird sie nicht von Dauer sein und irgendwann durch etwas Gültigeres ersetzt werden.
Gültigkeit bedeutet folglich (Über–)Leben und Gleichgültigkeit den Tod. Die Wirkung von Ideen, Handlungen und Werken kann auch weit über das materielle Ableben ihrer Schöpfer hinaus Bestand haben – etwas lebt davon also weiter, während anderes dagegen an Gültigkeit verliert und schließlich gleichgültig wird, also dann tatsächlich stirbt.
So haben Stücke von Mozart beispielsweise bis heute Gültigkeit, da sie den Menschen nicht gleichgültig sind – Mozart lebt also durch seine Werke fort, während seine Essgewohnheiten den meisten wohl eher gleichgültig sind und damit in Vergessenheit geraten, also sterben.
Gültigkeit kann man in zwei wesentliche Kategorien aufteilen: Empfängnis von Gültigkeit (Leben) und Gestaltung von Gültigkeit (Freiheit). Aus den Chancen, Gültigkeit zu Empfangen und zu Gestalten entwickelt sich Würde. Diese ist die Grundlage für Glück, Frieden und Erlösung.
Um dem Leben einen Sinn zu verleihen und um tatsächlich einen Zustand von Glück, Frieden und Erlösung zu erlangen, müssen die Chancen auf Empfängnis (Leben) und Gestaltung (Freiheit) jedoch auch genutzt werden. Dazu benötigt man ein möglichst hohes Maß an Empfängnis– und Gestaltungsoptionen. Diese werden Reife und Charakter genannt und durch die Haltung eines Menschen zusammengefasst.
Der Mensch benötigt von seinem Umfeld also ein möglichst hohes Maß an Würde (Leben + Freiheit) und aus sich selbst heraus eine besonders ausgeprägte Haltung (Reife + Charakter), um dem Dasein Sinn zu verleihen.
2 WÜRDE
Die Würde ist die Summe aus Empfängnis– und Gestaltungschancen. Sie beschreibt also die Summe aus den Möglichkeiten, Gültigkeit zu empfangen (Leben) und sie gestalten zu können (Freiheit). Entsprechend schwindet die Würde in dem Maße, wie einem das Leben und / oder die Freiheit entzogen wird. Ein Mensch, welcher etwa von der Gemeinschaft verfolgt und seines Lebens bedroht wird, oder der einem Großteil der Gemeinschaft weitgehend gleichgültig ist (z.B. Obdachloser), verfügt vielleicht über ein hohes Maß an Freiheit, wird jedoch nicht den erwünschten Grad an Würde besitzen, da ihm ohne den Schutz der Gemeinschaft ein empfindliches Maß an (Über–)Lebenschancen entzogen ist. Gleiches gilt bei dem Entzug von Freiheit: ein unfreier Knecht besitzt zwar Gültigkeit (Leben), es ist ihm und seinem Herrn also nicht egal, ob er da ist, er verfügt jedoch aufgrund seiner Abhängigkeit und Rechtlosigkeit keine nennenswerte Freiheit und damit wird ihm ein wesentlicher Teil seiner Würde entzogen.
In den meisten Gesellschaften wird Würde auch auf bestimmte Funktionsträger übertragen. So verfügt ein Richter beispielsweise in der Regel über einen besonderen Schutz (Leben) und über eine besondere Freiheit in seinen Entscheidungen, was ihm eine entsprechend hervorgehobene Amtswürde — und damit Autorität — verleiht. Der besondere Schutz und die herausgehobenen Freiheiten von Würdenträgern spiegeln sich häufig in einem entsprechend würdigen Kult (Rituale, Symbole, Kleidung etc.) wider, so steht eine Krone etwa für eine königliche Würde, ein militärischer Gruß für die Würdigung eines Vorgesetzten und ein Blaulicht für eine besondere polizeiliche Würde (besondere exekutive Befugnisse).
Würdevolle Menschen strahlen Autorität aus, was sie zu gemeinschaftsgefälligen Vorbildern macht: Autorität ist dabei das, aus freiem Willen zugesprochene, gesunde Maß zwischen Anarchie (Recht des Stärkeren, Abwesenheit von Sicherheit) und Autokratie (Recht des Stärksten, Abwesenheit von Freiheit).
Es ist allerdings auch möglich, dass sich jemand der ihm übertragenen besonderen Würde als, im wahrsten Sinne des Wortes, unwürdig erweist, indem er die besonderen Freiheiten und Rechte missbraucht und seinen damit verbundenen Pflichten nicht gerecht wird. Ein Beispiel dafür wäre etwa ein korrupter Beamter, ein marodierender Soldat oder ein lasterhafter Geistlicher. Auch kann man sich selbst eines Teiles seiner Würde berauben, indem man ohne Not auf Freiheiten (z.B. Kriecherei, vorauseilender Gehorsam, Lethargie) oder auf Lebenschancen (z.B. Sucht, Selbstmord, Masochismus) verzichtet.
2.1 LEBEN
Leben bedeutet gültig sein. Das Leben ist also mit einem naturgesetzlichen Bedürfnis nach Gültigkeit (Geltungsbedürfnis) verbunden, wohingegen das Sterben mit einem Verlust dieses Bedürfnisses einhergeht. Für ungültig wird das erklärt, was der eigenen Gültigkeit entgegensteht. Ungültigkeit ist aber ebenfalls eine Form der Gültigkeit, denn es kann nur etwas abgelehnt werden, das existiert (materiell oder geistig), also gültig ist.
Das reine (Über–)Leben ist durch die Empfängnis von Gültigkeit gewährleistet, es wird also durch die Summe an Empfängnischancen gesichert.
2.2 FREIHEIT
Freiheit eröffnet neben der Empfängnis eine weitere Möglichkeit, Gültigkeit zu erlangen: die Gestaltung. Freiheit beschreibt also die Summe an Gestaltungschancen. Durch Gestaltung erreicht man eine indirekte Form der eigenen Gültigkeit: ohne den Gestaltenden hätte es die Gestaltung nicht gegeben, woraus folgt, dass es nicht gleichgültig ist, dass der Gestaltende existiert.
2.3 TREUE
Gültigkeit ist zunächst ein reiner Zustand der Gegenwart. Sie wird immer neu empfangen und immer neu vergeben, so dass ein steter Wandel entsteht. Lebewesen, die über eine Wahrnehmung von Zeit verfügen, die sich selbst also im Kontext einer Vergangenheit und einer Zukunft verstehen, beginnen Gültigkeiten zeitlich zu binden, da ihnen dies Sicherheit verspricht: es bilden sich Treueverhältnisse heraus. Gegenseitige Treue führt also zur Versicherung auf Gültigkeit.
Treue setzt Ehrlichkeit (Ehrenhaftigkeit) voraus, denn nur wenn sie wahrhaftig ist, schafft sie tatsächlich Sicherheit. Eine vorgetäuschte Treue (Lüge) ist naturgemäß keine Versicherung auf Gültigkeit sondern nur ein Trugbild. Damit ist die Lüge schlimmer noch als die offene Kündigung eines Treueverhältnisses, denn sie wiegt den anderen in einer vermeintlichen Sicherheit, deren überraschender Bruch dann traumatische Folgen nach sich zieht.
Manche Menschen verbringen ihr ganzes Leben in vorgetäuschten Treueverhältnissen (Lebenslüge), da sie sich von der Aufrechterhaltung eines Treueverhältnisses Gültigkeit versprechen, auch wenn sie sich wahrhaftig nicht (mehr) damit verbunden fühlen bzw. aufgrund eines heimlichen Treuebruchs nicht mehr verbunden fühlen können.
Nicht ohne Grund bleiben den Menschen die Helden und Heiligen (maximale Treue) als Symbol für das, was man in vorbildlicher Weise für gültig erachtet — auch wenn diese möglicherweise auf tragische Weise gescheitert sind — und die Verräter (maximaler Treuebruch) als Symbol für das, was man in vorbildlicher Weise für ungültig erachtet, am längsten im kollektiven Gedächtnis; es bleiben also beide als ehrenhafte bzw. schändliche Vorbilder lebendig (gültig).
2.3.1 GEWISSEN
Das Gewissen ist das Gefühlssystem, welches an bestehende wahrhaftige Treueverhältnisse erinnert. Der Bruch eines Treueverhältnisses erzeugt ein schlechtes Gewissen. Dies ist insofern ein bestürzendes Erlebnis, da der Treuebruch nicht nur das Opfer traumatisiert, sondern auch den Täter, sofern das gebrochene Treueverhältnis zuvor aufrichtig war:
Der Täter stellt durch seinen Treuebruch fest, dass, wenn er selbst die Möglichkeit hat, Treue zu brechen, dies durchaus auch ihm gegenüber möglich sein kann. Damit geht das zunächst bestehende und sehr stärkende Urvertrauen eines Menschen, welches von Kind an besteht, zu Bruch und der Treuebrecher erleidet damit ebenfalls einen Verlust an Sicherheit und damit an Chance zum Glück. Bei unaufrichtiger Treue (Lüge) sind die Gewissensbisse entsprechend geringer, allerdings verursacht auch dieses die wechselseitige Erkenntnis, dass Treue nur vorgetäuscht sein kann, was wiederum — auch für den Treuebrecher — mit einem Verlust an Vertrauen, Sicherheit und damit Glückschance einhergeht. Das Gewissen ist also maßgeblich von der Wahrhaftigkeit und auch der Kenntnis von Treueverhältnissen abhängig.
So dürfte es beispielsweise größere Gewissensbisse verursachen, wenn ein Kind seine eigene Mutter belügt, als wenn es dies einem fremden Kind gegenüber tut, welches ihm zuvor ein Spielzeug weggenommen hat.
Durch Reue, Vergebung, Sühne, Buße, Rache, Entschuldigung oder Verurteilung kann der Treuebruch wieder geheilt oder zumindest abgestraft werden, womit sich dann auch das Trauma wieder vermindert; schließlich war der Treuebruch dann letztlich nicht erfolgreich und es kehrt ein Gefühl der relativen Sicherheit darüber zurück, dass sich die Wahrung der Treue auf lange Sicht doch lohnt und dass daher die meisten Treueverhältnisse wohl auch Bestand haben und wahrhaftig sein dürften.
2.3.2 SICHERHEIT
Im steten Streben nach Gültigkeit können die Chancen des Einen die eines Anderen einschränken: so kommt es zum Wettbewerb. Um zu verhindern, dass darunter die Gemeinschaft leidet, entwickelt diese Rechtssysteme, welche Regeln für den Wettbewerb ausbilden. Die Entwicklung, Kontrolle und Durchsetzung dieser Regeln wird, in einem gegenseitigen Treueverhältnis (Legitimität), einem gemeinschaftlichen Organ auf der Grundlage eines Wertesystems übertragen.
Bei einer Räuberbande könnte man ein selbstgefälliges (triebhaftes) Wertesystem und einen diktatorischen Stil erwarten. Bei einer Demokratie wird die Gewalt gemeinschaftsgefällig (tugendhaft) geteilt und durch eine rechtsstaatliche Verfassung abgesichert. In einem Gottesstaat wird die Gewalt auf gottgefällige (moralische) Weise ausgeübt, sie unterliegt hierbei also einer nicht zu hinterfragenden Auslegung moralischer Grundsätze. Selbstverständlich sind dies nur beispielhafte Facetten, so sind durchaus auch demokratisch organisierte Räuberbanden, korrupte Demokratien oder bodenständige Gottesstaaten denkbar.
Die an eine Rechtsordnung gebundene Kontrolle von Gewalt durch die Gemeinschaft führt zu Sicherheit innerhalb einer bestehenden Gesellschaftsordnung. Die Aufrechterhaltung der Ordnung setzt allerdings wahrhaftige Treue voraus.
Nicht umsonst lastet auf Amtsträgern, die für die Wahrung und Durchsetzung des Rechts und der bestehenden Ordnung (Summe an Treueverhältnissen) zuständig sind, eine ganz besondere Bürde, die im Gegenzug jedoch durch eine ganz besondere Würde vergolten wird. Je ausgeprägter die gesellschaftliche Würdigung beispielsweise von Richtern, Soldaten, Polizisten oder Notaren ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese die Treue halten und damit steigt die gemeinschaftliche Sicherheit. Gesellschaften, die etwa unter marodierenden und korrupten Sicherheits– und Justizorganen leiden, kennen den wahren Wert der Treue für die gemeinschaftliche Chance auf Glück (Frieden).
Wer für seine Treue gewürdigt wird, erhält Bestätigung für sein zukünftiges Verhalten und dient als Vorbild für andere, denn die Würdigung erhöht seine Lebens– und Freiheitschancen (Würde) und damit seine Chance auf Glück. Der Treuebrecher wird dagegen mit Schande bestraft und in seinen Lebens– und Freiheitschancen beschränkt (z.B. Haft). Je öffentlicher und folgenreicher eine Würdigung bzw. Schändung ist, desto größer ist die vorbildhafte Wirkung auf die Gemeinschaft und damit die zu erwartende Erhöhung der Sicherheit.
Sicherheit steht aber in Konkurrenz zur Freiheit. Eine zu drastische Durchsetzung (z.B. Todesstrafe, Spitzelterror) und eine zu starke Ausbildung von Treueverhältnissen (z.B. Totalitarismus), etwa in jeden Lebens– und Entscheidungsbereich hinein, steht aufgrund des damit einhergehenden Verlustes an Gestaltungschancen (Freiheit) der Würde und damit der Chance auf Glück, Frieden und Erlösung entgegen: es kommt also auf die Balance an.
Selbst repressivste Unrechtsregime (z.B. Diktaturen, Sklavenhaltergesellschaften) lassen den Menschen oftmals einen geringen Freiheitsgrad, etwa im Bereich der Familie oder im Glauben, da der Drang der Menschen nach Würde und damit nach Glück, Frieden und Erlösung sonst die Gesellschaftsordnung gewaltsam verändert (Revolte, Meuterei, Revolution). Meist ist es nur eine Frage der Zeit, wie lange eine entwürdigende Gesellschaftsordnung Bestand hat. So kann ein zu ausgeprägtes Sicherheitsbestreben, der Sicherheit selbst entgegenstehen, da es die Legitimität (Gültigkeit) der Gesellschaftsordnung in Frage stellt.
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- Simon Beckert (Autor:in), 2013, Weisheit des Konservatismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266347
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