Das Wesen der Freundschaft in Platons Lysis


Hausarbeit, 2003

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

I. EINFÜHRUNG
I. 1. Aus dem Inhalt
I. 2. Die Aporie und der mühsame Weg zur Hintertür
I. 3. Die Mehrdeutigkeit des Wortes philia

II. DAS WESEN DER FREUNDSCHAFT IM DIALOG LYSIS
II. 1. Platons Fragestellung
II. 2. Auf der Suche nach dem Wesen der Freundschaft
II. 3. Durch die Hintertür – ein Ausweg aus der Aporie
II. 4. Hippothales – ein Begehren fern von wahrer Freundschaft

III. AUSBLICKE
III.1. Platons Freundschaftsmodell im Vergleich mit der Psychologie
III. 2. Lysis heute – ein Plädoyer wider den Egoismus

Schlussreflexion

Bibliographie

Vorbemerkung

Die Ihnen vorliegende Hausarbeit hat zum Ziel, eine detaillierte Interpretation des Dialoges Lysis im Hinblick auf das von Platon entwickelte Modell vom Wesen der Freundschaft darzulegen. In der Einführung wird ein kurzer Überblick über das Geschehen in dem Dialog geboten. Anschließend wird erläutert, warum bei der Lektüre des Lysis streng zwischen der Ebene des Dialoges und der Ebene der Sachlichkeit unterschieden werden muss. Hierbei soll auf eine mögliche Lösung der Schlussaporie hingewiesen werden. Zur weiteren Vorbereitung werden die zwei verschiedenen Bedeutungen von philia dargelegt.

Zu Beginn des Hauptteils soll Platons Fragestellung im Hinblick darauf, was Freundschaft begründet und erhält, erläutert werden. Anhand des Primärtextes, eigenen Überlegungen und Sekundärliteratur von Rang wird dann das Wesen der Freundschaft in Verbindung mit der Bedeutung der Begriffe to agathon, to prõton philon und to oikeion interpretiert. In der Folge wird ein sachlicher Ausweg aus der Schlussaporie aufgezeigt. Schließlich soll am Beispiel des Hippothales gezeigt werden, dass falsches Begehren nicht zu wahrer Freundschaft führen kann.

In den Ausblicken wird Platons Freundschaftsmodell mit den Erkenntnissen der Psychologie und anderen Theorien der empirischen Wissenschaften auf diesem Gebiet verglichen. Hierbei soll auf Platons besondere These der Selbstlosigkeit hingewiesen werden, die Platons Lysis auch für den Leser des 21.Jahrhunderts im Hinblick auf das Wesen der Freundschaft zur interessanten und wichtigen Lektüre macht.

Tübingen, im August 2003

I. EINFÜHRUNG

I. 1. Aus dem Inhalt

Sokrates trifft vor einer Palaistra außerhalb der Stadtmauern Athens einige junge Männer. Unter ihnen ist Hippothales, der unsterblich in den jungen und schönen Lysis verliebt ist. Trotz unermüdlichen Liebesbekundungen wird seine Liebe (erõs) nicht erwidert. Sokrates kritisiert, dass seine Gedichte und Gesänge nicht auf Lysis, sondern auf ihn selbst abzielen würden. Außerdem würden sie Lysis eingebildet und so noch unerreichbarer machen. Sokrates verrät Hippothales’ auf dessen Wunsch hin, wie er besser mit Lysis umgehen könne. In der Palaistra kommen daraufhin Hippothales, Lysis, dessen bester Freund Menexenos und Sokrates zusammen. Mit dem Schauplatz ändert sich das Thema. Aus erõs wird Freundesliebe (philia). Im Gespräch mit den Jungen versucht Sokrates unter anderem zu klären, warum Menschen Freundschaften eingehen, warum bestimmte Menschen miteinander befreundet sind, andere hingegen nicht und welchen Wert die Freundschaft hat. Dabei werden Thesen aufgestellt und wieder verworfen, Argumente gesammelt und wieder entkräftet; vermeintliche Lösungswege werden zu Irrwegen, Zwischenziele werden erreicht, um schließlich nebeneinander nur widerspruchsvoll und ausweglos stehen zu bleiben. Nachdem die Gesprächspartner verschiedene, sich widersprechende Ansätze durchgegangen sind, kommt Sokrates zu dem Schluss: „wenn aber nichts von diesen etwas Freundschaftliches ist, weiß ich wirklich nicht mehr, was ich sagen soll.“ (222e)

Sokrates mahnt dazu, das Gesagte noch einmal zu überdenken. Er selbst will das Gespräch mit einem der zuhörenden jungen Männer weiterführen. Doch die betrunkenen Paidagogen von Lysis und Menexenos bereiten der Gesprächsrunde ein jähes Ende. Sokrates und seine jungen Dialogpartner müssen auseinander gehen, ohne den wahren Gehalt der Freundschaft herausgefunden zu haben.

I. 2. Die Aporie und der mühsame Weg zur Hintertür

Sicher kann ein Leser, der nach dem Wesen der Freundschaft sucht, nach einer ersten oberflächlichen Lektüre des Dialogs Lysis eine gewisse Enttäuschung nicht leugnen. Selbstverständlich hat er bei Platon keinen philosophischen Traktat erwartet. Aber dass er am Ende scheinbar ganz ohne eine Antwort dasteht, kommt dann doch etwas überraschend. Die ständigen Widersprüche und schließlich die Schlussaporie verwunderten auch einzelne Interpreten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Hinzu kam, dass für sie der Dialog jeglichen Gehalt und jegliche Substanz vermissen ließ, so dass sie Platon kurzerhand die Autorenschaft des Lysis absprachen.[1] Dabei hat Platon durchaus so genannte aporetische Definitionsdialoge verfasst. So bekräftigt auch Egidius Schmalzriedt, dass der Dialog vereinzelt ganz den Eindruck erwecke,

„als handle es sich im Lysis um ein typisches Beispiel jener aporetischen Frühdialoge, die Definitionsversuch an Definitionsversuch reihen und am Ende doch nicht über den Anfang hinausgekommen sind.“[2]

Sollte sich der Leser also tatsächlich mit der Ergebnislosigkeit abfinden und den Dialog, ohne mehr Zeit mit ihm zu verlieren, zurück ins Bücherregal stellen? Nun, das wäre mit Sicherheit am wenigsten im Sinne des Verfassers, wofür uns Platon im Dialog selbst Hinweise gibt. Egidius Schmalzriedt und Michael Bordt sind sich dahingegen einig, dass Lysis nicht als historischer Bericht, sondern als fiktiver Dialog zu verstehen ist. „Wir müssen uns fragen, warum Platon die Dinge so schreibt, wie er sie schreibt.“[3] Schmalzriedt führt hierbei vor allem kompositorische Gesichtspunkte ins Feld, warum Lysis eben nicht mit aporetischen Dialogen wie Eythyphron oder Charmides zu vergleichen ist[4]. Bordt erläutert die wichtige Erkenntnis, dass bei der Lektüre des Lysis streng zwischen der Ebene des Dialogs und der Ebene der Sachlichkeit unterschieden werden muss.

„Das bedeutet, dass nicht jeder Widerspruch und jede Aporie auf der Ebene des Dialogs implizieren muß, Platon sei der Auffassung gewesen, der Widerspruch und die Aporie sei aus sachlichen Gründen gegeben.“[5]

Platon kann also unterstellt werden, dass er Sokrates nicht nur bewusst Fehler machen lässt. Der aufmerksame Leser kann möglicherweise sogar herausfinden, dass gerade die Schlussaporie erst durch eine Ungereimtheit in Sokrates’ Argumentation entstanden ist, weil sein Gesprächspartner nur allzu schnell dessen Ausführungen zugestimmt hat. Dass Sokrates tatsächlich ein Fehler an entscheidender Stelle unterlaufen sein muss, zeigt das Ende des Dialogs: Sokrates bittet seine Gesprächspartner „alles das, was wir gesagt haben, noch einmal zu überdenken.“ (222e) Er wollte sogar selbst im Gespräch mit einem der zuhörenden jungen Männer das Problem erneut angehen. Auch nachdem die betrunkenen Paidagogen auftreten, will Sokrates nicht sogleich aufgeben, vielleicht, weil er selbst spürt, nicht weit von der Lösung entfernt zu sein:

„Zwar versuchten wir und die Umstehenden nun zunächst, sie wegzutreiben […] wir aber den Eindruck hatten, dass sie sich auf dem Hermesfest angetrunken hatten und es daher sinnlos wäre, mit ihnen zu verhandeln – gaben wir uns durch sie geschlagen und lösten die Versammlung auf.“ (223 a-b)

Ganz zum Schluss legt Platon noch einmal eine „Fährte“ aus, indem er Sokrates sagen lässt, dass sich die Gruppe „ noch nicht als fähig gezeigt“[6] hat, das Problem der Freundschaft zu lösen. Eines Tages, vielleicht schon im nächsten gemeinsamen Gespräch, könnten sie aber ihr Ziel durchaus erreichen.

So verrät Platon, dass es in jener scheinbaren Ausweglosigkeit irgendwo eine Hintertür geben muss. Sie zu finden überlässt er aber jenem Leser, der wirklich auf der Suche nach dem Wesen der Freundschaft ist. Der mühsame Weg aus der Aporie soll in II. 3. in Angriff genommen werden.

I. 3. Die Mehrdeutigkeit des Wortes philia

Um den Dialog Lysis wirklich zu verstehen, muss die Mehrdeutigkeit des griechischen Wortes philia beachtet werden.[7] Es kann die Freundschaft zwischen zwei Menschen bedeuten, wenn es vom Substantiv philos abgeleitet wurde. Ist es vom Adjektiv philos oder philon abgleitet bedeutet es entweder, dass eine Person einer Sache Freund ist, also eine Vorliebe dafür hat, oder, dass eine Sache oder Person erwünscht ist. Der Ausdruck philon kommt wiederum der Bedeutung von kalon – das Schöne und Richtige – ziemlich nahe und drückt so etwas aus, was man vorzieht, was man mag. Allerdings kommt damit das Wollen oder Streben nur schwach zum Ausdruck. Trotzdem verwendet Platon, wenn später im Dialog vom ersten Geliebten oder dem letztlich Gewünschten, auf das alles Streben abzielt, die Rede sein wird, den Begriff philon.

Philia kann also für Freundschaft genauso aber für Mögen stehen – zwei auf den ersten Blick doch unterschiedliche Bedeutungen. Doch da eben Platon an dieser Stelle philon im Gegensatz zu seiner üblichen Terminologie verwendet, liegt der Verdacht nahe, dass er dem Leser damit einen bestimmten sachlichen Zusammenhang beider Formen von philia suggerieren möchte. Dieser Zusammenhang wird zum wichtigen Bestandteil von Platons Freundschaftsmodell, dessen Erläuterung das Kapitel II gewidmet ist.

II. DAS WESEN DER FREUNDSCHAFT IM DIALOG LYSIS

II. 1. Platons Fragestellung

Welche Frage versuchen Sokrates und seine Gesprächspartner im Lysis überhaupt zu beantworten? Dieses Problem ist nicht leicht zu klären, denn Platon sagt es im Dialog nicht genau. Sicherlich bewegen sich die Fragestellungen immer im selben Themenfeld, das Freundschaft, Liebe und Beziehung umfasst. In 205a will er beispielsweise von Hippothales wissen, „wie ein Liebhaber über seinen Liebling vor ihm und vor anderen sprechen muß.“ In 222b glaubt Sokrates für einen Moment, er und die Jungen hätten „wohl etwas gesagt über das Freundschaftliche, was es ist.“ Aber geht es Platon nun um den Versuch eine Lösung für die aufgeworfenen Einzelfragen zu finden oder will er gar nur eine Begriffsbestimmung für den Gebrauch des Wortes Freundschaft liefern? In gewisser Weise trifft nichts von alledem, aber auch alles zu. Platon geht es nämlich um mehr. Er schickt den Lysis -Leser auf die Suche nach dem Wesen der Freundschaft. Dabei sollen alle Erscheinungsformen verstanden und ihr Zusammenhang ergründet werden. „Wenn wir verstanden haben, was Freundschaft begründet, dann haben wir damit auch eine Antwort auf die anderen im Dialog diskutierten Fragen gefunden.“[8]

In der Vielheit der Freundschaft – von der heterosexuellen Beziehung über Freundschaft zweier Gleichaltriger bis hin zur päderastischen Liebe in Form von Elternliebe oder insbesondere Knabenliebe[9] – soll eine Einheit gefunden werden.

Dies ist allerdings keineswegs eine Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Passend zu Platons Ideenlehre soll vom Größten auf das Kleinste geschlossen werden. Jede in Erscheinung tretende Freundschaft, egal, ob gut oder schlecht, hat demnach Anteil am Wesen der Freundschaft. Erst der Grad der metexis an der Idee entscheidet über die Güte der Freundschaft. Jedoch bleibt es der auf Erden höchstmöglichen Form der Freundschaft (für Platon die vollendete Freundesliebe) vorbehalten, den größten Anteil am Wesen der Freundschaft zu erreichen.

Auf der Suche nach einer Definition der Freundschaft ist zu bestimmen, was für die metexis verantwortlicht ist. Es ist der „Grund dafür zu suchen, daß Menschen miteinander befreundet sein wollen und miteinander befreundet sind.“[10] Wer es schafft, herauszufinden, was Freundschaft schafft, ist demnach auch dem Wesen der Freundschaft auf der Spur.

[...]


[1] Bordt (1998) S.65f

[2] Schmalzriedt (1991) S. 386

[3] Bordt (1998) S. 67

[4] Schmalzriedt (1991) S.386. Auf die kompositorische Beweisführung soll hier nicht weiter eingegangen werden.

[5] Bordt (1998) S.67

[6] (223b) Hervorhebung von mir

[7] Wolf (1996) S.130f

[8] Bordt (1998) S.77

[9] Die Knabenliebe war zu Platons Lebzeiten Gang und Gäbe in der Athener Oberschicht. Aus ihr konnte sich später auch eine reine Freundschaft ohne Hingabe des Jüngeren und Erziehungsaufgabe des Älteren entwickeln.

[10] Bordt (1998) S.78

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Wesen der Freundschaft in Platons Lysis
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V26624
ISBN (eBook)
9783638289054
ISBN (Buch)
9783638825443
Dateigröße
551 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Erläuterung von PLatons Freundschaftsideal und Vergleich mit der Auffasung moderner Sozialpsychologie
Schlagworte
Wesen, Freundschaft, Platons, Lysis, Proseminar
Arbeit zitieren
Markus Hujara (Autor:in), 2003, Das Wesen der Freundschaft in Platons Lysis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26624

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