Möglichkeiten psychoanalytischer Literaturinterpretation

Am Beispiel der Traumnovelle von Arthur Schnitzler


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Psychoanalytische Literaturinterpretation

Schnitzler und die Psychoanalyse

Die Traumnovelle

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Versuche psychoanalytischer Literaturinterpretationen sind keine neue Erscheinung, oftmals nur in Form kleiner Versatzstücke, bei denen der Interpret eine einzelne Textstelle mittels psychoanalytischer Theorien deutet. Genauso gibt es methodische Interpretationsversuche von Psychoanalytikern oder Literaturwissenschaftlern, die einen wichtigen Aspekt eines Werkes beleuchten.

Schon Freud selber hat neben Mythen und Märchen literarische Werke im Sinne seiner Theorie gedeutet. Diese Deutungen sind vermutlich eher ein Beispiel für psychoanalytische Literaturrezeption als ein Beispiel für eine literaturwissenschaftliche Interpretation mit psychoanalytischer Methode. Dies lässt sich bei Freud darauf zurückführen, dass er Literatur zu Illustrationszwecken deutet.[1]

Weder psychoanalytische Rezeption noch psychoanalytische Theorien zum literarischen Schaffungsprozess sollen in dieser Arbeit behandelt werden. Es soll stattdessen betrachtet werden, in welcher Form eine psychoanalytische Methodik hilfreich oder notwendig für eine gelungene Interpretation, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, sein kann.

Von den grundsätzlichen Möglichkeiten einer psychoanalytischen Literaturinterpretation abgesehen, gibt es literarische Strömungen und Epochen, die nachweislich unter dem Einfluss der Psychoanalyse standen. Zum einen waren Autoren selber in psychoanalytischer Behandlung und zum anderen haben die meisten Autoren dieser Zeit bzw. literarischen Schule sich mehr oder weniger intensiv mit Freuds Schriften beschäftigt. Die gesellschaftliche Wirkung der Psychoanalyse, obwohl diese inzwischen teilweise widerlegt oder in Frage gestellt wird, hält bis heute an. Es ist zweifelhaft, dass ein Autor ab den zwanziger Jahren des 20. Jhd. unberührt von psychoanalytischen Theorien blieb, wobei man bezweifeln kann, dass er beeinflusst wurde. Man kann annehmen, dass die literarische Moderne in ihrer Form ohne die Psychoanalyse Freuds nicht zu denken wäre. Ebenso wie die Psychoanalyse vermutlich nicht unbeeinflusst durch die zeitgenössische Literatur gesehen werden kann. Thomas Anz hat dies folgendermaßen zusammengefasst:

Psychoanalyse und literarische Moderne reagierten gleichzeitig und in wechselseitiger Abhängigkeit auf gravierende Identitätsprobleme des modernen Subjekts angesichts zunehmend diskrepanter, schwer zu integrierender Ansprüche in ausdifferenzierten Gesellschaften. Psychoanalyse und Literatur kooperierten und konkurrierten dabei miteinander.[2]

Jene Kooperation mag ein naheliegendes Argument für den Ansatz einer psychoanalytischen Literaturinterpretation in Bezug auf Werke jener Epoche sein, doch das Verhältnis von literarischer Moderne und Psychoanalyse war, wie Anz feststellt, schon zu Beginn nicht unproblematisch. Besonders die Deutungsversuche der zeitgenössischen Literatur von Freud oder seinen Schülern stießen teilweise auf Ablehnung. So schreibt Hugo von Hofmannsthal in einem Brief an Willy Haas am 4.Juni 1922: „wenn morgen ein Freudianer meine sämtlichen Arbeiten bis aufs I-tüpferl als infantilerotische Hallucination ‚erkennt’. Das stammt alles aus einer Hexenküche“[3].

Der Psychoanalyse und auch der Person Freud positiv geneigt, wenn auch nicht unkritisch, war Arthur Schnitzler. Von sich und Freud auch als literarischer Doppelgänger bezeichnet, lässt sich bei Schnitzler eine frühe Beschäftigung mit Freuds Arbeit nachweisen, die sich auch in der literarischen Arbeit niedergeschlagen hat. Bei manchen Erzählungen Schnitzlers ist man geneigt, sie wie Fallbeispiele zu lesen. Den Einfluss seiner medizinischen Kenntnisse auf das Werk kann man nicht leugnen.[4] Interessant ist dabei, dass Schnitzler nicht nur auch Arzt ist, sondern den gleichen akademischen Hintergrund wie Freud hat, was man als weiteres Indiz für die Nähe ihrer Ansichten nehmen kann.

Die Möglichkeiten bzw. die Notwendigkeit einer psychoanalytischen Literaturinterpretation sollte sich also an einem Werk von Schnitzler besonders gut zeigen lassen. Eine Erzählung, die schon im Titel einen Bezug zur psychoanalytischen Theorie herstellt, ist die Traumnovelle. Ein Text, den Freud aufmerksam rezipiert hat, wie er Schnitzler in einem Brief vom 26.Mai 1926 schildert: „P.S. über ihre Traumnovelle habe ich mir einige Gedanken gemacht.“[5]

Psychoanalytische Literaturinterpretation

Eine Interpretation anhand der Psychoanalyse auszurichten, kann man grundsätzlich als legitim bezeichnen, denn „jedes Kunstwerk [ist] Ergebnis einer psychischen Aktivität und damit Gegenstand psychologischer Forschung“[6]. Es ist eine Grundlage des Ansatzes der Interpretation, dass über den manifesten Inhalt, den Text selbst, ein latenter Inhalt, dessen Bedeutung, vorhanden ist. Sonst wäre Interpretation an sich nicht sinnvoll, wenn wir nicht annehmen würden, dass eine Bedeutungszuschreibung über die einfache Semantik hinaus möglich ist. Diese Bedeutungszuschreibung kann grundsätzlich auch mit Hilfe der Psychoanalyse erfolgen. Der oben genannte Einwand einiger Autoren selbst, Hofmannsthal ist kein Einzelfall, kann dabei zwar Beachtung finden, aber es ist kein Ausschlusskriterium. Es handelt sich bei einem literarischen Werk nicht um einen statischen Gegenstand, bei dem man lediglich durch eine Interpretation die feststehende Autorenintention aufzudecken versucht: „den Gedanken auf den Denkenden zu reduzieren, das Kunstwerk auf den Künstler, bringt den Inhalt des Gedachten, den Inhalt des Dargestellten zum Stillstand“[7]. Es ist davon auszugehen, dass man „eben immer viel mehr [sagt], als man zu sagen meint“[8]. Dies gilt nicht nur für Kommunikationsprozesse, sondern insbesondere auch für literarische Erzeugnisse.

Eine solche Interpretation wäre aber noch keineswegs eine literaturwissenschaftliche, da es keine Begründung gibt, warum die psychoanalytische Interpretation die einzig mögliche sein sollte. Solche Ergebnisse der Psychologie können von der Literaturwissenschaft als Teil der Rezeptionsgeschichte Verwendung finden. Literatur zeichnet sich aber durch Vieldeutigkeit aus, doch „diese Vieldeutigkeit ist eine Qualität des Gegenstandes“, stellt Walter Schönau fest und führt weiter aus: „Eine Wissenschaft, die ihrem Gegenstand angemessen ist, muß ihr Rechnung tragen“[9]. Auch wenn in der wissenschaftstheoretischen Tradition Karl Poppers man keine Interpretation verifizieren muss, um einem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen, so muss man doch in der Lage sein, bestimmte Interpretationen zu falsifizieren. Als Möglichkeit für eine solche Falsifikation schlägt Umberto Eco vor, „dass die interne Kohärenz des Textes als Parameter für seine Interpretation genommen werden muss.“[10]

Die Literaturwissenschaft muss also skeptisch gegenüber psychoanalytischen Deutungen bleiben. Zunächst sind Werke, die vor der Psychoanalyse entstanden sind, zwar psychoanalytisch zu lesen, aber da auszuschließen ist, dass sie psychoanalytisch konzipiert sind, kann die Psychoanalyse hier lediglich einen neuen Bedeutungshorizont eröffnen. Diese Interpretation muss die Kohärenz des Textes wahren, sonst mag die psychoanalytische Auslegung zwar konform mit ihrer Theorie sein, geht aber teilweise am eigentlichen Thema vorbei, wie Freuds Deutung des Ödipusmythos, was Schnitzler wie folgend feststellte: „Gerade die Oedipussage hat mit dem sogenannten Oedipuskomplex nichts zu tun. Oedipus liebt seine Mutter, ohne zu wissen, daß sie seine Mutter ist.“[11]

Weiterhin vermag die Psychoanalyse teilweise nur Aussagen zu bestimmten Figurenkonstellationen zu treffen, oftmals indem sie diese in Beziehung zum Autor und auch dessen Psyche setzt. Der Literaturwissenschaftler muss bei einer solchen Betrachtung auch beachten, dass die Psychoanalyse hier Methoden verwendet, wie sie bei echten Menschen Anwendung finden. Ihre Übertragbarkeit auf fiktionale Personen ist nicht gesichert. Für eine psychologische Beschäftigung mit einem Werk reicht dies aus, aber für eine literaturwissenschaftliche ist dies unreichend, wie Pech ausführt:

Ästhetische Fragen erschöpfen sich jedoch nicht im mindesten in der Darstellung der Verhältnisse der Protagonisten untereinander oder in Hinweisen auf die Beziehung der Schriftstellers zu den Helden seines Werkes – soweit ein Kunstwerk überhaupt Personen enthält.

Solche „partiale“ Deutungen tragen laut Schönau „zum Textverständnis wenig“[12] bei. Er schlägt vielmehr eine „konvergente“ Interpretation vor, bei der „die Rolle der psychischen Instanzen“ betrachtet wird und „Prozesse interpretiert“12 werden. Als „Idealfall“ stellt er die „integrative“ Interpretation vor, bei „der der sinnvolle Zusammenhang aller Themen und Bilder erkannt wird und alle ihre Textelemente ihren eigenen Platz bekommen.“12

[...]


[1] Vgl. Sigmund Freud: Traumdeutung. Studienausgabe Band 2. Frankfurt a.M. 1972. S. 268f .( Freuds Einschätzung des Hamletthemas).

[2] Thomas Anz/ Oliver Pfohlmann (Hg.): Psychoanalyse in der literarischen Moderne. Eine Dokumentation. Band 1. Einleitung und Wiener Moderne. Marburg 2006. S. 17.

[3] Zitiert nach: Psychoanalyse in der literarischen Moderne. S. 113.

[4] Vgl. Dirk Boetticher: Meine Werke sind lauter Diagnosen. Heidelberg 1999. S.14ff.

[5] Zitiert nach: Psychoanalyse in der literarischen Moderne. S. 185.

[6] Walter Schönau: Einführung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft. Stuttgart 1991. S. 81.

[7] Klaus-Ulrich Pech: Kritik der psychoanalytischen Literatur- und Kunsttheorie. Frankfurt a.M. 1980. S. 11.

[8] Einführung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft. S. 98.

[9] ebd. S. 92f.

[10] Umberto Eco: Theorien interpretativer Kooperation. In: Tom Kindt/ Tilmann Köppe(Hg.): Moderne Interpretationstheorien. Göttingen 2008. S. 126.

[11] Zitiert nach: Psychoanalyse in der literarischen Moderne. S. 160.

[12] Einführung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft. S. 91.

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Details

Titel
Möglichkeiten psychoanalytischer Literaturinterpretation
Untertitel
Am Beispiel der Traumnovelle von Arthur Schnitzler
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
22
Katalognummer
V266131
ISBN (eBook)
9783656559405
ISBN (Buch)
9783656559412
Dateigröße
541 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychoanalyse, Traumnovelle, Schnitzler, Interpratation, Freud
Arbeit zitieren
Gordon Nies (Autor:in), 2011, Möglichkeiten psychoanalytischer Literaturinterpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266131

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