Sozialisation und Benachteiligung von Jungen in der Schule


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

25 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Sozialisation und Benachteiligung von Jungen
2.1 Sozialisation
2.1.1 Definition von Sozialisation
2.1.2 Geschlechtsspezifische Sozialisation
2.2 Schulische Sozialisation
2.2.1 Funktion von Schule
2.2.2 Sozialisationsfunktion der Schule
2.2.3 Probleme schulischer Sozialisation
2.3 Koedukation in der Schule
2.3.1 Koedukation in der Schule als Grundkonzept
2.3.2 Benachteiligung von Mädchen als ursprüngliche Annahme
2.4 Jungen als benachteiligte Gruppe
2.4.1 Ergebnisse der Pisa Studie
2.4.2 Ursachen der Benachteiligung von Jungen

3 Schlussbetrachtung

4 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Benachteiligung von Mädchen ist eine allgemein bekannte und gesellschaftlich anerkannte Tatsache. Diese Aussage geriet jedoch in den letzten Jahren immer mehr ins Wanken. Während Schulforscher schon seit längerer Zeit vorsichtig untersuchen, ob nicht vielleicht auch Jungen benachteiligt werden, kam mit der Pisa-Studie auch in der öffentlichen Diskussion ein Erwachen. Die Ergebnisse zeigten nicht nur ein katastrophales Bild des deutschen Bildungssystems, sondern machten auch deutlich, dass gerade in der Schule die Jungen schlechter abschnitten. Dies zieht sich durch die gesamte Schullaufbahn und endet mit den besseren Abschlüssen von Mädchen in allen Bildungsgängen.

Jetzt sucht man verzweifelt nach Ursachen und muss pauschalisierte Urteile über die männlichen Schüler, die allgemein als „Rabauken“ und „Störenfriede“ gelten aus dem Weg räumen und eine differenzierte Betrachtung anwenden, die lange in der weiblich dominierten Schulforschung fast immer zu Gunsten der Mädchen ausfielen. In diesem Zusammenhang wird auch kritisiert, dass gerade durch den Fokus auf die Mädchen eine Vernachlässigung der Jungen stattfand, die es jetzt zu überwinden gilt.

Diese Seminararbeit beschäftigt sich mit der Sozialisation von Jungen und deren Benachteiligung in der Schule. Dazu wird zuerst ein genereller Überblick über Sozialisation gegeben und daraufhin die geschlechtsspezifische Sozialisation betrachtet, die eine der wesentlichen Entwicklungsschritte im Leben eines Menschen ausmacht. Danach wird die Funktion der Schule erläutert, um danach die schulische Sozialisation transparenter zu machen und ihre Sozialisationsfunktion aufzuzeigen. Im weiteren Verlauf beschäftigt sich die Arbeit mit der koedukativen Schule und der anfangs angesprochenen These, dass Mädchen in diesem System benachteiligt werden.

Daraufhin behandelt die Arbeit den Ansatz der Jungen als benachteiligte Gruppe, wobei hier zuerst die Ergebnisse der Pisa-Studie betrachtet werden und im Anschluss die Ursachen der Benachteiligung von Jungen ergründet werden.

Ziel der Arbeit ist es, die These einer Benachteiligung von Jungen auf deren Haltbarkeit zu überprüfen und dies über den Weg der Sozialisation im geschlechtsspezifischen und schulischen Bereich zu erörtern. Begrenzt durch die Anlage und den Umfang der Arbeit kann nicht die gesamte Bandbreite der Sozialisationstheorie abgehandelt werden, sondern nur ein themenspezifischer Überblick gegeben werden. Die Literaturlage zum Thema ist im Bereich der Sozialisation, wie auch im Bereich der Benachteiligung von Mädchen sehr umfangreich. Die Benachteiligung von Jungen bietet hier weniger Literatur, durch die öffentliche Diskussion ergeben sich jedoch gut recherchierte Zeitschriftenartikel, die mit in die Arbeit einfließen.

2 Sozialisation und Benachteiligung von Jungen

2.1 Sozialisation

2.1.1 Definition von Sozialisation

Das Thema bedingt zunächst eine allgemeine Definition von Sozialisation. Hierzu möchte ich die Definition von Hurrelmann nutzen, die mir umfassend und zudem immer noch gültig erscheint:

„Im heute allgemein vorherrschenden Verständnis wird mit Sozialisation der Prozeß der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit in Abhängigkeit von und in Auseinandersetzungen mit den sozialen und den dinglich-materiellen Lebensbedingungen verstanden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der historischen Entwicklung einer Gesellschaft existieren. Sozialisation bezeichnet den Prozeß, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene Organismus zu einer sozial Handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzungen mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt.“1

Diese Definition impliziert, dass die Sozialisation nicht mit einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen wird, sondern sich ständig fortsetzt. Der zu betrachtende Zeitraum in dieser Arbeit endet jedoch mit der schulischen Sozialisation, so dass die Entwicklung im Erwachsenenalter nicht mehr berücksichtigt werden kann.

Um die Einflüsse auf das Individuum zu strukturieren bietet sich die Einordnung in Ebenen und Phasen an. Die Phasen dienen zu einer Einordnung des Sozialisationsprozesses in Lebensphasen, die zwar individuell unterschiedlich sein können, jedoch eine gewisse Struktur in unserer Gesellschaft widerspiegeln.2 Die Ebenen hingegen zeigen einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Komponenten und dem Sozialisationsprozess.3

2.1.2 Geschlechtsspezifische Sozialisation

In diesem Zusammenhang ist besonders die geschlechtsspezifische Sozialisation von Bedeutung. Diese umfasst einen so bedeutenden Teil unseres Lebens und beginnt schon frühzeitig. Grundsätzlich muss hierzu zuerst die Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem kulturell-sozialen Geschlecht (gender) getroffen werden. Dies impliziert eine Zweiteilung, welche einerseits die rein biologische Komponente, andererseits die soziale Komponente des Geschlechts betrachtet.4 Der biologische Einfluss auf die Sozialisation, d.h. das Geschlecht bestimme nur auf Grund der männlichen oder weiblichen Ausprägung der Geschlechtsmerkmale bei der Geburt wesentlich die geschlechtsspezifische Sozialisation ist heute nicht mehr haltbar.5 Dieser relativ unumstrittenen Erkenntnis tritt mehr eine Sichtweise entgegen, die die Einflüsse betrachten, die aufgrund des Geschlechts auf das Kind und später auch auf den Erwachsenen einwirken. Der Einordnung in ein Geschlecht kommt hier eine zentrale Rolle zu. Diese bildet den Rahmen zur Begründung einer sozialen Strukturkategorie, in der aufgrund der Geschlechtsunterschiede Männer und Frauen im sozialen Raum, somit der Gesellschaft positioniert werden.6 Diese Positionierung schließt soziale Betätigung in beide Richtungen ein, so dass die in diesem System eingebetteten Individuen geschlechtsspezifisches Handeln bezogen auf andere und sich selbst an den Tag legen. Dies bildet den Grundstein für eine Betrachtungsweise, die den „gender“ Begriff in den Vordergrund stellt.

Die soziale Interaktion stellt sich anfangs noch relativ einseitig dar, da Säuglinge in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt sind. In diesem Zusammenhang ist jedoch seitens der Eltern schon eine starke Beachtung der Geschlechtsunterschiede zu erkennen, welche sich in verschiedenen Ausprägungen zeigt. Hier sind vor allem typische Kleidung und ein geschlechtsstereotypes Verhalten zu beobachten, welches jedoch oftmals von den interagierenden Erwachsenen gar nicht als solches wahrgenommen wird.7

Im Anschluss daran erhält die geschlechtsspezifische Sozialisation wesentlich mehr Komplexität. Zuerst zu nennen ist hier das Lernen des Kindes an einem Modell, für die Geschlechterrolle gilt hier die Orientierung am jeweiligen Geschlecht, welches sich im Normalfall in Form des jeweiligen Elternteils darstellt. Dies ergibt sich jedoch mehr aus der Hypothese, dass die Förderung des typisch männlichen oder typisch weiblichen Verhaltens des Kindes durch Belohnung oder Bestrafung eine Zuwendung zum jeweiligen Modell erreicht und somit das Kind in die Rollenwahl drängt.8 In diesem Zusammenhang ist auch die Vorbereitung auf eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung anzusiedeln. Frühzeitig ist die Aufteilung von Jungen und Mädchen bei geschlechtstypischen Spielen und Spielzeug zu erkennen. Dies wird sowohl durch Erwachsene, als auch später durch „peers“ forciert und mündet in eine vorweggenommene Einteilung in geschlechtstypische Arbeitsteilung,9 so dass schon vor Eintritt in die Schule wesentliche Schritte geschlechtsspezifischer Sozialisation durch andere stattgefunden haben.

Einen umfassenderen Erklärungsansatz findet man im kognitionspsychologischen Ansatz, der auf die Arbeiten von Piaget und Kohlberg zurückzuführen ist. Dieser gründet sich auf eine altersgemäße Einordnung von Fähigkeiten, die dem Kind hierarchisch geordnete Möglichkeiten kognitiver Auffassung zuschreiben, welche es sich mit zunehmendem Alter aneignen kann. Diese aktive Beschäftigung ist auch die Voraussetzung für das Aneignen der Geschlechterrolle. Ohne die Stufen hier genauer darstellen zu wollen ist eine Einordnung in das Alter gerade für das spätere Kapitel der schulischen Sozialisation unerlässlich. Die aufeinander aufbauenden Stufen beginnen, bezogen auf das Geschlecht, mit zwei Jahren, wo das Kind zwar die Geschlechtsbezeichnungen kennen lernt, diese jedoch nicht differenziert benutzen kann. Im Alter von vier Jahren ändert sich die Wahrnehmung und das Geschlecht wird an äußeren Kriterien festgemacht, ist aber immer noch wandelbar im Auge des Kindes. Hierzu erkennen jetzt die Kinder schon die geschlechtsspezifische Rollenaufteilung der Umwelt. Die nächste Stufe im Alter von fünf bis sieben Jahren manifestiert die Geschlechtszugehörigkeit und bietet dem Kind eine Zuordnungsmöglichkeit, wobei das eigene Geschlecht positiver als das andere bewertet wird. In diese Phase fällt somit auch der Beginn der schulischen Sozialisation, welche zudem noch die Phase umfasst, in der die vorher extrem starren Rollenansichten aufweichen können.10 Zusammenfassend kann man somit davon ausgehen, dass die geschlechtsspezifische Sozialisation schon vor dem Eintritt in die Schule einen sehr ausgeprägten Grad erreicht hat.

2.2 Schulische Sozialisation

2.2.1 Funktion von Schule

Der Lebenslauf eines Menschen in der heutigen Zeit ist sehr stark individuell geprägt. Dennoch spielen Institutionen in unserem Leben eine wesentliche Rolle und es gibt gerade für die Schule als Institution kaum eine Möglichkeit sie zu umgehen. So finden sich die Kinder zumeist in einer Situation wieder, die für sie in der Familie und im Kindergarten für sie in der Form nicht absehbar war. Die Schule erwartet ein gänzlich anderes Verhalten von den Kindern um ihre Ziele durchsetzen zu können und ihren Funktionen gerecht werden zu können.

Formal sind die Funktionen von Schule deutlich festgelegt. Hier ist die Qualifikationsfunktion, die Selektionsfunktion und die Integrationsfunktion zu nennen.

Die Qualifikationsfunktion dient somit primär dem Erlernen der Basisqualifikationen für das spätere Berufsleben und fördert Kenntnisse, die nötig sind um generationsübergreifend das Überleben zu sichern.11 „Die Selektionsfunktion zielt […] auf die Vorverteilung gesellschaftlicher Positionen durch Vergabe von Berechtigungsnachweisen und die Kontinuitätssicherung des politisch-administrativen Systems durch Reproduktion der gesellschaftlichen Schichtendifferenzierung“.12 Die Legitimationsfunktion dient mehr der Einbindung der Schüler in das bestehende politische System13 und der Schulung des Verständnisses und der Akzeptanz desselben. Somit ist schon hier erkennbar, dass die Funktion der Schule mehrere Ebenen umfasst. Die am einfachsten zu fassende ist eindeutig die qualitative Wissensvermittlung, die den Schülern Basiswissen vermittelt. Wesentlich komplexer sind jedoch die anderen Aufgaben der Schule, die im folgenden Kapitel als Sozialisationsfunktion der Schule beschrieben werden.

[...]


1 Klaus Hurrelmann, Einführung in die Sozialisationstheorie, Weinheim, Basel 1993, S. 14

2 Vgl.: Klaus-Jürgen Tillmann, Sozialisationstheorien, Reinbek 2000, S.19

3 Vgl.: Klaus-Jürgen Tillmann, Sozialisationstheorien, Reinbek 2000, S.17

4 Vgl.: Hannelore Bublitz, Geschlecht, in Korte/Schäfers (Hrsg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 2002, S. 93

5 Vgl.: Petra Zimmermann, Grundwissen Sozialisation, Opladen 2003, S. 195

6 Vgl.: Hannelore Bublitz, Geschlecht, in Korte/Schäfers (Hrsg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 2002, S. 90

7 Vgl.: Helga Bilden, Geschlechtsspezifische Sozialisation, in Klaus Hurrelmann/Dieter Ulich (Hrsg.), Neues Handbuch der Sozialisationsforschung, Weinheim und Basel 1991, S. 283

8 Vgl.: Klaus-Jürgen Tillmann, Sozialisationstheorien, Reinbek 2000, S.86f

9 Vgl.: Helga Bilden, Geschlechtsspezifische Sozialisation, in Klaus Hurrelmann/Dieter Ulich (Hrsg.), Neues Handbuch der Sozialisationsforschung, Weinheim und Basel 1991, S. 283

10 Vgl.: Klaus-Jürgen Tillmann, Sozialisationstheorien, Reinbek 2000, S.99ff

11 Vgl.: Rolf Arnold, Fritz Marz, Einführung in die Bildungspolitik, Stuttgart 1979, S.97

12 Ebd. S. 98

13 Vgl.: Petra Zimmermann, Grundwissen Sozialisation, Opladen 2003, S. 129

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Sozialisation und Benachteiligung von Jungen in der Schule
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Soziologie)
Veranstaltung
Soziologie
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V26607
ISBN (eBook)
9783638288897
ISBN (Buch)
9783638901727
Dateigröße
551 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialisation, Benachteiligung, Jungen, Schule, Soziologie
Arbeit zitieren
Michael Ziegler (Autor:in), 2004, Sozialisation und Benachteiligung von Jungen in der Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26607

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