Die Erfolge gescheiterter Volksinitiativen

Eine Politikfeldanalyse zur Auswirkung direktdemokratischer Verfahren auf die Schulpolitik


Hausarbeit, 2013

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Hintergrund
1.2 Forschungsfrage

2 Analyserahmen und Methode

3 Fallbeispiel 1 Berlin: Pro Reli 2007-2009
3.1 Fall- und Problembeschreibung
3.2 Rechtliche Rahmenbedingungen
3.3 Akteure und institutioneller Rahmen
3.4 Vergleich der Policies vor und nach dem Volksentscheid
3.5 Die Entwicklung des öffentlichen Meinungsdiskurses
3.6 Auswertung

4 Fallbeispiel 2: Für gute Schulen in Niedersachsen 2009-2012
4.1 Fall- und Problembeschreibung
4.2 Rechtliche Rahmenbedingungen
4.3 Akteure und institutioneller Rahmen
4.4 Vergleich der Policies vor und nach der Volksinitiative
4.5 Die Entwicklung des öffentlichen Meinungsdiskurses
4.6 Auswertung

5 Zusammenfassung

6 Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Hintergrund

Direktdemokratische Verfahren gewinnen in den letzten Jahren auf mehreren Ebenen an Bedeutung. Selbstbewusstere Bürger fordern sich ihr Mitspracherecht verstärkt ein, um ihre Lebensumwelt aktiv mitzu­gestalten, was sich in einer steigenden Anzahl direkt­demo­kra­tischer Verfahren ausdrückt (vgl. Mehr Demokratie, Volksbegehrensbericht 2012, 11). Im Bereich der Schulpolitik ist der Wille nach Parti­zi­pa­tion besonders hoch, da viele schulpolitische Entscheidungen direkt in die Familien hinein­wirken. Außerdem untersteht der Bereich der Hoheit der Länder, die sich im Zuge der Welt­wirtschaftskrise zu unpopulären Entscheidungen aufgrund finanzieller Zwänge auch in dem Bereich Bildung gedrängt sehen (vgl. Mehr Demokratie 2012, Bildung und Kultur, 3). Eine erhebliche Anzahl an direktdemokratischen Verfahren aber scheitert und wird nicht im Sinne der Initiatoren entschieden. Die Erfolgsquote liegt im langjährigen Durchschnitt bei lediglich 29% (vgl. Mehr Demokratie, Volksbegehrensbericht 2012, 7), Tendenz leicht steigend. In welcher Art und Weise beeinflussen nun direktdemokratische Verfahren ohne unmittelbaren Erfolg dennoch die Politikinhalte, und welche Wirkung haben sie darüber hinaus auf die öffent­liche politische Meinungsbildung? Diesen konkreten Fragen gehe ich nach, um einen Beitrag zur bestehenden Debatte um die adäquate Einbindung direktdemokratischer Verfahren in das politische System zu leisten. Längst haben Politiker die bereichernde ergänzende Funk­tion für das repräsentative System erkannt und suchen mit Hilfe der Wissenschaft nach Lösungs­­wegen, wie das bestehende System sensibel moduliert werden kann. Dabei werden die Wirkungen direktdemokratischer Verfahren eruiert. Die unterschiedlichen Verfahren kön­nen Status Quo erhaltende oder innovative Wirkkräfte entfalten, sie können aber auch instrumentalisiert werden und blockieren (vgl. GEBHART 2002(2), 6ff). Ihre Wirkungen sind in den komplexen sys­temischen Strukturen zudem nur bedingt vorhersehbar.

1.2 Forschungsfrage

Diese Arbeit widmet sich also den Wirkungen direktdemokratischer Verfahren. Dabei geht es in erster Linie nicht um Wirkungen, die unmittelbar durch den direkten Erfolg des Verfahrens hervorgerufen werden, sondern um Wirkungen, die über den konkreten Ausgang hinaus­weisen. Um hierzu Aussagen treffen zu können, werden speziell gescheiterte Verfahren in ihren institutionellen Bezügen untersucht. Ich stelle die Hypothese auf: Auch gescheiterte direktdemokratische Verfahren verändern Policies der Landesregierungen und fördern die gesellschaftliche politische Meinungsbildung.

Mit den Fallanalysen können die Auswirkungen der großen Anzahl von Volksinitiativen, die gescheitert und darum scheinbare Misserfolge sind, sichtbar gemacht werden und Teilerfolge spezifisch beschrieben. Neben der Wirkung auf Policy Inhalte werden auch die Auswirkungen der Verfahren auf die öffentliche Meinungsbildung untersucht und so ihre politisierende Wirkung deutlich. Im gesellschaftspolitischen Kontext wird also die um­fassende Bedeutung der Verfahren erkennbar mit ihren Einflüssen auf die Policy Dimen­sion, die politische Meinungsbildung und somit das gemeinsame politische Lernen im gesell­schaft­lichen Veränderungs- und Gestaltungsprozess.

Dabei beschränkt sich diese Policy Analysis auf den Raum Schulpolitik im Themenbereich Bildung und Kultur, in dem die direktdemokratische Praxis in Deutschland am stärksten aus­geprägt ist (vgl. Mehr Demokratie 2012, Bildung und Kultur, 3). Die Bildungshoheit der Länder bringt eine Vielzahl von Schulmodellen und Lehrplänen hervor. In dem Spannungsfeld zwischen individueller Förderung und Vergleich­barkeit im nationalen und globalen Bildungswettbewerb werden die verschiedenen Politiken hochkontrovers und eben zunehmend vor dem Hintergrund von Sparzwängen diskutiert. Vor allem Eltern bringen sich in diese Politik engagiert ein.

2. Analyserahmen und Methode

Zur Erklärung des Akteurshandeln und der politischen Prozesse wird die neuere Institutionen­theorie herangezogen, die sowohl die Einflüsse der Institutionen auf die Strukturen der Politik und die Akteure beschreibt als auch den Einfluss der Akteure auf die Institutionenbildung. Die Institutionen bilden nach diesem Erklärungsansatz „soziale Regelsysteme… zur auto­rita­tiven Konfliktregelung“ (CZADA 1995, 205), die die politischen Handlungen strukturieren und so maßgeblich die Ergebnisse von politischen Prozessen beeinflussen. Sie umfassen dabei formelle und informelle Regeln: “Institutions may be formally described in the form of a law, policy, or procedure, or they may emerge informally as norms, standard operating practices, or habits” (Hurwicz in POLSKI/OSTROM 1999, 3). Den Akteuren eröffnen sie begrenzte Handlungsspielräume, legen ihnen durch ihre Struktur bestimmte Handlungsmuster nahe und geben ihnen so die Möglichkeit, Institutionen über konflikthafte und kooperierende Inter­aktionen mitzuformen und mitzugestalten.

Die Abstimmung des Akteurhandelns mit institutionellen Strukturen bei politischen Hand­lungen nun verlangt es, die verschiedenen Interaktionen der Akteure und ihre spezifischen Konstellationen innerhalb der institutionellen Kontexte ausführlicher zu untersuchen und hieraus zu erklären. Das wiederum impliziert eine geringe Fallanzahl. Die Fallauswahl fällt auf den Berliner Volksentscheid „Pro Reli“, bei dem über die Einführung des christlichen Religionsunterrichts als Wahlpflichtfach abgestimmt wurde, und das Volksbegehren für gute Schulen in Niedersachsen, das sich für den Erhalt von personell besser ausgestatteten Halb­tagsschulen und für die Beibehaltung der 13. Jahrgangsstufe an Integrierten Gesamt­schulen eingesetzt hat. Beide Verfahren erreichten mindestens die 2. Verfahrensstufe und berüh­ren Themen, die bundesweit in der Bildungspolitik kontrovers diskutiert wurden und werden, wenn auch der zweite Fall gegenüber dem ersten offensichtlich stiller verlaufen ist und wesentlich weniger mediales Interesse hervorgerufen hat. Beide Ver­fahren wurden nicht im Sinne der direktdemokratischen Initiatoren entschieden.

Die konkrete Untersuchung der Fälle orientiert sich am IAD (Institutional Analysis and Development Framework) – Ansatz für Politikfeldanalysen von Elinor OSTROM und Mar­garet M. POLSKI (vgl. POLSKI/OSTROM 1999), da dieser eine systematische, komplexe Analyse mit verschiedenen Perspektiven und Untersuchungsebenen ermöglicht. In dieser Arbeit beschränke ich mich auf die Untersuchung der Handlungsräume und der Akteure – individuelle oder Gruppen – und ihre Interaktionen. Dabei werden situations­spezifische Ein­flüsse benannt, wie rechtliche Bedingungen, besondere Akteurs- und Macht­konstella­tionen und finanzielle Restriktionen. Zur Beantwortung der Forschungs­frage werden außer­dem der Policy-Output fokussiert und die Veränderungen der Politikinhalte über den Ver­gleich der rechtlichen Ausgangssituation, der Gesetzesentwürfe und der verabschiedeten Policies unter­sucht. Zusätzlich wird die Entwicklung des öffentlichen Meinungsdiskurses nachgezeichnet. Es handelt sich also um eine x-zentrierte Fragestellung: Wozu führt das Scheitern der direkt­demokratischen Verfahren?, in der die abhängigen Variablen die Effekte der gescheiterten Verfahren abbilden. So sollen Wirkungen der Verfahren in den beiden Fällen bestimmt und Verallgemeinerungen abgeleitet werden, die aber aufgrund der geringen Fallzahl weiterer wissenschaftlicher Untersuchung und Überprüfung bedürfen.

3 Fallbeispiel 1 Berlin: Pro Reli 2007-2009

3.1 Fall- und Problembeschreibung

Im April 2009 scheiterte in Berlin ein Volksgesetzgebungsverfahren, welches über zwei Jahre hochkontroverse Diskussionen in der politischen Öffentlichkeit hervorgerufen hat – über die Landesgrenzen hinaus. Die 2007 gegründete Volksinitiative „Pro Reli“ hatte sich für die Einführung des Religionsunterrichts als Wahlpflichtfach an den Schulen eingesetzt. Seit 1947 schon war der Religionsunterricht an Berliner Schulen als „Sache der Kirchen“ angesehen, wie es im Schulgesetz hieß, und war Zusatzangebot, nicht Bestandteil der obligatorischen Unterrichtsfächer (vgl. JUNG 2011, 13). Mit zunehmender Säkularisierung und mit dem Erstarken der islamischen Gemeinde und ihrer vermehrten Präsenz an Schulen nahmen Bestrebungen zu, den christlichen Religionsunterricht stärker zu verankern und parallel Auflagen und Kontrollinstrumente für den neu etablierten islamischen Unterricht einzuführen – im Jahr 2000 hatte sich die Islamische Föderation das Recht erstritten, Religionsunterricht an Schulen anzubieten. Die Sorge um zu große Autonomie des islamischen Unterrichts, der nun die gleichen Privilegien wie der christliche genoss, und die Befürchtung einer staatlich geförderten Unterwanderung der Bildungsziele (vgl. ebd., 17) mündete in den „Berliner Religionsstreit“. Schulsenator Böger (SPD) scheiterte mehrmals an der Einführung eines veränderten Schulgesetzes. Im Jahr 2006 führte die Regierungskoalition von SPD und PDS das Fach Ethik als obligatorisches Unterrichtsfach ein (vgl. ebd., 24). Mit dem Ziel, den evangelischen Religionsunterricht an Schulen aufzuwerten und eine Wahlmöglichkeit für Schüler zwischen Ethik- und Konfessionsunterricht zu schaffen, engagierten sich die Initiatoren der Volksinitiative, überschritten das erforderliche Quorum und konnten ein Volksbegehren einleiten. Bei der Volksabstimmung 2009 votierten die Berliner Bürger allerdings eindeutig für die Beibehaltung des Status Quo, der eine gemeinsame Werte­erziehung im Ethikunterricht und den Religionsunterricht als Zusatzangebot vorsah. Das direktdemokratische Verfahren rief außerordentlich großes öffentliches Interesse hervor, nicht zuletzt, weil die Kirchen als Akteure in diesen politischen Prozess eingebunden waren und zwei große Themen: Religion und Migration berührt wurden.

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Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Erfolge gescheiterter Volksinitiativen
Untertitel
Eine Politikfeldanalyse zur Auswirkung direktdemokratischer Verfahren auf die Schulpolitik
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Modul Politikfeldanalyse
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
24
Katalognummer
V265857
ISBN (eBook)
9783656555599
ISBN (Buch)
9783656555872
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erfolge, volksinitiativen, politikfeldanalyse, auswirkung, verfahren, schulpolitik, direkte Demokratie, direktdemokratisch
Arbeit zitieren
Kathrin Warweg (Autor:in), 2013, Die Erfolge gescheiterter Volksinitiativen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265857

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