Die Akte Ötzi: Ein jungsteinzeitlicher Kriminalfall


Hausarbeit, 2012

38 Seiten, Note: 1,3

Frederic Fuchs (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Fund Ötzi
2.1 Allgemeineszur Mumie
2.2 Fundstelle und LagederMumie
2.3 Bekleidungund Ausrüstung
2.4 ZurFundgeschichte

3. Untersuchungenmit Auswertungen
3.1 Verschiedene Untersuchungen anderMumie
3.2 Die Gliedmaßen
3.3 Der Kopf
3.4 Der Torso

4. InterpretationundDeutung desFunds
4.1Herkunft und kulturelleZugehörigkeit
4.2Position innerhalb derGesellschaft
4.3Sterbeposition
4.4 Rekonstruktion der letzten Stunden

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Es gibt viele Dinge, die dem Menschen auf eine skurrile Weise interessant erscheinen. Der Tod ist eine davon. Er hat in seinen unterschiedlichen Formen schon immer auf viele Menschen eine widersprüchliche Anziehung ausgeübt. Eine dieser Formen sind die über Jahrhunderte, oder sogar Jahrtausende konservierten Mumien. Gerade durch ihr über so lange Zeit auf scheinbar unnatürliche Weise erhaltenes Äußeres üben sie auf viele Menschen eine morbide Faszination aus.

Genauso verhält es sich mit Gewaltverbrechen wie Morden. Obwohl eigentlich abstoßend und verachtenswert wird darüber tagtäglich berichtet und Mörder erfreuen sich am allgemeinen Interesse der Gesellschaft.

Bei Ötzi, dem Forschungsgegenstand, den diese Arbeit behandeln wird, treffen beide Aspekte zusammen. Es handelt sich hier um eine circa 5000 Jahre alte Mumie, die einen außergewöhnlich guten Erhaltungsgrad aufweist und welche einem Mord zum Opfer gefallen ist. Durch den guten Erhaltungszustand gibt sie Wissenschaftlern, genauso wie Laien, einen hervorragenden Einblick in das Leben der damaligen Zeit. Von Anfang an war Ötzi, benannt nach dem den Fundort nahegelegenen Ötztal1, ein Objekt von höchstem gesellschaftlichen Interesse, welches in kürzester Zeit zum Medienstar avancierte2.

Selbst heute noch, 20 Jahre nach der Entdeckung und genauso langer Zeit sehr intensiver Forschung, beschäftigt die Mumie die Wissenschaft immer noch. Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen haben sich an die Untersuchung der Leiche gewagt und sie allesamt lieferten eine enorme Masse an Ergebnissen3. Ergebnisse, die man in Anzahl und Genauigkeit so vorher wohl nie erwartet hätte.

Im Folgenden werden vor allem die Aspekte der Archäologie und der Medizin, genauer gesagt der forensischen Pathologie, betrachtet und ausgewertet. Es sollen allgemeine Informationen über die Person Ötzi erarbeitet werden sowie vor allem auch Informationen über die Gewalttat an ihm. Man könnte beim Ötzi sozusagen von einem urzeitlichen Kriminalfall sprechen, bei dem es gilt Licht ins Dunkle zu bringen.

2. Der Fund Ötzi

Eingangs soll Ötzi als Fund näher betrachtet werden. Dies beinhaltet allgemeine Informationen über den Gletschermann sowie die Geschichte seiner Auffindung und Bergung und - nicht zu vergessen - die Betrachtung des Fundkomplexes mit all den Beifunden, welche neben den medizinisch-pathologischen Untersuchungen eine nicht unwichtige Rolle bei der Deutung des Funds und der Rekonstruktion der Geschehnisse spielen. Insgesamt soll die Einführung ein besseres Bild über den Fund bzw. die Mumie geben und als Grundlage für weitere Untersuchungen und Interpretationen dienen.

2.1. Allgemeines zum Ötzi

Die Mumie (Abb.1) hat heute eine Größe von 1,54m4. Da man weiß, dass sie durch die Mumifizierungsprozesse geschrumpft ist, kann man heute anhand von Vermessungen die ursprüngliche Körpergröße mit 1,60m sehr exakt festlegen, was wiederum, zusammen mit der berechneten Schuhgröße 38, eine durchschnittliche Größe eines Mannes seiner Zeit war5. Weiterhin kann man sagen, dass seine Physiognomie sich nicht weiter von der eines modernen Mannes unterschied6, nur seine Knochen waren etwas stärker7. Auch das Gewicht des Ötzis zu seinem Todeszeitpunkt konnte man zurückrechnen. Wiegt die Mumie heute nur noch 13 kg, so hat der lebende Mann früher einmal ein Gewicht von circa 50 kg gehabt8. Weiterhin hat man das Alter des Mannes bestimmen können. Dafür wurden Veränderungen der Knochenstruktur untersucht. Die ständige Reproduktion der Zellen und deren Einstellung beim Tod eines Menschen hinterlassen Spuren. Wichtig hierbei sind die sogenannten Osteone, ein Baustein des Knochengewebes, dessen Größe und Anzahl ausschlaggebend sind bei der Altersbestimmung9. Anhand solcher Untersuchungen berechnete man ein Mindestalter von 40 und ein Höchstalter von 53 Jahren10. Insgesamt wurden neun Berechnungen durchgeführt, deren Mittelwert ein Alter von 45,7 Jahren ergab, was ein recht hohes Alter für einen Mann des Spätneolithikums gewesen sein musste11. Man sollte hier erwähnen, dass mittels C-14-Analysen der Zeitraum bestimmt werden konnte, in dem der Mann gelebt hatte. Dazu wurde der Körper sowie im Laufe der Zeit zahlreiche Beifunde an verschiedenen Instituten beprobt, die alle übereinstimmende Ergebnisse lieferten, und zwar den Zeitraum 3350 - 3120 v. Chr.12. Somit ist die Mumie mittlerweile über 5100 Jahre alt.

Um das Erscheinungsbild des Mannes aus dem Eis zu vervollständigen, musste man noch Augen- und Haarfarbe bestimmen. Doch bei der Auffindung war die Mumie komplett kahl, da sich durch den Tod die Oberhaut verändert und es zu Haarausfall kommt. Dennoch konnten Haupt- und Körperhaare geborgen werden, darunter eine Strähne mit mehreren hundert Haaren13. Aufgrund dieses Fundes und durchgeführten DNA-Analysen konnten schließlich die erwünschten Informationen ermittelt werden. Ötzi hatte braune Augen, welliges dunkelbraunes bis schwarzes Haar und höchstwahrscheinlich auch einen Bart14. Mit diesen und vielen weiteren gewonnen Daten konnten Spezialisten schließlich eine sehr genaue Gesichts- und Körperrekonstruktion durchführen, welche uns nun ein - vermutlich sehr genaues - Abbild des Ötzi zeigt (Abb.2).

2.2. Fundstelle und Lage der Mumie

Die Mumie wurde am 19. September 1991 auf 3210 m NN in den Ötztaler Alpen von dem Ehepärchen Simon aus Nürnberg gefunden15. Die Fundstelle befindet sich an dem Übergang vom Schnals- zum Ötztal, am sogenannten Tisenjoch, nahe der österreichischen Grenze, aber innerhalb Südtiroler Landesgrenzen (Abb.3+4).

Die Mumie befand sich innerhalb einer 40 Meter langen und bis zu drei Meter tiefen Felsmulde16 (Abb.5). Oberkörper und Kopf lagen auf einem großen Felsblock, die Beine waren auf einem kleineren, leicht tieferen Fels positioniert17 (Abb.6). Sie lag auf dem Bauch, mit Mund und Nase direkt auf dem Fels aufliegend. Die Gliedmaßen waren alle durchgestreckt, wobei der linke Arm unter dem Hals entlang führt und unnatürlich stark abgewinkelt ist18. Der rechte Arm war hingegen in einem natürlichen 60° Winkel vom Körper weggestreckt und hing den Felsblock hinab19.

2.3. Bekleidung und Ausrüstung

Nebst Mumie wurden noch zahlreiche Beifunde gemacht, welche die Bekleidung und Ausrüstung des Gletschermannes umfassen. Als die Leiche geborgen wurde, schien sie nackt zu sein. Es wurde jedoch bewiesen, dass der Mann zum Zeitpunkt seines Todes vollständig bekleidet war und die erhaltenen Kleidungsstücke bei der Bergung vom Körper abgefallen waren20. Zur Bekleidung des Ötzi gehörten eine Fellmütze, ein Grasmantel, eine Grasmatte, die wie ein Zelt als Regenschutz über den Kopf gestülpt wurde, ein Fellmantel, Beinkleider, Lendenschurz sowie ein Gürtel und ein Paar Schuhe21 (Abb.7-10). Es wurden gänzlich unterschiedliche Materialien genutzt - wie z. B. Schafs-, Ziegen- und Hirschfell, oder auch Braunbär- und Kalbsleder. Auffällig dabei ist, dass er keine gewebten, sondern nur geflochtene und gegerbte Kleidungsstücke bei sich trug22. Weiterhin erscheint die Fundposition der Mütze bemerkenswert: Sie wurde zu Fuße des Felsblocks, etwas links versetzt vom Körper, gefunden23 (Abb.6). Dieser Umstand wird später noch von Bedeutung sein (vgl. S.19).

In Bezug auf seine Ausrüstung war Ötzi ebenfalls sehr gut ausgestattet. Das für die Archäologie, die Datierung und die Interpretation wohl markanteste und wichtigste Objekt ist das Kupferbeil (Abb.11). Hierbei handelt es sich um ein 60 cm langes Beil aus Eibenholz mit einer 9,5 cm langen Kupferklinge24. Dieses Beil wird bei der später folgenden Interpretation und Rekonstruktion noch eine entscheidende Rolle einnehmen. Des Weiteren trug er einen Silexdolch25 (Abb.12) sowie einen unvollendeten Bogen mit mehreren unfertigen und zwei fertigen Pfeilen in einem Köcher bei sich. Daneben wurden noch mehrere Werkzeuge, wie z. B. ein Klingenkratzer, eine Knochennahle oder ein Bohrer gefunden26, genauso wie auch ein Retuscheur27. Mit diesen Werkzeugen konnte man zahlreiche Reparaturen an der Ausrüstung vornehmen, oder Tiere häuten28. Als Besonderheit fand man auch eine Steinscheibe an einer Quaste, was als Halterung für erlegtes Kleintier rekonstruiert wird29. Außerdem kamen in der Felsmulde auch zwei Birkenrindengefäße zum Vorschein; man kann aus Holzkohleresten, die man im Innern fand, schließen, dass sie als

Glutbehälter dienten30. Auch medizinische Ausrüstung hatte er bei sich. Dabei handelte es sich um zwei Stücke Fruchtkörpergewebe des Birkensporlings, die blutstillende Wirkung31 hatten, andererseits hilfreich gegen Darmparasiten waren32.

Ötzi trug seine komplette Ausrüstung - bis aufden Bogen - wahrscheinlich in seinem Gürtel und in einer Rückentrage, die man anhand von erhaltenen Holzresten rekonstruieren konnte33.

Man erkennt, dass die Ausrüstung zwar umfangreich, aber auch eher rational und zweckmäßig gehalten war. Dies kann man so deuten, dass er damit rechnete bzw. zumindest beabsichtigte eine längere Zeit auf sich alleine gestellt zu sein34, was mit dieser Ausrüstung und Kleidung ohne Weiteres möglich war.

2.4. Zur Fundgeschichte

Zum Zeitpunkt der Entdeckung ragte nur ein Teil des Körpers aus dem Eis - einzig der Rücken, die Schultern und der Hinterkopf waren zu erkennen (Abb.13). Dass die Simons zum einen an genau dieser Stelle vorbeikamen und zum anderen die Mumie sehen konnten, war ist einer Reihe von Zufällen zu verdanken - angefangen bei den klimatischen Bedingungen, die das Abschmelzen des Eises bewirkten und die Mumie somit sichtbar machten35, bis hin zu dem Umstand, dass die Deutschen sich verspäteten, ein weiteres Paar aus Österreich trafen und so kurzfristig in der nahe gelegenen Similaunhütte übernachten mussten36, wodurch sie wiederum von den Österreichern zu einem weiteren Aufstieg überredet werden konnten. Im Zuge dieser Erklimmung machten sie überhaupt erst diesen spektakulären Fund37. Das Ehepaar meldeten die Entdeckung umgehend dem Wirt der nahe gelegenen Similaunhütte, der sie an die Polizei weitergab, da zu diesem Zeitpunkt jeder von einem verunglückten Alpinisten ausging38. Bereits einen Tag später wurde der erste Bergungsversuch unternommen. Man versuchte die Leiche mit einem Presslufthammer freizulegen, was nicht gelang, sondern lediglich eine Beschädigung der Hüfte39 und des Oberschenkels zur Folge hatte (Abb.1). Am gleichen Tag entdeckte ein italienischer Polizist einen seltsamen „Pickel“ in der näheren Umgebung der Leiche, welchen er mit ins Tal nahm und dersich später als ein Kupferbeil entpuppte40. Die darauffolgenden Tage konnten keine Bergungsversuche durchgeführt werden, da kein Hubschrauber zur Verfügung stand41. In dieser Zeit wurde die Leiche von vielen Touristen und Neugierigen aufgesucht, da sich deren Entdeckung schnell herumgesprochen hatte. Ein prominenter Besucher war Reinhold Messner, der gerade eine Alpentour mit einem befreundeten Bergsteiger unternahm42. Als er mit seinem Freund die Leiche besichtigte, versuchten sie die Mumie mit einem Skistock und einem Holzstück, das einige Meter entfernt lag und sich später als Teil der hölzernen Rückentrage herausstellen sollte, freizulegen43. Er war der erste, der vermutete, dass der „Verunglückte“ eine (prä-)historische Mumie sei und stufte sie 500 bis 3000 Jahre alt ein44. Die tatsächliche Bergung fand dann schließlich am Montag, dem 23. September 1991 statt. Die Gletschermumie wurde vom Eis freigelegt, zusammen mit den anderen gefundenen Objekten in einem Leichensack verstaut, mit einem Helikopter ins Tal abtransportiert45 (Abb.14) und in einem Sarg zur Gerichtsmedizin nach Innsbruck gefahren46.

Leider war am Tag der Bergung kein Archäologe zugegen, sondern „nur“ ein Gerichtsmediziner, der aber schon während der Bergung die Gletschermumie als nicht typisch befand47. Erst einen Tag später wurde Konrad Spindler, welcher den Lehrstuhl des ur- und frühgeschichtlichen Instituts in Innsbruck inne hatte, zum Begutachten der Leiche gerufen. Nach kurzem Betrachten des Kupferbeils und der Mumie waren seine ersten Worte: „Mindestens 4000 Jahre oder älter“48. Somit war die Sensation geboren und zahlreiche Untersuchungen verschiedenster Fachrichtungen fanden statt49. Im Folgenden werde ich hauptsächlich auf die medizinisch-pathologischen Untersuchungen eingehen, da sie am meisten Auskunft darüber geben, wie die letzten Stunden und Momente des Ötzis aussahen.

3. Untersuchungen und Auswertungen

Die ersten Untersuchungen fanden noch im Entdeckungsjahr 1991 an der Universität Innsbruck statt. Die Leiche wurde mit diversen naturwissenschaftlichen Methoden untersucht. Man kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Erfrierungs- oder Erschöpfungstod handeln musste50. Im gleichen Jahr wurden amtliche Neuvermessungen des Grenzverlaufs durchgeführt. Im Zuge derer wurde festgestellt, dass sich die Fundstelle auf Südtiroler Staatsgebiet befand, woraufhin das Land Südtirol Eigentumsanspruch erhob51. So wurde die Mumie 1998, nachdem die wissenschaftlichen Arbeiten in Innsbruck abgeschlossen waren, nach Bozen umgelagert52. Hier wurden 2001 weitere medizinische Untersuchungen getätigt und zahlreiche Röntgenaufnahmen gemacht, wodurch man auf eine Pfeilspitze in der Schulter der Mumie aufmerksam wurde53. Dies machte den ganzen Fund umso spektakulärer, da man es nun wohl mit einem Ermordeten zu tun hatte - es gab ab diesem Zeitpunkt ein Opfer und Täter. Man bemühte sich darum herauszufinden, was die Gründe für diesen prähistorischen Kriminalfall waren.

Weiterhin analysierte man den Verdauungstrakt und kam zu dem Schluss, dass dieser leer sei54. Doch der Radiologe Paul Gostner begutachtete, die in den Jahren entstandenen computertomographischen Aufnahmen55 immer wieder bis er sich sicher war, dass ein Fehler gemacht worden und doch noch Mageninhalt vorhanden sei56. Dieses Ergebnis war Grund dafür ein weiteres Mal ausführliche Untersuchungen an der Leiche stattfinden zu lassen. Im November 2010 wurden die bis heute neusten und vorerst letzten Untersuchungen am Ötzi durchgeführt: Es wurde eine Ganzkörper-Autopsie vorgenommen, bei der das Schädelinnere mit einem Endoskop untersucht (Abb.15), Lungen- und Muskelproben sowie Knochengewebe entnommen und der Mageninhalt geborgen wurde. Außerdem wurde versucht die Pfeilspitze zu erreichen, was aber von keinem Erfolg gekrönt war57.

3.1. Verschiedene Untersuchungen an der Mumie

Man kann wohl sagen, dass Ötzi die am besten erforschte Mumie aller Zeiten ist58. Ein Grund hierfür ist zum einen der außergewöhnlich gute Erhaltungsgrad, zum anderen der Umstand, dass es sich um eine sogenannte “Feuchtmumie“ handelt. Das Körpergewebe dieser Mumien ist besonders elastisch, da in den Körperzellen viel Feuchtigkeit gespeichert ist, was wiederum solch gründliche Untersuchungen überhaupt erst möglich macht59. Dazu zählt auch, dass seine DNA sehr sorgfältig und ausführlich analysiert wurde60. Neben der schon zuvor genannten Erkenntnis über Augen- und Haarfarbe, weiß man dadurch mittlerweile auch, dass Ötzi laktose-intolerant war61. Ob dies eine Beeinträchtigung darstellt kann man allerdings nicht sagen, da unklar ist, ob im inneralpinen bzw. Tiroler Raum zu dieser Zeit schon Milchprodukte konsumiert wurden62. Weiterhin wurde das Bakterium borrelia burgdorferi bei Ötzi entdeckt; somit ist er der erste bekannte Mensch der von dem Erreger der Zeckenborreliose infiziert war, was wiederum die These widerlegt es handle sich hierbei um eine moderne Krankheit63.

Neben der DNA-Analyse wurden auch ausgiebige Untersuchungen des Magen bzw. Mageninhalts durchgeführt. CT-Aufnahmen zeigten einen mit nur grob zerkauten, leicht angedauten Inhalt gut gefüllten Magen. Daraus kann man schließen, dass die letzte Mahlzeit des Gletschermanns maximal eine Stunde vor seinem Tod eingenommen wurde64. Außerdem kann man weiterhin sagen, aus welchen Bestandteilen die letzte Mahlzeit des Toten bestanden hatte: Es handelte sich um eine reichhaltige, ausgewogene Speise bestehend aus Steinbock- oder Hirschfleisch, Fett und Pflanzengewebe, Fruchtschalen und Getreideresten. Eventuell hat er diese auch in brotähnlicher Form zu sich genommen. Jede der drei letzten Mahlzeiten des Ötzi, welche man im Darm nachvollziehen konnte, hatte so ausgesehen65. Darüberhinaus wurden im Darm die Eier des Peitschenwurms trichuris trichiura festgestellt. Dabei handelt es sich um einen Parasit, der Durchfall und Schmerzen verursacht66. In den Nahrungsresten wurden auch Spuren von Mineralien und Holzkohle entdeckt, weshalb man sagen kann, dass er die Mahlzeiten auf einem offenen Feuer gebraten bzw. gekocht hat67. Außerdem geht man anhand von gefundenen Knochenfunden davon aus, dass er Reiseproviant in Form von geräucherten oder getrockneten Steinbockfleisch bei sich trug68.

Nicht zu unterschätzen sind auch die Ergebnisse die eine Spurenmetallanalyse der Haare erbrachte. Sie ergab zwar einen geringeren Bleigehalt als bei modernen Menschen, dafür aber eine erhöhten Anteil an Arsen. Dies weist daraufhin, dass Ötzi wahrscheinlich öfter bei der Verarbeitung von Erzen, in diesem Fall Kupfer, zugegen war69. Eine Erkenntnis, die bei der Deutung von Ötzis Rolle innerhalb der Gesellschaft sehr nützlich ist (vgl. S.17).

Auch die Untersuchungen an einem Fingernagel, der bei einer Nachgrabung zum Vorschein kam, liefern interessante Informationen: Die sogenannten Beau-Reil-Querfurchen des Fingernagels zeigen, dass sein Immunsystem 16, 13 und acht Wochen vor seinem Tod starken Stresssituationen ausgesetzt war, wobei die jüngste Furche zugleich die stärkste ist70. Solche Stresssituationen könnten ein Indizfür Unruhen und Konflikte sein.

Zur Vollständigkeit seien noch die Tätowierungen genannt, die man am Körper der Mumie ausmachte. Hierbei handelt es sich um circa 60 Strichbündel und Kreuze, die über den Körper verteilt, aber vor allem an stark beanspruchten Stellen angebracht sind71 (Abb.16-18). Man geht davon aus, dass es sich nicht um Körperschmuck oder kultische Tätowierungen handelt, sondern dass sie einen therapeutischen Hintergrund besitzen und Schmerzen lindern sollten72.

3.2 Die Gliedmaßen

Die Gelenke des Ötzi haben einer ihrer Position nach natürliche Stellung73, d.h. dass sie nach dem Tod bzw Erstarren des Körpers nicht verändert wurden. Zudem weisen sie fast alle (wie auch die Knochen) einen guten Zustand auf, was ungewöhnlich für ein Mitglied der bäuerlichen Gesellschaft dieser Zeit war. Nur am rechten Schulter- und Hüftgelenk sowie an der Hals- bzw. Lendenwirbelsäule sind Anzeichen einer beginnenden Arthrose auszumachen. Außerdem ist der Meniskus des rechten Knies beschädigt. Ein Umstand der beim Wandern oder Bergsteigen sicherlich schmerzhaft und hinderlich war74.

Während die Beine und der rechte Arm eine natürliche Haltung aufzeigen, liegt der linke Arm - wie anfangs schon erwähnt - in einer unnatürlichen Position unter dem Hals. Einzelheiten dazu werden später unter dem Punkt „Sterbeposition“ behandeln (vgl. S.19).

Auffällig und für weitere Interpretationen wichtig ist eine Wunde an der rechten Hand. Hierbei handelt es sich um eine tiefe Fleischwunde zwischen Daumen und Zeigefinger, die bis auf den Knochen hinabreicht (Abb.19+20). Sie weist gezahnte und dunkel verfärbte Wundränder auf. Dies ist ein Zeichen für Hämosiderinablagerungen, also Reaktionen des Körpers auf eine Wunde, um sie zu schließen75. Anhand der Analyse der Wundränder und der Ablagerungen kann man die Wunde auf ein bis drei Tage vor den Tod des Mannes zurückdatieren. Stelle und Form der Wunde machen eine Kampf- bzw. Verteidigungsverletzung unwahrscheinlich; sie legen vielmehr eine Zufallsverletzung nahe76.

3.3. Der Kopf

Grundsätzlich kann man sagen, dass der Kopf nach dem Eintreten der Totenstarre nicht mehr bewegt wurde. Das lässt sich daran erkennen, dass keine Frakturen oder Erweiterungen der Gelenkspalten im Nackenbereich vorhanden sind. Zudem sind die Halsweichteile und die Halswirbelsäule nicht unnatürlich deformiert, sondern haben einen geradlinigen Verlauf77 (Abb.21). Bei der Betrachtung des Schädels (Abb.22) mit dem bloßen Auge fällt sofort auf, dass Mund und Nase stark deformiert sind. Diese Deformierungen entstanden durch Eisdruck und das direkte Aufliegen des Gesichts auf dem Felsen. Während die linke Gesichtshälfte unauffällig scheint, erkennt man auf der rechten Seite eine dunkle Verfärbung. Außerdem erscheinen die Weichteile in diesem Bereich leicht geschwollen78. Hierbei handelt es sich aber nicht um Totenflecken, sondern eventuell um die Folgen eines starken Blutverlustes79. Prinzipiell ist die Haut aber über das ganze Gesicht hinweg glatt und ohne Defekte. Lediglich am linken Mundwinkel des leicht geöffneten Mundes geht eine circa 1,5 cm lange unnatürliche Vertiefung der Weichteile aus80. Sie erscheint wie ein Einriss des Mundwinkels und kann ebenfalls durch die aufgrund des Eisdrucks leichte Bewegung des Gesichts über das Felsgestein entstanden sein.

Wenn man die Röntgenaufnahmen des Schädels betrachtet, lassen sich viele kleine und wenige größere Frakturen erkennen. An der Schädelfront fällt sofort die gebrochene Nasenspitze auf, die zu den deformierten Weichteilen der Nase passt. Weiterhin ist eine stärkere Fraktur am äußeren Rand der rechten Augenhöhle an der Naht zwischen Joch- und Stirnbein (Abb.23) auszumachen, die bis in die Seiten- und Hinterwand der rechten Augenhöhle reicht. Im Gegensatz dazu sind an der linken Gesichtshälfte des Schädels keine Frakturen auszumachen. Auch auf der linken Seite der Schädeldecke sind keine bemerkenswerten Beschädigungen zu finden. Auf der rechten Seite jedoch ist die Naht zwischen dem Schläfen- und dem Scheitelbein sowie ein Teil des rechten Schenkels der Lambdanaht gespalten(Abb.24). Es ist sehr auffällig, dass sich die stärkeren Frakturen wie auf einer Linie die rechte Schädelhälfte entlang ziehen81.

Während man die kleineren Frakturen am Schädel wohl einerseits durch wiederholtes Auftauen und Einfrieren, andererseits aber auch durch Eisdruck erklären kann, wurden die stärkeren Frakturen an der rechten Schädelhälfte jedoch höchstwahrscheinlich durch Gewalteinwirkung verursacht82.

[...]


1 Fleckinger 2003,21.

2 Fleckinger 2007,10.

3 Putzer 2011,22.

4 Fleckinger2003,31.

5 Ebd.,31.

6 Ebd.,31.

7 Gostner u.a. 2004, 98.

8 Fleckinger2003,31.

9 Putzer 2011,25.

10 Fleckinger / Steiner 2003, 53.

11 Fleckinger2003, 32.

12 Putzer 2011, 24.

13 Fleckinger2003, 33.

14 Ebd.,33.

15 Ebd., 10.

16 Ebd., 37.

17 Lippert u.a. 2007, 2.

18 EgarterVigl 2011,75.

19 Lippertu.a. 2007,1.

20 Ebd., 3.

21 Fleckinger / Steiner 2003, 64-78.

22 Fleckinger2007, 41.

23 Lippert u.a. 2007, 3.

24 Fleckinger / Steiner 2003, 85.

25 Ebd.,90.

26 Fleckinger / Steiner 2003, 85.

27 Ebd., 70.

28 Fleckinger 2007, 43.

29 Ebd., 44.

30 Ebd., 44.

31 Fleckinger/Steiner2003, 118.

32 Fleckinger 2011,44.

33 Fleckinger / Steiner 2003, 98.

34 Fleckinger 2007, 42.

35 Rastbichler Zissernig 2011,49.

36 Ebd.,46.

37 Ebd.,47.

38 Fleckinger2003, 10.

39 Ebd., 12.

40 Ebd., 12.

41 Fleckinger2003, 13.

42 Ebd., 13.

43 Ebd., 13.

44 Ebd., 14.

45 Ebd., 15.

46 Ebd., 16.

47 Rastbichler Zissernig 2011,49.

48 Ebd., 50.

49 Putzer 2011,22.

50 EgarterVigl 2011,72.

51 Fleckinger / Steiner 2003, 26.

52 EgarterVigl 2011,72.

53 Ebd.,73.

54 Hall 2011, 132.

55 Verfahren der Radiologie (CT): mit Hilfe von Computern werden Schnittbilder (aus einer Vielzahl an aus verschiedenen Richtungen aufgenommenen Röntgenbilder) erstellt. ;an erhält dadurch zahlreiche (horizontale) Schnitte durch das Objekt, welche zusammengefügt eine Volumengrafik (Art einer 3D-Computergrafik) ergeben. Das Verfahren ist genauer und nicht so anfällig gegenüber Verfälschungen als normale Röntgenverfahren. Zudem sind so 3-dimensionale Abbildungen möglich.

56 Hall 2011, 132.

57 Ebd., 133.

58 Putzer 2011,22.

59 Fleckinger2007, 38

60 Hall 2011, 136.

61 Ebd., 136.

62 Brunner 2011, 138.

63 Hall 2011, 136.

64 EgarterVigl 2011,77.

65 Brunner 2011, 138.

66 Fleckinger 2007, 40.

67 Ebd., 98.

68 Brunner 2011, 138.

69 Fleckinger2003, 33.

70 Fleckinger2003, 37.

71 Ebd.,42.

72 Fleckinger 2007, 40.

73 Lippertu.a. 2007,10.

74 Gostner u.a. 2004, 98.

75 Lippertu.a. 2007,10.

76 EgarterVigl 2011,75.

77 Lippert u.a. 2007, 7.

78 Ebd.,4.

79 Ebd., 10.

80 Ebd.,4.

81 Lippert u.a. 2007, 5-6.

82 Lippertu.a. 2007,12.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Die Akte Ötzi: Ein jungsteinzeitlicher Kriminalfall
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie)
Veranstaltung
Seminar CSI Prehistory
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
38
Katalognummer
V265809
ISBN (eBook)
9783656555520
ISBN (Buch)
9783656555698
Dateigröße
1468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
akte, ötzi, kriminalfall
Arbeit zitieren
Frederic Fuchs (Autor:in), 2012, Die Akte Ötzi: Ein jungsteinzeitlicher Kriminalfall, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265809

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