Die Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989


Seminararbeit, 2002

14 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Die Montagsdemonstrationen vor dem 9. Oktober

Die Vorbereitungen auf den „Ordnungseinsatz“ am 9. Oktober 1989 in Leipzig

Tag der Entscheidung: der 9. Oktober in Leipzig

Schluß

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

70000 Demonstranten standen am Montag, den 9. Oktober 8.000 Einsatzkräften der Volkspolizei, der NVA und des MfS gegenüber, die von 5000 „gesellschaftlichen Kräften“ aus Partei und Staat flankiert wurden. Die Anweisung von Erich Honecker, dem mächtigsten Mann im Staat, legte die Bezirkseinsatzleitung auf einen Konfrontationskurs fest: „die Zusammenrottungen... sind von vornherein zu unterbinden“[1]. Dennoch gab es in Leipzig keinerlei Zusammenstöße zwischen der Staatsmacht und den Demonstranten – Schützenpanzer, Wasserwerfer und Räumungskommandos wurden nicht eingesetzt, eine gewaltsame Niederschlagung der Massenkundgebung blieb aus.

Die Umstände, welche dieses „Wunder von Leipzig“[2] (Kurt Masur) ermöglichten beschäftigen bis heute die historische Forschung. Dabei besteht ein relativ breiter Konsens darüber, daß die Entscheidung gegen eine „chinesische Lösung“ in Leipzig, nicht in Ost-Berlin gefallen war[3]. Nicht zuletzt die damaligen Entscheidungsträger, namentlich Egon Krenz beharren jedoch darauf, daß ein Entschluß zum Gewaltverzicht schon im Vorfeld in Berlin gefallen ist[4]. Eine Antwort auf diesen Widerspruch muß anhand der Quellen gefunden werden.

Die Vorgänge auf der Straße, die Motivation und Gefühlslage der Demonstranten sowie die Zielsetzungen der Bürgerrechtsbewegung und der kirchlichen Beteiligten sind ausgesprochen gut dokumentiert und vielfach ausgewertet. Deshalb wird sich diese Arbeit schwerpunktmäßig einer möglichst wirklichkeitsnahen Rekonstruktion der Entscheidungsprozesse innerhalb der Leipziger Einsatzleitung bzw. der Berliner Führung widmen. Dabei müssen zum einen die erhaltenen Befehle und Einsatzkonzepte ausgewertet werden. Außerdem stehen verschiedene Aufzeichnungen und Interviews mit den damals Beteiligten zur Verfügung, die jedoch kritisch betrachtet werden müssen, da letztlich jeder Beteiligte vor einer historischen Selbstpositionierung zwischen „Scharfmachern“ und „Friedensengeln“ steht.

Darüberhinaus können umfassende Bild-, Ton- und Textquellen über die tatsächlichen Ereignisse auf der Straße eingesehen werden.

Eine möglichst objektive Antwort auf die Frage, warum in Leipzig nicht geschossen wurde, kann also nur in einer vergleichenden Auswertung gesucht werden: von möglichst vielen persönlichen Erinnerungen der Beteiligten, den Originaldokumenten und einer Untersuchung der Vorgänge, die in der Öffentlichkeit, also auf den Leipziger Straßen stattfanden.

Dabei soll chronologisch verfahren werden. Zunächst soll kurz die Reaktion der Staatsmacht auf die Montagsdemonstrationen vor dem 9. Oktober dargestellt werden, davon ausgehend werden anhand von ausgewählten Dokumenten die Vorbereitungen auf den „Tag der Entscheidung“[5] analysiert, um schließlich die Vorgänge in den Einsatzleitungen vor und unmittelbar während der Demonstration zu rekonstruieren.

Die Montagsdemostrationen vor dem 9. Oktober

Nach einer Pause in den Sommermonaten fanden in der Nikolaikirche seit dem 4. September wieder „operativ relevante <Friedensgebete>“[6] mit anschließenden Kundgebungen und Demonstrationen statt. Parallel zur Verschärfung der inneren Krise der DDR, der ständig anwachsenden Fluchtwelle über Ungarn und der Besetzung von bundesdeutschen Botschaften, nahm auch die Zahl der Teilnehmer an diesen Protestkundgebungen stetig zu, die sich das Recht nahmen, sich mit Transparenten, wie „Für ein offenes Land mit freien Menschen“, in die inneren Angelegenheiten ihres Staates einzumischen. Die Zahl der Teilnehmer wuchs von über 1000 am 11. September auf 20000 am 2. Oktober, obwohl parallel zur steigenden Teilnehmerzahl sich auch die Gegenmaßnamen der Staatssicherheit und Polizei zunehmend verschärften. Die Staatsmacht setzte nicht auf einen friedlichen Dialog, sondern suchte nach Möglichkeiten die Kundgebungen zu verhindern: dabei kam es bis zum 2. Oktober nicht zum Einsatz von gewaltsamen Mitteln, die Demonstranten wurden jedoch am Zug durch die Innenstadt behindert, mit hohen Geldstrafen belegt, sowie vereinzelt zugeführt und ohne Prozess teilweise wochenlang festgehalten[7].

Die Demonstration am 2. Oktober markiert insofern einen Schritt in Richtung einer Eskalation, als an diesem Montag erstmals in Leipzig mit bis dahin ungekannter Härte und Gewalt gegen die friedlichen Demonstranten vorgegangen wurde. In einer geheimen Information des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) „über eine erneute öffentlichkeitswirksame provokatorisch – demonstrative Aktion im Anschluß an das sogenannte Montagsgebet in der Nikolaikirche in Leipzig“ ist der einseitige Einsatz polizeilicher Gewalt präzise dokumentiert worden: „Parolen [rufend] wie z.B. <Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit>, <Wir bleiben hier>, <Neues Forum zulassen>, <Jetzt oder nie>, <Gorbi, Gorbi>, <Freiheit für die Inhaftierten> zogen die Demonstranten in Richtung Hauptbahnhof/ Trödlingerstraße“. Dort konnten sie „durch konzentrierten Einsatz der Kräfte der Schutz- und Sicherheitsorgane sowie der Kampfgruppen... zunächst gestoppt werden“. Einige Teilnehmer durchbrechen die Absperrung und versuchen sich erneut in Höhe Thomaskirche zu formieren und in die Innenstadt/ Markt zu ziehen. „Zur Verhinderung dieses Vorhabens, insbesondere zur Abwehr der von diesen Kräften ausgehenden tätlichen Angriffe... war der Einsatz des Schlagstockes und von Diensthundeführen mit Diensthunden (mit Korb) erforderlich“[8].

Die Staatsmacht hatte, sicherlich auch in Hinblick auf die bevorstehenden Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR, die am 5. Oktober beginnen sollten, deutlich signalisiert, daß sie nicht bereit war, in irgendeiner Form einen Dialog mit der Protestbewegung zu suchen. Der Polizeieinsatz in Leipzig und auch die Zusammenstöße in der folgenden Woche in Ost-Berlin, konnten als Warnung verstanden werden, daß die Staatsmacht bereit und willig war dem Protest der Straße mit allen Mitteln entgegenzutreten.

Die Vorbereitungen auf den „Ordnungseinsatz“ am 9. Oktober 1989 in Leipzig

Um die Vorbereitungen auf die Montagsdemonstration am 9. Oktober nachvollziehen zu können erscheint es zunächst sinnvoll, den Befehlsweg und die Führungsstrukturen zwischen Berlin und Leipzig zu analysieren. In Leipzig konnten die Einheiten der Volkspolizei (VP), die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und evtl. Einheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) zum Einsatz kommen, zuzüglich der sogenannten „gesellschaftlichen Kräfte“: Betriebskampfgruppen, Parteimitglieder der SED etc. . Volkspolizei, MfS-Mitarbeiter und NVA – Einheiten unterstanden grundsätzlich in direkter Befehlslinie dem Innenminister, dem Minister für Staatssicherheit und dem Verteidigungsminister. Gemeinsam koordiniert wurden sie theoretisch durch den Nationalen Verteidigungsrat unter Vorsitz Erich Honeckers, der aber in diesen Wochen nicht zusammentrat – es blieb also Raum für Einzelabsprachen. Die Bezirksleiter von VP und MfS sowie die NVA – Offiziere unterstanden, neben dem direkten Befehlsweg nach Berlin, der Bezirkseinsatzleitung unter Vorsitz des 1. Sekretär der SED Bezirksleitung, Helmut Hackenberg. Dieser hatte damit die Befehlsgewalt über alle Einheiten, sofern nicht aus den Ministerien in Berlin andere Weisungen kamen[9]. Er konnte eine gewaltsame Niederschlagung der Demonstrationen befehlen, dieser Befehl konnte jedoch auch aus den Ministerien in Ost-Berlin kommen, bzw. wiederrufen werden. Diese vergleichsweise unübersichtlichen Befehlswege werden im folgenden noch von Bedeutung sein.

[...]


[1] Mfs, Dokumentenverwaltung, Nr.103625 (Fernschreiben) Mielke an alle Bezirksverwaltungen/ Leiter. Zitiert nach Armin Mitter; Stefan Wolle [Hrsg.], „Ich liebe euch doch alle...“. Befehle und Lageberichte des MfS, Berlin 1990, S.200.

2 Ekkehard Kuhn, Der Tag der Entscheidung. Leipzig , 9.Oktober 1989, Frankfurt am Main 1992, S.135.

[3] Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Band 2: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, München 2000, S.503.

[4] vgl. Egon Krenz. in: Kuhn, Entscheidung, S.89.

[5] Kuhn, Entscheidung.

[6] Protokoll der Dienstbesprechung beim Minister für Staatssicherheit am 31.8.1989. zitiert nach: Mitter; Wolle, Befehle MfS, S.113-138 hier: S.128.

[7] Tobias Hollitzer, „Wir leben jedenfalls von Montag zu Montag“. Zur Auflösung der Staatsicherheit in Leipzig. Erste Erkenntnisse und Schlußfolgerungen. (Die Entmachtung der Staatssicherheit in den Regionen, Teil 6). Reihe B: Analysen und Berichte, Berlin 1999.

[8] Information über eine erneute öffentlichkeitswirksame provokatorisch-demonstrative Aktion um Anschluß an das sogenannte Montagsgebet in der Nikoleikirche Leipzig, Berlin, den 3.10.1989. zitiert nach: Mitter; Wolle, Befehle MfS, S.113-138 hier: S.128.

[9] vgl. z.B. Manfred Gerlach, zu dieser Zeit: Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR. in: Kuhn, Entscheidung, S.42f.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
Proseminar Von der 'friedlichen Revolution' zur Wiedervereinigung
Note
1.0
Autor
Jahr
2002
Seiten
14
Katalognummer
V2656
ISBN (eBook)
9783638116022
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit bietet einen detaillierten Einblick in die innerern Führungsstrukturen der DDR im Jahr der Wende 1989. Darüber hinaus werden einige Legenden und Lebenslügen der damals Beteiligten als solche nachgewiesen und mit einer quellennahen Analyse der tatsächlichen Ereignisse konfrontiert.
Schlagworte
DDR Leipzig Wende Krenz Montagsdemonstration Staatssicherheit
Arbeit zitieren
Alexander Kohlmann (Autor:in), 2002, Die Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2656

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